The Project Gutenberg EBook of Charaktere und Schicksale, by Herrmann Heiberg This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org Title: Charaktere und Schicksale Author: Herrmann Heiberg Release Date: July 17, 2004 [EBook #12927] Language: German Character set encoding: ASCII *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK CHARAKTERE UND SCHICKSALE *** Produced by Project Gutenberg Distributed Proofreaders Charaktere und Schicksale Roman von Hermann Heiberg Berlin 1901 "Du darfst nicht boese werden, wenn ich es sage, lieber Friedrich! Aber dass du ueberhaupt auf solche Dinge Wert legst, ist mir bei deinen sonstigen Anschauungen unverstaendlich. Du bemuehst dich darum, Kommerzienrat zu werden, und jetzt geraetst du sogar fuer unsere Margarete auf ehrgeizige Gedanken. Was sollen wir mit einem Schwiegersohn aus diesen Kreisen!--Ja, wenn er etwas waere und besaesse!" Die Frau, die diese Worte an ihren Mann richtete, war die Gattin des Buchdruckereibesitzers und Zeitungsinhabers Friedrich Andreas Knoop. Sie sass ihrem Mann beim ersten Fruehstueck gegenueber, und schenkte ihm, waehrend ihrer Rede, nicht nur den Kaffee in seine Tasse ein, sondern schob ihm auch--umsichtig fuer ihn besorgt--den Rahmguss und die Zuckerdose naeher. Waehrend er sich aus beiden bediente, sagte er: "Du hast recht, und du hast unrecht, Fanny! Vom allgemeinen, vernuenftigen Standpunkt aus betrachtet, verraet ein Hinschielen nach Orden oder anderen Auszeichnungen keinen besonders erhabenen Geist Der in sich gefertigte, den tieferen Inhalt der Dinge erfassende Mensch legt auf solche Aeusserlichkeiten nicht nur keinen Wert, sondern ueberlaesst das Haschen danach denen, die glauben, dass sie dadurch in der Welt irgend ein Spuerchen mehr werden! Aber es giebt auch einen anderen Standpunkt! Von diesem aus laechelt man zwar im stillen ueber solchen Firlefanz, verschmaeht ihn aber nicht, sondern thut etwas zu seiner Erlangung, weil eben andere ihm eine Bedeutung beilegen. Daraus erwachsen fuer den Geschaeftsmann in der Welt der Aeusserlichkeiten mancherlei erhebliche, indirekte und direkte materielle Vorteile." "Ich glaube es nicht, Friedrich. Ich glaube, ein Wertlegen auf Titel und Orden entspringt allezeit einer gewissen Eitelkeit, deren sich ein wirklich ernsthafter Mann nicht schuldig machen sollte!" "Na, und wenn's wirklich so waere,--ist die Befriedigung unsrer Eitelkeit nicht auch etwas? Woraus besteht unser Dasein? Wir sollen uns Gluecksmomente verschaffen; wir sollen uns zum Ausgleich fuer die mit dem Leben verbundenen Unfreundlichkeiten dasjenige fuer unsere Sinne herbeiholen, wodurch sie aufgerichtet werden, wodurch wir zu irgend einer edlen oder angenehmen Gemuetserhebung gelangen!" Auf diese an sich durchaus verstaendige Betrachtung entgegnete Frau Knoop nichts; sie warf aber einen freundlichen Blick zu ihrem Manne hinueber. Wenn sie jemanden in solcher Weise anblickte, empfing das eine, ueberhaupt nur eine Thaetigkeit ausuebende Auge einen etwas stechenden Ausdruck, und das erloschene andere schien wesentlich staerker hervorzutreten. Friedrich Knoop stammte aus der nordischen Landschaft Dithmarschen. Sein Vater war dort Muehlenbesitzer gewesen, und Frau Fanny war aus der nordischen Landschaft Schwansen, woselbst sich ihr Vater als Pastor im Amte befunden hatte. Knoop hatte sich zufolge grosser Energie und Umsicht zu einem sehr reichen Mann emporgeschwungen, stand im sechzigsten Lebensjahr, und besass zwei Kinder: die erwaehnte Margarete und einen Sohn, der zur Zeit in England war, um sich fuer die einstige Uebernahme des vaeterlichen Geschaefts noch weiter auszubilden. Die Eheleute sassen, waehrend sie