Project Gutenberg's Kriegsbuechlein fuer unsere Kinder, by Agnes Sapper This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org Title: Kriegsbuechlein fuer unsere Kinder Author: Agnes Sapper Release Date: April 18, 2004 [EBook #12075] Language: german Character set encoding: ASCII *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KRIEGSBUeCHLEIN FUeR UNSERE KINDER *** Produced by Charles Franks and the DP Team Kriegsbuechlein fuer unsere Kinder Von Agnes Sapper 1914 Meinen lieben Enkeln Theo Otto Eduard gewidmet im Kriegsjahr 1914 Inhaltsverzeichnis Heimkehr aus Oesterreich Der 4. August Das Pfarrhaus in Ostpreussen Die Konservenbuechsen Zu welcher Fahne? Der kleine Franzos In Gefangenschaft Der junge Professor Allerlei Kriegsbilder Die Heimreise aus Oesterreich "Ist das ein koestlicher Friede hier oben! Kinder, wie haben wir's gut, wie wollen wir die vier Wochen geniessen!" Frau Lissmann stand auf der Altane eines kleinen Bauernhauses in einem weltentlegenen oesterreichischen Doerfchen. Sie war am Vorabend mit ihren zwei juengsten Kindern hierher in die Sommerfrische gekommen. Die Kinder--ein Knabe von zehn und ein Maedchen von zwoelf Jahren sahen auch aus, als ob sie eine Erfrischung brauchten. Beide hatten im Fruehjahr Scharlachfieber gehabt und sich schwer davon erholt; auch die Mutter war angegriffen durch die Pflege. So hatte Herr Lissmann, der in Muenchen Lehrer an einer Kunstschule war, fuer diese drei Glieder seiner Familie einen stillen Sommeraufenthalt in den Tiroler Bergen ausgewaehlt. Er selbst hatte Ende Juli eine Studienreise nach Paris angetreten. Sein aeltester Sohn Ludwig war in Passau, wo er sein Einjaehrigenjahr abdiente. Es blieb noch Philipp, der siebzehnjaehrige, der Gymnasiast, zu versorgen. Der waere wohl gerne mit Mutter und Geschwistern ins Gebirge gereist; allein er war ein etwas leichtsinniger Schueler und hatte im Schuljahr so wenig gearbeitet, dass er in den Ferien lernen musste. So uebergaben ihn die Eltern einem Lehrer, der alljaehrlich eine Anzahl Ferienschueler aufnahm, und Philipp musste sich darein ergeben, statt nach Tirol oder gar nach Paris nach Hinterrohrbach zu reisen! Wieviel hatten all diese Plaene zu ueberlegen gegeben, und welche Muehe war es gewesen, fuer die nach verschiedenen Richtungen Abreisenden alles Noetige herbeizuschaffen und die Koffer zu packen! Und dann die grosse Wohnung abzuschliessen und alles gut zu versorgen fuer die lange Ferienzeit! Kein Wunder, dass Frau Lissmann jetzt, nachdem all das hinter ihr lag, aufatmete und mit Wonne in die stille Landschaft blickte. "Herrlich ist's!" Auf diesen Ausruf der Mutter waren beide Kinder herbeigeeilt und auf die Altane getreten. Wie schoen war's, die Mutter fuer sich zu haben, die Mutter, die nun Zeit und Ruhe hatte und so beglueckt in die schoene Landschaft hinausschaute. Ja, es war herrlich; zwar regnete es die ersten Tage, und in dem Doerfchen wurden die Wege bodenlos; aber man war doch traulich beisammen, konnte sich recht ausruhen und erholen. Nur eins vermissten unsere Sommerfrischler: Nachricht von den fernen Lieben. Man war wie von den Menschen abgeschlossen, in diesem von der Bahn weit abliegenden Oertchen, in das nur zweimal woechentlich ein Postbote kam. Eines Morgens brach die Sonne durch, waermte, trocknete und vertrieb die Nebel. Die bisher verhuellten Bergspitzen hoben sich vom tiefblauen Himmel ab und lockten hinaus. So wurde denn auch fuer den naechsten Tag ein grosser Ausflug geplant, und am fruehen Morgen brachen sie auf, die Mutter, Karl und Lisbeth mit Bergstoecken bewaffnet, mit Rucksaecken versehen. Ihr Ziel war der Bergpass, von dem aus man hinuebersehen konnte in die Gletscher der Venedigergruppe. Gute Fussgaenger machten das leicht in einem halben Tag, aber sie wollten sich einen ganzen Tag dazu nehmen und auf der Passhoehe uebernachten, wo eine einfache Unterkunft fuer Sommergaeste war und von wo aus sie am naechsten Morgen den Sonnenaufgang sehen konnten. "Wenn es uns gar zu gut gefaellt dort oben, bleiben wir vielleicht zweimal ueber Nacht, also haben Sie keine Sorge um uns," sagte die Mutter noch beim Abschied zu der freundlichen Baeuerin, bei der sie wohnten. Wie war das schoen fuer unsere drei Sommerfrischler, auf dem Bergstraesschen, das sachte anstieg, immer weiter hinter in das enge Tal, immer naeher auf die hohen Berge zu zu marschieren! Hie und da traf man auch andere Wanderer, die den schoenen Tag benuetzten. Gegen Mittag wurde im Freien getafelt und nach einer laengeren Rast ging es mit frischen Kraeften vorwaerts. Die Strasse wurde steiler, der Anstieg muehsamer. "Nur sachte voran," mahnte die Mutter, "wir haben viel Zeit vor uns. Schaut euch um, es wird immer schoener." Je hoeher sie kamen, um so mehr neue Bergspitzen stiegen auf, und ploetzlich--die Passhoehe war erreicht--leuchtete das grosse Schneefeld des Venedigers vor ihnen auf. Ein paar Schritte noch, und man stand an der Unterkunftshuette und hatte vor sich das herrlichste Gebirgspanorama. So grossartig und erhebend war der Anblick, dass sie wie aus _einem_ Mund riefen: "Da bleiben wir, o da gehen wir nicht so schnell wieder herunter!" Und so kam es auch. Als einzige Gaeste der munteren Sennerin, die allein die Huette bewirtschaftete, brachten sie zwei Tage in der stillen, friedlichen Bergeinsamkeit zu. Nichts war zu sehen, als die erhabene Gebirgswelt, nichts zu hoeren von dem, was tief unter ihnen die Menschen in ihren Staedten beschaeftigte. Am dritten Tag umwoelkte sich der Himmel, die hohen Berge waren verhuellt, das erleichterte den Abschied. Mutter und Kinder traten den Heimweg an, und hochbefriedigt von diesem ersten Ausflug planten sie weitere fuer die naechsten Wochen. Als gegen Abend in der Ferne das Doerfchen erschien, freuten sie sich doch wieder auf dieses Heim. Endlich mussten ja auch Nachrichten eingetroffen sein von den Lieben, die so weit zerstreut waren. Wie oft hatten sie sie herbeigewuenscht, fast am meisten den siebzehnjaehrigen Philipp, den lustigen Jungen, der nach Hinterrohrbach verbannt war und arbeiten sollte, waehrend sie durch die herrliche Gebirgswelt streiften. Nun kamen sie am ersten Haeuschen vorbei; unter der Tuere standen der Bauer, seine Frau und die Kinder und vor ihnen zwei Burschen, jeder mit einem Militaerkoffer in der Hand. Sie hatten voneinander Abschied genommen. "B'huet Gott, b'huet Gott, kommt g'sund wieder," riefen ihnen die Dorfbewohner nach. Der eine der Burschen wandte sich noch einmal um und rief froehlich zurueck: "Eine jede Kugel, die trifft ja nicht!" "Hast du gehoert, Mutter?" rief Karl, "die ziehen in den Krieg!" "Ja, offenbar," sagte die Mutter, "aber es hiess doch, die Tiroler muessten nicht einruecken. Bloss die Regimenter an der Grenze sollten gegen Serbien ziehen." Sie gingen weiter, kamen wieder an einem Haus vorbei, an dem eine Gruppe von Leuten beisammen stand, die lebhaft miteinander sprachen. Im Vorbeigehen hoerten sie sagen: "In Kufstein ist es schon vorgestern angeschlagen gewesen." "Was denn?" fragte Frau Lissmann und trat zu den Leuten. "Dass die Russen den Krieg erklaert haben." "Nein, wirklich?" sagte Frau Lissmann zweifelnd; "es wird ein falscher Laerm sein." Nun redeten alle zusammen: "Gestern ist's bekannt gemacht worden: Allgemeine Mobilmachung.--Es geht nicht nur gegen die Serben, nein auch gegen die Russen; die stecken dahinter. Ja, jetzt wird's ernst." Ein Maedchen stand dabei, das schlug die Schuerze vor die Augen und ging weinend ins Haus zurueck. Ihre Eltern sahen ihr nach: "Es ist hart fuer sie, am Sonntag haette die Hochzeit sein sollen, nun muss er in den Krieg." Frau Lissmann konnte kaum glauben, was sie hoerte. "Kommt, Kinder, kommt heim; vielleicht ist ein Brief da oder eine Zeitung, ich habe noch keine gesehen, seit wir hier sind; es waere ja schrecklich, wenn dies alles wahr waere!" Sie eilten; wenn sie nur irgend eine Nachricht vorfaenden! Als sie sich dem Haeuschen naeherten, kam ihnen die Baeuerin schon entgegen: "Kuess die Hand, gnae' Frau! Gottlob, dass Sie da sind! Wir haben alleweil nach Ihnen ausgeschaut. Dass Sie nur nicht erschrecken: zweimal ist der Telegraphenbote da gewesen. Zwei Telegramme hat er fuer Sie gebracht. Es wird halt alles wegen dem Krieg sein. Droben auf dem Tisch liegt alles beisammen." Nun eilten sie die Treppe hinauf. Telegramme, Zeitungen, einen ganzen Pack, fanden sie vor. Das erste Telegramm, das Frau Lissmann oeffnete, kam von dem Lehrer in Hinterrohrbach und lautete: "Bin einberufen, muss Philipp heimschicken." Die Mutter und die Geschwister waren bestuerzt! Heimschicken! Das Heim war ja verschlossen! Nun das zweite Telegramm, das kam vom aeltesten Sohn Ludwig, von dem Einjaehrigen: "Unser Regiment kommt an die franzoesische Grenze! Ich komme noch fuer einen Tag nach Hause." Ja, war denn nicht nur mit Serbien und Russland Krieg? Und nicht nur Oesterreich, auch Deutschland machte mobil? "Die Zeitungen her, Kinder!" Sie griffen alle drei gierig danach; da stand es ja in grossen Buchstaben ueber das ganze Blatt: _Krieg mit Russland! Krieg mit Frankreich_! Entsetzt stand Frau Lissmann. Krieg nach beiden Seiten! Und vom Vater, der eben nach Paris gereist war, von ihm keine Nachricht? Und der aelteste Sohn musste sofort mit in den Krieg! Und der juengere, wo trieb der sich herum? Einen Augenblick stand sie wie niederschmettert von all diesen Nachrichten, die so viel Sorgen auf einmal brachten; und auch die Kinder verstummten. Krieg! Das war etwas, von dem man nur in der Geschichtsstunde gehoert hatte, und nun trat das ploetzlich herein, ins eigene Leben, in die Familie! Die Mutter raffte sich auf: "Kinder, wir muessen heimreisen so rasch wie moeglich!"--"Ja, Mutter, schnell, schnell," rief Lisbeth aengstlich. "Die Brueder koennen ja gar nicht ins Haus herein!" Karl war nicht so schnell gefasst. "Jetzt sollen wir schon wieder abreisen? Einen einzigen Spaziergang haben wir erst gemacht! Koennen wir nicht wenigstens morgen noch an den Schwarzsee? Kommt es denn auf einen Tag an?" Aber die Mutter antwortete darauf kaum. Sie fasste sich mit beiden Haenden an den Kopf, alle Gedanken musste sie zusammennehmen. Sie holte den Fahrplan, aber sie war kaum imstande, die kleinen Zahlen puenktlich anzusehen. Krieg! Krieg! Das schreckliche Wort, das so aufdringlich vorne in der Zeitung stand, raubte ihr die Besinnung. Sie konnte es noch gar nicht fassen, dass sie so ahnungslos, so vergnuegt und gluecklich in den Bergen herumgestiegen war, waehrend ein so grenzenloses Unglueck ueber das Vaterland hereinbrach. Aber sie musste nun handeln, musste packen, abreisen! Es war sechs Uhr abends; wenn sie den Wagen bestellte, der sie von der Bahnstation hiehergebracht hatte, so konnte sie noch den Nachtzug nach Muenchen erreichen. "Lisbeth, fange an einzupacken; wie es kommt, nur schnell! Ich gehe mit Karl ins Wirtshaus, um den Wagen nach der Bahn zu bestellen." In der Dorfstrasse, an einem Scheunentor, war ein grosses Plakat angeschlagen. "Sieh, Mutter," sagte Karl, "vom Kaiser von Oesterreich: 'An meine Voelker!' Das moechte ich lesen."--"So lies, ich gehe zum Wirt." Der Wirt aber war mit den Pferden fort. Er hatte einen Leiterwagen voll einberufener Burschen zur Station fahren muessen und konnte erst nachts zurueckkommen. Andere Pferde gab's nicht--vor dem naechsten Morgen war nichts zu machen. "Aber dann gewiss?" fragte Frau Lissmann. "Um wieviel Uhr koennen wir wohl abfahren?" Die Wirtin konnte dies nicht sagen, sie muesste erst mit ihrem Manne sprechen. Sie lasse dann durch einen Burschen Bescheid sagen. "Um neun Uhr vielleicht."--"So spaet?"--Ja, die Pferde muessten doch ausruhen und ihr Mann auch; der Knecht sei schon einberufen, und ihre zwei Soehne, ihre einzigen Kinder, auch. Die Traenen traten ihr in die Augen. Bekuemmert verliess Frau Lissmann das Haus. Karl hatte inzwischen den Ausruf des Kaisers gelesen, mit der begeisterten Aufforderung, in den Krieg zu ziehen, der dem Vaterland aufgezwungen war. Und unter dem Ausruf war ein Telegramm angeschlagen, das besagte, dass auch Deutschland, als treuer Bundesgenosse Oesterreichs, seine ganze Heeresmacht mobil mache. Da fuehlte der Junge, was das Grosses bedeute; er spuerte keine Lust mehr, spazieren zu gehen. Nein, er begriff, dass der Mutter der Boden unter den Fuessen brannte und dass sie ungluecklich war, nicht heim zu koennen, wo man sie so noetig brauchte. Aber man musste sich bis zum naechsten Morgen gedulden. Die Koffer wurden gepackt und alles zur Abreise gerichtet--daran sollte es wenigstens nicht fehlen! Dann kam die Nacht. Sie brachte doch den Mueden Schlaf; sie konnten sich ihm ja auch ruhig ueberlassen, wenn doch vor neun Uhr keine Moeglichkeit war, fortzukommen. Aber um fuenf Uhr morgens klopfte die Hausfrau. Die Wirtin schicke her; ihr Mann muesse Burschen zum Fruehzug fahren, im Leiterwagen; wenn sie aufsitzen wollten, es waere noch Platz. Aber sie muessten gleich kommen, es sei schon angespannt. Keinen Augenblick besann sich Frau Lissmann. "Jawohl, wir kommen, der Wirt soll doch ganz gewiss warten!--Auf, auf, Kinder! Nicht waschen, nicht kaemmen! Nur Kleider und Stiefel anziehen!" Die Kinder fuhren aus den Betten und waren gleich munter. Sie lachten: Nicht waschen, nicht kaemmen? So ein Befehl von der Mutter? Nur so vom Bett aus fort und mit Bauernburschen auf einen Leiterwagen! Solch ein Abenteuer! Und wie die Mutter alles zusammenraffte und in die Reisetasche stopfte und wie sie sich alle den Mund verbrannten an der frisch abgekochten Milch, die die Baeurin schnell brachte! Und wie sie dann, noch mit dem Fruehstuecksbrot in der Hand, ueber die Dorfstrasse dem Wirtshaus zuliefen und die Baeurin ihnen noch nachsprang mit Schwamm und Kamm, die sie vergessen hatten! Als sie vor dem Wirtshaus ankamen, stand da der Leiterwagen, aus dem fuenf Bauernburschen ihnen neugierig entgegen sahen und der Wirt sass schon oben, die Peitsche in der Hand, stieg aber noch einmal ab, als er sah, wie Frau Lissmann ratlos am Wagen stand und nicht wusste, wie man den erklettern musste. Er half kraeftig nach und so sassen sie bald alle drei nebeneinander auf quer herueber gelegtem Brett und die Fahrt ging los. Mit viel Jauchzen und Winken, das aus allen Fenstern erwidert wurde, verliessen die Burschen das Doerfchen. Sie waren aus benachbarten Hoefen und Weilern zusammengekommen, lauter grosse, kraeftige Leute; guten Muts fuhren sie hinaus in den Krieg. Die Zeit draengte, die Pferde wurden tuechtig angetrieben und der Leiterwagen stiess, dass unsere drei leichten Staedter, die noch nie in einem Wagen ohne Federn gefahren waren, ordentlich in die Hoehe flogen und gar nicht wussten wie ihnen geschah. Lisbeth hielt sich krampfhaft fest an den Brettern. Sie hatte noch immer Schwamm und Kamm in der Hand und traute sich nicht loszulassen. Karl lachte und hatte seinen Spass an dem "Hopsen". Der Mutter war es weniger zum Lachen; das Stossen tat ihr weh. Einer der Burschen musste es ihr anmerken. Neben dem Wirt lag eine Pferdedecke, die langte er herunter. "Frau," sagte er, "da setzen Sie sich drauf und das kleine Fraeulein auch." Sie nahmen es dankbar an und nun war Freundschaft geschlossen zwischen den Reisenden, ohne viel Worte, denn die holperige Fahrt machte das Verstehen schwer. "Mein Sohn muss auch mit in den Krieg," sagte Frau Lissmann und sah die jungen Leute warmherzig an, als kuenftige Kriegskameraden ihres Sohnes. "Muss er sich in Wien stellen?" "Nein, wir sind Deutsche, aber wir halten ja mit den Oesterreichern." "Wohl, wohl; gegen den Russen und den Franzos. Das gibt Arbeit! Ein Volk allein koennt's nicht ausrichten, aber Deutschland und Oesterreich zusammen, die koennen's machen!" Auf der Strasse sah man einen Burschen mit dem Militaerkoffer in der Hand. Vom Wagen aus wurde er angerufen: "Steig ein, Kamerad!" Der Wirt murrte: "Sind so schon genug!" Aber er fuhr doch langsamer und mit einem Satz sprang der Soldat auf; sie rueckten kameradschaftlich zusammen und nun ging's weiter im Galopp; denn der Wirt sah manchmal bedenklich auf seine Uhr, ob es wohl noch bis zum Zugabgang reichen wuerde. Als endlich die Stadt sichtbar wurde und der Leiterwagen ueber das Strassenpflaster holperte, stimmten die kuenftigen Krieger ein Soldatenlied an, wodurch die Leute an ihre Fenster gelockt wurden und mit lauten Zurufen und Winken gruessten. Unsere drei Reisenden winkten ebenso eifrig, man hielt sie natuerlich fuer die Angehoerigen dieser Burschen, so galten auch ihnen die Gruesse. Das Aussteigen war wieder ein Kunststueck, aber die Burschen kannten sich jetzt schon aus und einer, der ein besonders grosser, staemmiger Kerl war, hob ohne weiteres zuerst die Kinder, dann die Mutter herunter, die sich ganz elend und zerschlagen fuehlte von dieser Fahrt im Leiterwagen. Aber sie achtete nicht darauf; wenn es nur nicht zu spaet war! Ein furchtbares Getriebe war am Bahnhof; eine Menschenmenge draengte sich an den Schalter, wie es diese kleine Stadt vielleicht noch nie erlebt hatte; zum Teil waren es Einberufene, zum groesseren Teil aber Sommerfrischler, die alle des Krieges wegen heimreisen wollten. Mitten in das Draengen und Druecken der Leute, die fuerchteten zu spaet zu kommen, klang jetzt der Ruf eines Bahnbeamten: "Nichts zu eilen, der Zug hat drei Stunden Verspaetung!" Das war eine Nachricht! Allgemeiner Schrecken und Entruestung! "Nun, das geht gut an! Ja, da erreicht man ja den Schnellzug nicht mehr! Ist das ein Unfug, eine Ruecksichtslosigkeit!" Da erhob ein aelterer Herr mitten im Gedraenge den Arm, man sah unwillkuerlich auf ihn und da das Murren etwas verstummte, sprach er mit ernster Stimme: "Meine Herren, das ist kein Unfug, das ist der Krieg. Wir werden noch ganz andere Dinge erleben muessen als das!" Da schwiegen die Leute und ergaben sich; holten sich ruhig nach einander die Karten und suchten sich da und dort ein Plaetzchen zum Ausruhen, eine Gelegenheit zur Staerkung, eine Zeitung mit neuen Nachrichten. Sie zerstreuten sich, aber es zog sie doch alle bald wieder an die Bahn. Jeder ahnte, dass es schwierig sein wuerde, im Zug Platz zu bekommen. Auch Frau Lissmann stand bald wieder mit ihren Kindern im dichten Gedraenge. In ihrer Naehe bemerkte sie die Gruppe der jungen Leute, mit denen sie gefahren war, und es ueberkam sie das Verlangen, diesen ins Feld ziehenden Burschen noch eine Freundlichkeit zu erweisen. Welch' schweren Zeiten mochten sie entgegen gehen! Ihr junges, gesunden Leben mussten sie einsetzen fuers Vaterland. Haette sie doch frueher daran gedacht, wenigstens ein paar Zigarren zu kaufen! Sie sagte es den Kindern. Die nahmen den Gedanken eifrig auf. "Mutter, es dauert ja noch eine Viertelstunde, wir haben noch Zeit! Draussen, am Obststand, waren auch Zigarren zu kaufen!" Sie draengten, baten um das Geld, wollten durchaus noch einkaufen. Da gab die Mutter nach. Es war schwierig, gegen den Strom der Menschen nach rueckwaerts zu draengen. Mit Muehe schoben sie sich durch und erwarben die Zigarren. Aber dann gelang es ihnen nicht mehr, ihren frueheren Platz in der Naehe der Burschen zu erobern; andere hatten sich vorgedraengt. "Allein kaeme ich schon durch," versicherte Karl. "So nimm die Zigarren, gib sie ab und sage einen Gruss; wir wuenschten ihnen von Herzen Glueck in den Krieg!" Der Knabe schlaengelte sich geschickt zwischen den Leuten zu den Burschen hindurch. Die Mutter sah von ferne, wie sie ueberrascht waren und einer nach dem andern dem jungen Ueberbringer freundlich dankte. Der fand sich auch gluecklich wieder zurueck und sie freuten sich zusammen ueber die kleine Liebesgabe, die sie uebergeben hatten. Es war vielleicht eine der ersten von den Tausenden, ja Millionen, die im Laufe des Krieges gespendet wurden. Endlich--es war heisse Mittagszeit geworden--kam der Zug an! Aus allen Fenstern johlten Burschen denen entgegen, die am Bahnhof standen und ein unbeschreiblicher Laerm, ein beaengstigendes Draengen entstand. Die