The Project Gutenberg EBook of Eine vornehme Frau, by Hermann Heiberg This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org Title: Eine vornehme Frau Author: Hermann Heiberg Release Date: April 22, 2004 [EBook #12113] Language: german Character set encoding: ASCII *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK EINE VORNEHME FRAU *** Produced by Charles Franks and the PG Distributed Proofreaders Team Eine vornehme Frau. von Hermann Heiberg. 1886 Seiner theuren Mutter, Asta, geb. Graefin von Baudissin gewidmet. Grosse, kleine Staedte! Wir sind in einer mittleren Stadt von kaum zwanzigtausend Einwohnern, immer noch winzig genug, dass alles, was nicht diente, haemmerte oder ackerte, eine grosse Familie bildete, in der man sich kannte und sich miteinander befasste. Und doch trennte sich die gebildete Gesellschaft in verschiedene Klassen: und wie stets und ueberall hielt die eine sich aus besserem Teig gebacken als die andere. Als der Krieg von 1866 beendet war, empfing die nunmehr preussische Stadt eine Garnison; es wurden, neben Infanterie, einige Schwadronen Husaren nach C. verlegt. Aber die Offiziersfamilien sonderten sich, zumal da sie noch Fremdlinge waren, gaenzlich ab, und nur zu den hoeheren Beamten und dem Adel nahmen sie diejenige Fuehlung, welche ihnen gleichsam vorgeschrieben war. Im uebrigen konnte die Buergerschaft mit der stehenden Einquartierung wohl zufrieden sein, denn unter den Husaren befanden sich wohlhabende, sogar reiche Leute, welche das Geld nicht in die Schublade versteckten. Die neuen Verhaeltnisse waren dem Staedtchen guenstig. Der Geschaeftsgeist regte sich, und besonders die Bautaetigkeit erwachte. Die Buerger verdienten Geld und fanden sich rascher in die neuen Dinge, als man erwartet hatte. Und so verging die Zeit mit ihrem Wechsel, und so lebte die Einwohnerschaft mit ihrem Spott, ihrer Neugierde und ihrem Gerede ueber ihre Nebenmenschen wie allerorten in dieser unvollkommenen Welt. Eines Tages ward die Stadt C. durch eine Annonce ueberrascht, welche sich in dem taeglich erscheinenden Blaettchen, scharf umraendert und gross gedruckt, auf der letzten Seite befand: "Gesucht sofort eine grosse Wohnung von zwoelf bis fuenfzehn Zimmern mit Stallung und Nebengelassen. Eventuell wird auf ein ganzes Haus reflektiert. Man beliebe sich--" u.s.w. Die Neugierde, welche sich zunaechst an den Stammtischen der Ressourcen kundgab, ward nicht sogleich befriedigt. Selbst der Redakteur der C.schen Zeitung wusste keine Auskunft zu geben. Endlich loesten sich die Zweifel. Einer der Husarenoffiziere war vor einiger Zeit versetzt worden, und in dem Wohnungssuchenden entdeckte man den neuen Rittmeister. Zu gleicher Zeit verbreiteten sich allerlei Geruechte ueber die Ankoemmlinge, welche geeignet waren, die Gemueter zu beschaeftigen. Von ihm wurde behauptet, dass er zwar ein vollendeter Kavalier und ein gerechter Vorgesetzter sei, aber von einer so finsteren Schwermut beherrscht werde, dass er den Umgang mit Menschen aengstlich meide, waehrend man ihr neben grosser frappanter Schoenheit Verschwendungs- und Vergnuegungssucht, ja sogar einen leichtfertigen Lebenswandel nachsagte. Erhebliche Erbschaften sollten schon durch ihre Finger geglitten sein, und es ward als ein Glueck bezeichnet, dass sich der uebrigens grosse Reichtum des Grafen auf unantastbare Fideikommisskapitalien stuetze. Die Frau Graefin gliche, hiess es, einer heissbrennenden Sonne, vor welcher der eisigste und umfangreichste Goldhuegel zerschmelzen muesse. In jedem Fall war man sehr gespannt auf die neue Bekanntschaft, und in Offizierskreisen ward eifrig ueberlegt, welche Stellung man zu einer Frau einnehmen solle, der ein solcher Ruf voranging. Sehr angenehm ward von diesem Wechsel ein Bauunternehmer beruehrt, der eine von einem parkaehnlichen Garten umschlossene grosse Villa gleich vor der Stadt besass und nun um einen hohen Preis einem Mieter fand. Der Graf liess sich Zeichnungen und genaue Beschreibungen einsenden und bewilligte eine ganz erhebliche Summe zur Verschoenerung der inneren, urspruenglich fuer einfachere Ansprueche berechneten Raeume. So wurden beispielsweise saemtliche Gesellschaftszimmer in mattgruener und blauer Seide tapeziert, und das ganze Haus erhielt einen genau im Muster uebereinstimmenden, hellen Teppich in Flur und saemtlichen Gemaechern. Aber auch sonst wurden Veraenderungen getroffen, welche das Besitztum zu einem fast fuerstlichen Aufenthalt umwandelten. Die Thueren mussten ebenholzdunkel gemalt und mit Arabesken in Gold versehen werden. Die Oefen wichen zum Teil Kaminen aus schwarzem oder rotem Marmor, und die Aussenwaende der Villa wurden durch eine zartgraue Oelfarbe verschoent, wodurch sich das "Schloesschen" reizend von den umgebenden gruenen Baeumen abhob. Geradezu Bewunderung erregten aber die Pferdestaelle. Es erschien zum Zweck ihres Ausbaues ein Lieferant aus Berlin, der rasch alles ausmass und in kuerzester Zeit das Innere derartigen Veraenderungen unterwarf, dass die Einwohner von C., und unter ihnen besonders alle Sportfreunde, neugierig herbeigeeilt kamen, um diesen Musterstall in Marmor, Mahagoni und Gusseisen in Augenschein zu nehmen. Es hiess, die ganze Einrichtung sei auf einer der letzten Weltausstellungen praemiiert worden. Und dann trafen endlich auch die Moebel und sonstigen Einrichtungsgegenstaende ein. Der Tapezierer berichtete Wunderdinge von den Gemaelden, Bildern, ausgelegten Schraenken, Bronzen und sonstigen kostbaren Kunstsachen. Die Portieren und Gardinen waren meistens aus gebluemtem chinesischem Seidenstoff gefertigt, und kein Tisch, kein Stuhl befand sich in der Sendung, der nicht haette als ein Musterstueck gelten koennen. Aber--und das erfuellte den Handwerksmeister mit gerechtem Erstaunen--fast nichts war heil und ganz, mit Ausnahme der ohne Zweifel dem Gebrauch des Grafen dienenden Moebel. Eine solche Beschaedigung konnte nicht durch den Umzug entstanden sein, sie war sicher das Ergebnis einer grenzenlosen Unordnung und Vernachlaessigung. Auf geschehene Meldung und Anfrage erfolgte keine Antwort, wohl aber erschien nach einigen Tagen der Haushofmeister, ein hagerer, ernst dreinblickender Mann, der erklaerte, dass die graefliche Familie ihm auf dem Fusse folge und jetzt keine Zeit mehr fuer Reparaturen vorhanden sei. Diese muessten spaeter vorgenommen werden. An einem Maitage des Jahres 1867 traf die Familie ein. In ihrem Gefolge befand sich eine grosse Dienerschaft und neben zahlreichen edlen Pferden, auch ein paar herrliche Hunde, die beim Abladen der schier unzaehligen Koffer einen gewaltigen Laerm anstimmten und von der grazioesen Frau, die mit sechs schlanken Kindern dem Wagen entstieg, wie nach langer Trennung gehaetschelt und geliebkost wurden. Sie vergass darueber das Haus und den Eintritt, bis sie die Augen aufschlug und bei dem Anblick der Villa und des Parkes ihrer frohen Ueberraschung in lebhafter Weise Ausdruck verlieh. Dabei redete sie auch ihre Dienerschaft an und ermunterte diese, in ihre Bewunderung einzustimmen. Waehrenddessen war der Rittmeister in das Haus getreten und rief aus einem Fenster des Hochparterre ungeduldig und streng: "Ange, komm nun doch und kuemmere Dich um die Kinder!" Etwas Eigenartigeres als diese konnte man nicht sehen. Eins war schoener als das andere. Alle waren blond, aber das Haar hatte jenen goldig schimmernden Anhauch und die Koerperhaut jene unnachahmliche Farbe, welche wir an den Menschen des Nordens im Gegensatz zu den Bewohnern des Suedens bewundern. Wie schon ein Sonnenstrahl seine Spuren auf dem Milchweiss der Blonden zuruecklaesst, so flammt auch sichtbarer, und durch den rosenfarbenen Schimmer reizvoller, das Blut durch die Wangen dieser von der Natur bevorzugten Geschoepfe. Wenn Mutter und Kinder beisammen standen, konnte man sie fuer Geschwister halten. Frau von Clairefort glich einem menschgewordenen Engel; sie trug mit Recht ihren Namen. Und sie ging auch mit ihren Kindern um, als sei sie selbst noch ein unselbstaendiges Wesen. Sie blickte sie erstaunt und in ein ploetzliches laecheln ausbrechend an, sie tummele sich mit ihnen und lag spielend auf dem Teppich, auf welchem auch die Hunde umhersprangen. Fehlte dies oder das, so riss sie wohl ein Tuechelchen von ihrem vornehm gebauten Hals, statt das fehlende Garderobestueck herbeizuholen; und wenn die Kinder sie kuessten und um Freiheit bettelten, statt nach der Anweisung der Gouvernante an die Schularbeiten zu gehen, lief sie gar mit ihnen fort und versteckte sich und jene vor den drohenden Stirnfalten der Erzieherin. Morgens ruhte sie mit der ganzen herbeigeeilten Schar in einem spitzenbedeckten Bett und liess sich umhalsen und haetscheln. Es war, als ob der eben erwachte Fruehling seine Kinder um sich versammelt habe. Was so bezaubernd wirkte, war der naive, unbewusste Liebreiz aller dieser zartgearteten Menschen, und doch war die Graefin Ange so staehlern abgehaertet, ward so wenig beeinflusst von jedweder Anstrengung, dass sie den Schlaf fast wie eine ueberfluessige Gewohnheit an sich herantreten liess. Wo sie erschien, ward alles hell, denn ihr suesses Gesicht, ihre klugen Augen, ihre anmutigen Gebaerden, ihr silberhelles Lachen und ihre durch keine Kuenstelei beeinflusste lebhafte Froehlichkeit riss die Umgebung fort. Und doch war's niemals eine naerrische Laune, von der sie sich leiten liess, und ihr nicht erst durch Gruebeln geweckter Verstand kleidete jeden Gedanken in eine grazioese Form. Ihr Ernst war so tiefsinnig und ihr Urteil ueber Menschen und Dinge oft so zutreffend, dass man es nicht fuer moeglich hielt, dieselbe Frau habe eben mit kindlich-hilfloser Naivetaet die tausend Unarten ihrer kleinen Schar ertragen, sich zuletzt machtlos in einen Winkel vergraben und bitterlich ausgeweint. "Bitte, bitte, sei artig, Carlitos," flehte sie, und trotzig warf Carlitos den stolzen Kopf in den Nacken und beging dieselbe Unart. Aber zornig gegen ihre Engelschar konnte sie ueberhaupt nicht werden, viel weniger hatte sich ihre Hand jemals zum Schlage gegen diese erhoben, obgleich Ange mit ihrem starken, gestaehlten Handgelenk das wildeste Pferd zu zaehmen imstande war. Reiten und Fahren war Ange Claireforts Leidenschaft. Sie hatte den edelsten Renner im Stall, und nicht minder zaertlich klopfte sie den Hals von "Blitz", ihrem Lieblingspferd, als die schlanken Glieder ihrer beiden Windhunde.-- Carlitos, der Aelteste, war ein wilder, schlanker Bursche mit vielen impertinenten Sommersprossen auf der feingeschnittenen Nase und mit dunklem, gleichsam boshaft leuchtendem Haar in rotem Schimmer. Dann kamen Zwillinge, zwei Maedchen von einer solchen sanften Schoenheit und so maedchenhaft in der Erscheinung, dass die Menschen auf der Gasse stillstanden, um ihnen nachzuschauen. Diesen folgten wieder zwei Knaben. Sie hatten lange, in der Mitte gescheitelte goldblonde Haare, waren tannenschlank gewachsen, lebhaft, ausgelassen, aber doch voll Herzensguete und schuechtern gegen Fremde. Wenn sie bisweilen mit ihren vornehmen Gesichtern so scheu dreinblickten, ward man unwillkuerlich an die Soehne Eduards erinnert. Die kleine Ange war das Ebenbild der Mutter, nur erschien sie fast noch grazioeser. Eine Elfengestalt, dabei traeumerisch, fuer sich, und mit jenem vorwurfsvoll-ernsten Ausblick, der zoegern laesst, sich solchen Kindern zu naehern. Nach vier Wochen redete man in C. von nichts anderem als von dem Grafen Clairefort und seiner schoenen Gemahlin. Die boesen Reden waren verstummt, nachdem man sie ein einiges Mal gesehen hatte. Der Graf entsprach dem Bilde, das man sich von ihm gemacht hatte. Er war nur noch zurueckhaltender, als er geschildert ward. Man fand einen aeusserst aristokratischen, wortkargen, aber im Verkehr mit den feinsten Manieren ausstatteten Mann, der es mit seinen militaerischen Obliegenheiten so streng nahm, dass diese Strenge an Haerte streifte. Natuerlich zerbrach sich auch alle Welt den Kopf, wie wohl zwei so verschieden geartete Menschen miteinander lebten. Staerkere Gegensaetze waren nicht denkbar. Er ein ernster, pedantischer, kraenklicher Mann, dem sich zu naehern, Ueberwindung kostete, und der in seinen Gedanken, Anschauungen und Lebensgewohnheiten voellig von dem Durchschnitt der Menschen abwich. Sie dagegen ein frisches, gesundes, liebenswuerdiges, ein naiv-kluges Geschoepf, mit einem hinreissenden Temperament und einer nicht minder hinreissenden, ja gefaehrlichen Schoenheit; dazu sorglos, ganz von dem Eindruck des Augenblicks beherrscht und oft spottend allen Regeln der eingebuergerten Sitte. Wenn sie etwas besonders anregte oder beschaeftigte, wenn sie zum Beispiel ausreiten wollte, vergass sie alles. Da gab's keine Innehaltung einer Zusage oder Verabredung. Da schwiegen alle gewoehnlichen haeuslichen Pflichten, da verfingen nicht die strengen Mienen des Grafen. Sie flog ihm an den Hals und herzte ihn.--"Lass, lass, Schatz!--Sei gut, gieb mir meinen Willen.--Du weisst ja doch, dass Du mir nichts abschlaegst.--Weshalb mich quaelen?--Nein?--Du versagst mir die kleine Freude?--Dann kuesse ich Dich niemals mehr auf Deine treuen Haende, auf Deinen verschwiegenen Mund!"--Und ehe er sich's versah, ehe er es hindern konnte, schlang sie sich zu ihm empor und liebkoste seine Wange. Oft mussten die Kinder helfen, diese wilden, zarten, sanftmuetigen Geschoepfe in ihrem seltsamen Gemisch. Und sie thaten alles, was sie wuenschte; immer nahmen sie fuer ihre Mama Partei und umringten den bleichen ernsten Mann, bis sich zuletzt ein Laecheln um den geschlossenen Mund stahl. Und dieses Laecheln war Zustimmung. "Wenn Du wuesstest, wie schoen Du bist, wenn Du laechelst," sagte Ange oft: "warum bist Du doch immer so ernst, so baerbeissig, Lieber! Bin ich nicht um Dich, Ange Clairefort, geborene Butin, Herrin auf Schwarzensee und Duerenfort?" Dazu lachte sie und stolzierte, ihm Kusshaende zuwerfend und hinter sich schauend, als ob sie ihre Schleppe betrachte, von dannen. Er neigte dann schwermuetig das Haupt und zog sich in seine Gemaecher zurueck. Oft war's, als ob der strenge Soldat sich vor dem Kinderlaerm und der ausgelassenen Unart seiner Umgebung fluechte, als ob jeder Nerv in ihm zucke, ihm Ruhe und Einsamkeit allein wohlthue. In der That hatten Claireforts schon viel Herzeleid erfahren. Sie verloren beide frueh ihre Eltern und standen ohne Verwandte in der Welt. Des Rittmeisters Stammvorfahr, ein Franzose, war nach Deutschland uebergesiedelt, um seiner Gemahlin, einer Rheinlaenderin, zu folgen, und die Butins, wenn auch seit Menschengedenken in deutschen Gauen ansaessig, stammten ebenfalls aus franzoesischem Blut. Gerade als Clairefort um die alleinstehende, blutjunge Baronin von Butin anhielt, starb ihr bisheriger Vormund, und dies veranlasste die spaeter Muendigwerdende, die Gutsbesitzungen zu veraeussern; den Erloes brachte sie ihrem Manne als Mitgift in die Ehe. Claireforts hatten ihre Besuche gemacht und empfingen solche. Es nahm sehr fuer sie ein, dass sie ihre Visiten nicht auf den vornehmeren und engeren Kreis beschraenkten, in welchem die uebrigen Familien verkehrten; sie gaben auch ihre Karten bei den angesehenen Einwohnern der Stadt ab und entzueckten durch ihre Liebenswuerdigkeit alle Welt, mit der sie in Beruehrung traten. Besonders lebhaft aber entwickelte sich der Verkehr zwischen den unverheirateten Offizieren der Garnison und den Neuangekommenen. Nach wenigen Wochen waren diese fast taegliche Gaeste der Villa, in der stets ein Fruehstueckstisch bereit stand und in der man--auch unangemeldet--immer eine vortreffliche Tafel mit auserlesenen Weinen fand. Es vollzog sich dort alles wie durch Zauberhand geschaffen, und doch war Ange die denkbar schlechteste Hausfrau. Aber Ernst Tibet, der Kammerdiener, sorgte fuer alles. Dieser Haushofmeister war ein Mustermensch. So unruhig und wenig umsichtig, so ungleich und lebendig die Graefin, ebenso ernst, besonnen und zuverlaessig war Tibet, ein Mann mit angeborener Wuerde und hoeflicher Zuvorkommenheit zugleich. "Tibet, bester, goldener Tibet, was beginnen wir? Eben haben sich zehn Personen angesagt! Die Uhr ist zwei! Um fuenf wollen wir speisen!" "Es wird alles nach Ihren Wuenschen sein, Frau Graefin," erwidert Tibet, verbeugt sich und geht seiner Arbeit nach. Und wenn Tibet das sagt, dann kann wohl eine kleine Welt einstuerzen, aber wenn sie nicht einstuerzt, ist alles auf die Minute, wie er versprochen. Seltsamerweise bekuemmerte sich auch der Graf nicht um das Haus, wenig auch um die Kinder, ebensowenig um seine schoene Ange. Man fragte sich oft, was eigentlich ihn beschaeftige, wofuer er sich interessiere, welche Gedanken hinter seiner hohen Stirn auf- und abwandern moechten. Niemand vermochte darauf eine zutreffende Antwort zu geben. Es blieb ihm ausser seiner dienstlichen Beschaeftigung noch viel Zeit, aber man fand ihn weder haeufig lesend noch schreibend. Er sass meistens zurueckgelehnt in einem alten Erbstuhl des fuenfzehnten Jahrhunderts, der vor seinem Schreibtisch stand, staeubte die Buecher und die vielen kleinen Nippesgegenstaende ab, rauchte, erhob sich wohl einmal, griff sich, wie um einen Schmerz zu bannen, an den Kopf, schaute in den bluehenden Garten und gruebelte weiter ueber etwas, was keiner zu ergruenden vermochte. Tibet war jeden Tag eine Stunde, oft laenger bei ihm. Er legte Rechnungen vor, holte sich Anweisungen, empfing Geld, brachte solches, musste auch wohl Briefe schreiben, Telegramme besorgen und Gaenge machen, ueber die er nie Auskunft gab. Tibet war alles in allem, auch bei dem Grafen, und niemandem begegnete dieser so hoeflich wie seinem Kammerdiener, wenn er auch ihm gegenueber die Formen beiseite liess. Unter den Offizieren, die im Clairefortschen Hause verkehrten, befand sich ein Rittmeister mit Namen von Teut. Alle Welt war erstaunt, dass dieser allem Familienverkehr abholde, nur seinem Dienst, dem Pferdesport, der Jagd und starken Gelagen geneigte, keineswegs mehr junge Mann das Haus des Grafen aufgesucht hatte. Ange war die Veranlagung gewesen. Bei einem Diner, welches der Oberst gab, zwang sie ihn, sich mit ihr zu beschaeftigen, wies ihm scherzend nach, dass sie vom Urgrossvater her ein wenig verwandt seien, und fesselte ihn in solchem Masse, dass er beim Nachhausegehen gegen seine Umgebung in die Worte ausbrach: "Schoen wie eine Rose, klug wie ein Pferd, naiv wie ein Kind, zudem eine Dame--ein vollendetes Geschoepf!" Von Teut war ein seltsamer, unberechenbarer Mensch im Verkehr, aber nach uebereinstimmendem Urteil ein Kavalier vom Scheitel bis zur Sohle. Sein Reichtum erlaubte ihm die Ausuebung der kostspieligsten Liebhabereien. Zu diesen gehoerten vor allem Jagd und Pferde. Und dieser Umstand genuegte allein schon, sich Ange Clairefort zu naehern. Oft schlug er eine Kleinigkeit ab, war unduldsam gegen seine Umgebung, und dann, wenn ihn Laune oder Herzensdrang trieben, verschenkte er grosse Summen. So hatte er einmal einem Kellner im Kasino, der sich selbstaendig machen und heiraten wollte, ein nicht unbedeutendes Kapital darlehensweise ueberlassen, und als der erste kleine Weltbuerger erschien und jener ihn als Pate einlud, sandte er ihm den quittierten Schuldschein und schrieb darunter: "Axel von Teut sendet Axel Dorn diese Patengabe und hofft, dass er einst ein braver Buerger und--kommt Zeit und Anlass--auch ein treuer Koenigssoldat sein wird." Als dies bekannt wurde, sah sich Teut mit Bittschriften ueberschuettet. Da las man eines Tages in der Zeitung: "Fortan lasse ich alle Bitt- und Bettelbriefe uneroeffnet zurueckgehen. Man spare sich die Muehe! Wer meint, ich saeh's ihnen nicht an, irrt sich. Eine solche Uebung, wie ich sie habe, macht erfahren. Baron von Teut-Eder, Rittmeister und Eskadronschef." * * * * * Beim Oberst war eine grosse Fete angesagt. Ange begann auch heute mit ihrer Toilette zu einer Zeit, in der andere Frauen bereits die Handschuhe knoepfen und das Kopftuch um das Haar schlingen. Das kannte Clairefort, seit ihm das schoene Fraeulein von Butin das Jawort gegeben, und das ertrug er mit jener Resignation, die entweder einer starken Selbstbeherrschung entspringt oder die sich zuletzt in das Unvermeidliche machtlos fuegen muss. "Ange, bist Du bereit? Schon seit einer viertel Stunde wartet der Wagen!" rief der Rittmeister und klopfte ungeduldig an die Thuer. "Gleich, gleich, bester Carlos!" schmeichelte Ange zurueck, huschte freilich erst in diesem Augenblick aus ihrem Hauskleid und steckte, da sie das unruhige Auf und Ab ihres erzuernten Tyrannen hoerte, auf einen Augenblick das Koepfchen durch die Oeffnung, um ihn mit einem ihrer bezaubernden Blicke zu beruhigen. Das Gemach, in welchem Ange ihre Toilette machte, glich bezueglich des hastigen und bunten Durcheinander dem Ankleidegemach einer Buehnenkuenstlerin. Hier waren Schubladen geoeffnet, in denen die Gegenstaende wild durcheinander geworfen waren, dort lagen auf Diwan und Stuehlen Ballkleider und Spitzenroecke. Wenige Minuten hatten hingereicht, um hier und in die Garderobenschraenke eine heillose Verwirrung zu bringen. Aber immer war diese lebhafte, unruhige und der Zeiteinteilungen spottende Frau in ihrer Erscheinung gleich reizend. Wo war der Kuenstler, um diesen feingeschnittenen Kopf mit dem tief auf die Schultern herabgefallenen Seidenhaar zu malen, diese zarte, in den Formen vollendete Fuelle, dieses entzueckende Weiss des Nackens, der Arme, der Haende, vornehmlich aber diesen wahrhaft bezaubernden Koerperwuchs mit seinen vornehmen Linien? Bei der Hast, mit der Ange selbst Hand an die Toilette legte oder ihre Umgebung anwies, roeteten sich ihre Wangen, die feinen Nasenfluegel vibrierten und ihre Kinderhaende zupften, zerrten und knoepften an den durchsichtigen, spitzenbesetzten Gewaendern umher, als ob tausend unruhige Funken aus ihren Fingern spruehten. Waehrend ihr Haar geflochten ward, sass sie vor dem Trumeau, oeffnete den Mund, betrachtete mit kindlicher Neugier die untadelhaften Reihen ihrer unter dem Rosarot hervorschimmernden Zaehne und lachte in den Spiegel hinein oder neigte mit leisem Aufschrei das Koepfchen vor dem ungeschickten Strich des Kammes in dem widerspenstigen Haar. Und dabei erschienen auch Fuesschen, die einem Kinde anzugehoeren schienen und die nun von der Jungfer mit seidenen Schuhen bekleidet wurden. Als Ange endlich auch in das kostbare pfirsichfarbene Kleid eingespannt war, als sie durch das Zimmer schritt und die einer Koenigin wuerdige Schleppe hinter ihr herrauschte, als endlich alle die Perlen und Diamanten in ihrem Haar und an ihrer Brust, die blitzenden Agraffen an dem Stoffe befestigt waren, sahen selbst die Dienerinnen mit einem Blick der Bewunderung auf das Kunstwerk, das unter ihren Haenden entstanden war. "Sieht's gut aus? Sitzt die Taille?" fragte Ange naiv, und ein glueckliches Laecheln flog ueber ihr Gesicht, als jene lebhaft bestaetigten, was sie zu hoeren wuenschte. "Ange, Ange!" klopfte es nun abermals. "Die Uhr ist halb neun, und Du bist noch nicht--" "Ich bin fertig, lange fertig, Carlos! Ich warte ja auf Dich!" rief sie, blinzelte den Frauen bei ihrer unschuldigen Luege laechelnd zu und oeffnete die Thuer. Aber nun kamen noch die Kinder, die doch eigentlich im Bett liegen sollten. Jorinde weinte und Ben stand muerrisch da. Allerlei Wuensche wurden laut. "Gewiss, gewiss, sei ruhig, mein Liebling! Ja, ja, Carlitos!--Ah, mein Riechflaeschchen und der Faecher, Maria!--Wie, was? Ja, gleich!" Sie eilte fort und suchte in irgend einer Schublade nach den Bonbons und Leckereien, mit denen sie ihre ungeduldige Schar zu beruhigen pflegte. "Nehmen Sie die Schleppe, Rosa!--Ich komme ja, ich komme, Carlos, geh nur voraus!" Nun mussten die Kinder noch einmal umarmt und gekuesst werden. Ein Handschuhknopf war abgesprungen, auch eine Naht beim hastigen Anziehen gerissen. "Schnell ein anderes Paar! Im Schubfach links! Fleischfarbene, Maria, fleischfarbene! Hoerst Du?" Ange eilte hinab. "Endlich!" sagte Carlos. "Vorwaerts!" Der Diener, die Hand am Hute, schlug den Wagen zu und schwang sich auf den Bock. "Halt! halt--noch einen Augenblick!" rief Ange und klopfte ungestuem an die Scheiben. Die Jungfer kam atemlos mit den Handschuhen. "Zu Befehl, Frau Graefin!" So, nun raste endlich der Wagen mit dem Grafen und Ange davon, und die Dienerschaft wandte sich ins Haus zurueck. Auf dem Flur, auf der Treppe wehte noch der Duft ihrer Gewaender. In allen Zimmern brannten die Kandelaber--ueberall die Spuren ihrer lebhaften Unruhe. Die Kinder schmollten, dass sie nun, weniger ruecksichtsvoll angehalten als vorher, ins Bett getrieben wurden: und ins heisse, schwuele, von Parfuem erfuellte Ankleidezimmer der Gebieterin, in dem ein halb Dutzend goldene und silberne Leuchter entzuendet waren, in welchem die geoeffneten Schmuckkaestchen mit all ihren zurueckgebliebenen Herrlichkeiten achtlos umherstanden und in dem die Luft, die eine schoene, vornehme Frau ausatmet, wie ein unsichtbarer Hauch die Gegenstaende zu umhuellen schien, traten die Frauen, um alles an seinen Platz zu bringen.-- Unwillkuerlich verstummte das laute Gespraech in den Saelen, unwillkuerlich traten die Reihen der Gaeste zurueck und unwillkuerlich mussten auch die eifersuechtigsten Frauen emporblicken, als die Graefin Ange von Clairefort an der Seite ihres Mannes die Raeume in dem Hause des Obersten betrat. Es giebt Frauen, deren Erscheinung in der Gesellschaft wirkt, als ob ploetzlich ein Schwan mit lautem Fluegelschlag vorueberrauscht. Ange war nach wenigen Minuten umgeben und umschwirrt von der halben Gesellschaft. Nein, von der ganzen Gesellschaft! Denn diejenigen, die sich ihr nicht naeherten, fanden nur nicht den Mut, der schoenen, strahlenden Frau auszudruecken was sie bei ihrem Anblick empfanden. Immer birgt die Gesellschaft Zaghafte; sie werden nie aussterben; sie bleiben und gleichen Kindern, welche nur nach wiederholter Ermunterung ein Haendchen reichen. Ange hoerte, dass man allein auf sie gewartet habe. Sie rief ein bedauerndes "O! o!" huschte zu der Frau des Obersten und stellte ihr durch die bezaubernde Art ihrer Abbitte rasch die gesunkene Gesellschaftslaune wieder her. Und da sie in der Zerstreuung den ersten Tanz nicht vergeben hatte und dies zu ihrer freudigen Ueberraschung bemerkte, schluepfte sie durch die sich draengenden und sich arrangierenden Paare bis zum Gastgeber und legte sanft den Arm in den seinigen. "Gnaedige Frau?!" "Den ersten Tanz habe ich wohl ein dutzendmal abgeschlagen, Herr Oberst, da ich ihn fuer Sie bestimmt hatte. O, ich bitte, kein Refus! Es ist ja eine Polonaise." schmeichelte sie und zog den nur leise Widerstrebenden mit sich fort. Selten mischte sich Ange in die Reihen der Tanzenden, ohne dass die pausierenden Paare ihr zuschauten. Man musste sie ansehen, denn eine Grazie schien sich unter die Menschen gemischt zu haben. Nichts Anmutigeres konnte es geben, als sie einen Walzer tanzen zu sehen, wenn das ihr eigene, halb verlegene, halb glueckliche Laecheln ueber die sanften Zuege flog und sie das Koepfchen zur Seite neigte. Es lag in dieser Zurueckhaltung gleichsam eine Andeutung, dass sie sich zwar jeder Laune ihres Taenzers fuege, doch nur dem Zwange folgend, ihm erlaube, den schlanken Leib zu umfassen. Sobald sie sich aber aus dem Arm ihres Kavaliers geloest hatte, verschwand diese fast maedchenhafte Schuechternheit, und ihr lebhaftes Temperament riss sie wieder fort. Sie schwatzte, lachte und zeigte ein schelmisches Gesicht, sie nickte und hoerte mit neugieriger Aufmerksamkeit zu. Beim Souper richteten sich abermals aller Augen auf Ange. Eine feine Blaesse war auf ihr Gesicht getreten. Der wunderbare Abstand der dunklen Augen und Augenbrauen gegen das Goldblond ihres Seidenhaares wirkte neben dem mattseidenen, an dem Ausschnitt mit echten weissen Spitzen besetzten Kleide so ueberraschend schoen, dass man den Blick nicht von ihr zu wenden vermochte. Und dabei funkelten und blitzten die Steine an Hals und Ohren, und oft zitterte ein wahrer Spruehregen aus den Diamanten, mit denen ihr Haupt geschmueckt war. Die Menschen fuehlten sich geehrt und beglueckt, wenn Ange sie mit ihren treublickenden Augen ansah, und ihre Bescheidenheit machte es unmoeglich, dass haessliche Regungen der Missgunst neben ihr emporstiegen. Nach Aufhebung der Tafel, nachdem der Champagner Ange ganz in ein froehliches, nur von der Lust beherrschtes Kind verwandelt hatte, als die ersten Takte eines stuermischen Galopps vom Saale herueberklangen, hielt es sie nicht mehr neben dem Gastgeber, und mit einem seine Verzeihung einholenden Blick entschluepfte sie, um einem juengeren Kavalier zu folgen. Einmal riss eine Perlenschnur, und die kostbaren Schaetze rollten unter die Tanzenden. Ein kleines Vermoegen stand auf dem Spiel, Ange jedoch lachte und nahm mit entschuldigendem Dank entgegen, was eifrig Suchende gefunden hatten und ihr ueberreichten. Wiederholt draengte der Rittmeister zum Aufbruch. Aber die Offiziere umstuermten die reizende Frau, und sie bat wie ein junges Maedchen, das zum erstenmal den Ball besucht, um Aufschub. Waehrend sie davoneilte, guckte sie ihn ueber ihre Schulter an und holte sich durch bittende Blicke sein nachtraegliches Jawort ein. Und als sie endlich zurueckkehrte und er, die zerrissenen Spitzen der Schleppe betrachtend, kopfschuettelnd dreinschaute, streifte sie rasch zu seiner Beruhigung die Handschuhe ab, lehnte sich mit einem: "Nicht schelten! Gut sein! Carlitos, bitte!" an ihn und bettelte so lange, bis er ihr noch die kleine Abkuehlungspause zugestand. Von der Bewegung beim Tanzen war ihr Haar ein wenig gelockert und ein feines Straehnchen auf die Stirn gefallen, auch einige prachtvolle Rosen, die an ihrer Brust sassen und einen blitzenden Diamant umschlossen, hatten sich entblaettert. Ihr Atem gluehte, ihre Brust hob und senkte sich unter der zarten Seide, und waehrend der Faecher in heftiger Bewegung war, neigte sie den Koerper mit jener elastischen Biegsamkeit, die Frauen so verfuehrerisch macht. "Nein, komm, komm, Ange." draengte Carlos, von ihrer Schoenheit hingerissen und nur von dem einzigen Gedanken beherrscht, sie den zudringlichen Blicken ihrer Bewunderer zu entreissen. Sein Auge ruhte mit einem eifersuechtig verlangenden Ausdruck auf ihr, und sie erwiderte seinen Blick mit jenen traeumerischen Augen, mit denen sie ihm einst ihre Liebe verraten hatte. "Ach, es war himmlisch! Ich habe mich prachtvoll amuesiert! Schade, dass es schon vorueber ist!" seufzte die junge Frau, als sie, nach Hause zurueckgekehrt, sich in sanfter Erschoepfung in einen Sessel zuruecklehnte. "Aber Du, Armer, hast Dich gelangweilt! Nicht so, Carlos?" Sie sah ihn zaertlich an. Er schuettelte schwermuetig das Haupt und sagte: "Nicht doch, Ange!" Und nach einer Weile fluesterte er leise: "Hast Du mich noch lieb, Ange?" Da stand sie auf und flog ihm an den Hals. * * * * * Acht Monate waren vergangen. Teut war ein taeglicher Gast im Clairefortschen Hause geworden, verkehrte mit Frau Ange und der Familie, als ob er sie von Kindesbeinen an kenne, und schien ueberhaupt von Claireforts fortan unzertrennlich. Dieser engere Verkehr fuehrte mit sich, dass er bald in alle Verhaeltnisse eingeweiht wurde, und dass man ihn, da er neben seiner Einsicht eine entschiedene Art an den Tag legte, auch haeufig um Rat fragte. Aber er nahm sich in seiner ehrlichen und derben Weise auch die Erlaubnis, zu tadeln. "Schlecht, mordschlecht erziehen Sie die kleine Gesellschaft!" rief er Ange kopfschuettelnd zu, wenn die Kinderschar--ungezogen und trotzkoepfig--ihren Hoellenlaerm anstimmte, die Moebel mit Stoecken und Peitschen bearbeitete und gar auf dem Teppich des Wohnzimmers mit Sand wirtschaftete. Die Dienerschaft war machtlos, denn sie fand keine Unterstuetzung bei der Graefin. Entweder erliess sie Verbote, deren Zuruecknahme sie sich im naechsten Moment wieder abbetteln liess, oder sie troestete Jorinde und Erna, wenn diese von der Gouvernante eine Strafe erhalten hatten. Nun war eben das Mobiliar--ein Gemach nach dem anderen--neu aufgeputzt, zum Teil mit kostbaren Stoffen ueberzogen, alles mit einem wahrhaft verschwenderischen Luxus hergestellt worden, und schon zeigten sich deutliche Spuren von uebermuetigen Gewaltthaetigkeiten. Der Graf war mehrmals in einen heftigen Zorn ausgebrochen, hatte Ange ihren Mangel an Ordnungsliebe und ihre grenzenlose Schwaeche gegen die Kinder in den haertesten Worten vorgeworfen. Hin und wieder rief er den schnell liebgewonnenen Freund und Vertrauten zum Zeugen an, wie unvernuenftig, wie unverstaendig seine Frau sei und wie ihn ihre Eigenschaften mit den Rueckwirkungen auf die Kleinen zum Tadel reizen muessten. Einmal brach es ungestuem aus ihm heraus, als Teut seine Bewunderung ueber Ange ausdrueckte. "Ja, Freund," rief er, "Sie sind nicht mit ihr verheiratet! Sie erfreuen sich an dem Guten, das sie Ihnen entgegentraegt, und schuetteln das Unbequeme leicht ab, um so leichter, als Sie nur indirekt davon beruehrt werden! Ich aber lebe taeglich, stuendlich mit ihr, ich kaempfe seit Jahren gegen ihre Schwaechen ohne Erfolg und habe doch fuer alles die Verantwortung zu tragen! Ange wuerde jedes Jahr eine Million verschenken, wenn sie dieselbe zur Verfuegung haette, und eine ganze Weltordnung in Verwirrung bringen, wenn sie ueber den Wolken herrschte! Jeder ruft mir entgegen: Welch ein reizvolles Geschoepf! und jeden Tag werde auch ich entwaffnet durch den Zauber ihrer Liebenswuerdigkeit. Aber sie bringt vermoege ihrer untilgbaren, durch eine grenzenlos verkehrte Erziehung hervorgerufenen Fehler den ruhigsten, besonnensten und geduldigsten Mann zur Verzweiflung. Die groessten und besten Eigenschaften eines Menschen verwandeln sich in das Gegenteil, wenn ihnen das Mass fehlt. Sanftmut und Liebenswuerdigkeit sinken zur Charakterlosigkeit herab, Herzensguete wird Thorheit, Geist und Verstand streifen an Insanie und je schoener die Huelle, desto groesser der Schmerz, dass sich unter so vollendeten Formen ein so ungeordneter Geist verbirgt." "Sie uebertreiben, Clairefort!" rief Teut warm. "Ihre Frau ist ein Engel! Ihre Fehler sind nicht so schlimmer Art; ja, ich behaupte, sie sind auch Tugenden! Weint sie nicht wie ein Kind, wenn man ihr vom Unglueck berichtet, moechte sie nicht stets helfen? Hilft sie nicht? Ist sie nicht ruehrend besorgt um ihre Kinder und sitzt sie nicht wie juengst, als Carlitos krank war, Tag und Nacht an ihrem Bett? Ist sie nicht stets liebevoll gegen Sie, Clairefort, sieht sie nicht zu Ihnen empor wie zu einem Hoehergearteten und nimmt jeden Tadel, jedes Scheltwort ohne Murren entgegen? Ist sie nicht ohne Beispiel selbstlos? Verlangt sie je etwas fuer sich? Ist es nicht nur immer der Gedanke an andere, der ihre Entschluesse bestimmt? Sah man je ein so glueckliches Gemisch von natuerlichem Verstand und Herzensguete?--Ja, sie ist sorglos, kannte nie eine Einschraenkung, weiss nichts von materiellen Sorgen, giebt mit vollen Haenden, oft vielleicht unverstaendig--" Hier unterbrach Clairefort den Sprechenden, und indem er ihn mit einem Blick anschaute, durch den man eine vertrauensvolle Aeusserung einzuleiten und sich Verschwiegenheit zu sichern pflegt, sagte er: "Nein, nein! Immer, immer unverstaendig! Masslos, Freund! Ihre Verschwendung ist grenzenlos. Wie soll das ueberhaupt werden? Unter uns: Wenn das meine Frau noch einige Jahre so forttreibt, bin ich ruiniert. Schon lange war ich gezwungen, mein Kapital anzugreifen." Teut schwieg. Was er hoerte, ueberraschte und beunruhigte ihn aufs hoechste. Unwillkuerlich draengte sich ihm der Gedanke auf, weshalb der Mann, wenn die Dinge so lagen, sein Hauswesen, seine Geselligkeit nicht einschraenke, die zahllose, meist ueberfluessige Dienerschaft nicht entlasse und Ange, die ihrer Eigenart nach auch in einfacheren Verhaeltnissen zufrieden leben wuerde, die Gelegenheit naehme, so thoericht zu wirtschaften. Aber er fand sich doch nicht berechtigt, dergleichen auszusprechen, und waehrend seines Schwankens kam ihm Clairefort zuvor: "Ich weiss, was Sie mir erwidern werden, Teut," hob er, unter der Bestaetigung seiner Gedanken wiederholt das Haupt bewegend, an. "Sie meinen, ich sei nicht minder schuld als Ange. Wir koennten uns anders einrichten und dadurch Einnahmen und Ausgaben in das richtige Gleichgewicht bringen. Auch Tibet draengt mich seit Jahr und Tag, aber dann--dann--" Er hielt inne. Ein aengstlich unschluessiger Ausdruck trat in seine Mienen, und nur mit Ueberwindung loesten sich die Worte aus seinem Munde: "Sehen Sie! Es wird Ihnen raetselhaft erscheinen," fuhr er endlich abgerissen und in Pausen sprechend, fort. "Ich liebe meine Frau grenzenlos. Ich fuerchte dann--ich fuerchte--dass sie sich mir entfremden koennte. Eine unbeschreibliche Angst ueberfaellt mich, ich koennte ihre Liebe einmal verlieren--durch einen Wandel der Verhaeltnisse. Ich sinne selbst ratlos darueber nach, was in meiner Seele vorgeht. Tausend Gedanken bestuermen mich. Oft habe ich schon gedacht: Wenn sie doch einmal das Leben so liebt--ich moechte es ihr erhalten--ihre Froehlichkeit ist doch lauter Sonnenschein;--und dann--dann--moechte ich, dass sie der Himmel frueh zu sich naehme, damit sie Sorge und Kummer nie kennen lernt. Aber kann man eines geliebten Menschen Tod wuenschen? Das ist doch unfassbar. Ich weiss nicht, was in mir vorgeht. Ich moechte aendern und vermag es nicht--vermag es durchaus nicht. Die Schwaechen, die meiner Liebe entspringen, sind groesser als meine bessere Einsicht." Teut sass stumm und schaute vor sich nieder, denn neben ihm seufzte der Mann in tiefer Bewegung auf.--Welch ein Einblick in das Seelenleben eines Menschen. Voll Klarheit, ja voll Ungeduld und Tadel ueber unhaltbare Zustaende, und doch aus eifersuechtiger angstvoller Liebe zu schwach, um beizeiten ein zweifellos hereinbrechendes Unglueck von sich, seinem Weibe und seinen Kindern abzuwenden?! Einmal zuckte Teut unbehaglich zusammen, denn ploetzlich stieg die Zukunft vor ihm auf. Die unabweisbaren Folgen solcher Verhaeltnisse traten unheimlich vor seine Seele. Vielleicht war ihm in dem Clairefortschen Hause eine grosse, undankbare Aufgabe beschieden, und jene Selbstliebe, die Unbequemes von sich stoesst und nur unbehelligt geniessen will, behielt die Oberhand. Was scherten ihn am Ende die fremden Menschen, dieser Mann mit seiner Unschluessigkeit, seiner Melancholie und seinem ehelichen Unbehagen, diese in den Tag lebende Frau mit ihrer Unerfahrenheit und ihrem sorglosen Lebenswandel? Aber das war nur eine schnell voruebergehende Regung. Er sprang auf, fasste Claireforts Hand und sagte: "Und trotz alledem muss geschehen, was Sie fuer Recht erkennen, lieber Clairefort! Ich bin bereit, Ihnen zu helfen, soweit es in meinen Kraeften steht. Soll ich einmal mit Frau Ange reden?" Bei diesem Anerbieten bohrte sich ein eigentuemlicher Blick aus den Augen des Grafen auf den Sprechenden. Aber zum Glueck bemerkte Teut ihn nicht, und als die Maenner nach laengerer Auseinandersetzung schieden, ging jener unter dem Eindruck, dass Clairefort, selbst machtlos zum Handeln, die dargebotene Hand aufs dankbarste ergriffen habe. Wohlan denn! Teut war beiden naeher getreten als kaum anderen Menschen je zuvor; er liebte Ange und die Kinder, die deshalb ein Recht auf ihn gewonnen hatten. Er wollte handeln--handeln wie ein Mann, aber auch wie ein kluger, besonnener Mann! * * * * * Seit Stunden ging Teut in seinem Zimmer auf und ab. Immer neue Gedanken durchkreuzten sein Gehirn. Oft warf er sich in einen Stuhl, schlug nach seiner Gewohnheit, wenn ihn etwas erregte, heftig mit den Hacken seiner Reitstiefel aneinander und strich lebhaft seinen langen, blonden Schnurrbart. Die Backenknochen seines stark markierten, mageren Gesichtes traten scharf hervor, und fortwaehrend liess er das Glas, das in seinem linken Auge steckte, fallen, um es im naechsten Augenblick wieder an seinen Platz zu schieben. Wenn dies, der neueren Zeit angehoerende Monocle nicht sein Gesicht verunziert, und wenn er nicht den Husarenrock getragen haette, wuerde man geglaubt haben, einen Ritter frueherer Zeiten vor sich zu sehen. Diese hohe, wettergebraeunte und schon etwas stark gefurchte Stirn, diese blitzenden, unheimlich kuehnen Augen, dieser sarkastische Mund und dieser halbschlanke, grosse, starke, geschmeidige Koerper erinnerten an die Gestalt eines Recken vergangener Jahrhunderte. "Der Teufel werde klug aus der Geschichte!" murmelte er, endlich sein Sinnen unterbrechend, griff in eine Kiste mit schweren Cigarren, entzuendete eine, verschluckte den Rauch und stiess ihn in einer maechtigen Saeule wieder von sich. In diesem Augenblick oeffnete sein Diener Jamp die Thuer und ueberreichte die Rechnung eines Blumenhaendlers in Hoehe von einigen hundert Thalern. Es war der aufgesummte Betrag fuer die frischbluehenden Bouquets, welche Ange ausnahmslos jeden Tag in ihren Zimmern fand. Teut pruefte, zog das Schubfach und fuegte der Zahlung ein reichliches Trinkgeld bei. Nun schloss sich wieder die Thuer und nun waren auch Teuts Gedanken wieder bei Ange. Er rief sich die letzte Unterredung mit Clairefort ins Gedaechtnis zurueck und alles das, was vorhergegangen war. Oft erschien ihm wie ein Traum, was er in den letzten zehn Monaten erlebt, vornehmlich das, was er an sich selbst erfahren hatte. Als juengerer Offizier, kurz bevor ihm das Vermoegen seines Vaters und seiner Geschwister zugefallen war, hatte er um ein junges Maedchen aus buergerlichem Stande geworben und seine Heiratsplaene unter Umstaenden aufgeben muessen, die ihm das weibliche Geschlecht veraechtlich gemacht hatten. Er sah fortan in den Frauen nur ein Spielzeug, fast weniger als das. Nun war er Ange Clairefort begegnet und liebte sie nach acht Tagen mit einer brennenden Leidenschaft. Wenige Tage nach dem erwaehnten Gespraech ritt er mit Ange aus. Es war ein wundervoller Herbsttag, einer jener Tage, an denen Fruehling und Sommer noch einmal auf die verlangende Erde zurueckzueilen und alle ihre Schoenheit reifer und gemilderter zugleich ueber die Welt auszustroemen scheinen. Die Sonne funkelte in den Baeumen, verwandelte mattes Gelb in glaenzendes Gold und braune Blaetter in goldkupfernes Metall. Die ganze Natur durchstroemte sie mit einer durchsichtigen Helle, mit einer Klarheit, als sei jedes unreine Staeubchen von erfrischenden Lueften fortgeweht, und als seien diese selbst herabgestiegen aus kuehlen, stillen Himmelshoehen. Teut war kein Mensch, der sich jemals in Gefuehlsaeusserungen erging. Er empfand alles Schoene und Gute, aber es lag nicht in seiner Natur oder es fehlte ihm der Drang, seine Empfindungen in Worte zu uebersetzen. Anders Ange. Die sanften Farben auf ihren Wangen gluehten, sie sog die Luft ein, hielt das seit einer Viertelstunde rasch dahintrabende Pferd an und warf einen fragenden Blick auf ihren Begleiter. Sie hatten, seitdem sie das Haus verlassen, kein Wort gewechselt. Niemals war Teut so stumm gewesen wie heute. "Drueben!" sagte er und zeigte auf ein kleines unter den Baeumen verstecktes Haeuschen. Er hielt nicht, wie Ange, sein Pferd an. "Weiterreiten?" fragte sie, als ob sie ihn nicht verstanden. Sie aergerte sich ueber seine formlose Art, die sie ihm schon haeufig im stillen vorgeworfen hatte. Teut nickte, ohne etwas hinzuzufuegen. So erreichten sie beide--Ange in einer etwas unbehaglichen Stimmung--das Wirtshaus. Ehe der Stallknecht herbeieilen konnte, war Teut herabgesprungen und hatte Ange vom Pferde gehoben. Es war, als ob Christophorus das Jesukindlein ueber den Fluss tragen wolle. Wie ein zartes Pueppchen lag sie ihm im Arm, und wie ein Riese setzte er sie nieder. "Drueben ist eine herrliche Aussicht. Wollen wir gehen?" fragte er artig und reichte ihr den Arm. Aber sie dankte, schuerzte das Reitkleid und schritt neben ihm durch einen linksseitig einbiegenden, mit Baeumen besetzten Weg. Nach wenigen Augenblicken beruehrten sie eine Kirche und einen Gottesacker. Es sah recht verwildert dort aus. Aus der zerbrochenen eisernen Einfriedigung hingen Schlingpflanzen in den Farben des Herbstes, und Unkraut wucherte auf den Graebern. Dann stiegen sie eine leichte Anhoehe empor und schritten auf einen Eichenwald zu. Kleines, kurzes Gebuesch draengte sich ueber den Fusspfad, es ging unregelmaessig bergauf, bergab. Endlich umfing sie der Herbstwald und die Kuehle. Hier glaenzte es hell durch die Baeume; lange, wundervolle Lichtstreifen lagen auf dem gruenen Erdboden. Dort flimmerte es im dichteren Gebuesch, als ob kleine versteckte Sonnen vergeblich hervorzubrechen versuchten, und einmal, bei einem Durchblick zur Rechten, schauten sie in einen verlassenen, gaenzlich abgeschlossenen, mit Gras dicht bewachsenen Feldweg, auf dem die Einsamkeit einen maerchenhaften Schlaf zu traeumen schien. Aber sie schritten weiter, erreichten endlich eine Bank auf einer von blaetterreichen Eichen umstandenen Anhoehe, und sahen nun meilenweit ins Land. Es ging ein sanftes Jubilieren durch die blaue, durchsichtige Luft. Die letzten Voegel zwitscherten, und riesige Lichtstroeme warf die Sonne ueber Wiesen, Felder und ferne Waelder. Hier und dort glitzerten Streifen eines in malerischen Windungen auftauchenden Flusses zwischen den sanft dahingestreckten Matten, als ob ploetzlich die Erde ausgebrochen sei und fluessiges Silber seine Bahn suche. Ange ward gedraengt, ihrem Entzuecken Ausdruck zu geben, aber ihr Begleiter war scheinbar noch ebenso missmutig wie vorher. "In welch schlechter Laune haben Sie mich heute begleitet?" hob sie an und richtete ihren lebhaften Blick auf sein unbewegliches Gesicht. "Nein!" erwiderte er. "Aber ich habe einiges auf dem Herzen, und hier"--er lud sie zum Sitzen ein--"will ich Ihnen einmal sagen, wozu bisher stets der rechte Augenblick gefehlt hat." Die feine Roete auf Anges Gesicht wich einer leichten Blaesse. Ein halb zaghafter, halb ungeduldiger Ausdruck stahl sich in ihre Mienen, und sie fasste die Reitgerte fester. Aber sie ueberwand sich und sagte ungezwungen: "Wohlan, setzen wir uns und erzaehlen Sie mir etwas. Aber nichts, nichts Unangenehmes heute, lieber Teut. Ein andermal. Ich bin froehlich; weshalb mir das nehmen? O, ich bin gluecklich hier in dieser schoenen Welt. Bitte!" Teut zuckte zusammen. Immer, wenn sie in diesem zaertlichen und bittenden Tone sprach, zoegerte er, ihr auch nur durch tadelnden Blick eine Verstimmung zu bereiten. Wieviel besser verstand er jetzt Claireforts Zaudern als ehedem! Dieses unschuldsvolle Kind mit seiner sorglosen Froehlichkeit und seiner Freude am Leben erschien ihm wie ein eben aus der Hand des Schoepfers hervorgegangenes Kunstwerk. Und diesen reinen Spiegel sollte er trueben, gar zersplittern? Aber einmal musste es doch geschehen. Er strich wiederholt den Schnurrbart und sagte endlich: "Liebe Frau Ange! Hoeren Sie zu. Ich bitte Sie bei unserer Freundschaft darum." Etwas ganz Besonderes musste es doch sein. In Anges Gesicht trat ein hilfloser Ausdruck, und ein eigener Glanz schimmerte in ihren sanften Augen. "Ich hoere!" sagte sie leise und legte die Haende ineinander. "Sehen Sie, liebe Ange--Darf ich Sie so nennen?" Er wandte sich zu ihr, sah sie fragend an und ueber sein edles, maennliches Gesicht flog ein hinreissender Zug von Herzensguete. Und sie nickte mit einer Miene und bejahte mit einem Blicke, als ob sie ein Engel sei, der einem Suender Gottes Verzeihung ueberbringe. "Wir kennen uns nun schon fast ein Jahr. Durch Sie hat sich mein Leben fast ganz veraendert. Ich hatte bereits von allem Abschied genommen, was Haus und Familie heisst, und mich in die Rolle eines alten Junggesellen hineingefunden. Meine dienstliche Beschaeftigung, der Umgang mit den Kameraden, die Befriedigung allerlei berechtigter und unberechtigter Passionen, nach Umstaenden einmal ein Stueck ungehinderter Freiheit--ich koennte ja ganz ein freier Mann sein und meinen Neigungen leben, aber ich fuehle Pflichten in mir gegen mein Vaterland und meinen Koenig--genuegte mir. Da sah ich Sie, Ange; und weshalb sollte ich es verhehlen--ich liebte Sie bei unserer ersten Begegnung und werde Sie lieben, solange ein Atem in mir ist." Er sah sie nicht an, waehrend er sprach. Wenn er emporgeschaut haette, wuerde er bemerkt haben, dass sie wie traeumend ins Land und in die Ferne schaute; aber er wuerde auch in ihrem Angesicht gelesen haben, wie sie alle seine Worte verschlang und wie die letzten sie erbeben machten. Ein feuchter Glanz verdunkelte auf Augenblicke ihre Augensterne, und versteckt strichen ihre kleinen Finger ueber die Wimpern. "Aber weil ich Ihnen so gut bin--Sie wie ein Bruder und Freund liebe," fuhr Teut fort, "muss ich Ihnen etwas sagen, was Ihr Glueck betrifft." Und nun sprach er in langer Rede auf sie ein. Er tadelte und troestete, er forderte und flehte. Er teilte ihr Carlos' Worte an jenem Tage mit, klaerte sie ueber ihre Verhaeltnisse auf und liess das Bild einer duesteren, vielleicht durch ihre Handlungsweise heraufbeschworenen Zukunft vor ihr Auge treten. Atemlos horchte sie auf und erbebte. Welch drohende, vernichtende Wolken hingen ueber ihrem ahnungslosen Haupt! Nachdem er geendet, sass sie lange stumm und sprach kein Wort. Aber als dann aus seinem Munde ihr Name drang: "Liebe Ange, liebe Freundin, zuernen Sie mir?" da ueberwaeltigte sie ihr Gefuehl und sie neigte das Haupt und schluchzte. Er wagte es: er strich sanft ueber ihr Haar; er that, als ob er nichts anderes fuehle als Mitleid, nichts anderes geben wolle als Trost, und doch bedurfte er seiner ganzen Kraft, um sie nicht in dem Ausbruch unterdrueckter Leidenschaft ans Herz zu ziehen. * * * * * Am naechsten Tage nach diesem Ausflug traten Clairefort und Teut nach Tisch--es waren heute ausnahmsweise nur drei Gedecke, da die Kinder frueher speisten--in des ersteren Gemach. Clairefort schien duesterer als je, es war waehrend der Tafel, bei welcher Tibet mit seinem geraeuschlosen Schritt bedient hatte, fast keine Silbe ueber seine Lippen gekommen, und Ange--noch unter dem Eindruck der juengsten Unterredung--verhielt sich ebenso einsilbig. In dem matt erleuchteten, dunkel tapezierten Zimmer kam es Teut heute fast unheimlich vor. Seltsam schaute der Marmorkopf einer Venus aus dem Dunkel hervor, und duester starrten ihm die Arabesken aus dem Teppich entgegen, der den Fussboden bedeckte. Eine Weile sassen beide Maenner rauchend und ohne zu reden, nebeneinander. Jedem lagen Worte auf der Zunge, keiner wollte zuerst sprechen. Endlich sagte Clairefort tonlos: "Sie haben gestern mit Ange gesprochen, Teut?" Der Angeredete nickte, ohne etwas zu erwidern. Clairefort wiederholte nun seine Frage. "Ja," sagte Teut, "ich habe mit Ihrer Frau geredet." "Was sagte sie, bitte?" Ohne auf diese Frage unmittelbar zu antworten, entgegnete Teut: "Hat sie Ihnen keine Mitteilung gemacht?" "Nun--ja und nein! Sie sprach sehr unzusammenhaengend. Sie hing sich an meinen Hals, weinte und rief: 'Ich will mich bessern, Carlos!' Ich vermutete, dass diese Aeusserung aus dem Gespraech mit Ihnen hervorgegangen sei. Gesagt hat mir Ange nichts." Teut horchte auf.