sprachen, in einem Salon, der nach einem Garten fuehrte und sich in einem hinteren Quergebaeude befand, das zu einem maechtigen, in der Hauptstrasse befindlichen Karree gehoerte, in dem sich sowohl die Geschaefts- wie auch diese Wohnraeume des Chefs der Firma befanden. Ihre Unterredung wurde unterbrochen, weil die Tochter des Hauses ins Fruehstueckszimmer trat. Sie ging mit ruhig elastischem Schritt ihren Eltern naeher, kuesste beide auf die Wangen und sagte nach einer vorherigen Erkundigung nach deren Nachtruhe und Befinden: "Du weisst doch, Papa, dass heute Baron von Klamm kommt, um sich von dir das Geschaeft zeigen zu lassen. Um halb zwoelf Uhr hat er sich angemeldet. Es passt dir doch?" "Ja, mein Kind. Ich werde bereit sein.--Sage uebrigens einmal, wie kommt er dazu? Hat er wirklich Interesse fuer dergleichen, oder hat er Nebenzwecke?" Margarete laechelte und entgegnete: "Das glaube ich allerdings, Papa! Zudem aber ist er, wie mir scheint, wirklich ein Mann, der fuer alles Tuechtige Sinn, und an allem Freude hat. Unter den vielen jungen Leuten ist er in der That der einzige, mit dem man sich unterhalten kann. Er ist sehr anregend." "Bitte, verguck' dich nur nicht in einen solchen Adligen, Grete!" fiel Frau Fanny ein. "Welchen Ausgang kann das haben! Er will doch schwerlich arbeiten, sondern sich nur von Papa ernaehren lassen!" "Das glaube ich nicht, Mutter!" "Er ist doch nichts! Was hat er ueberhaupt bisher getrieben? Wer sind die Eltern? Wenn es nach mir ginge, wuerde Papa ihm nicht eher unser Haus oeffnen, bevor er sich sehr genau nach ihm erkundigt hat." "Kann ja geschehen, Fanny!" fiel Knoop phlegmatisch ein. "Hm--aber du willst ihn doch schon empfangen?" "Allerdings, aber ohne Verbindlichkeit fuer Weiteres.--Auch, wenn er euch seinen Besuch macht! Nicht wahr, Grete, das will er!?" Grete nickte. "Ja, er bat um die Erlaubnis, euch aufwarten zu duerfen. Er moechte gern bei uns verkehren." "Hast du Christine von Holm ueber ihn befragt?" schob die Frau ein. Christine von Holm war die Tochter des Ehepaars, bei denen Margarete in einer Abendgesellschaft Baron von Klamm kennen gelernt hatte. "Was sagt sie, was weiss sie von ihm?" "Die wissen nichts. Sie haben ihn auf einem Ball beim Kommerzienrat Kuegelchen kennen gelernt. "Vielleicht vermag der Naeheres zu sagen! Papa koennte sich ja dort nach ihm erkundigen. "Ist er kein Gentleman, so brauchen wir ihn nicht einzuladen." "Ich werde schon zutreffende Erkundigungen ueber ihn einziehen, Kinder. Vorderhand werde ich mir heute selbst ein Urteil zu bilden suchen. Also rege dich nicht vor der Zeit unnoetig auf, gute Frau Fanny." Bei diesen Worten suchte Knoop das Auge seiner Gattin, und sie zog ein schelmisches Gesicht. Grete aber bemerkte: "Ich fragte Hauptmann von Uelzen nach ihm. Er sagte, die Klamms stammten aus Sachsen. Er sei urspruenglich oesterreichischer Offizier und dann einige Zeit im Ausland gewesen. "Er halte sich hier seit anderthalb Jahren auf und suche eine Thaetigkeit, verkehre in den besten Kreisen, und mache immer den Eindruck, dass er gut bei Kasse sei." "Nun wohl! Sehr schoen! Sorge also fuer ein gutes Fruehstueck, Fanny, und empfangt ihn artig. Wir sehen dann weiter.