Wagen wurden von den Maennern gestuermt, Frauen und Kinder blieben zurueck, und wo sie hinein wollten, hiess es: "Voll, uebervoll!" Die Beamten troesteten: "In drei Stunden kommt wieder ein Zug." Aber wer wollte noch einmal warten, und wer wusste, ob es dann mehr Platz gaebe? Frau Lissmann mit den Kindern lief hin und her, ueberall standen die Leute bis an die Trittbretter und wollten niemand mehr einlassen. Da ploetzlich hoerte sie eine Stimme: "Nur herein, es geht schon noch!" Ein starker Arm streckte sich ihr entgegen und ehe sie wusste, wie es zugegangen, stand sie mit den Kindern eingekeilt in dem schmalen Gang eines Wagens dritter Klasse, obwohl sie Karten zweiter Klasse geloest hatte. Der Zug fuhr ab, eine Menge verzweifelter Leute zurueck lassend. "Gottlob!" rief Frau Lissmann, sie zitterte noch vor Erregung. "Wo ist denn mein Hut?" fragte Karl, "man hat ihn mir vom Kopf gerissen!" "Macht nichts," troestete die Mutter, "das ist der Krieg, hat der Herr gesagt. Gottlob, dass wir alle drei im Zuge sind. Irgend jemand hat uns geholfen, sonst waeren wir nicht herein gekommen." "Das war ja der grosse Soldat, der uns aus dem Leiterwagen gehoben hat, hast du ihn denn nicht erkannt, Mutter?" "Nein, ich habe nur einen Arm gesehen, der sich nach uns ausgestreckt hat. Ich konnte ihm auch gar nicht dafuer danken." Ein Mitreisender hatte das Gespraech gehoert, er mischte sich ein: "Da ist nichts zu danken. Sie sind Deutsche, wir sind Oesterreicher; wir sind Verbuendete und helfen einander. Ich werde Ihnen jetzt einen Sitzplatz schaffen" und er nahm seinen Handkoffer und stellte ihn auf den Boden des Ganges. "So, nun nehmen Sie Platz," sagte er freundlich. "Fuer das Toechterl bleibt auch noch ein Eckerl und der Bub, der will doch auch einmal Soldat werden, der uebt sich einstweilen im Stehen." Langsam fuhr der ueberfuellte Zug. An jeder Station gab es laengeren Aufenthalt; eine Menge Einberufene draengten noch herein und immer wurden sie mit froehlichen, heiteren Zurufen begruesst. Ein Wiener Zug, schon voll eingekleideter Soldaten, die ins Feld zogen, fuhr vorbei. Aus den Gueterwagen schauten die Bursche Kopf an Kopf, ihnen wurde besonders lebhaft zugejubelt. Allerlei Aufschriften, mit Kreide an den Wagen angeschrieben, bezeugten die froehliche Stimmung der Krieger. An einem war zu lesen: Serbien Du musst sterbien! Und unter dem Briefschalter des Postwagens stand: 'Hier werden noch Kriegserklaerungen angenommen.' Unter Lachen und lautem "Heil, Heil" rufen, fuhr man an dem Zug vorueber. So verging Stunde um Stunde; immer dumpfer und drueckender wurde es in dem Wagen. Ein kleines Kind schrie unablaessig; seine blasse Mutter entschuldigte sich: sie kam schon aus Italien, fuhr seit zwei Tagen ununterbrochen. Einer Frau wurde es schlecht; ein Bub stiess des Vaters volles Bierglas um, das zum Fenster herein gereicht worden war; klebrig und uebelriechend wurde der Boden. Aber niemand klagte--es war ja Krieg--man musste sich in alles fuegen, musste froh sein, dass man ueberhaupt noch fahren durfte; vom naechsten Tag an wurden nur noch Soldaten befoerdert. Gegen Abend kam man an die Grenzstation: Zoll, neuer Sturm auf einen ebenso ueberfuellten Zug. Wie ein Traum erschien es Frau Lissmann, als sie endlich spaet abends in den Muenchner Bahnhof einfuhren. Eingekeilt in die Menge liessen sich unsere mueden Reisenden vom Strom treiben, dem Ausgang zu. Nicht wie sonst warteten hier die Angehoerigen; der Zutritt war fuer jedermann gesperrt. Um so dichter stand die Menge an den Ausgangstoren des Bahnhofgebaeudes und hier war es, wo ploetzlich eine Stimme, eine liebe, bekannte, froehliche Stimme rief: "Mutter, gruess dich Gott, endlich kommt ihr! Gebt nur euer Gepaeck her! Hergeben, Lisbeth, ich trage alles! Nur her, Karl!" "Philipp!" riefen sie alle erstaunt, "ja woher hast du denn gewusst, dass wir jetzt kommen?" "Einmal habt ihr doch kommen muessen! Siebenmal habe ich euch schon erwartet, vorgestern, gestern und heute; ganz heimisch bin ich geworden am Bahnhof. Warum seid ihr so spaet gekommen, habt ihr meinen Brief nicht erhalten?" "Nein, keinen Brief, auch nicht vom Vater." "Der Vater kommt morgen. Hat telegraphiert. Auch Ludwig kommt morgen. Das wird sein, wenn wir erst alle beisammen sind, Mutter. Jetzt kommt nur heim, ihr seht gar nicht aus, als ob ihr aus der Sommerfrische kaemt. Aber daheim ist schon der Tisch fuer euch gedeckt. Naemlich schon seit zwei Tagen." "Wie bist du denn ins Haus gekommen, es ist doch alles gesperrt?" "Es gibt ja Schlosser! Ich habe dir alles geschrieben, Mutter, aber es scheint, die Briefe gehen nicht mehr nach Oesterreich. Die ganze Haushaltung habe ich in Gang gebracht, die Kathi herbeigeholt, ihr werdet staunen. Duerft euch nur aufs Sofa setzen und es euch wohl sein lassen." Ja, es wurde ihnen jetzt schon wohl bei der freundlichen Aussicht. "Aber weisst du, dass Krieg ist?" fragte Karl. Philipp lachte hell auf. "Besser als du. Wisst ihr schon das Neueste? England hat uns den Krieg erklaert!" Die Mutter blieb mitten auf der Strasse stehen: "England! Kinder, das ist ja schrecklich! England auch! England mit den Slaven gegen uns? Ist es denn amtlich mitgeteilt?" "Amtlich, an allen Ecken kannst du das Telegramm lesen. Aber Mutter, nur keine Angst, du wirst sehen, wir werden mit allen fertig. Aber wir muessen auch alle zusammenhelfen. Jetzt heisses: Alle Mann auf Deck! Du hast also meinen Brief nicht bekommen? Ich habe dir geschrieben, Mutter, dass ich mich als Freiwilliger gemeldet habe." Wieder stand die Mutter vor Schrecken still: "Philipp, du mit deinen siebzehn Jahren!" "Mit siebzehn wird man angenommen. Mutter, du warst nicht da und der Vater nicht, da habe ich nicht lange fragen koennen. Ich habe mich gemeldet, gleich wie ich hier angekommen bin. Und, Mutter, denke nur, ich sei der erste, der sich hier gemeldet hat als Freiwilliger, sagte der Kommandeur. Er war sehr freundlich, es hat ihn sichtlich gefreut." "Aber er muss doch nach der Eltern Erlaubnis gefragt haben?" "Freilich, das hat er getan. Ich habe gesagt: Der Vater ist in Paris, die Mutter in Oesterreich, da kann ich natuerlich nicht warten, bis sie heimkommen. Ich bringe aber den Erlaubnisschein, sobald sie da sind. Das war ihm recht. Dann fragte er nach dem aerztlichen Zeugnis. Das habe ich mir auch einstweilen verschafft. Auch einen Kriegskoffer, wie man ihn so braucht, habe ich gekauft. Ich habe nicht mehr warten koennen, sie gehen reissend ab, sind schon kaum mehr zu haben." "Aber Philipp, alles ohne unsere Zustimmung!" Bei diesem Vorwurf traten aber beide Geschwister auf einmal fuer den Bruder ein. "Er hat doch geschrieben, wir haben nur keine Briefe mehr bekommen!" Philipp aber griff nach der Mutter Hand, seine Worte klangen jetzt ruhiger, ernster, als es sonst seine Art gewesen: "Mutter, es ist eben Krieg! Und was fuer ein Krieg! Da leidet es keinen zu Haus, der kaempfen kann. Der Vater wird's begreifen, Ludwig auch!" "Ich auch," "und ich," riefen die Geschwister. Die Mutter schwieg einen Augenblick, dann sagte sie nachdenklich: "Die Englaender auch--eine Welt von Feinden! Philipp, ich will dich nicht zurueckhalten!" * * * * * Eine Weile spaeter sassen sie beisammen am gedeckten Tisch. Die Mutter sah Philipp nach, der hin und her ging und fuer die erschoepften Reisenden in liebevollster Weise sorgte. Ihr Philipp, ihr unnuetzer Schlingel; nein, ihr Philipp, der kuenftige Soldat, der sein Leben geben wollte fuers Vaterland; der zum Mann wurde durch den Krieg! Der 4. August Die Mutter und ich sind schon seit drei Wochen auf dem Landgut der Grosseltern. Der Vater hat uns hieher begleitet, musste aber gleich wieder abreisen. Wir sollen wegen der Mutter Gesundheit ueber die ganzen Ferien hier bleiben. Es ist herrlich hier bei den Grosseltern. Die Grossmutter hat mir ein reizendes Maedchenstuebchen eingerichtet und der Grossvater, der im siebziger Krieg als Offizier dabei war, erzaehlt uns viel und kann alle Kriegsnachrichten fein erklaeren. Aber noch lieber haetten die Mutter und ich doch diese Kriegszeit mit dem Vater erlebt und darum waren wir ganz uebergluecklich, als er uns neulich telegraphierte, er wuerde uns auf der Heimreise von Berlin besuchen. Heute ist er wieder abgereist, aber wir sind noch ganz erfuellt von seinem Besuch und ich will mir alles ausschreiben, was er uns erzaehlt hat; ich moechte garnichts davon vergessen; denn ich bin stolz und gluecklich, dass der Vater so Grosses miterlebt hat, und waehrend er uns erzaehlte, kamen mir vor Begeisterung fast Traenen. Der Vater kam also von Berlin; denn der Reichstag war wegen des Krieges zu einer aussergewoehnlichen, ganz kurzen Tagung einberufen. Schon das Wiedersehen mit all den Reichstagsabgeordneten muss ganz anders gewesen sein als in gewoehnlichen Zeiten. Der Vater sagt, jedem habe man angesehen, dass er die Wichtigkeit dieser Tage empfinde. Fast vollzaehlig waren sie da, aber doch nicht _ganz_, weil einige schon zu ihrem Regiment einberufen waren. Um ein Uhr, glaube ich, war die feierliche Eroeffnung im Weissen Saal des koeniglichen Schlosses. Der Reichskanzler, die Mitglieder vom Bundesrat, Generale und andere Offiziere und die Reichstagsabgeordneten versammelten sich. Die Kaiserin, die Kronprinzessin und die Prinzessin Eitel Friedrich sassen in der Hofloge. Das war, glaube ich, alles nicht viel anders, als es jedesmal bei der Eroeffnung des Reichstags ist. Aber das war dann anders, und der Vater sagt, das mahnte gleich so ernst an den Krieg, dass der Kaiser in der grauen, feldmarschmaessigen Uniform erschien und auch der Kronprinz und die fuenf andern Prinzen, alle in Felduniform. Der Kaiser schritt die Stufen des Thrones hinauf, bedeckte sein Haupt mit dem Helm und las die Thronrede, laut, mit tief bewegter Stimme. Er rief die Welt zum Zeugen auf, dass wir durch Jahrzehnte unermuedlich bestrebt waren, den Frieden zu erhalten und dass nur mit schwerem Herzen der Befehl zu mobilisieren ergangen sei. Dann sprach er von unserer Bundestreue gegen Oesterreich und von der Feindschaft im Osten und Westen, und der Vater sagt, man fuehlte bei dem begeisterten, stuermischen Beifall, wie sehr er all den Anwesenden aus dem Herzen kam. Am Schluss bat der Kaiser, der Reichstag moechte doch einmuetig und schnell die noetigen Beschluesse fassen. Nach dem Vorlesen der Thronrede geschah etwas ganz Ungewoehnliches: der Kaiser sprach noch frei einige persoenliche Worte. Davon habe ich mir das gemerkt, was mir besonders gut gefiel, er sagte: "Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur Deutsche." Und dann bat er die Vorstaende der Parteien, ihm in die Hand zu geloben, dass sie mit ihm durch dick und duenn, durch Not und Tod zusammen halten wollten. Da traten die Praesidenten und die Parteivorstaende, zu denen ja auch der Vater gehoert, vor, und gelobten es durch Haendedruck. Ich weiss nicht, ob der Vater dadurch dem Kaiser noch treuer gesinnt ist, als er schon vorher war, aber ich bin's, das kann ich fuer ganz gewiss sagen. Und ich begreife so gut, dass alle Anwesenden nach dem "Hoch" auf den Kaiser, das sonst immer das letzte war, diesmal die Nationalhymne angestimmt haben und alle mitsangen. Ich moechte nur gerne wissen, wer den ersten Ton angestimmt hat, aber der Vater weiss es nicht; er sagt, man hatte den Eindruck, als haetten es alle zugleich getan. Die Sozialdemokraten waren ja bei dieser ganzen Feier nicht dabei; das ist schade; aber spaeter waren sie sehr nett, das kommt nachher. Vorher muss ich noch was Lustiges erzaehlen. Als naemlich die Feierlichkeit vorbei war und die Hymne gesungen, verliess der Kaiser den Saal. Im Vorbeigehen gab er noch einigen der Herrn, wie z.B. dem Reichskanzler, dem Grafen Moltke und andern die Hand. Unter diesen Herrn war auch ein Abgeordneter, ein Professor, der trug nicht wie die Mehrzahl der Abgeordneten den schwarzen Gehrock oder den Frack, sondern wie manche andere seine Uniform, ich glaube als Major der Garde-Landwehr. Das fiel wohl dem Kaiser auf; er sah ihn einen Augenblick an, drueckte ihm die Hand und dann machte er mit der geballten Faust eine drohende Geberde wie einen Hieb nach unten und sagte zu dem Herrn: "Nun aber wollen wir sie dreschen!" Dies kraeftige Wort hat ganz Deutschland so gefreut, dass es zur Losung fuer den Krieg geworden ist und auf allen moeglichen Postkarten sieht man, wie wir uns das "Dreschen" ausmalen koennen. Nachmittags um drei Uhr war dann die erste Reichstagssitzung. Schon gleich der Anfang war grossartig. Von all den umstaendlichen Vorbereitungen, die sonst immer die ersten Stunden des Reichstags so unerquicklich ausfuellen, wollten die Abgeordneten diesmal gar nichts wissen. Kein Namensaufruf, keine Neuwahl von Praesident und Schriftfuehrern. Das war ihnen jetzt alles Nebensache. Einmuetig standen die Abgeordneten aller Parteien auf zum Zeichen, dass ihnen der fruehere Praesident und seine Mitarbeiter recht seien. Dann erhob sich der Reichskanzler. Der Vater sagt, es sei bei seinen ersten Worten im ganzen Haus eine Stille eingetreten, die man nicht mit einem lauten Atemzug haette stoeren moegen. Die ersten Worte des Reichskanzlers waren: "Ein gewaltiges Schicksal bricht ueber Europa herein." Dann legte er dar, wie es nur durch die Schuld unserer Feinde zum Krieg gekommen sei. Wie die Russen sich so heimtueckisch benommen haetten und wie die Franzosen ohne Kriegserklaerung in die Reichslande eingedrungen seien, so dass wir nicht laenger zuwarten konnten und nach Belgien hinein mussten, weil uns sonst die Franzosen von dieser Seite angegriffen haetten. Wir koennten mit reinem Gewissen in den Krieg ziehen, in dem wir unser Hoechstes verteidigen muessen. Im Lauf der Rede gab es immer mehr begeisterte Zurufe. Ganz hinreissend sei der Schluss gewesen, als der Reichskanzler mit erhobener Stimme rief: "Unsere Armee steht im Felde, unsere Flotte ist kampfbereit, hinter ihr ist das ganze deutsche Volk!" Da brauste es durch den grossen Saal und von den dicht gefuellten Tribuenen; der Beifall wollte garnicht enden und der Reichskanzler wiederholte noch einmal die Worte: "das _ganze_ deutsche Volk!" Dabei machte er eine Handbewegung, mit der er ueber die Sozialdemokraten hinwies, die ebenso stuermisch Beifall riefen, wie alle andern Parteien. Bei der zweiten Sitzung, die noch am Abend gehalten wurde, ging's ebenso grossartig zu. Ich weiss aber nur noch das eine, dass alles, was die Regierung beantragt hatte, einmuetig ohne irgend einen Widerspruch durchging; so z.B. wurden gleich 5 Milliarden fuer die Kriegsausgaben bewilligt. Das ist doch eine Riesensumme, aber keine Partei, nicht einmal die Sozialdemokraten, erhoben irgend einen Widerspruch; im Gegenteil, einer der Sozialdemokraten, der Abgeordnete Haase, sagte: "Wir lassen in der Stunde der Gefahr das Vaterland nicht im Stich." Das freute mich am allermeisten. Am Schluss der Sitzung dankte der Reichskanzler im Namen des Kaisers dem Reichstag und es gab noch einmal einen stuermischen Beifall, als er sagte. "Was uns beschieden sein mag, der _4. August 1914_ wird bis in alle Ewigkeit einer der groessten Tage Deutschlands sein." Der Vater war selbst ganz bewegt, als er uns von diesem Tag erzaehlte. Er sagte, den groessten Sieg haetten wir schon errungen, den ueber unsere eigene Uneinigkeit; jetzt koennten wir guter Zuversicht sein. Der Kaiser hat es ja auch in dem Ausruf: "An mein Volk" gesagt: "Noch nie ward Deutschland ueberwunden, wenn es _einig_ war." Die Eltern sprachen dann noch davon, wie sich all unsere Feinde aergern werden, wenn sie in den Zeitungen die Berichte ueber diesen Reichstag lesen. Sie rechnen immer auf unsere Uneinigkeit, das haben sie schon im Jahr 1870 getan. Aber sie verrechnen sich. Wir sind einig gegen sie; wir streiten nur untereinander, wenn es nach aussen nichts zu streiten gibt, und das finde ich ganz natuerlich. Der Vater ist noch ein paar Tage in Berlin geblieben, er hatte noch einige Besprechungen, ueber die er aber nichts mitteilen darf. In diese Tage fiel die Kriegserklaerung der Englaender. Diese taten, als muessten sie Belgien schuetzen und leider deshalb in den Krieg ziehen. Aber der Vater sagt, man haette gleich gewusst, dass das nur ein Vorwand sei und England habe sich durch diese Ausrede nur veraechtlich gemacht. Es sei eine grosse Schande, dass sie sich mit den Russen verbuenden und sie wuerden dieses Unrecht schwer buessen muessen. Fuer den Vater gibt es jetzt vermehrte Arbeit und wir werden ihn nicht viel fuer uns haben, wenn wir heimkommen. Aber die Mutter kann ihm wenigstens manches helfen, manches schreiben, was er den Schreibern nicht gern anvertraut. Wenn ich nur schon 18 Jahre alt waere statt 13, dann wuerde ich vielleicht auch in manches eingeweiht. Statt dessen muss ich in die Schule gehen, als wenn kein Krieg waere. Die Mutter versteht, dass ich keine Lust dazu habe; als ich es aber vor dem Vater sagte, kam ich nicht gut an. Er sah erstaunt auf mich und sagte: "Ich hoffe doch von meinem Maedel, dass es dasselbe tut, wie unsere Soldaten!" Ich verstand nicht gleich, was er damit meinte, bis er sagte: "Die Soldaten tun ihre Pflicht; mancher tut sogar noch mehr. Wenn du in diesem Schuljahr noch mehr lernen willst, als nur das Noetige, so soll es mich freuen." Da schwieg ich ueber die Schule. Es ist ja auch einerlei; denn ob man zu Hause ist, oder in der Schule, bei den Grosseltern auf dem Land oder bei den Eltern in der Stadt, man denkt doch an gar nichts anderes, als an den Krieg und man hat keinen andern Wunsch, als dass wir Deutsche siegen! Das Pfarrhaus in Ostpreussen. In Ostpreussen waren die Russen eingebrochen. Das herrliche, bluehende Land, das an das riesige russische Reich grenzt, musste den ersten Anprall der Feinde aushalten. Wohl kaempften die todesmutigen preussischen Grenadiere gegen den eindringenden Feind und hinderten ihn, weiter nach Deutschland vorzuruecken; aber Ostpreussen war der Kampfplatz und ehe das Volk nur recht wusste, dass der Krieg erklaert sei, begann schon die Verwuestung des Landes. Ein Teil der Bewohner war noch rechtzeitig geflohen, aber wer Haus und Hof, Aecker und Vieh besitzt, verlaesst nicht so leicht die Heimat. Da lag ein Pfarrdorf friedlich in fruchtbarer Gegend. Mit Entsetzen hoerten die Einwohner von der nahen Gefahr, aber sie flohen nicht. "Wir koennen nicht," sagten sie zueinander, "wie sollten wir das machen? Wohin? Wovon sollen wir uns ernaehren? Was mit den Kranken anfangen, und wo das Vieh unterbringen? Nein, es geht nicht." Vom Nachbarort hatte man freilich gehoert, dass viele Familien gefluechtet waren, auch der Pfarrer. "Unser Pfarrer wird auch gehen," sagten sie zu einander, "er hat seine Mutter in Danzig. Dorthin wird er seine Frau und seine Kinder bringen; da sind sie gut aufgehoben und bekommen ihr Brot umsonst. Wir wollen ins Pfarrhaus gehen und hoeren, was der Herr Pfarrer meint." Der Pfarrer sass am Schreibtisch und hatte die Zeitung aufschlagen vor sich. Seine junge Frau lehnte neben ihm und sah zugleich in das Blatt, aus dem er ihr die Kriegsnachrichten vorlas. Jetzt wurden Schritte laut vor dem Studierzimmer. Die Pfarrfrau oeffnete die Tuere. Eine ganze Anzahl Maenner und Frauen standen da. Sie sagten, dass sie des Herrn Pfarrers Meinung hoeren wollten, ob man fliehen sollte. Der Pfarrer riet zur Flucht: "Morgen schon koennen die Feinde hier sein," sagte er, "und wir wissen ja, wie sie hausen. Wir Maenner sind unseres Lebens nicht sicher, Frauen und Kinder sind ihren Schandtaten preisgegeben. Jetzt koennen wir noch fluechten; die Landsleute in Westpreussen und in der Mark werden uns barmherzig aufnehmen, das bin ich ueberzeugt." "Also wollen Sie gehen, Herr Pfarrer?" "Wenn ihr geht, ja." "Und wenn wir nicht gehen?" "Dann werde ich bei euch bleiben." Einer sah den andern an, sie waren still und ueberlegten. Die Pfarrfrau, die neben ihrem Manne stand, hatte noch kein Wort gesprochen; aber jetzt unterbrach sie das Schweigen und sagte fast bittend mit erregter Stimme: "Warum wollt ihr denn nicht fort? Ihr koennt ja doch Haus und Hof nicht schuetzen, rettet doch wenigstens das Leben! Ach wir wollen fliehen, gleich heute, sonst ist es zu spaet!" Da wandte einer der Bauern sich an sie: "Frau Pfarrer, ich glaube es nicht, dass die Russen hier durchkommen; unser Ort liegt nicht an der grossen Strasse; die Russen wollen doch auf Berlin marschieren, nach Sudehnen werden sie schwerlich kommen. Wenn wir unsere Heimat verlassen, dann geht sie uns verloren, denn allerhand Raubgesindel treibt sich herum in solcher Zeit. Und in der Fremde werden wir alle ins bitterste Elend kommen. Ich meine, wir sollten bleiben." Die Andern stimmten zu. Die Pfarrfrau erblasste. Wohl legte ihr Mann den Leuten noch mit der Landkarte in der Hand die Gefahr dar, aber sie fuehlte: es ist umsonst, was er redet, sie koennen sich nicht trennen von ihrer Heimat. So kam es auch; die Leute verabschiedeten sich: "Wir danken auch, dass Sie bei uns bleiben, Herr Pfarrer." Sie gingen hinaus durch den Pfarrgarten. Dort spielten noch die Kinder der Pfarrleute. Der Kleine sass in der Schaukel, das fuenfjaehrige Fickchen kam zutraulich heran, sie kannte fast alle die Leute. Im Fortgehen deutete einer der Maenner auf die Kinder: "Die haben wir auf dem Gewissen, wenn sie in die Haende der Kosaken fallen. Was die Frau Pfarrer betrifft, die waere gern geflohen."