--Wie ruehrend! Welch eine liebenswuerdige Reue lag in diesen paar Worten! "Gut! Warten wir also ab, Clairefort!" "Ja--" sagte dieser gedehnt und offenbar unbefriedigt. Jetzt sah Teut Clairefort versteckt ins Auge. Ein verdrossener, nervoeser Zug lag auf seinem Gesicht. Ploetzlich stieg in Teut ein beunruhigender Gedanke auf. War Clairefort eifersuechtig? Was stand ihm und Ange bevor, wenn seine Vermutung sich betaetigte? Und zugleich ueberfiel ihn ein gefaehrlicher Drang, diesen Verdacht zu loesen und zu bekaempfen. Er wollte Vertrauen, er wollte fuer Freundschaft und Hingebung nicht Misstrauen, Verstimmung--vielleicht weit Schlimmeres noch. "Clairefort--!" hob er durch die peinvolle Stille an. "Clairefort, ich bin Ihr Freund! Sie hatten wohl nie einen aufrichtigeren Freund! Glauben Sie das?" Clairefort erhob den Blick und sah Teut verlegen an. "Ja, lieber Teut! Weshalb fragen, weshalb--beteuern Sie?" Der letzte Satz kam zoegernd hervor. Die Worte verfehlten auch ihre Wirkung nicht, denn Teut sagte abweisend: "Ich beteuerte nichts! Ich wollte Ihnen nur einmal, ein einziges Mal, nachdem Sie mir ein Vertrauen schenkten, das man hoechstens etwa seinem Bruder in aehnlichen Verhaeltnissen zuwendet, sagen, dass Sie--was immer sich ereignen koennte--darauf rechnen duerfen, dass ich Ihr wirklicher Freund bin und stets als ein solcher handeln werde. Verstehen wir uns jetzt?" "Ja," nickte Clairefort; er schien aber keineswegs ueberzeugt. Teut sprang auf. Er trat auf Clairefort zu und fasste seine Hand. "Armer Clairefort," sagte er. "Ich bedauere Sie aus tiefster Seele, um so mehr, weil ich verstehen kann, was Sie bedraengt. Aber niemals begegnete ein Mensch einem anderen mit ungerechterem Misstrauen. Und nun noch einen Rat, bevor wir heute scheiden. Erleichtern Sie Ihrer Frau die Entschluesse. Handeln Sie, Clairefort, und seien Sie dabei ein Mann und ein wohlwollender Freund zugleich. Verstehen Sie?" Clairefort antwortete nichts. Ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust. Teut wandte sich zur Thuer. Als er eben das Zimmer verlassen wollte, erhob sich ersterer rasch, beruehrte Teuts Schulter und sagte leise: "Verzeihung, Teut! Ich danke Ihnen von ganzem Herzen!" Die Erinnerung an diesen Vorfall beschaeftigte Teuts Gedanken. Aber doch begriff er eins nicht, und deshalb gruebelte er hin und her. Ange hatte ihm erklaert, die Sorgen ihres Mannes seien sicher ungerechtfertigte. Schon seine Mutter habe unter dem Wahne gelebt, sie koenne nicht auskommen und sei doch im Besitz eines ungewoehnlich grossen Vermoegens gewesen. Dies waere eine Krankheit aller Claireforts. Es sei ungenau, behauptete sie, dass die Zinsen nicht genuegten, um alle Ausgaben zu bestreiten. Sie glaube im Gegenteil zu wissen, dass Tibet vierteljaehrliche Ueberschuesse, von denen ganze Familien bequem wuerden leben koennen, zum Banquier trage. Auch habe sie selbst ein voellig unberuehrtes, nach ihrem Tode den Kindern zufallendes Vermoegen, das ausreiche, eine Familie mit groesseren Anspruechen zu befriedigen. Trotzdem gebe sie aber zu, dass ihr Aufwand ein grosser sei, dass sie vieles verschwende, und dass es verstaendig sei, alles einschraenken. Sie bat Teut, da ihr Mann Geldverhaeltnisse, wer weiss aus welchen Gruenden, niemals gegen sie beruehre, ihn auszuforschen und ihr zu berichten. Sie koenne, fuegte sie hinzu, auch Tibet fragen, aber dieser sei in solchem Punkte stets verschlossen. Zudem erachte sie es als nicht angemessen, einen Untergebenen zwischen sich und ihren Gemahl zu stellen. Bei der naechsten Begegnung zwischen Clairefort und Teut nahm sich letzterer vor, diesen Punkt schon deshalb durch eine Frage aufzuklaeren, weil alle Massnahmen danach zu treffen waren. Falls Clairefort die Wahrheit gesprochen, musste Teut, um nicht auf halbem Wege stehen zu bleiben, auf sofortige Einschraenkungen dringen, und diese konnten doch, wie die Dinge lagen, nur von Ange ausgehen. An einem der naechsten Tage, an welchem Clairefort Teut in der alten herzlichen Weise begegnete, knuepfte letzterer an diesen Zwischenfall an und sagte: "Sie haben mich, Clairefort, in Ihre intimsten Verhaeltnisse eingeweiht. Ich habe nicht nach den Gruenden gefragt. Entweder war es die Folge jenes natuerlichen Dranges, der uns in schweren Noeten zur Mitteilung treibt, oder Sie erkannten Ihre Machtlosigkeit und fuehlten das Beduerfnis, sich einer Freundeshilfe zu bedienen. Gleichviel! Sie schenkten mir Ihr Vertrauen, und ich gab Ihnen mein Wort, dieses nach bestem Vermoegen zu rechtfertigen. Unter solchen Umstaenden ist nun aber voellige Offenheit eine unbedingte Notwendigkeit." In Claireforts Augen blitzte es bei dieser Anrede auf. Eine seltsame Spannung malte sich in seinen Zuegen; offenbar missdeutete oder ueberschaetzte er den Sinn der Worte. Teut verstand nicht, was Clairefort beunruhigte, aber um so mehr beeilte er sich, fortzufahren: "Eines ist noch der Aufklaerung beduerftig," sagte er in gelassenem Tone, "und ich bitte meine Frage nicht als eine ungerechtfertigte Einmischung zu betrachten. Ange behauptet, dass Sie nur eine uebertriebene Sorge beherrsche, dass Ihre und ihre eigenen Renten so gross seien, dass jaehrlich erhebliche Ueberschuesse aus den Zinsen zurueckgelegt werden koennten." "Nun," rief Clairefort, offenbar erleichtert, aber immerhin erregt, und in dieser Erregung nur den letzten Aeusserungen Teuts Gehoer schenkend, "ich denke, dass wir keine Kinder sind! Es ist, wie ich Ihnen sagte. Mein Ehrenwort darauf,--das ich indes nur erhaertend hinzufuege, weil die Behauptung meiner Frau der meinigen gegenuebersteht. Durch den Sturz eines Bankhauses habe ich grosse Summen verloren, wodurch mein Vermoegen ganz ausserordentlich zusammengeschmolzen ist. Das weiss auch Ange, denke ich--" "Nein! Sie weiss gar nichts! Aber gut," sagte Teut, "wenn dem so ist, dann werde ich mit Ihrer Erlaubnis handeln!" * * * * * Kurze Zeit darauf hatte Teut Gelegenheit, noch einmal mit Ange zu sprechen. Ein Vorfall, der nur allzu bezeichnend fuer sie war, gab dazu Veranlassung. Er trat am Spaetnachmittag ins Haus und fand sie bei der Besichtigung eines seidenen Kleides, das sie gerade der Jungfer mit den Worten zurueckgab: "Nein, auch das geht nicht. Ich werde mir dann fuer das Fest ein neues machen lassen und heute noch ausfahren, um den Stoff auszusuchen." "Ich stoere wohl, Frau Graefin--" hob Teut, ruecksichtsvoll ins Zimmer tretend, an. Sie schuettelte ihren Kinderkopf, raffte erroetend und verlegen allerlei auf den Stuehlen umherliegende Garderobengegenstaende auf, schob sie der Kammerjungfer ueber den Arm und hiess sie und Erna, welche eben, die Thuer sperrweit offen lassend, ins Zimmer gestuermt kam, gehen. "Nein, halt! Warten Sie, Charlotte!" unterbrach sie aber doch ihren Befehl. "Der Herr Rittmeister mag entscheiden." Die Jungfer that, wie ihr gesagt wurde. Sie legte die Kleider auf einen Stuhl und suchte unter den ueberreichen Ballroben eine hervor, die sie ihrer ungeduldig wartenden Herrin ueberreichte. "Ich verstehe von Kleidern gar nichts," sagte Teut schroff. Es stoerte ihn, dass Ange in Gegenwart der Zofe mit ihm dergleichen Dinge besprechen wollte. Ange sah ihn missmutig an, wollte etwas erwidern, unterdrueckte aber die Entgegnung. Inzwischen nahm Erna eines der Kleider an sich, fuhr mit den Armen hinein, schob die Schleppe mit den Fuessen ungeschickt hin und her, so dass sie diese mit den bestaeubten Schuhen beruehrte, und rief endlich laut: "Mama, Mama, sieh einmal!" "Aber Erna, Erna!" flehte Ange und eilte erschrocken hinzu. Das Kind aber hob den seidenen Rock empor, lief rasch davon und rief: "Das muessen Jorinde und Ange sehen! Nein, nein, ich gebe es nicht!" Ange liess denn auch das Kind gehen und machte der Zofe ein Zeichen, nachzueilen. Als sie zu Teut emporblickte, begegnete sie seiner missbilligenden Miene. "Unverbesserlich sind Sie, liebe Graefin," sagte er und schuettelte den Kopf. "Nicht schelten!" bettelte sie und sah ihn mit ihrem bezaubernden Blicke an. "Aber doch ernsthaft raten! Sehen Sie, liebster Teut, das ist mein bestes Kleid, und darin kann ich doch den Ball nicht besuchen, nicht wahr?" Allerdings: das Kleid war unverantwortlich behandelt. Die Spitzen, mit denen man es besetzt hatte, waren zerrissen; die Schleppe war besudelt, an der Taille fehlten Knoepfe. Im uebrigen war der Stoff eine mit anmutigen Blumenbouquets durchwirkte weisse Seide, einer Koenigin wuerdig. "Man koennte die Robe einer geschickten Schneiderin uebergeben, sie mit neuen Spitzen garnieren und saeubern lassen," sagte Teut phlegmatisch. Er war selbst erstaunt ueber den Umfang seiner Kenntnisse und ueber seine praktischen Ratschlaege. "Nein, nein!" sagte Ange, als ob es sich um ein Puppenkostuem handle. "Hier ist ja sogar ein grosses Loch!" und sie zeigte ihm den Rock, in welchem uebrigens nur die Naht hinten seitlich eingerissen war. "Kann genaeht werden!" entschied Teut mit seiner stoischen Ruhe. "Ach, mit Ihnen ueber Toilette sprechen! Kommen Sie, Teut! Wir haben wundervolle Melonen erhalten. Der Fruehstueckstisch ist gedeckt." "Nein," sagte er, "erst muss ich Sie sprechen. Heute ist die erste Lektion." Sie sah ihn mit ihrem naiven Blick an, dann glitt ein ungeduldiger Ausdruck ueber ihr Gesicht. "Wieder eine Waldpredigt! Nein, heute mag ich nicht; weshalb quaelen Sie mich! Ach, wie war ich sonst gluecklich! Nun stehen Sie neben mir wie ein Schulmeister; ich bin doch kein Kind mehr!" "Doch, ja," sagte Teut kurz. Und dann weicher: "Sie sind ein Kind, ein liebes, reizvolles Kind. Aber nun kommen Sie! Lassen Sie uns noch einmal reden!" Er stand auf und schloss die Thuer. Ange graute bei diesen Vorbereitungen. "Zuerst, liebe Freundin--bitte, setzen Sie sich doch mir gegenueber, dort in den Fauteuil" (sie that es schmollend und zerpflueckte eine spaet erbluehte weisse Rose, deren Blaetter sie auf den Teppich fallen liess)--"ein sehr ernstes Wort! Ich habe mit Clairefort gesprochen; es ist, wie er sagt. Sie besitzen heute nur einen Teil Ihres beiderseitigen Vermoegens." Er hielt einen Augenblick inne und beobachtete die Wirkung seiner Worte. "Und wie ist dies zugegangen?" fragte Ange mehr neugierig als erschrocken. "Ein Banquier, bei dem Clairefort seine Papiere niedergelegt hatte, musste seine Zahlungen einstellen. Es ging dort alles verloren." "Der arme, arme Clairefort! Ist er sehr betruebt?" hob sie besorgt an. Sie forschte aengstlich in Teuts Angesicht; sie dachte nur an ihren Mann, wie er die Sache aufgenommen, in welcher Stimmung er sei. Ob sie gehen solle, um ihn zu troesten, ihm zu sagen, dass sie auch fortan sparsamer sein wolle. Es bliebe dann gewiss noch genug, schloss sie. "Ja, das ist es. Nun sehen Sie doch ein, dass Sie ganz anders leben muessen, dass Sie den grossen, ueberfluessigen Hausstand einschraenken, die Kinder regelmaessig in die Schule schicken und sich sorgsamer um Ihre Wirtschaft bekuemmern muessen!" sagte Teut ernst. Sie nickte wie ein Kind, das gescholten wird, das voll guter Vorsaetze ist, zerknirscht anhoert, was es verbrochen hat, bis Natur und Freiheit, bis Spiel und Taendelei alles wieder verwischen. "Das erste wird sein, dass wir auch Tibet ins Vertrauen ziehen. Wir werden ueberlegen muessen, wer von der Dienerschaft bleiben kann, welche Ausgaben ueberfluessig sind, wie die Geselligkeit zu beschraenken, wie Fuhrwerk und Pferde drunten--" "Meine himmlischen Pferde auch?" rief Ange "Und gar die Hunde? Muessen wir ein anderes Haus, eine andere Wohnung beziehen? Ach, Teut, sagen Sie, ist's denn so schlimm? Besitzen wir nichts, gar nichts mehr? Sprechen Sie ein Trostwort!" Mit traenendem Blick sah sie zu ihm empor und erwartete zitternd seine Antwort. Umfang und Bedeutung der eingetretenen Verhaeltnisse ueberschaetzte sie nun so sehr, dass sie sich, wie ihre weiteren Fragen ergaben, schon in einem kleinen, beschraenkten Haeuschen sah und mit Aengsten an ihre Kinder dachte, die dadurch Entbehrungen erleiden wuerden. Teut erkannte besorgt, welchen Eindruck seine Worte hervorgerufen, welche Schreckbilder er unbeabsichtigt heraufbeschworen hatte. "Sie sollen nichts entbehren, liebe Freundin!" beruhigte er, hingerissen von Anges Anmut, von ihrem bei alten diesen Eroerterungen hervortretenden selbstlosen Wesen, und strich in heftiger Bewegung den Schnurrbart. "Nichts, meine teure Freundin! Ich stehe dafuer! Nur Ueberfluessiges, Thoerichtes wollen wir beseitigen. Schon um der Kinder willen werden wir--" Er betonte die Worte und stockte. Sie schaute ihn an. Was lag alles in diesen guten, klugen Augen, die sich mit solcher Innigkeit auf sie richteten. Und da riss es sie fort; sie schnellte empor und umschlang den troestenden Freund in stuermischer Freude mit ihren Armen. In diesem Augenblick oeffnete sich die Thuer; beide flogen auseinander. Clairefort aber, der sich zeigte, sagte mit einem eisigen Blick: "Ach, ich stoere wohl?" "Carlos, Carlos!" rief Ange, ahnend, dass sich etwas Furchtbares ereignen wuerde, und stuermte dem Fortgegangenen nach. Teut aber schlug heftig mit den Hacken der Reiterstiefel zusammen und seufzte einige Male tief auf. * * * * * "Wann kann ich die Ehre haben, Sie zu sprechen? von Clairefort." "Bitte, kommen Sie rasch! Ange." Teut blickte gedankenvoll auf zwei Blaettchen, die er empfangen hatte und die diese Worte enthielten. Seit einigen Tagen war er nicht zu Claireforts zurueckgekehrt; nun war geschehen, was er hatte kommen sehen. Er uebersetzte sich die Worte seiner Freunde in seine Sprache. "Rechtfertigen Sie sich!" lauteten diese.--"Eilen Sie, ich bin sehr ungluecklich und bedarf Ihres Trostes!" deutete er sich jene. Lange Zeit sass Teut gruebelnd da und liess alles, was geschehen war, noch einmal an seinem Geist voruebergehen. Hin und wieder erhob er den Blick, und dieser haftete mechanisch an den vielen Gegenstaenden, die seine Gemaecher ausfuellten. In einem genialen Durcheinander sah man die widersprechendsten Dinge. Auf einem seidenbezogenen Sessel lag ein neuer, ungebrauchter Sattel, an den Waenden zur Linken hingen, flankiert von ausgestopften Vogel- und anderen Tierkoepfen, Pistolen, Saebel und sonstige alte und neue Waffen. Die rechte Wandseite nahm ein uebergrosses, wundervoll ausgefuehrtes Frauenbrustbild in der zarten Manier Angelika Kaufmanns ein; daneben waren in unregelmaessigen Abstaenden Photographieen, zahlreiche Kupferstiche und Lithographieen aufgehaengt, teils Portraets, teils Jagd- und Reiterbilder: hier ein Sturz vom Pferde beim Rennen, dort rote Roecke mit Trara hinter dem fliehenden Wild im Walde. Auf den Tischen lagen Berge von Handschuhen, vertrocknete Blumen, aufgerufene Kartons und Jagdutensilien. Auf einem chinesischen Kaestchen erhob sich eine Bronzefigur Napoleons I. mit verschraenkten Armen. Ihm zur Seite stand eine halbnackte, zum Sprung ins Bad bereite Frauengestalt aus weissem Marmor. Auf einer an den Tisch gerueckten Etagere lagen in merkwuerdiger Ordnung zahlreiche Cigarrenetuis: viele mit Wappen in Silber oder Elfenbein; auch kostbar gebundene Buecher; daneben erhoben sich einige Medaillonbilder auf zierlichen Gestellen--und all diese Gegenstaende beherrschte eine weissschimmernde marmorne Klytia mit dem schwermuetig sanften Blick. Auf dem gruenen Teppich, der das ganze Zimmer bedeckte, war vor einem Schreibtisch das riesige Fell eines Eisbaeren ausgebreitet, und den ersteren bedeckten zahlreiche Schriften, Papier, aufgeschnittene Buecher und Schreibmaterialien, die sich um eine alte franzoesische Uhr gruppierten, welche hier Platz gefunden hatte. Und ringsum saubere hellpolierte oder tiefschwarze Moebel; auch einige primitiv gearbeitete, aber praktisch eingerichtete Schraenke, aus deren geoeffneten Schubladen Rehposten, Patronen und Pulversaecke hervorschauten. Endlich stand in der Mitte des Zimmers ein mit einem Tigerfell behangener Chaiselongue, der aber selten benutzt zu werden schien, denn eine ganze kleine Bibliothek war hier aufgeschichtet. Frueher hatte Teut taeglich viele Stunden in seiner Wohnung zugebracht. Er blaetterte in den Journalen, las die neuesten deutschen und franzoesischen Romane, empfing Billetdoux und beantwortete sie, schraubte wohl mit zufriedenem Laecheln einen Flintenlauf vom Kolben oder drueckte an dem Schloss und freute sich der schoenen Ciselierungen am Rohr. Oder er richtete im Nebengemach, im Esszimmer, ein Abendessen, bereitete selbst die Bowle und stand in lederner Hausjoppe neben Flaschen und Glaesern. Aber alles hatte seinen Reiz verloren. Jede Stunde, die er nicht im Dienst war, floh er die Raeume und eilte zu Ange. Aber noch mehr. Die rechte Freude am Dasein war dahin; es gab nur noch Kaempfe, Sorgen, Selbstueberwindungen, um ein gegebenes Wort zu erfuellen. Ihr guter Geist wollte er ja fortan auf Erden sein, das hatte er geschworen--ihr Freund--ihr stumm verzichtender Verehrer.-- "Kleine Ange, kleine liebe Ange," fluesterte der Mann und grub die Zaehne in die Lippen, um seiner innerlichen Erregung Herr zu werden. "Nun beginnt der grosse Roman--der Roman unseres Lebens!" * * * * * Teut beantwortete beide Briefe zugleich. Ange schrieb er: "Auch von Carlos erhielt ich einige Zeilen. Der kurze formelle Inhalt laesst mich schliessen, dass es sich um nichts Gutes handelt! Ich komme bestimmt heut abend. Dann sieht Sie Ihr getreuer Teut." Dem Freunde aber sandte er nur seine Karte und schrieb: "Ich besuche Sie kurz vor der Theestunde in Ihrem Zimmer. v.T." Als aber der Nachmittag kam, aenderte Teut seinen Entschluss. Es fiel ihm ein, dass er den Kameraden versprochen hatte, abends den Besuch eines Freundes im Kasino zu feiern. Er ging deshalb frueher zu Claireforts. Als er die Wohnung erreichte, stieg er, in Gedanken verloren und ohne sich umzusehen, die Treppe empor. Er wuenschte, obgleich er das Richtige zu vermuten glaubte, zunaechst von Ange zu erfahren, was vorgefallen sei, und dann Clairefort aufzusuchen. Zu seiner Ueberraschung fand er alle Thueren offen und weder jemanden im Empfangssalon noch in Anges Gemaechern, ueberall aber eine grosse Unordnung. Hier stand das Schaukelpferd eines der Knaben, dort hing, neben fortgeworfenem Spielzeug, eine Puppe mit gesenktem Kopf und schlaffen Armen rueckwaerts ueber einem Stuhlpolster. Auf dem Tisch des Wohngemaches lagen Kinderhuete und der hastig abgestreifte Paletot eines der Kinder. In Anges Schreibtisch war eine Schublade aufgezogen, und eine Sammlung von zartgefaerbten Handschuhen lag in wilder Unordnung durcheinander. Einer hing mit schlaffen Fingern ueber den Rand des Schubfaches hinaus. Teut schritt weiter bis an die Kinderzimmer. Er fand auch hier niemanden, aber ein aehnliches Durcheinander. Die Wohnung machte den Eindruck, als ob eine Familie in fliegender Hast, vor einer Gefahr fluechtend und alles im Stiche lassend, davongeeilt sei. Kopfschuettelnd ging Teut weiter und trat gegenueber in Claireforts Privatgemach. Er klopfte. Keine Antwort. Er oeffnete behutsam. Hier fand er es wie stets: dieselbe peinlich-uebertriebene Ordnung, derselbe duestere Ernst, derselbe Mangel an freundlichen, belebenden Eindruecken. Keine Blume, keine lebhaften Bilder! Ein Hauch von Schwermut lag ueber dem Gemach ausgebreitet und nur allzu deutlich drueckte sich in den Raeumen der Charakter seines Bewohners aus. Natuerlich that auch die Dienerschaft, unter solchem Beispiel und keine strenge Hand ueber sich fuehlend, was sie wollte. Nirgends ein maennliches oder ein weibliches Wesen, das nach dem Fortgang der Herrschaft die Thueren geschlossen und in den Zimmern Ordnung geschaffen haette. Teut wandte sich zurueck, und waehrend er noch ueberlegte, ob er nach Hause zurueckkehren oder warten solle, bis die offenbar auf einer Ausfahrt begriffene Familie wiederkommen werde, hoerte er Schritte. Er horchte auf und trat einen Augenblick beiseite. Es war Tibet, der geschaeftig ausraeumte, hier sich nach einem Spielzeug, dort nach einem Kleidungsstueck bueckte und ordnend die Hand an Tisch und Stuehle legte. Ja, Tibet, Tibet! Er uebernahm die Pflichten aller. "Die Herrschaften sind aus gefahren?" fragte Teut, nun hervortretend und den Kammerdiener begruessend. "Jawohl, Herr Baron. Frau Graefin macht Besuche mit den Kindern; der Herr Graf ist schon frueher fortgeritten." Er sprach in seiner gewohnten ehrerbietigen Weise und schob eine Puppe, die er gerade in der Hand hatte, verlegen hinter sich. Teut nickte und liess sich nieder. Es kam ihm sehr gelegen, den Vertrauten des Hauses einmal allein zu treffen, und er beschloss, ein Gespraech mit ihm anzuknuepfen. "Wie lange sind Sie eigentlich schon in der graeflichen Familie, Tibet?" "Seit meinem fuenfundzwanzigsten Jahre," erwiderte dieser mit einem melancholischen Anflug in der Stimme. "Im Hause der Familie Butin oder bei Claireforts?" "Bei Claireforts." "Und Sie hatten nie eine andere Beschaeftigung oder Taetigkeit?" "Doch, Herr Baron!" "Und welche?" "Ich wollte mich urspruenglich dem Kaufmannsstande widmen." "So so! Hatten Ihre Eltern schon Beziehungen zu der Familie?" "Nein, Herr Baron." "Sie sind wohl schon ein guter Vierziger, Tibet?" "Ja, Herr Baron." Nein--ja, Herr Baron! Auch im Verfolg des Gespraeches gab er diese einsilbigen Antworten. Dieser Mensch sprach nur, wenn man ihn fragte, und dann lediglich das Notwendigste. Teut beschloss, es anders anzufangen, und indem er in bekannter Weise die Stiefelhacken zusammenschlug und den Schnurrbart drehte, sagte er mit starker Betonung. "Tibet!" "Herr Baron!" "Ich weiss, dass Sie eine grosse Anhaenglichkeit an den Herrn Grafen und besonders auch an die Frau Graefin haben. Sie wissen zugleich, dass ich ein aufrichtiger Freund der Familie bin. Nicht wahr, Sie glauben das?" Statt zu antworten, sah Tibet Teut einen Augenblick mit hoechster Befremdung an. "Ja, ich verehre die Frau Graefin wie niemand sonst." Die zweite Frage ueberging er. "Gut. So dachte ich. Aber zu mir haben Sie wenig Vertrauen, Tibet, nicht wahr?" laechelte Teut. "Ich verstehe nicht, Herr Baron." Tibet schlug verlegen die Augen zu Boden. "Sie verstehen recht gut. Sprechen wir einmal offen miteinander." Tibet stand noch immer mit der Puppe in der Hand, die wie gelaehmt Arme und Beine haengen liess. Wenn man diesen grossen, hageren, ernsthaft dreinschauenden Mann in der dunklen Kleidung so dastehen sah, musste man unwillkuerlich laecheln. Als Teut die letzten Worte sprach, ueberfiel Tibet--man sah es deutlich--ein starkes Unbehagen. Zuletzt malten sich eine gewisse Abwehr, ja Trotz in seinen Mienen. "Also, Tibet," fuhr Teut unbekuemmert fort, "ohne Umschweife! Hier im Hause ist nicht alles, wie es sein soll. Die Graefin weiss keine Wirtschaft zu fuehren, der Graf leidet darunter--nicht nur in seiner Schatulle. Sie wissen das alles.--Das muss anders werden. Beide wuenschen es auch, aber die Graefin versteht es nicht zu aendern, und den Grafen halten andere Gruende zurueck. Ich moechte bei Zeiten etwas verhindern, was sonst unabaenderlich scheint. Wollen Sie mir helfen?" "Ich?" fragte Tibet kurz, starrkoepfig und fast aus der Rolle des Untergebenen fallend. "Ich bin ein Diener! Wie duerfte ich wagen, mich in die Angelegenheiten meiner Herrschaft zu mischen?" "Sie sind kein Diener hier im Hause, sondern ein Freund, zudem ein braver, ehrlicher Mann, Tibet. Versprechen Sie mir, um dieser Freundschaft willen, die Sie fuer die Familie hegen, mein treuer Verbuendeter zu werden!" Einige Augenblicke stand Tibet unbeweglich; die Puppe war jetzt so tief herabgesunken, dass die kleinen lackledernen Schuhe mit Kreuzbaendern den Fussboden beruehrten. Endlich sagte er aufschauend: "Herr Baron, ich will es mir ueberlegen. Ich danke Ihnen fuer Ihre gute Meinung. Gestatten Sie mir indessen jetzt--Ah, da kommen die Herrschaften bereits!" Und offenbar erleichtert und mit einer entschuldigenden Bewegung eilte er ans Fenster, guckte rasch hier- und dorthin und entfernte sich endlich, alle Siebensachen unter den Arm raffend, durch die nach dem Ausgang fuehrende Thuer. Teut sah nach der Uhr. Es war Tischzeit geworden und fuer seine Absichten somit zu spaet. Waehrend er noch zauderte, trat Clairefort von der entgegengesetzten Seite in den Salon, blickte ueberrascht auf, als er Teut in dem Stuhl sitzend fand, schritt foermlich auf ihn zu und sagte gezwungen: "Ah, ich glaubte Sie erst heut abend erwarten zu duerfen! Aber wenn es Ihnen gefaellig ist--Zugleich meinen Dank fuer Ihre Artigkeit. Ich waere natuerlich zu Ihnen--" "Bitte, bitte!" erwiderte Teut in seiner kurzen Weise. "Ich bin ja Ihr taeglicher Gast! Weshalb wollten Sie sich zu mir bemuehen? Ich stehe also ganz zu Ihrer Verfuegung." Mit diesen Worten machte er einige Schritte, Clairefort zu folgen. Aber zu gleicher Zeit oeffnete sich auch die Thuer und Ange, in einem reizenden Promenadenkostuem, das goldene Haar rueckwaerts in zwei nachlaessige Knoten geschlungen, die Wangen von der kalten Luft sanft geroetet, das Gesicht ganz umrahmt von einem kleinen, rosaseidenen Huetchen, trat rasch und lebhaft ins Zimmer. Ihr folgte die Schar ihrer Engel, eins schoener; grazioeser und vornehmer als das andere. In der That ein entzueckender Anblick. Des Grafen nicht achtend, ganz beschaeftigt mit dem Bilde, das sich ihm bot, eilte ihr Teut entgegen, und sie begruessten sich mit einer Herzlichkeit, als ob sie eine lange Zeit getrennt gewesen waeren. Aber in demselben Augenblick und waehrend die Kinder Teut jubelnd umringten, veraenderten sich Anges Zuege und erhielten einen furchtsamen Ausdruck. Da stand der Graf, finster, bleich, und biss sich auf die Lippen. Da stand er, der Herr des Hauses und weder Frau noch Kinder naeherten sich ihm. Aber alle umringten ihn--ihn, den Hausfreund, dem auch er sein groesstes Vertrauen geschenkt und den er doch in diesem Augenblick mehr hasste als den Tod. "Wartet mit dem Essen!" sagte Clairefort, seinen Unmut schlecht verbergend, und machte eine Bewegung gegen Teut, ihm zu folgen. Letzterer sah noch Anges erbleichendes Gesicht und warf ihr einen beruhigenden Blick zu. Dann schloss sich hinter beiden Maennern die Thuer. Als sie Platz genommen, knoepfte Clairefort den Rock auf und holte tief Atem. Teut aber sagte nachlaessig und mit einem Anflug von Ungeduld: "Nun, was steht zu Diensten, Clairefort?" Durch diesen Ton war jener schon halb entwaffnet; jedenfalls fand er nicht gleich das Wort. Und als er es noch immer nicht fand und, um es zu gewinnen, aufstand und das Fenster oeffnete, obgleich von draussen der Spaetherbstnachmittag kuehl ins Zimmer drang, erhob sich Teut und sagte: "Nun, Clairefort, dann will ich zuerst sprechen. Sie wuenschen abermals ueber Ihre Frau mit mir zu reden, oder richtiger ueber Ihre Frau und mich, und Sie wollen mir sagen, dass es besser ist, wenn alles beim alten bleibt, ja noch mehr, dass Sie mich mehr aus der Entfernung schaetzen als in Ihrer Naehe und deshalb--nein, ich bitte, lieber Clairefort, wir wollen einmal deutsch sprechen!--und deshalb wuenschen, dass ich meine Besuche einstelle. Sie sind in blinder, thoerichter Eifersucht befangen und zeigen dadurch, wie wenig Sie den Charakter Ihrer edlen Frau zu schaetzen wissen, wie gering Sie auch von mir denken. Aber da ich Ihnen nachfuehlen kann, ja heute mich ganz hineinzuversetzen vermag, weshalb es Ihnen schwer wird, zu thun, was Sie als recht befunden, was auszufuehren aber eine heilige Pflicht ist gegen Ihre Familie, gegen Ihr kuenftiges Wohlergehen, deshalb sagte ich als Freund, der Ihre Frau wie eine Schwester liebt und der Ihnen warm und herzlich zugethan ist: 'ich will Dir helfen. Lasse mich handeln, und wenn's gelungen ist, dann heisse mich meinethalben gehen.' So wollte ich es, so dachte ich es! Sie, Clairefort, zweifelten schon bei dem ersten Schritt, den ich that, wie mir scheinen will, an meiner Aufrichtigkeit und an der Reinheit meiner Gesinnungen. Als Ihre Frau mir dankte und es in ihrem kindlichen Herzen ueberstroemte, standen Sie da wie ein zorniger Brigant und kaempften nur muehsam Ihre Leidenschaft nieder. Und nun noch eins! Jederzeit bin ich fuer Ihre Frau auf der Welt--fuer sie und ihre Kinder! Aber ich bitte Sie auch um derentwillen, unterdruecken Sie so falsche, durch nichts gerechtfertigte Regungen! Habe ich durch meine Rede unangenehme Empfindungen geweckt, habe ich Ihnen gar wehe gethan, Clairefort, so sehen Sie mir dies nach! Vergessen Sie! Es musste Klarheit zwischen uns sein! So, und jetzt lassen Sie mich gehen. Ich wuensche noch, Ihrer Frau zu sagen, dass wir uns als Maenner ausgesprochen haben. Ich wuensche es, weil ich den furchtsamen Blick in ihrem lieben Gesicht beobachtete und sie niemals leiden sehen moechte, wo immer es in meiner Macht steht, dies zu verhindern." Clairefort hatte das Fenster wieder geschlossen. Er stand, das Gesicht der Scheibe zugewendet, bewegungslos. Einigemal hatte es in seinem Koerper gezuckt, mehreremal ballte er die Faust--aber er hatte kein Wort entgegnet und sprach auch jetzt nicht. Als Teut sich zur Thuer wandte, als sich in seinem langsamen Schritt nicht Zwang, wohl aber die Erwartung einer Erwiderung von jener Seite ausdrueckte, kehrte sich Clairefort zu ihm. Es war feucht in seinen Augen, ein unsagbarer Schmerz irrte um seine zuckenden Mundwinkel, und er sah Teut mit einem so hilflosen Blicke an, dass dieser auf ihn zueilte und ihm die Hand drueckte.-- War nun endlich alles im alten Geleise? Teut war darueber nicht im klaren. Ange aber schmiegte sich aengstlich und fragend an den Freund, als er ihr Gemach betrat. Sobald er aber auf ihre hastigen Fragen mit jener vertrauenerweckenden Ruhe antwortete, die ihn so anziehend machte, entwichen die ernsten Schatten auf ihrem Gesicht, wiederbelebte Hoffnung verschoente ihre Zuege und in ihrem unzerstoerbaren Sanguinismus glaubte sie schon wieder das Beste. "Sie bleiben heute nicht zu Tisch, Teut? Wann kommen Sie? Wann reiten wir aus? Sie sind doch morgen bei dem Diner? Sehen wir uns noch?" So fragte sie und so schien bereits alles wieder verwischt, was sie noch eben so zaghaft beruehrt hatte. * * * * * Die Zeit war vergangen. Teut hatte durchgesetzt, was er wollte. Der groesste Teil der Dienerschaft wurde entfernt. In das Hauswesen, in Kueche und Keller kam eine andere Ordnung, in die Erziehung der Kinder ein anderer Geist. Die neue Gouvernante erhielt die gemessensten Befehle und empfing Vollmachten, die verhinderten, dass das fruehere planlose Treiben fortgesetzt wurde. Unter dem Vorgeben, dass ein trauriges Familienereignis verbiete, Gesellschaften mitzumachen und in gewohnter Weise Besuch im Hause zu empfangen, ward auch diese kostspielige Seite des bisherigen Lebens einschraenkt, und Ange musste sich dazu verstehen, mit einer streng begrenzten Summe die eigene Toilette und die ihrer Kinder zu bestreiten. Das alles schaute sie mit harter Nuechternheit an; die Schule des Lebens schlaegt ihre Pfade nicht durch bluehende Buesche, sie fordert Entbehrungen und Kaempfe. "Wo sind die Kinder?" fragte Ange, und die Antwort hiess: "Sie lernen, sie haben Unterricht." Wenn sie den Kopf in die Thuer steckte, sah sie das strenge, unbewegliche Gesicht der neuen Gouvernante und oft genug ein Thraenlein in den Augen ihrer Lieblinge. Die Befriedigung augenblicklicher Neigungen stiess auf Schwierigkeiten. Wenn sie Einkaeufe gemacht hatte und die Rechnung vorgelegt wurde, gab es Szenen mit Carlos. Er sandte den Diener ohne Geld zurueck und dieser stand ratlos da. Tibet lief mit bedrueckter Miene hin und her, und durch die offene Thuer sah Ange den wartenden Boten, der nicht befriedigt wurde, und die betroffenen Gesichter ihrer Umgebung, die ihre stummen Bemerkungen machten. "Konrad soll anspannen!" befahl sie, und wenn sie zum Ausfahren geruestet, hinabsteigen wollte, stand statt des Wagens der Kutscher vor ihr und erklaerte, das eine Pferd sei krank. Ange fragte nicht, weshalb man statt der Schimmel nicht die Braunen anspanne; die Braunen waren verkauft worden. Wenn es ihr ploetzlich durch den Kopf fuhr, wie frueher Freunde um sich zu versammeln, schuettelte Carlos den Kopf, und statt des reich beladenen Fruehstueckstisches, welcher fuer gern gesehene Gaeste immer bereit gewesen war, standen nun kleine Brotschnittchen neben einer bereits angebrochenen Flasche Wein auf der sauber gedeckten, aber kargen Tafel. Nichts durfte mehr angeschrieben werden. Tibet erklaerte, lediglich Geld fuer die taeglichen Beduerfnisse zu haben und besondere Ausgaben nur nach Ruecksprache mit dem Grafen bestreiten zu koennen. Drunten in Kueche und Stall begegnete man muerrischen Mienen. Teils wirkte die Kuendigung nach, teils verglich man die alten Zeiten mit den neuen und fand sich enttaeuscht. Die reichlichen Trinkgelder, welche die Gaeste bei dem taeglichen Verkehr und nach den vielen Gesellschaften in die Haende der Dienerschaft hatten gleiten lassen, blieben jetzt aus. Die Familie Clairefort ward von ihrer eigenen Umgebung haemisch und tadelnd beschwatzt, und an die ploetzlichen Veraenderungen und Einschraenkungen knuepften sich zudem die uebertriebenen Vermutungen. Bisweilen wandte sich Ange in ihrer Ratlosigkeit an Carlos und bat ihn, in einigen Dingen nachzugeben. Sie schilderte ihm die vielen kleinen Ungelegenheiten, berichtete von diesem und jenem und forderte Abhilfe. Wenn sie dann so eindringlich auf ihn einsprach und mit ihrer bezaubernden Art durchzusetzen versuchte, was sie wuenschte, gab er wohl nach; ja einigemal brauste er sogar auf, und boese Worte gegen Teut entschluepften ihm. Aber nur, wenn Erinnerungen an fruehere Zeiten seinen Stolz weckten, wenn er Teuts Hand allzu deutlich zu erkennen glaubte, dann ueberfiel ihn ein eigensinniger Widerstand, und die Eifersucht verfuehrte ihn zu falschen Deutungen. Es erfolgten dann Auseinandersetzungen mit dem Rittmeister, der aber stets ruhig blieb und immer wieder auf die festen Abmachungen verwies, welche von Anbeginn vereinbart waren. Anges Klagen entstanden freilich immer nur aus Hilflosigkeit; sie dachte niemals an sich. Wenn aber das Schluchzen der Kinder ueber die ihnen geraubte Freiheit an ihr Ohr schlug, verliessen sie alte guten Vorsaetze. Oft fluechtete sie sich mit ihrem Kummer in ein entfernteres Gemach und weinte sich dort aus. Es gab Augenblicke, wo sie haette Teut hassen koennen. Aber dieser feste Charakter liess sich nicht beirren. Es schien, als ob er unempfindlich sei gegen jeden Angriff, jeden Vorwurf und Tadel. In seiner kurzen, bestimmten Art verteidigte er seinen Standpunkt, liess sich nicht ueberreden und nicht ueberzeugen, und nur einmal, als es ihm gar zu arg wurde, riss er an dem langen Schnurrbart und rief: "Entweder--oder! Ich habe Euer beiderseitiges Wort! Reut es Euch, macht's nach Eurem Behagen!" Freilich sah Teut auch, nachdem er alles geordnet, dass die Froehlichkeit ihren. Auszug aus dem Hause gehalten hatte. Clairefort ward ernster, missmutiger, unzugaenglicher als je, und Ange, der leichtbeschwingte Vogel, der Freiheit und Bewegung, Licht und Luft um sich fuehlen musste, liess die Fluegel haengen. Einigemal griff sich Teut an die Stirn und ueberlegte, ob er auch recht gehandelt habe. Allerdings, verstaendige Verhaeltnisse waren geschaffen, aber alles schien in dem Hause geknickt. Die Kinder, diese frischen, ungebundenen und zaertlichen Geschoepfe, schlichen eingeschuechtert und befangen umher. Die Zucht in den Schulstunden, die Arbeiten, die sie ausser diesen beschaeftigten, der jetzt fehlende froehliche Trost, den sie frueher bei Mama Ange fanden, machte sie verdrossen und verschlossen, und es zeigte sich, dass sie der Geist der Mutter beherrsche, der nun einmal nur im hellen Sonnenlicht und in der Freiheit gedeihen konnte. Und die Rueckwirkung blieb auch bei Teut trotz aeusserer Unempfindlichkeit nicht aus. Mit Wehmut sah er, wie ernst Ange geworden war und wie sie sich nach dem alten, zwanglosen Leben zuruecksehnte. Selten noch toente ihr helles, herzliches Lachen durch die Raeume. Einmal fand er sie weinend unter den Kindern sitzen und sich muehend, ihnen bei ihren Arbeiten zu helfen. Kein heiterer Zug glitt ueber ihr Gesicht, als Teut sich naeherte, und die wohlerzogenen Kleinen erhoben sich, gaben ihre Haendchen und machten ihre Knixe, statt wie frueher stuermisch auf ihn zuzueilen und ihn zu umschlingen. Jeden Tag sandte Teut das frische Bouquet, jeden Tag nahm es Ange entgegen, aber sie hatte keine Freude mehr daran. "Ach, schicken Sie doch nicht die schoenen Blumen, Teut; sie verwelken ja doch--und es ist ueberfluessig--und kostspielig--" Sie wandte sich ab und suchte ihre Thraenen zu verbergen. "Ange! Ange!" rief Teut. "Das von Ihnen? Sagen Sie mir, was Sie bekuemmert, weshalb Sie so hart, so ungerecht gegen mich sind?" "Schaffen Sie die Gouvernante aus dem Hause; ich hasse die Person!" rief Ange in furchtbarer Erregung. "Aber bald, bald, sonst passiert ein Unglueck! Sie vergiftet meine suessen Kinder mit ihrer Strenge, ihrer Pedanterie und ihrer scheinheiligen Christenlehre. Sehen Sie doch--was man aus ihnen gemacht hat? Ist das noch mein feuriger Carlitos, sind das meine Erna und Jorinde; und die beiden besten Kinder, Ben und Fred? Was ist aus ihnen geworden? Ange habe ich ihr schon entzogen! Sie hat das kleine Geschoepf mit einem Lineal geschlagen! O, ich erwuerge diese Person naechstens!" "Ange, Ange, beruhigen Sie sich! Vieles kann ja nach Ihren Wuenschen geschehen! Carlos wird gewiss gutheissen, was Sie verstaendigerweise anordnen." "Er? Der? Sitzt er nicht auf seinem Zimmer und gruebelt den ganzen Tag? Sehen wir ihn anders als bei den Mahlzeiten? Ist er noch mein bester, heissgeliebter Mann?--Ein verdriesslicher Hypochonder, ein rauher, abwehrender Mensch hockt drueben, der an nichts Freude hat--nicht einmal"--jetzt traf bitterliches Schluchzen Teuts Ohr--"an seiner Familie, an seinen Kindern! O, wie grenzenlos ungluecklich bin ich! Wo ist die alte, gute Zeit geblieben! Unser Haus ist ja eine Totengruft geworden!" Unter heftiger Bewegung hoerte Teut das alles an. Trug er denn die Schuld? Hatte er das alles heraufbeschworen?--Vielleicht! Er erkannte, dass meistens nur die Not selbst zur Lehrmeisterin der Menschen wird. Er hatte eingegriffen in die Plaene des Schicksals. Statt aus dem Regen den Sonnenschein von neuem hervorbrechen zu lassen, hatte er diesem zu fruehzeitig ein Dach gebaut, und ein Dach, welches das goldene Licht verscheuchte. * * * * * Teut sass in seinem Zimmer und arbeitete. Seit Stunden war er nicht vom Schreibtisch gewichen, und einige Male lehnte er sich zurueck und blickte sinnend und verloren die Pinselstriche der fluechtigen Malerei zaehlend, zur Decke empor. Die letzten Vorgaenge hatten einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht. Er litt mit seiner geliebten Ange und verstand alles und sann, wie ihr zu helfen sei. Aber konnte er ihr die sorglose Froehlichkeit zurueckgeben? Konnte er sie wieder jung machen? Was sie innerlich litt, uebertrug sich auf ihre Erscheinung. Schon begann sich etwas von dem holden Zauber zu loesen, der sie vor Jahren so unwiderstehlich gemacht hatte. Und dann sagte er sich doch, dass nicht die veraenderte Lebensweise schuld sein koenne, sondern ganz andere Dinge Ange beschaeftigen muessten. Ja, das war es! Sie war nicht gluecklich in ihrer Ehe, und den Ersatz, welchen sie frueher in ihren Kindern fand, entbehrte sie jetzt doppelt, da man sie ihr halb genommen hatte. Aber das letztere konnte doch wieder ins rechte Geleis gebracht werden. Ein Wechsel in der Persoenlichkeit, die den Unterricht erteilte, war schnell zu bewerkstelligen. Es brauchte nicht alles wie bisher auf die Spitze getrieben zu werden: es gab auch freundliche Ermahnungen statt ruecksichtslose Strenge, und es handelte sich nicht um Lernen und Wissen allein. Der gute Mittelweg war auch hier der richtige, und indem man diesen einschlug, wuerde wiederkehren, wonach Ange verlangte. Eines stand fest in Teut: auch jetzt musste er eingreifen, da Clairefort zu keiner Initiative zu bewegen war. Wie oft hatte Ange geklagt, dass sie nicht auszukommen vermoege, wie sehr sie sich einschraenken muesse. Clairefort blieb bei alledem taub. Aus ihm war jetzt ein aengstlicher Sparer, ein Geizhals geworden. "Kann ich Sie heute einmal ruhig sprechen? Sind Sie zu hoeren aufgelegt, liebe Ange?" fragte Teut an einem der naechsten Tage. Sie nickte und legte die Haende in den Schoss. Seltsam! Teut bemerkte, dass sie sich vernachlaessigte, keinen sonderlichen Wert mehr auf ihr Aeusseres legte: auf Blumen und Schmuck wie frueher. Auch heute sah sie unvorteilhaft aus. Das graue Hauskleid stand ihr nicht eben gut, und das wundervolle Haar sass versteckt unter einer Haube, die sie um viele Jahre aelter machte. "Ich wollte Ihnen nach unserem letzten Gespraech eine Bitte vorlegen," fuhr Teut fort. "Ich habe viel ueber das nachgedacht, was Sie mir gesagt haben." Sie neigte das Haupt, ohne Ausdruck in ihrem stillen Gesicht. "Ich hoere, dass Carlos seinen Abschied nehmen will, dass er ihn nehmen muss--" "Wie?" unterbrach ihn Ange aengstlich. "Ja! Sein Zustand--sein hartnaeckiges Nervenleiden macht ihm die Ausuebung seiner militaerischen Pflichten unmoeglich. Besser denn, bei Zeiten die anstrengende Thaetigkeit einstellen. Aber--dadurch wird sich--Ihre Einnahme noch mehr verkleinern, Ange--" "Ja gewiss!" sagte sie tonlos. "Da wollte ich denn--"--er zoegerte, riss an seinem Schnurrbart und eine seltsame Roete trat auf seine starken Backenknochen--"Sie bitten, Ange. dass Sie mich wie einen Bruder ansehen moegen, dass Sie--ich weiss nicht, ob Sie mich verstehen, Ange--dass wenn Sie etwa einmal einen Wunsch haben--etwa fuer die Kinder einen Wunsch haben sollten--wenn--wenn--Sie hoeren nicht, Ange?" "O, o!" hauchte die junge Frau. "Nicht weiter!" Ihre Stimme versagte vor Ruehrung; sie vermochte nicht zu sprechen, und sie trocknete die Thraenen mit dem Tuechelchen, das sie hervorgezogen hatte. "Doch, doch," sagte Teut weich und ergriff ihre Hand, ihre kleine Hand, die so schmal und krank heute aussah. Aber weiter wagte er nicht zu sprechen; es trat eine laengere Pause ein. Die Dinge ringsum erschienen noch ernster, stummer als sonst. Es wehte ein Hauch von trostloser Oede durch das Haus, in dem das Lachen erstorben war. "Und die Gouvernante? die Gouvernante? Schicken wir sie fort?" fluesterte Ange zaghaft. Sie dachte nicht an sich: immer waren es die Kinder, mit denen sie sich in ihren Gedanken beschaeftigte. "Gewiss, gewiss!" betaetigte Teut lebhaft. "Noch heute spreche ich mit Carlos! Alles, alles soll sich nach Ihren Wuenschen gestalten! Alles, was Sie, meine teure Ange, wieder froehlich--und gluecklich machen kann!" "Ein Gott, kein Mensch sind Sie!" toente es von Anges Lippen. Sie verbarg ihr Gesicht in den Haenden und schluchzte. Teut stand auf und trat ihr naeher. Sie erhob den Blick--einen Blick, in dem der Abglanz ihrer Seele sich spiegelte, einen Blick, in dem der Mann alles fand, was er je zu hoffen gewuenscht, und alles, was im Austausch Liebe gegen Liebe zu geben vermag! Es war vorauszusehen, dass von dem, was sich im Laufe der Zeit in der Clairefortschen Familie zugetragen hatte, mancherlei hinausdrang, und dass die oeffentliche Meinung sich begierig und mit wenig Wohlwollen eines Gegenstandes bemaechtigte, der zu so verschiedenen Deutungen Anlass gab. In erster Linie ward das Verhaeltnis Teuts zu Frau Ange besprochen, und es fand kaum ein muendlicher Austausch in den C.schen Gesellschaftskreisen statt, ohne dass die holde Frau mit boesen Nachreden ueberschuettet ward. Wie der Sturm ruecksichtslos ueber ein in seinem unschuldigen weissen Bluetenschmuck stehendes Baeumchen dahinwuetet, so zerpflueckte man Anges Ehre und guten Ruf. Da der Graf, hiess es, ein bedauernswerter, durch sein Nervenleiden kaum mehr zurechnungsfaehiger Mann waere, sei es nicht zu verwundern, dass das empoerende Treiben ungeahndet unter seinen Augen sich vollziehe. Auch koenne man es einem lebenslustigen, unverheirateten Husarenrittmeister nicht veruebeln, wenn er die suessen Fruechte, welche eine so verfuehrerische und gefallsuechtige Frau ihm darbiete, nicht zurueckweise. Aergererregend genug sei es, dass er nicht einmal die gewoehnlichen Ruecksichten beobachte und das Verhaeltnis so offen zu Tage treten lasse; aber auch das werde durch ihr exzentrisches und leichtfertiges Wesen eher entschuldigt. In dieser und aehnlicher Weise erging sich die Gesellschaft in ihrem Urteil und hielt es--selbst nur allzu erprobt in Dingen, die man jenen unterzuschieben sich unterfing--fuer unmoeglich, dass Menschen etwas anderes verbinden koenne als eine strafbare Leidenschaft. Aber man blieb dabei nicht stehen. Die Vermoegensverhaeltnisse Claireforts wurden gleichfalls einer Beurteilung unterzogen. Es sei nichts mit dem grossen Reichtum! Nur der masslosen Verschwendungssucht der Frau widerstandslos nachgebend, habe Clairefort die Villa in solcher luxurioesen Weise herrichten lassen und einen Aufwand gutgeheissen, der jeder Beschreibung spotte. Nun sei der Rueckschlag bereits eingetreten. Niemand wolle mehr Kredit geben; ja, man habe den Dienstboten, welche man entlassen musste, kaum den Lohn zahlen koennen. Des Grafen schwermuetiges Leiden sei auf diese mit taeglicher Sorge verknuepften Verhaeltnisse zurueckzufuehren, und wenn von seinem Abschied die Rede, so sei dieser wohl kein freiwilliger. Ah, und diese Kinder! Habe man jemals eine unverantwortlichere Erziehung erlebt? Wie die Affen wandelten sie einher und erregten Aerger bei alt und jung durch ihre Geziertheit und ihr hochmuetiges Auftreten. Zuletzt gedachte man auch noch des geheimnisvollen Verhaeltnisses zwischen Tibet und dem Grafen und bezeichnete den Kammerdiener als einen gefaehrlichen Menschen, der im Trueben fische und das sonderbar erscheinende Vertrauen, das man ihm schenke, lediglich zu seinem Vorteil ausbeute. Bisher war Teut nichts von allen diesen Dingen zu Ohren gekommen. Es lag auch in der Natur der Sache, dass man gegen ihn Verhaeltnisse nicht beruehrte, in denen er selbst eine so hervortretende Rolle spielte. Inzwischen aber ereignete sich etwas, das ihm ueber die Anschauungen der Menge die Augen oeffnete und was nicht ohne Rueckwirkung auf ihn selbst blieb. Die Offiziere verkehrten haeufig in der Familie eines Herrn von Ink, eines Gutsbesitzers, der vor laengeren Jahren, bei Gelegenheit einer zweiten Heirat, seinen Besitz verkauft und eine Uebersiedelung in die Stadt bewirkt hatte. Er war ein mehr als harmloser Mensch, der niemandem sonderlich gefiel, aber auch niemandem im Wege stand. Seine Gattin dagegen gehoerte zu jenen Frauen, deren ruecksichtsloser Egoismus und deren mit einem bedeutenden Verstand verbundene Thatkraft oftmals bedauern lassen, dass ihnen nicht eine andere Stellung und ein anderer Wirkungskreis in der Welt angewiesen ist. Frau Olga konnte nur hassen oder lieben; richtiger gesagt: nur hassen oder die Menschen sich dienstbar machen, denn sie besass neben einem uebertriebenen Hochmut, wenig Herz und zertrat ohne Bedenken, was sich ihr hindernd in den Weg stellte. Es war indessen bei allen diesen Eigenschaften bezeichnend, dass sie gegen Menschen, die eine Stellung in der Gesellschaft einnahmen, sich von einer geschmeidigen Hoeflichkeit zeigte und nicht ruhte, bis es ihr gelang, in einen engeren Verkehr mit ihnen zu treten. Ihr Hauswesen war musterhaft geordnet; man amuesierte sich gut in dem Inkschen Hause. Frau Olga befolgte eine weise Lehre, die so wenigen bekannt ist und jedenfalls selten befolgt wird. Sie betrachtete den Gast wie einen Vogel, der sich nach seiner Neigung hier oder dort unter den Baum fluechtet, nascht, zwitschert und nach Geschmack und Laune wieder davonfliegt. Der Verkehr mit dem sprichwoertlich reichen Rittmeister Baron von Teut-Eder war seit Jahren fuer Frau Olga eine unerfuellte Hoffnung geblieben. Alle ihre Versuche, ihn heranzuziehen, scheiterten an seiner hoeflichen, aber entschiedenen Abwehr. Dies reizte Frau von Ink um so mehr, als Widerstand in solchen Faellen den Wert erhoeht. Ueberdies besass sie drei Toechter, von denen eine aus der ersten Ehe ihres Gatten stammte. Klara von Ink, ein blasses, aeusserst grazioeses, aber nicht mehr ganz junges Maedchen, sah man haeufig mit verweinten Augen. Zwei Menschen konnten sich nicht ehrlicher hassen als Mutter und Stieftochter, aber selten fand man auch zwei so verschiedene Charaktern. Klara war eine offene, aufrichtige, allem Schein abgeneigte Natur, waehrend die Tiefen der Seele einer Frau Olga noch niemand ergruendet hatte. Natuerlich wuenschte Frau von Ink ihre beiden recht huebschen Kinder zu verheiraten, aber nicht minder lag ihr daran, sich endlich Klaras zu entledigen. Teut war eine ueberaus glaenzende Partie. Beide passten im Alter zusammen, und aus dieser Verbindung konnten sich ebensoviele Annehmlichkeiten entwickeln, wie jetzt Misshelligkeiten an der Tagesordnung waren. Im uebrigen wuerde Frau Olga auch ihrer Tochter gleichen Namens oder der huebschen Eva nichts in den Weg gestellt haben, obgleich der Rittmeister fast deren Vater haette sein koennen. Ink und Teut hatten sich neuerdings bei einem Pferdehandel beruehrt. Daraus entwickelte sich eine mehrfache Begegnung, die mit sich fuehrte, dass Herr von Ink den Rittmeister eines Vormittags in sein Haus einzutreten und ihn an dem eben servierten Fruehstueck teil zu nehmen bat. Teut konnte sich dem nicht entziehen, und nun hatte die ehrsuechtige Frau endlich ihren Wunsch erreicht! Bevor der Gast Abschied nahm, musste er wohl oder uebel noch eine Einladung zu einem unmittelbar bevorstehenden Diner annehmen. Welch ein Triumph fuer Frau Olga, die sicher eine der gewohnheitsmaessigen Absagen im letzten Augenblick gefuerchtet hatte, als der vielbesprochene Baron wirklich zu der festgesetzten Stunde eintraf und damit dauernd fuer das Inksche Haus gewonnen zu sein schien. Aber auch noch einen anderen laengst verfolgten Plan hoffte Frau Olga durch die Annaeherung an den Rittmeister zu erreichen. Auch Claireforts gehoerten zu den Personen, mit denen es ihr nicht gelungen war, in naehere Beruehrung zu treten, und nun fand sie eine bequeme und, wie sie vermeinte, sichere Anknuepfung durch Teut. Die graefliche Familie einmal bei sich zu sehen, einen Blick in das dortige Hauswesen werfen zu koennen oder gar mit Claireforts dauernd zu verkehren, gehoerte zu jenen sehnsuechtigen Wuenschen, deren Erfuellung sie kaum zu hoffen gewagt. Schon bei dem Mittagessen--Teut hatte als letzter eingetretener Gast die Ehre, die Frau des Hauses zu fuehren--brachte Olga das Gespraech auf Claireforts, aber dieser wich geschickt aus. Er erzaehlte kurz und bedauernd, dass es seinem Freunde koerperlich und geistig schlecht gehe, dass die Frau Graefin sich infolgedessen mehr und mehr von aller Geselligkeit habe zurueckziehen muessen und im uebrigen die vollendetste Frau unter Gottes Sonne sei. Er liess auch einiges ueber seine Person und seine Verhaeltnisse fallen und erwaehnte, dass die Verwaltung seiner Besitztuemer durch fremde Hand manche Unzutraeglichkeiten mit sich fuehre. Er sei aber, wie er hinzufuegte, ein Gewohnheitsmensch und zudem ein eingereichter Soldat, der nur sein Handwerk, seine Pferde und die Jagd liebe und dabei doch so bequem werde, dass er beispielsweise eine Einladung seines Vetters zu einem auf acht Tage berechneten Feste auf dessen Guetern ausgeschlagen habe. Nur eins haette ihn bestimmen koennen, seines Verwandten Aufforderung Folge zu leisten, und zwar der Wunsch, darauf hinzuwirken, dass dieser unverbesserliche Junggeselle nun endlich heirate. "Ah, das sagen Sie?" rief Frau von Ink, von diesem Gespraech besonders gefesselt, "Sie, der Sie ja fast ein Weiberfeind sind, das heisst--mit einer Ausnahme," fuegte sie laechelnd hinzu. "Ich bestreite dies entschieden, gnaedige Frau," erwiderte Teut, ohne den Schlusssatz zu beachten. "Ich verehre die Frauen wie alles Schoene auf der Welt, aber ich habe kein Glueck und kein Geschick im Verkehr mit ihnen. Zudem--je aelter man wird--" "Sie sprechen von Alter!?" Teut nickte. "Gewiss, wie hoch schaetzen Sie mich, gnaedige Frau?" "Nun, jedenfalls sind Sie in dem besten--im Heiratsalter. Was, liebes Kind?" unterbrach sie sich entschuldigend, als ploetzlich Eva hinter ihren Stuhl trat und eine Frage an sie richtete. Teut schob sich artig zurueck, waehrend die Damen einige Worte austauschten, und zugleich beobachtete er Olgas Tochter genauer. Eva glich einer wilden Rose in ihrer Erscheinung: sie war in der That sehr huebsch, aber das Gesicht war geistlos. "Ich bitte um Verzeihung!" wandte sich Frau Olga wieder zu ihrem Gast. "Ein schoenes junges Maedchen," sagte Teut verbindlich und von einer gewissen Absicht beherrscht. "Sie haben hier gleich einen Beweis, dass es unmoeglich ist, die Frauen nicht zu verehren." Frau Olga sah mit einem Anflug angenehmer Ueberraschung den Sprechenden an. Hatte sie recht gehoert? Sie wusste von Teut, dass er wohl Derbheiten, aber selten Artigkeiten zu sagen pflegte. "Ah, Sie Spoetter!" erwiderte sie, in der Absicht, mehr zu hoeren. Teut aber laechelte und schwieg. Es gefiel ihm, sie in Zweifel zu lassen. Endlich sagte er: "Ihre beiden Juengsten--Zwillinge, wenn ich nicht irre?