--Ich muss jetzt--" Knoop sah nach der Uhr und stand--im uebrigen bedaechtig im Wesen--rasch auf, legte die Serviette beiseite, schob den Stuhl mit einem ihm anhaftenden, starken Ordnungssinn unter den Tisch. Dann streichelte er, gutmuetig laechelnd, Frau und Tochter die Wangen, warf auch noch beim Fortgehen ein Scherzwort hin und verliess das Zimmer. Vor dem Garten- und Fruehstueckssalon befand sich ein schoener, heller Flur, der in Marmor ausgefuehrt war. Von ihm fuehrten seitlich Thueren in die verschiedenen unteren Gemaecher. Nach oben vermittelte eine in der Hoehe durch eine Gallerie verbundene Marmortreppe den Auftritt. Dort befand sich ein grosser Tanzsaal mit Nebenstuben, und dort lagen die Schlafraeume, waehrend sich unten die Wohn- und Gesellschaftszimmer ausdehnten. Von ihnen fuehrte eine Thuer, zu der nur der Herr des Hauses einen Schluessel besass, in den Fluegel links. Diesen betrat nun auch Herr Knoop, durchschritt die Raeume, die vom Hofe Licht empfingen, und begab sich in sein vorn nach der Strasse belegenes Kontor. "Morgen! Morgen!" erfolgte wiederholt, und fand Erwiderung, waehrend er den Korridor durchmass. Redakteure der Zeitungen begaben sich eben grade in ihre Gemaecher; der Faktor, mit Korrekturen in der Hand, kam aus der Druckerei, um eine Erkundigung im Hauptkontor beim Geschaeftsfuehrer einzuziehen, und in des Chefs Vorzimmer standen und sassen bereits mehrere Personen, die auf sein Erscheinen warteten. "Morgen, Herr Knoop!" erfolgte abermals ehrerbietig im Ton, und wurde durch Kopfnicken beantwortet. Dabei streifte der Chef mit kurzem, scharfem Blick die Anwesenden, gab seinem herbeieilenden Faktotum Auftrag, die draussen Wartenden noch zu bescheiden. Er wolle erst die Post durchsehen, und liess sich sogleich an seinem Schreibtisch nieder.-- Das zweifenstrige Zimmer war sehr gediegen ausgestattet und mit allen praktischen Bequemlichkeiten der Neuzeit versehen. Elektrische Klingelfaeden fuehrten bis an das Pult des Chefs. Verschiedene weisse Knoepfe waren dort zu sehen und besassen saemtlich Aufschriften. Sie gaben an, wer erscheinen sollte, wenn sich der Finger zum Druck auf ihre Flaechen legte. Accidenzfaktor, Zeitungsfaktor, Magazinverwalter, Prokurist, Hausmeister, Kontordiener hatten verantwortlichere Stellungen im Knoopschen Geschaeft inne und wurden nicht selten in das Kontor des Chefs befohlen, um seine Wuensche entgegenzunehmen.-- Unter den vielen Briefen, die Herr Friedrich Knoop zu oeffnen und zu lesen hatte, und die meist mit Bemerkungen versehen, von ihm in Mappen gethan und vom Buereaudiener den Geschaefts-Abteilungsvorstaenden ueberbracht wurden, befanden sich heute auch zwei Privatschreiben, die seine Aufmerksamkeit besonders in Anspruch nahmen. Das eine war von seinem aelteren Bruder, einem zurueckgekommenen Kaufmann, der sich gegenwaertig als Agent in Braunschweig aufhielt. In diesem Brief standen folgende Worte: "Ich frage Dich, Friedrich, zum letztenmal, ob Du mir helfen willst. Wenn Du diesmal meine Zeilen auch nicht beantwortest, musst Du gewaertig sein, dass die Zeitungen berichten, welche Ursachen daran Schuld waren, dass Theodor Knoop zu einem verzweiflungsvollen Schritt seine Zuflucht nahm. Gedenke unserer verstorbenen Eltern, gedenke, dass unsere Mutter uns beide unter ihrem Herzen trug, und ueberlege, ob ich nicht wenigstens--was auch immer gewesen sein mag--einer Erwiderung wert bin."-- Herr Friedrich Knoop zog die breite Stirn in dem runden, mit einem Vollbart umrahmten Gesicht in Falten. Auch erhob er sich und ging--er war mittelgross, stark beleibt und gedrungen--eine Weile in seinem Kontor auf und ab. Das geschah, wenn ihn etwas stark beschaeftigte. Endlich setzte er sich wieder. Er hatte seinen Entschluss gefasst, und las nun den zweiten, ihn auch sehr beschaeftigenden Brief, der keine Unterschrift trug und durch eine Schreibmaschine hergestellt war, noch einmal durch. Er lautete: "Sehr geehrter Herr! Es wird Sie dieser Tage--ich hoerte es in dem Wiener Cafe von Bauer zufaellig--ein Baron von Klamm besuchen. Da ich ihn sehr genau kenne, so erlaube ich mir, Sie vor ihm zu warnen. Er ist durchaus