--"Ja, und der Herr Pfarrer war auch dafuer." "Kein Wunder; den Herrn Pfarrer Amelung aus Tenlauken sollen die Kosaken erstochen haben, weil er ihnen nicht sagen konnte oder mochte, wo die deutschen Truppen stehen." Mit schwerem Herzen gingen sie heim; zur Sorge kam noch die innere Unruhe, ob sie recht taten. Sie hatten den Pfarrer um Rat gefragt und dann doch beschlossen, gegen seinen Rat zu handeln. Die Leute hatten kaum das Studierzimmer verlassen, so zog der Pfarrer seine Frau an sich mit grosser, innerer Bewegung: "Wir muessen uns trennen, Luise, du und die Kinder sollt in Sicherheit kommen." "O Johannes!" rief sie, "warum hast du ihnen versprochen zu bleiben! Ich habe im stillen schon angefangen die Koffer zu packen, wir wollten doch zu deiner Mutter!" Sie weinte bitterlich. Er drueckte sie innig an sein Herz: "Du sollst auch zur Mutter, sollst fort mit den Kindern; nur ich kann nicht, unmoeglich. Ich darf doch meine Gemeinde in dieser schweren Zeit nicht verlassen. Denke dich hinein! Sie haetten keinen Gottesdienst, keinen Zuspruch in Unglueck, Krankheit und Todesnot. Keine Einsegnung auf dem Friedhof, wenn einer stirbt. Luise, denke an den Spruch: Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben. Ich will mein Amt treu verwalten; mache mir's nicht schwer, jetzt, wo wir uns trennen muessen." "Trennen?" sagte sie, "wenn du bleibst, bleiben auch wir. Du hast das rechte Wort gesagt. Sei getreu bis in den Tod. Auch ich bleibe bei dir bis in den Tod." Es gelang ihm nicht, sie zu ueberreden, dass sie sich mit den Kindern fluechtete. Von dieser Stunde an klang es immer in dem Herzen der Pfarrfrau: "Sei getreu bis in den Tod." Ruhig und mutig sah sie dem entgegen, was kommen sollte; die Angst war von ihr gewichen. Ein Tag und eine Nacht waren vergangen und ein strahlend schoener Sonntag war angebrochen. Die Kirche fuellte sich wie an einem hohen Festtag. Jeder wollte im Gotteshaus beten, jeder wollte die Predigt des Pfarrers hoeren, der treu bei seiner Gemeinde ausharrte. Nie hatte so stille Andacht die ganze Kirche erfuellt wie heute. Als nach dem Gottesdienst der Pfarrer im Talar dem nahen Pfarrhaus zuging, sah er von ferne eine Anzahl Leute von der Landstrasse her auf das Dorf zurennen. Schon von weitem hoerte man ihren Schreckensruf: "Die Kosaken kommen! Ein ganzer Trupp ist hinter uns her!" Der Pfarrer eilte zu seiner Frau. "Luise, es wird ernst! Die Feinde kommen! Gott sei uns gnaedig!" Er wollte den Talar ablegen. "Behalte ihn an," bat seine Frau, "vielleicht achten sie dies Gewand!" "Meine gute, kluge Frau!" rief er und drueckte sie an sein Herz, "was wird nun ueber uns kommen?" "Was sollen wir tun?" fragte sie dagegen, "das Hoftor und die Haustuere schliessen?" "Das hat keinen Wert; sie schlagen die Tueren ein und dringen dann schon in feindlicher Stimmung ins Haus. Nein, wir wollen sie wie Einquartierung behandeln, gutwillig geben, damit sie keine Gewalt brauchen. Trage auf, was du irgend Gutes im Haus hast und zeige keine Furcht." Er rief seinen beiden Kleinen, die noch ahnungslos im Nebenzimmer spielten: "Kinder, es kommen Soldaten ins Dorf, wahrscheinlich kommen auch welche zu uns zum Mittagessen." "Keine Feinde, gelt Vater?" sagte Fickchen, als es des Vaters ruhige Worte hoerte. "Hungrige Soldaten," erwiderte dieser ausweichend. "Hilf der Mutter den Tisch decken, Stuehle herbei tragen; so ist's recht, meine Kleine." Die Pfarrfrau breitete ein frisches Tafeltuch auf und richtete den Tisch wie fuer Gaeste. In diesem Augenblick kam aus der Kueche Maruschka, das Maedchen, totenblass herein; sie hatte vom Fenster aus in der Ferne russische Reiter traben sehen und konnte vor Schreck kaum stammeln. "Still, Maruschka, still; wir bekommen wahrscheinlich Einquartierung. Sieh, dass das Essen recht gut ausfaellt. Man muss den hungrigen Soldaten gut zu essen und zu trinken geben. Geh in die Kueche, ich komme gleich nach." "Ei, Mutti," sagte Fickchen, "ich glaube, Maruschka ist bange vor den Soldaten. Ich gar nicht, ich habe gern Einquartierung." Eine Weile herrschte tiefe Stille im Ort; kein Mensch wagte sich auf die Strassen, alle verkrochen sich in Todesangst in ihre Haeuser. Dann ploetzlich hoerte man von ferne Pferdegetrabe, hoerte ein Signal, die Kosaken hielten im Dorf. Ihr Anfuehrer liess in deutscher Sprache ausrufen, dass keiner der Einwohner den Ort verlassen duerfe. Bei Todesstrafe sei es verboten, durch Signale, durch Glockenlaeuten oder sonst auf irgend eine Weise die Anwesenheit der Kosaken zu verraten. Nach dieser Androhung stiegen sie vom Pferd und zerstreuten sich im Ort. Es dauerte nicht lange, so hatten sie das schoene Pfarrhaus, obwohl es abseits lag, entdeckt. Ein Trupp von vier Mann kam misstrauisch um sich schauend durch den Garten auf die Haustuere zu; voran einer, der der Anfuehrer zu sein schien. Der Pfarrer kam ihnen zuvor und machte die Tuere weit auf. Als seine grosse Gestalt im langen, schwarzen Talar ploetzlich vor ihnen auftauchte, stutzten die Kosaken einen Augenblick. Der Pfarrer machte eine einladende Handbewegung und sagte ruhig und furchtlos in russischer Sprache: "Kommt herein, der Tisch ist schon fuer euch gedeckt!" Sie folgten ihm. Es war ein freundlicher Anblick, dieses Wohnzimmer mit dem grossen weissgedeckten Esstisch. Die Kosaken mochten in solchem Raum noch nicht oft gewesen sein. Eine Christusfigur an der Wand, die Haende segnend ausgebreitet, schien die Eintretenden willkommen zu heissen. Die Frau des Pfarrers mit den Kindern stand gerade unter der Figur. "Das ist meine Frau und meine Kinder," sagte der Pfarrer ruhig. Die beiden Kleinen traten zutraulich heran. "Meine Frau kann nicht russisch, aber sie kann gut kochen. Bringe du das Essen selbst auf den Tisch, Luise," fuegte er in deutscher Sprache hinzu. Neugierig sahen die Kinder zu, wie die Soldaten nun ihr Gepaeck ablegten. Der eine warf das seinige auf das Sopha; da bedeutete ihm der Anfuehrer, es auf den Boden zu legen. In der feinen Umgebung, bei der gastlichen Aufnahme, wollten sie auch nicht die rohen Kerle sein. Und nun trug die Pfarrfrau das Essen auf, die Kinder traten an den Tisch und falteten die Haende. Der Pfarrer sprach das Tischgebet, die Kosaken taten mit, sie waren ganz im Bann des Pfarrhausfriedens. Was draussen in der Kueche Maruschka zitternd und bebend zubereitet hatte, was sie aus dem Keller herausgeholt, das schmeckte den Kosaken aufs beste. Waehrend des Essens besorgte Maruschka eifrig, was ihr die Pfarrfrau aufgetragen: die schoenen Betten im Gastzimmer ueberzog sie mit frischer Waesche. Nach Tisch geleitete der Pfarrer die mueden Soldaten hinauf und lud sie ein, es sich behaglich zu machen. Die Pfarrleute atmeten erleichtert auf; der Pfarrer wagte den Talar abzulegen, seine Frau sorgte voraus fuer das Abendessen und hatte die gute Zuversicht, dass die Kosaken in den weichen Betten wohl bis zum Abend schlafen wuerden. So kam es auch; aber nach dem Essen gingen die Soldaten fort und suchten ihre Kameraden im Wirtshaus auf. Dort war ein wuestes Treiben; das ganze Wirtshaus lag voll Kosaken, die assen und tranken bis tief in die Nacht hinein, und zuletzt brach Streit aus. Der Wirt wollte den Kellerschluessel nicht ausliefern, den die Kosaken verlangten. Er weigerte und wehrte sich; ploetzlich zog einer der Soldaten die Pistole und schoss den Wirt nieder. Noch in der Nacht kam die Nachricht von der Gewalttat ins Pfarrhaus und am fruehen Morgen, waehrend die Russen noch schliefen, schickte die Wirtin einen Buben zum Pfarrer, er moechte doch den Toten beerdigen, den die Soldaten nicht im Haus dulden wollten. Der Pfarrer liess sagen, man moege das Grab richten, er werde den Toten beerdigen, aber es muesse in aller Stille und Heimlichkeit geschehen, um die Feinde nicht zu weiterer Gewalttat zu reizen. Vom Dorf aus brachten vier Traeger den Sarg mit dem Toten. Niemand als seine Frau und seine Kinder begleiteten ihn. Am Eingang des Friedhofs trat der Pfarrer zu ihnen und ging dem Zug voraus. Als sie durch das Tor des Friedhofs traten, wurde, wie es der Brauch war, das Friedhofgloecklein gelaeutet. Der Pfarrer blieb bestuerzt stehen: "Wer laeutet? Wisst ihr nicht, dass die Kosaken auch das Laeuten bei Todesstrafe verboten haben?" "Ach, Herr Pfarrer," sagte die Frau erschreckt, "es ist ja nur das Sterbegloeckchen! Ich habe den Messner gebeten, dass er laeutet. Das werden die Unmenschen doch erlauben. Mein Mann soll doch nicht ohne Gelaeute zu Grabe getragen werden." Der Pfarrer hoerte kaum auf sie, er wandte sich an ihren aeltesten Buben: "Spring zum Messner! Er soll das Laeuten sein lassen, es kann ihm das Leben kosten!" Der kleine Leichenzug war am Grab; der Sarg wurde eingesegnet und versenkt. Aber in das Gebet, das der Pfarrer in tiefem Ernst ueber dem Grab sprach, drang von ferne wildes Geschrei. Die Kosaken waren beim ersten Glockenton vom Lager aufgefahren, sie hielten sich fuer verraten. Im Nu war ein ganzer Schwarm beisammen. Wuetend stuermten ein paar von ihnen nach der Kirche. Der Gloeckner wurde in einem Augenblick ueberwaeltigt und lag tot im Glockenturm. Nun suchten sie nach dem Pfarrer, denn der hatte gewiss das Zeichen zum Verrat gegeben. Sie drangen in den Friedhof ein, der hinter der Kirche lag. Beim Anblick der wilden Rotte liefen die Sargtraeger und die Wirtin mit ihren Kindern unter lautem Geschrei davon. Der Pfarrer allein blieb, das Kruzifix in der Hand, an dem noch offenen Grab stehen. Er deutete hinein. "Ich habe nur getan was meines Amtes ist," sagte er zu ihnen in ihrer Sprache, "das Laeuten der Sterbeglocke geschah gegen meinen Willen." Da wechselten sie ein paar Worte mit einander und beschlossen, den Pfarrer gefesselt fortzufuehren. Im Augenblick waren ihm die Haende auf den Ruecken gebunden. Dabei riss einer der Kosaken ihm das Kruzifix aus der Hand. "Versuendige dich nicht," sagte der Pfarrer, "lege es dem Toten auf sein Grab," und der Kosak gehorchte seinem Gefangenen. Sie fuehrten den Gefesselten durch das Dorf. Die Strassen waren leer, niemand traute sich hinaus, denn alle Bewohner waren in Todesangst. Aber hinter ihren Fenstern schauten sie auf die Strasse und mit Entsetzen sahen es viele, wie ihr Pfarrer gefesselt auf den Platz vor dem Wirtshaus gefuehrt wurde, auf dem sich die Kosaken sammelten. Nur die Pfarrfrau wusste nichts von allem, was geschehen. Zwar ueber das Laeuten war sie erschrocken; aber sie hatte keine Zeit, darueber nachzusinnen. Ihre Kosaken, oben im Gastzimmer, waren auf einmal munter geworden; sie hoerte sie lebhaft reden und eilte, Fruehstueck fuer sie zu bereiten. So frueh hatte sie sie nicht erwartet. Und sie wollte sie doch wieder durch gastliche Behandlung in gute Stimmung versetzen. Eilig trug sie auf, hoffte auch jeden Augenblick, dass ihr Mann wieder vom Friedhof zurueck kaeme. Schwere Tritte kamen jetzt die Treppe herunter; sie musste sich wohl darein finden, die Kosaken allein am Tisch zu haben; wenn sie nur ihre Sprache gekonnt haette! Sie oeffnete die Tuere; aber die Soldaten schienen nicht vor zu haben, zum Fruehstueck zu kommen, sie gingen auf die Haustuere zu. "Tee?" fragte die Hausfrau und deutete auf das Zimmer. Durch die offene Tuere war der einladende Teetisch zu sehen. Einen Augenblick zoegerten bei diesem verlockenden Anblick die Kosaken und wechselten ein paar Worte; dann traten sie ein, setzten sich aber nicht, sondern schoben nur in Eile in ihre Taschen alles, was da stand an Brot und Speck, an Kaes und Eiern, und verschwanden dann eiligst durch den Garten auf die Strasse. Sie konnte sich dies sonderbare Benehmen nicht erklaeren, ging hinauf in das Gastzimmer, um nachzusehen, ob die Kosaken wohl all ihr Gepaeck mitgenommen hatten. Ja, das war so. Also mussten sie wohl heute frueh schon wieder weiter ziehen? Waren vielleicht schon verspaetet und deshalb so eilig? O Wonne, diese Gaeste gluecklich los zu sein! Vom Gastzimmer aus konnte man hinueber blicken nach dem Friedhof. Der lag still und verlassen. Aber wo war dann nur ihr Mann? Wohin konnte er so frueh gegangen sein? In das Trauerhaus zu der Wirtin? Mit dem Talar? Ja, vielleicht; in dieser Kriegszeit tat man manches, was vorher unmoeglich schien. Es war so ruhig im ganzen Haus und nach all den Aufregungen hatte diese Stille etwas Bedrueckendes. Es froestelte sie. Sie ging wieder hinunter in die Wohnstube. Ihr Blick fiel auf die grosse Teekanne. Ja, eine Tasse Tee wuerde ihr jetzt gut tun; und dann die Teekappe ueber die Kanne, dass der Tee schoen heiss bliebe, bis ihr Mann endlich kaeme. So sass sie ganz allein an dem grossen gedeckten Tisch und trank langsam, weil sie immer wartete auf ihren treuen Gefaehrten, der doch auch noch kein Fruehstueck hatte. Jetzt endlich hoerte sie Schritte, rasch kamen sie durch den Garten, durch die Flur; die Wohnzimmertuere ging auf--ihr Mann stand vor ihr. "So, endlich!" sagte sie und streckte ihm die Hand entgegen, "jetzt komme nur gleich, der Tee wird kalt!" Er aber war sprachlos. Er, der sich schon im Geist nach Sibirien transportiert gesehen hatte, er, der seine Frau in Jammer und Verzweiflung vorzufinden glaubte, fand sie ruhig am Teetisch mit der einzigen Sorge: der Tee wuerde kalt. Sie sah jetzt seine Erregung. "Was ist denn geschehen?" fragte sie aengstlich. "Du weisst wohl von gar nichts?" "Nein, wo warst du denn?" "Nun, ich war in russischer Gefangenschaft! Freilich nur eine Viertelstunde; aber eine Viertelstunde, die ich nie vergessen werde. Gefesselt bin ich vom Friedhof herein gefuehrt worden, ganz nahe an unserem Haus vorbei. Luise, wie mir da zu Mute war! Ich mag dir's goennen, dass du mich nicht gesehen hast! Sie haben das Laeuten der Sterbeglocke fuer Verrat gehalten; dem Gloeckner hat es das Leben gekostet, mich wollten sie fortschleppen. Sieh die roten Striemen an meinen Handgelenken! Aber du wirst ganz weiss, Luise; es ist nichts mehr zu fuerchten. Du siehst ja, ich bin wieder frei, dank unserer Einquartierung. Unsere vier Leute sind fuer mich eingetreten, haben fuer mich gesprochen, bis man mich losgebunden hat. Und jetzt ist die ganze Horde abgezogen, Gott Lob und Dank!" "Ja, Gott Lob und Dank!" Die Pfarrfrau war so erschuettert, sie konnte sich gar nicht fassen. Freilich fuer diesmal war die Gefahr ueberstanden; aber noch heute konnten groessere feindliche Heere das Land ueberfluten. Aus der Ferne hoerte man noch Pferdegetrabe, die Kosaken waren abgezogen. Und nun trauten sich die Leute wieder auf die Strasse und wieder kamen sie in grosser Menge ins Pfarrhaus; aber jetzt waren sie anders gesinnt. Sie wollten fluechten; alle waren einig, so schnell wie nur moeglich; keinen zweiten Einfall wollten sie abwarten. Der Tod des Wirtes, des Gloeckners, das Bild ihres gefesselten Pfarrers, das alles hatte ihnen einen Schreck eingefloesst, so dass es von Mund zu Mund ging: "Nur fort, nur fort!" Die Pfarrfrau packte ihre Koffer, das ganze Dorf trug seine Habseligkeiten zusammen, Wagen um Wagen wurden gefuellt, Kranke und Kinder auf Betten gelegt, ja auch Hunde, Kanarienvoegel u. dgl. durften mit. Das Vieh wurde losgebunden und mitgetrieben. Unterwegs stiess man auf Leidensgenossen, bei denen die Russen ganz anders gehaust und Greuel veruebt hatten, bei deren Bericht man schauderte. Ein unabsehbarer Zug bewegte sich landeinwaerts; aengstliche, bekuemmerte Leute, die mit bitterem Schmerz ihre Heimat verliessen und mit schwerer Sorge in die Zukunft sahen. Als unsere Pfarrfamilie in Danzig ankam, sah sie Scharen von solchen geflohenen Familien. Eine endlose Flucht. Von Wagen erfuellte die Strassen und Plaetze, ganze Herden heimatlosen Viehs stauten sich bruellend in den engen Strassen. Aber es wurde Ordnung geschafft und mit ruehrender Naechstenliebe wurden in kurzer Zeit all die armen Fluechtlinge untergebracht, wurde Dach und Fach, Arbeit und Verdienst fuer sie geschafft. Am besten hatten es freilich solche, die wie unser Pfarrer mit Frau und Kindern von der Mutter mit offenen Armen aufgenommen wurden. Aber auch sie trauerten um das schoene Land, das vom feindlichen Heer verwuestet wurde, und um die unglueckseligen Opfer russischer Grausamkeit. Keiner konnte froh sein, wenn auch ihm selbst nichts abging; alle Deutschen Ostpreussens hatten _ein_ gemeinsames Leid, _eine_ gleiche Sehnsucht. Und sie warteten Tag um Tag, Woche um Woche, ob die Heimat nicht aus der Hand der Feinde gerettet wuerde. Und der grosse Tag kam; der Retter Ostpreussens erschien: Generaloberst _von Hindenburg_, der die Russen bei Tannenburg und an den masurischen Seen besiegte und dadurch das Land wieder befreite. Was war das fuer ein Jubel im ganzen deutschen Vaterland! Am Abend, da diese herrliche Nachricht durch ein Telegramm des Generalquartiermeisters von Stein bekannt worden war, gingen unser Pfarrer und seine Frau in jedes Haus, wo Leute aus ihrer Gemeinde untergebracht waren. Sie wollten sie selbst sehen, die armen Fluechtlinge, die nun mit leuchtenden Augen davon sprachen, dass sie bald wieder in die geliebte Heimat zurueck koennten. Alles Schwere, alles Leid versank, jetzt galt nur die Siegesfreude und die Dankbarkeit gegen Gott, der dem Leid ein Ende gemacht. Freilich, noch lange wird es dauern, bis alle wagen duerfen zurueckzukehren, denn noch immer koennen sich feindliche Einfalle an der Grenze wiederholen. Inzwischen ist der Winter gekommen und bringt harte Not fuer die Fluechtlinge, die all ihr Hab und Gut verloren haben. Wir wollen an sie denken und ihnen Gaben schicken, wir alle, die wir so gluecklich sind, weit weg vom Feind zu wohnen. Unsere Heimat blieb verschont, erbarmen wir uns der Heimatlosen! Die Konservenbuechsen. In der Mittagsstunde stand der Sattlermeister Krauss unter seiner Ladentuere und sah die Strasse hinunter, immer nach einer und derselben Ecke. Offenbar erwartete er jemand von dorther. In dem Haus gegenueber sah eine Frau durchs Fenster, ebenso beharrlich nach derselben Ecke, und sie rief dem Nachbar zu: "Kommt sie noch nicht?"--"Sie muss gleich kommen." Des Sattlers Buben spielten vor dem Haus; der groessere von beiden sah aber nebenbei auch immer wieder die Strasse hinunter. "Jetzt kommt sie!" rief er und rannte davon.--Sie, nach der sich alles sehnte, war die Zeitungsaustraegerin, eine dicke Frau, die so schnell watschelte, als sie es mit dem schweren Pack Zeitungen vermochte, den sie unter dem Arm trug. Sie war froh, dass ihr viele Blaetter auf der Strasse abgenommen wurden und sie sich manche Treppe ersparen konnte; heute besonders. Man hatte in der Stadt schon etwas von einem grossen Sieg der Deutschen gehoert und war gespannt, ob es auch gewiss wahr sei. Wer seine Zeitung gluecklich in Haenden hatte, las sie schon auf der Strasse. Auch Georg, so schnell er mit dem Blatt auf den Vater zulief, las doch schon unterwegs, was mit grossen Buchstaben ueber das ganze Blatt gedruckt stand und rief dem Vater zu: "_Grosser Sieg ueber die Russen, sechzigtausend Mann gefangen_."