--sind gleich liebreizend. Das ist sehr schlimm." "Schlimm? Wie so? selbst unter der Voraussetzung der Richtigkeit Ihrer schmeichelhaften Behauptung." "Nun schlimm insofern, gnaedige Frau! als doch niemand beide Damen zu heiraten vermag, und weil eine von ihnen zu waehlen, neben der hoechsten Befriedigung des Besitzes zugleich den hoechsten Schmerz ueber einen sicheren Verlust hervorrufen wuerde." "Ich vermute, Sie wollen ein wenig Spott treiben," sagte Frau Olga. "Ueberhaupt--und damit zugleich ein offenes Bekenntnis--, nachdem ich endlich das Glueck habe, Sie naeher kennen lernen zu duerfen, finde ich doch die Bestaetigung dessen, was man mir so oft erzaehlt hat." "Nur eine Bestaetigung?" scherzte Teut. "Ich hatte gehofft, dass meine Person die Beschreibung weit uebertraefe, denn ich bin ueberzeugt, Sie finden nur Gutes." "Wer weiss! Sie sind der erste Mann, der mir im Leben begegnet ist, vor dessen Sarkasmus ich mich fuerchte." Dergleichen halbe Artigkeiten und halben Tadel enthaltende Aeusserungen liebte Frau Olga. Sie hatte unzaehlige bereit, wenn sie jemanden fesseln wollte. Zu ihrem Erstaunen sagte Teut ernst: "Es liegt vielleicht etwas Berechtigtes darin, gnaedige Frau. Ich bin ein so ehrlicher Hasser der gesellschaftlichen Luege und Vergeltung, dass ich ruecksichtslos meine Meinung, oft genug meinen Abscheu dagegen ausspreche. Und natuerlich, jeder, der nicht mit Komoedie spielt, wird naturgemaess gefuerchtet." Frau Olga kam in eine etwas unbequeme Stimmung; es war ja fast undenkbar, dass ein Mann von so guter Erziehung wie Teut diese Bemerkung gegen sie persoenlich zugespitzt hatte, aber andererseits konnte sie kaum anders, als diese auf sich beziehen. Es lag auch in ihrer Art, dergleichen nicht zu uebergehen, denn ihre Klugheit verliess sie nur allzu haeufig, wenn ihre Empfindlichkeit oder ihre Eitelkeit verletzt wurden. Sie entgegnete deshalb in einem recht schroffen Tone: "Nein, meine Furcht stuetzt sich auf etwas anderes, Herr Rittmeister. Was Sie hervorheben, koennte ja in unserem Verkehr ueberhaupt keinen Anlass zu einer solchen geben!" "Natuerlich," sagte Teut ernsthaft, liess aber einen infam ironischen Zug um seine Mundwinkel spielen. "Und bitte, weiter, meine Gnaedige?" Frau Olga hob in einiger Erregung das Glas empor, das Teut eben gefuellt hatte, trank es hastig aus und erwiderte, muehsam ihren Unmut versteckend: "Ich liebe die Gradheit und Offenheit wie Sie. Diese kann mich nur mit Respekt erfuellen und wird mir nie Unbehagen einfloessen. Aber Ihre--" Sie stockte. "Nun, gnaedige Frau?" "Ah, gleichviel!" machte Olga und zuckte die Achseln. "Wie, meine gnaedige Frau," sagte Teut in einem verbindlichen Tone und doch mit demselben teuflischen Laecheln, "Sie laden mich in Ihr sonst so unvergleichliches Haus und wollen mich auf die Folter spannen? Ist das christlich? Ich bitte--wenn nicht etwas Bedenkliches fuer mich die Folge sein soll--" "Ja, ja! Das ist es! Sie sind boshaft! Sie sind's auch jetzt! Das ist eine Eigenschaft, die mir allerdings Furcht einfloesst, ja, die ich hasse, denn es giebt gegen diese keine Waffen." In diesem Augenblick schlug Herr von Ink ans Glas und brachte eine seiner gewoehnlichen geistlosen Gesundheiten aus. Auch das reizte Frau Olga. "Sehr, sehr huebsch!" warf Teut hin und bewegte den Kopf. Frau Olga haette ihn mit dem silbernen Fischmesser toeten koennen. Nach dem Diner ging man in den Garten und nahm den Kaffee. Sodann wurde ein Ausflug zu Pferde und Wagen geplant. Vor dem Inkschen Hause hielten bereits die Stallknechte mit den Reitpferden, und die Kutscher warteten auf dem Bock. Teut, der meistens in einem zierlich gebauten, fuer zwei Personen berechneten Wagen kutschierte und dessen langgeschweifte, dunkelschwarze Renner ihm allseitig beneidet wurden, bot Frau Olga den Platz in seinem Wagen an. Sie war sehr gluecklich ueber diese Auszeichnung, um so mehr, als bisher nur Frau Ange Clairefort eine solche genossen, freilich so oft genossen hatte, dass der verleumdungssuechtige Mund der Stadt dies Fuhrwerk schon mit einem Spottnamen belegt hatte. Der Nachmittag war herrlich. Man hatte mit Ruecksicht auf den Ausflug frueher gespeist, und es winkten angenehme Stunden. Als alles sich passend zusammengefunden hatte, gab Rittmeister von Zirp, der haeufigste Gast des Hauses, ein nicht ganz uebler, aber wegen seiner unbedachtsamen Schwaetzereien Teut nicht allzu sympathischer Kamerad, das Zeichen zum Aufbruch, und die lustige Kavalkade setzte sich in Bewegung. Schon bei der Abfahrt hatte sich viel Volk zusammengefunden, das die Kutscher in ihren bunten Livreen und die praechtigen Reitpferde anstaunte. Allen voran fuhr Teut mit Frau Olga. Seine Renner flogen dahin, und in der That war es begreiflich, dass die Augen der Einwohner sich besonders auf dieses Gefaehrt richteten. War man doch gewohnt, nur Ange an der Seite des Rittmeisters zu sehen, waehrend jetzt die nicht minder viel besprochene Frau von Ink neben dem bizarren Rittmeister dahinkutschierte. Mit einer grossen Spannung sah Olga dem Augenblick entgegen, wo sie an der Clairefortschen Villa vorbeifahren wuerden. Ob Teut wohl hinueberschauen, ob wohl zufaellig die Graefin auf dem Balkon oder im Garten sein werde? Olgas Triumph ueber die viel beneidete Frau waere ein vollendeter gewesen! Aber als sie die Villa erreichten, lag das Haus inmitten seines herrlichen Parkes wie ausgestorben. Nicht einmal eins der Kinder, auch niemand von der Dienerschaft war sichtbar. Ploetzlich machten die Pferde--gewohnt, hier zu halten--eine rasche Seitenbewegung, und Olga ergriff unwillkuerlich Teuts Arm, indem sie einen leisen Schrei ausstiess. "Was ist, meine Gnaedige?" fragte Teut kurz und wandte den Blick in raschem Wechsel von der Villa zu den Tieren und von diesen zu ihr. Olga erklaerte entschuldigend, und der Wagen eilte weiter. "Sie scheinen etwas aengstlich zu sein! Wuenschen Sie, dass ich langsamer fahre?" fuhr er fort und zog die Zuegel an. Olga verneinte, obgleich das Gegenteil der Fall war. "Neben einem so vollendeten Pferdelenker kann man keine Furcht empfinden," sagte sie, in ihren schmeichelnden Ton zurueckfallend; aber sie bereite, gerade dieses Wort gebraucht zu haben, denn Teut fiel ein und rief lachend: "Ah, also auf dem Bock bin ich nicht gefaehrlich, gnaedige Frau? Wenn Sie sich nur nicht taeuschen werden!" Nach einigen Zwischengespraechen brachte Olga nochmals die Rede auf Ange. Sie wollte durchaus etwas Naeheres ueber sie aus seinem Munde hoeren. "Frau von Clairefort ist wohl eine treffliche Reiterin und soll, wie ich hoere, selbst mit Vieren erstaunlich sicher fahren?" "Allerdings, sie sucht ihresgleichen!" erwiderte Teut, kurz abbrechend, machte Olga--mit der Peitsche in die Ferne weisend--auf einen huebschen Punkt aufmerksam und erging sich ueber diesen und die Umgegend in lebhafte Lobeserhebungen. Olga verstand. Er wollte nicht von Claireforts sprechen. Es aergerte sie, dass er diese Menschen gleichsam wie seine Domaene betrachtete und durch Sein Ausweichen den Abstand andeuten zu wollen schien, der zwischen ihr und Ange lag. Sie beschloss aber doch noch einen Versuch zu machen. Vielleicht stand sie auch nur unter einem Vorurteil! Sie nahm letzteres an, weil sie es wuenschte. "Es interessiert mich sehr, etwas ueber Frau von Clairefort zu erfahren," begann sie. "Ich erinnere mich nicht, jemals einer so schoenen und interessanten Frau begegnet zu sein, und wuerde es als eine Bevorzugung ansehen, ihr einmal persoenlich naeher treten zu duerfen. Sie soll neuerdings sehr ernst geworden sein und sich fast ausschliesslich der Erziehung ihrer Kinder widmen? Uebrigens, welch eine Schar von entzueckenden Geschoepfen!" Teut fiel bei diesen Worten Anges Trauer und alles das wieder ein, was ihn so lebhaft beschaeftigte. Auch reizte ihn die etwas zudringliche Art Olgas, nachdem er hinlaenglich an den Tag gelegt hatte, dass er ueber seine Freunde nicht sprechen wollte. Er sagte deshalb, ganz entsprechend seiner Art: "Meine Freunde haben ihren Umgang aus vorher schon erwaehnten Gruenden wesentlich eingeschraenkt und leben sehr zurueckgezogen. Ich wuerde sonst mit Vergnuegen bereit sein, der Frau Graefin Ihre Wuensche zu uebermitteln, gnaedige Frau, und bin ueberzeugt, dass Sie bestaetigt finden wuerden, was ich Ihnen bereits bei Tisch ueber die Familie mitteilte. Ueberdies ist es moeglich, dass uns Claireforts verlassen werden, sobald der Graf seinen Abschied genommen hat." "Nimmt er seinen Abschied?" fragte Olga, zugleich durch eine Bewegung ihren Dank fuer Teuts Bereitwilligkeit ausdrueckend. "Ich denke, man giebt ihn dem Herrn Grafen." "Wer sagt das?" fuhr Teut auf und lenkte mit rascher Biegung in einen Seitenpfad. "Nun, ich hoerte so, Herr Rittmeister. Ich bin indes durch den Ton Ihrer Frage belehrt und bitte um Verzeihung. Uebrigens zirkulieren ueber die Clairefortsche Familie so viele widersprechende Nachrichten und sie bildet so oft den Gegenstand des Gespraeches, dass es schwer ist, sich ein einigermassen zutreffendes Bild von derselben zu entwerfen." Teut horchte gespannt auf. Beide Haende waren beschaeftigt; nur allzu gern haette er seinen Schnurrbart gedreht. "Wie? Meine ruhig lebenden, liebenswuerdigen Freunde werden so viel besprochen? Es ist das erste Mal, dass ich dies hoere. Nun, ich denke, man kann nur Gutes von ihnen sagen, gnaedige Frau," entgegnete er mit gezwungener Sorglosigkeit. Olga schwieg. Da sie ihre Plaene vereitelt sah, wollte sie wenigstens ihre kleine Frauenrache. Teut liess die Pferde im Schritt gehen, sah mit einem nicht misszuverstehenden Blick seine Begleiterin an und sagte: "Sie schweigen, meine gnaedige Frau. Ich bitte da Sie selbst das Thema beruehrten." Nun gut! dachte Olga und fuhr laut fort: "Setzt es Sie in Verwunderung, dass man ueber eine Dame spricht, die so abweichende Gewohnheiten hat wie Frau von Clairefort, die reitet und selbst auf dem Bock sitzt, die so schoen und so lebhaft ist, deren Mann sich vor der Welt mit seinem geheimnisvollen Kammerdiener verschliesst, und der mit einem so ungewoehnlichen Aufwande sein Hauswesen einrichtete, um ploetzlich man sagt so--eine fast aengstliche Sparsamkeit einzufuehren?" Olga brach ab. Was sie sagte, war nicht verletzend, aber sie wusste, dass jedes Wort Teut kraenken musste. "Sie sprachen noch nicht von mir. Ich gehoere doch auch zu den Gegenstaenden dieser sehr ueberfluessigen Betrachtungen des verehrlichen Publikums. Wollen Sie nicht die Guete haben, nun auch die Ansichten ueber mich beizufuegen," erwiderte Teut, ohne eine Miene zu verziehen. "Ich glaube nur die Thatsachen, aus denen Urteile und Ansichten sich folgern, wiedergegeben zu haben, Herr Rittmeister." "Ganz recht, meine Gnaedige. Und die Thatsachen, die sich auf mich beziehen?" "Sie sind taeglicher Gast im Hause und erscheinen oeffentlich stets neben Frau von Clairefort--" "Allerdings, und weiter, wenn ich bitten darf?" "Nun, deshalb glaubt das Publikum ein Recht zu haben, Bemerkungen zu machen, die freilich und natuerlich jeder Unbefangene verdammt." "Ah, vortrefflich! Und zu diesen Unbefangenen gehoeren auch Sie, gnaedige Frau, und der Intimus Ihres Hauses, Herr von Zirp?" Der Ton, in dem Teut diese Worte sprach, war allerdings impertinent, ja beleidigend; aber der Blick, mit dem Olga erwiderte, gab nichts nach. Das Gespraech verstummte, und unter einer recht peinlichen Stimmung legten beide den uebrigen Teil des Weges zurueck. Vor Teut war ein Vorhang zurueckgezogen, dessen Hintergrund ihn erschreckte. Er biss sich auf die Lippen und knirschte mit den Zaehnen. Diesen Engel hatte man zu verdaechtigen gewagt, und eine Frau wie seine Begleiterin fand eine boshafte Freude an der Wiedergabe solchen Geschwaetzes. Teut durchschaute Olga nur zu gut. Da er ihr die Aussicht genommen, mit Ange in Beruehrung zu treten, liess sie die Maske fallen und zeigte ihr wahres Gesicht-- Aerger und Reue wuehlten in ihr. Sie fuehlte, dass sie durch dieses Gespraech alles verloren hatte. Ihr entging vielleicht sogar das, was sie mit etwas mehr Selbstbeherrschung sich haette erhalten koennen: der kuenftige Umgang mit dem fuer sie doch allzu interessanten Rittmeister. Und diese Einsicht, aber auch die Hoffnung, dass er vielleicht vergessen koenne, veranlasste sie, zuerst wieder das Wort zu ergreifen und in moeglichst unbefangener Weise gleichgueltige Gespraechsgegenstaende zu beruehren. Es ward ihr dies erleichtert, da man inzwischen nahe dem Ziele war, und einige Herren, darunter mehrere von Teuts Kameraden, herangaloppierend, sich dem Wagen naeherten. "Wir fuerchteten schon, dass Herr Rittmeister von Teut Sie zu entfuehren gedenke, gnaedige Frau!" rief einer von ihnen, ein junger Assessor. "Sie waren uns gaenzlich entrueckt, und wir haben Muehe gehabt, Sie einzuholen. Aber da kommen auch die uebrigen," fuhr er fort, und in der That stob eine Wolke auf, in deren grauem Staubnebel man Pferdekoepfe, blitzende Knoepfe und blanke Uniformen erkannte. Teut, der an alles dachte, hatte seinen Reitknecht vorausgesandt. Als man am Bestimmungsort eintraf, stand dieser schon wartend da und nahm das Gefaehrt in Empfang. Waehrend Teut Olga vom Wagen hob, drueckte sie ihm leicht die Hand und fluesterte: "Sie sind verstimmt, Herr Rittmeister. Unsere gute, eben begonnene Freundschaft hat doch keinen Stoss erlitten? Ich hoffe es nicht." Teut aber sagte: "Sie hatten doch recht mit Ihrer Befuerchtung, meine gnaedige Frau. Ich nehme den halben Zweifel, den ich bei Tisch aussprach, jetzt ganz zurueck." Nach diesen Worten verbeugte er sich artig und liess Olga betroffen und nach einer Deutung seiner Worte suchend, stehen. Wie sehr deren Laune durch diesen Zwischenfall gelitten hatte, davon erhielt Klara einen nachdruecklichen Beweis, die, einer guten Regung folgend, auf sie zugeeilt kam, und sich nach ihrem Befinden erkundigte. Ohne ihr darauf zu antworten oder gar zu danken, herrschte Olga sie an: "Mein Gott, wie Dir nur wieder der Hut sitzt und wie Du Dein Kleid zugerichtet hast! Sieh nur! Wie ein Harfenmaedchen siehst Du aus! Geh und ordne Deine Toilette!" Und unmittelbar nach diesen in einem empoerenden Ton gesprochenen Worten wandte sie sich mit ihrem liebenswuerdigen Laecheln zu einem der Herren, der an sie herantrat und ihr den Arm bot. Klara stand einen Augenblick leichenblass. Ihre Augen fuellten sich mit Thraenen des Zorns, und ihr Gesicht gluehte vor Erregung. Die Gesellschaft nahm nach einem kurzen Spaziergang, dessen Ziel ein huebsches Waeldchen gewesen war, das Abendessen auf einer Terrasse ein, welche einen zu dem Wirtshause gehoerenden Garten begrenzte. Links- und rechtsseitig von derselben zog sich die Landstrasse hin, und geradezu schaute man auf den Fluss. Es war in der That ein ausserordentlich schoener Punkt. Langsam zogen, von der Abenddaemmerung schon halb verschlungen, grosse Segelfahrzeuge vorueber, die, aus der Flut geheimnisvoll auftauchend, einem Traumbilde anzugehoeren, nicht aber die Vermittler harten Tagewerkes zu sein schienen. Aber drueben sah man auf der stahlgrauen, vom zarten, roetlichen Abendsonnenschein umrahmten Wasserflaeche die groesseren Segelfahrzeuge wie abgeloest von der spiegelstillen Flut, und die zwischen ihnen hin- und herirrenden kleineren Boete erhoehten durch den Gegensatz die majestaetische Ruhe ihrer Erscheinung. Im Nachtschlaf ruhten schon die Waelder, von drueben erscholl friedlicher Gesang, mitunter ertoente auch ein helles Hallo ueber das Wasser; und vom jenseitigen Ufer, an dem die glitzernden Lichter der Wirtshaeuser aufblitzten, drang einmal leise Militaermusik herueber. Und ueber all diesem: ueber der silbernen Stahlflut, ueber den stummen Gebueschen, ueber den traumselig dahingleitenden Fahrzeugen, ueber den Menschen mit ihren ernsten oder sorglosen Gedanken, schwamm der Mond am blaudunklen Himmel und sandte sein weltdurchleuchtendes, geisterhaftes Licht herab. Im ganzen weiten Umkreis eine einzige gewaltige, schneeweisse Wolke mit Riesenfangarmen und Fluegeln, unmittelbar ueber der Mondscheibe schwebend, gebannt, unbeweglich, gleichsam im Schoenheitszauber erstarrt. Teut stand an dem Rande der Bruestung und ueberschaute die Landschaft. Auch die uebrigen hatten sich erhoben, denn nun rasselte es ueber der nahen Bruecke, und in ueberschnellem Lauf flog ein Wagen dahin. Deutlich waren Menschen und Dinge noch erkennbar. Und dann ploetzlich erscholl aus Kindermund der laute und jubelnde Ruf: "Onkel Axel! Onkel Axel!" und aus dem voruebereilenden Wagen winkten Haendchen, und eine schoene junge Frau, die den Wagen lenkte, nickte lebhaft, und neigte, die Gesellschaft bemerkend, mit verlegener Artigkeit das Haupt. Es war Ange, die, von einem ihrer Ausfluege heimkehrend, jetzt rasch nach Hause draengte. Wie sie so dasass mit dem vornehmen, auf den feinen Schultern ruhenden Kopf, umweht von dem weissen Schleier, der in die Abendluft hinausflatterte, so leicht und grazioes in der Erscheinung und doch so fest und sicher die Zuegel der raschen und ungeduldigen Pferde regierend, musste sie die Blicke der Menschen fesseln. In wenigen Sekunden jedoch war sie den Nachschauenden entschwunden, und unwillkuerlich wandten sich aller Augen auf Teut. Es gab wohl niemanden in der Gesellschaft, den nicht der gleiche Gedanke beherrschte, und einer von ihnen gab diesem auch Ausdruck. Es war der Assessor, der mit zudringlicher Vertraulichkeit an Teut herantrat und leicht hinwarf: "Da war ja Ihre kleine, entzueckende Graefin, Herr Rittmeister--" Aber er sprach nicht aus, denn Teut wandte sich mit seinem starkknochigen Gnugesicht zu ihm, und indem er den Sprechenden mit einem Blicke musterte, vor dem jener unwillkuerlich den seinigen zu Boden senkte, sagte er mit schneidender Zurueckweisung: "Da war die Frau Graefin Ange von Clairefort, mein Herr! Der von Ihnen beliebte Ausdruck war respektwidrig und aeusserst unpassend! Sie werden die Guete haben, sich dies fuer kommende Faelle zu merken!" Und dann drehte er dem gemassregelten Assessor den Ruecken und ging auf Klara von Ink zu, mit der er sich, ohne die uebrige Gesellschaft fuer den Rest des Abends sonderlich zu beachten, ausschliesslich beschaeftigte. Auch bot er, den Augenblick erspaehend, wo Olga einen Platz neben Baron von Zirp waehlte, jener seinen Wagen an und kutschierte, seinen Reitknecht hinter sich, eilend in die Stadt zurueck. Seine Verabschiedung von Inks war ueberaus hoeflich, aber foermlich. Auch lehnte es Teut ab, an diesem Abend der Aufforderung seiner Kameraden zum weiteren Beisammenbleiben zu folgen. Als der Waechter die Morgenstunde abrief, sass er, die Hand an die Stirn gestuetzt, noch immer gruebeln in seinem juchtenduftenden Arbeitszimmer. Ein wilder Kampf von Empfindungen, der in seiner Brust tobte, raubte ihm Ruhe und Schlaf. * * * * * Ange ward, als sie dem Wagen entstieg und ihre kleine Schar von der Dienerschaft herabgehoben wurde, von dem ernsten Ausdruck ueberrascht, der sich in Tibets dienen widerspiegelte. Er stand, wie immer, wenn sie zurueckkehrte, vorn auf dem Treppenausbau der Villa und oeffnete ehrerbietig die Thuer. "Was ist?" fragte sie aengstlich und hiess ihn durch ihre lebhaften Gebaerden rascher sprechen, als es seine Gewohnheit war. "Carlitos hat heute nachmittag einen heftigen Anfall von Ohnmacht und Erbrechen gehabt; wir haben ihn gleich ins Bett gebracht, Frau Graefin." Ange schrie auf und flog die Stufen empor. "War der Arzt schon da? Ist der Graf in seinem Zimmer?" redete sie hastig im Voruebereilen die Kammerjungfer an, ohne die Antwort abzuwarten. Sie durcheilte die Wohnraeume und erreichte das Kinderzimmer. Hinter ihr schoss wie immer der Strom der Kleinen, die rasch abgezogenen Kleider und Huete in den Haenden und achtlos nach sich schleifend. "Stille, stille, suesse Kinder! Unser Carlitos ist nicht wohl!" daempfte sie, als jene ins Gemach stuermten. Sie sass bereits an dem Bett ihres Knaben und liess die Hand auf seiner heissen Stirn ruhen. "Wachst Du, mein Carlitos?" fluesterte sie und neigte sich zu ihm herab. Er wachte nicht und er schlief nichts; er waelzte sich unruhig hin und her, und die Haende ergluehten in trockener Fieberhitze. Ange uebergab die lebhafte Jorinde und die uebrigen Kinder der eintretenden Jungfer und hiess sie ins Speisezimmer hinuebergehen. Sie selbst eilte, nachdem sie kuehle Tuecher ueber Carlitos' Stirn gelegt, zunaechst in das Zimmer ihres Mannes. Der Graf sass--ein schmerzerweckender Anblick--in seinem grossen Stuhl und hatte den Kopf in die Haende vergraben. Die Vorhaenge waren fest zugezogen, die mit einem gruenen Schirm umgebene Lampe verbreitete ein mattes, schwermuetiges Licht, und eine atembeengende Luft erfuellte das Gemach. Dazu die unheimliche Stille und diese peinliche, den Dingen ihr froehliches Gesicht raubende Ordnung. Ange erschien der dumpfe Raum wie eine Gruft; unwillkuerlich schrak sie zusammen. Und kein Lebenszeichen von ihm, als sie die Thuer oeffnete. Er war entweder eingeschlafen oder eine Erschoepfung hatte ihn in einen halbwachen, willenlosen Zustand versetzt. "Lieber Carlos!" sagte Ange weich und trat an den Stuhl, in dem die grosse gebrochene Gestalt ruhte. "Du wuenschest?" fragte eine tiefe Stimme. "Weisst Du denn nicht, dass unser Carlitos krank ist? Ich komme, Dich zu fragen, was der Arzt gesagt hat. Ich bin in grosser Sorge." Er neigte langsam und muede den Kopf zur Bestaetigung. "Es ist bis jetzt alles geschehen, was er angeordnet hat. Ich war bei unserem Knaben. Er schlaeft. Der Doktor meint, man muesse die Nacht abwarten, es wuerden vielleicht kalte Baeder noetig sein." "Und was ist es?" fragte Ange aeusserlich ruhig, innerlich von einer unbeschreiblichen Angst verzehrt. "Ich weiss es nicht," sagte Clairefort tonlos und liess das Haupt wieder in die gestuetzte Rechte zurueckfallen. Sie sank neben ihm herab und ergriff die schlaff herabhaengende Linke. "Mein Carlos!" hauchte sie leise und innig. Er gab den Druck sanft zurueck, aber er hob sie nicht auf, und fuer Augenblicke schien es in dem Gemach wie ausgestorben. Nur ein leises Schluchzen war vernehmbar, das aus Anges bedraengter Seele emporstieg. Sie wussten beide, um was es sich handelte, weshalb sie neben ihm hingesunken war und weinte. War das derselbe Mann, der einst um Ange von Butins Hand geworben, der kraeftige Mann, aus dessen Augen das Leben blitzte? Wie hatte man Ange ihr Glueck geneidet! Er hatte sie umworben wie kaum ein Mann ein Weib zuvor. Ihr Laecheln, ihr sanfter Blick berauschten ihn, ihre Froehlichkeit riss auch ihn mit fort, und jede noch so thoerichte Hoffnung auf eine ewige Dauer des Glueckes teilte er mit ihr. Und wie Carlitos geboren ward und spaeter Jorinde und Erna--hatte er nicht im ungestuemen Freudentaumel das Haus mit Blumen schmuecken lassen, seine Umgebung beschenkt und taeglich stundenlang dankerfuellt an ihrem Bett gesessen? Und aehnlich war's noch, als die beiden schoenen Knaben zur Welt kamen. Er plante mit Ange, was sie dermaleinst werden sollten, wie er fuer ihre, fuer der uebrigen Zukunft sorgen koenne. Bei der Geburt der kleinen Ange hatte sich schon manches anders gestaltet. Clairefort war nicht mehr so herzlich, so teilnehmend: andere Dinge beschaeftigten ihn. Es schien, als ob ihn etwas heftig bedruecke, als ob ein schwerer Kummer an ihm nage. Die Rueckkehr zu einer heiteren, sorgloseren Stimmung war immer nur eine voruebergehende, und sie war stets mit einem sichtlichen Zwang verbunden. Und dann wurde er immer finsterer, immer wortkarger, immer ausweichender, lebte nur fuer sich, schalt wohl einmal in heftigem Zorn, aber fluechtete sich doch wieder in seine Einsamkeit. Bei der Uebersiedelung nach C. ergriff ihn scheinbar noch einmal die alte Freude am Leben. Er ueberschuettete Ange mit Zaertlichkeit, lauschte ihre Wuensche ab und sprach von einem neuen Leben in neuen Verhaeltnissen. Auch verkehrte er nicht mehr so abgeschlossen und geheimnisvoll mit Tibet. Aber bald war's wieder wie ehedem, ja schlimmer, denn der alte Kummer schien ihn von neuem zu bedruecken, und auch die Eifersucht verzehrte ihn. Und doch suchte er sein Weib nicht an sich heranzuziehen, und nur voruebergehend war er verstaendigen Auseinandersetzungen zugaenglich. Allmaehlich ward er leidend die nervoesen Beschwerden nahmen zu. Der Arzt hatte es ausgesprochen, es war nicht zu verbergen: ein unheilbares Rueckenmarkleiden zehrte an ihm. Zuletzt kam er um seinen Abschied ein. Nun sass er da; kein Mann, kein Soldat, kein Reitersmann mehr, gebrochen, ein lebensmueder Greis, leise oder laut in Schmerzen wimmernd. Aber nicht koerperliche Leiden hatten allein ihn gelaehmt. Er hatte geklagt ueber jede Ausgabe und doch nicht die Kraft gehabt, etwas zu aendern, oder etwas zu verweigern. Ja, gewiss, auch die Sorgen quaelten und verfolgten ihn. Und neben diesem gedachte Ange Teuts. Welch ein Mann, welch ein Freund! Wie er eingegriffen hatte in die Verhaeltnisse, wie er alles so wohl gestaltet, und wie muerrisch ihm Carlos gedankt hatte. Was sollte nur werden! Wie traurig, wie trostlos starrte der Frau das Leben und die Zukunft entgegen! Heute war sie, von Teut wiederholt ermuntert, einmal wieder hinausgefahren und hatte sich hineingetraeumt fuer Stunden in die alten sorglosen Zeiten. Ihre Gedanken wurden aber durch die Erinnerung an Carlitos unterbrochen. "Carlos, mein Carlos!" fluesterte sie. "Ich leide entsetzlich, weil ich weiss, dass Du leidest. Sag, Carlos"--sie stockte; sie drueckte seine Hand und legte ihr Koepfchen an seine Schulter--"liebst Du mich noch?" "O Ange--Ange!" presste der Mann hervor. "Ob ich Dich liebe?" Ploetzlich wandte er sich mit muehsamer, aber rascher Bewegung zu ihr, umfasste sie mit seinen Armen, hob sie empor und bedeckte ihr Gesicht mit Kuessen und--mit Thraenen. "Sag mir, was Dich beunruhigt, mein Carlos, was Dich bedrueckt neben Deiner Krankheit, um die ich Tag und Nacht sorge," hob Ange endlich an und schmiegte sich fester an die Brust ihres Mannes. Clairefort zitterte, als ob er an ein Verbrechen erinnert werde. Sie fuehlte es. Ein draengendes, unerklaerlich angstvolles Gefuehl jagte durch ihr Inneres. Aber er stand ihr nicht Rede, selbst jetzt nicht, wo ihre Seelen in Liebe und Zaertlichkeit zusammenschmolzen, selbst jetzt nicht, wo das Hoechste sie ergriff, was Menschenbrust zu durchdringen vermag. Sie war zu vornehm geartet, etwas erzwingen zu wollen, was ihr nicht freiwillig gewaehrt wurde. Und um ihn nicht im Zweifel zu lassen, fluesterte sie besaenftigend: "Nicht Neugierde laesst mich bitten, mein einziger teurer Carlos, nur Sorge--Sorge--um Dich--" Die letzten Worte wurden erdrueckt durch ihr Schluchzen. Er aber seufzte, von Seelenschmerz gefoltert, tief auf, und nun sein Haupt an ihrer Brust bergend wie ein Kind, hauchte er: "O Ange, Ange, Du Engel--nicht nur dem Namen nach ein Engel!" Nachdem Ange ihren Mann verlassen hatte, beherrschte sie nur der einzige Gedanke, wie sie ihrem Kinde helfen koenne. Sie ordnete an, dass noch einmal zum Doktor gesandt werde, und widerrief es doch wieder, weil er kaum vor einer Stunde das Haus verlassen hatte. Sie befahl, anzuspannen, um zu ihm zu fahren, und doch sandte sie den Wagen wieder fort. Endlich beschloss sie noch einen anderen Arzt zu Rate zu ziehen und dies bei jenem am naechsten Tage durch ihre Angst und Sorge zu entschuldigen. Sie schrieb auch wirklich ein Billet, und ein Diener musste damit forteilen; aber er kam unverrichtet Sache zurueck, da jener aufs Land gerufen war. Nun endlich wandte sie sich mit ihren Gedanken zu Teut. Konnte sie den Freund in so spaeter Abendstunde zu sich bitten? Sie hockte an dem Bett des Knaben und betrachtete jede seiner Bewegungen. Ach, wenn sie ihm doch nicht nachgegeben haette, als er darauf bestand, zurueckzubleiben, um in dem nahgelegenen Weiher zu fischen! Dort konnten giftige Duenste emporgestiegen sein--er mochte sich heftig erkaeltet haben--oder ihm war gar ein Unfall zugestossen, den er verschwiegen hatte. So ging es in ihr auf und ab. Immer von neuem kuehlte sie des Knaben Stirn, rueckte ihm das Kopfkissen, horchte, lauschte auf seine Atemzuege und war zaertlich und aengstlich um ihn besorgt. Aber die Krankheit nahm nach Mitternacht einen heftigeren Charakter an. Carlitos wollte aus dem Bett und sprach wirre Dinge. Er kaempfte mit ihr, waehrend sie ihm weinend widerstand. "Ach, sei doch ruhig, mein lieber Carlitos, ich flehe Dich an! Siehst Du nicht, dass Deine Mama bei Dir ist! Bitte, bitte, Carlitos, bleibe liegen und rege Dich nicht auf!" Aber er kannte sie schon nicht mehr, er raste in heftigem Fieber. In Todesaengsten zog Ange die Schnur. Tibet erschien. Er sass geduldig wartend im Nebenzimmer. "Gehen Sie, gehen Sie und sehen Sie, ob der Graf noch wacht. Wenn er kommen kann, bitten Sie ihn zu mir; sollte er aber ruhen--" Jetzt ruehrte sich der Knabe wieder und schlug um sich. "O Tibet, Tibet, mein Kind! Nein, nein, hoeren Sie! Eilen Sie! Man soll eine Wanne bringen, Eiswasser und dann--Ich danke Ihnen im voraus, Tibet! Eilen Sie zu Herrn von Teut, sagen Sie ihm, ich liesse ihn flehentlich bitten, zu kommen! Nicht wahr, der Doktor sagte, man solle, wenn das Fieber schlimmer werde, ihn kalt begiessen? Ah, und die Fenster sind geschlossen! Wir muessen sie oeffnen! Ich hoerte, Luft, frische Luft sei vor allem noetig!" Und Tibet eilte fort, und die Frau war wieder allein mit ihrer Sorge und Angst. Teut war erschienen, hatte getroestet und hatte geholfen. Er setzte den Kleinen in die Wanne und tropfte Wasser aus grossen Schwaemmen ueber das heissgluehende Haupt; er hob ihn vom Lager und bettete ihn von neuem; er ordnete an, dass die uebrigen Kinder in andere Gemaecher geschafft wurden, und bewirkte durch seine Fuersorge, dass Carlitos gegen Morgen in einen ruhigeren Schlaf versank. Aber war es, dass gegen dieses Rasen des Fiebers keine menschliche Hilfe etwas vermochte, oder dass das unerforschliche Schicksal es bestimmt hatte--das Herz dieser holden Frau sollte brechen. Nach zeitweiliger Besserung tobte die Krankheit nur noch heftiger, und was man mit allen Mitteln zu bannen suchte, schien sich lediglich zu verstaerken. Die Aerzte suchten zu troesten, aber das Kind war verloren. Nach mehrtaegigem Ringen fielen des Knaben Wangen ein, eine seltsame Farbe bedeckte sein Gesicht, trocken wurde Stirn und Haende, aus dem Munde drang ein Hauch, vor dem Ange erbebte, und endlich--es ging ein Schrei durch das Krankenzimmer--erlosch der Herzschlag des Kindes. * * * * * "Teut," sagte Ange, die in einem Zimmer nach Garten gebettet war und--einem Marmorbild vergleichbar, das Thraenen vergiesst--jedes menschliche Mitleid wachrufen musste, einige Tage spaeter, "eine Bitte habe ich an Sie, wenn mein suesser Knabe--"--hier brach die Stimme und verlor sich in ein so verzehrendes Schluchzen, dass des starken Mannes Inneres erbebte--"wenn morgen Carlitos begraben wird, lassen Sie Lux und Lady Anna den Totenwagen ziehen. Wissen Sie noch, Teut, wie Carlitos die Tiere liebte? Sie zu besitzen, war sein hoechster Wunsch. Er wollte ganz werden wie Sie, Teut. Alles, was Sie thaten, was Sie besassen, war unnachahmlich. Nicht wahr, Sie haben ihn auch geliebt--?" Thraenen erstickten von neuem ihre Stimme. Teut wandte sich ab und trat ans Fenster. Ja, ihr Wunsch sollte erfuellt werden, aber es bedurfte dazu einer Vorbereitung, vor der Teut einen Augenblick zurueckschreckte. Diese wilden Geschoepfe gingen in keinem bedaechtigen Trauerschritt; sie mussten gejagt, erschoepft werden, um sanften Schrittes des Knaben sterbliche Ueberreste an den Totenacker zu fuehren. "Es giebt nichts, was ich Ihnen verweigern wuerde, Ange," sagte Teut bewegt und reichte der blassen Kranken die Hand. "Ich gehe jetzt, um alles vorzubereiten." Er riss sich gewaltsam von ihr los, besuchte Clairefort, der ganz gebrochen daniederlag, und eilte nach Hause. Hier traf er noch einige auf das Begraebnis bezuegliche Anordnungen, und dann liess er anspannen. Seine zwei Diener mussten sich auf den Ruecksitz setzen und nun verliess er die Stadt. Im Carriere jagte Teut ueber die Landstrassen, fuhr die ganze Nacht, erbarmungslos auf die Tiere einhauend, und als sie endlich zurueckkehrten, als Lux und Lady Anna standen, zitterten sie wie in Fieberschauern und keuchten wie gemarterte Schlachtrufe. Ein Geschirr, mit weissen Rosen, Lilien und Kamelien voellig uebersaet, war bereits eingetroffen. Es ward Lux und Lady Anna angelegt, und sie selbst vor den dunklen Trauerwagen gespannt, von dem unzaehlige Rosenbueschel in denselben Farben herabhingen oder zu Blumenkronen aufgebunden waren. So erreichte Teut, von Scharen Neugieriger gefolgt, die Villa. Im Hause roch es scharf und unheimlich nach Lebensblumen und Lorbeer, zudem erfuellte eine betaeubende Luft alle Raeume, denn Kraenze und schleifenverzierte Bouquets lagen berghoch in den Vorzimmern. Endlich war der Augenblick gekommen. Man hob den mit Blueten und Blaettern ueberschuetteten Sarg empor und trug ihn hinab. Teut fuehrte Clairefort und Ange, die jetzt thraenenlos vor Schmerz, mit irrem Blick, an seinem Arme hing, ans Fenster, oeffnete es und liess sie hinausschauen. In diesem Augenblick ertoente in sanften Akkorden ein Trauermarsch, langgezogen, schmerzvoll und jeden Anwesenden bis ins Herz ruehrend. Und dann sah Ange auf Teuts Lieblingspferde, die mit gesenkten Koepfen, gleichsam mittrauernd und mitempfindend, dastanden und deren schwarze Leiber von den weissen Abschiedsblumen umwunden waren, die Teut seinem kleinen Freunde Carlitos mit auf den Weg gab. "Carlitos, Carlitos--mein einziger suesser Knabe!--O Carlos! Teut--Teut!" brach es aus Ange hervor, und in den ersterbenden Blick mischte sich ein Ausdruck dankbarer Hingebung, der Teut fuer alles belohnen konnte. Endlich ueberliessen die Maenner Ange den Haenden der Frauen und schlossen sich den in Trauerkleidern harrenden Geschwistern des Verdorbenen an. Wie sie schoen waren mit ihren seinen, blassen Gesichtern und mit ihrem goldenen Haar, und vor allem, wie ruehrend die kleine Ange aussah, die hinter dem Sarge einherschritt. Es war, als sei die Mutter noch einmal jung geworden, nun aber kein menschliches Gebilde mehr, sondern ein herabgestiegener Engel mit jenem schwermuetigen Verzicht in den ernsten Zuegen, welche wir in den Heiligenbildern grosser Meister bewundern. Als die Klaenge der Musik in der Ferne verhallt, als die letzten dunklen Gestalten Anges Blick entrueckt waren, als nun Wirklichkeit geworden, wogegen sich die Gedanken und Empfindungen der Frau in ueberqualvollen Tag- und Nachstunden aufgelehnt hatten, da schoss auch der Schmerz noch einmal empor, stiess seine brennenden Zungen in das Herz der geprueften Frau und bewirkte, dass sie mit einem dumpfen Schrei zu Boden fiel. So fand Tibet, der im Nebenzimmer, bleich wie ein Verurteilter, den Vorgaengen draussen mit dem Blick gefolgt war und nun erschrocken herbeieilte, seine schoene, arme, geliebte Herrin. Wenige Wochen waren vergangen. Teut sass in dem Clairefortschen Wohnzimmer und hatte die kleine Ange auf dem Schoss. Das Kind spielte mit einer silbernen Kette, die aus dem Waffenrock hervorschaute, und zerrte zuletzt daran. Schon oft hatte Ange auf das geheimnisvolle Ticken gelauscht, nun trieb sie heute abermals die Neugierde. "Warte," sagte Teut gutmuetig, loeste die Uhr und legte sie in die zarte Hand des holden kleinen Maedchens. "Carlitos hatte auch eine Uhr," hob Ange an, waehrend sie mit den Fingerspitzen auf das Glas tupfte. Und zu Teut aufblickend, fuhr sie fort: "Hat er sie mitgenommen? Ist sie auch beim lieben Gott?" Als Teut nicht gleich antwortete, glitt sie ihm vom Schoss und rief lebhaft: "Danach muss ich Mama fragen!" Er aber hielt sie fest und zog sie abermals an sich. "Bleib, Ange. Mama schlaeft. Wir duerfen sie nicht stoeren. Ich will Dir alles erzaehlen: Nein, mein Liebling, seine Uhr hat Carlitos nicht mitgenommen. Die hat Dein Papa. Vielleicht, wenn Du erwachsen bist, erhaeltst Du sie." "Die ist ja viel zu gross! Das ist ja eine Herrenuhr!" rief Ange mit abweisender Wichtigkeit; "Mama hat mir eine kleine versprochen--eine ganz kleine, wie Bella ihre--" "Bella? Wer ist Bella?" "Das ist doch meine grosse Puppe." "Ach, verzeih, Ange, dass ich das nicht wusste." "Soll ich sie holen?" nickte das Kind lebhaft. Und ohne Antwort abzuwarten, lief sie fort und kam gleich zurueck. "Es geht jetzt nicht, Onkel," erklaerte sie ernsthaft, "Bella schlaeft." "So? Sie schlaeft? Kannst Du sie nicht wecken? Bitte, bringe sie, damit ich sie kennen lerne." Ange schuettelte den reizenden Kopf, aber in das bleiche Gesichtchen stahl sich ein schelmischer Ausdruck. "Da ist sie ja! Da ist sie ja! Und Du hast gar nichts gemerkt!" jubelte sie, zog das hinter dem Ruecken versteckte Pueppchen hervor und legte es ihm in die Arme. "Ist sie huebsch, Onkel?" "Sehr huebsch, Ange." "Ich habe noch eine, aber--" "Nun?" "Ben hat ihr ein Auge eingestossen und auch die Nase." "Da muss ich Dir wohl eine neue schenken, Ange?" Die Kleine schuettelte den Kopf. "Nein? Weshalb nicht?" "Mama sagt, Du schenktest uns schon so viel. Wir duerften Dich nie mehr um etwas bitten." "So, das sagt Mama? Aber Du hast ja nicht gebeten, Ange. Ich habe sie Dir ja angeboten." Einen Augenblick sann das Kind und dachte nach, dann nickte es lebhaft: "Ja, eine recht grosse, die auch schlafen kann und ein seidenes Kleid hat, Onkel Axel. Schenkst Du sie mir bald--heute?" "Ich will sehen, Ange. Aber mir faellt etwas ein. Wenn ich Dir nun eine Puppe bringe und den uebrigen keine?" "Die andern spielen ja gar nicht mehr mit Puppen!" rief Ange, Teuts Unwissenheit mit hoechster Verachtung strafend. "Ganz recht! Aber sie moechten gewiss etwas anderes haben, was ihnen Freude macht. Erna wuenscht sich vielleicht einen seidenen Sonnenschirm, Jorinde einen neuen Hut, und Ben und Fred moechten gerne kleine Ponys haben." "Ja, ja, Onkel Axel," rief Ange stuermisch, "schenk ihnen Ponys, dann koennen wir zusammen ausfahren--" Aber sie unterbrach sich ebenso rasch: "Nein, Onkel, es geht doch nicht. Mama will ja nicht, dass Du uns etwas schenkst. Papa erlaubt es nicht." Teut horchte auf. "Er fragte Mama, woher sie ihr Geld haette. Mama weinte und sagte, dass Du uns Geld geschenkt haettest. Da wurde Papa so boese, dass wir auch alle weinten und hinausgehen mussten. Mama darf nichts von Dir nehmen, Onkel. Nein, Onkel, schenke Ben und Fred keine Ponys. Papa nimmt sie ihnen doch weg, und sie werden bestraft. Aber ich will Papa bitten, ob Du mir eine Puppe schenken darfst. Ja, Onkel? Mama soll ihn bitten." Teut antwortete nicht. Es schwirrte ihm noch in den Ohren, was das Kind gesprochen, und seine Gedanken waren weit ab. "Onkel Axel, Onkel Axel! Hoerst Du denn gar nicht?" "Ja, mein liebes Kind," fluesterte Teut, wie aus einem Traum erwachend. "Du wirst Deine Puppe erhalten." Ange klatschte in die Haende und sprang von ihm fort. * * * * * Am selben Tage in der Nachmittagsstunde oeffnete Jamp die Wohnstubenthuer seines Herrn und meldete den Rittmeister von Zirp. "Ah, Zirp! Willkommen! Nehmen Sie Platz!" "Ich stoere doch nicht?" "Keineswegs--bitte! hier Cigarren." Nach wenigen Augenblicken sassen sich die beiden Herren gegenueber. "Ich komme," hob Zirp an, "Sie um eine grosse Gefaelligkeit zu bitten, Teut." "Bitte, wenn es in meiner Macht steht--" "Also, ohne Einleitungen. Ich brauche fuenftausend Mark, die ich augenblicklich nicht habe, die ich aber durch Buergschaft erhalten kann. Ich wollte Sie nun bitten, liebster Teut, dass Sie--" "Buergschaften uebernehme ich nie," erwiderte Teut. "Ich habe meinem Vater einen Schwur geleistet, mich niemals in der Weise zu verpflichten. Also dieser Fall ist ausgeschlossen." "Fatal! Ich brauche das Geld bereits morgen und weiss es sonst nicht anzuschaffen." "Hm, bis morgen--?" sagte Teut nachdenklich. Und nach einer Pause: "Entschuldigen Sie die Frage, wie die Sache sich so auf die Stunde hat zuspitzen koennen? Es wird gar nicht moeglich sein, Ihnen so rasch zu dienen." Teut schlug mit den Hacken zusammen, und in Zirps Mienen malte sich einige Verlegenheit. Er streifte die Asche von der Cigarre auf den Fussboden ab und benutzte dann mit einem nachtraeglichen "Pardon!" den bereit gestellten Aschbecher. "Bitte, bitte!" schob Teut phlegmatisch ein. "Hoeren Sie, lieber Teut," begann Zirp mit gezwungenem Anlauf, "ich will offen reden. Ich habe Wechsel ausgestellt, die bereits gestern faellig waren. Ich hoffte sie auf die Stunde bezahlen zu koennen. Allein meine Schwester, auf die ich sicher rechnete, hat mir mein Ansuchen abgelehnt." Er hielt inne, aber Teut kam ihm nicht zu Hilfe. Eine peinliche Pause trat ein. "Wohl," sagte Teut endlich und strich den langen Schnurrbart; "ich begreife. Aber was ich durchaus nicht verstehe"--Zirp fand diesen hochmuetigen Ton, dieses etwas schulmeisterliche Wesen Teuts ganz unertraeglich--"wie wollen Sie denn nach der ueblichen Frist von drei Monaten zahlen?" Zirp biss sich auf die Lippen und knipste abermals die Asche auf den Teppich. "Koennen Sie eine Garantie geben, dass Sie um jene Zeit die Schwierigkeiten zu beseitigen vermoegen?" "Gewiss, gewiss!" erwiderte Zirp leichtfertig. "Und diese waere?" fuhr Teut unerbittlich fort. "Nun, meine Schwester wird sich breitschlagen lassen--" "Hm! Aber wenn Sie sich nun doch in dieser Annahme irren?" "Ah, das ist ja nicht denkbar! Sie muss ja--" "Sie muss? Weshalb? Entschuldigen Sie--" "Nun es steht doch alles auf dem Spiel, wenn ich nicht zahle. Sie kennen ja die Konsequenzen." Zirp wagte waehrend der Schlussworte das Auge nicht emporzuschlagen. Teut sah ihn an und schuettelte den Kopf; dann sagte er in einem milden Ton: "Zirp! Sie waren bisher leichtsinnig. Ich schaetzte Sie aber als Ehrenmann. Waere es nicht besser, Sie beugten bei Zeiten einer Katastrophe vor, die mir bei dieser Sachlage unausbleiblich erscheint?" Zirp hatte sich erhoben und ordnete auf der Etagere Teuts zahlreiche Cigarrentaschen. Halb gaerte es in ihm auf, halb packte ihn die bessere Einsicht. Endlich sagte er: "Ich sehe, dass Sie mir nicht helfen wollen. Bitte--" unterbrach er seine Rede, als Teut eine Bewegung machte, "ich mache Ihnen daraus keinen Vorwurf. Da Sie aber in bester Absicht gesprochen haben--ohne Zweifel--wie soll ich mit Ihren Ratschlaegen und Hindeutungen auf die Zukunft morgen meine Verpflichtungen erfuellen?" Ohne eine unmittelbare Antwort zu geben, sagte Teut, sich gegen die Fensterbank lehnend und einen Siegelring an seiner kraeftigen Hand drehend: "Wer ist der Inhaber des Wechsels und wieviel sind Sie wirklich darauf schuldig?" "Matt hat das Papier in Haenden," ertoente es kleinlaut. "Ich dachte es mir! Und wie viel empfingen Sie darauf?" "Dreitausend Mark hat mir der Schuft gegeben." Teut sann einen Augenblick nach. Dann erhob er den Blick, sah Zirp freundlich an und sagte kurz entschlossen: "Gut, dreitausend Mark und einen guten Zins ueber den landesueblichen will ich Matt zahlen, auch selbst den Kerl vornehmen und alles fuer Sie ordnen--" "O Teut, lieber, braver Freund!" "Halt, Zirp! Ich habe eine Bedingung: Sie geben mir Ihr Ehrenwort, dass Sie nicht mehr spielen und nie mehr Wechsel unterzeichnen." Zirp machte eine zustimmende Bewegung. "Nein, nein, nicht so rasch! Besinnen Sie sich wohl!