--"Wirklich? gib her, Georg!" Der Vater verschwand im Laden, die Buben folgten ihm. Bald lag das Blatt auf dem Ladentisch, auch die Mutter lehnte sich darueber; der Vater las laut und alle freuten sich. Aber nun kam ein Offiziersbursche in den Laden, der brachte Riemenzeug, an dem etwas zu verbessern war, und die Zeitung musste beiseite gelegt werden. Die Mutter ging an ihre Arbeit in der Kueche, die Jungen folgten ihr. "Das haette ich so gerne noch gehoert," sagte Georg, "was der Vater eben angefangen hat zu lesen von den Konservenbuechsen."--"Was fuer Buechsen sind denn das?" fragte der kleine Hans.--"Blechbuechsen, in denen allerlei eingekocht ist, Obst, Gemuese und Fleisch, was die Soldaten im Krieg zum Essen noetig brauchen, wenn sie gerade nichts Frisches haben koennen. Der Vater wird schon nachher weiterlesen. Geh du einstweilen, Georg, und hole den Kaes zum Vesper fuer den Vater und den Gesellen. Ein Viertelpfund, es darf auch um ein paar Pfennige mehr sein, wenn es ein schoenes Stueck ist. Ich gebe dir 35 statt 30 Pfennig mit." Georg ging mit dem Geld in die naechste Strasse und verlangte in dem Warengeschaeft ein Viertelpfund Kaes. Ein Stueck wurde abgeschnitten und gewogen. "Diesmal haben wir's gerade erraten, ein Viertelpfund, 30 Pfennig," sagte die Verkaeuferin. Waehrenddessen hatte Georg auf dem Ladentisch einen Glaskasten mit sehr verlockend aussehenden Schokoladestangen erblickt. Das Stueck fuenf Pfennig, stand auf dem Kasten. Und fuenf Pfennig hatte er doch gerade auch in der Hand. Auf diese fuenf Pfennig kam es der Mutter nicht an; sie waeren ja auch weg gewesen, wenn er sie fuer den Kaes ausgegeben haette. "Und eine Schokoladestange fuer fuenf Pfennig," sagte er; bekam sie, ging hinaus, liess sich die Schokolade schmecken und hatte auch kein schlechtes Gewissen dabei; "wegen der fuenf Pfennig". Er war schon mit Essen fertig, als er heimkam. Die Mutter nahm ihm den Kaes ab. "Komm, der Vater ist allein im Laden, er liest uns noch mehr aus der Zeitung vor." Bald standen sie wieder zu vieren beisammen, und der Sattler las: "Unter den Gepaeckwagen, die unsere wackeren Soldaten den Russen abnahmen, fand sich zur grossen Freude unserer Krieger auch ein mit Konservenbuechsen angefuellter. Die Buechsen waren verloetet und jede trug die Gewichts- und Inhaltsangabe der verschiedenen Gemuese- und Fleischgerichte. Als aber eine und dann immer mehr dieser Buechsen geoeffnet wurden, fand sich, dass sie, anstatt mit Esswaren, mit Sand und Spaenen gefuellt waren. Dieser Betrug ist wieder ein Beispiel von der tiefen Verderbtheit, die im russischen Volk herrscht." "Nein, solch eine Gemeinheit, so etwas gibt's doch bei uns Deutschen nicht!" rief die Frau empoert.--"Ja es ist unglaublich!"--"Was denn, Mutter, was ist denn so schlimm, erklaere mir's doch," draengte der Kleine, der mit Aufmerksamkeit zugehoert, aber doch die Zeitungsmitteilung nicht recht verstanden hatte. "Begreifst nicht?" sagte die Mutter, "wenn ich dir einen Nickel gebe und sage, du sollst mir Salz holen, dann darfst du nicht hingehen und dir Gutele darum kaufen; gelt das waere nicht recht? Da hat aber der russische Kaiser vielleicht 1000 Mark hergegeben, hat zu seinen Leuten gesagt, sie sollen Buechsen mit Fleisch und Gemuese fuellen fuer die Soldaten. Die haben aber das Geld fuer sich behalten, haben kein Fleisch und Gemuese gekauft, sondern sie haben Sand geholt und in die Buechsen getan und haben sie zugeloetet." "Die Russen haben das getan?" fragte Hans, der mit groesster Spannung zugehoert hatte. "Ja die Russen, die Deutschen nicht, die tun so etwas nicht, die sind ehrlich." "Mit wieviel Jahren wird man denn ein Deutscher?" fragte Hans wieder, "ich moechte auch ein Deutscher werden." Sie lachten ueber den Kleinen und die Mutter streichelte ihm den Blondkopf: "Bist schon laengst einer, Hans, schon seit du auf der Welt bist. Bist kein Russe, nein, sondern ein ehrlicher, deutscher Bub!" Georg, der am Ladentisch lehnte, hatte aus den Worten der Mutter gehoert, dass der Deutsche ehrlich sei; und er wurde ganz nachdenklich. Die fuenf Pfennig, die fuer den Kaes bestimmt waren, hatte er fuer Schokolade ausgegeben; wie die Russen, dachte er. Aber ich bin doch ein Deutscher. "Wenn einer einmal ein wenig unehrlich ist, deswegen bleibt er doch ein Deutscher, gelt Mutter?" sagte er, "nur natuerlich so etwas, wie mit den Buechsen, darf er nicht tun!" Der Vater blickte von der Zeitung auf und sah Georg an. "Mit der kleinen Unehrlichkeit faengt's allemal an," sagte er, "es hat keiner gleich 1000 Mark. Aber wenn er zuerst um einen Pfennig betruegt, so kommt er immer weiter." "Das ist doch ein Unterschied, auf fuenf Pfennig kommt's doch nicht an," beharrte Georg. "Auf die Pfennige kaeme es vielleicht nicht an, aber auf die Ehrlichkeit, die darf eben keinen Flecken haben; da muss sich einer rein halten, schon als Bub, dann bringt er's auch als Mann zustand. Was meinst du, warum soll es leichter sein, auf 1000 Mark zu verzichten, die man sich erschwindeln kann, als auf fuenf Pfennig? Wer das eine nicht kann, wird auch das andere nicht koennen." Jetzt wurde es Georg ganz angst; er wuerde doch nicht spaeter einmal so etwas tun, wie es die Russen getan hatten? "Gelt, dich drueckt etwas," fragte die Mutter ihren Grossen, der in sichtlichem Unbehagen dastand, "hast was auf dem Gewissen, Georg?" "Ja, fuenf Pfennig vom Kaes. Die waren uebrig und ich hab mir Schokolade dafuer gekauft und schon gegessen, sonst moecht' ich sie gleich hergeben." "So, so!" sagte der Vater und besann sich ein wenig. Eigentlich gehoerte doch Strafe auf so etwas; aber er strafte so ungern. Waehrend er sich so besann, faltete er das Zeitungsblatt zusammen, sodass die erste Seite wieder obenauf lag mit der grossen, frohen Siegesnachricht ueber die Russen. "Ja, ja," sagte er ploetzlich und sah hell auf, "die Russen haben wir besiegt; die ganze Russenart muessen wir unterkriegen; denn etwas davon gibt's auch bei uns Deutschen, aber wir kaempfen dagegen an. Wir sehen's jetzt im Krieg, wohin das fuehrt. Ehrliche Deutsche wollen wir sein, keinen Fuenfer erschwindeln, dann gibt's keinen Sand in den Buechsen, gelt du?"--"Ja, Vater!"--"Da drueben ziehen sie die Fahne auf!" rief der Kleine und sie traten alle unter die Ladentuere. "Ja, Sieg ueber die Russen und ueber die Russenart!" Zu welcher Fahne? Unter den vielen Deutschen, die sich in Paris aufhalten, war zur Zeit des Kriegsausbruchs ein Bankbeamter namens Kolmann. Er war von Geburt Elsaesser; auch seine Frau stammte aus dem Elsass. In Strassburg hatten sie ihren Hausstand gegruendet, dort waren auch ihre beiden aeltesten Kinder, zwei Knaben, geboren, die jetzt sechs und acht Jahre alt waren. Spaeter war die Familie Kolmann nach Paris uebergesiedelt, wo dem Manne eine gute Stelle an einem grossen Bankgeschaeft angeboten war. Sie lebten nun seit drei Jahren in Paris und dort war zu den beiden kleinen Bruedern noch ein Schwesterchen gekommen. Fuer die Elsaesser war das Eingewoehnen in Paris leicht gewesen; von Jugend an war ihnen die franzoesische Sprache vertraut; sie sprachen auch mit ihren Kindern franzoesisch und jedermann, der nicht naeher mit ihnen bekannt war, hielt sie fuer Franzosen. Paul und Emil, die beiden kleinen Jungen, gingen mit den franzoesischen Altersgenossen zur Schule. Aber jetzt kam der Krieg. Er drohte schon in der letzten Woche des Juli und brachte schwere Sorgen und Ueberlegungen fuer viele Deutsche in Paris. In dem Bankgeschaeft, fuer das Kolmann arbeitete, waren mehrere junge Deutsche angestellt. Sie waren schnell entschlossen abzurufen; wussten sie doch, dass ihres Bleibens nicht mehr war, und dass sie jeden Tag ihre Einberufung erwarten mussten. So verliessen sie Frankreich noch vor dem eigentlichen Ausbruch des Krieges und eilten in ihr Vaterland zurueck. Der Direktor der Bank, fuer den die ploetzliche Abreise mehrerer Angestellter sehr stoerend war, sprach mit Kolmann. Er sagte ihm, dass er darauf rechne, ihn, den Elsaesser, zu behalten. Im Kriegsfall kaeme ja Elsass doch wieder an Frankreich. Die Elsaesser wuerden alle gleich bei Beginn des Kriegs zu den Franzosen uebergehen; daran sei gar nicht zu zweifeln. Darauf entgegnete Kolmann, er habe in Deutschland gedient und wuerde im Kriegsfall einberufen werden. "Dagegen gibt es ein sehr einfaches Mittel," meinte der Direktor; "Sie duerfen sich nur naturalisieren lassen, das heisst wieder Franzose werden. Im uebrigen ist ja immer noch Hoffnung, dass es nicht zum Krieg kommt; die Gefahr kann auch wieder vorueber gehen. Einstweilen moechte ich Sie ersuchen, moeglichst die Arbeit der abgereisten Kollegen zu uebernehmen, wofuer ich Ihren seitherigen Gehalt verdoppeln werde." Sehr nachdenklich kam an diesem Abend Kolmann vom Geschaeft heim. Seine drei Kinder waren schon zu Bett gebracht. In einem reizenden, kleinen Salon erwartete ihn seine Frau. "Wie spaet du heimkommst," klagte sie. "Das kann doch nicht so weiter gehen! Der Direktor kann nicht von dir verlangen, dass du die Arbeit der Herrn uebernimmst, die abgereist sind."--"Ich muss es ja nicht umsonst tun. Der Direktor hat mich heute darum gebeten und mir den doppelten Gehalt angeboten." "O wie fein!" rief Frau Kolmann, "den doppelten Gehalt! Ja, dann werde ich nicht murren, wenn du spaeter von der Bank kommst; wir werden den Abend um so vergnuegter verbringen. Gehen wir gleich heute noch ins Odeon? Oder wo feiern wir sonst diese frohe Botschaft?"--"Bitte, lass uns nur ruhig zuerst zu Abend essen. Ich bin wirklich muede und gar nicht in der Stimmung auszugehen." "Schade," sagte die junge Frau, "wie kann einer nicht in guter Stimmung sein, wenn man ihm unvermutet einen so glaenzenden Gehalt anbietet? Aber ich will dich nicht plagen, mein Lieber; mich hat diese Nachricht wirklich in die allerbeste Stimmung zersetzt. Komm ins Esszimmer, der Tisch ist gedeckt. Wir werden Champagner aus dem Keller holen lassen und auf das Wohl deiner Herrn Kollegen trinken, die ihren Gehalt im Stich gelassen haben und uns zu reichen Leuten machen. Wie toericht sie waren, so schnell abzureisen; es kommt garnicht zum Krieg gewiss nicht, ich habe es heute erst im Figaro gelesen." "Glaube den franzoesischen Zeitungen nicht, sie luegen!" "Aber nein, gewiss nicht; was ich gelesen habe, kann nicht erlogen sein: der Zar hat dem deutschen Kaiser telegraphiert, er wolle keinen Krieg. Auch der Koenig von England versichert, er habe den ernsten Wunsch, einen europaeischen Krieg zu verhindern. Dass die Franzosen den Krieg fuerchten, wissen wir doch ganz gewiss und ebenso, dass die Deutschen nie anfangen. Also, wie soll es einen europaeischen Krieg geben? Komm, sei nicht so schwarzsichtig, lass dir das Essen schmecken. Denke nicht mehr an den Krieg. Du hast noch gar nicht nach den Kindern gefragt." "Ja, wie geht es ihnen?" Die Mutter erzaehlte nun froehlich, dass die kleine Mimi, die einjaehrige, schon die ersten Schrittchen allein mache und wie Emil und Paul zaertlich seien mit dem kleinen Liebling. Ueber diesem Geplauder wurde auch der Vater wieder heiter, die Kinder waren seine Herzensfreude. Am naechsten Morgen machte sich Kolmann fruehzeitig auf den Weg zur Bank. Er wusste, dass viel Arbeit auf ihn wartete, und verabschiedete sich von Frau und Kindern mit den Worten: "Auf Wiedersehen um zwei Uhr." Zaertlich kuesste er seine zwei Knaben, die mit der Mutter beim Fruehstueck sassen, ging auch noch in das Kinderzimmer, wohin ihn das Stimmchen der Kleinen lockte. Sie wurde eben von der "Bonne" in ein weisses Kleid gesteckt und streckte verlangend dem Papa die Aermchen entgegen. Nur einen Augenblick hatte er Zeit, das Kind auf den Arm zu nehmen; dann gab er es wieder der Kinderfrau zurueck und verliess eilends das Haus.--Er war noch keine hundert Schritte gegangen, als ihm ein Junge ein Zeitungsblatt anbot: "Es ist der Krieg!" rief der Junge, erhielt einen Sou und eilte zum naechsten Voruebergehenden mit dem Ruf: "Es ist der Krieg!" Kolmann hielt mit vor Aufregung zitternden Haenden das Blatt und las, dass die Franzosen ueber die deutsche Grenze geschritten und in die Vogesen eingedrungen waren. Daraufhin hatte Deutschland an Frankreich den Krieg erklaert. Da wandte Kolmann seine Schritte zurueck und nach wenigen Minuten war er wieder in seinem Haus, trat in das Zimmer, in dem seine Frau friedlich mit den beiden Knaben am Fruehstueck sass, und sagte auch nur die vier Worte: "Es ist der Krieg!" Sie griff nach dem Blatt, das er ihr hinhielt. Sie las es. "Also wirklich?" Nun musste auch sie an den Krieg glauben. Das Blatt fiel ihr aus den Haenden, Paul nahm es auf. Er las, was mit grossen Buchstaben dastand, und weil er mit seinen Kameraden gern Krieg spielte, so dachte er sich hinein, wie die grossen Leute nun wohl den Krieg fuehren wuerden. Vater und Mutter sprachen halblaut miteinander und sprachen deutsch, wie sie es meist taten, wenn das franzoesische Dienstmaedchen im Zimmer nebenan war. "Papa," fragte Paul--er redete franzoesisch--"Papa, die Bonne hat gestern gesagt, die Russen und die Englaender halten zu uns, ist das wahr?"--"Zu uns?" Der Vater sah seinen Jungen an. Er hatte nie mit ihm darueber gesprochen, dass sie Elsaesser und also Deutsche waren, denn er wollte, dass seine Kinder sich ganz heimisch und wohl fuehlten unter den franzoesischen Kameraden. Und jetzt, in dem Augenblick, da Krieg ausbrach, war es noch bedenklicher, davon zu sprechen. "Bitte Papa, sage mir's!" wiederholte Paul, "haelt England zu uns?" "Franzosen, Englaender und Russen halten zusammen," sagte Herr Kolmann ausweichend.--"Dann werden wir leicht fertig mit den Deutschen; oder haben die auch Freunde?" "Ja, Oesterreich geht mit Deutschland." "Papa, wer wird's gewinnen?" "Wir, Paul," sagte der Vater und er dachte dabei "wir Deutschen", aber er merkte wohl, dass Paul dachte: Wir Franzosen. Paul war befriedigt; er forderte den juengeren Bruder auf, mit ihm hinueber zu gehen ins Kinderzimmer, sie wollten Soldaten spielen. Die Eltern blieben allein zurueck. "Paul meint, wir seien Franzosen," sagte Kolmann. "Das ist ja nur gut," entgegnete seine Frau, "Elsass kommt nun sicher wieder an Frankreich. Ich hoerte es neulich erst sagen, ganz Elsass freue sich auf einen Krieg und werde in der ersten Stunde zu Frankreich uebergehen." "Was man wuenscht, das glaubt man gern. Charlotte, ich glaube es nicht, und von all den Elsaessern, die wie ich im deutschen Heer gedient haben, wird das keiner glauben. Denke an deinen Bruder; weisst du nicht mehr, wie er begeistert war fuer das deutsche Heer? Meinst du, dass er ueberginge zur franzoesischen Fahne?" "Der freilich nicht," sagte sie nachdenklich und nach einer Weile fuegte sie hinzu: "Gottlob, dass du nicht in den Krieg musst; es waere ja schrecklich, wenn man nicht wuesste, zu wem man halten sollte." In sichtlicher Unruhe ging Herr Kolmann hin und her. Sie sah ihm nach. "Was beunruhigt dich so?" fragte sie teilnehmend. Er schwieg. "Sage es mir doch, lieber Freund," bat sie zaertlich. Da blieb er vor ihr stehen. "Ich muss es dir ja freilich sagen, wenn du es dir nicht selbst denken kannst. Du irrst dich, wenn du meinst, meine dreissiger Jahre entheben mich der Militaerpflicht. Mir bleibt nur die Wahl: entweder ich stelle mich sofort in Deutschland--dann muessen wir alles aufgeben, was wir hier haben und Paris verlassen--; oder ich werde Franzose, wie mir der Direktor geraten,--dann gehoeren wir kuenftig der franzoesischen Nation an. Schon lange habe ich gefuerchtet, dass ich einmal vor diesen Entscheid gestellt wuerde, nun ist die Stunde gekommen." "Aber Liebster, wir koennen uns doch gar nicht besinnen. Hier haben wir unser reizendes Heim, hier hast du eine glaenzende Stellung; so bleiben wir doch natuerlich hier und werden Franzosen. Denn was sollten wir in Deutschland tun? Ganz von vorne anfangen, das waere doch zu toericht!" "Ja, ja, ganz recht; es waere toericht und fuer dich zu schwer," antwortete er; aber wieder trieb es ihn unruhig im Zimmer herum. "Unsere Grosseltern waren noch Franzosen," sagte sie, "so koennen wir es doch wieder werden. Sag, Liebster, was spricht dagegen?" "O nichts," sagte er bitter, "nichts als das, dass ich als Soldat zur deutschen Fahne geschworen habe. Und dass es mir ein sonderbares Gefuehl ist, den Fahneneid, den ich in voller Begeisterung geschworen hatte, zu brechen, in der Stunde, wo ganz Europa sich gegen das deutsche Heer ruestet, dem ich als junger Mann angehoert habe mit Leib und Seele. Es ist das schoenste, beste Heer mit seinen praechtigen Offizieren und seinem edlen Kaiser. Aber jetzt, in der Stunde der Not, verlasse ich es. Pfui! All die deutschen Offiziere--voran mein Hauptmann, der etwas auf mich hielt und den ich verehrte--alle duerften mir zurufen: Pfui!"-- Charlotte stand ergriffen. In diesem Augenblick kamen die zwei Knaben hereingesprungen, mit roten Koepfen; lustig war ihr Eifer anzusehen: "Mama, wir sind schon in Berlin gewesen und haben die Deutschen besiegt. Und ihren Kaiser haben wir gefangen, dem soll es schlecht gehen!" "Schweigt!" rief der Vater und in aufwallendem Zorne gab er dem aeltesten eine Ohrfeige. Sehr bestuerzt ueber diese ganz ungewohnte Behandlung verzogen sich die zwei kleinen Soldaten. Ihrer Mama kamen die Traenen. "Verzeih," sagte der Mann, "ich war zu heftig. Aber ich kann's nicht hoeren, dass meine Kinder gegen den Kaiser sind; es regt mich auf. Am besten ist's, ich gehe jetzt fort, auf die Bank. Adieu!" Er streckte ihr die Hand hin, sie griff darnach, aber sie weinte nur noch bitterlicher. Beguetigend sagte er: "Ich werde Paul noch ein freundliches Wort sagen, ich weiss ja, er hat die Ohrfeige nicht verdient. Du musst nicht mehr darueber weinen!" "Ach, das ist's nicht," sagte sie schluchzend, "aber geh nur jetzt, wir koennen ja mittags alles besprechen." Da verlief er das Haus, ging durch die Strassen zwischen der aufgeregten Menge hindurch, hoerte nichts als Krieg und wieder Krieg; fand in der Bank ein grosses Gedraenge von Menschen, die alle besorgt waren um ihr Geld; sah den Bankdirektor selbst an einem Schalter stehen und hoerte, wie er die Aengstlichen zu beruhigen suchte. Sein spaetes Kommen musste dem Direktor aufgefallen sein. Er hatte wohl schon Sorge gehabt, auch dieser Beamte moechte abreisen. Nun winkte er Kolmann freundlich zu und dachte, es sei doch gut gewesen, dass er ihm schon gestern doppelten Gehalt angeboten hatte. So etwas schlaegt keiner aus--meinte der Direktor. Sobald der Vater die Wohnung verlassen hatte, suchten die Kinder ihre Mutter auf. Aber sie fanden die Mama nicht heiter und froehlich wie sonst; verweint sah sie aus, gab ihnen ein paar Bonbons und sorgte, dass sie moeglichst schnell mit dem Schwesterchen unter der Aufsicht der Kinderfrau spazieren gingen. Denn sie wollte allein sein, um ordentlich nachdenken zu koennen. Bisher hatte sie das Nachdenken ihrem Mann ueberlassen; er hatte alles fuer die Familie aufs beste eingerichtet und jederzeit gewusst, was geschehen musste. Nur heute nicht. Es war ihr ungewohnt und schrecklich, ihn so unsicher und aufgeregt zu sehen. Die Ohrfeige, die kam doch nur daher, dass er es nicht ertragen konnte, wenn sein Bub gegen die Deutschen Partei nahm. Also war er mit seinem Herzen auf deutscher Seite und es zog ihn jetzt hinueber zum deutschen Heer. Aber sie konnten doch nicht fort und alles preisgeben, was sie hatten! Bei dem blossen Gedanken war ihr, als wankte der Boden unter ihren Fuessen. Waehrend sie so in der Stille darueber nachdachte, glaubte sie im Kinderzimmer die Stimme ihres Paul zu hoeren. Aber der war doch wohl fort mit der Kinderfrau? Sie ging nachzusehen. An dem grossen Tisch stand Paul ganz allein, eifrig beschaeftigt Soldaten aufzustellen, denen er laute Befehle gab. "Mama," sagte er, "die Bonne hat mir erlaubt daheim zu bleiben, wenn ich ganz still im Zimmer spielen wuerde. Sie meinte, es werde dir schon recht sein, und wir wollten dich nicht stoeren. Mama, warum bist du so traurig, und warum ist Papa auch nicht wie sonst?" "Das kommt vom Krieg, Kind." "Mama, die Bonne hat mich gefragt, ob wir richtige Franzosen seien, weil wir alle Deutsch koennten. Der Hausmeister hat ihr gesagt, wir seien Elsaesser. Wie ist das eigentlich?" "Es ist am besten, du redest nicht mit den Leuten darueber." "Das will ich auch nicht, nur wissen moechte ich es, Mama. Sieh, da stehen meine Franzosen und da die Deutschen; wenn ich nun Elsaesser habe, wohin muss ich sie stellen?" Er sah auf und wunderte sich, dass die Mutter keine Antwort gab. "Bitte, sage mir nur noch das eine, dann lasse ich dich wieder ganz in Ruhe. Sieh, da ist unsere franzoesische Fahne und hier die schwarzweiss-rote, das ist die deutsche. Zu welcher gehoeren die Elsaesser?" Der Mutter, die nicht gern antwortete, kam von aussen Hilfe. Es klingelte. Sie erkannte an der Stimme einen Freund ihres Mannes, der anfragte, ob er sie in so frueher Morgenstunde einen Augenblick sprechen koennte. Sie empfing ihn im Salon. Er und seine Frau waren Deutsche. "Ich wollte nur noch schnell Abschied von Ihnen nehmen," sagte Herr Frank. "Meine Frau laesst Sie herzlich gruessen, sie hat alle Haende voll zu tun. Wir reisen heute ab. Man kann nicht schnell genug fortkommen aus dem Feindesland. Was sagt Kolmann zu diesem Krieg? Wie falsch und tueckisch fallen die Feinde von allen Seiten ueber Deutschland her! In Lug und Trug sind sie verbuendet. Aber ganz Deutschland wird aufstehen. Kein Mann wird zurueckbleiben. Mir brennt das Herz, zur Fahne zu eilen. Wann reisen Sie?" "Ich weiss nicht," sagte Frau Kolmann; "vielleicht--ich weiss nicht; was macht Ihre Frau?" "Meine Frau draengt fast noch mehr, sie mag die Franzosen nicht mehr sehen, ihnen kein Wort goennen." "Aber was wird aus Ihrem Geschaeft? Wo werden Sie Unterkunft finden mit Ihren Kindern?" "Das wissen wir alles noch nicht. Wer kann jetzt an sich denken, wenn das ganze Vaterland in Gefahr ist! Wir wissen nur, dass wir nach Deutschland muessen, und wenn es auch nur waere, um mit ihm zu leiden. Ihr Mann denkt sicher ebenso. Ich muss gehen, gruessen Sie ihn. Wir treffen uns unter der Fahne! Meine Frau und ich, wir danken Ihnen fuer alle Freundschaft. Vielleicht fuehrt uns das Leben noch einmal zusammen im stolzen, sieggekroenten Vaterland!" Er drueckte ihr die Hand zum Abschied und ging. Frau Kolmann stand allein. Aber der Freund hatte etwas zurueckgelassen, einen Hauch der Begeisterung, der in sie drang, sie erfuellte und ihr, der unsichern, verzagten Frau, den Weg wies. Wie gross war das, zu sagen: Wer kann an sich denken, wenn das Vaterland in Gefahr ist? Sie hatte sich geschaemt, dem Freund nur auszusprechen, dass sie daran daechte, in Frankreich zu bleiben. Wieviel mehr muesste ihr Mann sich schaemen, er, der Deutschland Treue geschworen hatte! Nein, er sollte nicht um ihretwillen zurueckbleiben! Alle Unsicherheit und Schwaeche war von ihr gewichen. Raschen Schrittes kehrte sie ins Kinderzimmer zurueck. "Nun, Paul," sagte sie in ihrer gewohnten, frischen Weise, "was wolltest du wissen? Wohin die Elsaesser gehoeren? Zu den _Deutschen_ gehoeren sie, das musst du doch wissen! Wir sind Elsaesser und Elsass gehoert zu Deutschland." "So?" sagte der Knabe nachdenklich, "ja, dann muss ich alles anders aufstellen; dann muessen die Deutschen meine besten Kanonen bekommen und muessen oben stehen, damit sie siegen koennen!" "Ja, mach' das so. Und wenn Papa heimkommt, zeigst du ihm das, es wird ihn freuen." "Das haettest du mir schon lang sagen sollen, Mama. Ich habe mit den Schulkameraden immer gegen die Deutschen gekaempft und zu den Franzosen gehalten." "Das wird jetzt alles anders, Paul, jetzt ist Krieg!" * * * * * Kolmann empfand eine helle Freude, als er bei seiner Heimkehr eine entschlossene, tapfere Frau fand, die auf Reichtum und Behagen verzichten wollte und bereit war, mit ihm nach Deutschland zu ziehen, wohin ihn Ehre und Treue riefen. Alle Unsicherheit war nun vorbei. In aller Eile wurde die Abreise vorbereitet, jedes Opfer, das damit verbunden war, wollten sie bringen und alles Schwere auf sich nehmen. Und das Schwere kam bald genug. Gegen diejenigen Elsaesser, die nicht, wie man von ihnen erwartet hatte, zu Frankreich uebertreten wollten, wandte sich der groesste Hass der Franzosen. Der Bankdirektor wollte den Gehalt nicht zahlen, den er Kolmann schuldete; der Hausherr forderte die Miete fuers ganze Jahr; die Koechin wurde durch ihn aufgehetzt, verlangte ihren Lohn und verliess sofort das Haus. Das Gasthaus weigerte sich, Speisen abzugeben, und der Gepaecktraeger kehrte den Ruecken, als er aufgefordert wurde, das Gepaeck zu besorgen. Die Leute aus dem Hinterhaus warfen Steine nach den Fenstern der Wohnung. Kolmann ging auf die Polizei und erbat Schutz. Die Beamten zuckten die Achseln und erklaerten, sie koennten nichts machen. Auf dem deutschen Konsulat waren alle Raeume ueberfuellt mit ausgewiesen Deutschen, denen das Reisegeld fehlte, und mit hilflosen Maedchen, die Schutz suchten. Da sagte sich Kolmann: "Hilf dir selbst!" Mit viel Geld, mit guten und boesen Worten, mit List und Klugheit gelang es doch, dass er am naechsten Morgen mit seiner Familie am Bahnhof stand, wo ein besonderer Zug die Ausgewiesenen bis an die Grenze bringen sollte. Der Zug hatte nicht genug Wagen, trotzdem die Leute Kopf an Kopf, sogar in den Viehwagen standen. In dem furchtbaren Gedraenge, bei der boshaften, schadenfrohen Gesinnung der Bahnbeamten geschah es, dass, waehrend die Mutter mit der Kleinen und der Vater mit Emil einstieg, Paul weggestossen wurde und zu Boden fiel in dem Augenblick, da der Zug sich in Bewegung setzte. Niemand kuemmerte sich um den Jammer der Zurueckbleibenden, kein Schaffner achtete auf den verzweifelten Schrei: "Mein Kind, mein Kind!", der aus dem Wagen drang, in dem die Familie Kolmann davon fuhr. Sie wussten nicht, war ihr geliebtes Kind ueberfahren oder stand es hilflos und verzweifelnd in der feindlichen Stadt. Der Zug fuhr ohne Aufenthalt immer weiter, immer zu. Keine Moeglichkeit, irgend etwas zu tun fuer das verlorene Kind; kein mitleidiger Beamter, kein hilfreicher Telegraph stand zur Verfuegung, feindselig waren alle Einrichtungen; es war Krieg. Und doch kam nach einer Stunde Fahrt ein kleiner Trostschimmer. Eine Mitreisende, ein junges deutsches Maedchen, das in einem der hintersten Wagen gewesen, draengte sich allmaehlich vor und fragte in jedem Wagen: "Sind hier die Eltern, die einen Knaben verloren haben?" Schliesslich kam sie mit der Frage in den richtigen Wagen. "Ja, ja!" riefen Pauls Eltern wie aus einem Mund. "Ich wollte Ihnen nur sagen, dass ich vom Fenster aus gesehen habe, wie der Junge, den man zu Boden geworfen hatte, aufgestanden ist und offenbar keinen Schaden genommen hatte." Frau Kolmann stuerzten die Traenen aus den Augen: "Aber verloren ist er!" schluchzte sie laut. "Ich sah noch," fuhr das Fraeulein fort, "dass eine Frau, es schien mir eine einfache deutsche Buergersfrau, die mit ihren kleinen Kindern abreisen wollte, Ihren Jungen angeredet hat. Sie sah ihn muetterlich freundlich an; ich denke mir, sie wird sich seiner annehmen und ihn mit nach Deutschland nehmen. Ich wollte Ihnen dies nur zum Trost sagen."--"Danke, danke!" Frau Kolmann konnte nichts weiter hervorbringen; sie wandte alle Kraft an, um Herr zu werden ueber ihre Traenen. Es war doch schon ein Trost fuer die Eltern, dass sie wussten, ihr Kind war nicht unter die Raeder gekommen, und sie hielten das Bild fest, wie eine deutsche Frau sich ihm teilnehmend zugewandt hatte. Kam er wirklich nach Deutschland, so wuerden Eltern und Kind sich auf allen Wegen suchen und endlich auch sich zusammenfinden. Es war eine greuliche Fahrt, die all' die Deutschen in diesem Zug durchzumachen hatten. In grausamer Weise wurde ihnen alles verweigert, was sie begehrten; an keiner Station durften sie aussteigen, keinen Trunk Wasser, keinen Schluck Milch fuer die kleinen, schreienden Kinder konnten sie sich verschaffen, und wo sie Aufenthalt hatten, wurden sie vom Poebel beschimpft, ohne dass es irgend einem Beamten eingefallen waere, die Wehrlosen zu schuetzen. Frau Kolmann graute vor dem Volk, das sich so gehaessig zeigte. So Schweres sie jetzt schon erlebt hatte, sie bereute doch nicht, dass sie Paris den Ruecken gewandt hatte. Ihre Kinder sollten nicht Franzosen werden; fort, fort aus diesem Land, das unschuldige Menschen so grausam behandelte! Die bedauernswerten Reisenden wurden nicht einmal bis zur Grenze gebracht. Zwei Stunden vor dem Grenzort mussten alle aussteigen und von da an konnten sie selbst zusehen, wie sie mit Kindern und Gepaeck vollends hinueber kaemen. Aber mit dem Augenblick, wo sie endlich die Grenze erreicht hatten, trat ihnen deutsche Herzensguete entgegen. Man hatte den Strom der Vertriebenen erwartet und fuer die Nacht Unterkunft bereitet. Maenner und Frauen, die das Zeichen des Roten Kreuzes auf ihren Armbinden trugen, standen bereit, sie zu empfangen. Den todmueden Muettern wurden die Kinder abgenommen und mit warmer Milch gelabt, fuer die Erwachsenen waren Kessel voll Tee und Kaffee zur Stelle, und so viele der Ausgewiesenen es auch waren, alle bekamen Obdach und Lager fuer die Nacht. Manche waren zu Traenen geruehrt ueber diese unerwartete Hilfe, alle segneten ihr wiedergewonnenes deutsches Vaterland! * * * * * Wochen waren seitdem vergangen. Die Familie Kolmann hatte in Strassburg eine kleine Wohnung genommen. Jetzt waren sie noch beisammen, aber schon in dieser Woche konnte Kolmann ausmarschieren muessen. Er brachte seine Tage auf dem Exerzierplatz zu, nur in den Mittagspausen und abends war er daheim. Unermuedlich waren in dieser Zeit seine Bemuehungen, durch Anfragen bei Behoerden, durch Briefe und Zeitungen Erkundigungen ueber das verlorene Kind einzuziehen. Bis jetzt war alles vergeblich gewesen. Bahn, Post und Telegraph waren fast nur fuer das Militaer zu haben und auch die Teilnahme der Beamten konnte man nicht so viel in Anspruch nehmen. Schon waren grosse Schlachten geschlagen und viele Opfer gefallen; lange Verlustlisten erschienen und in jeder derselben kam das Wort "vermisst" vor. Wie konnte man verlangen, dass alle sich bemuehen sollten, nach dem einen kleinen Vermissten zu forschen? Das grosse Leid, das der Krieg so vielen auferlegte, wollte still und tapfer getragen sein. Auch Frau Kolmann trug ihren Schmerz im verborgenen; sie wollte ihrem Mann, der nun bald in den Krieg ziehen sollte, das Herz nicht schwer machen. Vielleicht kam er nicht wieder aus dem grossen Kampf, dem kein Ende abzusehen war; fuer die kurze Zeit, die sie ihn noch bei sich haben durfte, wollte sie ihm die kleine Haeuslichkeit behaglich machen, die ihr doch selbst so gering vorkam, nach den glaenzenden Pariser Verhaeltnissen. Sie waren gluecklich, beisammen zu sein, aber im stillen fuerchteten sie beide den Tag, an dem sie sich trennen sollten, und wenn sie daran dachten, wie Unzaehligen derselbe Abschied bevorstand, so fuehlten sie, dass es ihnen schwerer wurde als anderen, weil der Schmerz um das verlorene Kind sie so tief bedrueckte. Eines Abends sassen sie in Gedanken verloren, Hand in Hand. Die Kinder schliefen, es war stille im Haus. Die Hausglocke stoerte die Stille. "Wer kommt so spaet noch?" Herr Kolmann ging zu oeffnen. Ein Brieftraeger stand aussen. "Der Herr Postmeister schickt Ihnen ein Zeitungsblatt, er meint, es koennte Sie interessieren; die Stelle ist angestrichen." Der Bote ging. "Gewiss eine erfreuliche Kriegsnachricht," sagte Kolmann, indem er sich wieder zu seiner Frau setzte. Nein; der angestrichene Satz lautete: "Auf Ersuchen aus unserem Leserkreis sind wir gerne bereit, in unserem Blatt eine Liste solcher Familienglieder aufzunehmen, die durch die Kriegswirren--namentlich in Ostpreussen und im Elsass--von ihren Angehoerigen getrennt wurden, und zugleich die Adressen derer, die nach solchen suchen." Es folgte eine Liste. Sie begann: "Berta Schwarz, Lehrerin aus Lyck, gesucht von Frau Elise Schwarz in Berlin, Passauerstrasse 6." "Ernst und Max Gullasch, 12 und 14 Jahre alt, gesucht von Lehrer Gullasch in Heinrichswalde." "Familie Schneider, gesucht von Anna Schneider in Altkirch im Elsass." "Administrator Bajohr mit 40 Familien aus Milluhnen, gesucht von Grau Donalus, Fasanenstrasse." "Dienstmaedchen Ida Kern, gesucht von Dr. Mayer in Muehlhausen im Elsass." So ging das weiter, eng gedruckt, eine lange Spalte. "Ja," sagte Herr Kolmann, indem er die Liste ueberflog, "an diese Zeitung wollen wir uns wenden, ich werde gleich schreiben." Er stand auf, das Schreibzeug zu holen. Im selben Augenblick stiess seine Frau einen Schrei aus: "Liebster, hoere nur: 'Bankier Kolmann und Frau gesucht von ihrem Sohn Paul in Ulm, Walfischgasse 3, bei Frau Peter.' Sieh doch, lies nur, ist's denn wahr? Herzensmann, lies!" Die Freude benahm ihnen schier den Atem, als sie zusammen lasen und aus den wenigen Worten herausfanden, dass ihr geliebtes Kind wieder gefunden war. "Er sucht uns!" rief Frau Kolmann bewegt, "'gesucht von ihrem Sohn' heisst es. Wer hat ihm nur geholfen, dass er diesen Ausweg fand? O diese Frau Peter, die moechte ich in Gold fassen! Waere nur schon die Nacht vorbei! Was machen wir nun? Soll ich gleich abreisen?" "Zuerst telegraphieren, morgen in aller Fruehe!" Am naechsten Tage gingen Telegramme hin und her. Soviel erfuhren die Eltern, dass Paul gesund sei und gleich abreisen wuerde; ihn abzuholen, sei unnoetig. "Also wird ihn Frau Peter bringen," schloss Frau Kolmann, "denn allein kann das Kind doch nicht reisen." Sie telegraphierten noch einmal; es kam die Antwort: Paul sei schon abgereist. Die Zuege gingen so unregelmaessig, man wusste nie, wann einer kam. Aber Frau Kolmann machte unermuedlich mit ihren zwei Kindern den Gang an die Bahn und einmal, als sie wieder am Bahnsteig stand, da sprang ein Junge aus dem Zug--ihr Junge; und war im Nu bei ihr, herzte und kuesste sie, lachte vor Glueck und weinte vor Freude; gab dem Bruder einen Kuss, hob die Kleine auf den Arm und rief: "Ich kann sie ganz nach Hause tragen. Unseren Kleinen, weisst du, den von Frau Peter, habe ich auch immer getragen. Wir haben keinen Kinderwagen. Wir waren sehr arm, Mama, in der ersten Zeit; aber jetzt haben wir eine Naehmaschine, da kann Frau Peter viel mehr verdienen, jetzt geht es schon besser." "War sie gut, die Frau Peter?" "O ja, Mama. Sie hat mich von Paris mitgenommen an die Grenze. Dort darf niemand hinueber, der nicht auf dem Pass genannt ist. Da hat sie mich Johann genannt, weil so ihr Kleiner heisst und auf dem Pass stand. Der Beamte wollte uns aber doch nicht durchlassen, er sagte, es stehe nur ein Kind auf dem Pass. Da hat Frau Peter den Kleinen, der gerade moerderisch nach seiner Milch schrie, dem Mann hingehalten und hat ihn angefahren: "So nehmen Sie den Schreihals, den geb ich billig!" Da ist der Beamte ordentlich zurueckgebebt und hat uns durchgelassen. Ich habe so lachen muessen, dass ich uns fast verraten habe.--Dann sind wir nach Ulm, in Frau Peters Heimat gefahren. Dort hat sich eine Dame um uns angenommen und uns ein Stuebchen und Arbeit verschafft. Fuer mich haette sie eine Familie gewusst, die mich aufgenommen haette, aber Frau Peter und ich wollten doch lieber beisammen bleiben. Die Dame hat auch die Anzeige in die Zeitung gesetzt und dann ist Euer Telegramm gekommen." Immerzu erzaehlte Paul; sein Herz war uebervoll von all den Erlebnissen. Als sie zu Hause ankamen und die kleine Wohnung betraten, bewunderte er die Zimmer, die ihm schoen und gross vorkamen. Darueber musste sich sein Bruder Emil wundern. "Uns gefaellt es gar nicht"; sagte er, "wir haben doch in Paris eine schoenere Wohnung gehabt!" Aber Paul liess sich nicht beirren, ihm kam alles wunderschoen vor, und die Mutter war froh darueber. Sie merkte es aus allem: in grosser Armut hatte ihr Kind diese Wochen verlebt, aber es hatte ihm nicht geschadet, im Gegenteil. Nun kam der Abend und brachte den Vater. In Uniform trat er, strammer als sonst, herein--Paul war einen Augenblick ganz befremdet; aber der Vater zog ihn so warm an sein Herz, dass die alte Vertraulichkeit gleich wieder da war. "Der Papa geht jetzt in den Krieg," erklaerte Emil. "Gegen die Franzosen, gelt, Papa, ich mag sie nicht mehr. Sie haben die Mama so grob gestossen beim Einsteigen, und mich haben sie auf den Boden geworfen. Aber die Deutschen waren so gut gegen mich. Frau Peter hat gesagt, ich soll nur ruhig allein nach Strassburg reisen--es tue mir niemand was in Deutschland und es koste sonst so viel Geld, und wir hatten nicht mehr viel. Papa, hast du noch welches? Weisst du, die Naehmaschine haben wir natuerlich nicht gleich ganz bezahlen muessen, die muss monatlich abbezahlt werden. Das macht so viel Sorgen. Kannst du Frau Peter nicht etwas schicken?" "Wieviel habt ihr denn noch abzubezahlen?" fragte der Vater laechelnd. Paul machte ein sehr ernstes Gesicht: "Fuenfzig Mark! Aber wenn du ihr zehn schicken koenntest? Frau Peter ist wirklich eine sehr gute Frau!" "Wir schicken ihr fuenfzig und das gerne, mein Kind; und alles was sie fuer deine Kost und deine Reise ausgegeben hat, soll dieser guten Frau reichlich bezahlt werden. Wir wollen sie auch spaeter nie vergessen." Paul strahlte vor Freude. Es war ein unbeschreibliches Glueck an diesem Abend. Freilich, wenige Tage nachher kam der Ausmarsch, die Trennung. Aber sie wurde standhaft ertragen. Kann nicht wieder ein so beglueckendes Wiedersehen folgen? Sie hoffen darauf in guter Zuversicht und denken treulich aneinander. Der kleine Franzos. Als das deutsche Heer im August nach Frankreich einmarschierte, kam es gar schnell auf den grossen Strassen, die nach Paris fuehren, vorwaerts. Die Franzosen hatten sich das ganz anders gedacht. Sie wollten auf unsere Hauptstaedte losgehen, wir sollten nicht wieder in _ihr_ Land eindringen wie im Jahr 1870. Als sie nun doch wieder sehen mussten, wie unsere Soldaten unaufhaltsam vordrangen, da wurde die ganze franzoesische Bevoelkerung von furchtbarem Grimm gegen die Deutschen erfasst. Maenner und Frauen liessen ihre Wut sogar noch an unsern Verwundeten aus und nach der Schlacht, wenn unsere Soldaten friedlich durch ein Dorf zogen, schossen sie heimtueckisch, hinter den Fenstern versteckt, aus ihren Haeusern heraus. Da machten unsere Offiziere bekannt, wenn unsere Soldaten friedlich in ein Dorf einzoegen, duerfe keinem von ihnen etwas geschehen. Die Einwohner sollten sich hueten und wenn kuenftig nur auch _ein_ Schuss fiele, so wuerde das ganze Dorf verbrannt. Aber die Wut und der Hass waren zu gross; auch glaubten die Leute nicht, dass unsere Soldaten mitten im Krieg gegen die Maenner, die keine Waffen trugen, und gegen die Frauen und Kinder freundlich sein wuerden. Man hatte ihnen so viel vorgelogen, dass sie meinten, die Deutschen seien grausame Barbaren. So kam es immer wieder vor, dass sie wie Meuchelmoerder aus dem Hinterhalt auf die einziehenden Deutschen schossen; dann gaben die Offiziere den Befehl, das ganze Dorf in Brand zu schiessen, und das geschah. So kam es, dass eine ganze Anzahl von Doerfern niederbrannten. Viele der Bewohner fluechteten in die naechsten Orte und erzaehlten dort die Schauergeschichte von dem Brand; aber das erzaehlten sie nicht, dass sie selbst an diesem Unglueck schuld waren. So wurde die Angst vor den Deutschen und der Hass gegen sie immer groesser. Ein grosses Dorf, das durch einen Bach in zwei Teile geteilt war, wurde auf diese Weise auch in Brand geschossen; aber nur _der_ Teil, aus dem geschossen worden war. Kirche, Schule und eine Reihe von Haeusern rings herum waren verschont geblieben. Dort quartierten sich die Deutschen am Abend ein; aber sie liessen auch die franzoesischen Familien ruhig in ihren Haeusern. So war auch ein deutscher Leutnant ganz friedlich bei zwei alten Leuten einquartiert, die ihren kleinen Enkel bei sich hatten, einen etwa neunjaehrigen Knaben. Der Junge gefiel dem Offizier, er sah sehr klug aus und war artig gegen seine Grosseltern. "Komm doch einmal her zu mir!" rief der Offizier, der beim Fruehstueck sass, in franzoesischer Sprache dem Jungen zu. Ohne Scheu folgte der Knabe. "Wie heisst du denn?"