--Ferner: Sie beantworten mir eine Frage, wahrheitsgetreu, ohne Rueckhalt, als Kavalier." Zirp horchte gespannt auf. Des Sprechenden Stimme klang veraendert--ernster, fast drohend. "Ich bitte, sprechen Sie, Teut." "Nein, Zirp, erst antworten Sie mir, ob Sie meine Bitte erfuellen wollen. Was ich von Ihnen fordere, ist nichts, was Sie mit Ihren Grundsaetzen in Konflikt bringen kann, denn derjenige, der gut genug ist, in intimsten Privatangelegenheiten als Freund zu helfen, ist wohl so viel wert wie diejenigen, bei denen der Antragsteller die Stunden seiner Langenweile vertreibt. Also?" "Gut! Obgleich mir Ihre Rede unverstaendlich ist und obgleich ich fast erschreckt bin durch den feierlichen Ton--ich gebe Ihnen hiermit mein Ehrenwort, dass ich Ihre Frage nach bestem Wissen, wahrheitsgetreu, beantworten werde." "Nun," hob Teut an, "dann frage ich Sie: Hat jemals jemand behauptet, dass--die Graefin Ange--Clairefort--meine--Geliebte--sei?" Teut stiess die Worte zoegernd, in Absaetzen hervor. In scharfer Abgrenzung markierten sich die Linien seines mageren Gesichtes und seine Mundwinkel zuckten. Zugleich schob er das Monocle ins Auge und schien Zirp mit seinen Blicken durchbohren zu wollen. "Sie schweigen?" drang es heiser aus Teuts Munde. "Gut! Das ist auch eine Antwort. Ich danke Ihnen. Rechnen Sie auf mich; aber"--und ein so drohender Ernst malte sich auf des Rittmeisters Zuegen, dass Zirp unwillkuerlich zusammenschrak--"ich rechne auch auf Sie, dass Sie in Zukunft Ihre Reitpeitsche jedem ins Gesicht schlagen, der es wagen sollte, diese edle Frau auch nur durch eine Miene zu verdaechtigen!" Fuer Augenblicke war es stumm zwischen beiden Maennern. Teut hatte sich abgewandt und schaute auf die Gasse. Endlich trat Zirp naeher und ergriff dessen Hand. "Teut, welch ein Mensch sind Sie! Unter Tausenden ist nicht Ihresgleichen. Aber ich schwoere Ihnen, dass ich eingedenk sein werde dieser Stunde und mich Ihnen bewaehren werde als Freund. Dank, nochmals Dank! Ich gehe jetzt. Adieu----." Zirp wartete. Keine Bewegung, keine Antwort. Erst nach geraumer Zeit veraenderte der Mann, dem ein so braves Herz unter des Koenigs Rock schlug, seine Stellung, und mit einem Blick, in dem sich widerspiegelte das Leiden seiner Seele, drueckte er jenem die Hand und bat ihn durch eine Bewegung, das Zimmer zu verlassen.-- Vierzehn Tage spaeter empfing Teut von Zirp die Anzeige, dass dieser sich mit Eva von Ink verlobt habe. Anfaenglich starrte Teut das Billet ueberrascht an und schuettelte den Kopf, bald aber ergriff er die Feder und schrieb unter Beifuegung des inzwischen eingeloesten Wechsels die nachfolgenden Worte: "Lieber Freund! Ich gratuliere. Sie haben den Weg eingeschlagen, der Ihnen die Ausfuehrung Ihrer Entschluesse zu einem neuen Leben erleichtert, ja, wie ich hoffe, sichert! Bravo deshalb! Stets Ihr Axel von Teut-Eder." Auch der Familie Ink sandte Teut seine Glueckwuensche, aber einen Besuch machte er nicht. * * * * * Der Sommer 1870 war gekommen, der Krieg zwischen Deutschland und Frankreich stand vor der Thuer. Eine ungeheure Erregung hatte alle Gemueter ergriffen, und auch in C. sprach man von nichts anderem als von diesem drohenden, in alle Verhaeltnisse eingreifenden Ereignis. Begierig lasen die Maenner die Zeitungen, eine Nachricht ueberholte die andere, und in den militaerischen Kreisen herrschte fieberhafte Spannung ueber die zu erwartenden Marschordres. "Ist's wahr, ist's moeglich?" rief Ange und eilte Teut entgegen, der sich sogleich zu seinen Freunden begab. "Haben Sie schon Befehl zum Ausruecken erhalten? Wann? Wohin geht's? O, kommen Sie! Carlos ist in grosser Ungeduld, Sie zu sehen und zu sprechen." Und sie zog ihn mit sich fort in ihres Mannes Gemach. Clairefort war kaum wiederzuerkennen. Die drei Jahre, seitdem er nach C. versetzt war, hatten ihn voellig veraendert. Sein Blick war unheimlich starr, ein schwarzer Bart umrahmte sein Gesicht, und die mageren Finger zuckten in nervoeser Erregung. Er bewegte sich unsicher, hielt sich meistens an den Moebeln fest und schritt auch dann mit jenen willenlosen Bewegungen einher, an denen man die Rueckenmarkleidenden erkennt. Durch uebermaessigen Gebrauch narkotischer Mittel hatte er seinen Zustand nicht gebessert, und oft glich er, wenn er aus dem kuenstlichen Schlaf erwachte, einem Geisteskranken. Heute war er klarer; er hob sich in seinem neuerdings fuer ihn angefertigten Krankenstuhl empor und richtete einen fragenden Blick auf den Eintretenden. "Schon etwas Neues, Teut? Wann geht's fort? Ah, und ich liege hier, ein ohnmaechtiger Kranker, und muss zusehen." Ange troestete mitleidig und verwies auf Besserung, freilich ohne es selbst zu glauben. Teut nickte ernst und gab Antwort auf diese und spaetere Fragen. "Ich denke, wir werden uebermorgen C. verlassen", sagte er. "Dem Oberst ist nur mitgeteilt, dass wir uns bis dahin marschfertig halten sollen. Eine bestimmte Ordre ist noch nicht eingetroffen." "Schon uebermorgen," rief Ange erschrocken, liess die Arme sinken, die noch eben auf der hohen Lehne des Krankenstuhls geruht hatten, und legte die Hand aufs Herz. Auch Clairefort wiederholte dieselben Worte, aber wie ein Abwesender, der mit seinen Gedanken weit fort ist. "Bitte, Ange," hob er endlich mit sichtlicher Ueberwindung an, "verlasse uns jetzt. Ich habe etwas mit Teut zu besprechen." Ange sah das ernste Gesicht der beiden Maenner und wandte sich gehorsam zum Gehen. Teuts Mienen blieben unbeweglich: vergeblich suchte sie seinen Blick. Nachdem sie das Gemach verlassen hatte, fiel Clairefort zurueck und bedeckte das Gesicht mit den Haenden. "Sie sind bewegt! Was ist Ihnen, Clairefort?" begann Teut, einen Stuhl herbeirueckend und des Freundes Schulter beruehrend. "Sie wuenschen mir etwas zu sagen? Ich hoere, Clairefort." Er hielt inne und erwartete, dass jener das Wort ergreifen werde. Als Clairefort stumm blieb, fuhr er fort: "Reden Sie! Was es auch sei, es faellt in den tiefsten Brunnen! Teilen Sie sich dem Freunde mit, der alles verstehen, und alles--" "Verzeihen kann?" ergaenzte der Kranke, richtete sich ploetzlich empor und sah Teut mit einem flehenden Blicke an. "Ja," sagte Teut, "der alles verzeihen kann." Endlich beim Abschied, vielleicht beim Nimmerwiedersehen loeste sich Claireforts Zunge. Wie lange hatte Teut ein Vertrauen herbeigesehnt, das unter den gegebenen Verhaeltnissen so natuerlich war. Immer hatte Clairefort geschwiegen. Oft schien er einen Anlauf nehmen zu wollen, um sein Inneres zu oeffnen, um abzustossen, was ihn bedrueckte, aber stets hatte sich sein Mund wieder geschlossen. "Wohlan, es sei!" begann Clairefort. "Es draengt mich, Ihnen heute zu sagen, was mich quaelt, Teut. Wer weiss, ob Sie mich noch lebend finden, wenn Sie zurueckkehren. Hoffen wir es nicht, dass ich inzwischen davongehe, nehmen wir aber an, dass wir uns das letzte Mal gegenueberstehen. Vergeben. Sie mir auch--" Clairefort stockte und holte muehsam Atem--"wenn ich Ihnen so oft wehe gethan habe, Sie durch Empfindlichkeiten, durch eifersuechtige Regungen, durch ein falsches Ehrgefuehl kraenke. Rechnen Sie, wenn es Ihnen moeglich ist, ein wenig mit meinem Zustand, den ich selbst in seiner Bedeutung und seinem Umfang nicht kannte. Ich bin ein willenloser, schwankender Mensch geworden. Ach, Freund--" Clairefort unterbrach sich, Schweisstropfen traten auf seine Stirn, und die Haende irrten unruhig umher--"ich habe mich unsuehnbar vergangen gegen meine Frau und--meine Kinder--" Er hielt inne, und auf seinem Gesicht malte sich eine furchtbare Angst. Er wollte weiter reden, aber vermochte es nicht. Teut sprach sanft auf ihn ein: "Erholen Sie sich, Clairefort. Und nochmals: Fuerchten Sie keinen Tadel! Was es auch sei, vertrauen Sie sich mir an." "Nun denn--" aechzte jener und griff krampfhaft nach des Freundes Hand. "Nun denn--hoeren Sie. Ich habe--ich habe--nein, ich vermag Ihnen das Verbrechen--meine Schande nicht aufzudecken! Und doch moechte ich nichts verschweigen einem Manne, der wie keiner mein Vertrauen verdient, der es fordern kann, dem ich schon lange mich haette eroeffnen folgen, zu dem ich aber nicht sprach, weil die Scham mich erdrueckte." Teut hoerte mit angstvoller Spannung zu. Was wuerde er hoeren? Schande, Verbrechen? Vergeblich sann er hin und her. "Seien Sie ein Mann, Clairefort. Raffen Sie sich auf. Wir sind hier zu zweien. Es bedarf keiner Versicherung, dass nie eine Silbe ueber meine Lippen kommen wird." "Nun denn, Teut, ich habe--unser ganzes Vermoegen, das Vermoegen meiner Frau, mein eigenes, das meiner Kinder--an der Boerse verspielt," zitterte es aus des Kranken Munde. "Wir leben schon seit Jahresfrist von dem letzten durch Tibet ohne mein Wissen geretteten Kapital--und stehen in wenigen Wochen vor dem--vor dem Nichts--dem ich--ich--" Der Mann fiel zusammen wie ein Scheit, das im Ofen zu Asche verglommen, ploetzlich sich abloest. Teut wurde leichenblass; es krallte sich um sein Inneres Schmerz und Empoerung zugleich. Was er hoerte, war mehr als entsetzlich. Das konnte ein Mann thun einem solchen Wesen, solchen Kindern? Er biss sich auf die Lippen und sprang empor. Aber nur einen Augenblicke dann lichtete sich in der Brust dieses seltenen Menschen der Funke edler Gesinnung, und lodernd schoss die Liebe empor fuer sie, der er geschworen, ein Freund zu sein fuers ganze Leben. "Clairefort," sprach er, "wir eroerterten nur einmal Geldangelegenheiten, und es soll heute das letzte Mal sein. Fuerchten Sie nichts. Anders wird Ihr Leben sich zwar gestalten, aber Sie werden nicht darben. Axel von Teut meint es ernst mit Freundschaft und Geloebnissen. Diese Versicherung sei Ihnen genug. Was geschehen, was hinter uns liegt, werde nie wieder zwischen uns beruehrt. Nur eine Bitte spreche ich aus: Sichern Sie mir zu, dass Ange nie erfahren wird, wie Ihr Vermoegen zerronnen, noch weniger, dass es gaenzlich dahin ist. Verschweigen Sie namentlich die Rolle, welche fortan der Freund uebernimmt. Ich gelte von heute als Verwalter Ihrer Einkuenfte und als der Vormund Ihrer Kinder. Sind Sie einverstanden?" Clairefort hob sich empor. Seine Knie schlotterten, seine Augen glaenzten ueberirdisch, aber indem er die Arme ausstreckte, um sich an des Freundes Brust zu werfen, glitt er aus und fiel schwerfaellig auf den Teppich. Teut beugte sich herab und horchte an seinem Herzen. Es schlug. Rasch eilte er zur Klingel. Gleich darauf trat Ange, von Tibet gefolgt, ins Zimmer. "Beruhigen Sie sich, Graefin," sagte Teut besaenftigend. "Es ist nichts Schlimmes. Bringen wir Carlos ins Bett. Nur eine Ohnmacht. Er fuehlte sich so schwach. Es wird voruebergehen." Ange forschte angstvoll in den ernsten Mienen des Sprechenden, waehrend Tibet seinen Herrn aufrichtete und sorgsam zu betten suchte. Nichts! Nur einmal sah er sie an, und in seinem Auge blitzte die alte, mit Trauer vermischte Zaertlichkeit. Und dann kam der Abschied. Es war an einem Spaetnachmittage. Ange war im Begriff, in den Garten hinabzusteigen, um die abgekuehlte Luft zu geniessen und nach den Kindern zu sehen. Jorinde und Ben schaukelten unter den schon dunkle Schatten werfenden Buchen in der Haengematte, und Fred und Erna holten Giesskannen herbei, um den Blumen ihrer Beete Wasser zu geben. Aus den Gebueschen, aus dem Erdreich quoll ein sanfter Duft, denn der Tau reizte die zarten Nerven der Baeume und Graeser. Bevor Ange die letzten Treppenstufen erreicht hatte, oeffnete sich die Thuer und Teut trat ihr entgegen. Sie sah an seinem Blick, dass er komme, um lebewohl zu sagen. "Ich gehe zu Carlos hinauf," sagte Teut, "falls Sie in den Garten wollen, werde ich Sie spaeter dort aussuchen. Noch diesen Abend verlassen wir die Stadt." Ange lehnte sich an das Gelaender und legte die Hand auf die Brust. "Also wirklich?" Sie sah ihn mit einem ihrer stillen Blicke an, und er suchte ihre Augen mit einem Ausdruck, in dem sich nur zu deutlich widerspiegelte, was ihn bewegte. "Werden Sie mitunter meiner gedenken, Ange?" Sie antwortete nicht, sie neigte nur leise das Haupt. Wie schoen sie gerade heute war! Ein eng anschliessendes schwarzes Kleid umspannte ihren Leib, und zwei weisse Rosen schmueckten ihre Brust. Um den Kopf hatte sie ein leichtes Tuch geschlagen, unter dem das zarte Gold ihres Haares hervorschaute. Und in dem Blauweiss ihrer Augen schwammen jene sanften und doch so dunkel blitzenden Sterne, welche kein Mann vergass, wenn er sie einmal gesehen hatte. Waehrend sie so vor ihm stand und das leichte Haupt auf die Hand stuetzte, fielen die reichen Spitzen des Gewandes zurueck, und ein Arm von tadellosem Ebenmass ward sichtbar. Ihre Gestalt schien in diesem Augenblicke frei in der Luft zu schweben, bei der unnachahmlichen Grazie ihrer Erscheinung von der Erde abgeloest zu sein. "Liebe Ange!" fluesterte Teut, von ihrem Anblick hingerissen, und trat einige Schritte vorwaerts. Sie aber glitt langsam die Stufen hinab und bat ihn durch eine Bewegung, ihr zu folgen. Sie umschritten, ungesehen von den Kindern, das Haus und bogen in einen stillen Laubgang ein. Die untergegangene Sonne webte noch mit schwachen Lichtern in der Ferne; hier war es fast dunkel. Wortkarg gingen sie nebeneinander her; beiden stockte die Sprache. Als sie zum zweitenmal den Weg massen, schlug der Ruf eines der Kinder an ihr Ohr. "Mama Ange! Mama Ange! Wo bist du?" Nun ergriff er hastig ihre Hand, legte seinen Arm um ihren Leib, und indem sie es duldete, fuehlte er, dass eine Sekunde ihr Haupt an seiner Brust ruhte. "Dank, Dank fuer alles, Teut! Auf Wiedersehen!" schluchzte sie und riss sich von ihm los. "O Ange, Ange, meine liebe Freundin! Vergessen Sie mich nicht!" fluesterte der Mann und hielt die aus dem Dunkel wie eine Lichterscheinung hervortretende Gestalt zurueck. "Niemals, niemals, Teut!" presste sie unter Thraenen hervor. "Doch nun--die Kinder rufen!" Sie traten aus den sie umgebenden Baeumen heraus. Im Grase zirpte es leise, ein Vogel flatterte schlaftrunken in den Zweigen. Drueben schien die Sonne ganz versunken; der Tag war zur Ruhe gegangen, und ihre Haende loesten sich. * * * * * "Lieber Teut! Gottlob, dass Ihr Brief kam. Sie haben mich aus einer unsagbaren Angst befreit. Jetzt weiss ich, dass Sie am Leben und gesund sind; nun tritt alles uebrige in den Hintergrund. Ich schreibe auch gleich, um Ihnen an den Tag zu legen, wie sehr meine Gedanken bei Ihnen sind. Lassen Sie mich vorerst erzaehlen, wie es bei uns geht. Carlos' Zustand ist derselbe hilflose, aber er ist zeitweise heiterer und mitteilsamer. Ich war sehr geruehrt, als er vorgestern die Kinder zu sich kommen liess, sie liebkoste und sich mit ihnen beschaeftigte. Das ist seit Jahr und Tag nicht mehr der Fall gewesen. Sie glauben aber auch nicht, wie artig die kleine Schar ist und welche Fortschritte sie macht. Ben und Fred gehen nun ins Gymnasium und stolzieren sehr wichtig mit ihren Schulranzen einher. Mit Fraeulein Elise, der Gouvernante, geht es fortdauernd gut. Sie ist eine liebenswuerdige, gutherzige Dame, und die Maedchen zeigen ihr auch taeglich, wie lieb sie dieselbe haben. Es wird Sie freuen, lieber, vortrefflicher Freund, dass Carlos jetzt auch nicht mehr so uebertrieben sparsam ist. Seit Ihrem Fortgang hat er fuer den Haushalt zugelegt, und auch Tibet hat mehr zur Verfuegung als in dem letzten halben Jahre. Ich hatte schreckliche, peinliche Verpflichtungen bei Handwerkern und in meiner Umgebung--schelten Sie nur nichts ich verstand es ja bisher so schlecht, lerne es aber gewiss noch einmal ganz gut--, die nun alle bezahlt sind. Welch ein koestliches Gefuehl, keine Schulden zu haben! Die Villa behalten wir einstweilen, da die Miete ermaessigt ist. Carlos stellte dem Besitzer die Alternative, abzulassen oder der Kuendigung gewaertig zu sein. Sehen Sie, so ist es bei uns. Waere mein teurer Carlos nicht so krank, lebte Carlitos noch und waeren Sie nicht fort, Sie mein lieber, treuer Teut, ich wuerde sagen, dass wir vollkommen gluecklich sind! Ich bekam neulich, auf Empfehlung von Fraeulein Elise, die Briefe der Madame de Sevigne an ihre Tochter in die Hand. Welch ein Genuss! Jede Mutter sollte lesen, was diese weltkluge und feinfuehlende Frau geschrieben hat, und suchen, es sich zu eigen zu machen. Noch eins. Jorinde spielt jetzt wirklich allerliebst Klavier, und neulich hatte sie mit Fred ein kleines vierhaendiges Stueck zu Carlos' Geburtstag eingeuebt, das grossen Erfolg hatte. Elise war sehr stolz, und ich habe ihr--das werden Sie, Baerbeissiger, nun wieder hoechst unvernuenftig finden--eines meiner seidenen Kleider geschenkt. Ich komme ja doch nicht mehr in die Gesellschaft, habe auch, ehrlich bekannt, wenig Verlangen danach. Neulich hat Frau von Ink mir einen Besuch gemacht. Ich begegnete Fraeulein Eva, der Braut, und nahm sie mit mir. Ich finde es doch sehr artig, dass sie sich persoenlich bedankt hat. Ich weiss, Sie moegen die Dame nicht, gestehe aber, dass ich sie sehr liebenswuerdig finde, und dass ich den Eindruck habe, sie meine es gut mit mir. Nein! nein! hoere ich Sie sprechen. Nun, wenn Sie kommen, koennen wir ja den Verkehr wieder einschlafen lassen. Fred laesst Ihnen sagen, Sie moechten ihm einen franzoesischen Tschako mitbringen. Werden Sie es nicht vergessen? Ange umarmt Sie zaertlich. Eben kommt sie herbeigelaufen und will Bonbons. Sie erhaelt aber keine. Onkel Axel moechte franzoesische Bonbons schicken! meint sie. Heute will ich meines Carlitos' Grab besuchen, Teut; ich lege auch in Ihrem Namen eine Blume darauf nieder. Und nun leben Sie wohl, Sie Einziger, Bester, und schreiben Sie bald wieder und Gutes Ihrer Sie herzlich gruessenden und dankbaren Ange von Clairefort. Ach, wenn doch der schreckliche Krieg erst beendet waere!" Als Teut diese Zeilen empfangen hatte, schrieb er einen Feldpostbrief, welcher an seinen Banquier in Berlin gerichtet war. Dieser Brief, von dessen Inhalt Ange spaeter Kenntnis erhielt, moege hier Platz finden. "Geehrter Herr! Kurz vor meiner Abreise von C. ersuchte ich Sie monatlich die Summe von tausend Mark an die Adresse des Bankhauses Danz u. Co. in C. abzufuehren und demselben mitzuteilen, dass dieser Betrag gegen die eigenhaendige Quittung des Grafen Carlos von Clairefort und die Gegenzeichnung des Empfangnehmenden Ernst Tibet auszufolgen sei. Ich bitte, und zwar vom ersten des kommenden Monats ab, diesen Betrag um fuenfhundert Mark zu erhoehen, also fortan fuenfzehnhundert Mark zur Begleichung einer Schuld an den Herrn Grafen Clairefort zu zahlen. Wegen der an mich zu sendenden Monatsraten bleibt es bei den frueheren Bestimmungen. Ich ersuche Sie zugleich, sich umzusehen, ob die beiden grossen Posten von je dreihunderttausend Mark nicht in Zukunft zu fuenf Prozent in zweiten Hypotheken unterzubringen waeren. Ich denke, es giebt dergleichen sichere Anlagen, und ich koennte meine Einnahmen erhoehen. Da ich in der Folge vom Zinsenkapital nicht mehr zuruecklegen kann, muss ich mich etwas einzurichten suchen. Dem dortigen Hilfskomitee fuer die Verwundeten wollen Sie unter A.v.E. gefaelligst fuenftausend Mark ueberweisen. Ich sage Ihnen im voraus meinen Dank und erbitte Ihre baldigen Mitteilungen. Baron von Teut-Eder, Rittmeister und Eskadronchef." * * * * * Die beiden Briefe, nach ihrem Inhalt bezeichnend fuer Ange und Teut, wurden im September geschrieben, aber bereits zwei Monate spaeter trat im Clairefortschen Hause ein so folgenschweres Ereignis ein, dass alles fuer die Familie in Frage gestellt schien. Als sich Ange eines Morgens in das Zimmer ihres Mannes begab, um sich ihrer Gewohnheit gemaess, nach seinem Befinden zu erkundigen, schlug ihr eine unertraegliche Hitze entgegen, und sie fand ihn nicht wie sonst bereits an seinem Schreibtische sitzen. Wenn Clairefort starke Schmerzen in der Nacht fuerchtete, pflegte er haeufig noch spaet abends von Tibet heizen zu lassen, denn nur allzuoft verursachte ihm sein Zustand Schlaflosigkeit. Als Ange ins Gemach spaehte, fand sie zu ihrem Schrecken, den Nachttisch umgeworfen; Glaser, Leuchter und Flaschen waren herabgestuerzt und bedeckten Fussboden und Teppich. Clairefort selbst aber lag--das Haupt nach unten und mit den Fuessen das Kopfkissen beruehrend--neben der zurueckgeschlagenen Schlafdecke wie ein Lebloser hingestreckt. Ange flog ans Bett und horchte auf ihres Mannes Atem. Sein Herz schlug so leise, dass sie es kaum zu hoeren vermochte, und sein Aussehen war so veraendert, dass sie--jetzt todesgeaengstigt--die Schnur zog. "Was ist geschehen? Was ist geschehen, Tibet?" rief sie, als dieser naeher trat. "Waren Sie noch in der Nacht bei dem Grafen? Sehen Sie, wie schrecklich er aussieht! Sein Herzschlag geht leise! Ich aengstige mich namenlos!" Tibet warf einen betroffenen Blick umher und naeherte sich seinem Herrn. "Ich moechte glauben, dass der Herr Graf wohl ein sehr starkes Schlafpulver zu sich genommen hat," erklaerte er beruhigend. "Waehrend heftiger Traeume mag er um sich geschlagen und zufaellig den Tisch beruehrt haben. Das ist frueher auch schon vorgekommen." "Ach, der Arme!" sagte Ange mitleidig. "Gewiss hatte er wieder seine furchtbaren Schmerzen. Und meinen Sie, dass er schlaeft, dass keine Gefahr vorhanden ist, Tibet?" "Nein, Frau Graefin, duerfen sich beruhigen." Nach dieser Versicherung traten beide ins Wohngemach. "Glauben Sie nicht," fragte Ange nach einer Pause und daempfte ihre Stimme, "dass diese starken Schlafmittel sehr schaedliche Nachwirkungen haben?" "Ja, Frau Graefin," erwiderte Tibet; "aber viel schlimmer sind noch--" Er unterbrach sich mit einem Gesichtsausdruck, als ob das letzte Wort ihm nur entschluepft sei. Als Ange sah, dass ihr etwas verheimlicht werden sollte, stieg ihre Angst. "Nicht doch, nicht doch! Sie wollen mir etwas verschweigen. Ich will und muss es aber wissen. Ach Tibet! War es ueberhaupt gut, dass Sie nie mitteilsam gegen mich waren? Wer weiss, ob nicht manches hier im Hause anders staende!" Sie strich sich mit der schmalen Hand ueber die thraenenden Augen. "Reden Sie, ich beschwoere Sie!" fuhr sie fort, als er noch immer schwieg. "Was ist noch schlimmer? und welche Heimlichkeiten haben Sie mit meinem Gemahl schon seit Jahren?" "Ach, Frau Graefin--" stotterte Tibet und sah Ange bittend an. "Es ist nichts, gewiss nicht!" "Ist es denn Neugierde, die mich veranlasst, Sie zu fragen?" sagte Ange mit sanftem Ernst und blickte Tibet traurig an. "Ist es nicht die Sorge fuer meinen geliebten Mann! Ach, ach! wie viele thraenenvolle Stunden habe ich schon um seinetwillen gehabt!" Tibet hatte ganz die Fassung verloren. Er stand da wie jemand, der sich eines schweren Vergebens schuldig fuehlt und aus Scham und Verzweiflung kein Wort findet. Endlich raffte er sich auf und sagte: "Verzeihen Sie mir, Frau Graefin. In allem, was ich that, folgte ich dem Befehl des Herrn Grafen. Wenn ich unrecht that--ich that gewiss unrecht gegen Sie--o, so vergeben Sie es mir!" "Nun wohl! Lassen wir Vergangenes! Aber was ist jetzt?" draengte Ange. "Sprechen Sie endlich." Tibet sah mit scheuem Blick nach der Thuer und fluesterte leise: "Schon seit reichlich einem Jahr nimmt der Herr Graf ueberaus starke Dosen Morphium zu sich. Niemand weiss es. Er befahl mir unbedingte Verschwiegenheit. Auch gegen Sie verbot er, darueber zu sprechen." Ange bewegte traurig das Haupt: ploetzlich aber schrak sie auf. "Barmherziger Himmel! Sollte ihm doch bereits etwas zugestossen sein?" Sie eilte von Tibet fort, wandte sich ins Nebenzimmer und stiess, hineinblickend, einen Schrei aus. Clairefort sass wachend aufrecht im Bett. Er sah Ange mit stieren Augen an und schien sie doch nicht zu sehen. Unzusammenhaengende Worte glitten ueber seine Lippen. "Carlos, Carlos, mein geliebter Carlos!" rief Ange, flog an sein Lager und ergriff seine Hand. "Sag, was ist Dir? O, komme zu Dir! Es ist Ange, Deine Ange! Hoerst Du sie nicht?" Er nickte wie ein Abwesender. Offenbar ward er nicht Herr der ihn bedrueckenden Vorstellungen, und um sie zu verscheuchen, glitt er wiederholt mit den kranken Haenden ueber Stirn und Haar. Ange heftete mit zerrissenem Herzen die Augen auf ihren Mann. Auch Tibet war tief erschuettert durch diesen Anblick. "Wuenschest Du das Fruehstueck, Carlos? Soll ich nicht die Fenster oeffnen und frische Luft hereinlassen? Willst Du aufstehen--Dich in Deinen Stuhl setzen? Sprich Lieber! Was hast Du? Ach, ach!" Nichts! Er schien nicht zu hoeren, und sie sank wie zerknickt neben ihm nieder. Immer starrte er geradeaus, griff sich an die Stirn und suchte mit vergeblicher Anstrengung seinen Geist zu ordnen. Jetzt erhob sich Ange und riss die Fenster auf. "O, ich ersticke in dieser Luft! Sie muss auch Dir schaedlich sein! Komm, lass Dich mit Wasser benetzen. Tibet helfen Sie! Wir wollen den Grafen drinnen in dem luftigen Zimmer betten." Aber Clairefort fiel, ehe sie ihn beruehrten, schwerfaellig zurueck, schloss die Augen und blieb bewusstlos liegen. Es hatten ihn abermals der Schlaf oder eine Ohnmacht befallen. Nun eilte Tibet zu dem Arzt, und inzwischen sass Ange wie eine Verzweifelte an dem Bett des Kranken. Nach einer Weile kamen die Kinder, die ihre Mama vergeblich beim Fruehstueck erwartet hatten. Es schnitt Ange durch die Seele, als sie so froehlich und ahnungslos hereinstuermten. Noch lag die feine Roete einer gesund verbrachten Nacht auf ihren Wangen, noch umstroemte sie in ihren sauberen hellen Morgenkleidern jene aufquellende Frische, die namentlich Kinder nach dem Schlafe wie ein unsichtbarer Hauch umwebt. "Mama, Mama, wo bleibst Du denn?" rief die kleine Ange und stand da und sah so schoen aus, als ob eine zarte Bluete eben vom Baum geschwebt sei. Aber sie schraken zurueck, als sie den kummervollen Ausdruck in Anges Augen bemerkten, als sie mit ihrem Instinkt begriffen, dass ihrem Papa etwas zugestossen sein muesse. "Geht, geht, lieben Kinder!" sagte Ange sanft und traurig wie damals, als den kleinen Carlitos das furchtbare Fieber erfasst hatte. "Papa ist sehr krank. Ich muss noch bei ihm bleiben. Ich komme bald! Fruehstueckt nur allein--und--dann eilt euch. Ben, Fred, ist's nicht schon Zeit fuer die Schule?" Sie nickten gehorsam und schlichen auf den Zehen davon. Und doch war dies nur ein trauriges Vorspiel zu dem noch traurigeren Ende. Zwar erholte sich Clairefort, und einige Zeit schien er sogar wieder geistig frischer und koerperlich gesunder, aber dann erfasste ihn von neuem eine wortkarge teilnahmlose Schwermut. Er wollte niemanden sehen und sandte selbst Tibet fort, der neuerdings bei ihm nachts gewacht hatte. "Nein, nein, gehen Sie! Seit lange hatten Sie keinen ordentlichen Schlaf, Tibet. Ich fuehle mich heute ganz wohl und bedarf Ihrer nicht mehr," beschied er ihn eines Abends und bestand auf seinem Willen. Als Tibet sich entfernt hatte--ein ungewoehnlich freundlicher Blick traf ihn heute aus Claireforts Auge--, setzte sich dieser an seinen Schreibtisch und arbeitete mehrere Stunden. Endlich erhob er sich muehsam und trat, sich an Tisch und Stuehlen vorwaerts tastend, an den Spiegel. Er blickte hinein und schrak vor seinem eigenen Bilde zurueck. Es machte ihn sogar aengstlich, denn er schaute sich furchtsam um, und ein Schauer flog ueber seinen Koerper. "Sterben!" fluesterte er. "Ja dann fallen alle Gespenster, weichen alle Schmerzen und sind alle Seelenqualen vorueber." Auf dem Wege zu seinem Schlafgemach blieb er noch einmal zaudernd stehen. Nur allzu lang ist oft die Bruecke! Ein einziger ploetzlicher Gedanke, irgend eine liebe oder peinliche Erinnerung verknuepft den Menschen von neuem mit dem Leben, und der grauenhafte, blitzartig oder allmaehlich entstandene Entschluss wird doch zu Nichte. Clairefort liess sich aufs Bett nieder und griff mit zitternden Haenden tief unter die Decke. Bei dieser Bewegung setzten unerwartet die Schmerzen wieder an, und wimmernd hielt er inne. Aber bald begann er von neuem, fand endlich, was er hier verborgen hielt, und stellte es auf den Tisch. Es waren zwei Flaschen mit verschiedenem Inhalt. "Dies wird sicher genuegen, um nicht wieder aufzuwachen," murmelte er. Aber doch verging noch eine lange Zeit, ehe er sich zum Sterben ruestete. Seine Gedanken flogen hin und her wie Herbstvoegel; oft traten ihm Thraenen ins Auge. Einmal schleppte er sich in sein Wohngemach zurueck, oeffnete den Schreibtisch und nahm Anges Bild hervor. Es war zur Zeit ihrer Verlobung gemalt. "Ach, wie schoen, wie schoen!" fluesterte der Mann und bedeckte das Glas mit Kuessen. "Und Dich soll ich verlassen? Und Euch, Euch, Ihr suessen Kinder--" Es packte ihn die Angst und die Scham, furchtbare Schauer jagten durch seine Seele. Kalter Schweiss brach hervor auf seiner Stirn. Was wurde aus ihnen? Welch ein erbaermlicher, gewissenloser Mensch war er! Er wollte davongehen, und nicht einmal fuer das Naechstliegende, ja vielleicht nicht einmal fuer sein eigenes Totenhemd war gesorgt. Aber halt! War da nicht ein Geraeusch auf dem Korridor? Hastig verschloss Clairefort das Portraet, als sei's ein Vergehen, es zu betrachten. Er lauschte herzklopfend--schlich wie ein Dieb an seine eigene Thuer. Aber es war nichts. Nun nahm er seinen Platz wieder ein und lehnte sich zurueck. Konnte er noch gesund, schmerzensfrei werden? Nein, jetzt niemals mehr! Ohne Morphium vermochte er ueberhaupt ferner nicht zu leben. Was that er noch auf der Welt? Seine Pflicht, die Pflicht gegen die Seinigen hielt ihn! Nein, auch die konnte ihn nicht ans Leben fesseln. Er war ja ein Nichts. Er war nur eine Last--nur ein-- Es uebermannte ihn die Seelenqual: er schluchzte und erschrak vor den Toenen, die sich seiner eigenen Brust entrangen. Er war nur ein Hindernis fuer Anges Glueck. Fort denn, je schneller, desto besser!--Teut! Teut! Da kam ihm der Gedanke an ihn. Welch ein Mensch! Er wuerde sie nicht verlassen. Nein, sicher nicht! Gut, also sterben-- Was Clairefort noch zu sagen hat, befindet sich in den Blaettern aufgezeichnet, welche Ange morgen finden wird. Aber wenn er nun nicht stirbt, wenn es nicht gelingt, wie juengst? Er bewegt den Kopf. Wohl, er wird das Schriftstueck unter sein Kopfkissen legen, nicht auf den Tisch. Wacht er abermals auf, dann bleibt seine Absicht verborgen. Waehrend er sich an sein Bett wendet, ziehen noch einmal die letzten Jahre an ihm vorueber. Wie er zum erstenmal gespielt und ihn dann der Teufel erfasst hat, wie er vom Glueck beguenstigt wird und dann doch alles wieder verliert. Und immer von neuem verliert! Wie er innehalten will und doch sich ueberredet, er werde den Verlust zurueckerobern, endlich--ein Verzweifelter--die groessten Summen einsetzt, um abermals betrogen zu werden und zuletzt sich sogar am fremden Eigentum vergreift! Das Vermoegen seiner Frau, seiner Kinder opfert er auch noch dem wahnsinnigen Gelueste! Die Decke auf dem kleinen Nachttisch hat sich verschoben. Clairefort zupft daran. Noch im letzten Augenblicks beherrscht ihn der kleinste Gewohnheitsdrang. Er legte sich nieder, macht fast pedantisch alle Vorbereitungen, zittert, setzt erst das eine Glas an, greift dann zum anderen-- Nun sinkt er zurueck---- * * * * * Noch waehrend Carlos' sterbliche Ueberreste in der Villa standen, warf Ange einen Blick in die zurueckgelassenen Blaetter. Sie las den Inhalt in der zweiten beginnenden Nacht, und die Gespenster des Entsetzens drangen auf sie ein. Sie zerknitterte die Schriftstuecke in ihrer Hand, sprang empor und rief nach Tibet. Ernst, bleich, ahnend, was vorgefallen, erschien der Mann und blieb wie angewurzelt an der Thuer stehen. "Tibet! Tibet!" schrie Ange, blass, abgehaermt und kaum wiederzuerkennen durch die Wirkungen ihres masslosen Schmerzes. "Das alles wussten Sie seit langen Jahren und Sie schwiegen? Dem allen waren Sie ein Helfer und kannten und liebten doch meine Kinder? O Mensch, sprechen Sie, damit ich wenigstens einen Grund finde, Ihnen zu verzeihen! Nicht verloren durch Ungemach, alles was wir besassen--nein, durch Spiel--durch Spiel! Man sitzt ueber Menschen zu Gericht, toetet sie, wenn sie, von der Leidenschaft fortgerissen, einen andern morden!--Ist Leidenschaft denn Vernunft, und kann man richten, wo die Vernunft fehlte? Aber wie ahndet ein Gott ein so furchtbares Verbrechen?--Wie er es ahndet? An dem Glueck Lebendiger, indem er die Unschuldigen ins Verderben zieht! Kinder, reine, arglose Geschoepfe muessen dafuer buessen!--Was hier geschehen, sucht seinesgleichen; Ich las wohl Schreckliches, wie Menschen sich gegen Menschen versuendigten; ich hoerte von Mord, Gift, Verrat, Folter. Ist eine solche Handlungsweise nicht herzloser, unmenschlicher? Ein Familienvater, der weiss, dass ihn Gott mit zehrender Krankheit geschlagen, spielt--spielt auch dann noch ohne Anlass, ohne Not, vergreift sich an fremdem Eigentum und wagt das letzte um eines Vorteils willen, der ihn um keinen Schatten gluecklicher machen konnte. Zuletzt giebt er sich den Tod--ein Selbstmoerder!--Ein Selbstmoerder?--O leise, leise, dass es niemand hoert! Verbrennen wir diese Schande! Rasch, Tibet!--Und doch, nein! Es ist ja von seiner Hand, das letzte von ihm, welcher der Vater meiner Kinder war, den ich so unsagbar liebte, der litt, in Schmerzen sich wand!--Nein, nein, vergessen Sie, was ich sagte! Ich sprach irre. Mit meinem Herzen hatte es nichts zu thun. Ich weiss, wie er gelitten hat. Kein Mensch starb unter solchen Qualen, keinen Menschen gab es, den der Tod bei Lebzeiten schon so marterte!--Aber was soll nun werden? Hier, hier steht's. Ein raetselhafter Satz: 'Und dennoch ist fuer Deine Zukunft gesorgt, Ange. Ich glaube es. Dieser Glaube, diese Hoffnung erleichtert mir den Tod. Ich darf nicht reden. Ein Schwur verbietet es. Frage Tibet, ihn bindet kein Geloebnis.'--Nun, so reden Sie, Tibet! Was ist's? Um meiner armen Kinder willen flehe ich Sie an! Sprechen Sie! Ach! ach!" Ange sank in einen Stuhl neben dem Tische nieder, auf dem Carlos' furchtbares Vermaechtnis lag, und weinte so herzerbarmend, dass dem Manne, der das alles stumm angehoert hatte, bei diesem Jammer das Herz zerschmolz. Als Tibet immer noch nicht antwortete, schoss Ange empor: "Sprechen Sie!" rief sie. "Ich fordere es bei dem Andenken des Ungluecklichen! Ich fordere es fuer die Unmuendigen! Ich erbitte es--um meinetwillen--" Ihre Stimme versagte. "O, beruhigen Sie sich, Frau Graefin!" zitterte es aus Tibets Munde. "Ich will sprechen, da Sie es verlangen, und ich schwoere Ihnen bei dem Gott, an den ich glaube, dass ich unschuldig bin! Ich habe in all den Jahren den Grafen angefleht, von dem unseligen Spiel zu lassen. Ich habe ihm sogar in dem Gedanken an Sie und die Kinder einmal einen Gewinn verheimlicht, bis die Not--"--er stockte, und Ange sah ihn fragend und furchtsam an--"bis die Not mich zwang. Wir hatten nichts mehr zum Leben. Mit diesem Betrage bestritt ich im letzten halben Jahre die Ausgaben bis, bis--" Ange unterbrach ihn nicht; sie sass wie erstarrt. "Ein Eid band mir die Zunge. Ich verdanke ja alles dem Herrn Grafen. Ich durfte nicht reden und litt mehr darunter, als Worte zu beschreiben vermoegen, Frau Graefin; glauben Sie mir! O, vernichten Sie mich nicht ganz, indem Sie mir Ihr Wohlwollen entziehen!" "Gut, gut! Weiter!" draengte Ange leichenblass und in steigender Erregung. "Und das Geheimnis? Ich will alles wissen. Auch das Schrecklichste kann mich nicht mehr erschuettern, und ist es ein Trost, eine Erleichterung--nun, um so besser." Noch zoegerte Tibet; die Zunge war ihm wie gelaehmt. Seine Knie schlotterten. Er wusste, was er hervorrief. Er hoerte schon den Schrei der Empoerung von ihren Lippen. "Mensch," rief Ange und ballte die kleinen Haende in furchtbarer Erregung, "machen Sie nun ein Ende! Ich bin ein Weib, zarter, schwacher geartet, auch nicht vertraut mit Hinterlist und Luegen--" "O, Frau Graefin!" aechzte Tibet bei diesen Worten. Eine fahle Blaesse flog ueber sein Gesicht. Sie begriff, wie tief sie ihn verwundet. Sie sah es und streckte ihm die Hand entgegen. Sie wusste nicht mehr, was sie sprach. Sie bat es ihm ab, und ein Schimmer dankbarer Freude flog ueber seine Zuege. "Nun denn--" sagte Tibet kurz und ohne Betonung, "wir leben bereits seit Ausbruch des Krieges von der Guete des Herrn von Teut. Ich habe monatlich tausend Mark, spaeter fuenfzehnhundert Mark bei einem hiesigen Bankhaus fuer unseren Unterhalt erhoben." Ja, nun schrie allerdings die Frau auf, dass die Gegenstaende umher zu erbeben schienen. Es hallte durch das ganze Haus, drang in den kleinsten Raum. "Carlos! Carlos!" rang es sich aus Anges Brust. Er musste in seinem Totenschrein aufwachen bei diesem Schrei, denn er umfasste eine Welt von Empoerung, Schmerz und Scham. Derselbe Mann, der Teut durch Eifersucht verwundet, durch Misstrauen gekraenkt, noch juengst durch hochmuetige Zurueckweisung von Geschenken verletzt hatte, nahm Wohlthaten in solchem Umfange und verwies im Sterben, im Selbstmord auf die Hochherzigkeit dieses Freundes. Fuer Augenblicke war es totenstill in dem Zimmer. Ange brach zusammen, und Tibet stand wie eine Bildsaeule. Endlich erhob sie den Blick und winkte ihm, das Gemach zu verlassen. Bevor Anges Gatte draussen auf dem Kirchhof neben dem kleinen Carlitos bestattet wurde, trat Ange noch einmal an sein Totenlager. Die Vorhaenge des nach dem Garten gehenden Zimmers waren herabgelassen, und eine erstickende Luft benahm ihr fast den Atem. Nun sah sie ihn zum letztenmal: in einer Stunde sollte der Sarg geschlossen werden. Er glich kaum einem Abgeschiedenen. Ruhe lag auf seinen Zuegen, und um die Mundwinkel spielte jetzt im Tode jenes milde Laecheln, das Ange fuer so manchen ernsten Blick und so manche muerrische Miene waehrend seiner Lebenszeit entschaedigt hatte. "Vergieb, Carlos!" fluesterte sie und beruehrte mit ihrer Hand die weisse Stirn des Toten. Und in ihren Gedanken fuhr sie, das Auge auf ihn gerichtet, fort: "Im ersten Schmerz baeumte ich mich gegen Dich auf. Ich sass ueber Dir zu Gericht und vergass, dass ich allein an allem schuld bin. In den Blaettern, die Du mir hinterlassen hast, steht auf jeder Seite, wie sehr Du mich liebtest und wie Deine Gedanken sich immer damit beschaeftigten, dass ich nichts entbehren moege von dem, womit Du mich seit unserer Ehe umgeben hattest. Ja, ja, mein Geliebter, Du wolltest unseren Besitz vermehren--nicht aus eitler Gewinnsucht, nein, fuer mich, damit ich ein Wohlleben nicht einschraenken brauchte, in dem Du mich allein gluecklich waehntest. Du irrtest, Carlos! Ich nahm alles, weil ich es fand, weil Du mir nie einen Zwang, eine Beschraenkung auferlegtest. Ich waere nicht minder gluecklich gewesen in bescheidenen Verhaeltnissen, denn Deine Liebe, der Besitz unserer Kinder war mein Glueck. Ja, vergieb mir, dass ich nicht selbst erkannte, wie thoericht mein Leben war, dass ich nicht aus den mich umgebenden Erscheinungen Vergleiche zog und eine Lebensweise aenderte, die schon die tausendfaeltige Not anderer verbietet. Aber, Carlos, begehrte ich auch fuer meine Person viel, Du hast mir verziehen, weil ich es nicht besser verstand. Hier, hier schwoere ich Dir in dieser Stunde, mein Carlos, dass ich denen, die Gott mir erhalten hat, eine treue, sorgsame Mutter sein will und--vermag ich es--sie erziehen werde zu braven, tuechtigen, einfachen Menschen. O, wie graut mir heute vor dem Reichtum. Alles, was mich umgiebt, ekelt mich an. Es sind die Bilder des Scheins, der Luege, der Ueberhebung." Ange sank schluchzend an dem Sarge nieder. Jetzt kamen ihr wieder die Gedanken, die sie bald nach ihres Gatten Tode beherrscht hatten: Was ward aus ihren unmuendigen Kindern? Es war begreiflich, dass ein so seelenvolles Wesen wie Ange Clairefort mitten im Schmerz Betrachtungen ueber ihre Zukunft und die Handlungsweise ihres Mannes angestellt hatte, weil ihr Denken und Fuehlen zu eng mit ihren Kindern verwachsen war. So war auch ihre Empoerung, so waren auch die Ausbrueche ihrer Verzweiflung nichts anderes als ein Ausfluss ihrer Liebe, und nur zu bald wichen diese Erregungen einem sanfteren Schmerz, in welchem sie alle Schuld von dem Toten abzuwaelzen suchte. Es waere unnatuerlich gewesen, wenn sich Anges Gedanken nicht auch zu Teut gewendet haetten, wenn nicht die Hoffnung in ihr emporgestiegen waere, er werde sie nicht verlassen, jetzt, wo die Sorge sich an sie heranwaelzte. Aber in diese Hoffnung mischten sich Angst und Scham. Jetzt, vielleicht in diesem Augenblick, war Teut schon nicht mehr unter den Lebenden. Sie zitterte bei diesem Gedanken, aber sie schuettelte sich auch in seelischer Qual, wenn sie ueberdachte, dass sie fortan allein auf seine Wohlthaten wuerde angewiesen sein. Ihr Stolz baeumte sich auf; sie fasste die wirrsten Entschluesse, bis sie nach langen Irrgaengen der Ueberlegung immer wieder zu der entsetzlichen Einsicht zurueckkehrte: Es bleibt entweder nur die Wohlthaetigkeit fremder Menschen, damit Deine Kinder leben koennen, damit sie nicht darben und vergehen, damit sie erzogen werden, um brauchbare Mitglieder der menschlichen Gesellschaft zu werden, oder-- Ja, da kamen andere furchtbare Gedanken, die sich in ihrem Gehirn festbrannten, die geboren wurden aus Hilflosigkeit und Verzweiflung. Wie waere es, wenn sie mit ihren Kindern dem folgte, der hier im Sarge lag? Was stand den Armen bevor! Demuetigung, Entbehrung, Not--gar Schande. Sie hoerte sie klagen und weinen. Sie scharten sich um ihre Mama. Sie bettelten um die ihnen jetzt entzogenen notwendigen Dinge, sie wollen ihre unschuldigen Liebhabereien, sie kamen, damit ihre kleinen Herzen getroestet wurden. Und die Menschen! Wie sie zischelten und mit den Fingern zeigten, wie sie sich abwandten und gar haemisch frohlockten, dass diese uebermuetige, verwoehnte Frau die Bitterkeit des Lebens nun auch endlich kostete wie sie selbst. Ah, wie das alles ihre Seele marterte! Ja, lieber sollte sie ihre Kinder, sich selbst toeten---- Aber ein Herz wie das ihre musste schon bei dem blossen Gedanken an den Tod ihrer Kinder erstarren. Nein! nein! Entsetzlich! Lieber Not leiden, ja betteln, als ihren suessen Geschoepfen auch nur ein Haar kruemmen! Und Sterben war nicht eine Sache des Willens; zum Selbstmord gehoerten tausend Dinge, die sie nicht verstand und bei deren Vorstellung ihr grauste. "Barmherziger Schoepfer, vergieb! Vergieb auch Du mir, mein Carlos, diese graesslichen, unreinen Gedanken!" betete Ange, faltete die Haende und atmete, aus dem Schauder ihrer Vorstellungen befreit, erleichtert auf. Sie besass so kostbaren Schmuck, dass sie durch dessen Verwertung noch eine Zeit lang ohne Wohlthaten leben konnte. Diese Ueberlegung war ihr gekommen in der letzten schlaflosen Nacht und erleichterte ihr wenigstens die naechsten Sorgen. Bevor Ange, durch die Handwerker aufgestoert, das Zimmer verliess, brachen doch noch einmal die Thraenen unaufhaltsam hervor. Sie rief eilend die Kinder, liess sie niederknien und betete mit ihnen. "Hattet Ihr ihn lieb, Euren Papa?" schluchzte sie. Die Kinder nickten aengstlich und scharten sich mit den feinen blassen Gesichtern um die Mama. Als sie sich endlich zur Thuer wandten, schmiegte sich die kleine Ange an ihre Mutter und sagte: "Wird Papa auch so huebsch begraben wie Carlitos?" Bei dieser Frage zuckte Ange zusammen. "Nein, Ange, nein! Onkel Axel ist ja nicht da." "Kommt er denn nicht?" Ange antwortete nicht; sie bewegte nur das Haupt und zog hastig die Kleinen mit sich fort, die nun zum letztenmal das bleiche Gesicht ihres Papas gesehen hatten. * * * * * Waehrend noch der Graf ueber der Erde stand, war ein Brief von Frau von Ink an Ange eingelaufen. "Ich muss es Ihnen aussprechen, gnaedige Graefin"--schrieb Olga--"wie sehr ich schon bei dem Tode Ihres herrlichen Knaben mit Ihnen fuehlte und wie mich heute Ihr Schicksal bewegt! Ein Fremder vermag gegenueber einer solchen Trauer nichts. Das barmherzigste und mitleidigste Wort muss ohne Wirkung verhallen, weil die Besaenftigung des Schmerzes nicht abhaengig ist von aeusserlichen Einfluessen, sondern in dem Menschen selbst sich reisen muss durch die allheilende Zeit. Und unter dieser Erwaegung, gnaedige und hochverehrte Frau, wird vielleicht auch meine aus aufrichtigster Teilnahme hervorgehende Bitte wirkungslos sein, dass Sie sich Ihrem Kummer nicht allzusehr hingeben moegen und dass Sie sich der Hoffnung nicht verschliessen, dass auch fuer Sie wieder lebensfrohere Tage zurueckkehren werden. Ich wuensche es von ganzem Herzen und wuerde ueberaus gluecklich sein, wenn Sie mir gestatten wollten, Ihnen bald einmal muendlich mein Beileid ausdruecken zu duerfen. Glauben Sie, ich bitte, an das herzliche Mitgefuehl und die verehrungsvolle Freundschaft Ihrer sehr ergebenen Olga von Ink." Ange fand in der Aufregung, Unruhe und Sorge der ersten Tage keine Zeit, diesen Brief zu beantworten. Sie ward aber an das Schreiben erinnert, als bald nach dem Begraebnis--es war der Erste des neuen Monats--Tibet sich ihr mit unschluessiger Miene naeherte und erklaerte, dass das Bankhaus weitere Zahlungen verweigere. Es habe, berichtete dieser, den bestimmten Auftrag, nur gegen die eigenhaendige Quittung des Grafen zu zahlen. Er--der Banquier--wisse ja selbst nicht, aus welcher Quelle jene Summen floessen, und muesse deshalb jedenfalls erst naehere Weisungen ruecksichtlich der weiteren Ordnung der Angelegenheit abwarten. Daraus ergebe sich alles uebrige. Ange verlor auf Augenblicke gaenzlich die Fassung. Schon der zustimmende Entschluss, Tibet wie bisher den Monatsbetrag erheben zu lassen, war ihr namenlos schwer geworden. Zweimal rief sie ihn, als er sich schon die Treppe hinabwandte, schamerfuellt zurueck. Erst des umsichtigen Beraters Auseinandersetzungen ueber die unbedingte Notwendigkeit: die Bestreitung der durch den Todesfall hervorgerufenen Ausgaben, die taeglichen Beduerfnisse des Haushaltes, die faellige Miete, die Kinder, die Dienstboten, endlich dessen beschwichtigender Hinweis, dass dieser Betrag aus irgend welchem Erloes ihres Eigentums zurueckerstattet werden koenne, schlugen Anges zitternde Bedenken nieder, und stumm nickend, hatte sie ihn endlich gehen lassen. Und nun wurden alle diese ihrer feinen Seele entsprungenen Qualen doch noch weit mehr vergroessert durch--das Nichts. Tibet kam mit leeren Haenden! Teut schreiben, ihn bitten, Geld anzuweisen, das vermochte Ange nicht. Sie wies diesen Gedanken als voellig ausgeschlossen zurueck. Jetzt erinnerte sie sich wieder ihres Schmuckes. Bei dieser Ueberlegung aengstigte sie es aber, dass Tibet ihn ausbieten, in C. ausbieten, wenige Tage nach Carlos' Begraebnis denselben veraeussern solle. Nein, auch das gewann Ange nicht ueber sich. Endlich erhob sie den Blick zu dem Manne, der mit der ernsten und bekuemmerten Miene vor ihr stand, und sagte: "Was raten Sie, jetzt zu thun, Tibet?" "Frau Graefin," stiess dieser heraus, "wollen Sie mir nicht zuernen? Ich wuesste wenigstens vorlaeufig fuer das Draengendste Hilfe, wenn Sie diese annehmen wollten. Verzeihen Sie, wenn ich mich unbescheiden aufdraenge--ich habe ein kleines Kapital gespart, darf ich dieses--" "O braver Mensch!" rief Ange geruehrt; aber sogleich verbesserte sie sich: "Nein, Tibet, nein! Auch Sie noch der Ungewissheit preisgeben? Niemals! Ich darf Ihr Anerbieten nicht annehmen!" "Sie koennen mir ja den Vorschuss spaeter zurueckgeben, Frau Graefin," beharrte Tibet stockend. "Es ist ja Ihr eigen Geld--ich empfing es von Ihnen--ich verdanke es Ihrer Guete." Ange, zwar ergriffen von Tibets selbstlosem Zureden, aber, ihrer Veranlagung entsprechend, gerade deshalb von ihrem Gefuehl lediglich beherrscht, hoerte nicht auf seine Worte. Sie schuettelte den Kopf und zeigte in ihren Mienen ein deutliches Nein. In diesem Augenblick meldete einer der Diener, dass Frau von Ink vorgefahren sei und um die Erlaubnis bitte, der Frau Graefin aufwarten zu duerfen. War dies nicht ein Fingerzeig des Himmels? Ange schwankte unschluessig; endlich neigte sie den Kopf und der Diener eilte fort. Gleich darauf hoerte sie auch schon, wie Olga in ihrer ungestuemen, etwas plumpen Weise den Wagenschlag hinter sich zuwarf und die Treppen der Villa hinaufeilte. Und nun trat sie, von Tibet gemeldet, ins Zimmer, umarmte Ange mit allen Zeichen der Betruebnis und setzte sich ihr mit dem Ausdruck aufrichtigster Teilnahme gegenueber. Dabei streifte ihr Blick das Gemach, und die kleinen Unordnungen blieben ihr nicht verborgen. Nach einem laengeren Austausch ueber den Verlauf der Krankheit und die letzten kummervollen Tage nahm Olga das Wort und sagte: "Und nun noch eins, Frau Graefin. Sollte ich Ihnen in etwas dienen koennen, bitte, verfuegen Sie ganz ueber mich. Ich versichere Sie, dass ich ausserordentlich gluecklich sein wuerde, wenn ich Ihnen in irgend einer Weise meine Freundschaft und Teilnahme an den Tag legen koennte!" Ange, der es in ihrer angstvollen Lage und angesichts von so viel Herzlichkeit schon auf den Lippen gezuckt hatte, vorzutragen, was sie beschaeftigte, atmete erleichtert auf und nahm sogleich das Wort: "Sie kommen mir in Ihrer Guete zuvor, gnaedige Frau: ich danke Ihnen von ganzem Herzen. Ich haette allerdings wohl eine grosse Bitte--" Sie stockte. Olga horchte auf. Diese Gespraechswendung beruehrte sie aufs angenehmste. Was konnte Ange Grosses wuenschen, und wie hoch wuerde eine Frau wie diese ihr den geringsten Dienst anrechnen! Auch die Rueckwirkungen auf Teut ueberlegte sie rasch. Noch immer hoffte Olga auf einen Ausgleich mit dem Rittmeister, und in dem geheimsten Schubfach ihres Innern nicht nur auf diesen, sondern, zuguterletzt auch auf eine bedeutungsvolle Anknuepfung zwischen ihm und einer ihrer Toechter. "Sprechen Sie, sprechen Sie, gnaedige Frau--Ich bitte!" rief Olga lebhaft nach Anges Worten. Und nun setzte Ange dieser kaltherzigen, nur von ihren eigenen Interessen beherrschten Frau in ziemlich unzusammenhaengender und unklarer Weise auseinander, dass sie durch den ploetzlichen Tod ihres Gatten in peinlichste Verlegenheit geraten und voruebergehend einer groesseren Summe Geldes benoetigt sei. "Arme Graefin! Auch das noch! Die kleinlichen Nebensorgen bei so grossem Schmerz und Kummer!" rief Olga mit vortrefflich gespieltem Ausdruck der Teilnahme in den Mienen, in Wirklichkeit erfasst von einer mit Schadenfreude vermochten aeusserten Befremdung. "Ja wie ist da zu helfen? Offenheit gegen Offenheit, liebe Frau Graefin! Wir haben allerdings ein aus unserem Gutsverkauf hervorgegangenes, recht ansehnliches Vermoegen, aber alles, das weiss ich, ist unkuendbar festgelegt fuer eine lange Reihe von Jahren, und die Summe, deren Sie beduerfen--Sie nannten fuenftausend Mark, wenn ich recht verstand? Nicht wahr, Frau Graefin? Ja, ja, ganz richtig!