--"Pierre". "Bist du immer bei den Grosseltern?" "Ja, wenn Schule ist. Aber in den Ferien bin ich daheim bei meinen Eltern im naechsten Dorf; dort ist keine Schule." "So; komm einmal mit mir, Pierre, und fuehre mich in die Schule!" Aengstlich sahen die alten Leute den Knaben an der Hand des Offiziers hinausgehen. Unter der Tuere blickte der Kleine noch einmal zurueck und rief: "Keine Angst, gute Grossmama!" Die Strassen waren noch von Rauch und Brandgeruch erfuellt; im untern Teil des Dorfes gluehten noch die Brandstaetten des gestrigen Abends. An der Kirche vorbei fuehrte der Knabe den Leutnant zum Schulhaus. Die Tuere stand offen. Sie gingen hinein. Rechts vom Eingang deutete der Kleine auf ein offenes Schulzimmer: "Das ist unsere Klasse. Gestern waren wir gerade in der Schule, als es hiess: "Die Ulanen kommen!" "Dann seid ihr alle ausgerissen."--"Ja." Der Offizier ging zu der grossen Schultafel, die vorn beim Fenster war. Die ersten Zahlen einer Rechnung standen darauf. Der deutsche Offizier nahm vom Boden die Kreide, die wohl gestern dem franzoesischen Schulmeister im Schrecken aus der Hand gefallen war, und nun schrieb er mit grosser Schrift in franzoesischer Sprache an: Die deutschen Soldaten tun keinem Menschen etwas zuleide, wenn man ihnen nichts zuleid tut. Die deutschen Soldaten verbrennen jedes Dorf, aus dem geschossen wird. "So, kannst du das lesen?" "Ja, gut!" sagte der kleine Bursche und las laut und deutlich das Geschriebene vor. "Nun, Pierre, gehe und sage allen Leuten, was da steht, und dass sie kommen sollen und es lesen. Hast du nicht selbst gesehen, dass es wahr ist? Haben wir nicht das Unterdorf verbrannt, weil man von dort auf uns schoss? Haben wir nicht das Oberdorf geschont? Sind wir zwei nicht ganz gut Freunde?" Er streckte dem Buerschchen die Hand hin. Es hat verstanden und schlug ein. "Nun so spring, kleiner Kamerad." Der Knabe rannte davon und machte sich sehr wichtig mit seiner Nachricht. Alle Leute mussten die Schrift lesen. Einen Tag hatte die Truppe auf nachfolgendes Militaer zu warten, am naechsten Abend traf dieses ein und nun sollte es weiter gehen in der Richtung nach Paris. Aber ehe noch die Truppen abzogen, war ihnen der kleine Pierre vorausgeeilt in das Doerfchen, wo seine Eltern lebten. Es lag in der Richtung nach Paris, zwar nicht an der grossen Strasse, aber nahe dabei, in einem Seitental. Wer konnte wissen, ob nicht ein Teil der Soldaten sich dorthin wenden wuerde? Er liess sich nicht von den aengstlichen Grosseltern zurueckhalten, ihn trieb es ins Elternhaus, er wollte warnen. Die Kunde vom Nahen der Feinde, von verbrannten Doerfern, war schon in das abgelegene Oertchen gedrungen und allerlei unwahre Schauergeschichten waren dazugedichtet worden; mit Entsetzen sah man der Zukunft entgegen. Die einzige Hoffnung war, dass die Flut nicht bis in das Seitental dringen moechte! Unwillkuerlich sahen die wenigen Leute, die da hinten lebten und ihre Felder bestellten, unzaehlige Male nach dem Weg hinunter, der von der grossen Strasse ab zu ihnen fuehrte und beruhigt waren sie, dass sie keinen Menschen sahen. Niemand ging in dieser Zeit ohne dringende Not von Ort zu Ort. Aber einmal entdeckten sie in der Ferne einen kleinen, schwarzen Punkt, der sich vorwaerts bewegte und der allmaehlich groesser wurde. Da hielten sie an mit der Arbeit. "Nur ein Kind," meinte jetzt einer. "_Unser Kind_," sagte eine Frau. Es war die Mutter von Pierre; sie erkannte ihn und rief den andern, die weiter oben im Feld arbeiteten, zu: "Pierre kommt und wie er laeuft und winkt! Er hat etwas zu sagen. Heilige Maria, Mutter Gottes, wie das Kind springt!" Da legten sie alle ihr Geraete aus der Hand und gingen dem Knaben entgegen. Der war nicht wenig stolz, als sie ihn nun alle umstanden und lauschten, was er zu Berichten wusste. Dass das untere Dorf in Brand geschossen war und viele Menschen dabei umgekommen seien. Aber bald geriet der kleine Mann in Zorn; denn sie hoerten ihn nicht ganz an. Von der Schule und der Schrift an der Tafel wollten sie nichts wissen, und ihm war das doch die Hauptsache. Er wusste doch, wie man es machen musste, damit die Haeuser nicht verbrannt wurden, und war deshalb in solcher Eile zwei Stunden weit gelaufen, dass er noch gluehte und kaum Atem fand. Nun jammerten die Weiber: "Was tun, wohin fliehen vor diesen Barbaren?" Die Maenner waren ja fast alle in den Krieg gezogen, nur einer stand dabei, der ganz verwachsen war. Dieser stiess wilde, drohende Flueche aus gegen die Deutschen. Sie sollten nur kommen, ganz nahe heran, und aus dem Heuschober an der Strasse wollte er sie niederknallen. "Ja, ja, holt eure Buechsen," schrieen die Frauen. "Ich hole die von meinem Mann!" rief Pierre's Mutter und alle liefen in ihre Haeuser. Waeren die Deutschen in dieser Stunde gekommen, es waere vielleicht einer von ihnen getroffen worden, und ganz gewiss waeren die Bauernhoefe mitsamt ihren Bewohnern in Brand geschossen worden. Aber zum Glueck zeigten sich noch keine Deutschen und allmaehlich beruhigten sich die Leute ein wenig. Pierre folgte seiner Mutter, die nach des Vaters Pistole suchte. Da griff er nach ihren vor Aufregung zitternden Haenden und flehte sie an: "Mutter, ich schwoere dir's bei allen Heiligen, es geschieht uns nichts, wenn ihr nicht schiesst! Ich habe es doch gesehen: Im obern Dorf haben sie nicht geschossen und es ist keinem was geschehen und ich war doch selbst dabei, wie es der Offizier an die grosse Schultafel geschrieben hat, und er hat neben uns geschlafen heute Nacht, hat an unserm Tisch gefruehstueckt und freundlich mit mir geredet. An seiner Hand bin ich ganz allein mit ihm im Schulhaus gewesen und es ist mir nichts geschehen." "Du ganz allein mit einem deutschen Offizier! Das ist ein Wunder Gottes! Hoert man doch immer, dass sie die Kinder aufspiessen, die Unmenschen!" Da stampfte der Bub zornig auf den Boden. "Es sind keine Unmenschen, es ist verlogen! Aber natuerlich, wenn ihr schiesst, dann koennen wir alle braten in den Flammen unserer Haeuser!" Jetzt staunte die Mutter ueber ihren Buben und sie legte die Pistole weg. "Wenn das so ist, Pierre, warum hast du es den andern nicht gesagt?" "Sie haben mich ja nicht hoeren wollen, haben alle zusammengeschrieen."--"So komm mit, Pierre, komm, du musst es ihnen allen erzaehlen; mach schnell, schnell, dass sie's hoeren, ehe die Deutschen kommen." Sie gingen miteinander, um den Buckeligen aufzusuchen; die Frauen kamen auch herzu und jetzt horchten sie alle und staunten den Pierre an, der Hand in Hand mit einem deutschen Offizier gegangen und nicht aufgespiesst worden war. Dann wurden sie nachdenklich, ob man wirklich trauen koenne, sprachen lebhaft hin und her, bis eine rief: "Da unten kommen sie!" Ein kleiner Trupp Deutscher bewegte sich zwischen Wiesen das Tal herauf. Ein Offizier mit Mannschaften, die einen leeren Wagen mit sich fuehrten. Wie gebannt standen die Leute; wussten nicht, sollten sie davonlaufen oder sich verstecken. Aber es war kein Wald in der Naehe, Felder und Wiesen ringsum. Als die Feinde naeher kamen, zogen sie sich alle in das naechste grosse Bauernhaus zurueck und beobachteten mit Todesangst, was nun geschehen wuerde. Pierre und seine Mutter waren auch dabei. Ploetzlich rief der Knabe: "Seht ihr den grossen Offizier, es ist derselbe, der so freundlich gegen mich war. Das ist gut, den verstehen wir auch, er redet franzoesisch. Dem kann man gleich sagen, dass von uns niemand auf ihn schiesst. Sagst du es ihm, Mutter?" "Wie werde ich den Offizier anreden, ich fuerchte mich zu Tode, wenn er kommt!" "Ich nicht, ich gar nicht, ich springe ihm gleich entgegen!" Und richtig, der kleine Bursche sprang die Wiese hinab, dem Feinde entgegen. Mit Herzklopfen sahen alle ihm nach. Die Truppe mochte wohl sehr erstaunt sein, dass hier ein Knabe zutraulich ihnen entgegenkam, anstatt von ihnen davonzurennen, wie es sonst geschah. Aber der Leutnant erkannte den kleinen Burschen sofort wieder, redete ihn freundlich an und fuehrte ihn an der Hand. Pierre verstand nicht die deutschen Worte, in denen der Offizier seinen Leuten die Bekanntschaft erklaerte und ahnte nicht, dass er sagte: "Vorsicht! Es kann eine List sein, mit der man uns in irgend einen Hinterhalt locken will. Bleibt nahe bei mir! Solange wir das Kind vorne haben, werden sie schwerlich auf uns schiessen." Nun kamen sie den Haeusern ganz nahe. "Dort ist meine Mutter," sagte Pierre und vom Haus aus sahen alle die Geaengstigten, dass Pierre den Soldaten den Weg zu ihnen wies. Pierre wollte nun vorausspringen. "Bleib bei mir, kleiner Freund," rief der Leutnant und hielt den Knaben fest. Da sah dieser betroffen auf. "Hab' keine Angst, wir tun niemand etwas, wenn sie uns nichts tun. Aber bis ich das weiss, musst du bei mir bleiben." Das kluge Buerschlein verstand sofort, wie das gemeint war. Wusste er doch selbst, dass dem Buckligen nicht zu trauen war. Der Kleine musste den grossen Offizier schuetzen. Nun waren sie am Haus. Das Kind an der Hand, trat der Leutnant ein, gefolgt von seinem Trupp. Er machte die Stubentuere auf, sah vor sich ein paar Maenner und eine ganze Anzahl Weiber und Kinder, die sofort anfingen zu schreien, wie wenn sie schon am Spiess steckten. Der Leutnant rief mit fester, lauter Kommandostimme: "Wir kommen nicht als Feinde in euer Haus. Keinem wird ein Haar gekruemmt, wenn ihr nicht feindlich gegen uns seid. Wenn aber irgend etwas gegen uns geschieht, wird sofort auf euch geschossen und die Haeuser verbrannt!" Totenstille herrschte jetzt. Da wagte doch Pierre's Mutter ein Wort: "Mein Kleiner hat uns schon gesagt, dass der Herr so gut ist und niemand wird etwas Feindseliges tun."--"Nein, niemand," betaetigte der Chor der Weiber. Aber das scharfe Auge des Offiziers hatte im Hintergrund den boesen Blick des Buckligen gesehen und--eine Pistole in seiner Hand. "Die Pistole weg oder ihr seid alle des Todes!" Die Weiber kreischten auf vor Schrecken, aber der Bucklige hatte die Pistole schon auf den Tisch gelegt und laechelnd entschuldigte er sich: "Pardon, es war nur Zufall, ich wollte nichts mit der Pistole, wirklich nicht, im Krieg hat man eben seine Waffe bei der Hand!" Der Offizier ging an den Tisch, nahm die Pistole zu sich und sagte ruhig zu dem Buckligen: "Sie werden einstweilen bei meinen Leuten bleiben, bis wir fertig sind." Ein Wink und die Soldaten fuehrten den Buckligen ab. "Haende hoch!" befahl der Offizier. Alle Anwesenden hielten die Haende hoch--keine Waffe, kein Messer zeigte sich. "Es ist gut," sagte der Offizier und liess seinen kleinen Kameraden frei. Dann erklaerte er den Leuten in freundlichem Ton, dass er gekommen sei, bei ihnen Lebensmittel einzukaufen fuer die Soldaten. Sie sollten nun alle aus ihren Haeusern bringen, was sie an Butter und Eiern, an Gemuesen, Fleisch und sonstigen Lebensmitteln irgend entbehren koennten und sollten es an den Wagen bringen. Es wuerde alles gut bezahlt werden, was sie freiwillig braechten; nur wer nichts braechte, dem wuerden seine Leute nachhelfen ohne Bezahlung. Da sprang nun wieder Pierre allen voran, zog seine Mutter mit sich und trieb sie an, sodass sie die ersten waren, die einen Korb mit Lebensmitteln brachten. Stolz war Pierre, als er sah, wie "sein" Offizier alles bar zahlte. Allmaehlich kamen aus allen Haeusern die Frauen mit Vorraeten und fuellten den Wagen. Auch aus dem Haus des Buckligen wurde viel herbeigeschleppt; denn dem war es angst und bang zwischen den Soldaten. Die hatten ihn der Bequemlichkeit wegen an den Wagen angebunden, damit sie ihn nicht immer bewachen mussten. Er aber wollte sie gut stimmen, denn er traute den Feinden nicht, so rief er seiner Schwester, die mit ihm hauste, immer zu: "Noch mehr, bringe noch dies und das!" Die leerte Kueche und Speisekammer, aber ihr allein wurde nichts bezahlt.--Der Wagen war voll. In aller Freundschaft verabschiedeten sich die Soldaten, die einen guten Trunk bekommen hatten, von den Leuten. Der Offizier sah sich den Buckligen an, er traute ihm nicht. Der konnte ihnen noch waehrend sie abzogen schaden, er mochte wohl noch eine Buechse besitzen. Er besprach sich mit seinen Soldaten. Darauf gingen zwei von diesen noch einmal in das Haus zurueck, suchten, machten da und dort eine Tuere auf und zu; was wollten sie wohl? Neugierig folgte ihnen Pierre. "Hier," riefen sie, "hieher bringt ihn!" Der Bucklige wurde hereingebracht, der Offizier folgte. Sie standen vor einer Getreidekammer ohne Fenster. "Hier nehmen Sie Platz," sagte der Offizier. Wortlos folgte der Bucklige, gluecklich, dass er nicht, wie gefuerchtet, fortgefuehrt wurde. Die Kammertuere hatte ein grosses, schweres Schloss, der Offizier schloss zu und schob den Schluessel ein. "So, Pierre," sagte er, "du kannst uns noch ins Tal hinunter begleiten und dann darfst du den Schluessel wieder heraufbringen und den Herrn wieder befreien!" Da lachte Pierre laut auf vor Vergnuegen, denn er hatte einen Grimm auf den Buckligen wegen der Pistole. Froehlich zog er mit den Soldaten hinunter. Sie setzten ihn auf den Proviantwagen, hatten ihren Spass mit ihm, und fragten sich: wie es wohl ohne diesen kleinen Franzosen abgegangen waere? Und die von oben sahen dem Zug nach und dachten: Wer weiss, ob wir nicht alle dem Kleinen unser Leben verdanken? In Gefangenschaft. Als in die Familie des Buchhaendlers Schreiber die erste Kunde vom Krieg kam, da wussten Vater und Mutter, dass ihre beiden Soehne Lutz und Wilhelm sofort mit mussten. Denn der eine stand eben beim Militaer, der andere hatte im vorigen Jahr gedient. Beide waren gesunde, kraeftige Leute; wenn die nicht ausziehen wuerden, wer dann? Darueber war also kein Zweifel! Es galt nur, so schnell wie moeglich alles zu bedenken und zuzuruesten, was die Krieger im Felde bedurften. Die Mutter war unermuedlich taetig und Anna, die 14jaehrige Schwester, half, soviel sie nur konnte; denn ihre beiden Brueder standen ihr sehr nahe, ihnen sollte nichts fehlen von allem, was sie im Krieg brauchen konnten. Auch der Vater, der sonst den ganzen Tag in seinem Geschaeft, einer grossen Buchhandlung, taetig war, kam nun gar oft herauf, um auch guten Rat zu geben und noch bei seinen Soehnen zu sein; er nannte sie immer noch "seine Buben", obwohl sie ihm beide ueber den Kopf gewachsen waren. Die tuechtigen, jungen Burschen waren sein Stolz und seine Freude. Lutz und Wilhelm waren in heller Begeisterung seit der Kriegserklaerung. Wohl wussten sie: der Krieg ist ein Unglueck; aber dass er gerade _jetzt_ ausbrach, wo sie beide mittun konnten, das war doch ein unerhoertes Glueck! Losziehen gegen die Feinde, die ringsum anstuermten, das Vaterland schuetzen, das von allen Seiten bedroht wurde, das war eine herrliche Aufgabe, keine grossartigere konnte das Leben bringen. Im ganzen Haus kam keine andere Stimmung auf als diese; fuer Vater, Mutter und Schwester gingen die Tage der Vorbereitung wie in einem grossen Begeisterungssturm dahin. Und dann wurde es ploetzlich still; der erste Abend ohne die Brueder! Die waren nun fort, in der Richtung nach Frankreich,--mehr wusste man nicht. Aber die Zurueckgebliebenen begleiteten sie in treuem Gedenken, und der Vater, der den Krieg 1870 mitgemacht hatte, erzaehlte jetzt mehr von seinen Kriegserinnerungen, als in den vier Jahrzehnten vorher. "So glaenzend wie damals wird es jetzt nicht mehr gehen," sagte er. Aber siehe da, keine acht Tage waren seit dem Ausruecken der Truppe vergangen, da verkuendete ein Telegramm des Generalquartiermeisters von Stein: _Die Festung Luettich erobert!_ Das war ein glaenzender Anfang und Wilhelm hatte auch seinen Anteil daran. Bald kam ein Brief voll Glueck und Stolz: "Ich bin in Luettich dabei gewesen und habe mitgekaempft! Ihr habt gewiss in der Zeitung gelesen von dem Riesengeschuetz, der "fleissigen Berta", womit wir so schnell die stolze Festung zu Fall gebracht haben. Ihr koennt Euch nicht vorstellen, was das fuer ein Hoellenlaerm ist, wenn unser grosser Brummer loslegt und wie der Boden wankt von der Erschuetterung. Und ist es nicht grossartig, dass niemand etwas ahnte von solchem Riesengeschuetz? Ganz im geheimen wurden sie in Krupps Fabrik angefertigt und alle Welt ist damit ueberrascht worden. Es ging aber heiss her und es waren schwere Gefechte, bis wir am 7. August als Sieger in die Stadt einziehen konnten. Dann aber war's schoen! Anna, einmal haette ich dich hergewuenscht, du haettest gelacht, wenn du gesehen haettest, wie ein paar von uns eine schwarz-weiss-rote Flagge zusammen naehten, denn es war keine bei der Hand. Wir nahmen zum schwarzen Streifen ein Stueck aus einer schnell zerschnittenen belgischen Hose, zum weissen ein Handtuch, der rote fiel etwas duenn aus, war ein halbes belgisches Halstuch. An einen abgehackten Besenstiel genagelt, gab das die Flagge, die auf dem Wall aufgepflanzt wurde. Es kann nichts Schoeneres geben, als nach hartem Kampf eine deutsche Flagge hissen!--Was wohl Lutz erlebt, wir wissen nichts voneinander. Gruesst ihn." Kaum zwei Wochen spaeter laeuteten wieder die Siegesglocken in der Stadt, und von Mund zu Mund ging's: _Grosser Sieg in Lothringen_, 10000 Franzosen gefangen, 50 Geschuetze erobert. Diesmal war es Lutz, der jubeln konnte: Ich war auch dabei! Und sein Brief zeigte, dass er den Lieben daheim das Herz nicht schwer machen wollte. Er schrieb: "Von all den Toten und Verwundeten schreibe ich nicht, Ihr werdet genug davon lesen und hoeren. Aber ich sage Euch, nichts Erhebenderes gibt es als mitzuerleben, wie so viele Tausende mit Kampfesmut ins Feuer sehen und nichts Beglueckenderes, als nach gewonnener Schlacht die Freude und den Stolz unserer Offiziere zu sehen und ihren Dank, ja den Dank von unserem obersten Kriegsherrn, von unserem Kaiser, zu hoeren. Wohin wir jetzt kommen, weiss ich nicht."-- Ja, jetzt wurde es still; eine Woche, zwei Wochen vergingen, von den beiden Bruedern kam keine Nachricht. Das war eine bange Zeit daheim! Warum schrieben sie nicht? War die Post schuld oder lagen sie irgendwo schwer verwundet oder tot? Es kamen immer neue Verlustlisten. Mit Herzklopfen wurden sie durchgelesen; das tat der Vater unten im Geschaeft. Er suchte so eifrig nach den Namen seiner Soehne und suchte doch mit der Hoffnung, sie nicht zu finden. Und wenn er die Listen durchgesehen hatte, kam er herauf ins Wohnzimmer und sagte beruhigend: Nichts gefunden. Aber eines Tages--die Mutter und Tochter waren eben beschaeftigt fuer jeden der Brueder ein Paeckchen mit warmen Socken zu packen--da trat der Vater mit der Verlustliste in der Hand herein. Die Mutter sah ihn an und wurde bleich. "Was ist's?" "Keine Todesanzeige, keine Verwundung. Aber hier; Lutz Schreiber, vermisst." Und er fuegte hinzu: "Wir brauchen uns nichts Schlimmes vorzustellen. Ihr werdet euch erinnern, dass erst kuerzlich in einem Artikel ausgefuehrt wurde, wie bei jeder Schlacht einzelne versprengt werden, von ihrer Truppe abkommen und sich einem andern Regiment anschliessen, weil sie nicht gleich die Moeglichkeit finden, zu ihrer Truppe zurueckzukehren." "Ja," sagte Anna, "bei dem Bruder meiner Freundin war es ja auch so, weisst du noch, Mutter?" Vater und Tochter hatten dasselbe Gefuehl: sie wollten der Mutter Mut machen. Sie hatte nach dem Blatt gegriffen; das zitterte aber so sehr in ihren Haenden, dass sie nicht lesen konnte. Sie legte es weg. "Setze dich, Mutter!" Anna schob ihr einen Stuhl hin; die Mutter griff nach der Hand ihres Mannes und sagte: "Bleibe noch ein wenig oben bei uns, es ist so schwer!" Und wie in der ersten Stunde, so hielten die drei zusammen in den langen, schweren Zeiten der Ungewissheit, die nun folgte. Gegenseitig machten sie sich Mut und trugen in Geduld die Sorge. Dann kam wieder ein Lichtstrahl, eine Karte von Wilhelm: "Wochenlang habe ich nichts von euch gehoert, ihr wohl auch nicht von mir? Die Post hat versagt. Aber heute: sechs Paketchen und Briefe von euch und dazu vier gewaltige Kisten voll Liebesgaben fuer unser Regiment. Warme, saubere Hemden! Ihr wisst nicht, was das fuer eine Wonne ist! Ich und fuenf Kameraden steckten seit vierzehn Tagen in feinen, weissen, spitzenbesetzten Damenhemden; die fanden wir in einer halb abgebrannten Villa eines verwuesteten Dorfes und zogen sie an, weil unser Zeug in Lumpen war. Jetzt schwelgen wir in warmer Unterwaesche, in Zigarren und Wuersten und sagen tausend Dank fuer alle Liebesgaben. Was wisst ihr von Lutz?" Die Wochen vergingen. Wieder kam der Vater mitten am Nachmittag herauf; er hatte einen Brief in der Hand. "Von Lutz," sagte er; aber es klang nicht froehlich, und auf die gespannten, fragenden Blicke von Frau und Tochter antwortete er: "Er ist gesund, aber gefangen ist er!"