--ist etwa der fuenfte Teil unserer ganzen Zinseneinnahme im Jahre." Diese Redewendung--ein feiner Dolchstoss--war absichtlich. "Zudem habe ich persoenlich gar keine Verfuegung; meinen Mann muesste ich schon ins Vertrauen ziehen." Ange hatte in ihrer Unerfahrenheit nur von ihren Verlegenheiten und von deren Abhilfe gesprochen. Ueber die Rueckzahlung liess sie nichts fallen, diese war ja in ihren Augen selbstverstaendlich, aber so unterblieb dasjenige, was fuer Olga natuerlich die Hauptsache war. Die letztere war sogar ueberzeugt, dass Ange diesen Punkt nur in ihrer Erregung und in ihrer Naivetaet nicht beruehrt hatte, aber sie huetete sich, selbst eine Bruecke zu schlagen, die ihr eine Ablehnung erschwerte. Obgleich sie deshalb entschlossen war, nicht einmal mit ihrem Manne die Moeglichkeit einer Hilfe in Ueberlegung zu ziehen, fuegte sie doch hinzu: "Wenn Sie gestatten, werde ich also mit Ink sprechen und alles thun, was in meinen Kraeften steht--natuerlich--selbstverstaendlich, liebe Frau Graefin! Aus diesem Grunde aber will ich mich auch gleich wieder empfehlen. Ich moechte bald etwas Gutes melden, da ich den unertraeglichen Zustand begreife, in welchem Sie sich befinden. Wuerde es moeglicherweise in einigen Tagen frueh genug sein?" fuhr sie heuchlerisch fort. "Ja? Nun gut. Ich denke sicher, es wird sich machen! Mein Mann ist ja so teilnehmend und gut, dass ich ihn zu ueberreden hoffe, wenn es irgend moeglich ist." Ange, die schon alles gewonnen glaubte, dankte mit geruehrten Worten. Besonders beglueckt aber war sie, als ihr Olga beim Abschied die Hand drueckte und die Worte zufluesterte: "In jedem Fall, wie sich auch die Dinge gestalten" (hier deckte sich Olga nicht nur den Rueckzug, sondern vergoldete diesen auch noch durch eine Aeusserung, deren Wirkung auf Ange sie richtig berechnete) "seien Sie versichert, dass niemand von dieser Angelegenheit etwas erfahren wird, dass sie bei mir unter einem stummen Munde ruhen bleibt." Nach diesen Worten und nach einer abermaligen zaertlichen Umarmung ging sie. An demselben Abend hatte Ange bereits eine von vielen schoenen Worten umrankte Ablehnung, und um dieselbe Stunde fand eine Unterredung zwischen ihr und Tibet statt. Sie verhehlte ihm weder den Inhalt von Olgas Brief, noch die jetzt in ihr emporsteigende Befuerchtung, dass jene nicht verschwiegen sein werde. Sie bewegte sich in leisen Hoffnungen, dass ihr Tibet in diesem Punkt nicht recht geben werde, aber er nickte zustimmend und sagte: "Frau Graefin, wenn Sie nur das nicht gethan haetten! Morgen wird's die ganze Stadt wissen!" Ange erschrak. Was sie beaengstigte, bestaetigte Tibet mit kalter Einsicht. Ihr Stolz baeumte sich auf, und eine angstvolle Scheu vor den Menschen bemaechtigte sich ihrer. Nun wuerde auch ihre Umgebung, ihre Dienerschaft bald darum wissen, dass sie in ihrem fuerstlich eingerichteten Hause eine Bettlerin sei. Sie sah schon die Mienen derer, die bald geschmeidige Katzen, bald fletschende Woelfe sind, je nachdem sie glauben oder fuerchten, es koenne ihnen des Teufels bestlockender Koeder werden oder entgehen. Und nun kam Ange in ihrer Ratlosigkeit auf die Verwertung der Diamanten zu sprechen, und Tibet widerriet lebhaft. Es ist eine eigentuemliche, sich stets wiederholende Erscheinung, dass einfache Leute den Verlust geringfuegiger Dinge in solchen Lebenslagen schwerer empfinden als irgend etwas anderes. Das Unglueck selbst entlockt ihnen nicht so viele Thraenen als die Aussicht, sich von gewissem Tand trennen zu muessen. Die Pfaendung einer Uhr, einer Kette, eines Medaillons, ja oft eines blitzenden Kuechengeraets raubt ihnen den letzten Trost und versetzt sie in einen Zustand heftiger Gemuetserregung. Ebenso erging es Tibet, bei dem ueberdies noch die gleichsam ins Blut uebergegangene Ehrfurcht vor den Personen und Dingen, unter denen er gleichsam aufgewachsen, mitwirkte. Er war ausser sich, als Ange ihre Absicht zu erkennen gab, und bot in fast demuetiger Weise von neuem seine Ersparnisse an. Aber in Ange kaempfte edle Vorsicht mit der Scheu, sich ihrem Diener zu verpflichten. Sie wies Tibets Anerbieten abermals aufs entschiedenste zurueck. Tibet schlug nun vor, wenigstens den Verkauf nicht in C., sondern in einer anderen Stadt zu bewirken. Es sei kaum einmal wahrscheinlich, dass am Orte jemand eine so grosse Summe dafuer hergeben oder darauf anleihen werde. Den Schmuck lediglich zu verpfaenden, empfahl Tibet zudem dringend, immer in der Hoffnung, dieser koenne Ange doch noch gerettet werden. Ange nahm seinen endlichen Vorschlag, nach Frankfurt zu reisen, lebhaft auf. Sie eilte fort, kam zurueck und oeffnete ihr Schmuckkaestchen. Als es aus Auswaehlen ging, ward's ihr schwer. Nicht der Verlust der Juwelen liess sie zaudern, aber es schien ihr wie eine Entheiligung, fortzugeben, woran sich so viele teure Erinnerungen knuepften. "Hier, hier!" rief sie indessen schnell wieder gefasst. "Ich weiss, dass diese Perlen Tausende wert sind. Wie kann ich fragen? Ich muss an meine Kinder denken, an die Pflichten, die ich gegen meine Umgebung habe, solange sie zu fordern hat. Alles andere ist nebensaechlich." Nun machten sie sich daran, den Wert des Schmuckes abzuschaetzen. "Und wenn das dahin ist?" zuckte es in Ange auf. "Wenn das dahin, was dann?" Immer wieder packte sie ein angstvolles Grauen vor der Zukunft, immer wieder musste sie sich zurueckrufen, dass das alles Wahrheit, keine Vorstellung, kein Roman sei, den eine lebhafte Phantasie sich ausgedacht hatte. Nein! nein! Carlos war tot; sie blieb zurueck mit fuenf lebendigen Geschoepfen und besass ausser diesen Kleinodien und ihrer Einrichtung nichts! * * * * * Einige Tage nach diesem Zwischenfall--es war am Spaetabend und die Kinder ruhten bereits--ueberreichte der Diener Ange ein Telegramm. Die Gouvernante, die noch eben an ihrer Seite gesessen, hatte das Zimmer verlassen, und da Ange allein war, gab sie sich ganz ihren Gedanken hin. Im Kamin brannte ein lebhaftes Feuer, das einen hellen Schein und zugleich wohlthuende Waerme in dem Gemach verbreitete. Draussen aber fuhr ein ruecksichtsloser Sturm durch die Baeume und ruettelte den hohen Schnee, der die Erde bedeckte, aus seiner Ruhe auf. Ange oeffnete hastig die Depesche, und mit einem leisen Schrei sank sie zurueck. "Auch das noch!" glitt es von ihren Lippen. "Bin wegen Diebstahlsverdacht verhaftet. Wertsachen sind mit Beschlag belegt. Frau Graefin persoenliches Erscheinen hier auf dem Kriminal-Kommissariat moeglichst bald erforderlich. Bedaure unendlich hervorgerufene Unruhe. Gehorsamst Tibet." "Auch das noch!" wiederholte Ange noch einmal und blickte wie eine Irrsinnige ins Leere. Es schien mit den Pruefungen erst der Anfang gemacht; immer Neues ballte sich zusammen, um die gequaelte Frau zu aengstigen, zu verwirren und voellig mutlos zu machen. Als Ange damals Olgas Billet empfangen hatte, sass sie wie erstarrt. Aber zunaechst waren es nicht die dadurch wieder emporsteigenden Geldsorgen, die sie beunruhigten, sondern es jagten Scham und Enttaeuschung und neben diesen die Gefuehle bitterer Reue durch ihre Seele. Sie sah Teut vor sich, der ernst und vorwurfsvoll den Kopf schuettelte und ihr zurief: "Sie haben wieder Ihren Verstand spazieren geschickt und sich mit Ihrem Gemuetsdrang auf den Weg gemacht. Warnte ich Sie nicht vor dieser Frau? Das alles haette ich Ihnen vorherigen koennen, und unnoetig, ja, zu Ihrem Schaden haben Sie sich bloss gestellt. Frau von Inks Gutherzigkeit ist nur Maske, und ueberall, wenn das Unglueck in die Hinterpforte schleicht, ist die Welt ploetzlich von Menschen ausgestorben." Als die Gouvernante zurueckkehrte, verbarg Ange die Depesche, schuetzte Muedigkeit vor und zog sich zurueck. In ihrem Zimmer angekommen, sank sie in einen Stuhl und weinte sich aus. "O Carlos, Carlos! Wer sang mir an meiner Wiege von so viel Herzeleid!" fluesterte Ange. "Bin ich ein so schwacher Mensch, dass die Angst Tag und Nacht durch mein Inneres jagt, dass ich nicht mehr lachen, dass--ach--ach--"--hier brachen die Thraenen durch die zarten Finger--"dass der Anblick meiner Kinder mich nicht mehr zu troesten vermag?" Sie ergriff die Lampe und wandte sich in das Zimmer ihres Mannes. Der eigentuemliche Duft, der stets die Raeume durchweht hatte, erfuellte sie auch heute noch. Carlos sass nicht mehr in dem hohen Stuhl. Ringsum die Spuren eines lebenden, nun fuer immer dahingegangenen Menschen. Geradlinig wie sonst standen die Buecher in den Regalen. Im unverschobenen Winkel lag die Schreibmappe. Hier hing sein Saebel, die Militaermuetze, dort standen noch seine Reiterstiefel, und drueben lagen die weissledernen Handschuhe, die er abgestreift hatte, als er des Koenigs Rock auszog. Von einer unheimlichen Angst erfasst, drehte Ange den Schluessel zu Carlos' Schlafgemach ab. Ihr war ploetzlich, als ob der Tote in der Thuer erschienen sei und nicht mitleidig, nein, ernst und vorwurfsvoll sie angeblickt habe. Weilte sein Geist noch in den Raeumen, wirkte sein Wesen noch nach, das fieberhaft und reizbar jeden Eintritt abgewehrt hatte? Ange suchte sich zu fassen und oeffnete die Schubladen des Schreibtisches. Ein ploetzlicher unerklaerlicher Drang hatte sie hierher getrieben. Noch einmal musste sie die Aufzeichnungen durchblaettern, die er ihr hinterlassen. Sie wusste, dass sie nichts darin finden werde als neuen Anreiz fuer ihren Schmerz; aber ein ruheloses Gefuehl durchhastete sie, seine Schriftzuege zu lesen, an seinem Mitleid Trost zu finden. Ja das war es! Sie sehnte sich nach Trost, weil sie keinen Menschen auf der Welt hatte, an dessen Brust sie sich werfen und ausweinen konnte. Einen gab es doch! Ja, er wog alle uebrigen auf: aber er war fern, kam vielleicht nie zurueck. Ange sann nach, ehe sie zu lesen begann. Wie aberglaeubische Menschen ein Buch aufschlagen und nach der Auslegung eines zufaellig gefundenen Wortes ihren Entschluss fassen, so tastete Ange in Carlos' Nachlass nach einem erloesenden Ausdruck. Tiefer zurueckgeschoben, fand sie, beim Ausraeumen, noch einige Blaetter, die sie bisher nicht beachtet hatte. Sie waren durchstrichen, offenbar ausgesondert und zum Vernichten beiseite gelegt. Sie griff hastig danach und begann zu lesen. Das Schriftstueck datierte noch aus der Zeit ihrer ersten Liebe und war viele Jahre vor ihrer Uebersiedelung nach C. geschrieben. In diesem Augenblick glaubte Ange einen Ruf zu vernehmen. Kam er aus dem Schlafgemach der Knaben drueben? Aengstlich lauschte sie--ja unheimlich ward ihr--aber er wiederholte sich nicht. Stumm war die Nacht. "Fuer meine teure Ange, wenn ich einmal gestorben sein werde. Ich schreibe diese Worte unter dem Eindruck, dass mir nur kurz zu leben bestimmt ist. Ich habe keinen thatsaechlichen Anhalt dafuer, es beherrscht mich aber ein ahnendes Gefuehl. Heute ist ein Mensch frisch und thatkraeftig, morgen ist er dahin. Auch ein boeser Zufall kann uns ploetzlich abrufen. "Sieh, Ange, da draengt es mich, Dir an dieser Stelle noch einmal mein Herz zu oeffnen und Dir zu sagen, wie unbeschreiblich ich Dich geliebt habe. Als ich Dich zum erstenmal sah, hielt ich es nicht fuer moeglich, dass ein so holdes Wesen wie Du, mich vor allen anderen auswaehlen koenne, und als ich es endlich aus Deinem Munde hoerte, schwankte ich zwischen Furcht und Glueckseligkeit. Weshalb? Weil mich ein trauriges Vorgefuehl beherrschte. Ich fuehlte, dass ich Dir nie wuerde etwas abschlagen koennen, und doch hatte ich, da Du ein unerfahrenes Kind warst, die Aufgabe, Dich fuer das Leben zu erziehen, Dich zu leiten und zu belehren. "Weisst Du, Ange, dass ich mich mitunter ins Freie gefluechtet habe in zitternder Angst, wenn Dir das Geringste zugestossen war. Ich bin im Schlachtgetuemmel gestanden, die Kugeln haben um meinen Kopf gepfiffen, und ich habe, das Zeichen zum Angriff gebend, empfindungslos mich in den Kampf gestuerzt; ich kenne auch keine Furcht vor greifbaren Dingen, aber ich bebte bei dem Gedanken, dass Du littest, dass ich Dich durch dieses Leiden verlieren koenne. "Wenn ich einmal muerrisch gegen Dich gewesen war, folterten mich Vorwuerfe, und ein heisser Drang, Dich zu versoehnen, Dir von neuem Liebesbeweise zu geben, quoll in mir auf. Freilich unterliess ich sie. Ich habe diesen Zwiespalt nie begriffen. "Deine Schoenheit, Dein Liebreiz, Deine unbeschreibliche Herzensguete aengstigten mich. Ich fuehlte, dass Du einst darunter leiden und dass wir beide dadurch zu Grunde gelten muessten. "Ich zittere bei dem Gedanken, dass ich frueher aus der Welt gehen werde als Du, aber nur deshalb, Ange, meine teure Ange--glaube mir--, weil ich weiss, dass Du, so gut auch altes bestellt sein mag, niemals verstehen wirst, Dich einzurichten und--gaenzlich unbekannt mit dem Wert des Geldes--vermoege Deines unbesonnenen Dranges, aller Welt zu helfen, immer nur auf das Geben, nie auf eine Beschraenkung bedacht sein wirst. "Ich dachte darueber nach, unser Vermoegen so festzusetzen und durch fremde Hand so fuer Dich verwalten zu lassen, dass Dir unuebersteigbare Schranken in Deinen Ausgaben auferlegt werden wuerden. Aber abgesehen davon, dass die Wirkung dieser Vorsicht dennoch eine zweifelhafte sein kann, widersteht es mir auch, Dich in solcher Weise zu bevormunden. Ich beschwoere Dich aber bei der Liebe und bei dem Glueck unserer Kinder, sieh Dich um in der Welt und traue nicht jedermann. Wo Dein Herz am lautesten spricht, sei am vorsichtigsten. "Aber noch mehr! Thue Du, was ich unterlasse. Berate Dich mit unserem Anwalt und gieb ihm zu erkennen, was ich als Wunsch Dir hier ausgesprochen habe. Hoerst Du, Ange? Willst Du diese Bitte ansehen als meinen letzten Willen, ihn ausfuehren als einen Akt der Pietaet gegen mich? "Ich hoffe, unser Vermoegen noch so zu vermehren, dass selbst die groessten Ansprueche zu befriedigen sein werden. Vielleicht, wenn Du diese Worte liest, ist es mir bereits gelungen. Tibet wird Dir alles vorlegen. Ihm kannst Du ganz vertrauen. Ich habe ihn erprobt und fand ihn bewaehrt in allen Verhaeltnissen, ja selbst unter Versuchungen, denen andere kaum widerstanden haben wuerden. Ich bitte Dich, dass Du Dich seines verstaendigen Rates, seiner Hilfe bedienst, wenn ich nicht mehr unter Euch sein werde, und namentlich hoffe ich, dass Du ihn niemals von Deiner Seite laesst, es sei denn, dass er selbst zu gehen begehren sollte. Betrachte ihn nicht als einen Diener, als einen Untergeordneten. Sein Herz ist von Gold, sein Verstand--obgleich in der grossen Welt nicht gestaehlt--kuehl und besonnen. Bedenke ihn auch einst reichlich! "Du findest in unserem Testament, wie ich wuensche, dass er fuer alle mir geleisteten Dienste belohnt werden soll. "Ange, Ange! Wenn ich mir vorstelle, Du koenntest je ungluecklich sein aus Herzenskummer, aus Sorge! Wenn ich daran denke, es koennte Dich eine boese Krankheit erfassen und Du muesstest mit taeglichen Schmerzen kaempfen! Ich bitte das Schicksal, alles von Dir abzuwenden." Anges Augen flossen ueber; sie beugte sich ueber die Blaetter und stuetzte das Haupt. Aus Liebe hatte er gefehlt; diese Aufzeichnungen erhaerteten es nur allzu ueberzeugend. Nun war auch das letzte verwischt, was in ihrem Herzen sich noch in Zweifeln haette bewegen koennen. Nichts blieb zurueck als sanfte Trauer und Schmerz des Mitleides. Mochte die Welt Carlos schmaehen, sie wusste ihn frei von Schuld; eine nicht minder grosse traf sie selbst, und ihre Kinder wollte sie lehren, sein Andenken hoch zu halten fuer alle Zeiten. Und Tibet? Wohlan! Ange musste handeln! Am naechsten Tage beschloss sie abzureisen, um ihn aus seiner peinlichen Lage zu befreien. * * * * * Ange erhob sich am naechsten Morgen ihrer Reisevorbereitungen wegen schon in aller Fruehe. Einer der Diener musste forteilen, sich nach dem Abgang der Zuege zu erkundigen, und die Jungfer ward herbeigerufen, die Garderobe einzupacken. Waehrend Ange noch den sie umringenden Kindern Antwort erteilte, sich auch beschwatzen liess, den Knaben wegen ihrer Abreise die Schule zu erlassen, ja ueberlegte, ob sie nicht etwa die kleine Ange mitnehmen solle, die ihr diese Bitte unter zaertlichen Schmeichelworten vortrug, fiel ihr ploetzlich ein, dass sie vielleicht nicht einmal genuegend Geld fuer die Eisenbahnfahrt habe. Sie eilte in ihr Kabinet, oeffnete den Schreibtisch und zaehlte mit fiebernder Hast, was noch vorhanden sei. Bis zum letzten Augenblick war sie gewohnt gewesen, dass Tibet alle Geldangelegenheiten besorgte. Es fiel ihr jetzt sogar ein und es bedrueckte sie, dass sie diesem nicht einmal das Reisegeld eingehaendigt habe. Sie wuerde in der Folge fast nichts ihr eigen nennen! Nur diese Thatsache in ihrer Allgemeinheit und in ihrem nuechternen Schrecken waren in ihr hasten geblieben. Was augenblicklich noetig war, was sie noch in ihrem Besitz fand, darueber hatte sie nicht nachgedacht. Als nun Ange ihren Schreibtisch durchsuchte, fand sie nur noch drei kleine Goldstuecke. Voellig enttaeuscht, liess sie die Arme sinken und beugte mutlos das Haupt. "Darf ich denn mitreisen, Mama?" schmeichelte in diesem Augenblick eine Stimme. Es war die kleine Ange, welche ihr leise nachgeeilt war und sich nun bittend an sie draengte. "Ach, nein, nein, mein Liebling!" rief Ange, aus ihrer Ratlosigkeit aufgeweckt. "Ich weiss selbst noch nicht einmal, ob ich heute fortkomme. Lass mich jetzt, suesse Ange. Geh hinueber; ich bin gleich bei Euch." Die Kleine schlich verdriesslich und weinend von dannen und nur zu fuehlbar ward Ange durch die Frage des Kindes erinnert, wie heute alles anders sei, denn ehedem! Was sollte nun geschehen? Tibet war in einer Lage, aus welcher die Pflicht gebot, ihn so rasch wie moeglich zu befreien. Ange durfte keinen Augenblick zoegern, und nun ward sie doch aus solchen Gruenden vielleicht am Reisen verhindert! Und was sollte sie ihrer Umgebung sagen, wenn sie etwa alle Vorkehrungen wieder aufhob? Nach der abschlaegigen Antwort von Olga, bei der Befuerchtung, alle Welt vermute, wisse bereits um ihre Lage, vermeinte sie, sich durch das Nebensaechlichste blosszustellen und unliebsamen Vermutungen Nahrung zu geben. War es denn Wirklichkeit? Sie besass nicht einmal mehr die genuegenden Mittel, eine kleine Reise anzutreten, und doch war sie rings umgeben von Luxus und erhob noch immer den Anspruch auf einen grossen Haushalt? Dieser Schein, diese Widersinnigkeit erhoehten Anges bedrueckte Stimmung; dazu trat ihre Unkenntnis menschlicher Verhaeltnisse. Brauchte sie fuer die Reise nach Frankfurt das Dreifache oder Fuenffache, was sie besass? Sie wusste es nicht. Sie war schon so scheu und unsicher geworden, dass sie nicht nach den Kosten der Fahrt zu fragen wagte, weil sie fuerchtete, dies werde auffallen. Auch die Mittel und Zwecke nach ihrer Bedeutung verwechselte sie bereits. So ueberlegte sie, ob sie noch das Recht habe, in einem Coupe erster oder zweiter Klasse zu fahren. Nein! Wer nichts besass, hatte die Pflicht sich einzuschraenken. Sie durfte nur das billigste Billet kaufen. Aber sie sollte an den Bahnhof eilen in ihrem eigenen Wagen, gefolgt von einem Diener, zuruecklassend einen solchen Haushalt, und einen Sitz neben rauchenden, vielleicht trunkenen Maennern einnehmen in einem ungeheizten Coupe? Sie, die vornehme Dame, in dem kostbaren Reisemantel, der ein kleines Vermoegen gekostet halte? Ah! der Pelz kostete Hunderte, und sie sorgte um einen Bruchteil, wollte um diesen fast verzweifeln? Hatte er einen so grossen Wert, weshalb ihn nicht veraeussern? Das war es ja eben! Sie war machtlos zum Handeln, jetzt wenigstens in diesen ersten Tagen. Immer wieder diese Gegensaetze von Wahrheit und Schein! "Carlos, Carlos!" schrie Ange auf. Noch einmal stieg das Gefuehl der Bitterkeit empor, freilich um in dieser sanften Seele ebenso schnell wieder zu verloeschen. Zuletzt ward Ange noch von einem anderen unruhigen Gedanken beherrscht. Wenn sie nicht zurueckkehrte! Wenn jemand ihres Gatten Papiere fand, sie las und der Welt offenbar ward, er habe Hand an sich selbst gelegt--? Hoeher als alles stand doch die Pflicht, seinen Namen ueber das Grab hoch zu halten. Sie beschloss, seine Aufzeichnungen zu vernichten, und ihre Pietaet liess sie doch wieder mit der Ausfuehrung zaudern. So stand das arme Weib, in der Hand die wenigen Goldstuecke und das Herz voller Zweifel, Sorgen und Aengsten. Sie befand sich in einem Zustande des grausamsten Kampfes. Ihre gute Natur lehnte sich auf gegen die geheimen Fluesterstimmen ihres inneren, welche ihr zuriefen: Sprich irgend eine Luege und Du wirst Dich aus Deiner Sorge befreien! Immer wieder durchkreuzten ihre Gedanken die Frage: Wo schaffst Du Dir Geld? Und immer wieder antwortete das geschaeftige Teufelchen: Meide die Wahrheit, umgehe, verschweige sie und verbirg Deine Not unter einer sorglosen Miene. Und diese fluesternde Stimme hatte nicht ganz unrecht. Olgas Brief gab den Beweis. Einmal beschloss Ange, sich der Gouvernante anzuvertrauen, aber sie verwarf diesen Plan wie alle anderen. Luegen, verheimlichen konnte sie nicht: offen alles darzulegen, verbot ihr nach den gewonnenen Erfahrungen die Klugheit. Inzwischen kehrte der Diener zurueck und meldete, dass der Zug um die Mittagszeit abginge. Es fehlten noch einige Stunden. Schon wollte er sich nach Erledigung seines Auftrages entfernen, als Ange gleichgueltig hinwarf: "Wissen Sie zufaellig den Preis des Billets, Philipp?" Der Diener bejahte, indem er in einem Kursbuch nachschlug, das er gekauft hatte und Ange einhaendigte. Wie bezeichnend war es! Waehrend er suchte, beunruhigte Ange der Gedanke, dass dieses Buechlein noch bezahlt werden muesse, dass der Diener den Betrag verauslagt habe. Nun nannte dieser den Fahrpreis fuer die erste Klasse. "Und die zweite?" fragte Ange obenhin, indem sie in ihren Gedanken die genannte Summe hastig mit ihrem kleinen Besitz verglich. "Gut, ich danke Ihnen." Der Diener verbeugte sich und ging. Es war Ange beinah ein Trost, dass jener als selbstverstaendlich vorausgesetzt hatte, dass sie die erste Klasse waehlen werde. Noch schien ihre Umgebung von den gaenzlich veraenderten Verhaeltnissen nichts zu wissen. Und das Geld, das Ange besass, reichte. Freilich, es blieb nichts im Hause zurueck, aber in zwei Tagen war ja auch sicher alles geschehen! So beruhigte sie sich und beschloss zu reisen. Sie gab die letzten Anordnungen, redete der kleinen Ange so lange beguetigend zu, bis diese sich zufrieden gab, und fuhr endlich zur festgesetzten Stunde an den Bahnhof. Die Kinder bestiegen mit ihr den Wagen und wurden wie stets, wenn sie erschienen, von den Menschen neugierig beobachtet. Da stand die Gouvernante; in ehrerbietiger Entfernung auch ein Teil der Dienerschaft; vor dem Portal hielt die offene Kalesche, geschmueckt mit dem graeflichen Wappen; auf dem Bock sass der Kutscher in der praechtigen Livree, das Coupe bestieg die schoene, vornehme Frau in dem wundervollen Pelz. Kein Wunder, dass der einzelne den Abstand zwischen sich und jener abwog. Gewiss, sie war doch eine beneidenswerte Frau! Wenn sie auch Herzeleid gehabt hatte, sie kaempfte doch nicht mit den taeglichen Nadelstichen des Lebens. Sie sass wenigstens in ihren prachtvollen Raeumen in Fuelle und Wohlleben, war in ganz anderen Verhaeltnissen als jene, die umherstanden! Und nun Umarmungen und Lebewohl! Ein heisses Thraenlein funkelte in Anges Auge. Und noch ein Abschiedskuss, und noch einer. Jetzt pfiff die Lokomotive. "Adieu, adieu! Seid folgsam und artig, suessen Kinder!" Ein weisses Tuechlein flatterte noch eine Weile aus dem Coupe. Nun war Mama Ange abgereist. * * * * * Ange blieb allein, und die Fahrt verlief rasch. Ihre Gedanken waren so lebendig, dass sie kaum bemerkte, was um sie her vorging. Vornehmlich beschaeftigte sie sich mit Teut. Sie hatte ihm in kurzen Worten geschrieben und ihn gebeten, dass er ihr gleich antworten moege. Wenn sie doch erst einen Brief von ihm in Haenden halten, wenn seine Trostworte. wenn sein Mitgefuehl sie beruehren wuerden! Es beaengstigte sie, dass er so lange nichts hatte von sich hoeren lassen. Freilich, die Truppen zogen von Ort zu Ort, Kaempfe wurden ausgekaempft, Schlachten wurden geschlagen; wo blieb Zeit und Ruhe selbst fuer die wichtigsten Dinge! Wie oft ueberfiel Ange ein heftiges Verlangen nach ihm! Sie sehnte sich nach seinem Blick, nach seinem Wort. Wo er wirkte, fuegten sich die Dinge von selbst. Ein unbeschreibliches Gefuehl der Sicherheit hatte sie stets durchdrungen, wenn Teut in ihrer Naehe war und ihr ratend zur Seite stand. Und dann richteten sich abwechselnd ihre Gedanken auf Tibet und die Kinder. Die Dinge, die jenen betrafen, so peinlicher Natur sie waren, beunruhigten sie weniger, aber es beschaeftigte ihre Gedanken, ob ihnen nichts zustossen werde. Ben sollte den Magen schonen, Erna hatte Medizin zu nehmen, fand sie abschreckend bitter, und nur ihre Mama vermochte sie bisher zu ueberzeugen, dass diese ihr notwendig sei. Und die Schularbeiten der Knaben, und der Kummer der kleinen Ange! Ob sie sich wohl beruhigt haben wuerde? Wie bitterlich hatte sie am Bahnhof geweint. Einigemal warf Ange den Blick aus dem Fenster und liess die schon halb unter dem Daemmerlicht verblassenden Dinge an sich vorueberziehen. Ein unruhiges, stuermisches Wetter mit Schneetreiben war aufgekommen und legte seine Himmelsflocken dicht und erbarmungslos auf die Landschaft ringsum. Hier tauchten im raschen Fluge Doerfer, Staedte, ein einzelnes Haus, dort ein Feuerfunken in die Luft sendender Fabrikschornstein empor; dann kleine, wie verlorene Posten in der Schnee-Einoede erscheinende Waerterhaeuschen, scharf begrenzte Telegraphendraehte, bald sich neigend, bald emporstrebend zu den glockengezierten Stuetzen, blitzartig wie dunkle Erdfaeden sichtbar werdend und verschwindend. Und jetzt wieder flaches, endloses, schneebedecktes Land, aus dem ein einzelner entblaetterter Baum wie ein roh entkleidetes Wahrzeichen der Jahreszeit melancholisch sich abzeichnete. Und fort, immer fort in rasender Eile, stundenlang, bis dem schrillen Pfiff der Lokomotive das Stoehnen der Bremse folgte, und sowohl die Szenerie draussen, wie auch das tobende Geraeusch des dahinstuermenden Zuges seinen Charakter veraenderte: Jetzt hohle, wie unterirdisch klingende Schlaege, hervorgerufen durch einige duester aufstrebende, auf den Nebengeleisen flehende Eisenbahnwagen; kleine rote und gruene Lichter, wie unheimliche Erdgeister, allmaehlich hellere Luft, als Reflex des auftauchenden Lebens in Haeusern und Huetten, und dann ein letzter kurzer Schrei der Lokomotive, nochmals kreischendes Bremsen und endlich Stillstand und Ruhe. Und jetzt Rufe, eilende Schritte, lautes Sprechen, das Rasseln der Postpacketwagen, Auf- und Zuschlagen von Thueren, und um die Coupefenster zugleich ein pfeifendes Sausen aus der sturmdurchwehten Bahnhofshalle. Dann ging's abermals wie auf einem von Furien gepeitschten, lebenden Ungetuem hinaus in den Sturm, in den Schnee und in die Nacht. Und wieder dieselben oder aehnliche Bilder: Reihen von ungleichen Haeusern, weissglitzernde Daecher, Hunderte von Lichtern, lange, von spaerlicher Helle beschienene, verlassene Gassen, aus der umnebelten Luft wie erstarrt emporragende Kirchtuerme, wieder Gueterwagen, eine einzelne wie ein Daemon mit roten Feueraugen vorbeisausende Lokomotive--ein Ruck, noch ein ruecksichtsloser Ruck an den Weichen, und nun endlich ein gleichmaessiges, jagendes, keuchendes, stossendes Stampfen des dahinfliegenden Kurierzuges. Nach einstuendiger Fahrt hielt der Zug wiederum eine Minute. Die Thuer in Anges Coupe ward aufgerissen. Es schien eine der letzten Stationen vor Frankfurt zu sein. Rasche Worte erfolgten zwischen einem in hastigem Laufe herbeieilenden Passagier und dem Schaffner. "Schnell hier! Es ist hoechste Zeit--" Ein Pfiff des Zugfuehrers--ein Schlag;--ein Herr stieg ein, noch ein Pfiff der Lokomotive, und nun brauste der Zug von neuem davon. Der Fremde, scheinbar den besseren Staenden angehoerend, gruesste Ange fluechtig und schien anfangs, trotz der schwachen Beleuchtung, ganz in die Lektuere einer Zeitung vertieft. Allmaehlich aber begann er seine Blicke auf Ange zu richten und sie endlich in einer so zudringlichen Weise zu betrachten, dass sie dies lebhaft beunruhigte. Der Mann sah unheimlich aus. Er trug einen dunklen Knebelbart, hatte suchende Augen, jene Augen, die eine furchtbare, stumme Sprache reden, und neben gewaehlter Kleidung eine bis an den Hals zugeknoepfte scharfrote Sammetweste mit weissen Knoepfen. Ange vermochte sich nicht zu erklaeren, weshalb ihr gerade diese Weste ein so unheimliches Gefuehl einjagte. Endlich brach der Mann das Schweigen und fragte in franzoesischer Sprache, ob ihr wohl--sie moege verzeihen--ein Hotel in Frankfurt bekannt waere. Er sei fremd und habe versaeumt, sich zu erkundigen. Ange verneinte und gab, wenn auch hoeflich, durch ihre Miene zu verstehen, dass sie keinerlei Gespraech anzuknuepfen wuensche. "Werden Sie auch in Frankfurt uebernachten, gnaediges Fraeulein?" begann der Fremde trotzdem von neuem. "Vielleicht--mein Herr!" und Ange wandte zur groesseren Erhaertung ihrer entschiedenen Abwehr den Blick gegen das Fenster und schaute hinaus. Der Fremde verharrte eine Zeitlang unschluessig, nahm aber dann noch einmal das Wort und machte eine mit feinem Spott vermischte Entschuldigung. Zugleich veraenderte er den Platz und suchte in verletzender Zudringlichkeit Anges Aufmerksamkeit zu erregen. Ange erbebte, aber sie beschraenkte sich diesmal auf einen einzigen Blick, durch welchen sie den Fremden an seinen Platz zurueckzuweisen suchte. In der That schien der Mann endlich belehrt zu sein; er schwieg. Nun drueckte sich Ange mit geschlossenen Augen in die Ecke des Sitzes. Aber noch durch die Lider sah sie in ihrer aufzeigenden Angst die rote Weste und die funkelnden Augen des Fremden vor sich. Von draussen ertoente das hastende Geraeusch der dahinfliegenden Wagen; einmal ein kurzer Pfiff der Lokomotive; nun jagte ein anderer Zug, von Frankfurt kommend, ueber die Schienen. Wie die wilde Jagd raste und stob er mit kurzem, sausendem Gezisch, den Sturmwind im Ruecken, an ihnen vorueber. Dann trat das fruehere regelmaessige Geraeusch wieder ein. "Mein gnaediges Fraeulein! Ich bitte, mein gnaediges Fraeulein!" drang nun die Stimme des Fremden in halb bittendem, halb zudringlichem Tone an Anges Ohr. "Mein Herr, ich muss dringend ersuchen, dass Sie mich nicht ferner belaestigen! Sie haben eine Dame vor sich! Noch einmal, zum letztenmal; ich habe bereits deutlich gezeigt, dass ich keine Konversation wuensche." Aber der Fremde ruehrte sich nicht von der Stelle. Ange schien ihm in ihrem Zorn nur noch reizvoller. "Wie kann man sich so erregen, so ungehalten sein!" begann er abermals kopfschuettelnd, suchte Anges Augen, rueckte naeher und tastete unter weiteren besaenftigenden Worten sogar nach ihrer Hand. Eine heisse leidenschaftliche Hand streifte in der That waehrend einer Sekunde Anges Rechte. "Mein Herr, mir fehlen die Worte fuer Ihr Benehmen! Ich befehle Ihnen, sich sofort zurueckzuziehen!" rief Ange, flog empor und richtete ihre schlanke, in die dunklen Trauerkleider gehuellte Gestalt so gebietend vor dem Manne auf, dass er zurueckprallte. "Wenn Ihr besseres Gefuehl nicht von selbst erwacht, wenn Sie Ihre empoerenden Zudringlichkeiten nicht einstellen, werde ich die Zugleine ziehen! Ich thue es bei Gott jetzt, sogleich--" Als der Fremde trotz der Entwaffnung, die sich in seinen Mienen widerspiegelte, dieser Aufforderung dennoch nicht folgte, fasste Ange den Riemen, riss das Fenster auf und rief, waehrend sie nach der Leine tastete, in das Dunkel hinaus nach Hilfe. Die schwarze Nacht schielte mit ihrem mitleidlosen Gesicht in den schwach erleuchteten Raum, Flocken ihres weissen Totenbettes wirbelten in das Coupe, kalte, eisige Zugluft draengte sich hinein. Jetzt pfiff die Lokomotive; der schwarze, mit tausend unsichtbaren Atomen geschwaengerte Rauch warf seinen stinkenden Atem ins Coupe, drang mit der eisigen Luft in Anges Kehle und toetete jeden Laut. Vorwaerts! vorwaerts! Der Zug raste dahin! Was scheren den stummen Zeiger an der grossen Zeituhr menschliche Vorgaenge, gar der Schrei eines geaengstigten Menschenkindes, was die Laune eines Zudringlichen? Zum Glueck fuer Ange hatte der Zug nun bereits das Frankfurter Weichbild erreicht. Der Fremde machte sich hastig mit seinen Sachen zu schaffen, und Ange wandte sich, noch atemlos vor Aufregung, ins Coupe zurueck. Wenige Augenblicke und der letzte Pfiff ertoente. Die Wagen hielten, die Thueren wurden aufgemacht, der Fremde sprang mit kurzem, scheuem Gruss eilend hinaus, so eilend, dass Ange ihn in der naechsten Sekunde aus den Augen verlor, und sie selbst verliess, noch unter den Nachwirkungen der Schrecken, die ueber ihr geschwebt, den unheimlichen Raum und fuhr in die Stadt. * * * * * Als Ange nach einer Nacht voll aufregender Traeume und Beunruhigungen zu einer Ueberlegung der Aufgaben des Tages gelangte und zunaechst sich erinnerte, dass sie sich einige Geldmittel verschaffen muesse, sass sie lange gruebelnd da und vermochte sich nicht zu einem Entschlusse aufzuraffen. Nur wer sich in einer Lebenslage jemals befunden hat, in der das Notwendigste nicht allein fehlt, sondern auch der Blick in die Zukunft das Traurigste vor Augen stellt, wird den Zustand von Mutlosigkeit und Unsicherheit begreifen, in welchem sie sich befand. Die Rueckwirkung der Aufregung des verflogenen Abends, die Geldsorge, die dadurch hervorgerufenen Eindruecke, namentlich das Gefuehl, etwas anderes zu scheinen, als die Umgebung voraussetzte, die fremde Stadt, die bevorstehende polizeiliche Vernehmung--dies alles uebte eine solche Wirkung auf Ange aus, dass sie, zum Fortgang schon geruestet, auf der Treppe noch einmal umkehrte, sich in ihr Zimmer zurueckbegab, und weinend nach Fassung rang. Und diese ward ihr endlich! Ja, noch mehr. Was bisher zu keinem Ausdruck gelangt war, weil der richtige Pruefstein fehlte, gestaltete sich allmaehlich klar und kraeftig in ihrem Inneren. Sie gedachte ihrer Kinder, und bei der Erinnerung an diese staerkte sich ihr Pflichtgefuehl. Der Adel ihrer Seele half ihr zu einem unabaenderlichen Entschluss und zu einem festen Willen. Nun zeigte sich, dass sie aus einem besseren Holz geschnitten war als der Durchschnitt derer, die in der Welt umherwandeln. Kein Rueckblick mehr auf fruehere sorglose Zeiten, keine Vergleiche! Geradeaus wollte sie ihr Auge richten! Ein heiliger Ernst durchdrang sie: jener sittliche Ernst bemaechtigte sich ihrer, ohne den niemand wagen darf, auf den Kampfplatz des Lebens zu treten, mit dem aber jeder ein Feld sich eroeffnet, dessen Enden ohne Grenzen zu sein scheinen. Ange beschloss, zunaechst einen Wagen zu nehmen und nach einem Pelzgeschaeft zu fahren; von dort wollte sie sich ins Polizeigebaeude begeben. Nachdem sie Erkundigungen bei dem Portier eingezogen--sie wurde rot bei ihrer Frage--, fuhr sie ab. Kaum zehn Minuten spaeter betrat sie das Magazin und legte den Mantel, den sie im Wagen abgezogen hatte, dem Kaeufer, einem jungen Menschen mit einer verdriesslichen Geschaeftsmiene, vor. "Ich bin auf der Reise. Dieser Pelz ist mir ueberfluessig, ich wuensche ihn zu veraeussern. Wollen Sie die Guete haben, ihn zu pruefen und einen Preis zu nennen?" Der Angeredete schob das kostbare Stueck hin und her, nickte und sagte endlich: "Ich glaube, dass wir den Mantel erwerben wuerden. Aber der Chef ist augenblicklich verreist. Wollen Sie ihn nicht bis uebermorgen zur Verfuegung halten? Ich kann den Handel allein nicht abschliessen!" Ange erwiderte, dass dies nicht moeglich sei, und bat um eine andere Adresse. Nachdem eine muerrische Antwort erfolgt war, entfernte sie sich. Ange fuhr durch eine Reihe weitlaeufiger Strassen und Gassen, bevor sie ihr Ziel erreichte. Die grossen Geschaeftshaeuser mit ihren geschmueckten Laeden tuermten sich vor ihr auf. Sie sah die eilenden Fuhrwerke und Menschen, blickte in den Dunst und Wirrwarr des Verkehrs und ward hier angezogen, dort abgestossen von den Bildern des geraeuschvollen Lebens. Aber diese Eindruecke gingen gleichsam nur wie ein Schatten neben den Gedanken einher, die sie beschaeftigten. Und da ploetzlich tauchte beim Hinausschauen eine Gestalt vor ihr auf, die sie kannte. Im Fluge des Vorueberfahrens sah Ange ihren Reisegefaehrten; sie bemerkte auch waehrend weniger Sekunden die Dreieckzipfelchen seiner roten Weste unter dem zugeknoepften Rock. Der Mensch hatte Frankfurt also nicht verlassen! Doch gleichviel; wirkte auch die Erinnerung auf sie und liess diese ein angstvolles Unbehagen in ihr emporsteigen--das war gluecklich ueberwunden. Jetzt, in der belebten Stadt empfand sie keinerlei Furcht. Endlich hielt der Wagen. Aber hier war nicht, was Ange suchte. Sie befand sich in einer kleinen Gasse und begriff nur zu bald, dass der Kutscher sie falsch verstanden habe. Ange sah auf die Uhr; es war schon spaet. Unter raschem Entschluss befahl sie, nach dem Polizeigebaeude zu fahren. Sie wollte den Wagen warten lassen, auf ihrer Rueckkehr den Mantel veraeussern, und dann den Mann ablohnen. "Warten Sie!" sagte Ange, nachdem das Polizeigebaeude erreicht war. Und in einer unzeitigen Ehrlichkeit fuegte sie hinzu: "Es kann etwas lange dauern." "Dann lohnen Sie mich ab!" rief der Kutscher. "Mein Pferd geht schon seit gestern abend; ich moechte ausspannen." Ange erschrak. "Ich habe kein kleines Geld--" "Ich werde wechseln gehen," wandte der Mann ein und sprang vom Bock. "Nein, nein, warten Sie!" erklaerte Ange, eilte rasch an die Thuer und schnitt somit alle weiteren Fragen ab, die ihr Ungelegenheiten bereiten konnten. Das Geld, das sie in C. zu sich gesteckt, hatte eben fuer die Reise gereicht; sie vermochte den Kutscher nicht einmal zu bezahlen. Nachdem Ange von dem Portier verstaendigt worden war, betrat sie das Zimmer des Kriminalkommissarius. Einer der dort anwesenden Beamten wusste nicht genau Bescheid, der Vorsteher war nicht anwesend. Es blieb Ange die Wahl zu warten oder wieder zurueckzukehren. Sie schwankte. Bevor sie sich zum Gehen entschloss, fragte sie nach Tibet, und nach einigem Hin- und Herreden empfing sie den Bescheid, der Inkulpat sei in Haft, und es sei nicht moeglich und gestattet, ihn zu sehen oder zu sprechen. Der Beamte, der hoeflich, wenn auch kurz Auskunft erteilt hatte, sah befremdet empor, als Ange, in Gedanken verloren, vor sich hinstarrte. Nun raffte sie sich auf und erklaerte, in einigen Stunden wieder anfragen zu wollen. In der Thuer wandte sie sich noch einmal um. "Ich bitte, dem Herrn Kommissar bei seiner Rueckkehr meine Karte uebergeben zu wollen und zu melden, dass ich mich eingefunden habe." Der Beamte schielte auf die Adresse, nickte gleichgueltig und sah auf seine Arbeit. "Adieu!" Dieser Gruss ward kaum erwidert. So ging Ange. Ins Hotel zurueckgekehrt, liess sie den Kutscher ablohnen und machte sich nach etwas Ruhe und Erholung abermals nach dem Polizeibureau auf den Weg. Als sie nach laengerem Warten endlich vorgelassen wurde, stand sie einem ernsten Mann mit forschendem Blick gegenueber, und es entspann sich ein laengeres Gespraech. "Ich komme, Herr Kommissar, wegen meines am vorgestrigen Tage verhafteten Dieners Ernst Tibet." "Ich habe die Ehre, die Frau Graefin von--" Der Beamte suchte nach Anges Namen, bat sie mit einer hoeflichen Bewegung, Platz zu nehmen, griff hinter sich nach einem Aktenfascikel, blaetterte darin und neigte zustimmend den Kopf, als jene inzwischen das Wort "Clairefort" selbst hinzufuegte. "Ganz recht! Der Verhaftete beruft sich auf die Zeugenschaft der Frau Graefin Ange von Clairefort, geborenen Baronin von Butin, Gemahlin des verstorbenen Rittmeisters Carlos von Clairefort. Ist dies richtig, gnaedige Frau!" Der Kommissar erhob fragend den Blick. Ange verbeugte sich. "Die Vorgaenge, die Umstaende, welche die Verhaftung des Ernst Tibet herbeifuehrten, sind Ihnen bekannt, gnaedige Frau?--Nein?--Ich werde Ihnen dann zunaechst das Protokoll vorlesen. Indes, eine Vorfrage: Vermoegen Sie sich zu legitimieren? Ich bitte um Ihre Papiere." Ange wusste bei den mehrfach und gleichzeitig gestellten Fragen nicht unmittelbar zu antworten; von allen blieb die letztere in ihr hasten. "Legitimation? Ich verstehe nicht, Herr Kommissar!" "Es wuerde ein amtlich beglaubigtes Schriftstueck aus C., etwa von dem dortigen Polizeimeister, genuegen.--Sie haben kein solches?--Vielleicht koennen Sie sich durch eine hiesige Persoenlichkeit rekognoszieren lassen.--Auch nicht?--Hm, das erschwert allerdings die Angelegenheit." In Anges Mienen trat ein Ausdruck von Enttaeuschung und Unruhe zugleich, und da ein Kriminalkommissarius wie ein Luchs auf der Lauer liegt und jede verdaechtige Bewegung beobachtet, auch niemals annimmt, dass ihm die Wahrheit gesagt wird, sondern stets das Gegenteil vermutet, so sprachen diese Dinge nicht eben zu Anges gunsten. "Eine Legitimation ist durchaus erforderlich, gnaedige Frau," fuhr der Beamte achselzuckend fort. Die Schwierigkeiten, die sich unvermutet erhoben, aengstigten Ange. Sie sah ihr Gegenueber einen Moment ratlos an. "Ich muesste schon nach C. zurueckreisen, Herr Kommissar. Ich weiss keinen anderen Weg. Hier kenne ich niemanden. Giebt's keine Moeglichkeit? Ich bitte freundlichst um Ihren Rat." Der Beamte machte eine zweifelnde Bewegung, und in seinem Gesicht malte sich nichts, was Ange haette ermutigen koennen. "Ich glaube allerdings, es wird nichts anderes uebrigbleiben, als dass Sie an Ort und Stelle--" "Aber bedenken Sie, Herr Kommissar, ich bin gestern in aller Eile abgereist, nun wieder zurueck und abermals hierher!" "Allerdings eine missliche Aufgabe, gnaedige Frau. Aber woher soll ich die Ueberzeugung nehmen, dass ich die Ehre habe, mit der Frau Graefin von Clairefort zu sprechen? Die ganze Angelegenheit macht, ich muss es Ihnen offen bekennen, einen wenig vertrauenerweckenden Eindruck. Der Inkulpat hat sich aeusserst verdaechtig benommen. Nachdem er die sehr wertvollen, wie ich hier berichtet finde, auf eine ganz ungewoehnlich grosse Summe abgeschaetzten Diamanten anfaenglich als sein Eigentum bezeichnet hatte, zog er spaeter diese Aussage zurueck und weigerte sich, den Namen seines Auftraggebers zu nennen. Der Juwelier musste Verdacht schoepfen und war in der That selbst die Veranlassung, dass die Verhaftung erfolgte. Was ist denn Ihnen ueber den Fall bekannt, gnaedige Frau?" Ange berichtete, was sie wusste. Sie erzaehlte, dass sie ein Telegramm und in diesem die Aufforderung erhalten habe, sofort nach Frankfurt zu eilen. Und waehrend sie das eroerterte, kam ihr, wie ihr schien, eine zutreffende Bemerkung. "Dass ich die Graefin von Clairefort bin, Herr Kommissar," fuhr sie fort, "mag genuegend daraus erhellen, dass nur ich die ohne Zweifel mit Ihrer Genehmigung abgesandte Depesche empfangen konnte und solche auch in der That erhielt. Wollte der Verhaftete eine andere Persoenlichkeit einschieben, welche Moeglichkeit Sie anzunehmen scheinen, so musste er entweder diese zugleich benachrichtigen oder sich in der Zwischenzeit mit mir in Verbindung setzen. Wie sollte das geschehen sein? Ich erklaere, dass ich die Graefin von Clairefort bin, dass ich meinen Diener beauftragt habe, meine Diamanten zu veraeussern, und dass er nur aus Delikatesse meinen Namen verschwieg. Die Umstaende, welche ihn dazu veranlassten, sind so trauriger Art"--Ange stockte und senkte das Auge--"dass Sie darin nur etwas Selbstverstaendliches finden wuerden, Herr Kommissar, wenn Ihnen solche bekannt waeren." Der Beamte sah Anges Bewegung und legte ihr durch einige artige Worte seine Teilnahme an den Tag. Dann aber nahm er zu dem Gegenstand selbst Stellung und sagte: "Was Sie als untrueglichen Nachweis anfuehren, meine gnaedige Frau, ist fuer mich keiner. Ich bitte, nur den einen Fall ins Auge zu fassen, und ein solcher ist unzaehligemal vorgekommen. Was kann bei solchen Gelegenheiten nicht alles vorbedacht und abgesprochen sein! Stoesst dem Schwindler oder Dieb eine Ungelegenheit zu, bezeichnet er als Entlastungszeugen eine mit ihm im Bunde stehende Persoenlichkeit, die sich also im vorliegenden Fall etwa--Frau von Clairefort nennt. Diese erscheint, macht ihre Aussagen, und der gemeinsame, an einer dritten Person ausgefuehrte Diebstahl--wer weiss wo; in Paris, Madrid oder sonst in der Welt!--bleibt nicht nur unentdeckt, sondern die Komplicen ziehen noch mit triumphierender Miene ab.--Ohne Zweifel verhaelt sich das alles in diesem Falle nicht, wie ich hier dargelegt habe, aber bedenken Sie, dass es doch moeglich sein koennte und welche Verantwortung auf mir lastet. Meine vielen Geschaefte gestatten mir im allgemeinen nicht, mich mit Zeugen in Eroerterungen ueber Eventualitaeten einzuladen. Ich gehe streng nach meinen Vorschriften. Wird erfuellt, was ich gesetzlich zu verlangen habe, schreite ich an die Pruefung und entscheide. Legitimieren Sie sich, und ich werde Ihre Aussagen protokollieren, diese mit denen des Tibet vergleichen, Sie beide konfrontieren und, wenn ich die Ueberzeugung gewinne, dass ein falscher Verdacht vorliegt, mit groesster Genugthuung Ihren Diener entlassen und Sie in den Besitz Ihres Eigentums setzen." Ange liess mutlos den Kopf sinken. "Also es giebt gar keinen--gar keinen Ausweg, Herr Kommissar?" fragte sie und sah ihn mit feuchten Augen an. "Bedenken Sie guetigst! Ich, eine einzelne Dame! Noch stehe ich unter den Nachwirkungen einer so ernsten Trauer, mein Gatte ist eben gestorben. Ich reisse mich von allem los und eile hierher; nun soll ich nochmals zurueck! Und dazu die Peinlichkeit, in dieser Angelegenheit mit den Ortsbehoerden zu verhandeln!--Diamantendiebstahl! Verhaftung! Das alles klingt, als ob wirklich ein Vergehen vorlaege, und doch ist alles so korrekt wie nur moeglich. Ich bitte, ich flehe Sie an, helfen Sie mir! Ich schwoere Ihnen zu, dass ich die Wahrheit rede! Sehe ich aus wie eine Betruegerin? Ihr scharfer Blick muss es erraten, dass ich die volle Wahrheit rede!" Der Beamte sann einen Augenblick nach, dann sagte er: "Meinen persoenlichen Empfindungen darf ich nicht folgen. Diese sprechen zu Ihren gunsten, gnaedige Frau--ich bitte, beruhigen Sie sich." (Ange brach in Thraenen aus.) "Ich will Ihnen einen Vorschlag machen: ich werde an den Polizeimeister in C. telegraphieren. Vermag dieser zu recherchieren, dass Sie in C. wohnen, gestern abgereist sind--wann, bitte, mit welchem Zug?--Sehr wohl!--auch Ihr Signalement und dasjenige Ihres Dieners beizufuegen--wuerden Sie endlich das Original der Depesche mir einhaendigen koennen, welche Sie von Ihrem Diener empfingen, so waere ich hinreichend gedeckt und verspreche Ihnen eine rasche Untersuchung und Erledigung." Ange atmete erleichtert auf. "Wann darf ich also wieder erscheinen, Herr Kommissar?" "Ich denke, uebermorgen vormittag werde ich im Besitz alles dessen sein, was erforderlich ist." "Nicht frueher?" warf Ange enttaeuscht ein. "Ich glaube nicht, dass es moeglich sein wird." "Und darf ich meinen Diener sprechen?" "Ich bedaure, gnaedige Frau--" "Aber er koennte doch benachrichtigt werden, dass ich hier bin und dass alles eingeleitet ist! Sie wuerden mich sehr verbinden. Der arme Mensch wird in einer entsetzlichen Unruhe sein, und Sie begreifen, dass ich ihn daraus befreien moechte." "Diese Bitte will ich auf Ihren besonderen Wunsch erfuellen, gnaedige Frau." Der Kommissar klingelte. "Ich danke Ihnen fuer diese besondere Ruecksicht, Mein Herr," sagte Ange, stark betonend. Der Beamte neigte hoeflich den Kopf und erhob sich. "Also auf uebermorgen zehn Uhr. Ich stehe dann zu Diensten. Ich empfehle mich Ihnen, gnaedige Frau." Eine stumme Verbeugung, nochmals ein Dankeswort, dann war Ange draussen. "Nach der Pelzhandlung von M.!" "Strasse? Nummer?" Ange antwortete, stieg ein und der Wagen rollte fort. Nach zehn Minuten befand sie sich an Ort und Stelle. Sie brachte ihr Anliegen vor und wartete voll Ungeduld auf die Entscheidung. Diese erfolgte erst nach laengerer Zeit. "Wir haben im ganzen nicht viel Neigung zum Kauf, obgleich der Pelz sehr schoen ist," sagte der Haendler, welcher sich mit seiner Umgebung beraten hatte. "Fuer derartige Ware haben wir hier so gut wie keine Verwendung. Indessen, wollen Sie ihn mit achtzig Thalern abgeben, kann das Geschaeft gemacht werden." Seit Wochen hatte sich Ange nicht so gluecklich gefuehlt. Sie haette aufjauchzen koennen in der Erleichterung ihrer Seele. Achtzig Thaler! Sie hatte zwar mehr erwartet, da der Pelz mehrere Hunderte gekostet hatte, aber sie empfing Geld--ueberhaupt Geld, und--dann fand sich alles andere. Ange nickte, that noch eine Frage wegen Rueckkaufs, empfing den Betrag und entfernte sich. Nach einer Abwesenheit von fast zwei Stunden kehrte sie nun abermals ins Hotel zurueck. * * * * * Wer das Leben beobachtet, wird finden, dass diejenigen das hoechste Ansehen geniessen, welche allezeit den Kopf ueber das Herz stellen, und in der That sind diese Menschen die eigentlichen Erhalter unserer sozialen Verhaeltnisse. Was sollte heute aus einer Welt werden, in der die Menschen nach den idealen Vorschriften einer biblischen Bergpredigt handeln wollten? Anders steht es mit dem Glueck solcher Personen. Die tausendfachen Reize, welche den Gemuetsmenschen zu teil werden--und moegen diese auch nur bestehen in dem Wechsel zwischen Erfolg und Enttaeuschung--entgehen ihnen. Der Gemuetsmensch geniesst jede Sekunde, der Verstandesmensch entbehrt oft alles. Jener befindet sich bis zum Grabe in einem koestlichen Rausche, dieser--oft ohne wesentlichen Kampf mit der Aussenwelt, der Illusionen bar, lernt den eigentlichen Zauber des Lebens gar nicht kennen. Ange hatte den furchtbaren Ernst ihrer Lage begriffen, und der feste Entschluss, ein neues, auf Pflichttreue beruhendes Leben zu beginnen, war stark und lebendig in ihr geworden; aber ihre lebensfrohe Weltanschauung und ihre sorglose Unerfahrenheit gewannen doch leicht wieder die Oberhand und verfuehrten sie, mehr dem Impuls des Augenblicks zu folgen, als das Ende der Dinge ins Auge zu fassen. Gestaerkt durch neue Hoffnungen und im Besitz einiger Mittel, verwischten sich voruebergehend die Eindruecke der letzten Tage, und mit dem halbbewussten Anreiz, sich ihre glueckliche Stimmung zu erhalten, durchschritt sie nach dem eingenommenen Mittagessen die Hauptstrassen, guckte in die Laeden und betrachtete mit naiver Freude alles, was sich neues ihrem Auge bot. Die schoenen Gegenstaende, welche in den Schaufenstern ausgebreitet lagen, reizten ihre Kauflust. Was ihr gefiel, hatte sie bisher stets erhalten--sich erbeten oder selbst gekauft; niemals fand sie den geringsten Widerstand. Nun fielen ihr die Kinder ein! Statt eines Tages wuerde sie viele Tage fortbleiben! Dafuer mussten ihre Lieblinge doch in etwas entschaedigt werden! Unter diesem Gefuehlsdrange betrat sie ein Magazin und waehlte aus: da war etwas fuer die kleine Ange, hier etwas fuer Jorinde und Fred, und da keines der Kinder bevorzugt werden durfte, kaufte sie auch einige huebsche Ueberfluessigkeiten fuer Ben und Erna. Als der Verkaeufer die Rechnung summierte, erschrak Ange. Aber dann stellte sie sich die Freude und den Jubel der Kleinen vor, gedachte nochmals der mancherlei Entbehrungen, welche sie durch ihre Abwesenheit erleiden wuerden, und befahl ohne Zaudern, die Gegenstaende abzusenden. Und dennoch tauchte, als sie draussen zum Nachdenken gelangte, ein bekanntes ernstes und tadelndes Gesicht vor ihr auf; ja sie hoerte eine Stimme, die sie sanft schalt und ihr zurief: "Niemals wirst Du die Erfahrungen des Lebens Dir zu nutze machen! Immer wissender wirst Du werden, nicht weiser!" Es war Teut, der auch diesmal vor ihrem inneren Auge erschien. Ange erschrak vor sich selbst. Selbsterkenntnis war ihr gekommen, seitdem sie Teut kennen gelernt, Entschluesse waren in ihr gereift, nachdem Carlos davongegangen und sie in Not zurueckgelassen hatte, aber der Gang durch die Schule des Lebens war noch zu kurz, um seine volle Wirkung zu ueben. Den Rest des Tages benutzte sie, um an die Kinder und nochmals an Teut zu schreiben. In ihrem ersten Briefe an ihn hatte sie nur Kunde gegeben von Carlos' ploetzlichem Tode; nun bat sie den Freund, ihr in ihrer Lage zu raten. Mit ihrem Zartgefuehl zauderte sie lange, die Zukunft zu beruehren. War in diesem Falle Rat erbitten nicht gleichbedeutend mit einem Anspruch auf Teuts erneuerte opferthaetige Freundschaft? Dennoch schrieb Ange. Nachdem sie aber die Feder aus der Hand gelegt, nochmals alles ueberlesen hatte, und nun den Brief einfalten wollte, stiegen ploetzlich Stolz und Scham wie heisse Feuer in ihr empor. Sie zauderte, und aus diesem Zaudern entstand ein unabaenderlicher Entschluss. Ange zerriss, was sie dem Papier anvertraut, und warf's in den Kamin. Es war ein qualvoller, heftiger Widerstreit, der sich in ihrem Inneren erhob. Hier winkten Sorglosigkeit, Fuelle vielleicht, mindestens aber alles, was ihre Kinder schuetzen wuerde vor der Grausamkeit des Lebens. Dort, in der Zukunft, lagen harte Arbeit, Entbehrung und alle die entsetzlichen Begleiter dieser Quaelhexe des Daseins. Und dennoch, und dennoch! Schon die bisherigen Wohlthaten Teuts brannten wie gluehendes Eisen auf ihrer Seele. Und diese noch vermehren?--Niemals! Um keinen Preis! Es war jetzt, wie's war! Etwas blieb! Darben wuerde sie nicht, wenn sie alles veraeusserte. Am besten, sie floh vor dem Freunde fuer immer, um so mehr, weil sie ihn liebte und weil diese Liebe sie zu einer nachgiebigen Schwaeche hinreissen konnte, die sie sicher bereuen wuerde. * * * * * Vier Tage nach dem eben Erzaehlten sassen sich Ange und Tibet in einem Zimmer des Hotel de Russie gegenueber. Letzterer war am Tage vorher aus der Haft entlassen worden, und hatte Anges Eigentum zurueckerhalten. Eben hatte er, der Aufforderung seiner Herrin folgend, Platz genommen und sich einer ehrerbietigen Haltung entaeussert, die unter den bestehenden Verhaeltnissen auch als etwas Nebensaechliches erscheinen musste. "Endlich, endlich, mein guter, braver Tibet!" sagte Ange und reichte dem treuen Menschen die Hand. "Und nun berichten Sie! Ist alles gut verlaufen? Wieviel haben Sie empfangen?" Ueber Tibets Gesicht flog ein zufriedenes Laecheln; er griff in die Seitentaschen seines Rockes und legte Ange ein Papier vor, das diese zwar neugierig betrachtete, aber ohne Verstaendnis wieder aus der Hand gleiten liess. "Es ist ein Check auf die Firma Erlanger, Frau Graefin. Fuenfundfuenfzigtausend Mark haben wir erhalten." "Wie? Fuenfundfuenfzigtausend Mark? Viel; nicht, Tibet?" rief Ange naiv und voller Freude. "Ich glaube, dass wir mehr bekommen haetten, Frau Graefin, wenn--" "Wenn?" "Die Frau Graefin wuenschten eine rasche Erledigung. Wenn ich das Angebot in scheinbar laengere Ueberlegung gezogen haette, wuerde moeglicherweise ein groesserer Preis erzielt worden sein!" "Vielleicht, vielleicht, Tibet! Aber unter den gegebenen Verhaeltnissen--" "Wenn die Frau Graefin meine Bitte erfuellt haben wuerden, wenn ich vorlaeufig haette eintreten duerfen--" "Nun kommen Sie schon wieder mit den alten Dingen! Ist's denn nicht gut so? Fuenfundfuenfzigtausend Mark! Das ist weit ueber meine Erwartung! Wieviel meinen Sie, Tibet, dass die Veraeusserung meiner Einrichtung bringen wird? Hatte der Graf versichert? Wissen Sie etwas darueber?" "Es ist eine sehr grosse Summe, Frau Graefin. Ich erinnere mich nicht genau, wieviel es gewesen ist. Allein die Gemaelde im Salon haben einen bedeutenden Wert." "Ah, so dass ich doch nicht ganz eine arme Kirchenmaus sein werde! Wie hoch belaufen sich unsere Schulden, die rueckstaendigen Zahlungen der letzten Zeit?" "Sie sind nicht unbedeutend, Frau Graefin. Aber falls Frau Graefin, was ich nicht hoffe, die Einrichtung veraeussern, wird wohl gewiss das Doppelte von dem herauskommen, was ich heute fuer die Diamanten erzielt habe." "Also viel, Tibet, sehr viel! Nehmen wir an, dass mir hunderttausend Mark bleiben--werde ich diese wohl behalten, nachdem die Schulden, auch diejenigen an Baron von Teut, abgetragen sind?--Ja?--Sie wissen nicht?--Nun, nehmen wir an, dass mir so viel bliebe--wieviel Zinsen giebt das vom Kapital?" "Viertausend Mark, wenn dieses sicher angelegt werden soll, Frau Graefin." "Viertausend Mark--und damit sollten wir uns in einer kleinen Stadt nicht bescheiden einrichten koennen? Wie gluecklich bin ich, dass wenigstens das meinen Kindern erhalten bleibt!" Tibet seufzte. Er schien Anges Hoffnungen keineswegs zu teilen. "Nun. Sie Zweifler, was ist denn jetzt wieder?" "Der Herr Baron wird sicher nicht leiden, dass die Frau Graefin Ihre Einrichtung verkaufen. Schon wegen der Diamanten werde ich einen schweren Stand mit ihm haben." Aber Tibet bereute, was er gesprochen hatte, denn die Frau, die ihm gegenueber sass, sagte in einem voellig veraenderten und keinen Widerspruch duldenden Ton: "Was hat Herr von Teut mit diesen Angelegenheiten zu thun? Ist er mein Vormund? Ich wuensche durchaus keine Einmischungen in meine Geldangelegenheiten von seiner Seite. Und damit Sie es wissen, ein fuer allemal wissen, Tibet: ich verbiete Ihnen, ohne meinen Willen und meine Zustimmung dem Baron irgendwelche Mitteilungen ueber meine Verhaeltnisse zu machen. Ja, noch mehr. Wenn ich C., was unmittelbar geschehen wird, verlasse, darf er meinen Aufenthalt nicht erfahren. Ich wuerde irgendwelche Aeusserung von Ihrer Seite, die ohne meine Genehmigung geschieht, als eine Indiskretion, ja als einen Treubruch ansehen, und Sie wuerden meine Freundschaft verlieren, die Sie heute in so hohem Grade besitzen." "Frau Graefin--" "Und ueberall und zur Klarstellung ueber das, was ich unabaenderlich beschlossen, Tibet," fuhr Ange, ohne Tibets Einwand zu beachten, in einer diesem Mann gegenueber vielleicht ungeeigneten, aber ihrer Natur entsprechenden Offenheit fort, "merken Sie sich folgendes: Sie werden es verstehen, und ich sage es Ihnen, weil wir uns in diesem Augenblicke nicht gegenuebersitzen als Herrin und Diener, sondern als zwei durch lange Jahre und nun auch durch ein trauriges Schicksal verknuepfte Personen. Es giebt niemanden auf der Welt, den ich so hoch schaetze wie den Baron von Teut; er ist mein bester, mein treuester Freund, wie Sie, Tibet, es meinem verdorbenen Gemahl gewesen sind. Aber die Dauer der Freundschaft ist fast immer bedingt durch Gleichartigkeit der Lebensverhaeltnisse. Da diese sich veraendert haben, so koennte unser bisheriges gutes Einvernehmen Schaden leiden, und um unter allen Umstaenden solches zu verhueten, will ich ihn in Zukunft meiden. Ich kenne ihn. Seine freigebige Hand kann sich nicht schliessen, ich aber will keine Wohlthaten empfangen, und wenn ich hungern sollte! Daraus ergiebt sich alles. Auch wir muessen uns trennen, mein braver Tibet! Ich vermag Ihnen nichts zu bieten und darf Sie nicht zurueckhalten, sich ein anderes sicheres Brot zu suchen." "Wie--auch mich wollen Sie von sich stossen, Frau Graefin?" rief Tibet. "Ich will Sie nicht von mir stossen! Ach, Tibet, ich trenne mich nur allzu schwer von Ihnen. Aber gestehen Sie selbst! Meine Einnahme wird in der Folge gering sein, meine Familie ist zahlreich; ich kann Sie nicht belohnen, wie ich es moechte. Ja, noch mehr: ich kann Ihnen ueberhaupt nicht--" "Ich wuensche auch gar nichts, Frau Graefin. Ich bitte nur, bei Ihnen und den Kindern bleiben zu duerfen, die mir ans Herz gewachsen sind." Den Schlusssatz sprach Tibet, dieser unverbesserliche Egoist, nicht ohne Berechnung. Und er taeuschte sich auch nicht bezueglich der Wirkung seiner Worte. Immer, wenn die Kinder in Frage kamen, ward Ange wieder schwach oder schwankend. Sie hingen voll Zaertlichkeit an dem alten Diener des Hauses. Sie stellte sich vor, wie gut er stets mit ihnen gewesen, wie er ihre Schwaechen kannte und wie guenstig er sie stets beeinflusst hatte; ja, welche Entbehrung eintreten werde, wenn er nicht mehr in ihrer Naehe sein wuerde. Ange schuettelte denn auch nur den Kopf; sie bewegte ihn wie jemand, der nicht nein und nicht ja zu sagen vermag. Aber endlich gewann doch das Vernuenftige wieder die Oberhand, und sie sagte: "Und dennoch nein--nein, Tibet. Sie sind nicht mehr jung--wollen Sie die besten Ihnen noch bleibenden Jahre sich verkuemmern, gar mit der Aussicht in eine Abhaengigkeit treten, welche sicher ein sorgenfreies Alter abschneidet?" "Dafuer ist gesorgt, Frau Graefin. Ich habe ein kleines Kapital, wie Sie aus meinem bescheidenen Anerbieten bereits erfahren haben. Ich strebe nicht nach Geld! Lassen Sie mich wenigstens vorlaeufig bei Ihnen bleiben! Die naechste Zeit erfordert so viel! Zuerst werde ich die ganze Abwickelung in C. besorgen muessen, dann kommt der Umzug, die Neueinrichtung, die Eingewoehnung in die neuen Verhaeltnisse. Das erfordert gewiss ein Jahr, in dem ich mich Ihnen nuetzlich machen kann." Ange sah dem trefflichen Menschen ins Auge, und eine Thraene der Ruehrung stahl sich in ihr eigenes. "Gut, unter einer Bedingung, Tibet!" entschied sie, waehrend sie ihre Empfindungen zurueckdraengte "Sie versprechen mir, dass Sie meine vorher geaeusserten Wuensche erfuellen, dass Sie dem Baron von Teut--" Tibet hatte bei den ersten Worten dankbar das Haupt geneigt, jetzt trat ein unverkennbarer Ausdruck der Unruhe in seine Zuege. "Nun, Tibet?" unterbrach sich Ange. "Darf ich offen sprechen, Frau Graefin?" Ange nickte, ergriff einen kleinen Gegenstand, der auf dem Tische lag, rollte ihn in ihrer Hand auf und ab und horchte mit einem Anflug von Spannung auf. "Ich gab Herrn Baron von Teut beim Abschied mein Wort, Frau Graefin, ihm von allem Mitteilung zu machen, was die graefliche Familie anbetraefe. Ich meine," setzte er schnell auf einen stolzen Blick aus Anges Augen hinzu, "ihm sogleich Nachricht zu geben, wenn bei den einmal begehenden Verhaeltnissen Ungelegenheiten eintreten sollten. Ich versprach es nach einigem Zaudern, denn frueher--damals, als der Herr Baron zuerst ins Hauswesen eingriff--hatte ich jede derartige Zumutung abgelehnt. Nun wusste ich sicher, dass ich etwas Gutes, Ihnen nur Nuetzliches damit bewirken koenne, und sagte zu, was er von mir wuenschte. Aber noch etwas anderes, Frau Graefin: der Herr Baron ist, soviel ich weiss, von dem seligen Herrn Grafen zum Vormund der Kinder eingesetzt, und derselbe hat ihm auch Vollmacht gegeben, Ihre Vermoegensangelegenheiten selbstaendig in die Hand zu nehmen. Haben Sie nichts in dem letzten Willen des Herrn Grafen--in seinem Testament gefunden?" "Ah!" murmelte Ange erregt und wie abwesend vor sich hinstarrend. "Und zudem, Frau Graefin,"--fuhr Tibet, Mut gewinnend, fort--"welchen Nutzen wird es haben, wenn Sie alles verkaufen? Sie beduerfen doch einer Einrichtung, auch an einem anderen Ort! Und glauben die Frau Graefin nicht, dass der Herr Baron bald ausfindig machen wird, wo Sie sich aufhalten, und wird er nicht--" Ange erhob sich und ging unruhig im Zimmer auf und ab. Sie rueckte an den mit Pluesch bezogenen Stuehlen, zupfte an der Tischdecke und stiess mit dem kleinen Fuesschen ein Schnitzelchen Papier unter das Sofa. "Nein!" sagte sie und richtete sich empor. "Ich weiss nichts von diesem letzten Willen meines Gemahls, und ich fand nichts Derartiges unter seinen Papieren. Wozu sollte das auch dienen? Bin ich nicht selbst der natuerliche Vormund meiner Kinder?" Und nach kurzer Pause fuhr sie, in ihren naiven Ton zurueckfallend, fort: "Muesste ich mich denn fuegen, wenn wirklich ein solches Abkommen vorhanden waere?" "Ohne Zweifel, Frau Graefin." "Nun, dann mag es sein! Mag der Vormund raten, aber--" Ange fiel in den Sessel zurueck und bewegte in starker Erregung den Kopf. Was sie eben gesprochen, hatte sich unwillkuerlich hervorgedraengt. Es war nichts, was an Tibet gerichtet war. Er verstand dies auch, denn er schwieg taktvoll. "Meine Kinder sollen"--hob Ange von neuem an--"etwas Tuechtiges lernen, und wenn es ein Handwerk ist. Je frueher sie leistungsfaehige Menschen werden, desto eher werden sie sich ihr Brot verdienen koennen. Darauf wird sich meine Sorge richten muessen. Freilich, fuer die Maedchen ist es schwer! Ich werde sehen, was sie zu begreifen und spaeter nuetzlich zu verwerten vermoegen. Das ist mein Plan und mein unumstoesslicher Entschluss. Wo ich in Ehren mir Erleichterungen verschaffen kann--Erleichterungen, die man Unbemittelten in den Schulen durch Stipendien in aehnlichen Faellen gewaehrt, werde ich sie suchen. Komme ich in die Lage, ein Darlehen zu nehmen, so werde ich das als ein Geschaeft betrachten--kurz, Tibet, ich gehe meinen eigenen geraden Weg, und nichts, nichts wird mich davon zurueckbringen oder abhalten!" "Gewiss, gewiss, Frau Graefin," bestaetigte Tibet einlenkend und voll Staunens. War das dieselbe Frau, die er seit so vielen Jahren in fast hilfloser Weise sich hatte bewegen sehen, die immer wie ein unerfahrenes, von jedem Impuls getriebenes Wesen gehandelt, die selbst einem Teut seiner Zeit das um ihrer Kinder willen abgebettelt, was sie doch als recht und vernuenftig erkannt hatte!? Er machte, von der Entschiedenheit ihres Wesens betroffen, auch fernerhin keinen Einwand mehr, verneigte sich nur stumm und bat, ihn wegen der Reisevorbereitungen zu entlassen.-- Die Nachwirkung der vorhergegangenen Aufregung trat erst spaeter bei Ange ein. Zunaechst hielt sie noch die Sehnsucht nach den Kindern, dann die freudige Erwartung des Wiedersehens aufrecht. Als der Zug sich am Tage der Rueckkehr C. naeherte, als Ange sich vorstellte, alle ihre Lieblinge am Bahnhofe wiederzusehen, klopfte ihr das Herz so gewaltig, dass ihr fast der Atem stockte: und als endlich das Ziel erreicht war, als die Kinder ihre Haendchen ausstreckten und sie beim Aussteigen kuessend und jubelnd umringten, da erschien Ange alles, was vorgegangen, geringfuegig gegen diesen Augenblick des Gluecks. * * * * * Ange hatte bereits auf der Rueckfahrt noch einmal mit Tibet ueberlegt, welche Schritte fuer die Zukunft einzuschlagen seien. Sie blieb dabei, ihren Haushalt aufzuloesen und C. zu verlassen; Tibet sollte nicht nur mit dem Besitzer der Villa wegen einer frueheren Aufloesung des Mietvertrages sprechen, sondern auch die Dienerschaft sofort entlassen. Das saemtliche entbehrliche Mobiliar, Pferde und Wagen, alle Kunst- und Luxusgegenstaende wollte Ange veraeussern und sich mit dem Erloes aus diesen und anderen zu verkaufenden Gegenstaenden in eine kleine Stadt zurueckziehen. Ueber den Ort hatte sie sich noch nicht schluessig gemacht. Jeder Tag, an welchem der kostspielige Haushalt fortdauerte, schmaelerte das Kapital, das Ange unter Beruecksichtigung der noch zu loesenden Verpflichtungen endlich verbleiben konnte. Eine Stuetze fand sie in dem Polizeimeister von C., dem sie gleich nach ihrer Rueckkehr einen Besuch machte, um ihm fuer seine erfolgreiche Hilfe zu danken. Er riet ihr, vor der oeffentlichen Veraeusserung der Einrichtung abzurufen, und versprach, mit Rat und That beizustehen. Auch ueberlegte er in einer laengeren Unterredung mit ihr den Wohnort und gab Ange Ratschlaege, die ihr bei ihrer Unerfahrenheit von grossem Nutzen waren. Anges Entschluesse wurden auch nicht erschuettert, als nun an einem Morgen endlich zwei Briefe einliefen, von denen einer von Teut selbst mit zitternder Hand geschrieben war und die Worte enthielt: "Heute nur mein innigstes Beileid, liebe Ange; Carlos' Tod hat mich aufs tiefste ergriffen. Ich bin voll Sorge dass ich nicht jetzt bei Ihnen sein kann, um Sie zu troesten und Ihnen helfend zur Seite zu stehen. Aber ich liege schwerverwundet darnieder und--" Hier brach das Schreiben ab, dem nur noch ein undeutliches A.v.T. spaeter hinzugefuegt war. Der zweite Brief, der von Teuts Diener Jamp abgefasst und einige Tage spaeter abgesandt war, teilte im Auftrage des Herrn Rittmeisters mit, dass die Geschaeftsangelegenheiten geordnet werden wuerden, dass der Herr Rittmeister neuerdings einen Rueckfall gehabt habe, dass der Herr Rittmeister den Kindern Gruesse sende und dass der Herr Rittmeister ausfuehrlicher schreiben werde, sobald er nur wieder bei Kraeften sei. Ja, einige Tage spaeter kam noch ein Schreiben, das folgendermassen lautete: "Frau Graefin werden verzeihen, wenn ich nochmals schreibe, indem Herr Rittmeister neulich stark phantasierten, und sollte ich heute Frau Graefin schreiben, dass ich nach Herrn Rittmeisters Verwalter geschrieben haette, alles fuer Frau Graefin auf Schloss Eder in Bereitschaft zu setzen, und Frau Graefin so gut sein moechten, dahin abzureisen, aber Herrn Verwalter vorher in ergebende Kenntnis zu setzen, wann Frau Graefin eintraefen. Herr Rittmeister raten Frau Graefin nichts zu unternehmen, zu thun, bis Herr Rittmeister wieder gesund sind, aber bald abzureisen. In Ehrerbietung und Gehorsamkeit Jamp." Als Ange diesen Brief gelesen hatte, ueberwaeltigte sie ihr Gefuehl; Teilnahme und Ruehrung kaempften in ihrem Inneren. "Ich wusste es ja, ich wusste es ja," murmelte sie, "Du unvergleichlicher Freund wuerdest meiner gedenken, selbst in eigener Not. Im groessten Koerperschmerz, im Fieber, vielleicht nur auf Minuten mit klarem Bewusstsein, hattest Du Gedanken fuer mich und rafftest Dich um meinetwillen auf. O, Du Trefflicher, Unvergleichlicher!" Und nun draengte Tibet noch einmal, Teuts Rat zu befolgen, nichts zu verkaufen, nur die Dienerschaft zu entlassen und hoechstens die ueberfluessigen Moebel und sonstigen Einrichtungsgegenstaende bis auf spaetere Entscheidung zu verpacken und beiseite zu stellen. Aber Ange Clairefort hatte zu Furchtbares erfahren, um noch an aeusseren Dingen zu haengen. Nicht nur die einschneidenden Gegensaetze: die Gefahren des Reichtums, des sorglosen Geniessens, die Wandelbarkeit des Glueckes, die Vereinsamung, die den Ungluecklichen trifft, hafteten in ihrem Inneren--auch der Adel ihrer Gesinnung widersetzte sich, heute noch etwas anderes zu scheinen, als sie war. Sie wusste ja, was sie besass, und die Ehre gebot, fortan alles abzuweisen, was Luxus und Wohlleben hiess. "Kommt, Kinder," sagte sie an demselben Abend zu ihren Kleinen, die sie umringten und die sie heute bei der Erinnerung an fruehere Zeiten: an Carlos' Tod und Teuts schwere Krankheit in ihrer ueberstroemenden Empfindung so oft, und scheinbar ohne Anlass an die Brust gedrueckt hatte. "Bevor ihr einschlaft, faltet die Haende und betet recht inbruenstig zum lieben Gott, dass er Onkel Axel bald gesund machen moege. Er ist im Kriege verwundet, liegt gefaehrlich krank und bedarf Eurer kindlichen Fuerbitte." * * * * * Einige Tage nach der Frankfurter Reise sass Tibet um die Abendzeit eifrig schreibend in seinem Zimmer. Man haette ihn auf den ersten Blick kaum wiedererkannt. In dem Hausrock, welchen er gegen den schwarzen Frack vertauscht hatte, den er allezeit zu tragen pflegte, wirkte seine Erscheinung ganz fremdartig. Aber die peinliche Ordnung in dem wohnlichen Gemach stand im Einklang zu dem bedaechtig arbeitenden Manne mit dem hageren glatten Gesicht, in dem sich Ernst und Nachdenken spiegelten. Langsam, oft innehaltend und ueberlegend, schrieb er nieder, was durch seine Gedanken ging. Als er seine Arbeit beendet hatte, waren es viele Stunden nach Mitternacht geworden. Nun las er noch einmal den Brief durch, und fuegte hier und dort ein Tuettelchen und ein fehlendes Komma hinzu. Das lange, sorgfaeltig verfasste Schreiben war an Teut gerichtet und lautete in ueberraschend glatter Form, wie folgt: "Hochzuverehrender Herr Baron! Ihrem Befehl und meiner Zusage entsprechend, verfehle ich nicht, Ihnen heute Nachgehendes ganz gehorsamst zu melden: Ich sende voraus, dass mich unliebsame Zwischenfaelle und Abhaltungen zoegern liessen, Ihnen frueher Bericht zu erstatten. Ich fuerchte, und noch jetzt stehe ich unter diesem Eindruck, dass Ihnen entweder mein Schreiben vorenthalten werden wuerde oder dass sein Inhalt Ihnen eine schaedliche Aufregung bringen koennte. Ich muss aber mein Bedenken niederschlagen wegen der eingetretenen Umstaende und gebe mich der Hoffnung hin, dass ich fuer alle Beteiligten das Richtige erwaehle, wenn ich meine Zeilen an Sie absende. Ich befinde mich zudem in einem Zustande des Zweifels, der mich solchergestalt bedrueckt, dass ich gleichzeitig auch um meinetwillen Ihnen die Verhaeltnisse darlegen muss. Als Sie, gnaediger Herr, C. verliessen, trat ich gewissermassen in Ihre Dienste, und Sie nahmen mir das Wort ab, in dieser Stellung nur das Beste fuer meine Herrschaft, die graefliche Familie, im Auge zu behalten. Sie gaben mir genaue Instruktionen und banden mich durch mein Wort, dass unser eigentliches Verhaeltnis, wenn es mir gestattet sein darf, diesen Ausdruck zu gebrauchen, ein Geheimnis zwischen uns bleibe. Unter den Gesichtspunkten, unter denen Sie mich mit Ihrem Vertrauen beehrten, glaubte ich nicht nur nichts Unrechtes zu thun, sondern gerade wie ein gewissenhafter Freund gegen die graefliche Familie zu handeln. Ich nehme mir die Freiheit, dies zu rekapitulieren, weil die eingetretenen Umstaende entweder neue Instruktionen erforderlich machen oder ich meines Wortes entbunden werden muss. Wenn ich nun zunaechst ueber die Vorgaenge seit dem Tode des Herrn Grafen zu berichten mir gestatte, so bitte ich von vornherein zu verzeihen, dass ich Dinge beruehre, ueber die auszulassen, mir im Grunde nicht beikommt. Aber nur durch Erwaehnung dieser werden Sie, gnaediger Herr, einen richtigen Einblick in die gegenwaertige Lage gewinnen und mir zweckmaessige Befehle erteilen koennen. In meinen ersten beiden Schreiben hatte ich die Ehre zu melden, dass der Herr Graf ohne Zweifel durch toedlich starke Dosen Morphium und Chloral seinem Leben selbst ein Ende gemacht habe. Sodann berichtete ich, dass das Bankhaus die Zahlungen an uns eingestellt. Ich weiss nicht, ob Ihnen das zweite Schreiben zugegangen ist. Die Frau Graefin befanden sich in einem sehr traurigen Zustande, der zwischen heftigem Schmerz und Ausbruechen des Vorwurfs gegen den verstorbenen Herrn Grafen und mich selbst wechselte. Den Hoehepunkt erreichte die Erregung der Frau Graefin, als ich--ich bitte, mich deshalb nicht zu verdammen--derselben Mitteilung machen musste, wie die gegenwaertige Vermoegenslage sei, und welche Stellung Sie, gnaediger Herr, zu dieser bereits eingenommen haetten. Frau Graefin befahlen mir zu sprechen; ich stand bei Stillschweigen vor der Wahl einer falschen Beurteilung, Ungnade und Entlassung. Es handelte sich um Geld; wir hatten keines. Ich musste also die monatliche Rate einfordern und mich rechtfertigen, als ich wegen ungenuegender Quittung mit leeren Haenden zurueckkehrte. Die Hergabe meiner kleinen Ersparnisse wies die Frau Graefin wiederholt schroff zurueck. Nach allem wenden Sie, gnaediger Herr, verstehen, dass einer Erklaerung gar nicht auszuweichen war. Trotz all meiner Vorstellungen bestand Frau Graefin nach Einblick in ihre trostlosen Verhaeltnisse auf Veraeusserungen ihrer Diamanten und sonstigen Schmuckgegenstaende. Ich gelange nun zu demjenigen Punkt, bei dessen Erwaehnung ich Ihre Nachsicht, gnaediger Herr, einholen muss: die Frau Graefin erklaerte mir auf das bestimmteste, dass sie ihren Hausstand aufzuloesen wuenschte und aus dem Erloese ihrer ueberfluessigen Wertgegenstaende gesonnen sei, neben den uebrigen Verpflichtungen in erster Linie diejenigen gegen den Herrn Baron abzuloesen. Die Frau Graefin aeusserte, dass diese Vorschuesse sie im hoechsten Masse bedrueckten, und dass sie lieber Not leiden wolle, als irgend welche Darlehen oder gar Freundesgaben aus Ihrer Hand fernerhin empfangen. Das Freundschaftsverhaeltnis zu Ihnen, gnaediger Herr, das unter den bisherigen gleichen Lebensverhaeltnissen ein so gutes gewesen sei, koenne Schaden leiden, und Frau Graefin zoegen es daher vor, sich Ihrer freundschaftlichen Hilfe (da diese ohne Zweifel auf Ratschlaege sich nicht beschraenken werde) nicht mehr zu bedienen, sondern sogar Ihnen in Zukunft fern zu bleiben. Die Frau Graefin, die C. verlassen und nach einem kleinen, noch nicht feststehenden Orte uebersiedeln will, um sich dort mit den ihr bleibenden Mitteln einzurichten, stellten sogar das Ansinnen an mich, Ihnen nicht zu verraten, wohin sie gehen werde, und nehmen als selbstverstaendlich an, dass ich Ihnen auch sonst keinerlei Mitteilungen zukommen lassen wuerde. Da Frau Graefin sich so sehr gegen alles, was sich ihrem Entschlusse entgegenstellen koennte, auflehnt, bin ich voellig machtlos. Um die erwaehnten Plaene auszufuehren, bleibt ja allerdings nichts anderes uebrig, als den gegenwaertigen Besitz zu Geld zu machen. Ich schaetze die Zinseneinnahme in Zukunft auf kaum viertausend Mark, welches einem baren Kapital von hunderttausend Mark entsprechen wuerde. Was befehlen Sie nun, gnaediger Herr? Soll ich scheinbar den Verkauf zulassen und etwa das Ganze ohne Wissen der Frau Graefin fuer des Herrn Baron Rechnung ankaufen? In solchem Falle ist schnelle Instruktion erforderlich. Ferner: Wie soll ich mich in Zukunft verhalten? Darf ich noch mit dem Herrn Baron korrespondieren? Soll ich nach der Neuordnung aller Verhaeltnisse den Dienst bei der Frau Graefin verlassen? Wenn ich die letztere Frage aufwerfe, so bitte ich diese nicht misszuverstehen. Ich habe mich gegen die Frau Graefin bereit erklaert, ohne Entschaedigung zu bleiben, und wuerde mich nur entfernen, wenn der Herr Baron darin etwas Zweckmaessiges fuer die Frau Graefin erkennen wuerden. Mir ist dies zur Zeit allerdings als vorteilhaft nicht ersichtlich. In jedem Falle werden Sie, gnaediger Herr, gewiss verstehen, dass ich kein doppeltes Spiel treiben kann und mich eines wirklichen Vertrauensbruches schuldig machen wuerde, wenn unsere Verabredungen ganz in der bisherigen Weise bestehen bleiben. Sofern es meine Befugnis nicht ueberschreitet, moechte ich mir den gehorsamen Vorschlag gestatten, dass ich bei der Frau Graefin ausharre, aber nichts thue, was mit den Entschliessungen der Frau Graefin in Widerspruch geraet, und somit nur in dem Sinne zur Verfuegung des Herrn Baron bleibe, dass ich nach besten Kraeften ueber das Wohlergehen der Familie wache. Wenn ich die Hand dazu biete, das Eigentum der Frau Graefin fuer Rechnung des Herrn Baron zu erwerben, so glaube ich, dadurch nicht unehrlich gegen die Frau Graefin zu handeln. Nochmals bitte ich um Verzeihung, meine Befugnisse durch Darlegung persoenlicher Anschauungen und durch die Beruehrung intimer Verhaeltnisse ueberschritten zu haben, und hoffe im uebrigen, dass der gnaedige Herr aus meinen Darlegungen ein richtiges Bild zu gewinnen vermoegen. Ich empfehle mich dem ferneren Wohlwollen und der Nachsicht des gnaedigen Herrn und erwarte weitere Befehle. Ganz gehorsamst Tibet, Kammerdiener." Bereits am naechsten Morgen begann Ange mit den Vorbereitungen zu ihrem Umzuge und ward bei diesen von Tibet eifrigst unterstuetzt. Es galt eine Auswahl unter denjenigen Gegenstaenden zu treffen, welche veraeussert werden und welche der kuenftigen Wohnungseinrichtung dienen sollten. Zu diesem Zwecke wurden zunaechst einige Raeume leer gemacht, und nun begann das Waehlen. Claireforts Zimmer beschloss Ange zu behalten, ebenso wurden die Moebel aus dem Zimmer der Kinder fuer den ferneren Gebrauch zurueckgestellt. Dazu kamen noch die Kuecheneinrichtungen und all derjenige Hausrat, durch den sich eine Wohnung in bescheidener Weise vervollstaendigt. Tibet war ploetzlich ganz gefuegig und erhob nicht einen einzigen Einwand. Er fertigte eine genaue Liste fuer den Auktionator an und machte mit Hilfe der noch vorhandenen Dienerschaft eine so uebersichtliche Aufstellung, dass schon nach wenigen Tagen die Arbeit im wesentlichen beendet war. Sodann beriet er mit Ange, wie alles uebrige abzuwickeln sei, verhandelte mit dem Hausbesitzer und mit dem Personal, einigte sich mit jenem, entliess dieses sogleich bis auf eins der Maedchen, welches in Anges Diensten zu bleiben wuenschte, und beglich auch alle Rechnungen, welche zu bezahlen waren. Es eruebrigte nun nur noch die Summe, welche die Familie von Teut empfangen hatte, und bevor Tibet diese zu dem Banquier trug, hatte er noch eine Unterredung mit Ange, in welcher auch der zukuenftige Wohnort zur Eroerterung gelangte. Ange war nicht minder thaetig gewesen, wenn auch alles nach ihrer besonderen Art geschah. Sofern sich in den hohen Bergen von unnuetzen Kleinigkeiten und Firlefanzereien etwas befand, das der Kinder Verlangen reizte und das sie wieder hervorzogen, konnte Ange ihren Bitten nicht widerstehen und packte es in die ohnehin schon mit vielen Ueberfluessigkeiten belasteten Koffer. Bisweilen hielt sie inne und vergass, was sie eben beschaeftigt hatte. Bei diesem und jenem Gegenstand kamen ihr Erinnerungen, die ihre Gedanken ganz in Anspruch nahmen, und Vergleiche stiegen auf zwischen heute und frueher. Da stahlen sich denn haeufig Thraenen ins Auge, und mutlos liess sie die Arme sinken. Oft wunderte sie sich, dass alles so glatt verlief, dass niemand Einspruch erhob, wenn sie etwas anordnete. Frueher handelten andere fuer sie, sie liess sich belehren und befolgte zweckmaessige Ratschlaege. Ange hatte es als selbstverstaendlich angesehen, dass sie die Dinge nicht verstand und dass ihre Umgebung fuer sie handelte. Jetzt fiel ihr ploetzlich ein, wie schwer es doch eigentlich sei, praktisch einzugreifen, und fast wunderte sie sich, dass sie so ruhig und besonnen in Frankfurt aufgetreten sei. Also, sie vermochte es doch! Daran richtete sich denn ihr gesunkener Mut wieder auf. Gewiss, wenn erst alles in dem neuen Geleise sein werde, wuerde sie vorsichtig ueberlegen, nicht mehr nach ploetzlichen Impulsen handeln, sich's vernuenftig und sparsam einrichten und auch das Kleine achten. Ihr Kopf war voll von Plaenen und guten Vorsaetzen, und ihre Zuversicht wuchs, bis dann die Kinder mit ihren berechtigten und unberechtigten Beduerfnissen vor ihr auftauchten und sie voruebergehend doch voll Zweifel in die Zukunft blickte. "Nun, mein lieber Tibet!" sagte Ange und liess sich in Carlos' Zimmer, das gegenwaertig als Wohngemach diente, ermuedet und abgespannt in einen Sessel gleiten. "Haben Sie auch die Zahlung an Herrn Baron von Teut bereits geleistet oder muessen wir diese verschieben, bis die Auktion stattgefunden hat?" "Wenn Frau Graefin wirklich meinen, dass auch dieser Betrag--" "Wenn--Tibet!--Dieser Betrag steht in erster, in gleicher Linie mit allen uebrigen! Natuerlich! Darueber habe ich Ihnen meine Ansicht bereits wiederholt ausgesprochen. Ich komme nur auf diesen Gegenstand zurueck, weil die Summe hoch ist und ich nicht weiss, ob gegenwaertig schon unsere Mittel reichen." "Allerdings, Frau Graefin, es scheint durchaus ratsam, dass wir warten. Um so mehr moechte ich dies vorschlagen, weil gerade Umzug und Neueinrichtung viel groessere Summen verschlingen werden, als wir in vorlaeufige Berechnung gezogen haben. Unser Bestand schmolz schon gewaltig zusammen--ganz gewaltig." "Nun wohl! Wir haben aber keine Schulden mehr? Alles ist bezahlt?--Welch ein Wort!" "Ganz recht, Frau Graefin! Indessen--" "Nun?" "Es wird mir recht schwer--ich moechte die Frau Graefin nicht entmutigen, aber ich fuerchte, wir behalten bei weitem nicht die urspruenglich gedachte Summe, aus deren Zinsen Sie sich einrichten muessen. Ich bin besorgt, Frau Graefin, und muss deshalb die Frage in Ihrem Interesse nochmals anregen, ob es nicht doch zu ueberlegen sein wuerde, die Vorschuesse des Herr Baron einstweilen auf sich beruhen zu lassen." Auf Anges Gesicht malten sich Schrecken und Enttaeuschung zugleich. Nach einer kurzen Pause fragte sie, und aus dieser Frage klang der Zwang hervor, den sie sich anthun musste: "Wie hoch belaeuft sich--doch noch--der Betrag, welchen wir Herrn Baron von Teut schulden?" Tibet gab Antwort. "Das ist sehr viel!" sagte sie kaum hoerbar und ganz mit ihren Gedanken beschaeftigt. "Vielleicht der fuenfte Teil alles dessen, was Ihnen bleibt, Frau Graefin." "Und wieviel glauben Sie, Tibet, dass mir im schlechtesten, allerschlechtesten Falle an Zinsen werden koennte?" "Ich erlaubte mir, Frau Graefin, schon auf der Reise auseinandersetzen, dass bei wirklich sicherer Geldanlage nur auf einen Zins von vier Prozent gerechnet werden darf." "Und Sie meinen wirklich, das urspruenglich angenommene Kapital wuerde mir nicht einmal bleiben?" "Ich fuerchte, nein, Frau Graefin--wenn Herr von Teut bezahlt werden soll! Die Frau Graefin koennen nach den vorgelegten Quittungen selbst berechnen." Ange konnte eigentlich nicht berechnen, aber sie nickte und schwieg. "Wieviel braucht wohl im Durchschnitt eine gebildete Familie mit fuenf Kindern unter bescheidenen Verhaeltnissen, Tibet?" hob sie nach einer kleinen Pause an. Mit der Beantwortung dieser Frage fielen alle Illusionen, welche Ange sich bisher gemacht hatte. Tibet litt bei diesen Gespraechen. Vielleicht fuehlte er sogar noch tiefer als Ange den Schmerz, die Enttaeuschung, obgleich er scheinbar so teilnahmlos die Wahrheit ans Licht zu ziehen bemueht war. Er gewann es auch nicht ueber sich, der mut- und trostbeduerftigen und mit so guten Vorsaetzen ihr neues Leben beginnenden Frau den Vorhang ganz hinwegzuziehen. Er umging ihre Frage und erwiderte: "Es kommt ja sehr auf die Stadt an, ob das Leben teuer oder billig ist. In kleinen Staedten gestaltet sich alles besser." "Es ist wohl fast ein Unterschied um die Haelfte?" fiel Ange hoffend und lebhaft ihre eigenen Worte bestaetigend, ein. "Ich moechte es glauben, Frau Graefin." "Ich weiss nicht, wie ich's richtig mache, Tibet. Nur so viel ist mir klar, dass ich keinen ruhigen Tag, keine ruhige Stunde haben werde, wenn ich Schulden besitze, wenn namentlich--" sie stockte und fuhr dann fast heftig fort: "Wir muessen Herrn von Teut zahlen, was er meinem Gatten geborgt hat, sobald die Dinge hier geordnet sind; wie's auch immer sein mag! Werde ich weniger besitzen, werde ich doch das unvergleichliche Bewusstsein haben, niemandem mehr verpflichtet zu sein!" Und nach dieser vorlaeufig alle Gegeneinwendungen abschneidenden Entscheidung verbeugte sich Tibet und brachte das Gespraech auf Umzug und Wohnort. "Haben die Frau Graefin schon eine Entscheidung getroffen? Bleibt es Eisenach, wozu der Herr Polizeimeister geraten?" Ange bestaetigte. "Es wuerde sich dann wohl empfehlen, dass ich zunaechst dahin abreise, um eine Wohnung zu mieten, und dann wieder zurueckkehre, um hier den Verkauf des Mobiliars zu beaufsichtigen. Ich weiss nun aber nicht, ob ich der Frau Graefin Wuensche bezueglich dieser treffen werde. Vielleicht entschliessen Sie sich, die Reise ebenfalls anzutreten." Das Gespraech wurde unterbrochen, weil die beiden Knaben herbeigeeilt kamen, die draussen auf der Strasse gespielt hatten. Ihre Mienen waren betroffen, und Ben kam zorngeroetet ins Zimmer gelaufen. "Was ist? Was habt Ihr?" fragte Ange besorgt. "Der--der--Karl von drueben--vom Kraemer sagt, dass--" hob Ben an. "Wir haben uns gestritten; er stiess, ich stand Ben bei!" fiel Fred ein. "Nun?" "Er sagte, wir waeren schoene Grafen. Mama haette nicht mal die Rechnung bezahlt. Sein Vater koennte kein Geld kriegen und die anderen auch nicht--" "Er schimpfte; er brauchte Ausdruecke von uns--na, ich hab's ihm gegeben!" ergaenzte Ben. Ange sah Tibet fragend an, und Blaesse trat auf ihre Wangen. Tibet verstand und nahm rasch das Wort: "Es ist alles--das letzte schon gestern bezahlt, Frau Graefin!" "Ah!" riefen beide Knaben zu gleicher Zeit, und ihre Blicke flammten. "Dem wollen wir's geben!" "Nicht so, nicht so, Kinder!" rief Ange angstvoll, aber suchte sich in Gegenwart der Knaben zu fassen. "Lasst den Streit! Geht ruhig Eures Weges und meidet die Nachbarskinder. Hoert Ihr? Ihr hoertet, dass er die Unwahrheit sprach. Und nun geht! Ich habe noch mit Tibet zu sprechen." Die Knaben entfernten sich gehorsam, aber noch erregt und lebhaft sprechend. "Es wird Zeit, dass ich fortkomme," rief Ange. "Je eher, je besser; es brennt der Boden unter mir. Was die Menschen wohl alles reden! Wie sie sich mit uns beschaeftigen! Schon bei dem Gedanken steigt mir das Blut in die Schlaefen.--Wann koennen Sie reisen, Tibet?" "Heute--Morgen, Frau Graefin--" "Gut, also morgen! Sie werden eine Wohnung waehlen und rasch zurueckkehren. Wollte Gott, ich saesse schon an einem anderen Ort und faende endlich Ruhe und--" Ange brach in heftige Thraenen aus. "Es wird alles gut werden, Frau Graefin! Gewiss, gewiss! Sie sollten sich durch dergleichen Dinge nicht aufregen!" besaenftigte Tibet, heftete einen besorgten Blick auf seine Gebieterin und suchte bescheiden ihr Auge, um in diesem zu lesen, dass seine Worte ihre Wirkung nicht verfehlt haetten. Wirklich stahl sich ein Laecheln um Anges Mund bei Tibets Worten; es war aber ein trauriges Laecheln. * * * * * Nach den vorerwaehnten Ereignissen war reichlich ein halbes Jahr verflossen, als an einem warmen Juniabend des Jahres 187- zwei Maenner in dem kleinen Gaertchen sassen, welches zu dem sogenannten Sommerhause des Hotels "Zur Rose" in Wiesbaden gehoert. Auf dem im Freien gedeckten Tische standen die Reste eines reichlichen Abendessens, und eben hatte der Kellner ein Licht gebracht, mit dem die Cigarren entzuendet worden waren. "Hm, hm," sagte der Major von Teut--denn er war es--zu dem ihm gegenuebersitzenden Manne und blies den Rauch einer starken Cigarre nach seiner Gewohnheit durch die Nase. "Das klingt ja alles so gut und doch wieder auch so ernst, wie ich's mir gedacht habe. Aber vielleicht--zunaechst--wer weiss--war's auch besser so!?--Was haben Sie denn der Graefin ueber Ihre Reise gesagt? Wie haben Sie diese begruendet?" "Ich gab vor, dass ich die Meinigen besuchen wolle." "Ah! Sie haben Familie, Tibet? Das ist mir ja ganz neu! Auch der verstorbene Graf und die Graefin haben mir nie davon gesprochen." "Sie wussten auch davon nichts, gnaediger Herr." Teut wollte diesen Gegenstand offenbar des naeheren beruehren, denn er blickte fragend empor. Aber ein anderer Gedanke ueberholte, was sich ihm eben aufgedraengt hatte. Er sagte abbrechend: "So, so--Aber noch eins! Wie haben Sie es angefangen, dass die Graefin nichts von all den kleinen Hinterlisten gemerkt hat? Glaubt sie, dass ihre Einnahme bisher immer reichte, und dass sie lediglich durch ihre Sparsamkeit alles gut gemacht hat?" Ueber das immer noch bleiche Gesicht des Sprechenden flog ein fragendes Laecheln, und er strich den Schnurrbart in sichtlicher Spannung. "Allerdings, aber es hat mancherlei Kuenste gekostet, gnaediger Herr!" entgegnen Tibet, und in der Erinnerung des falschen Spiels, das er getrieben, sichtlich bedrueckt. "Anfaenglich, damals, als Sie auf meinen Brief antworteten und mir Verhaltungsmassregeln gaben, war ich zweifelhaft, ob's moeglich sein werde, diese auszufuehren. Ich musste mir erst alles zurechtlegen und foermlich auskluegeln, wie ich dem Argwohn der Frau Graefin begegnen koenne. Wenn ich Einkaeufe machte, erklaerte ich, die Waren seien im Preise gesunken, und die Frau Graefin sah mich dann gross an und machte ein zufriedenes Gesicht. Im Anfang freilich wollte sie ueberhaupt nichts von dergleichen hoeren. Ich erlaubte mir den Vorschlag, dass ich wie frueher die Wirtschaft besorgen duerfe, und that dies insbesondere, weil ich dann alles ohne Schwierigkeit einrichten konnte. Aber darauf wollte die Frau Graefin nicht eingehen. Sie muesse die Dinge selbst uebersehen, meinte sie, sonst koenne sie nicht wirtschaften lernen. Mit der Miete haette sich bald alles verraten. Ich machte, des gnaedigen Herrn Befehl folgend, dem Wirte Mitteilung, dass er von uns nur die Haelfte erhalten, dass das uebrige anderweitig berichtigt werden wuerde. Ich nahm ihm das Versprechen ab, gegen die Frau Graefin Stillschweigen zu beobachten und auch seine Umgebung zu verstaendigen. Eines Morgens nun unterhielt sich die Frau Graefin mit einem Einwohner, und bei dieser Gelegenheit war von den Wohnungen in Eisenach die Rede. Da aeusserte dieser die unsere sei nicht billig, waehrend die Frau Graefin gerade ihrem Erstaunen Ausdruck gab, wie preiswuerdig dieselbe sei. Ein Wort gab das andere. Endlich ward ich herbeigerufen und bestaetigte die Aussagen meiner Herrin. Als jener sich entfernt hatte, betrachtete mich die Frau Graefin bereits mit einigem Misstrauen und brach endlich in die Worte aus: 'Haben Sie gehoert? Er hat vor uns dies Haus bewohnt und das Doppelte bezahlt. Wie ist es moeglich, Tibet, dass Sie die Villa um die Haelfte mieten konnten?'--'Die Frau Graefin haben ja den Mietskontrakt in Haenden,' erwiderte ich, als ob ich den eigentlichen Sinn dieser Nachfrage gar nicht verstanden haette. Kopfschuettelnd ging die Frau Graefin davon. Schon fuerchtete ich, dass alles wuerde entdeckt werden." "Und das Schulgeld?" fragte Teut, der mit groesster Aufmerksamkeit zugehoert hatte. "Wie haben Sie das gemacht?" "Ich habe gleich das ganze Semester bezahlt und der Frau Graefin gesagt--"--Tibet hielt inne, dunkle Schamroete faerbte seine Wangen--"dass der Direktor auf meine Vorstellung dasselbe erlassen habe." "Und das glaubte die Graefin?" "Vorlaeufig ja, Herr Baron. Aber ich zittere doch jeden Tag, dass es ans Licht kommt, und dann--" "Und Steuern?" fragte Teut und konnte sich des Laechelns nicht erwehren, weil er wie ein Beichtvater alle Vergehen aus dem armen Suender herausholte. "Die habe ich gar nicht erwaehnt! Davon hat die Frau Graefin keine Ahnung. Ich fing den Steuerboten ab und--" "Und drohten ihm mit allen Folterqualen der Hoelle, wenn er noch einmal erscheine?" schaltete Teut mit gutmuetigem Spotte ein. "Ja, Herr Baron, Sie koennen wohl scherzen." sagte Tibet, nun wieder von dem Ernst und der Verantwortlichkeit seiner Aufgabe erfasst. "Aber Sie moegen mir glauben, dass die Dinge sich nicht so freundlich abspielen werden, wenn die Frau Graefin jemals erfahren sollte, was wir gethan haben." Teut trank seinen Wein und wollte, um einer aufsteigenden Empfindung Herr zu werden, die Stiefelhacken zusammenschlagen. Aber es war nur eine Bewegung. Mit einem leisen Anflug von Schmerz hielt er inne. Nicht ohne Grund! Das eine, das linke Bein fehlte, er hatte es im Kriege eingebuesst. "Aber die Kinder?" fragte Teut nach einer Pause. "Wie geht's denen? Entwickeln sie sich gut? Sind sie fleissig?" Tibet nickte. "Gewiss, gnaediger Herr! Wir helfen beide, die Frau Graefin und ich, bei den Schularbeiten." "Ist die kleine Ange huebsch geworden, Tibet? Sie versprach sehr schoen zu werden!" Tibet betaetigte lebhaft. "Ange ist ein sehr schoenes Kind, gnaediger Herr, und so klug, dass es mich oft fast aengstlich macht. In der kurzen Zeit von einem halben Jahre spielt sie schon kleine Stuecke auf dem Klavier und ist so sicher dabei, dass man erstaunen muss." "So, so! Wer unterrichtet sie denn?" "Die Frau Graefin selbst, Herr Baron! Jeden Nachmittag erhaelt Ange Unterricht von der Frau Graefin, und Erna und Jorinde muessen ebenfalls taeglich bei ihr ueben. Sie machen alle gute Fortschritte." Teut machte eine Bewegung, er murmelte auch etwas vor sich hin, das Tibet nicht verstand. "Wie ist denn Eure Tageseinteilung, Tibet? Die Frau Graefin muss ja sehr in Anspruch genommen sein. Sie hat doch Maedchen zur Hilfe?" "Nur eins, Herr Baron! Aber die wurde uns gleich schwer krank und musste wochenlang das Bett hueten. Da hat die Frau Graefin selbst morgens Kaffee gemacht, die Stuben geraeumt, die Kinder angezogen und in die Schule befoerdert. Die Frau Graefin ist ueberhaupt von morgens frueh bis abends spaet unausgesetzt in der Wirtschaft und um die Kinder beschaeftigt." Teut murmelte wieder etwas. "Ah! herrliches Weib!" glaubte Tibet zu hoeren. "Und Sie, Tibet?" fragte Teut dann kurz und mit einem scheinbaren Vorwurf, waehrend in sein Auge ein silbernes Puenktlein trat. "Ich, ich?" erwiderte Tibet arglos und verlegen zugleich. "Ich habe morgens alle die Stiefel geputzt, die--die--groebere Arbeit in den Schlafstuben besorgt und der Kinder Betten gemacht und--und auch gekocht waehrend der Zeit. Kochen kann die Frau Graefin nicht; aber sie lernt es schon ganz gut. Neulich hatten wir zwei Gerichte, die sie ganz allein zubereitet hatte. Ihre Augen glaenzten, als es den Kindern so gut schmeckte. Die Frau Graefin war so gluecklich, dass sie im Zimmer herumtanzte." "Aber Freund!" schaltete Teut scheinbar tadelnd ein. "Weshalb haben Sie denn damals nicht eine Hilfe genommen?" "Die Frau Graefin wollte es durchaus nicht, gnaediger Herr! Sie meinte, es sei der beste Weg, alles zu lernen. Freilich, ich folgte auch nichts thun--aber ich habe sie sogar ueberrascht und in einer Nacht mit Hilfe einer Frau die Waesche besorgt. Die Alte hat die Garderobengegenstaende vorgenommen, ich machte mich an Servietten und Tischzeug. Gegen Morgen haben wir aufgehaengt, jeder sein Teil." "Allen Respekt!" murmelte Teut, trank in hastigen Zuegen und schenkte von neuem aus der Flasche ein. "In der That, ueber alles Lob erhaben! Aber das muss doch anders werden!" Und nach einer Pause: "Wenn ich nur einen Weg wuesste--" Tibet hatte nur halb gehoert, aber doch genug, um zu verstehen. Er nahm sich, in der Sorge um seine Herrin, die Erlaubnis einzufallen, und sagte: "Wenn der Herr Baron mir gestatten wollten, einen Vorschlag zu machen?" Teut bewegte den stolzen Kopf und sagte in seiner kurzen, unhoeflich klingenden Weise: "Nun, was soll's?" Tibet ward durch diesen Ton eingeschuechtert. Er fuerchtete, sich eine Vertraulichkeit angemasst zu haben, die ihm nicht zukam. Takt und Vorsicht riefen ihm zu, sich in den bisherigen Grenzen zu halten. Er entgegnete deshalb rasch: "O, es war doch nichts, gnaediger Herr--" Teut blickte auf und sah, dass Tibet mit dem Ausdruck einer gewissen Enttaeuschung vor ihm sass. Er verstand und bereute seine Schroffheit. Ohne auf den Gegenstand zurueckzukommen, dessen Beruehrung von jener Seite ihm nach den wunderbaren seelischen Schwankungen, denen jeder, selbst der beste und vorurteilsfreiere Mensch, unterworfen ist, ploetzlich widerstrebt hatte, sagte er: "Eine Angelegenheit will ich doch heute gleich beruehren, Tibet. Mein Zustand verhinderte mich, Ihnen das bisher zu schreiben: Vom Ersten des naechsten Monats sind Sie bei mir fuer Lebenszeit als Sekretaer engagiert. Es werden Ihnen monatlich dreihundert Mark von meinem Rendanten ausbezahlt werden. Alle Ihre Auslagen seit vorigem Jahr werden Sie mir baldigst aufgeben, und auch das Honorar fuer die verflossene Zeit werde ich ordnen. Sind Sie damit einverstanden, Tibet?" "Herr Baron!