--"Also doch, o Gott, gefangen!" rief die Mutter.--"Aber er lebt doch und ist gesund," troestete Anna; "bitte, Vater, lies seinen Brief vor!" "Ja, es steht nicht viel darin; jedenfalls werden die Briefe gelesen und deshalb ist er in einem unnatuerlich gezwungenen Ton geschrieben; manches ist wunderlich." Er las vor: "Liebe Eltern! Ich bin gefangen in Frankreich; man sagt uns nicht wo. Ich habe ueber nichts zu klagen und bin gesund. Schreibt mir an die Adresse, die aussen auf dem Brief angegeben sein wird. Ich wuesste so gern, wie es Euch und Wilhelm geht. Es ist hier eine schoene Gegend und waermer als bei uns. Ich gruesse Euch alle. Meine liebe Schwester Anna soll Pater Renatus, Onkel Valentin, Exzellenz Neuburg und Christine Ebner, mein Liebchen, von mir gruessen. Hebt auch fuer meine Markensammlung die franzoesischen Marken gut auf. Euer treuer Sohn und Bruder Lutz." Sie sahen sich alle drei betroffen an. "Der Brief ist gar nicht von Lutz!" rief Anna. "Die Leute, die wir gruessen sollen, kennen wir ja gar nicht. Einen Pater, einen Onkel Valentin, die Exzellenz."--"Ja, es ist ganz wunderlich; und wie sollte Lutz so ganz gewoehnliche Marken fuer seine Sammlung wollen. Es sind vier Fuenfcentimes-Marken."--"Aber doch fragt er nach Wilhelm, und es ist ja seine Schrift, seht nur, darueber kann doch kein Zweifel sein." "Dann ist er verwirrt im Kopf, fieberkrank vielleicht." Sie schwiegen alle drei und gruebelten ueber den merkwuerdigen Brief. Da leuchtete es ploetzlich in Annas Gesicht auf: "Darf ich den Umschlag haben, Vater? Ich moechte die Marken abloesen." "Warum?" "Er moechte sie doch haben!"--"Da nimm!" Mit grosser Vorsicht befeuchtete Anna den Umschlag mit Wasser. Die Marken fingen an sich zu loesen, behutsam hob sie ein Eckchen und sah darunter. "Da steht etwas geschrieben," rief sie, "ich habe mir's doch gedacht!"--"Nur sachte, sachte!" Alle drei waren in hoechster Spannung, bis die vier Marken gluecklich geloest waren. Es kamen Worte zum Vorschein, in winzigen Buchstaben mit spitzem Bleistift geschrieben, und sie entzifferten folgendes: Duerfen die Wahrheit nicht schreiben. Behandlung schlecht, aber wir sind gesund, halten es gut aus. Sorgt Euch nicht, wir leiden fuers Vaterland, dem Gott den Sieg geben wird. Froehliches Wiedersehen im Frieden. Ja, aus diesen Worten erkannten sie ihren tapfern Sohn und Bruder wieder! Immer aufs neue lasen sie das winzige Brieflein und waren tief bewegt. "Bitte Vater, gib mir den andern Brief, sagte ploetzlich Anna lebhaft, ich glaube, ich bringe auch da noch einen Sinn heraus. Er schreibt ja, ich soll seine Gruesse ausrichten. Warum soll gerade ich den Onkel Valentin und die andern Herrschaften gruessen, die doch gar nicht existieren? Das bedeutet etwas. Die Brueder und ich haben ja frueher zum Spass oft Geheimschriften betrieben. Ich werde schon etwas herausbringen!" Da sass sie nun eine Weile mit Bleistift und Papier, sann nach ueber die geheimnisvollen Namen und endlich kam sie darauf, die Anfangsbuchstaben zusammenzusetzen von _P_ater _R_enatus, _O_nkel _V_alentin, _E_xcellenz _N_euburg, _C_hristine _E_bner, und diese Buchstaben zusammen ergaben das Wort: Provence. "In der Provence ist er," rief sie triumphierend und sie lachte froehlich, wie in der gluecklichen Zeit, wo sie mit den Bruedern ihren Spass gehabt hatte. "Mutter," sagte sie, "du darfst dich nicht zu arg bekuemmern um Lutz, der ist noch ganz fidel; er haette doch ebensogut einfache Namen waehlen koennen. Aber das hat ihm nun gerade Spass gemacht, und ich kann mir denken, wie er gelacht hat ueber den Pater, die Excellenz und gar ueber das Liebchen, Christine. Ich werde ihm auch einen schlauen Brief schreiben, mit dem soll er sich die Zeit vertreiben." So kam es, dass Eltern und Schwester, trotzdem sie Lutz in der Gefangenschaft wussten, doch getroster waren, als in den vorhergegangenen Wochen der Unsicherheit. Sie wussten nun doch, wo sie mit ihren treuen Gedanken den Sohn zu suchen hatten, und wenn er auch schlecht behandelt wurde, er nahm es ja tapfer auf. Auch sie wollten tapfer bleiben; manchem, der fuers Vaterland in den Krieg zieht, faellt dies traurige Los. Keiner darf sagen: alles nur dies nicht! Nein, was da kommt, moechte es auch das Schwerste sein, willig muss es ertragen werden. Einige Tage nach dem Eintreffen dieses Briefes kam in die Stadt ein grosser Transport von franzoesischen Gefangenen. Eine Menge Menschen lief, sich diese anzusehen, als sie vom Bahnhof durch die Stadt hinausgefuehrt wurden auf den Schiessberg, wo grosse hoelzerne Baracken fuer sie errichtet und mit starkem Stacheldraht umzaeunt waren. Aber aus der Familie Schreiber mochte niemand hinausgehen, die Gefangenen zu sehen. Es war ihnen zu traurig, sie mussten dabei zu schmerzlich an ihren Gefangenen in Frankreich denken. Es lockte sie nicht, die Waffenlosen zu sehen, die mit gesenktem Kopf an der gaffenden Menge vorbeizogen, und auch die nicht, die frech oder hasserfuellt mit feindlichen Blicken nach den Deutschen sahen. Dennoch beschaeftigten sich die Gedanken des Buchhaendlers immer mit den Gefangenen und ganz im stillen reifte in ihm ein Plan. Aber er konnte sich nicht entschliessen, davon zu sprechen; denn es war etwas, das seiner Frau sehr schwer fallen wuerde, und sie hatte doch schon so viel zu tragen. Eines Abends kamen sie miteinander aus der Kirche. Ein Kriegsgottesdienst war gehalten worden und die mahnenden Worte klangen in ihnen noch nach: "_Helfen_, wo wir irgend helfen koennen, _tragen_, was immer uns auferlegt sein mag." Da fand Herr Schreiber den Mut, seiner Frau den Plan mitzuteilen; und er sprach zu ihr, waehrend er sie am Arm durch die dunkelnden Strassen fuehrte: "Pauline, wenn du noch etwas mehr _tragen_ willst zu allem, was dir schon auferlegt ist, so koennte ich noch etwas _helfen_." Auch sie war noch erfuellt von dem, was sie eben im Gottesdienst gehoert hatte. "Natuerlich tragen wir und helfen wir so viel wir irgend koennen. Was meinst du?"--"Ich habe mich erkundigt, ob man mich trotz meiner Jahre noch brauchen koennte zur Aufsicht bei gefangenen Offizieren. Und ich bekam den Bescheid, dass dies bei meiner frueheren militaerischen Stellung wohl sein koennte und dass meine gute Kenntnis der franzoesischen Sprache hierfuer wertvoll waere. So wuerden sie mich also wieder in Uniform stecken und auf irgend einer Festung anstellen. Also muesstest du auch deinen Mann noch hergeben." "Koenntest du nicht bei den hiesigen Gefangenen sein?" "Hier sind keine Offiziere und das, was ich erstrebe, kann ich am ersten bei Offizieren erreichen. Sieh, meine Hoffnung ist, dass ich mit meinem Dienst bei franzoesischen Gefangenen den deutschen Gefangenen dienen kann. Unter den franzoesischen Offizieren ist eine ganze Anzahl, die in ihrem Land eine hohe Stellung einnehmen und deshalb Einfluss ausueben, sogar waehrend der Gefangenschaft durch ihre Briefe und Beziehungen. Gelingt es mir, diesen Offizieren Achtung einzufloessen durch gerechte Behandlung und ihnen ein besseres Verstaendnis fuer deutsche Art beizubringen, so koennte das guten Einfluss ausueben auf die Behandlung unserer Gefangenen in Feindesland. Wer kann sagen, das sei unmoeglich?" "Ich nicht, ich gewiss nicht. Nur denke ich, bei uns behandelt jedermann die Gefangenen gut." "Gut, was heisst gut? Neulich erzaehlte mir jemand, dass elf franzoesische gefangene Offiziere, denen Schweinebraten und Sauerkraut vorgesetzt worden waren, diese Speise, die ihnen nicht behagte, mitsamt den Tellern unter die Bank geworfen haben. Diese Gefangenen waren zu gut behandelt worden, sonst haetten sie sich solche Frechheit nicht erlaubt. Zu gut ist aber nicht mehr gut, zu gut ist schlecht, macht uns laecherlich und veraechtlich in den Augen der Feinde. Nur wer streng ist und mit festem Charakter auftritt, kann _die_ Guete zeigen, die nicht missbraucht wird." Da erwiderte seine Frau nachdenklich: "Ja, ich glaube, dass dir das gelingen wuerde; du koenntest da Gutes wirken. Du _koenntest_ nicht, du kannst. Wenn du mich fragst, ich halte dich nicht zurueck, zu helfen, ich will die Trennung tragen." "An der tragen wir beide gleich schwer," sagte der Mann und fuehlte, wie weh ihm der Abschied tun wuerde, den er doch freiwillig auf sich nahm. Schon nach kurzer Frist kam die Einberufung, kam die Trennung und die grosse Stille im Haus. Aber an dem Abend, da Mutter und Tochter zum ersten Male zu zweien am Tisch sassen und ihre Vereinsamung so recht schmerzlich empfanden, traf ein Telegramm ein von Wilhelm. Es lautete: "Komme morgen mit ganz leichter Verwundung einige Wochen heim." Ja, eine schwere Zeit, aber eine Zeit voll Ueberraschungen ist der Krieg! Der junge Professor Als das neue Schuljahr begann, hatten wenige von den Schuelern und auch wenige von den Lehrern Freude daran. Waehrend der Ferien war der Krieg ausgebrochen; seitdem mochte man nichts hoeren, nichts reden, nichts lesen als vom Krieg; und nun sollte wieder Schule gehalten werden, wie wenn es gar keinen Krieg gaebe! Einer aber freute sich doch darueber. Das war der junge Lateinschullehrer Jahn. Er lebte mit seinen alten Eltern zusammen, war ihr einziger, geliebter Sohn, und die drei verstanden sich praechtig. Aber still war es in diesem Heim, und so freute sich der junge Mann immer schon am Ende der Ferien auf die Zeit, bis er wieder seine Jungen in der Klasse um sich hatte. In diesem Jahr ganz besonders. Mit ihnen zusammen wollte er die grossen Kaempfe durchleben und sich ueber die deutschen Siege freuen, mit ihnen, den kuenftigen Soldaten Deutschlands! Er selbst waere ja so gerne gleich mit hinausgezogen ins Feld! Aber bis jetzt war er noch nicht einberufen, und die Eltern waren gluecklich, dass ihnen ihr Einziger blieb. So sprach er nicht viel davon, wie es ihn draengte, mit ins Feld zu ziehen. Er sagte sich: Vielleicht kannst du auch unter deinen Jungen etwas fuers Vaterland wirken. Er wusste noch nicht auf welche Weise; aber die warme Liebe, in der sein Herz fuers Vaterland gluehte, die musste doch auch die Herzen der Jungen erwaermen. Der erste Schultag kam. Im Gymnasium war vieles veraendert. Mehrere Lehrer fehlten; sie waren einberufen worden. Die Klasszimmer waren anders eingeteilt; denn man hatte Platz machen muessen fuer einige Klassen Volksschueler. Das grosse, neue Volksschulgebaeude, das nahe dem Gymnasium lag, war als Lazarett fuer Verwundete eingerichtet und die Schueler mussten in andere Schulen verteilt werden. Solch eine Klasse Volksschueler war auf demselben Stock und gerade gegenueber dem Klassenzimmer untergebracht, in dem nun Professor Jahn seine Schueler wiederfand. Es waren Jungen im Alter von 11-12 Jahren, die er schon im Vorjahr gehabt hatte. Frisch und gesund sahen sie fast alle aus nach der Ferienzeit und lebhafter als frueher blickten sie aus den Augen, hatten sie doch alle so Grosses erlebt. Erwartungsvoll schauten sie nun ihren Lehrer an; der wuerde gewiss etwas ueber den Krieg sagen; oder sollte er doch gleich mit dem Latein anfangen? Bewahre! Das konnte er nicht. Er redete mit seinen Schuelern ueber das, was das deutsche Vaterland in den letzten Wochen erlebt hatte. Er wollte auch wissen, ob es ihnen allen ganz klar sei, dass wir ohne Schuld zu diesem furchtbaren Krieg gezwungen wurden. Dann fragte er nach den Feinden und sie riefen durcheinander: Russen, Franzosen, Serben, Englaender, Belgier, Japaner, Montenegriner.--Und unsere Freunde? Da schallte das einzige Wort durch die Klasse: Oesterreich! "Ja, so viele Feinde und nur einen Freund! Da haben wir armen Deutschen wohl auch noch gar keinen Sieg erfochten? Oder wisst ihr einen zu nennen?" Da bruellten sie durcheinander: "In Lothringen, Luettich, in Ostpreussen, Namur, Maubeuge, Bruessel!" Einer rief: "Paris!" "Halt, halt, soweit sind wir noch nicht!" "Aber soviel wie besiegt ist's!" "Aber doch nicht besiegt. Nur kein Wort mehr sagen, als wahr ist! Ueber was beschweren wir uns denn so sehr bei unseren Feinden, wer weiss es?" "Ueber die Grausamkeit," rief einer. "Ja, ich meine aber etwas anderes." "Ueber das, dass sie gegen uns Krieg fuehren," meinte ein kindliches Buerschlein. "Ja freilich, aber das tun die Feinde meistens. Ich meine etwas, das mir eingefallen ist, weil einer von euch schon Paris gerufen hat." Jetzt kam es vielen zumal: "Ueber die Luegen." "Jawohl, sie luegen. Pfui, das wollen wir ihnen nicht nachmachen; und wer sonst manchmal uebertrieben oder geschwindelt hat, der soll sich's in diesem Krieg abgewoehnen. Wer ein ehrlicher Deutscher ist, der sagt nicht mehr als die Wahrheit." Ploetzlich unterbrach sich der Lehrer: "Kinder, es ist schon halb neun Uhr, schnell die Buecher her! Um zehn Uhr sprechen wir weiter. Ich moechte von euch allen wissen, ob jemand aus euer Familie im Krieg ist. Das erzaehlt ihr mir dann. Jetzt muss gelernt werden und zwar fest. Stramm an die Pflicht wie unsere Soldaten!" Es war heute ein guter Geist in der Klasse, fast ein militaerischer; etwas vom Krieg war hereingeweht. Um zehn Uhr wurde Professor Jahn zum Rektor gebeten, so konnte er nicht bei seinen Schuelern bleiben. Als er nach der Pause zurueckkam und ueber den grossen Vorraum ging, in dem sich sonst seine Klasse tummelte, traf er dort nur die Knaben der Volksschule, keinen einzigen seiner Schueler. "Seid ihr die ganze Zeit ueber im Schulzimmer geblieben?" fragte er, als er wieder in seine Klasse trat. Erwin Planck, ein frischer Bursche, der oft den Sprecher fuer die Klasse machte, gab auch jetzt aufrichtige Antwort: "Draussen ist ein ganzer Haufen Volksschueler; da koennen wir nicht hinaus. Wir haben oft Haendel mit ihnen gehabt, wenn wir an ihrer Schule vorbeigekommen sind."--"Die gehoeren auch nicht herein ins Gymnasium!" Der ganze Schuelerchor stimmte zu. Der junge Lehrer dachte daran, wie soeben der Rektor darueber gesprochen hatte, es werde schwierig sein, dass sich die Schueler der verschiedenen Anstalten gut miteinander vertragen. Er hatte recht gehabt. "Vielleicht laesst es sich so einrichten, dass auf unser Stockwerk keine Volksschulklasse kommt," entgegnete er, "ich werde noch mit dem Herrn Rektor darueber sprechen." Die Arbeit begann nun wieder, aber dem jungen Lehrer gingen allerlei Gedanken durch den Kopf und eine halbe Stunde vor Schulschluss hielt er es nicht mehr aus. "Macht eure Buecher zu," rief er, "ich will das schon verantworten vor dem Herrn Rektor. Wir muessen uns doch erst miteinander aussprechen. Wir gehoeren zusammen, haben das letzte friedliche Schuljahr miteinander verbracht und wollen auch diese Kriegszeit zusammen erleben. Das ist aber nicht ein Krieg, der uns so fern steht wie die andern Kriege, die wir ganz kuehl in der Geschichtsstunde durchnehmen; das ist ein Krieg, der uns allen zu Herzen geht und in unsere Haeuser, in unser Leben eindringt; hat er ja doch bis in unser Schulhaus herein seine Wirkung gezeigt. So duerfen wir uns auch die Zeit goennen, miteinander davon zu reden. Einer ist unter uns, der hat schon seinen Vater verloren. Helmut Hartmann, nicht wahr, dein Vater ist als Offizier in der Schlacht bei Luneville gefallen? Du tust mir herzlich leid; aber einen schoeneren, ehrenvolleren Tod als den im siegreichen Kampf gibt es nicht. Ich fordere euch, ihr Kameraden von Helmut Hartmann, auf, dass ihr alle aufsteht, um eurem Mitschueler die Teilnahme und seinem Vater die Ehre zu erweisen!" Da erhoben sich alle und standen lautlos still; Helmut aber war tief bewegt von der Ehrung. "Nun sage uns doch, Helmut, habt ihr Naeheres gehoert ueber den Tod deines Vaters?" "Ja," antwortete dieser, nahm sich fest zusammen und stand stramm, wie er's wohl von klein auf bei den Offiziersburschen gesehen hatte, die seinem Vater etwas zu melden hatten. "Ja, wir haben gehoert, dass mein Vater im Gefecht von einem Schrapnell getroffen und am linken Arm verwundet wurde. Ein Soldat, der hinter ihm stand, sah, wie er blutete, mein Vater achtete in der Hitze des Gefechtes nicht darauf und drang mit seiner Truppe weiter auf den Feind ein. Da traf ihn wieder ein Geschoss, diesmal an den Kopf. Er stuerzte, war aber nicht tot. Soldaten hoben ihn auf und trugen ihn beiseite hinter ein Gebuesch, dass ihn der Feind nicht saehe, und legten ihm einen Notverband an. Dann mussten sie wieder ins Gefecht, das sich noch eine Stunde weiter hinzog, und es wurde Nacht, bis der Feind zurueckgedraengt und geschlagen war. Man konnte die vielen Verwundeten in der stockfinstern Regennacht nicht mehr heimholen; aber die zwei Soldaten, die meinen Vater geborgen hatten, gewannen noch zwei aus ihrer Truppe, dass sie doch noch miteinander auszogen, ihren Offizier zu suchen, obwohl es fast unmoeglich schien in dem fremden Gelaende und in der finsteren Nacht. Aber sie fanden ihn, und er lebte noch und dankte ihnen, dass sie zu ihm gekommen waren. Sie gaben ihm Wein, legten ihn auf einen Mantel und trugen ihn sorgsam bis in das Dorf, in dem ein Feldlazarett aufschlagen war. Dort wurde er verbunden, dort hat er auch noch erfahren, dass die Schlacht gewonnen war, und hat uns Gruesse schreiben lassen.--Am Tag darnach ist er gestorben. Vor seinem Tod hat er gesagt: 'Lasst mich auf dem Schlachtfeld begraben.' Seine Soldaten haben ein Grab geschaufelt und Ehrensalven darueber abgegeben. Aus zwei Latten haben sie, ehe sie weiter ziehen mussten, ein Kreuz gemacht und haben das Grab mit Feldblumen bestreut." Der tapfere Offizierssohn hatte mit klarer Stimme vom Tode seines Vaters berichtet. Sein Lehrer war ergriffen. "So liegt er auf dem Schlachtfeld begraben," sagte er, "das ist das ehrenvollste Soldatengrab. Habt ihr gelesen, was man nach dem Tode des Prinzen Ernst Ludwig von Meiningen in seinem Feldnotizbuch aufgezeichnet fand? 'Wenn ich auf dem Feld der Ehre fuer Deutschlands Groesse fallen sollte, so begrabt mich nicht in meiner Fuerstengruft, sondern scharrt mich in das Grab meiner tapferen Kameraden ein. Gruesst mir meinen Kaiser.'