--Gnaediger Herr!" rief Tibet. Er erhob sich und neigte in seiner ueberstroemenden Empfindung das Gesicht auf die Hand des Mannes, der seine Worte mit einem Blick begleitet hatte, in dem sich die ganze Fuelle seines unvergleichlichen Herzens widerspiegelte. "Aber Waschen und Kochen ist nun vorbei! Das passt nicht fuer den Sekretaer und Vertrauten des Herrn von Teut-Eder, nicht wahr? Und nun wollen wir morgen weiter reden, Tibet! Es wird kuehl, ich muss ins Haus, Jamp, Jamp!" rief er mit seiner schneidigen Stimme, und dieser eilte herbei, um ihn ins Gartenhaus zu geleiten. Nachtfalter und weisse Sommermotten irrten durch die warme Luft. Drueben zirpte es in dem dunklen Garten, und aus dem Rasen drang der sanfte erdige Geruch des Sommers. Im Hotel zur Rose aber blitzten Lichter durchs ganze Haus, und durch die Abendstille ertoente noch einmal verspaetetes Lachen sich haschender Kinder. Eine Zeit lang stand Tibet wie traeumend da. Endlich warf er den Blick gen Himmel, und eine Thraene stahl sich in die ernsten Augen des Mannes. Er gedachte seines zerstoerten Lebensglueckes und der Menschen, die er liebte--seiner schon ein halbes Jahr nach der Trauung unheilbar erkrankten Frau, seiner Mutter, seiner Schwester--, aber das Nass, das in seine Augen trat, entquoll diesmal der unbeschreiblichen Empfindung, dass nun sicher fuer die Zukunft jener gesorgt sei. * * * * * Tibet wurde am naechsten Morgen zu Teut zum Fruehstueck befohlen und fand den Major, umgeben von tausend Siebensachen, die auf Tischen und Stuehlen umherlagen, bereits eifrig schreibend. Er trug einen kurzen, seidenen Hausrock, und um den offenen Hals war lose ein weisses Tuch von demselben Stoff geschlungen. Aus den Aermeln guckte eine feine Batistmanschette hervor, und sein Fuss steckte in einem roten ledernen Schuh. "Guten Morgen, Herr Sekretaer!" rief Teut, ohne sich umzuwenden. "Bitte, nehmen Sie Platz! Gut geschlafen?" Tibet bejahte. "Darf ich mich erkundigen, wie der Herr Baron geruht haben?" "Ah--nicht zum besten, Tibet! Die verteufelte Sache beschaeftigt mich allzusehr. Wie Ameisen laufen die Gedanken in meinem Kopfe herum. Aber ich glaube jetzt einen Ausweg gefunden zu haben." Hier wandte sich der Major um, sah, dass Tibet noch immer stand, und unterbrach seinen Satz durch die wiederholte Aufforderung, einen Stuhl zu nehmen. "Also, wie ich schon gestern sagte, Tibet, so geht die Sache auf die Laenge doch nicht!" hob Teut an, humpelte durchs Zimmer, winkte dem herbeieilenden Tibet ab, klingelte, gab dem eintretenden Jamp einen Befehl und liess sich dann an dem Fruehstueckstisch nieder. Mit inniger Teilnahme sah Tibet, wie unbehilflich der bisher so kernfeste, kraeftige Mann mit dem kuenstlichen Bein sich bewegte und welche Spuren Strapazen und Krankheit auf seinem Angesicht zurueckgelassen hatten. "Bedienen Sie sich!--Also, Tibet, so geht's nicht. Aus diesem Grunde bat ich Sie auch, mich hier zu besuchen. Sie sollen mit der Graefin sprechen; ich habe einen Plan, dem sie hoffentlich beipflichten wird. Die Sommerferien sind vor der Thuer, die Graefin wird gewiss wuenschen, ihren Kleinen ein Vergnuegen zu bereiten und selbst sich ein wenig nach all den Aufregungen und Sorgen zu zerstreuen. Ich werde sie einladen, auf Schloss Eder diese Wochen zuzubringen, und will meiner Cousine, der Graefin Aspern, schreiben, dort die Honneurs zu machen. Ich werde dann vielleicht auch--spaeter--nachkommen und bei dieser Gelegenheit auszufuehren suchen, was ich seit dem Tode des Grafen in mir herumtrage. Was meinen Sie dazu, Tibet?" "Vortrefflich, Herr Baron! Aber ich fuerchte, dass die Frau Graefin dieser Einladung ein entschiedenes Nein entgegenstellen wird. Wir haben so oft ueber diese Dinge gesprochen--alles war fruchtlos. Die Frau Graefin geht--darf ich mich ganz offen aeussern, Herr Baron?"--Teut erhob den Kopf, nickte und trennte die eben mit dem silbernen Loeffel zerschlagene Schale von einem Ei.--"Die Frau Graefin geht davon aus, dass der gnaedige Herr sie beeinflussen will, Wohnort und jetzige Lebensweise zu aendern. Dagegen straeubt sie sich--der Herr Baron kennen die Gruende--zum Teil wenigstens--" "Hm--zum Teil?" fragte Teut. "Ist's noch etwas anderes, als was Sie mir mitteilten und was ich bei dem Charakter der Graefin auch wohl verstanden habe?" Tibet zuckte die Schultern nur machte die Miene eines Menschen, der wohl sprechen moechte, aber sich's doch nicht getraut. "Nun?" forschte Teut ungeduldig. Aber dann in einen anderen Ton uebergehend sagte er: "Ein fuer allemal, Tibet! Ich nannte Sie gestern meinen Vertrauten, aber noch mehr, ich betrachte Sie als meinen Freund! Sprechen Sie, was es auch sei! Das Schicksal, das Wohlergehen dieser Frau beschaeftigt mich mehr als mein eigenes. Der Zweck, ja der ganze Zweck meines Lebens ist, sie gluecklich zu machen. Ich versprach's dem Grafen beim Abschied, und viel frueher hatte ich mir's selbst zugeschworen. Das alles wissen Sie am besten. Also, weshalb hinterm Berge halten, wo diesem Vorhaben genuetzt werden kann!?--Ah!" fuhr Teut seufzend und stark betonend fort und lehnte sich zurueck. "Ich sollte nur kein Krueppel sein! Wir saessen nicht hier und berieten! Nur dieser Umstand hat verhindert, dass ich--alles waere lange--" Er fuhr sich mit der Hand ueber das Gesicht, und ein Ausdruck von tiefer Trauer blieb in seinen Zuegen haften. "Nun, Herr Baron," sagte Tibet, rasch den Rest des Fruehstuecksbroetchens hinabschluckend und seinem Herrn ins Auge schauend, "wenn ich denn sprechen darf, wie mir's ums Herz ist?--Ich meine--ich meine--die Frau Graefin hat--eine--tiefe Neigung zu dem gnaedigen Herrn, und darin ist alles zu suchen! Wenn die Frau Graefin sich so scheu zurueckzieht, so--so--" Tibet spaehte aengstlich auf Teuts Angesicht, waehrend er sprach. Trotz aller Ermunterung stand er unter dem Eindruck, dies, eben dies haette er niemals ansprechen duerfen. Teut hatte sich gerade erhoben, um sich eine Cigarre zu holen. Nach Tibets Worten blieb er am Fenster stehen und schaute lange wortlos hinaus. Als er sich wieder umwandte, blickte er Tibet mit freundlichem Ernst ins Auge und schuettelte den Kopf. "Sie taeuschen sich, Tibet! Taeuschen sich gewiss! Und wenn nicht--wenn nicht--Nein, solche Gedanken habe ich begraben ein fuer allemal--" Nun ging er abermals ans Fenster und liess gewaltige Rauchwolken der angezuendeten Cigarre durchs Zimmer schweben. Der eindringende Sonnenstrahl fing sie auf und verwandelte sie in lichtes Blau. Eine lange Pause trat ein, ohne dass eine Silbe gesprochen ward. "Ah! ja!" rief dann Teut ploetzlich. "Es muss so sein! Hoeren Sie mich an, Tibet! Machen Sie also der Graefin den Vorschlag auf mein Anerbieten einzugehen. Sie wissen ja, wie und wo am besten einzusetzen ist. Stecken Sie sich hinter die Kinder! Wenn diese betteln, dass ihr Wunsch erfuellt wird, kann sie nicht widerstehen! Und wenn die Graefin auf den leidigen Punkt kommt--Sie wissen--meine gefuerchtete offene Hand und dergleichen Thorheiten mehr--so sagen Sie ihr--ja, so sagen Sie ihr, was Sie wollen, aber in allen Faellen, dass ich ihr verspraeche, niemals diesen Punkt zu beruehren, viel weniger ihren Absichten entgegen zu handeln." "Zu Befehl, Herr Baron! Ich hoffe, Ihrem Vertrauen Ehre zu machen. Ich werde mein moeglichstes thun.--Nur eins! Wenn ich diesen Auftrag erhalte, muss ich eingestehen, dass ich Sie gesehen habe, und das wird den Argwohn der Frau Graefin wecken. Je scheinbar unvorbereiteter ich das vortrage, um so besser ist es!" "Nun, im Flunkern haben Sie ja schon gute Uebung, Tibet!" laechelte Teut und suchte doch durch seine Miene den auf Tibet hervorgerufenen Eindruck zu verwischen. "Ich denke, Sie muessten schon sagen, Ihre Angehoerigen wohnten hier in der Gegend, und zufaellig haetten Sie mich getroffen. Wo wohnen denn eigentlich die Ihrigen?" Tibet nannte den Ort. "Ah--in M.! Sind Sie auch dort geboren?" "Ja, Herr Baron." "Und lebt Ihr Vater noch?" "Nein, Herr Baron." "Ihre Mutter ist Witwe?" "Ja, Herr Baron--" Teut unterbrach Tibet laechelnd und sagte, sich eines Gespraechs erinnernd, das er einst im Clairefortschen Hause mit demselben Manne gefuehrt, der jetzt so einsilbig Antwort ereilte: "Ganz wie damals:--ja--nein, Herr Baron!--antworten Sie mir, Tibet. Aber ich will gar nicht in Ihre Geheimnisse dringen. Nur mein Interesse fuer Ihre Person liess mich fragen." "Ich bitte, mich nicht misszuverstehen, Herr Baron. Mich leitete etwas anderes. Was ich ueber die Meinigen mitzuteilen habe, ist sehr wenig erfreulicher Natur. Ich habe nie darueber geredet, schon deshalb nicht, weil meine Person dabei eine nicht gleichgueltige Rolle spielt." "In der That," sagte Teut teilnehmend, "geht es den Ihrigen schlecht? Haben Sie etwa noch unversorgte Geschwister?" "Ich habe"--hier stockte Tibet eine Weile--"eine arme kranke Frau, unheilbar krank und gelaehmt seit der ersten Zeit unserer Ehe, die mir ein kurzes Glueck gewaehrte; sie lebt bei meiner Mutter und meiner Schwester, die sie pflegt, gnaediger Herr. Auch meine Mutter war schon voellig gelaehmt, als mein Vater, der als Musiker sein Brot verdiente, starb. Vermoegen war keins vorhanden bei seinem Tode. Ich hatte urspruenglich das Gymnasium bis zur Aufnahme in die Prima besucht und wurde dann--wie ich frueher schon mitzuteilen mir erlaubte--Kaufmann. Ich hatte aber darin kein Glueck, es wollte mir nicht gelingen, vorwaerts zu kommen. Die dringende eigene Not und die meiner Angehoerigen, die ganz auf mich angewiesen waren, bestimmte mich, die Stellung eines Haushofmeisters bei dem Herrn Grafen von Clairefort anzunehmen, die ich seit so vielen Jahren bekleidet habe. Ich musste verdienen, gleichviel in welcher Lebensstellung, und hier fand ich, was ich suchte. Waehrend dieser Zeit habe ich die Meinigen ernaehrt, ja mir selbst ein wenig sparen koennen fuer meine spaeteren Tage. Was ich empfand, gnaediger Herr, als Sie mir gestern die Aussicht eroeffneten, fuers Leben an Ihrer Seite bleiben zu duerfen, vermag ich nicht zu sagen. Und Sie werden nach dieser Darlegung auch verstehen, welche Sorge von mir genommen ist. Ich bin ja nun sicher, dass die Meinigen--" In dem hageren Gesicht stieg's bei diesen Worten auf, wie wenn der Sonnenschein ploetzlich durch dunkle Wolken bricht, und die Ruehrung uebermannte den Mann so sehr, dass er sich abwandte. "Wie? Alle die Jahre haben Ihre Frau, Ihre Mutter und Schwester lediglich von Ihrem Fleiss gelebt?" sagte Teut voll bewundernden Erstaunens. "Braver Mann! Ich danke Ihnen fuer Ihr Vertrauen! Ich schaetze es um so hoeher, weil selbst Ihre engsten Freunde von diesen Dingen nichts wussten. Es bleibt wahr: Die echten Perlen liegen versteckt in den Muscheln tief auf dem Meeresgrund! Man muss sie muehsam hervorholen. Eine echte Perle ist solche Pflichterfuellung und den Ruhm nicht an den breiten Weg stellen! Sie ueben sie um ihrer selbst willen, in der Stille, ohne Geraeusch. Das heisst ein Christ sein! Hier meine Hand, Sie braver Mensch! Ich bitte jetzt um Ihre Freundschaft! Ich biete sie Ihnen nicht mehr an!" Tibet richtete sich bei diesen Worten in seiner ganzen Groesse empor; ein ungewoehnlicher Glanz trat in seine Augen, und ueber sein Angesicht flog der Widerschein eines Sturmes von Empfindungen. "O, zu viel! Zu viel, gnaediger Herr!" rief er in jenem Rausche, der nur die Brust solcher Menschen zu durchdringen vermag. "Mit diesem Worte habe ich nicht umsonst gelebt! Mit diesem Tage werde ich ein anderer in dieser Welt und die Welt eine andere fuer mich! Aber mit diesem Worte, gnaediger Herr, haben Sie auch Ernst Tibet zu Ihrem Schatten gemacht fuer alle Tage und Stunden seines Lebens! Was ich bin und habe fuer die Zukunft, gehoert Ihnen!" * * * * * Es war Morgenzeit. Ange oeffnete voll Ungeduld einen Brief, den sie soeben erhalten hatte. Derselbe war von Tibet, welcher mitteilte, dass er an dem heutigen Tage zurueckkehren werde. Als Ange dies mittags den Kindern kundgab, fassten sie einstimmig den Beschluss, ihn vom Bahnhof abzuholen. Nun standen sie erwartungsvoll da und schauten ueber den Perron hinaus. Als der Zug endlich naeher kam, draengten sie sich zusammen, und waren voll Ungeduld, den Langersehnten zu begruessen. "Tibet! Tibet! Hier!" riefen sie und stuermten auf den Ankoemmling zu, der sich geruehrt zu ihnen hinabbeugte und ihre Liebkosungen entgegennahm. Alle griffen zugleich nach seiner Hand, um einen besonderen Vorzug zu geniessen, bis endlich Jorinde und Ange sich seine Rechte und Linke eroberten. Tibets erste Frage galt der Mama, und diese ward zufriedenstellend beantwortet. Mama Ange ginge es gut; sie habe auch an den Bahnhof kommen wollen, sei aber abgehalten worden. Dann setzte sich die kleine Schar, Tibet in der Mitte, in Bewegung.-- An demselben Abend sassen sich Herrin und Diener im Wohnzimmer gegenueber. Tibet erzaehlte, wie's ihm auf der Reise ergangen sei, und Ange hoerte freundlich und aufmerksam zu. "Auch den Herrn Major von Teut habe ich gesehen und gesprochen," warf Tibet in unbefangenem Tone hin, nachdem er den ersten Bericht erstattet hatte. "Er laesst sich der Frau Graefin aufs angelegentlichste empfehlen." Ange blickte im hoechsten Grade befremdet empor. "Wie? Sie haben Herrn von Teut gesehen, Tibet? Wann? Wo? Und ganz zufaellig?" Tibet nickte und erzaehlte eine Geschichte, die er sich unterwegs zurecht gelegt hatte. "Und geht's ihm besser? Geht's ihm wieder gut?" fuhr Ange zoegernd fort. Tibet betaetigte und wollte schon, froh, dass die Dinge sich so guenstig gefuegt hatten, fortfahren. Aber entweder wuenschte Ange das Gespraech nicht fortzusetzen oder sie wollte Zeit gewinnen. Sie brach ab und kam auf allerlei haeusliche Angelegenheiten. Inzwischen gruebelte Tibet, wie er die Dinge nach seinen Wuenschen einrichten koenne, und sagte endlich, eine kleine Pause benutzend, ziemlich unvermittelt: "Ich habe auch einen Auftrag an die Frau Graefin von dem Herrn Baron auszurichten. Ich vergass vorher--" Ange sah Tibet fest ins Auge, aber sie hinderte ihn nicht am Weitersprechen. Nur ein kurzes: "Nun?" glitt von ihren Lippen. "Zunaechst laesst sich der Herr Baron fuer den Brief der Frau Graefin recht sehr bedanken. Er wuerde denselben schon beantwortet haben, wenn er nicht wuenschte, der Frau Graefin muendlich--" Tibet hielt inne; er fuerchtete nun sicher eine Unterbrechung. Aber zu seiner Ueberraschung sagte Ange nichts, nur ihr Blick blieb noch ebenso ernst, ja, so eigentuemlich auf ihm haften, dass er unwillkuerlich die Augen niederschlagen musste. Er raffte sich aber auf und fuhr fort: "Der Herr Baron hofft in einigen Wochen wieder so weit hergestellt zu sein, dass er Wiesbaden verlassen kann. Er will dann nach Eder reisen und auf dieser Reise die Frau Graefin gern in Eisenach begruessen." "Und was sagten Sie dazu, Tibet?" fragte Ange kalt. "Ich--ich--Frau Graefin--" Er sprach nicht aus. Einen Augenblick schwiegen beide: nur Anges fleissige Nadel, die auf-und abflog, unterbrach die Stille. In dem Gemache stand ein runder Tisch, der von einer Lampe erhellt ward. Ringsum befanden sich die Moebel, welche einst in Carlos' Zimmer Platz gefunden hatten. Dieselben Bilder schmueckten die Waende; selbst die kleinen Nippessachen von damals standen auf dem Schreibtisch. Ploetzlich legte Ange die Arbeit aus der Hand, und sagte, dem Manne, der ihr gegenuebersass, forschend ins Auge schauend: "Tibet!" "Frau Graefin?" "Was soll ich von Ihnen denken? Sie haben Herrn Baron von Teut gesehen und einen solchen Auftrag uebernommen? Ich werde irre an Ihnen. Ich muss es Ihnen aussprechen. Also war's doch wie ich vermutete. Hinter meinem Ruecken! Also war's doch, wie ich fuerchtete, als Sie mir von einer notwendigen Reise sprachen!" "Frau Graefin--ich bitte--ich verstehe nicht--" "Sie verstehen ganz gut, Tibet! Mehr noch. Sie waren befangen, als Sie in unserem Gespraech auf diesen Gegenstand kamen, und da ich nicht arglos war, beobachtete ich Sie." Ange stuetzte schwermuetig den Kopf und schien fuer Augenblicke ganz mit anderen Gedanken beschaeftigt. Sie hoerte nichts von Tibets Beteuerungen, nichts von seiner gelaeufigen Rede, durch die er ihr das Misstrauen zu nehmen suchte. Erst als er zu einem anderen Mittel griff, sie seinen Plaenen gefuegiger zu machen, und ploetzlich sagte: "Sehr, sehr veraendert hat sich doch der Herr Baron. Sie wissen, Frau Graefin, das Traurige noch gar nicht. Ich gelangte noch nicht dazu, dies Ihnen mitzuteilen. Der Herr Baron hat das linke Bein im Kriege verloren!" ueberwogen Teilnahme und Sorge alle anderen Gedanken. "Wie? was?" rief Ange erregt, liess die Arbeit fallen, erhob sich von ihrem Stuhl und blickte Tibet mit allen Zeichen der Bestuerzung an. "Amputiert? Das Bein verloren?" Tibet atmete erleichtert auf. "Mein armer, armer Freund!" fluesterte Ange vor sich hin. "Ist er sehr ernst, sehr bedrueckt deshalb, Tibet? Sie sagen, er habe so leidend ausgesehen? O, und das wusste ich nicht einmal! Das verschwieg er mir. Ich moechte zu ihm eilen, ihn troesten, ihn pflegen--" Aber sie unterbrach sich ebenso rasch, setzte sich wieder und ergriff still und wortlos die eben fallen gelassene Arbeit. "Erzaehlen Sie weiter, Tibet. Berichten Sie mir, was Herr von Teut Ihnen gesagt hat," hob sie dann gelassen an. "Natuerlich verlangt es mich Naeheres zu erfahren." "Zu Befehl, Frau Graefin. Ich fand den Herrn Baron sehr wortkarg und offenbar tief verstimmt. Er aeusserte die Absicht, sich ganz von allem zurueckzuziehen, fortan in Eder zu wohnen und jeden Verkehr einstellen. Welche Stimmung den Herrn Baron beherrschte"--nun hielt Tibet es an der Zeit, seine Plaene auszufuehren, und er that es mit zitterndem Herzen--"moegen Frau Graefin daraus erkennen, dass, als zufaellig in einem Gespraech zwischen dem Herrn Baron und einem dort anwesenden Freunde die Rede auf des letzteren bevorstehende Heirat kam und derselbe den Herrn Baron scherzend auf Gleiches hinwies, dieser sagte: 'Lieber Freund, das war laengst und ist jetzt erst recht fuer alte Zeiten begraben! Nichts blueht mir noch auf Erden, selbst meine besten Freunde habe ich--ohne meine Schuld, ich darf es sagen--verloren!'" Tibet schwieg und wartete. Weisse Rosen brachen hervor auf Anges Wangen. Eine Blaesse faerbte diese, vor der Tibet erschrak. War er zu weit gegangen, hatte er zu rasch, zu unvermittelt gehandelt. Gewiss, so schien es, denn Ange sagte bitter: "Galt mir die letzte Bemerkung, Tibet? Nur das wuensche ich noch zu wissen." Der Mann schwieg. "Nun?" wiederholte sie hart. "Ich glaube--ich weiss nicht, Frau Graefin." "Und was sagen Sie zu alle dem, Tibet?" Ploetzlich brachen die Thraenen unter Anges Wimpern hervor; ihre Augen verschleierten sich, und jener zaghafte Ausdruck trat in ihre Mienen, der das Gesicht von Kindern und Erwachsenen gleich ruehrend veraendert. Tibet wollte reden, aber Ange schuettelte den Kopf und wehrte ihm ab. "Ich habe schon zu viel heute abend gehoert," sagte sie kurz und in seltsamer Weise abbrechend. "Wir sprechen morgen weiter. Gute Nacht." Noch stand der Mann eine Weile; er hoffte, Ange wuerde wenigstens noch einmal emporblicken. Nichts! Nun verbeugte er sich und ging. Sobald Tibet das Zimmer verlassen hatte, sprang Ange auf und durchmass den Raum mit erregten Schritten. Ihre Gestalt hatte trotz der Anstrengungen des letzten Jahres an reizvoller Fuelle gewonnen. Die Zuege ihres Gesichtes waren ausdrucksvoller geworden ihre dunklen gesaettigten Augen hatten eine eigene Glut und jenen raetselhaften, halb schmachtenden, halb in sich gekehrten Ausdruck, der uns so unwiderstehlich zu Frauen hinzieht. Noch immer wirkte ihre Erscheinung ueberraschend, noch immer war sie eine blendend schoene Frau. Wie es in ihrem Innern gaerte nach diesen Mitteilungen! Jene Liebe, die sich noch unter dem Schmerz um einen teuren Verdorbenen in zartem Empfinden gegen eine andere auflehnt, jene tiefe wahre Liebe, die ihre Neigung aengstlich verbirgt, jene stolze Liebe, die fuerchtet, sie koenne nicht um ihrer selbst willen begehrt werden, durchdrang das Herz der Frau--und nun war alles vernichtet, was doch hoffend in dem tiefsten Winkel ihrer Seele geschlummert hatte. Denn es giebt Wuensche, die der Mensch aus besserer Einsicht zurueckdraengt bis zum letzten Atemzug--Wuensche auch, von denen er weiss, dass sie sich nie erfuellen koennen, aber die doch begluecken, so lange ein Wahrscheinlichkeitsschimmer bleibt. Teut ein Krueppel! Teut des Trostes, vielleicht noch der Pflege beduerftig; Teut abwehrend gegen alles, was sonst Menschen mit Menschen verbindet; Teut voll Verbitterung. Teut--die Liebe, den Besitz eines Weibes ein fuer allemal von sich weisend im missmutigen Verzichten! Und sie stiess ihn von sich, wo sie ihm vielleicht ersetzen konnte, wonach sein Herz verlangte; sie erfuellte--vielleicht in falschem Stolze--nicht einmal die Pflichten dankbarer Freundschaft!? Ange verlor den Faden fuer den richtigen Massstab dessen, was Recht und Pflicht geboten. Was sollte sie thun? Ehre, Stolz, Scham und Liebe kaempften in ihr und liessen sie zu keinem Entschluss gelangen. Einmal hatte sie alles zurueckgedraengt, nur ein Gedanke beherrschte sie: Wie's auch kommen, wie's auch sein mochte, sie musste an seiner Seite stehen, solange sie ihn ungluecklich, zweifelnd und zagend wusste. Schon glaubte sie klar zu sein und den Kampf ueberwunden zu haben. Aber dann nahm doch wieder die angstvolle Befuerchtung von ihr Besitz, Teut koenne jetzt gerade zu dem Schlusse gelangen, sie suche nur nach einem Vorwand, sich ihm zu naehern. Diese Annaeherung koenne als eine stumme Werbung von ihrer Seite erscheinen, sie sei noch die alte leichtfertige, nur dem Genuss lebende und nach ploetzlichen Eingebungen handelnde Frau von ehedem, dasselbe nur von halben Pflichten erfuellte Wesen ohne rechte Grundsaetze, festen Willen und Thatkraft. Und dann wuerde in diesem Falle an sie herantreten, was sie zurueckweisen wollte um jeden Preis: die Mildtaetigkeit aus seiner Hand. Sie, gerade sie hatte doch einen so grossen, ja vielleicht allen Anteil an der entsetzlichen Nacktheit der Dinge nach Carlos' Tode, und Teut war es gewesen, der sie gewarnt und dessen Warnung sie nur ein halbes Ohr geschenkt; er hatte in der Not geholfen und kam nun wieder und musste helfen, weil sie es nicht verstand, sich einzurichten, immer gleich thoericht und unbeholfen dem Leben gegenueberstand. Scham und Stolz, auch Quellen falscher Scham, falschen Stolzes brachen wieder in ihr auf und liessen sie, wie bisher so oft, den rechten Weg verfehlen. * * * * * Am folgenden Vormittage fand sich fuer Tibet keine Gelegenheit, abermals mit Ange zu sprechen. Er forschte auf ihrem Gesicht, ob das Gespraech des vorhergehenden Abends boese Nachwirkungen zurueckgelassen habe, und in der That schien es ihm, als ob ihr Blick ernster als sonst, ihr Morgengruss nicht so warm sei, wie er stets gewesen. Er war voll Ungeduld, mit ihr zu sprechen, um so mehr, als er bisher nur die Vorbereitungen fuer den Auftrag getroffen hatte, der ihm von Teut geworden war. Nachmittags gab Ange einer Bitte der Kinder nach, mit ihnen einen Spaziergang zu unternehmen. Sie verstaendigte Tibet, dass sie zum Abendbrot zurueckkehren werde, und machte sich mit ihren Lieblingen auf den Weg zur Wartburg. Ange sehnte sich selbst hinaus; in der freien Natur hoffte sie besser der sie bestuermenden Gedanken Herr zu werden und zu irgend einem Entschlusse zu gelangen, der Teut wenigstens bewies, dass sie ihm nicht teilnahmlos gegenueberstand. Niemals war ihr der Sommer so schoen erschienen wie in diesem Jahre. Die Baeume standen in bluetenschwerer Fuelle, und als sie den Weg zur Wartburg hinaufstiegen, hemmte sie immer von neuem ihre Schritte, um ihre Blicke ringsum auf die Gegend zu werfen, oder bei Lichtpunkten auf das vor ihnen liegende Thal hinabzuschauen. Ange wohnte vor der Stadt in einer von ihrem Auslugepunkte linksseitig belegenen kleinen Villa. Auch heute ruhten die Kinder nicht eher, als bis die unter dem Gruen hervorschimmernden weissen Mauern herausgesucht und alle Einzelheiten festgestellt worden waren. Als sie die Burg fast erreicht hatten, streiften sie bei einer Wegwendung einen aelteren Herrn, vor dem Ben und Fred eilfertig die Muetze zogen und der freundlich dankte. Bei dieser Gelegenheit entglitt jenem der Spazierstock, und die Kinder eilten herzu, um denselben aufzuheben. "Dank, liebe Kinder! Ah, Ben und Fred Clairefort!" sagte er. "Seid Ihr alle kleine Claireforts?" fuhr er fort und lueftete, gegen Ange gewendet, den Hut und verbeugte sich artig. "Es ist unser Herr Direktor, Mama," fluesterte Fred und forderte Ange durch Zeichen und Geberden auf, stehen zu bleiben. Inzwischen war der Herr selbst schon naeher getreten und sagte mit ausnehmender Hoeflichkeit: "Ich habe wohl die Ehre, der Frau Graefin von Clairefort gegenueberstehen?" Ange bejahte, und bald entwickelte sich ein lebhaftes Gespraech, dem die Kinder, nach kleiner Menschen Art, neugierig und mit halb offenem Munde zuhoerten. Als aber auf die beiden Knaben die Rede kam, ihres Fleisses und ihrer Fortschritte gedacht ward, verscheuchte Ange sie durch einen Blick, und sie traten beiseite. Beim endlichen Abschied draengte es sie, dem Direktor noch einige Worte zu sagen. "Ich habe Ihnen schon schriftlich meinen Dank ausgesprochen fuer die grosse Guete, die Sie mir erwiesen haben, Herr Direktor. Gestatten Sie, dass ich Ihnen diesen fuer Ihre Befuerwortung und die mir dadurch entstandene Erleichterung auch muendlich wiederhole." Der Direktor blickte ueberrascht empor, und da er offenbar nicht verstand, worauf Ange hinzielte, zuckte er unter einigen darauf bezueglichen Worten die Achseln. "Ich bitte, gnaedige Frau, ich verstehe nicht ganz. Meine Befuerwortung?--Ihr Brief?--Ich habe keinen solchen erhalten." "Ich spreche von der Erlassung des Schulgeldes fuer meine Knaben, Herr Direktor; Sie erinnern sich, dass Sie die Freundlichkeit hatten--" "Hier liegt wohl ein Irrtum vor, gnaedige Frau," berichtigte jener mit hoeflicher Wendung. "Es ist nach dieser Richtung von Ihnen nie ein Antrag gestellt worden, wenigstens mir nicht zugekommen, Frau Graefin. Wohl aber hat Ihr Bevollmaechtigter seiner Zeit das Schulgeld auf Ihren besonderen Wunsch fuer das ganze Semester berichtigt." Ange war so verwirrt, dass sie im ersten Augenblick nicht zu sprechen vermochte; die Roete hoechster Verlegenheit stieg ihr in die Wangen. Dann aber brach sie mit einem gezwungenen Laecheln und wie unter ploetzlichem Besinnen das Gespraech ab und sagte: "Ach, ganz recht. Es war allerdings--ein--Irrtum meinerseits!" Noch wenige Sekunden, dann war der Direktor auf dem der Stadt zugewendeten Wege verschwunden und Ange mit ihren Kindern auf dem Weitermarsche nach der Burg. Dieser Zwischenfall weckte in Anges Innerem ein solches Heer von widerstreitenden Empfindungen, dass sie zerstreut und voellig wortlos neben ihrer kleinen Schar einherschritt. Das gestrige Gespraech mit Tibet und nun diese Eroeffnung! Was wuerde sie alles erfahren! Sie konnte es nicht erwarten, nach Hause zurueckzukehren, und nur die Ruecksicht auf die Kinder veranlasst sie, den Spaziergang fortzusetzen.-- Nach dem Abendbrot--die Kleinen waren frueh ins Bett geschickt--ersuchte Ange Tibet unter dem Vorwande zu bleiben, dass sie noch einige Fragen an ihn zu richten habe. Auf Tibet hatte es den ganzen Tag wie eine schwere Last gelegen, und einmal hatte er es schon verwuenscht, Teuts Auftrag uebernommen zu haben. Dennoch ergriff er nach einem kurzen Vorgespraech zuerst wieder das Wort in dieser Angelegenheit. "Ich wollte gestern noch hinzufuegen," begann er, und suchte eine unbefangene Miene anzunehmen, "dass der Herr Baron der Frau Graefin den Vorschlag macht, die Sommerferien auf Schloss Eder zuzubringen. Der Herr Baron ging namentlich davon aus, dass dies den Kindern Freude machen werde." Tibet forschte in Anges Gesicht. "Und auch der Graefin sei, wie der Herr Baron meinte, Luftveraenderung und Ruhe nach den Aufregungen und Anstrengungen sicher ausserordentlich foerderlich. Der Herr Baron bittet die Frau Graefin dringend, diese Einladung annehmen zu wollen." "Tibet!" sagte Ange, schuettelte den Kopf und sah den Mann mit demselben vorwurfsvollen Blick an wie am gestrigen Tage. "Frau Graefin?" "Was hatten Sie mir versprochen? Was hielten Sie selbst, nach meinen Auseinanderlegen und Ihrer damaligen Miene nach zu deuten, fuer richtig? deshalb schenkte ich Ihnen mein Vertrauen--ein Vertrauen, das sich nicht auf oberflaechliche Erklaerungen beschraenkte, sondern auch die Gruende entwickelte? Nur einem Freunde oeffnet man sein Herz, wie ich es gethan. Sie haben mich hintergangen, Sie haben gegen meinen Willen gehandelt, Sie haben mich betrogen. Und da Sie mich betrogen haben, verliere ich den Glauben an die Menschheit. Ich glaube nichts--nichts mehr!" Bei den letzten Worten erhob sich Ange, die in steigender Erregung gesprochen hatte, trat an ihren Schreibtisch und blieb dort abgewendet und von ihren Gefuehlen ueberwaeltigt, stehen. Tibet war blass geworden und zerrte an den Knoepfen seines Rockes. Er wollte sprechen, aber er vermochte es nicht. "Ihre Anschuldigungen, Frau Graefin, sind so schwere," stiess er endlich heraus, "dass ich vergeblich nach Worten ringe. Um mich verteidigen zu koennen, bitte ich, mir naehere Aufklaerungen geben zu wollen. Was habe ich gethan, um Vertrauen und Freundschaft zu verlieren? Ja, es ist wahr, ich habe einen Auftrag von dem Herrn Baron entgegengenommen, und ich habe nicht gezoegert, mich desselben zu entledigen, weil der Vorschlag nach meiner unmassgeblichen Ansicht ein guter, der Frau Graefin und den Kindern ein nuetzlicher war. Dass aber die Frau Graefin daraus--" "Ach, reden wir endlich deutsch! Gehen wir nicht ferner um das Wesen der Sache herum!" fiel Ange Tibet heftig in die Rede. "Sie wissen so gut wie ich, worin der Schwerpunkt liegt! Sie sind sich wohl bewusst, weshalb ich erregt, erschreckt, empoert bin! Werfen Sie die Maske endlich ab, Tibet, seien Sie wenigstens jetzt ehrlich und gestehen Sie, dass Sie Teuts Agent sind, dass Sie von ihm Verhaltungsmassregeln empfingen in Angelegenheiten, die ich abzuweisen suchte mit allen Mitteln, in Angelegenheiten, welche hervorgingen aus zartester Empfindung und deshalb von Ihnen haetten geachtet werden sollen als etwas Heiliges! Ja, ja, jetzt glaubt man mir das alles bieten zu koennen! Haetten Sie gewagt, gegen meine Befehle, gegen meine Bitten zu handeln, als ich noch die gebietende, von Reichtum umgebene Frau von Clairefort war? Nein, sicher nein! Aber nun, da ich arm, verlassen und durch die Verhaeltnisse gedemuetigt bin, glauben Sie das Recht einer Bevormundung gewonnen zu haben, meinen Sie, mir Ihre unzarten Dienstleistungen aufdraengen zu duerfen--" Sie hoerte Tibets raschen Atem, sah sein erregtes Gesicht und fuhr doch fort: "Also richtig war meine Ahnung und allzusehr traf ein, was ich fuerchtete, obgleich ich mir schon vorwarf, diese Dinge zu viel und zu oft beruehrt zu haben! Nun erfahren Sie es nochmals, obgleich es das A und O aller meiner Gespraeche war, die ich mit Ihnen pflog: nicht als etwas Gutes, Dankenswertes sehe ich das alles an, sondern als etwas Unwuerdiges, Beleidigendes!--Ehrlos--ja, ehrlos handelten Sie, wenn Sie mich gegen meinen Wunsch und Befehl nach Ihren eigenen kleinlichen Auffassungen zu messen sich erdreisteten und danach handelten!" "Frau Graefin! Frau Graefin!" drang's aus Tibets Munde, und wie einst, als Carlos gestorben war und ihn Anges beleidigte Worte trafen, stand er bebend am ganzen Leibe. "Ehrlos--sagen Sie? Ehrlos?--Nun, dann darf ich in der Folge Ihre Schwelle nicht mehr beruehren! In dies reine Haus darf kein Ehrloser treten!" "Nein, nein, Sie haben recht!" rief Ange ausser sich in gekraenktem Stolz und in der Verzweiflung ihrer vernichteten Liebe. "Gehen Sie! Gehen Sie! Ich will versuchen, Ihnen zu verzeihen im Gedenken des vielen Guten, das ich von Ihnen empfing. Auch das in der Erregung gesprochene Wort nehme ich zurueck. Aber unseres Beisammenbleibens ist nicht mehr! Gehen Sie!" Nach diesen Worten wandte sie sich von ihm ab und wollte, nicht mehr Herrin ihrer Gefuehle, das Zimmer verlassen. "Ich thue, was Sie befehlen!" fluesterte Tibet. "Wie sehr Sie mir aber unrecht thaten, Frau Graefin--" "Wie--unrecht?" rief sie, nochmals zuruecktretend, und reckte ihre schlanke Gestalt hoch empor. "Unrecht?" wiederholte sie. Ihre feinen Nasenfluegel vibrierten und ihre Augen blitzten. "Trieben Sie Ihre zudringliche und bevormundende Dienstfertigkeit nicht so weit, dass ich heute wie eine Naerrin vor dem Direktor des Gymnasiums stand? Ich dankte ihm fuer seine Guete gegen die Knaben. Solche Guete anzunehmen, schaemte ich mich nicht, denn es ist der Staat, der den Bedraengten einen Teil der Pflichten abnimmt, die ihnen obliegen, um ihre Kinder zu tuechtigen Menschen heranzubilden. Er thut damit nur etwas Weises. Sie vermoegen es ihm einst zu lohnen, indem sie gute Buerger werden. Wissen Sie, was er erwiderte? Dass er weder eine Eingabe noch einen Dankesbrief von meiner Hand empfangen! Nun, was sagen Sie dazu?--Sie unterschlugen Eingabe und Brief, Sie belogen mich, waehrend ich Ihnen Hab und Gut hingab in grenzenlosem Vertrauen, ja mehr noch, mich Ihnen sogar anvertraute in Dingen, die schwer, wohl nie ueber die Lippen eines Weibes dringen, selbst unter gleichen Verhaeltnissen. Nun, Tibet, sind Sie der Agent des Herrn Baron von Teut?--Einmal wenigstens seien Sie wahr!" Tibet schuettelte sich, als ob er die Flamme, die in seiner Brust emporstieg, ausloeschen, als ob er die uebermenschliche Erregung, die jeden Nerv pulsieren machte, abstreifen koenne. Und dann drang es heiser aus seinem Munde: "Und doch waren meine Gedanken rein, meine Absichten die besten, meine Handlungsweise selbstlos; und doch war alles--so falsch die Mittel sein mochten--das Ergebnis meiner unbegrenzten Hingabe an Ihre Person. Das sagt Ihnen, Frau Graefin, Ernst Tibet, der sich heute fuer immer von Ihnen verabschiedet." Er sprach's und verliess das Zimmer. Ange stand da, wie ein weisser Stein. Ihr Herz schlug zum Zerspringen. Sie hoerte, wie der Mann auf sein Zimmer ging. Sie sah durch die Mauern, dass er sich eilte, seine Sachen zu packen. Eine wahnsinnige Angst erfasste sie; sie haette aufschreien und ihm nachstuerzen moegen, und doch hielten sie die nachwirkende Empoerung--und das einmal gesprochene Wort zurueck.--Nun ging auch er, der letzte, den sie hatte und der doch--sie wusste es--ein Freund war, wie ausser Teut seinesgleichen nicht zu finden auf dieser liebeleeren Welt. * * * * * Umfang und volle Bedeutung dessen, was geschehen war, stieg vor Ange erst in den nachfolgenden Tagen auf. Auch die Reue blieb nicht aus, aber Ange erstickte diese Regung. Ein Mensch, der fuer seine Ueberzeugung kaempft, fuer den giebt's kein Rechts und kein Links. Nur ein einziger gerader Pfad ist vorgezeichnet. So war es auch hier. Sprach ihr Herz zu gunsten Tibets, so verwischte doch ihr stolzes, beleidigtes Gefuehl wieder die versoehnlichen Regungen. Das waren keine blossen Worte gewesen, die sie einst in Frankfurt gesprochen und deren Inhalt sie ihm spaeter so oft wiederholt hatte. Sie wollte, sie musste den Weg gehen, welchen sie ihm bezeichnet hatte. Ihr besseres Ich, ihr Ehrgefuehl hatten gesprochen, und diesen musste sie folgen. Vielleicht--es mochte sein--hatte sie die Dinge zu sehr auf die Spitze getrieben, liess ihrem verletzten Stolze zu sehr die Zuegel schiessen. Aber lag nicht gerade in dieser Form, ihr Erleichterungen zu verschaffen, etwas von jener leis spoettelnden Bevormundung, welcher sie sich entziehen, zu der sie gerade Teut Recht und Veranlassung hatte nehmen wollen?----So blieb in ihr haften, wogegen sich doch im Grunde ihr Herz und ihr Verstand auflehnten, und sie toetete die mahnende Stimme ihres Innern, die ihr sogar zurannte, dass ihre Handlungsweise gegen Tibet den Grundsaetzen hochherziger Gesinnung schon deshalb nicht entsprach, weil sie ihn--sie musste es eingestehen--zugleich schuldlos fuer die Enttaeuschungen ihrer Liebe hatte buessen lassen. Schon am naechsten Tage traf ein vollkommen geschaeftlich gehaltenes Schreiben von Tibet ein, in welchem er die genaueren Angaben machte ueber alles, was seither seiner Sorge anvertraut gewesen war und jetzt Ange allein obliegen sollte. Insbesondere machte er ihr ueber ihre Geldangelegenheiten Mitteilung und gab in hoeflich gemessener Form Ratschlaege, indem er auf den bisher von ihm beobachteten Gebrauch hinwies. Um sie vor ferneren Enttaeuschungen zu bewahren, bekannte er in diesem Briefe, welche Ausgaben er ohne ihr Zuthun bestritten hatte, und fuegte endlich hinzu, dass er im Auftrage des Barons von Teut gehandelt habe. Eine Angabe ueber die Hoehe derjenigen Summe, mit welcher letzterer fuer Ange eingetreten war, gab er aber nicht, und sie beeilte sich deshalb--unter welchen Empfindungen ist leicht zu bemessen--ihn schriftlich zu ersuchen, ihr sofort darueber eine Nachricht zukommen zu lassen. Am Schluss des Tibetschen Briefes hiess es: "Frau Graefin werden ueber die Zwischenfaelle heute nicht anders, aber ruhiger denken, das ist meine sehnliche Hoffnung. Und da auch ich den Dingen nach der gestrigen Unterredung mit veraenderten Ansichten gegenueberstehe, so mag es mir mit Ruecksicht auf die jahrelangen Beziehungen, die ich zu der Frau Graefin pflegen durfte und in deren Verlauf die gnaedige Frau mir so oft ein Lob und ein freundliches Wort zu erteilen geruhten, gestattet sein, zu sagen: dass ich tief bereue und stets wiederkehren werde, sobald mich die Frau Graefin rufen. Wenn diesem Rufe hinzugefuegt sein wird, dass die Frau Graefin mir vergeben haben--ich bitte Gott, dass dieser Tag mir noch einmal werden wird--, dann bin ich entschaedigt fuer alles, was auch mir Schweres, Ernstes und Sorgenvolles in meinem Leben begegnete und das mich doch nicht hinderte, meine hoechste Lebensaufgabe darin zu erkennen, der Frau Graefin und Ihrer Familie ein bescheidener, wahrer, wenn auch in den Mitteln haeufig irrender Freund zu sein. Ich bitte gehorsamst, die graeflichen Kinder gruessen zu wollen, denen ich nicht einmal ein Lebewohl sagen konnte u.s.w." Ange las diesen Brief in tiefster Bewegung. Was haette sie darum gegeben, wenn die Dinge, die sich enthuellt hatten, nicht geschehen waeren. Ploetzlich lag ihr Leben vor ihr wie eine endlos zu durchschreitende Wueste, und doch fuehlte sie jetzt schon, dass sie erlahmte. Ihr Herz erbebte, obgleich sie kaum den Fuss ueber die Grenzen gesetzt hatte. Aber sie raffte sich auf zum ernsten Tagewerk, und ruhige Ueberlegung gewann die Oberhand. Ange begann zu rechnen. Zum erstenmal in ihrem Leben beschaeftigte sich Ange von Clairefort mit Zahlen. Bis spaet in die Nacht, wenn die Kinder schon schliefen, schrieb und summierte sie, stellte fest und strich wieder aus, fuegte hinzu und kuerzte von neuem. Und sie ward gewahr, was jedem sich offenbart, der mit diesen unerbittlichen Ausrufungs- und Fragezeichen zu kaempfen hat. Auch ihr erschienen alle Einnahmeposten wie Quecksilberkuegelchen, die man fassen zu koennen waehnt, und die dann ploetzlich in bisher unsichtbare Poren verschwinden, waehrend die Ausgabesummen zudringlich emporschiessen, wachsen und sich vermehren. Als Ange zum erstenmal alles zusammengestellt hatte und, gluecklich aufatmend, zu dem Resultat gelangt war, es werde gehen, da fiel ihr ploetzlich ein, dass Schulgeld und Steuern noch fehlten, dass der Feuerung fuer den Winter, ihrer eigenen Garderobe, der Abzahlung an Teut nicht gedacht sei, dass die unvorhergesehenen Ausgaben--und sei's auch nur eine Gabe der Wohlthaetigkeit--nicht mit vorgesehen waeren. Nun ging's abermals ans Rechnen, aber die Zahlen waren wenig biegsam und trotzten allem Beschoenigen. Und mit diesem Unvorhergesehenen war's nicht einmal am Ende! Wenn--wenn--Krankheit kam? Arzt, Apotheker--das Vielerlei, was zu einer sorgfaeltigen Pflege gehoert! Ange sann und plante. Wo konnte noch gespart werden? Gab's nicht einen Posten, der ueberfluessig erschien?--Nein, nein!--Und wenn sie nun selbst krank ward, wenn sie gar--Was wurde aus den Kindern? Konnte sie nicht sterben? War's nicht erste, vornehmste Pflicht, an diesen Fall zu denken? Musste sie nicht ihr Leben versichern?--Aber woher nehmen? Da fiel's wieder wie Regenschauer auf ihre Seele, da raunte ihr eine fuerchterlich nuechterne Stimme zu, dass selbst der beste, ehrlichste Anfang doch nur ein schlechtes Ende haben koenne. Sie vermochte mit ihrem kleinen Zinskapital nicht alles zu bestreiten. Es war unmoeglich, unmoeglich! Aber Ange erstarkte in ihrem Pflichtgefuehl und in ihrer Liebe zu den Kindern und beschloss zu handeln. Sie schrieb an den Direktor des Gymnasiums und bat um Nachlass des Schulgeldes, indem sie begruendete, worauf sie schon einmal hingedeutet hatte. Wegen einer Ermaessigung der Steuern befragte sie an einem der kommenden Tage ihren Nachbar um Rat. Sie empfand keine Scham dabei, waehrend sie doch ehedem schon gezittert hatte, ihr Diener koenne bemerken, dass ihr das Geld zur Reise fehle. Sie schuettelte verwundert den Kopf, als sie dieser Zeit gedachte; ja, sie begriff heute nicht, dass ihr das Eingestaendnis ihrer bedraengten Lage jemals schwer geworden sei. Und nun begann in der Folge der wirkliche Lebenskampf. Welche Auseinandersetzungen mit den Kindern, wenn sie nach alter Gewohnheit irgend etwas begehrten, das ihnen die Laune eingab! "Nein, nein!" sagte Ange. "Weshalb nicht, Mama?" "Weil ich es nicht will; weil es ueberfluessig ist." Die kleine Ange, bisher ohne eine Entbehrung, schielte dann wohl zum Einholen eines beipflichtenden Laechelns wegen dieser unerwarteten Worte zu den aelteren Geschwistern hinueber. Aber sie fand kein Echo fuer ihren kindlichen Unverstand. Jene fuehlten mit ihrem Instinkt, dass die Sache durchaus nichts Komisches habe. * * * * * Das erste, was Ange nach Tibets Fortgang ueberlegte und in der Folge auch zur Ausfuehrung brachte, war eine noch strengere Tageseinteilung als bisher. Sie stand in aller Fruehe auf und sorgte, dass die Kinder Fruehstueck erhielten und in die Schule gelangten. Waehrend die Magd Einkaeufe machte und nach diesen an die Vorbereitung fuer das Mittagessen ging, besorgte Ange die uebrige Hausarbeit. Gleich nach Tisch begannen die Arbeitsstunden fuer die Kinder. Ange suchte den Knaben sowohl behilflich zu sein wie den Maedchen und gab den letzteren auch taeglich den von Tibet erwaehnten Musikunterricht. Wenn die Witterung es erlaubte, ward ein gemeinsamer Spaziergang unternommen, und den Rest des Tages beschaeftigte sich Ange mit dem Vielerlei, was zu einer Wirtschaft gehoert: dem Ausbessern der Kleider, mit Handarbeit und ihrem kleinen Rechnungswesen. Alle ihre Gedanken waren auf die Kinder gerichtet. Aus den Schulbibliotheken wurden Buecher herbeigeholt, und abwechselnd las eines der Kinder abends vor. Die sich daran knuepfenden Fragen beantwortete Ange nach bestem Koennen, und wenn dieses nicht ausreichte, griff sie zu Hilfsmitteln, die sich unter Carlos' Nachlass befanden, und sass dann--ein Kind unter Kindern--und suchte auch sich neugierig zu belehren. Jeden Wunsch, der in ihren Lieblingen aufstieg, hoerte sie an, und ueberlegte vorher, ob er erfuellbar sei. Sie hatte sich zum Grundsatz gemacht, nie gleich ja zu sagen, sondern sich erst Bedenkzeit auszubitten. Wenn sie dann--wie meistens--eine abschlaegige Antwort erteilte, begann wohl ein: "Warum nicht, Mama? Bitte!" und ein Betteln und Draengen, dem sie nur schwer zu widerstehen vermochte. Die Kinder hatten so viele Grunde wie draussen Blueten auf den Baeumen, und wo diese fehlten, schmeichelten sie und machten Angriffe auf Anges schwaches Herz. Aber sie blieb fest, wenn es auch heiss in ihrem Inneren aufstieg. Ben stand ihr stets zur Seite und wehrte die uebrigen ab. Er hatte viel Aehnlichkeit mit dem verstorbenen Carlitos. Der Knabe war voll Herzensguete, er besass Charakter, und fuer seine Jahre ueberraschte er durch die Reise seines Urteils und das Gesetzte seines Wesens. Dabei war er voll Aufopferung fuer seine Mutter, die er zaertlich liebte. Sobald es ihr galt, war ihm keine Arbeit zu schlecht oder zu schwer; wenn keiner Zeit hatte--er hatte sie stets. Er half ihr, selbst bei Kuechenarbeit, und lief fort, wenn etwas rasch besorgt werden musste. Der Knabe fuehlte nicht mehr instinktiv, sondern war sich bewusst, wie die Dinge lagen, und sein Herz trieb ihn, seiner Mutter die taeglichen Beschwerden zu erleichtern. Das alles aber trat nur zum Vorschein im Hause. Draussen war der Knabe ein voellig anderer. Vor allen uebrigen besass er einen brennenden Ehrgeiz. Jeden Tag berichtete er, was in der Schule geschehen, wie ihm Recht oder Unrecht geworden, und er ueberlegte, wie er es anzufangen habe, auf den Sprossen seiner Sturmleiter weiter emporzusteigen. Und alles stand ihm gut; er konnte nicht anders sein, wie er war. Wenn aber einmal ein Laecheln ueber sein huebsches Gesicht glitt oder gar seine Augen tiefere Empfindungen widerspiegelten, dann war der so schoen, dass er einem Maler haette Modell stehen koennen. "Wie heisst Du?" "Graf Benno von Clairefort." Nie nannte er sich anders, aber seltsamerweise rief dies selbst bei Erwachsenen kein Laecheln hervor. * * * * * Bisweilen schien Ange altes, was frueher gewesen, wie ein Traum, und in diesem Bilde ihrer Vorstellungen tauchte immer von neuem Teut auf. Wer ihr einstmals gesagt haette, sie werde ihn aengstlich fliehen, und deshalb fliehen, weil er Wort gehalten in allem, was er ihr damals in besseren Tagen im Walde versprochen, und welches doch das Hoechste war, was ein Mensch dem anderen gewaehren konnte--den wuerde sie einen unverstaendigen Thoren gescholten haben. Und doch war's kein Traumbild. Sie war heute vielleicht von ihm getrennt--fuers ganze Leben! Wuerde er, nach der bisherigen Beurteilung ihrer Person, ihre Haltung nicht als eine Weiberlaune deuten? Sie sah ihn vor sich--das ueberlegene Laecheln umspielte seinen Mund, er schuettelte ueber solche Kindereien den Kopf. Hatte er gar recht? Und dann kam's wieder ueber sie eines Tages in dem gruebelnden Suchen nach dem Rechten, in der aengstlichen Besorgnis, den verletzt zu haben, dem sie so viel verdankte und der nun stumm blieb, als ob er unter die Toten gegangen. Sie beschloss, ihm zu schreiben und ihren Standpunkt zu verteidigen. Aber mitten darin hielt sie wieder inne. Was sie auch schrieb, sie konnte seine Gedanken nicht beeinflussen. Vielleicht betrachtete er den Inhalt ihres Briefes nur als Vorwand ihrer veraenderten Gesinnung. Und war's nicht auch begreiflich, natuerlich, dass sich nun auch sein Stolz regte? War er einer von denen, die sich anderen zudringlich naehern? Nein! Und da er ihr nicht mit denselben Gefuehlen gegenueberstand--sie wusste es nun aus Tibets Munde--, hatte er ihr Andenken vielleicht ausgeloescht--ausgeloescht fuer immer? Und nun sollte sie das erste Wort geben, in ihm den Eindruck hervorrufen, endlich sei sie durch Lebensnot und Sorge, gedraengt auch von ihrer alten Natur, doch gekommen und habe erbeten, was sie einst so schroff zurueckgewiesen? Nimmermehr! Vorbei war's mit all den Hoffnungen, die sich an fruehere Zeiten knuepften! Es gab nur einen Lichtstrahl: das Glueck der Kinder, und in diesem allein musste sie ihr eigenes suchen. Somit unterblieb das Schreiben. Aus dem schwankenden Herbst schritt allmaehlich der Winter mit ruecksichtslosen Schritten hervor, staeubte, des Widerstandes nicht achtend und seines Rechtes sicher, mit Schneewirbeln ueber die Landschaft und schlug die ganze Natur in seine weissen Decken ein. Aber mit dem Winter traten auch die Sorgen wie weisse Gespenster an Ange heran. Als sie von ihrem Bankhause die Quartalszinsen erhielt und einen Ueberschlag machte, was noch zu bezahlen und was noetig war, bis das neue Jahr erschien, sah sie, dass ihr jetzt schon fast nichts mehr blieb. Ange hatte trotz aeusserster Sparsamkeit kleine Schulden machen muessen, und die von Tibet gemeldete erschrecklich hohe Summe, welche Teut in dem ersten halben Jahre zu ihrem Haushalt beigesteuert hatte, ragte noch drohend ueber dem uebrigen empor. Gerade diese zu tilgen, beschaeftigte immer aufs neue, zulegt fast ausschliesslich Anges Gedanken. Schon machte sie sich Vorwuerfe, dass sie nicht frueher abgezahlt hatte. Teut triumphierte vielleicht, dass sie so eilfertig und trotzig darnach begehrt--und nun doch alles still war. Sie beschloss--es war ein falscher Entschluss--ihren Nachbar, einen kleinen, mit einer Haushaelterin lebenden Kapitalisten--um eine groessere Summe darlehnsweise zu bitten und solche Teut sogleich einzusenden. Als sie schon auf dem Wege war, fluesterte ihr eine besonnene Stimme zu, dass ein einziges Goldstueck als Abtrag genuegen werde, um sich vor sich selbst und vor Teut zu rechtfertigen. Aber mit leiser Eitelkeit vermischter Stolz ueberwog, was bessere Einsicht ihr zurannte, und sie zog die Klingel und betrat das Haus. Es giebt Wohnungen, denen eine kalte Luft entstroemt, selbst zur Sommerszeit. Frostiges Selbstbehagen, das einen engen, abwehrenden Kreis um sich zieht, die uebrige Welt nur sieht, sie nur anhoert und sich nur mit ihr beschaeftigt, sofern diese keinerlei Ansprueche erhebt, durchdringt die Bewohner und wirkt so erkaltend, dass es sich selbst den toten Dingen mitzuteilen scheint. Als Ange den Flur beschritt, ueberfiel sie jene Zaghaftigkeit, welche fast immer den allzu raschen Vorstellungen unserer Phantasie zu folgen pflegt. Auf dem grossen Flur standen zwei in peinlicher Sauberkeit gehaltene, in Eichenholzfarbe gemalte Schraenke, die den Eintretenden schon kalt anstarrten. Und sonst nichts ringsum: kein Spiegel, keine Stuehle, keine Kleiderhaken, keine Uhr. Was eine rasche Hand etwa stehlen konnte, war weislich entfernt. Ein kalter, uebersauberer, abgeschlossener Raum, in dem die Klingel impertinent laut nachtoente! Nun klopfte Ange. "Ah, Frau Graefin!" sagte die Gesellschafterin artig. Es war eine alte Dame in einem einfachen dunklen Kleide und mit einer weissen Muetze auf dem Kopf. "Bitte, Herr Putz ist zugegen." Putz hatte nichts in der Welt zu thun; er schwatzte ueberaus gern, sprach eigentlich nur von sich und stand trotz seines Egoismus und der Langenweile, die er ausstroemte--lediglich im Raterteilen war er ein Verschwender--unter dem Eindruck, der Verkehr und Umgang mit ihm sei fuer andere ein ungewoehnlicher Vorzug. Dass er nur seinen Neigungen dabei folgte, lediglich sich selbst die Zeit vertrieb, und dass durch den Verkehr irgend eine Gegenseitigkeit erwachse, diese Gedanken kamen nie in seinen Kopf. Waehrend Ange sich umschaute, hatte sie beim Anblick der Personen und der altbekannten Dinge ploetzlich die Ueberzeugung, ihre Bitte werde ihr abgeschlagen werden. War's doch Putz, den sie bereits in ihre Verhaeltnisse einen Einblick hatte thun lassen, indem sie ihn um Auskunft wegen Ermaessigung der Steuern gebeten. Es war ihr unfasslich, dass sie das nicht vorher bedacht, und sie schalt ihren Mangel an Ueberlegung nun, da es zu spaet war. Ange fand uebrigens nicht so rasch Gelegenheit dem Alten vorzutragen, was sie beschaeftigte. Die Gesellschafterin war ein unliebsamer Zeuge, und selbst, als diese einmal fortging, fand sich kein Anknuepfungspunkt. So wurden denn gleichgueltige Gespraechsgegenstaende beruehrt, und Ange empfand doppeltes Unbehagen an der Unterhaltung, da sie ihre Absicht nicht auszufuehren vermochte. Ploetzlich sagte Putz: "Nun, haben Sie Nachricht von der Steuerbehoerde, Frau Graefin? Ich wollte schon immer fragen." Ange bejahte. Sie berichtete, dass man sie aufgefordert habe, ihre Antraege nachweislich zu belegen, und dass dann eine nochmalige Pruefung stattfinden solle. Vorlaeufig muesse die Summe gezahlt werden, zu der sie eingeschaetzt sei. "Ganz recht, ganz recht! So, so!" sagte der Alte, und nach kurzer Pause fuhr er fort: "Wenn ich Ihnen irgendwie behilflich sein koennte, Frau Graefin--recht gern, mit groesstem Vergnuegen!" Die Gesellschafterin war noch nicht zurueckgekehrt. Diese freundlichen Worte ermutigten Ange. Nun, so konnte es denn sein! Ploetzlich war sie wieder voller Hoffnungen. "Ich danke Ihnen sehr, Herr Putz. Ich wollte auch noch in einer anderen Sache Ihren Rat oder vielmehr Ihre Hilfe erbitten." "Bitte, bitte, Frau Graefin!" Der Alte war immer neugierig. Das Gespraech hatte schon etwas geschleppt, nun ward es wieder anziehend. "Also, Herr Nachbar, ich moechte Sie fragen, ob Sie mir wohl zwoelfhundert Mark wuerden leihen wollen, die ich nach und nach abzahlen koennte. Ich, ich--" Ange stockte. "Bitte, Frau Graefin!" Putz wollte alles hoeren. Es fiel ihm nicht ein, auf dergleichen Dinge einzugehen, aber hoeren wollte er. Anges Vertrauen wuchs. "Ich habe," fuhr sie gelaeufiger fort, "eine einzige alte Schuld, die mich zwar nicht drueckt, durchaus nicht drueckt--ich meine, derentwegen ich nicht gedraengt werde, die ich aber aus anderen Gruenden--" "Hm, ich begreife," sagte Putz. Und als Ange nicht gleich fortfuhr, fuegte er, seine Neugierde nur schlecht unterdrueckend, hinzu: "Von einem Verwandten wahrscheinlich?" "Nein, nicht von einem Verwandten; ich habe ueberhaupt nicht einen einzigen Verwandten auf der Welt, weder von seiten meiner Eltern noch von seiten meines Gatten." Wie unvorsichtig war diese Offenherzigkeit! Ange sah es ein--zu spaet. Ihr war ploetzlich, als ob sie Olga von Ink gegenuebersaesse, und all ihre Hoffnungen sanken in einen tiefen Brunnen. "Ich habe das Geld von--von--" Nun stand Ange sogar vor dem Namen; sie sollte vor diesem Menschen Teuts Namen aussprechen! Wohin war sie geraten! Sie suchte und griff in ihrer Ratlosigkeit zu einer Unwahrheit, vielleicht zum erstenmal in ihrem Leben, wo es sich um ernste Dinge handelte. "Von Herrn Tibet," platzte sie heraus. "Ah so!" sagte Putz, offenbar aufs hoechste ueberrascht, und zog die Augenbrauen ueber die listigen Augen. "Von Herrn Tibet? Er ist fort, nicht wahr? Kehrt er ueberhaupt nicht zu Ihnen zurueck?" Ange bereute, was sie gesagt; wie bereute sie ueberhaupt jetzt, dass sie gesprochen! Es wurde ihr klar, dass der Mann nur seine Neugierde befriedigen wolle und dass der Gegenstand ihn nicht im geringsten interessiere. Sie war nun auf demselben Punkt angelangt, von dem sie in richtiger Erkenntnis ausgegangen. Sie hatte endlich wirklich die Enttaeuschung, nach der sie verlangt hatte. "Nein, er kehrt nicht zurueck," sagte sie kurz abweisend. "Aber, um wieder auf die Sache zu kommen: wie ist es, Herr Putz, wuerden Sie mir die Hand bieten?" Auskosten musste Ange die Enttaeuschung bis auf den Grund. "Ich kann nicht, Frau Graefin, mit dem besten Willen kann ich nicht! Aber--Sie gestatten, dass ich ein freundschaftliches Wort hinzufuege und meine Ansicht ausspreche. So sehr ich begreife, dass man seinem Dienstboten kein Geld schuldig bleiben moechte--" Ange unterbrach den Sprechenden und sagte stolz: "Sie gebrauchten den Ausdruck Dienstbote! Das ist durchaus nicht zutreffend! Tibet war der Sekretaer und Bevollmaechtigte meines Gatten und zugleich Haushofmeister in unserem frueheren grossen Hauswesen. Er folgte mir aus Freundschaft, nachdem meine Lage sich veraendert hatte." "Ah, ah, ganz wohl! Dann steht die Sache ja sehr guenstig. Erlauben Sie einem erfahrenen Mann, Frau Graefin! Selbst wenn ich Ihnen dienen koennte, wuerde ich mir den Vorschlag erlauben, dass Sie dort Stundung erbitten und lieber den alten Glaeubiger behalten, trotz etwaiger Peinlichkeiten. Geld ist Geld! Wer's giebt, will Sicherheit, und--und--" "Sie haben recht!" fiel Ange fast uebereilig ein. "Sprechen wir nicht weiter davon! Nur eins zu meiner Rechtfertigung! Ich ging davon aus, dass es Ihnen nicht unbequem sein werde, und da voellige Sicherheit in meiner Person liegt--" "Natuerlich, natuerlich, Frau Graefin! Ich wuerde Ihnen das Geld auf blossen Schuldschein geben--selbstverstaendlich!" * * * * * Nachdem vier Wochen vergangen waren, fand sich Ange fast voellig von Geld entbloesst, und sie sann und sann, auf welche Weise sie sich helfen koenne. Auch der Nachbar kam ihr wieder in den Sinn. Gewiss, wenn sie nicht ihrer thoerichten Eingebung gefolgt waere--von ihm haette sie eine kleine Aushilfssumme bereitwillig erhalten. Ob er sie jetzt noch geben wuerde? Vielleicht! Aber die Scham ueberwog den Drang der Not, und sie gab den Gedanken auf. Einmal ueberlegte sie auch, an das Bankhaus zu schreiben und um einen Vorschuss auf das Januarquartalsgeld zu bitten. Dass dergleichen von ihr versucht werden koenne, war ihr bisher nicht einmal in den Sinn gekommen. Nun weckte die Sorge praktische Gedanken. Aber auch diesen Plan liess sie wieder fallen. Der Jahresanfang erforderte so viel, dass sie schon nicht wusste, wie auskommen. Schaffte sie jetzt Hilfe, so entbehrte sie in der Folge. Das war nur ein schwacher Notbehelf, und vielleicht gelang's nicht einmal, und sie bereute spaeter den Schritt. Mit einemmal tuermte sich wieder vor ihr auf, wie schwer, wie ganz unmoeglich es sein werde, mit ihren geringen Mitteln auszukommen, und zu dieser Einsicht schlich sich ein anderer Gedanke, der sie so aengstlich peinigte, dass ihr die Roete in die Wangen stieg. Hatte sie ueberhaupt ein Recht gehabt, ihren Nachbar um Geld in solcher Hoehe anzugehen? War's nicht leichtsinnig gewesen und musste sie sich nicht schaemen, dass sie so stolz auf ihre Person als Sicherheit hingewiesen hatte?-- Eines Abends machte sich Ben, nachdem die uebrigen Kinder bereits zur Ruhe gegangen waren, im Wohnzimmer zu thun. Ange naehte an der kleinen Ange Schulmappe, an der ein Riemen sich geloest hatte. Die Nadel war zu fein, es ward ihr schwer. Ploetzlich setzte sich der Knabe ihr gegenueber, blieb einen Augenblick stumm und begann dann mit einem eigentuemlichen Ton in der Stimme: "Du, Mama, weshalb ist eigentlich Tibet fortgegangen? Du erzaehltest neulich, ihr haettet ein Zerwuerfnis gehabt; war es etwas--etwas mit Geld?" Ange neigte den Kopf; dann sagte sie: "Ja, ja, Ben, das verstehst Du nicht." "Doch, Mama. Wollte er Geld von Dir haben und konntest Du es ihm nicht geben?" "Nein, Ben, es war umgekehrt." "Umgekehrt--wie? Wolltest Du Geld von ihm--" "Du verstehst falsch, Ben. Er wollte--er gab mir Geld--das heisst--Nein, das ist auch nicht richtig. Ich weigerte mich, von ihm--etwas anzunehmen, und deshalb--" Des Knaben Pupillen erweiterten sich, und es jagte ueber sein Gesicht. "Er wollte Dir Geld geben, und weil Du es nicht nehmen wolltest, ging Tibet fort?" "Nein, Ben, ich hiess ihn gehen. Aber ich wiederhole, dass ich Dir das nicht erzaehlen, nicht erklaeren kann." "Doch, Mama!" sagte Ben fest. "Erzaehle mir alles, bitte. Ich bin nicht mehr ruhig, wenn ich nicht alles weiss. War Papa nicht sehr reich? Hat er all sein Geld verloren?" Ange nickte. "Hat Tibet damit zu thun?" "Nein, Ben. Papa war allerdings sehr reich, verlor aber sein Geld in dem Bestreben, es fuer Euch noch zu vermehren. Als er starb, war nichts mehr da." "Nichts? Das war unrecht. Das war--" Der Knabe unterbrach und bezwang sich. "Ah, und nun wollte Tibet Dir helfen, und Du wolltest nichts nehmen, und--" "Ja, ja, so aehnlich war es, mein lieber Junge. Aber noch einmal: Du vermagst den inneren Zusammenhang nicht zu verstehen, frage mich nicht weiter." "Er meinte es doch aber gut, Mama!" Ange senkte den Kopf. "Bist Du ihm boese? Werdet Ihr Euch nicht wieder vertragen?" "Ich weiss es nicht, mein guter Ben. Ich glaube es nicht--" "Und weshalb? Nur, weil--" Abermals bewegte Ange sanft zustimmend das Haupt. "O, hab ich Dich lieb!" stiess der Knabe hervor und umhalste seine Mutter. "Wenn ich doch erst gross waere und--und--" Kraft und Eroberungslust blitzten in seinen Augen. Wenn's an ihm gelegen haette, er wuerde seine liebe Mama auf die Arme genommen und durch das Gewuehl der Welt getragen haben. Als sie ihn nach einer zaertlichen Umarmung entliess und er schon mit einem "Gute Nacht!" in der Thuer stand, ueberflog sein Auge noch einmal ihre Gestalt. Er kehrte zurueck, umfasste sie stuermisch und fluesterte: "Bitte, arbeite nicht zu lange. Ich schlafe nicht ein, bevor Du zu Bett gehst. Ja, Mama?" Welche heisse Liebe blitzte aus beider Augen! Nun schluepfte er fort und suchte sein Lager auf. * * * * * Das war ein Winter. Seit Tagen lag ein starrer, unbeweglicher Schnee auf der Landschaft, und die Luft trug jenes liebeleere Grau, bei dessen Anblick uns schon froestelt und schaudert. Dazu kam ein ruecksichtsloser, Mark und Bein durchkaeltender Ostwind, der seinen Hauch durch die festverschlossenen Thueren jagte und aller Abwehr in den Haeusern Widerstand entgegensetzte. Die Kinder kamen mittags, von Frost und Kaelte geschuettelt, nach Hause, und da die in dem oberen Teil der Villa gelegenen Schlafgemaecher nicht geheizt wurden, war morgens das Wasser in den Kruegen kegelspitz gefroren, und nur ein Fingernagel vermochte die Arabesken des Eises zu durchdringen, mit dem die Fenster beschlagen waren. Die Feuerung war schon wieder verbraucht. Die Magd meldete, dass sie die letzten Koerbe vom Boden herabgeholt habe. Fred kam nach Hause und hatte sich auf dem Eise beschaedigt. Die Beinkleider waren auf dem Knie geplatzt, und Ange schalt und suchte unter dem Vorrat nach anderen. Was aber der Knabe an Garderobe besass, war zu leicht, und so musste Ange nach dem Schneider senden, um sie ausbessern zu lassen, da sie solche Arbeit nicht verstand. Das war am Ende nichts, aber oft sind's eher die kleinen Verdriesslichkeiten, die uns das Leben erschweren, als die grossen. Ueber Ernas Winterhut hatten die Maedchen in der Schule allerlei Spott getrieben. Der gehoere wohl ihrer Mama oder sei aus einer Komoediantengarderobe? so berichtete sie aufgeregt. "Freue Dich, dass Du einen Hut hast, mein Kind: er ist heil und sauber. Lass die Kinder reden." Aber wenn Ange dies auch sagte, schnitt es ihr doch ins Herz. Es war allerdings ein Hut, den sie selbst abgelegt hatte, und das Kind sah seltsam darin aus. Einen anderen kaufen? Nein! Sie hatte nicht einmal Geld, Feuerung zu bestellen, die so bitter noetig war. Im Anfang hatten die Kinder noch alle huebsche, ja aeusserst kleidsame Gewaender. Die beiden Maedchen sahen so zierlich und vornehm aus, dass die Menschen sich nach ihnen umschauten. Aber inzwischen war so vieles schadhaft geworden und nicht erneuert. Die kleine Ange trug zum erstenmal auf den Knieen gestopfte Struempfe und zog das Kleid herunter, das dadurch doch nicht laenger ward und nichts verbarg. Die Kopfbedeckungen der Knaben waren reichlich abgenutzt, und Kragen und Manschetten mussten laenger dienen als frueher. Bisweilen drang's Ange mit Messern durch die Brust, wenn sie das Aussehen ihrer Lieblinge mit dem anderer Kinder verglich. An einem dieser Abende sass Ange unthaetig an ihrem gewohnten Arbeitsbuch und stuetzte voller Kummer und Sorge das Haupt. Sie dachte aber nicht einmal an die Gegenwart, sie beschaeftigte sich mit der Zukunft. Sie musste rasch die jetzige Wohnung aufgeben, sie war zu teuer. Auch konnten die Maedchen so kostspielige Schulen ferner nicht mehr besuchen. Die guten Kleider, die Ange noch besass, waren besser zu verkaufen oder fuer die Kinder zu aendern. Ja, das alles musste--musste geschehen! Nur wenn sie die bisherigen Ausgaben um die Haelfte einschraenkte, dann konnte sie auskommen. "Du bist wieder so betruebt" fluesterte Ben, seine Mutter sanft umschlingend. Die uebrigen Geschwister waren noch anwesend; immer scheute sich der Knabe, seine Gefuehle vor ihnen zu zeigen. Gerade hustete Jorinde aengstlich auf und draussen pfiff und tobte es um die lose befestigten Fensterladen. "Nein, nein!" erwiderte Ange, vor den Toenen zusammenschauernd. "Geh ins Bett, mein suesses Kind.--Und ich komme gleich nach und bringe Dir einen heissen Trank," fuhr sie, zu Jorinde gewendet, fort, die aufgestanden war und sich an sie schmiegte. "Es ist so kalt oben; ich fuerchte mich auch. Soll Erna nicht auch zu Bett gehen, Mama?" Es war so kalt! Und Ange konnte nicht heizen. Waehrend der letzten Tage hatte sie eine voellige Apathie erfasst; die Dinge mussten sich durch irgend etwas aendern;--wie, das wusste sie nicht; sie that auch nichts dafuer. Aber es konnte sich doch nichts aendern, ohne dass sie handelte. "Ich will Dir, solange es noch so kalt ist, das Bett drinnen auf dem Sofa einrichten," entschied Ange. "Ja, ja, mein liebes Kind, es ist zu frostig oben, es ist nicht gut fuer Deine Brust. Wir muessen sehen, wie wir's machen." In diesem Augenblick entstand ein Streit zwischen den Geschwistern. Fred neckte die beiden Maedchen, Ange weinte und Erna schrie auf, als er die Hand gegen sie erhob. Bisher hatte Ben stumm neben seiner Mutter gesessen. Er hoerte alles und es grub sich in ihn ein. Er sprang empor und fuhr gegen seinen Bruder auf. Er packte ihn an die Brust und schuettelte ihn wie eine Katze, die sich einer Maus bemaechtigt hat. Unter der seelischen Erregung, unter dem Mitgefuehl fuer seine Mutter, unter dem Leid um seine kranke Schwester ging es zehrend durch sein Inneres. Nun hatte ihn die Empoerung erfasst, dass der leichtfertige Ruhestoerer selbst jetzt keine Ruecksicht nahm. "Ben! Ben!" rief Ange voller Schrecken und mischte sich unter die kaempfenden Knaben. Fred hatte seinen Bruder in die Haare gefasst und suchte ihn unter keuchendem Atem herabzuziehen. "O, Du! Du! Kannst Du nicht einen Augenblick Ruecksicht nehmen? Ich wollte Dir schon lange eine Lektion geben! Nein, lass' mich, lass' mich, Mama!" trotzte Ben gegen Anges Befehl und Mahnung auf. "Er hat es verdient! Er ist es gar nicht wert, dass Du ihn so lieb hast!" Und nun lagen beide auf der Erde, und Ben schlug seinen Bruder in besinnungsloser Wut auf Kopf und Schultern. Und die kleine Ange weinte geaengstigt, die Kranke hustete und Erna stand voll Mitgefuehl da und faltete ratlos die Haende. So wueteten Krankheit, Sorge und Unfriede im Hause. "Auch das noch!" seufzte Ange wie verzweifelt und liess sich in ihren Stuhl fallen. "O Ben, Fred! Dass ihr mir auch noch solchen Kummer macht!" Sie weinte und schluchzte. Es giebt Augenblicke, in denen alles tot und trostlos um den Menschen ist; in denen seine Seele weint, und ihm traurig ist zum Sterben. Die Knaben hatten sich erhoben und ordneten ihre Kleider. Ihr hastiger Atem ging durchs Gemach; ihre Glieder bebten unter der Erregung. Als Ben aber seiner Mutter Stimme hoerte, als die gerechte Anklage sein Ohr traf, zog ploetzlich jaehe Blaesse ueber sein Gesicht; er stuerzte hinaus, eilte im Dunklen auf sein Zimmer, warf sich ins Bett und vergrub das weinende Antlitz in die Kissen. Als endlich der Schlaf ihn uebermannen wollte, als nach wuehlenden Gedanken und nagenden Vorwuerfen die Erschlaffung eintrat, blitzte in dem kalten, von dem Silberweiss des Winters umrahmten Gemach ploetzlich ein Licht auf, und fast wie eine ueberirdische, aber trostreiche Erscheinung trat zu ihm seine Mutter mit den tiefen dunklen Augen und dem blassen zarten Gesicht. Eine sauste Hand legte sich auf seinen Kopf, und weiche Wangen schmiegten sich zaertlich an die seinigen. "Du Trotzkopf!" sagte sie und sah ihm in die Augen. "Nun schlaf' Dich aus und--Ben, thu's mir zuliebe--vertrag' Dich morgen mit Deinem Bruder und gieb ihm das erste Wort!" Er zoegerte, aber er nickte doch, da sie es wollte. "Ich weiss, ich weiss, Du aengstigst Dich um mich; um meinetwegen erhobst Du die Hand gegen ihn," fluesterte Ange bewegt. "Aber es war nicht recht, Ben! Du thust's nicht wieder, Ben, mein Ben?" Und da schlangen sich seine Knabenarme um ihren Nacken. Weinend und schluchzend hing er an ihrem Halse und bereute, dass er aus Liebe gefehlt hatte. * * * * * Ange entschloss sich nach schwersten Kaempfen, an einem der nachfolgenden Tage nun doch mit ihrem Nachbar zu sprechen und ihn um etwas Geld anzugehen. Sie wusste keinen Rat mehr, war am Ende mit der geringfuegigen Summe, welche ihr geblieben war, und stand vor einer Not, vor welcher alle Bedenken schweigen mussten. Sie schrieb an Putz zu diesem Zwecke einen kurzen Brief, in welchem sie die Bitte aussprach, sie wegen einer dringenden Angelegenheit bei seinem gewohnten Morgenspaziergang durch einen Besuch erfreuen zu wollen. "Nun, verehrte Frau Graefin, da bin ich," sagte er, stiess den Schnee von den Fuessen und trat in das Wohnzimmer. Ange stand noch in einer weissen Schuerze, und ihre Hand hielt ein Wischtuch und einen Staubwedel, mit welchem sie Winkel und Ecken gesaeubert hatte. Ben, der nun auch wie Jorinde wegen eingetretener Erkaeltung das Zimmer hueten musste, befand sich im Nebengemach. Er trat bei des Nachbars Erscheinen einen Augenblick hervor, verbeugte sich hoeflich und zog dann leise die Thuer an. Nun war Ange mit Putz allein. "Bitte, nehmen Sie Platz, lieber Herr Nachbar," sagte sie etwas verlegen, streifte die Schuerze ab, strich ueber die erregte Stirn und holte einen Stuhl herbei, um sich ihm gegenueber zu setzen. "Wollen Sie nicht im Sofa--" "Nein, bitte, bitte, ich sitze hier sehr gut. Muss auch gleich wieder fort," erwiderte er kurz, legte waehrend des Sprechens die Haende auf den Knopf seines Spazierstockes und richtete sein noch von der Kaelte umwehtes, aus dem hohen Pelz herausschauendes listiges Gesicht auf Ange. "Sie schrieben mir, dass Sie mich zu sprechen wuenschten, Frau Graefin." "Ja, Herr Putz, und ich habe zunaechst um Entschuldigung zu bitten, dass ich Sie bemueht habe, statt zu Ihnen zu kommen." "Das hat ja nichts auf sich," erwiderte er ebenso kurz und fuhr mit einem Anflug von Ungeduld fort: "Nun also, Frau Graefin, bitte--" "Ich sprach neulich mit Ihnen ueber eine Geldsache, Herr Putz. Sie hatten die Guete, mir Ihren Rat zu erteilen, und ich fand bei naeherer Ueberlegung, dass Sie recht hatten," begann Ange ruecksichtsvoll. "Heute handelt es sich um Aehnliches, aber um etwas--" Ange hielt mitten im Sprechen inne, erhob sich, ging an ihren Schreibtisch und nahm ein Geldbriefkouvert heraus. "Sehen Sie, Herr Putz, das ist die letzte Geldsendung, welche ich am ersten Oktober empfing. Es sind Zinsen, die ich vierteljaehrlich erhalte. Ich komme bis Neujahr nicht aus--ich hatte viele unerwartete Ausgaben gerade in den letzten Tagen. Da wollte ich Sie nun freundlich bitten, Herr Putz, dass Sie die grosse Guete haben moechten, mir bis Januar mit einer Summe auszuhelfen." Ange hielt zaghaft inne und blickte den Mann an, der wie eine Brunnenfigur vor ihr sass und keine Miene verzog. Er schielte auf das Kouvert, das Ange auf den Tisch gelegt hatte, sah nur zu genau, that aber, als ob er gleichgueltig hinueberblinzele, und sagte dann kalt: "Ja, ja, kann's mir wohl denken--wuerde auch wohl gefaellig sein, Frau Graefin. Ich will aber gleich bemerken, dass ich vor Neujahr auch sehr, sehr knapp bin. Ich erhalte Anfang Januar--gerade wie Sie--mein Geld, und jetzt, gegen Ende des Monats und um das Fest herum, ist's fast unmoeglich! Wieviel brauchen Sie denn?" Ange nannte eine betraechtlich geringere Summe, als sie vor diesen in einem so wenig ermunternden Tone gesprochenen Worten hatte erbitten wollen. Putz schien nach einem festen Grundsatz zu handeln, denn er sagte ohne Besinnen einfallend: "Ich bedauere, Ihnen nur die Haelfte vorschiessen zu koennen, Frau Graefin. Schon das macht mir sogar Ungelegenheiten. Wie gesagt--" "Ah!" machte Ange nur allzu enttaeuscht. Was er ihr bot, war neben der Bestreitung dringendster Ausgaben kaum ausreichend fuer die naechsten acht Tage, und bis Weihnachten waren noch fast drei Wochen. "Und wann gebrauchen Sie das Geld? Heute schon?" nahm Putz das Wort und erhob sich, ohne Anges sichtliche Unruhe zu beachten. Und wie immer der Ertrinkende nach dem Strohhalm greift, so griff auch Ange nach dem Geringen, das sich ihr bot, nahm dankend an, versprach die prompte Rueckgabe im Januar und unterschrieb einen Schuldschein, den Putz sogleich ausfertigte. Auch den Betrag erhielt sie sofort aus einer Brieftasche, die Putz in der Seitentasche seines Rockes bei sich fuehrte. Er schien sich auf die Sache vorbereitet zu haben. Weshalb hatte sie ihn sprechen wollen? Doch sicherlich um Geld! Natuerlich! Was er, ohne ihre Wuensche zu kennen, geben wollte, war schon vorher von ihm ueberlegt worden. Waehrend Ange und Putz noch einige Worte austauschten, erschien in der verbindenden Thuer die schlanke Gestalt von Ben, der altes gehoert hatte. Ein Ausdruck zorniger Erregung malte sich in seinen Zuegen, aber auch Schmerz, Scham und Mitleid spiegelten sich auf dem Angesicht des stolz erhobenen Kopfes. Nun wandte sich Ange zurueck, und der Knabe verschwand rasch, bevor sie seiner gewahr wurde. Nach kaum acht Tagen hatte Ange freilich noch Feuerung im Hause, aber sonst lagen die Dinge ebenso, fast schlimmer als vordem. Von dem Drange getrieben, achselzuckenden Mienen vorzubeugen, machte sie der Nachbarschaft groessere Abzahlungen, als sie urspruenglich vorgesehen hatte, und erfuhr dabei, was jeder taeglich beobachten kann, dass Geld der fahnenfluechtigste Geselle ist, der je einem Kriegsherrn diente. Aber nun kam das Weihnachtsfest immer naeher, an dem sogar jeder Tageloehner seinen Kindern eine Freude zu bereiten suchte. Ange hatte fuer die Kinder nichts eingekauft, aber diese arbeiteten eifrig und versteckt an Geschenken fuer sie und erinnerten sie dadurch immer von neuem, dass sie auch Ueberraschungen von ihr erwarteten. Selbst Fred war fleissig mit Gummi und Radiermesser bei einer Zeichnung beschaeftigt, geschickter allerdings mit diesen, als mit Bleifeder und Kreide. Er war einmal ein fluechtiger kleiner Geselle. * * * * * Es war einige Tage vor dem heiligen Feste und um die Abendzeit. Ein starker Schneefall hatte die Gegend in starre, bleiche Gewaender gefuellt. Von. Mondlicht umflossen, ragte die Wartburg wie ein von Geistern bewohntes Schloss unter den weissbedeckten Waeldern hervor. Ringsum in den Villen aber glitzerten hinter den Scheiben kleine unruhige Lichter, die seltsam, fast unheimlich abstachen gegen, die schweigsame, aller lebendigen Farben entkleidete Natur. Es mochte gegen zehn Uhr abends sein, als ein grosser kraeftiger Mann, der sich soeben auf offener Landstrasse von seinem ihn offenbar ueber Ort und Gelegenheit orientierenden Gefaehrten getrennt hatte, mit langsam schwerfaelligen Bewegungen die Hoehe hinaufstieg, auf der das Haeuschen lag, welches Ange bewohnte. Je naeher er seinem Ziele kam, desto bedaechtiger wurden seine Schritte. Einigemal hielt er inne und schaute spaehend um sich. Aber nirgends zeigte sich etwas Lebendiges: die Gegend war wie ausgestorben. Endlich erreichte er das Haus, in welchem noch Licht war, klinkte leise eine kleine Pforte auf und wandte sich mit vorsichtigen Bewegungen rechtzeitig in den Garten. Vor dem nach diesem herausschauenden Fenster war kein Vorhang herabgelassen, es gestattete ungehinderten Einblick. Der Mann--es war Teut--daempfte seinen raschen Atem, blieb stehen und schaute lange und unverwandt ins Innere des Gemaches. Oftmals griff er sich in tiefer Bewegung an die Brust und einmal traten silberfunkelnde Tropfen der Ruehrung in seine Augen ueber das, was er erblickte. Ange sass, das Gesicht ihm zugewandt, an dem Tisch, der mitten im Wohnzimmer stand, und betrachtete pruefend ein Kleidungsstueck, das vor ihr auf dem Tische lag. Teut erkannte es als ein Militaerbeinkleid, das Clairefort gehoert haben mochte. Die bleiche Frau pruefte und mass, indem sie das kuerzere Gewand eines der Knaben dagegen hielt. Nachdem sie nach einigem Hin und Her zu einem Entschluss gelangt war, trennte sie die Naehte auseinander, breitete jeden Teil fuer sich aus, legte das Knabenbeinkleid darueber, schnitt mit vorsichtiger Hand das erstere danach zurecht und naehte dann die einzelnen Teile zusammen. Ohne auch nur ein einziges Mal aufzuschauen, sass sie ueber die Arbeit gebueckt, und nur einmal liess sie die Nadel ruhen, lehnte sich zurueck, hob das neue Gewand empor und zupfte an dem Stoff. Nun vermochte ihr Teut voll ins Angesicht zu schauen, und fiebernd flog es durch seine Brust, als ihr liebes, zaertliches und blasses Gesicht vor ihm aufstieg. Einmal war's ihm, als ob sie seiner ansichtig geworden sei, denn ploetzlich wandte sie mit veraendertem, aengstlichem, gleichsam gebanntem Blick ihr Auge gegen das Fenster, hinter dem er lauschte. Er trat unwillkuerlich zurueck und spaehte aus dem tieferen Dunkel ins Gemach. Hatte sie ihn gesehen?--Nein! Vielleicht war's einer jener seltsamen Ahnungsschauer, die uns erfassen koennen, wenn auch diejenigen weit von uns sind, mit denen wir uns--in blitzartiger Erinnerung--beschaeftigen. Spaeter stuetzte Ange den Kopf, starrte sinnend vor sich hin, griff dann nach einem Bleistift und machte sich auf einem Blaettchen Papier allerlei Notizen. Offenbar beschaeftigte sie sich mit ihren Kindern, vielleicht stellte sie noch einmal deren Wuensche fuer Weihnachten zusammen. Und dann begab sie sich abermals voll Eifer an die Arbeit, ruehrte fleissig die Hand und machte nur Pausen, um die Naehte mit dem Fingernagel nachzuglaetten. Wer sie heute so sah und einst gekannt hatte! Ein Gefuehl heisser Ruehrung musste emporsteigen und sich in Bewunderung verwandeln. Einmal ueber das andere strich Teut in starker Erregung den Schnurrbart. Wie lange stand er nun schon da, und doch flog ihm die Zeit wie eilende Sekunden. Es waren lebhafte Gedanken, die ihn beschaeftigten. Er sah, was vor sich ging, und sah's doch nicht; denn waehrend er den Blick hineintauchte, gingen zahlreiche Gedanken durch seinen Kopf. Und nun bewegte Ange in leisem Frost den Oberkoerper und fuhr, die Nadel falten lassend, wiederholt ueber die sinkenden Lider. Sie starrte vor sich hin, sann und gruebelte, bis endlich die Muedigkeit sie ueberwand und ihre Augen sich schlossen. Einmal blinzelte sie noch kaempfend auf, dann sank das Haupt tiefer und tiefer, und endlich sass sie regungslos da. Sie war eingeschlummert. "Ange, Ange," murmelte der Mann in heftiger Bewegung, richtete noch einmal einen langen Blick auf die Schlummernde und verliess nun vorsichtig und fast erschreckt durch seine eigenen Schritte auf dem hartgefrorenen, knarrenden Erdboden den Ort, an welchem er gesehen, was eine stumme, aber so beredte Sprache geredet hatte. * * * * * Am folgenden Vormittage schlich Ange--sie hatte durch Zufall erfahren, wo sie gegen Pfand ein Darlehen erhalten konnte--mit zagendem Herzen ins Versatzamt und verschaffte sich das Geld, dessen sie so dringend benoetigt war. Sie hatte unter anderem ihre goldene Uhr--ein kostbares Stueck--hingegeben und befand sich durch den dafuer erhaltenen hohen Betrag sogar in der Lage, ihrem Nachbar die vorgeschossene Summe zurueckzahlen zu koennen. Sein zoegernd gewaehrter Dienst brannte ihr wie Feuer auf der Seele, und sie fand keine Ruhe, bis sie die Summe in seine Haende zurueckgelegt hatte. "Wer seine Schulden bezahlt, verbessert sein Vermoegen," sagte Putz, ohne eine Befremdung ueber den frueher innegehaltenen Termin an den Tag zu legen, und entliess auch Ange ohne Nachfrage oder Angebot fuer andere Faelle. An demselben Nachmittag machte Ange sich auf den Weg, um Einkaeufe zu machen, und Ben, der ihr Helfer und Vertrauter in allen Dingen geworden war, musste sie begleiten. Als sie ziemlich wortkarg neben ihm herschritt, schmiegte er sich zaertlich an sie, und als sie ihm seine Besorgnisse durch eine froehliche Miene zu nehmen suchte, sah er sie mit seinen tiefen Augen an und drueckte ihren Arm fester, den sie gefasst hatte, als sei er ihr kleiner Kavalier. Als Ange unterwegs noch einmal alles ueberrechnete und mit einem: "Du armer Kerl wirst wenig oder nichts erhalten!" bedauernde Worte gegen ihren Liebling fallen liess, sagte der Knabe: "Ich will gar nichts, ich brauche nichts, Mama!" "Du bekommst auch wirklich nichts, mein lieber Junge, sei ohne Furcht!" betaetigte sie mitleidig. "Was ich Dir zugedacht habe, ist etwas, das Du dringend noetig hast und was ich Dir gern besser gegoennt haette!" Am naechsten, dem letzten Abend vor dem Feste, wollten Ange und Ben den Baum ausputzen. Heute sass sie noch mit fleissiger Hand und arbeitete an einem wollenen Halstuch fuer Jorinde, der es besser ging, die aber geschont und vor kalter Luft in acht genommen werden musste. Anges Gesicht war etwas froehlicher; ein stiller, sanfter Zug lag in ihren dienen. Was sie erreicht hatte, erfuellte sie wenigstens voruebergehend mit einer gluecklichen Befriedigung, und nur eins draengte sich schwermuetig in ihre Gedanken: dass das Fest ohne Tibet gefeiert werden muesse. Sie gedachte auch Carlos', ihres Mannes, aber vornehmlich trat Teut in ihre Gedanken. Sie seufzte tief auf. Eine verzehrende Sehnsucht erfasste sie nach ihm. Sie verlangte nach seiner festen Stimme, nach seinem Blick, nach seiner Teilnahme, nach seiner--Liebe. Ange sah nach der Uhr. Es schlug gerade zehn. Noch wollte sie aufbleiben, laenger als gestern, wo sie zu ihrem Leidwesen dem Schlaf erlegen war. Und gerade in diesem Augenblick vernahm sie draussen ein Geraeusch an der Thuer, und im naechsten wurde auch die Klingel gezogen. Ueberrascht, erschreckt wandte sie den Blick ins Freie. Das Maedchen war schon zur Ruhe gegangen, die Kinder schliefen. Sie begriff nicht, wer noch so spaet Einlass begehren koenne. Statt auf den Flur zu gehen, trat sie ans Fenster und spaehte behutsam hinaus. Aber wie von einem Blitz getroffen fuhr sie zurueck, denn als sie den Vorhang verschob, sah sie unmittelbar neben der Mauer einen Mann, von dessen Gestalt sie nur die Umrisse zu erkennen vermochte, dessen Zuege ihr aber in der Dunkelheit verschleiert blieben. Einen Augenblick! Dann fasste sie sich, drueckte, ihre Erregung zu daempfen, die Hand aufs Herz und fragte kurz mit kuenstlicher Fassung: "Wer ist da und was wird gewuenscht?" "Liebe Graefin! Liebe Freundin! Ich bin's, Teut! Erschrecken Sie nicht! Soeben bin ich angekommen. Ich muss Sie durchaus sprechen. Bitte, oeffnen Sie. Verzeihen Sie dieses spaete Eindringen." Teut--so ploetzlich--ohne Anzeige--in spaeter Nacht?--Ange verlor den Atem, fast die Besinnung. Es war seine Stimme, dieselbe Stimme, die sie so lange nicht gehoert und bei deren Klang ihr Herz zu zerspringen drohte. Noch einmal schaute sie hinaus, dann ueberwog ihr ahnendes Gefuehl Bedenken und Furcht. Mit einem leisen, zitternden: "Ich komme--ich mache auf!" trat sie hinaus und oeffnete. Ja, es war Teut! Mit einem unterdrueckten Schrei, totenblass--und als er nun auf sie zutrat und ihre Hand ergriff--mit dem brennenden Rot der Erregung uebergossen, stand sie da und war keines Wortes maechtig. Aber als sie nun das Zimmer erreicht hatten, als das Licht ueber seine Zuege fiel, als die hohe, kraeftige Gestalt vor ihr auftauchte, als dieser ernste und doch so guetige Blick aus seinen Augen sie traf, da folgte sie der unwillkuerlichen Bewegung seiner Haende, trat zu ihm heran und lag ploetzlich sanft weinend an seiner Brust. Einige Augenblicke verharrten die beiden Menschen in jener stummen, inneren Bewegung, in der jeder Gedanke hinabtaucht in eine einzige Empfindung und in der Worte zu Thraenen werden. Dann aber fasste er sie und lehnte sie sanft in einen Stuhl, beugte sich ueber sie und schaute ihr lange in die Augen. "Das alles konnten Sie thun und ganz vergessen, dass Axel von Teut nur einen Lebenszweck auf dieser Welt hatte: Sie gluecklich zu machen? Aber ich komme nicht, zu hadern, sondern Ihnen zu sagen, dass ich meiner Unruhe nicht mehr Herr wurde und meine fiebernden Gedanken sich zusammendraengten in dem einzigen Wunsche: Sie endlich wiederzusehen! Und nun hoeren Sie mich an und unterbrechen Sie mich nicht. Wollen Sie?" Leise zustimmend bewegte Ange das Haupt. "Nehmen, lesen Sie zuvoerderst, um Ihnen den Anlass meines ploetzlichen Kommens zu erklaeren," fuhr Teut fort und entfaltete einen Brief. "Oder nein! Lassen Sie mich," unterbrach er sich und begann, Anges Zustimmung durch einen sanften Blick einholend: "Lieber Onkel Axel!" Ange horchte erschreckt auf bei dieser Einleitung. Eine Ahnung des Zusammenhanges stieg in ihr empor und wurde schon zur halben Gewissheit. "Sei nicht boese, wenn ich Dir heute schreibe. Nicht einmal genau weiss ich Deine Adresse. Ich habe in der letzten Zeit so viel geweint um meine Mama und kann nicht mehr ansehen, dass sie so traurig ist. Lieber Onkel Axel! Mama hat so viele Sorgen; ganz gewiss. Tibet ist nicht mehr bei uns. Ich weiss weshalb. Wenn Du kommst, erzaehle ich Dir alles. Und Du wirst kommen, bald, bald, wenn ich Dich bitte. Nicht wahr, lieber Onkel? Gewiss wuerde ich Dir dies nicht schreiben, aber ich muss es thun. Schreibe mir, bitte, und adressiere an meinen Schulkameraden, den Tertianer Carl von Trock in Eisenach. Er wird mir den Brief geben. Niemals aber darf Mama von meinem Brief an Dich wissen. Du sagst es ihr nicht? Bitte, lieber Onkel! Und nun gruesst Dich Dein Dich liebender Benno von Clairefort. Begreifen Sie jetzt, liebe Freundin? Gewiss, Sie verstehen, und ich habe nun endlich erreicht, wonach ich verlangt habe seit Carlos' Tode, was mein Recht war, aus einer Zusammengehoerigkeit zwischen uns, wie menschliche Beziehungen sie kaum wieder aufzuweisen haben. Lassen Sie mich von vorn beginnen, damit ich Ihnen erklaere, wie alles sich so gestalten musste. Lassen Sie mich auch deshalb zurueckgreifen, um Ihnen zu beweisen, dass es nichts gegeben hat, was ich in Ihrer Handlungsweise nicht verstand, nicht ehrte." Und mit bewegter Stimme rief er das Geschehene in ihr Gedaechtnis zurueck. "O, wehren Sie mir nicht!" sagte er, als er ihre Erschuetterung sah. "Weinen Sie nicht! Sind es noch Thraenen des Zorns oder Thraenen der Versoehnung? Ist's gar--darf ich es hoffen?--ein Beweis, dass ich Ihnen in diesem Augenblick die Genugthuung gab, nach der Sie verlangten? Ja, Frau Ange?--Ich danke Ihnen.--Und nun hoeren Sie weiter!" Teut machte eine kurze Pause, und dann sagte er, behutsam seine Worte abwaegend und mit einer Zartheit, wie sie nur ihm eigen: "Ich habe mir folgendes gedacht, liebe Frau Ange: Sie ueberlegen, ob wir nicht an einem Orte gemeinsam wohnen koennen und uns--als alte Freunde--taeglich sehen; ja, durch unseren Verkehr uns das Glueck verschaffen, was uns neben dem Wohlergehen Ihrer Kinder noch auf Erden beschieden sein kann. Wenn ich sage 'uns', so verzeihen Sie dieses Wort; ich haette nur von mir sprechen sollen. Ich habe keinen anderen Wunsch, als in Ihrer Naehe zu leben und Ihnen zu zeigen, wie sehr ich Ihnen zugethan bin. Fuerchten Sie keine aufdringliche Freundschaft, Ange, ich verspreche Ihnen, dass ich Ihre Ansichten und Absichten ehren werde wie ein Gottesgebot. Stimmen Sie zu! Ist es nicht thoericht, dass wir, die wir schon zueinander gehoerten, als wir uns zum erstenmal begegneten, uns voneinander abschliessen wie Feinde? Sind wir nicht Freunde? Gingen Sie, wenn auch begreiflicherweise bei den furchtbaren Gegensaetzen Ihres Lebens--nicht zu--weit, nicht zu sehr ins Extrem? Ist es nicht auch eine Groesse, nehmen zu koennen? Missverstehen Sie mich nicht! Wenn ich sprach, wuenschte ich nur von den natuerlichen Rechten der Freundschaft ein Wort fallen zu lassen; nicht einen Vorwurf wollte ich Ihnen machen, liebe Freundin. Mich zu entschuldigen wuenschte ich. Ich liess mich hinreissen von dem unbeschreiblichen Glueck, das den Geber durchdringt--ich fehlte; aber Sie gaben nicht einen Finger, um mir dieses Glueck zu goennen.--Ich habe nichts mehr zu sagen.--Nun, liebe Frau Ange, was meinen Sie?" Er stand auf und fasste ihre beiden Haende, er suchte ihre verschleierten Augen und draengte sich mit seiner Seele zu der ihrigen. Und als dann ploetzlich so viele Tropfen unter ihren Wimpern zuckten, da wusste er, dass sie vergeben hatte, dass alles zwischen ihnen war wie ehedem. * * * * * Bevor Teut sich an dem eben geschilderten Abend von Ange trennte, erwirkte er auch Verzeihung fuer Tibet, der seit seiner Trennung von Ange bei ihm in Eder sich aufgehalten und ihn auch nach Eisenach begleitet hatte. Ange aber schloss kein Ange in dieser Nacht. So unvorhergesehen, so ploetzlich war alles ueber sie gekommen, so mit einem Schlage waren alle Dinge veraendert, dass sie sich wiederholt an die Stirn griff; ob's denn auch Wahrheit und kein Traum sei. Haltende, brennende Stroeme jagten durch ihr Inneres. Die stille Liebe zu Teut hatte sich durch das Wiedersehen in einen draengenden, stuermischen Fruehling verwandelt. Er war an ihrer Seite und sie sollte ihn vielleicht wieder verlieren? Als Ange am naechsten Morgen ihren Kindern mitteilte, Onkel Axel und Tibet seien wieder da und wuerden an dem Weihnachtsfest teilnehmen, erscholl lauter Jubel durchs Haus. Ben draengte sich an seine Mutter, als sie allein war, und forschte in ihren Augen. "O ja, ja, Du bist wieder froehlich! Ich sehe es!" presste er heraus und umhalste sie. Sie aber legte die Hand auf sein Haupt und sah ihm forschend ins flammende Auge. "Wusstest Du gar nichts von Onkel Axels Kommen? Gar nichts?" Ben bewegte stumm den Kopf und presste die Lippen aufeinander. Und dann schoss ploetzlich brennende Roete ueber sein Gesicht und mit raschem Anlauf drueckte er seine Mama noch einmal an sich. "Nicht boese sein!" fluesterte er und verschloss unter Kuessen ihren Mund. Einen ruehrenden Anblick bot es, als Tibet am Mittag zum erstenmal wieder die Schwelle des Hauses betrat. Ange war in der Kueche, als der Jubel zu ihr drang. Als sie sich ihm naeherte, machte er eine tiefe, unsichere Verbeugung und wartete, wie seine Herrin ihm begegnen wuerde. "Willkommen, Tibet!" sagte Ange, trat auf ihn zu und legte tiefbewegt ihre Hand in die seinige. "Alles ist vergessen. Und"--hier brach es aus ihren Augen so heftig heraus, dass sich die Kinder unwillkuerlich zurueckzogen--"vergeben Sie--auch mir!" "O, Frau Graefin! Frau Graefin!" stotterte der Mann und neigte das Haupt. Und der Festabend kam; Ange war aufgeblueht in ihrem Glueck. Sanfte Rosen lagen auf ihren Wangen und ihre Augen glaenzten, als haetten Diamanttropfen Sonnenstrahlen aufgesogen. Sie trug dasselbe Kleid--sie hatte es bewahrt und nun hervorgesucht--, das damals ihre Gestalt umschloss, als Teut Abschied nahm und in den Krieg zog. Auch eine vollbluehende Rose hatte sie sich zu verschaffen gewusst, die nun ausgebrochen an ihrer Brust lag wie ein Symbol ihrer reiferen Schoenheit. Teut war wie gebannt, als sie ihm gegenueber trat. Fuer ihn hatte sie sich geschmueckt, und der zarte Duft der Bluete drang berauschend auf ihn ein. Ihm war's, als ob sie mit ihrer blendenden Erscheinung nicht in diesen Raum gehoere, ihm ploetzlich gegenuebertraete wie damals in der Villa, und alles sei wie ehedem. Und nun wirkten auch alle anderen Dinge bestrickend auf ihn. Mit welcher anmutigen Sicherheit waltete sie im Hause, wie gut, aber wie verstaendig war sie mit ihren Kindern; das Zuviel, das leichte "Ja" waren abgestreift. Das Irrelose, Bewegliche, Hastige in ihrem Wesen war gewichen, ein sanfter Ernst umgab sie, der sie verschoente. Und mit welcher zarten Ruecksicht begegnete sie ihm selbst, mit welchem Takt wusste sie den Ausgleich zu finden zwischen dem Vergangenen und Heute. Alles, was jemals in ihm emporgestiegen war, ward zur brennenden Flamme. Sass er ihr auch ernst und mit besonnenem Ausdruck gegenueber, so schlug doch bebend sein Herz; richtete er auch nur einen stillen Blick auf sie, so haemmerten doch seine Pulse, und einmal ballte er, abgewendet, die starken Haende und riss sich zurueck aus der ueberwaeltigenden Qual, die ihm die Brust einschnuerte. Und doch konnte, durfte er nicht sprechen, und wenn seine Seele sich auch teilte und wenn sein Verzicht sein Lebensglueck vernichtete. Einmal kamen die Kinder waehrend des Abends ins Nebenzimmer und Tibet folgte ihnen. Da trat Teut an Ange heran. "Wie schoen sind Sie, Frau Ange!" sagte er, ergriff ihre Hand und sah sie mit seinen tiefen, guten Augen an. Ange erroetete wie ein furchtsames Maedchen, und ihre Handflaechen bebten in den seinen. "Und wie gut, wie trefflich sind Sie, liebe Freundin!" fuhr er leiser fort und suchte ihren Blick. Er sprach's, und die Frau neben ihm zitterte. Nun kam Ben; sie wichen von einander. In dem bleichen Angesicht des Knaben blitzte es auf. Er sah ueberrascht auf seine Mutter und auf Teut. Ahnte ihm etwas? Einen Augenblick stand er wie erschrocken, dann aber gluehte es in seinen dunklen Augen, und mit einer unwillkuerlichen raschen Bewegung--gab's ihm ein Gott ein, oder wusste er selbst nicht, was er that?--eilte er auf beide zu, ergriff ihre Haende und neigte sein blondes Haupt auf diese herab. "O, wie ich Euch lieb habe!" drang es aus des Knaben Brust. Und da beugten sich auch unwillkuerlich Ange und Teut hernieder und beruehrten gleichzeitig des Knaben Scheitel. Aber auch ihre Wangen stahlen sich aneinander, und der Liebesgott liess zwei Flammen emporsteigen, die zusammenschlugen in feuriger Lohe. Derselbe Gedanke durchzog ihr Inneres: die Vorsehung war's, die ihre Haende durch den Knaben verband, durch den stolzen, herrlichen Knaben mit seiner heissen Seele. Diese legte ihre Haende in einander fuer immerdar. Am Tannenbaum nebenan brannten noch die Lichter. Der feine Duft der Nadeln und des Wachses durchwehten den Raum in ihrer belebenden Mischung. Es war ja Weihnacht--Weihnacht, das Fest der Freude! Drinnen ertoente das froehliche Lachen der Kinder, dazwischen ertoente Tibets rauhere, aber guetige Stimme. Und da waren auch die beiden Menschen, die schon so lange fuereinander bestimmt waren, nicht mehr maechtig ihrer Gefuehle. Wie ein Sturmwind brauste es durch Teuts Brust, wie ein Kind hob er Ange empor, und sie umschlangen sich mit ihren Armen, um sich zu halten fuers ganze Leben. End of the Project Gutenberg EBook of Eine vornehme Frau, by Hermann Heiberg *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK EINE VORNEHME FRAU *** ***** This file should be named 12113.txt or 12113.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: https://www.gutenberg.org/1/2/1/1/12113/ Produced by Charles Franks and the PG Distributed Proofreaders Team Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, performances and research. They may be modified and printed and given away--you may do practically ANYTHING with public domain eBooks. 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg-tm's goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation web page at https://www.pglaf.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at https://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws. The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation's web site and official page at https://pglaf.org For additional contact information: Dr. Gregory B. Newby Chief Executive and Director gbnewby@pglaf.org Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide spread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit https://pglaf.org While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. International donations are gratefully accepted, but we cannot make any statements concerning tax treatment of donations received from outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation methods and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: https://pglaf.org/donate Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works. Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Each eBook is in a subdirectory of the same number as the eBook's eBook number, often in several formats including plain vanilla ASCII, compressed (zipped), HTML and others. Corrected EDITIONS of our eBooks replace the old file and take over the old filename and etext number. The replaced older file is renamed. VERSIONS based on separate sources are treated as new eBooks receiving new filenames and etext numbers. Most people start at our Web site which has the main PG search facility: https://www.gutenberg.org This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. EBooks posted prior to November 2003, with eBook numbers BELOW #10000, are filed in directories based on their release date. If you want to download any of these eBooks directly, rather than using the regular search system you may utilize the following addresses and just download by the etext year. https://www.gutenberg.org/etext06 (Or /etext 05, 04, 03, 02, 01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90) EBooks posted since November 2003, with etext numbers OVER #10000, are filed in a different way. The year of a release date is no longer part of the directory path. The path is based on the etext number (which is identical to the filename). The path to the file is made up of single digits corresponding to all but the last digit in the filename. For example an eBook of filename 10234 would be found at: https://www.gutenberg.org/1/0/2/3/10234 or filename 24689 would be found at: https://www.gutenberg.org/2/4/6/8/24689 An alternative method of locating eBooks: https://www.gutenberg.org/GUTINDEX.ALL