--Seht, so schreibt ein Fuerst. So mag sich auch jeder Sohn, jede Frau, jede Mutter troesten, wenn ihr gefallener Held nicht auf dem heimischen Friedhof ruht. "Nun aber moechte ich euch auch etwas zu bedenken geben. Wer hat denn diesem tapferen Offizier, von dessen Tod wir gerade gehoert haben, den letzten Liebesdienst erwiesen? Wer hat ihn aus dem Gefecht getragen? Wer hat ihn nach stundenlangen Kaempfen, selbst todmuede und durchnaesst noch nachts gesucht, gestaerkt, getragen und den Sterbenden auf ein Ruhebett gebracht? Das waren gemeine Soldaten. Kinder, das waren vielleicht alle einmal Volksschueler. In der Schlacht, im fuerchterlichsten Ernst des Lebens, da erkennt man, wie nichtig diese Klassenunterschiede sind. Und nun moechte ich euch fragen: wollt ihr nicht das in dieser Kriegszeit beweisen, dass wir Deutsche alle Brueder sind, alle zusammen gehoeren, reich und arm, vornehm und gering, Lateinschueler und Volksschueler! Unser Kaiser hat gesagt: 'Nun kenne ich keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche.' Wollt ihr sagen: 'Wir kennen keinen Klassenunterschied mehr, nur deutsche Kameraden?'" "Ja, bei Gott, das wollen wir." Helmut, der Offizierssohn, hatte das gerufen, und das "ja" ging durch die ganze Klasse. Am Abend dieses ersten Schultags suchte Professor Jahn den Volksschullehrer auf, dessen Klassenzimmer dem seinigen gegenueber lag. Er sprach mit diesem Lehrer, der schon ein aelterer, erfahrener Mann und Oberlehrer der Volkschule war. Die beiden Herren verstanden sich gut. Am naechsten Morgen, vor der Pause, redete der Oberlehrer seine Volksschueler an: "Haltet Frieden mit den Lateinschuelern, die alberne Feindschaft verbitte ich mir. Wenn draussen Krieg ist, muss im Land Frieden sein, auch unter den Buben. Verstanden?" Einer gab Antwort: "Die wollen gar nichts von uns, die sind hochmuetig."--"Ja manche, aber nicht alle; und ihr seid neidisch--auch nur manche, nicht alle. Da tut mir die Wahl weh, was schlimmer ist. Aber den Hochmuetigen vergeht der Hochmut im Krieg und den Neidischen der Neid; weil sie alle zusammen _eine_ grosse Aufgabe haben und nur _einen_ Wunsch: dass wir siegen. Siegen koennen wir nur, wenn wir alle einig sind. Und siegen muessen wir doch oder nicht?"--"Ja, ja!" das kam allen aus dem Herzen. Um zehn Uhr, waehrend der Pause, kam die ganze Klasse von Professor Jahn auf den Vorplatz, in dem sich schon die Volksschueler des gegenueber liegenden Zimmers aufhielten. Heute kam auch der Oberlehrer und Professor Jahn dazu. Die beiden Herrn traten am Ende des geraeumigen Ganges zusammen und standen schon eine Weile plaudernd unter dem Fenster. Nun kamen sie zu den Knaben, die zwar friedlich, aber doch fremd einander gegenueberstanden. Der Oberlehrer redete sie an: "Wahrscheinlich sind an der Post wieder neue Telegramme angeschlagen. Herr Professor Jahn und ich wollen jeden Tag um zehn Uhr zwei von euch abschicken, dass sie nachschauen und dann berichten." Darauf erfolgte ein grosses Hallo, natuerlich waeren am liebsten alle davon gesprungen, Volksschueler und Lateinschueler, die einen so gut wie die andern. "Herr Professor, schicken Sie mich," baten alle Gymnasiasten und umdraengten ihren Lehrer. "Ihr kommt alle an die Reihe, habt keine Angst, der Krieg geht nicht so schnell zu Ende. Wir nehmen zuerst solche, die ihren Vater oder ihre Brueder im Feld stehen haben, die haben den Vorzug." Noch ehe er weiterreden konnte, rief ein kleines Buerschlein: "Ich, Herr Professor, ich, meine drei Brueder sind im Feld!" Jetzt liess sich ein Volksschueler vernehmen: "Von mir vier Brueder!" Dagegen konnten die andern nicht aufkommen; der Lateinschueler und der Volksschueler sprangen also miteinander davon.--Die zwei Klassen waren in dem Gedraenge durcheinander gekommen und jetzt sprachen sie zusammen ueber die Brueder und wo sie standen; ueber die Vaeter, und dass die Briefe so lange ausblieben. Da fand es sich, dass einer von der Volksschule und einer von dem Lateinschule ihre Brueder in dem gleichen Bataillon hatten, und dass sie in den Vogesen gekaempft hatten. Nun lagen sie beide schwer verwundet in dem gleichen Feldlazarett; der eine hatte sechs Wunden, der andere hatte ein Bein verloren. Daraufhin kamen alle ueberein, dass diese beiden morgen miteinander nach den Telegrammen laufen duerften. Die zwei Klassen verstanden sich immer besser. Einmal als die beiden Abgesandten die Nachricht von dem Fall der Festung Antwerpen brachten, gab Professor Jahn ein kleines Fest. Er lud aus beiden Klassen die Schueler zu sich, deren Angehoerige in Belgien fochten. Es waren ihrer acht, die sich nicht wenig darueber freuten. Sie wurden bewirtet von der freundlichen Mutter des Professors und erzaehlten aus den Feldpostbriefen ihrer Angehoerigen. Und wieder gab es fuer einen Teil der Schueler ein kleines Fest, als ein Telegramm von neuen Heldentaten der tapferen "Emden" berichtete; diesmal waren solche geladen, die Verwandte bei der Marine hatten. Einer derselben, ein Volksschueler war es, war selbst schon in Kiel gewesen, hatte die grossen deutschen Kriegsschiffe gesehen und wusste es schon ganz gewiss, dass es einmal wie sein Kieler Vetter, zur Marine gehen werde. Auf ein Unterseeboot wollte er und dann so kuehne Unternehmungen mitmachen wie die Mannschaft von _U 9_, von deren Heldenmut alle Zeitungen voll waren. Aber einmal hielten die beiden Lehrer eine Trauerfeier. Eine grosse Verlustliste war herausgekommen, aus der mehrere Schueler den Tod ihrer Angehoerigen erfahren hatten. Unter diesen war auch der Volksschueler, der vier Brueder im Feld gehabt hatte; drei waren in _einer_ Woche gefallen. Der Oberlehrer sprach von den herben Verlusten und schilderte die schweren Kaempfe. Da war grosse Teilnahme in allen Herzen. Professor Jahn sagte am Schluss der kleinen Trauerfeier: Besser als ich's vermoechte spricht ein Gedicht aus, was uns bei dieser langen Reihe von Todesanzeigen bewegt. Ein Freund von mir, ein junger Pfarrer, hat es gemacht. Ihm ist der Tod so vieler Tapferen tief zu Herzen gegangen. Ich moechte es euch vorlesen und will es jedem von euch, der in Trauer gekommen ist, abschreiben und mit heimgehen.--Er las das Lied vor: Die Toten. Herr Gott, nun schliess den Himmel auf, Es kommen die Toten, die Toten zuhauf, Aus schwerem Kampf, aus blut'gem Krieg, Reich' ihnen den Lorbeer und ewigen Sieg! Wir koennen sie nicht mehr schmuecken, Nicht mehr die Haende druecken Den vielen, vielen Scharen, Die unsre Brueder waren. Herr Gott, nun trockne selber du Die Traenen im Aug', gib Fried' und Ruh' Dem wunden Herzen, dem stillen Haus, Fuehr alles Dunkle zum Licht hinaus. Dieweil wir Eltern und Frauen In zuckender Wehmut schauen Die vielen, vielen Scharen, Die unsre Brueder waren. Herr Gott, nun segne dem deutschen Land Seinen gefallenen Heldenstand Gib _allen_ freudigen Opfergeist, Der auch im _Frieden_ sich stark erweist, Weil doch ihr herrliches Leben Fuer uns zum Opfer gegeben Die vielen, vielen Scharen, Die unsre Brueder waren. _Georg Merkel._ Zwei Wochen spaeter an einem Montag frueh, als die Schueler von Professor Jahn in ihre Klasse kamen, stand da ein fremder Lehrer. Professor Jahn war einberufen worden. Und wieder nach kurzer Frist hoerten die Schueler, dass ihr geliebter Professor auf dem Schlachtfeld von Ypern gefallen und begraben sei. Am Tag darnach sprach der Oberlehrer in der Pause die Klasse der Lateinschueler an und sagte: "Die Eltern von Professor Jahn haben mir erzaehlt, dass er kurz vor seinem Tode in sein Notizbuch schrieb: 'Gruesst mir meine Buben!' Ihr habt einen edlen Lehrer gehabt, bleibt ihm treu; denn wie es in seinem Lieblingsgedicht steht, auch er hat 'sein herrliches Leben fuer uns zum Opfer gegeben!'" Allerlei Kriegsbilder nach Briefen und Zeitungen. Der Turmbau zu Babel. Zwei Offiziere der Kavallerie ritten zusammen und besprachen sich ueber das Voelkergemisch, das gegen uns in den Krieg zieht, ueber die Neger, die Inder, Turkos und Japaner, die mit Franzosen, Belgiern, Englaendern und Russen vermischt uns angreifen, und einer sprach den Zweifel aus, ob wir auch wirklich ueber all' diese Herren Herr wuerden. Der andere sagte: "Gerade das Voelkergemisch gibt mir die Zuversicht, dass wir siegen werden, denn das ist schon in der Bibel beim Turmbau von Babel zu finden. Im naechsten Quartiere werde ich mir eine Bibel verschaffen und vorlesen, was da steht." Sie waren noch keine 50 Meter weitergeritten, so sah der Offizier auf der Strasse, von einem Huf in den Schmutz getreten, ein Buch. Er liess es sich von einem Radfahrer geben: es war eine Bibel. Nun konnte er seinem Kameraden sofort die Stelle ueber den Turmbau zu Babel, 1. Mose 11, vorlesen. So kam der eine der Offiziere zu einer Kriegsbibel, der andere zu der beruhigenden Ueberzeugung, dass das Sprachgewirre den Feinden zum Schaden gereichen werde. Erbprinz Luitpold. Im Monat August durchbrauste ganz Deutschland die frohe Kunde von dem glaenzenden Sieg, den der bayrische Kronprinz Rupprecht mit seiner tapferen Armee in Lothringen errungen hatte. Von nah und fern jubelte man dem Sieger zu und wuenschte ihm aus dankbarem Herzen alles Gute. Aber mitten in diese Glueckwuensche traf den Kronprinzen die Botschaft eines schweren Ungluecks. Sein aeltester Sohn, der Erbprinz Luitpold, erkrankte an einer Halsentzuendung und starb fern vom Vater, in Berchtesgaden. Tief erschuettert war der Kronprinz von der Trauerkunde; aber er gab sich nicht dem Schmerz hin, sondern sprach die tapfern Worte: "Jetzt ist nicht Zeit zu trauern, es gilt zu handeln." Die Teilnahme am Tod des jungen Prinzen war ganz allgemein. Man kannte in Muenchen Prinz Luitpold wohl. Er besuchte das Gymnasium und wollte dort keinen Vorzug vor anderen Schuelern haben. Wenn ihn ein Lehrer mit "Koenigliche Hoheit" oder ein Schueler mit "Sie" anredete, so verbat er sich dies und verkehrte ganz kameradschaftlich mit den Klassengenossen. Als er zum Sommeraufenthalt in Berchtesgaden weilte, fehlte es dort--wie ueberall--in der Kriegszeit an Erntearbeitern; und es erging an die Jugend die Bitte, zu helfen und die Maenner auf dem Feld zu ersetzen. Prinz Luitpold war sogleich bereit, dem Ruf zu folgen und half tapfer mit bei der schweren Feldarbeit. Die Erinnerung daran ist in dem folgenden Gedicht festgehalten: Auch ein junger Koenigsprosse, Dem der Sinn nach "Dienen" stand, Steigt von seiner Vaeter Schlosse, Bietet freudig seine Hand. Zu der ungewohnten Muehe Auf dem Feld im Sonnenbrand, Gleich den Andern spaet und fruehe, Tapfer in der Reih' er stand. Schweigend schau'n die Berge nieder, Dunkel liegt der Koenigssee, Nirgends toenen frohe Lieder, Auf der Welt rings lastet Weh. Zarter, lieber Koenigsknabe, Banges Ahnen fasst mich an, Dass du dort zu deinem Grabe Selbst den Spatenstich getan! Denn indes dein Heldenvater Sieg auf Sieg der Welt verschafft, Hat dich kleinen Erntehelfer Schnitter Tod hinweggerafft. Mag des Helden Herz erschauern, Da von fern dies Wort er spricht: "Jetzt ist nicht Zeit zu trauern, Handeln heischt allein die Pflicht!" Doch indes er weiter lenken Muss das Schicksal der Armee, Sehnend wird er heimwaerts denken, Manche Nacht in tiefen Weh: Deine Mutter musst ich geben Laengst der Erde schon zurueck, Doch sie liess von ihrem Leben Mir in dir ein koestlich Stueck. Nun auch dieses hingeschwunden, Auf, mein Schwert! Fest fass' ich dich! Ringsum bluten tausend wunden-- _Eine_ weiss ich, die traf _mich_. _Johanna Klemm_ Kein Standesunterschied. Eine Berliner Zeitung hat eine grosse Menge Liebesgaben gesammelt und sie dann durch ihren Vertreter an eines unserer Regimenter bringen lassen, das dicht am Feind stand. Als er einem jeden gegeben hatte, was er sich ausgebeten hatte, trat ein Soldat an ihn heran, der eben zwei Eimer voll Wasser herbeigeschleppt hatte. "Haben Sie vielleicht noch ein Hemd uebrig?" fragte er bescheiden, "ich habe seit vier Wochen keines bekommen koennen."--"Ja, hier haben Sie ein Hemd," entgegnete der Verteiler, sah sich dabei den Soldaten genauer an und erkannte in dem Mann, der ihn um ein Hemd bat, einen Universitaetsprofessor. Bei St. Quentin wurden an einem Tag eine ganze Menge Verwundete in ein Lazarett gebracht, das von deutschen Schwestern versorgt wurde. Es gab viel Krankenbetten zu richten, Strohkissen zu fuellen, Matratzen zu tragen und dergl. Ein Verwundeter bemerkt zwei Soldaten in einer ihm unbekannten Uniform; sie fielen ihm durch die liebenswuerdige Art auf, mit der sie den Schwestern halfen, ueberall anpackten und fuer die Verwundeten Karten schrieben. "Was sind das fuer Kameraden?" fragte er. "Das sind unseres Kaisers Soehne, die uns heute besucht haben, Prinz Adalbert und Prinz August." Der Hornist. Eine feine List gelang einem wuerttembergischen Hornisten. Sein Regiment stand im Gefecht mit franzoesischer Infanterie und geriet in bedraengte Lage durch die Ueberzahl der Feinde. Der Hornist erkannte die Gefahr. Rasch entschlossen blies er das franzoesische Rueckzugssignal. Die Franzosen liessen sich taeuschen, folgten dem Signal und machten Kehrt. Der Hornist wurde mit dem eisernen Kreuz ausgezeichnet. Der Lokomotivfuehrer. Ein oesterreichischer Lokomotivfuehrer hatte einen Eisenbahnzug mit Schiessvorrat zu befoerdern. Die russische Artillerie hatte Nachricht davon bekommen und beschoss den Zug. Obwohl sie weit entfernt war, schlugen doch die Kugeln in unmittelbarer Naehe des Zuges ein und seine wertvolle Ladung war aeusserst gefaehrdet. Da kam dem Lokomotivfuehrer ein guter Gedanke. Als wieder ein Geschoss in naechster Naehe platzte, oeffnete er rasch den Dampfhahn, so dass der Dampf mit Gewalt entwich und der ganze Zug in einer weissen Wolke verschwand. Die Russen in der Ferne mussten meinen, ihre Geschosse haetten die Lokomotive in die Luft gesprengt. Sie stellten ihr Feuer ein und der Zug war gerettet. Das Extrablatt. In einer deutschen Maedchenschule ist der Beschluss gefasst worden, keine Fremdwoerter mehr zu gebrauchen. Wer es doch tat, muss fuenf Pfennig in die Rotkreuzkasse einlegen. In kurzer Zeit hat eine Klasse 13 Mark gesammelt. Aber der Herausgeber des Tagblattes erhaelt von den Maedchen dieser Klasse einen Brief des Inhalts: "Es kostet uns unser ganzes Taschengeld, wenn Sie taeglich ein _Extra_blatt ausgeben; denn wir muessen immer fuenf Pfennig zahlen, wenn wir Extrablatt sagen." Der Herausgeber des Blattes hatte Mitleid mit der Klasse und schon vom naechsten Tag an erschien bei ihm ein _Sonder_blatt. Die allgemein verstaendliche Sprache. Eine Truppe Deutscher kam nach schweren Gefechten in ein eben eingenommenes franzoesisches Dorf. Seit 24 Stunden hatten sie nichts zu essen gehabt und den staerksten Hunger mit rohen Kartoffeln gestillt, die sie sich gelegentlich aus dem Acker gruben. Nun wollten sie sich's wohl sein lassen im Dorf. Viel gibt's da nicht zu essen, aber ein Huhn waere doch wohl aufzutreiben. Wie kann man sich nur verstaendigen mit den franzoesischen Bauern! Doch man weiss sich zu helfen. Ein Soldat geht in die Kueche, wo die Baeuerin, zitternd vor der deutschen Einquartierung, wartet, was nun geschehen werde. Der Soldat nimmt einen Kochtopf, fuellt ihn mit Wasser, haelt ihn der Baeuerin unter die Nase, deutet in den Kochtopf und ruft Kikeriki! Da nickt sie verstaendnisvoll und bald kocht ein Huhn im Topf. Die Gefangenen. Ein preussischer Wachtmeister hatte gefangene Russen zu bewachen. Aber seine Uebermuedung ist zu gross. Er faellt um und schlaeft. Entsetzt faehrt er morgens aus dem Schlaf--ob die Gefangenen nicht entwichen sind? Er schaut nach, traut seinen Augen kaum: es sind 120 mehr als es am Abend waren. Die haben sich aus Gefangenenlager herangeschlichen und lassen sich gefangen nehmen. Sie wissen, bei den Deutschen geht es ihnen gut. Der Generaloberst v. Hindenburg. Ein Mann von gewaltiger Groesse und Staerke, mit einem Angesicht voll Guete und Wohlwollen ist unser Generaloberst v. Hindenburg, der Retter Ostpreussens, der Russenschreck, wie ihn die Soldaten nennen, seitdem er bei Tannenberg und an den masurischen Seen die russische Armee geschlagen und in die Suempfe gedraengt hat. Dieser ungeheure Erfolg war das Ergebnis seiner Lebensarbeit, seiner laengst erprobten Plaene. Schon seit Jahrzehnten vertrat Herr v. Hindenburg die Ansicht, dass, wenn einmal die Russen kaemen, sie in die masurischen Seen gedraengt werden muessten. Andere Offiziere meinten im Gegenteil, die Russen duerften gar nicht in die Naehe der Seen kommen. Er gab aber nicht nach. Hindenburg war irgendwo in der Provinz Korpskommandant, als eines Tages im deutschen Reichstag die Idee auftauchte, es gehe nicht an, dass ein so grosses Gebiet unfruchtbar bleibe: die masurischen Seen muessten ausgepumpt und aus ihnen fruchtbarer Boden geschaffen werden. Der alte General hatte keine Ruhe mehr; man wollte _seine_ Seen, _seine_ Suempfe, die er alle persoenlich kannte, anruehren! Er reiste sofort nach Berlin, erklaerte, protestierte, agitierte! Er lief zu Abgeordneten, zu Parteifuehrern, zu Kommissionen und, als alles nichts nuetzte, zum Kaiser. Er hat auch den Kaiser solange nicht verlassen, als er ihm nicht versprach, dass man die Seen in Ruhe lassen werde. Alljaehrlich zu den Manoevern wurde Hindenburg zu den masurischen Seen geschickt. Dort, wie bei allen Manoevern, trug der eine Teil der Armee ein weisses, der andere Teil ein rotes Band auf der Kappe. Die Roten waren die Russen, die Weissen wurden von Hindenburg befehligt; sie hatten Ostpreussen zu verteidigen. Wenn die Soldaten bei den Uebungen erfuhren, dass sie gegen Hindenburg zu kaempfen haetten, wiederholte sich alljaehrlich der anlaesslich der Uebernahme der roten Baender fast sprichwoertlich gewordene Ausruf: "Heuer gehen wir baden!" Denn sie wussten, dass da alles vergeblich ist: ob sie von links, ob von rechts kommen, ob sie von vorn angreifen, oder von rueckwaerts jagen, ob sie mehr oder wenig sind, das Ende ist doch immer dasselbe: dass Hindenburg sie in die masurischen Seen einklemmt. Und jedes Jahr, wenn abgeblasen wurde, stand die rote Armee bis zum Hals im Wasser. Die Offiziere gingen nur noch in wasserdichten Uniformen zu den Hindenburg-Manoevern. Dann ging der alte General in Pension. Doch weiterhin verbrachte er die Sommermonate bei den masurischen Seen. Er entlehnte sich in Koenigsberg eine Kanone und liess sie von frueh bis spaet aus einer Lache in die andere schleppen. Er wusste genau, welcher Sumpf von der Artillerie passiert werden kann und in welchem der Feind stecken bleibt. Da brach der Krieg aus und was so lange nur Manoeveruebungen gewesen waren, jetzt wurde es ernst. Sobald der Kaiser hoerte, dass die Russen in Ostpreussen eingebrochen seien, berief er Hindenburg und forderte ihn auf, jetzt seine Kunst zu zeigen. Unverzueglich reiste dieser vom westlichen Kriegsschauplatz nach Osten. Schon waehrend der Fahrt erteilte er telegraphische Befehle und als er ankam, war alles vorbereitet. Auch die Russen waren da; die Russen, die nun unerbittlich samt Pferden und Geschuetzen in die masurischen Seen gejagt wurden. Seitdem ist durch ganz Deutschland Hindenburgs Ruhm erklungen, wir sind ihm dankbar und sind stolz auf ihn. Er selbst aber ist wie alle wirklich grossen Maenner bescheiden geblieben. Er nimmt die Ehre nicht fuer sich allein an, er erkennt gern an, was andere leisten. Von seiner Armee ruehmt er: "Sie hat einen herrlichen Geist; jeder vom obersten General bis zum untersten Mann ist voll sieghafter Zuversicht. Prachtvoll sind auch meine Flieger, sie haben schon heldenmuetige Aufklaerungsdienste geleistet. Auch unsere Verbuendeten, die Oesterreicher, sind ausdauernd, tapfer und zaeh." Wohl uns, dass wir solches hoeren duerfen! Es bestaerkt uns in der stolzen Zuversicht: _Wir werden siegen_! End of Project Gutenberg's Kriegsbuechlein fuer unsere Kinder, by Agnes Sapper *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK KRIEGSBUeCHLEIN FUeR UNSERE KINDER *** ***** This file should be named 12075.txt or 12075.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: https://www.gutenberg.org/1/2/0/7/12075/ Produced by Charles Franks and the DP Team Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. 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Redistribution is subject to the trademark license, especially commercial redistribution. *** START: FULL LICENSE *** THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase "Project Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg-tm License (available with this file or online at https://gutenberg.org/license). Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm electronic works 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. 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