unzuverlaessig! Denken Sie diesmal nicht: Anonyme Zuschriften gehoeren, ohne beachtet zu werden, ins Feuer. M.P." Nachdem Herr Knoop diese beiden Briefe in seinem Pulte verschlossen hatte, klingelte er. Er uebergab neben anderen Anweisungen dem Faktotum und Buereaudiener Adolf, einem Mann, der dadurch auffiel, dass er runde, staehlerne Ohrringe trug, die Mappen, und hiess ihn auch, die draussen Wartenden nach der Reihe ihres Eintreffens ins Zimmer treten zu lassen. Zuerst erschien ein fremder Setzer. Er bat um Arbeit, und wurde von Herrn Knoop zum Accidenzfaktor gesandt. Nach ihm kam eine sauber gekleidete Frau und bat um einen Vorschuss fuer die Familie. Ihr Mann arbeitete im Papierlager, war fleissig und gewissenhaft. Sie brauchte das Geld fuer ihren Sohn, der lange krank gewesen war und nun ueberseeisch sein Glueck versuchen sollte. Herr Friedrich Knoop ging an den Geldschrank, nahm zwei Geldstuecke heraus und sagte: "Hier, Frau Bendler! Ich schenke Ihnen das! Vorschuesse gebe ich nur in aeussersten Faellen! Das wissen Sie! Und ein andermal lassen Sie Ihren Mann kommen und dergleichen vorbringen. Die Frauen will ich nicht anhoeren. Da koennten alle heranlaufen, und ich haette eine schoene Last--" "Gottes Segen, Herr Knoop, und vielen Dank noch! Und nehmen Sie't man nich fuer unjut, Herr Knoop! Mein Mann--Sie kennen ihm--is bei so wat mal zu schanierlich--" "Na ja, das mag sein! Aber! Entweder--oder in Zukunft! Und nun Adieu! Moeg' es Ihnen gut gehen! Gruessen Sie Ihren Sohn Franz. Hoffentlich gelingt's ihm in Brasilien!" Nachdem sich die Frau entfernt hatte, erschien der Agent einer Papierfabrik. Er machte ein Angebot auf Zeitungspapier. Herr Knoop trat ans Fenster, liess das hellere Licht auf den ihm ueberreichten Probebogen fallen, betrachtete ihn aufmerksam und sagte, waehrend er auch noch nach Art der Erfahrenen, die Flaechen des Stoffes zwischen Zeigefinger und Daumen rieb, wie die Zahlungsbedingungen fuer 500 Ballen sein wuerden. Nachdem er darauf Antwort empfangen, ersuchte er den Agenten, ihm das Angebot nochmals schriftlich zu machen, und in dem Schreiben zu bemerken, dass die Fabrik unbedingte Gewaehr fuer ihre Angaben uebernehmen wuerde. "Jawohl! Ganz gut! Wenn Gewicht, Fabrikat und Faerbung nach dieser Vorlage geliefert werden koennen, denke ich, gelangen wir zu einem Abschluss!" entschied Herr Knoop in einem kurzen Ton. Hierauf noch ein Knopfnicken und ein verbindliches Handreichen, und eine andere Persoenlichkeit trat in das Gemach. Ein aelteres, unmodisch gekleidetes Fraeulein, mit an die Stirnseiten vorgekaemmtem Haar und einem Strickbeutel ueber dem Arm, erschien und eroerterte, dass sie sich die Erlaubnis naehme. "Nun ja! Bitte! Was ist's denn? Womit kann ich dienen?" stiess Herr Knoop heraus. "Mein Name ist Charlotte von Oderkranz. Ich lebe von einer kleinen Fideikommiss-Einnahme und habe noch eine Nichte zu ernaehren. "Sie hat ihr Lehrerin-Examen gemacht und sucht eine Stellung als Gouvernante oder im Fall als Gesellschafterin. "Hier, bitte, Herr Zeitungseigentuemer, ihre Photographie!" Waehrend dieser Worte nestelte sie den Beutel auf, und zog das Bild eines jungen, ungewoehnlich schoenen Maedchens hervor. Herr Knoop hatte die Antragstellern schon ersuchen wollen, von Einzelheiten abzusehen--seine Zeit sei gemessen--aber sein Blick wurde doch von dieser Photographie allzusehr gefesselt. "Und was soll ich thun?" nahm Herr Knoop, schon unwillkuerlich zuvorkommender im Ton, das Wort. "Ja, ich moechte, da wir in unseren Mitteln sehr beschraenkt sind, bitten,--bitten, dass Sie diese Annonce einigemal in den Taeglichen Nachrichten zu einem ermaessigten Preise aufzunehmen die Guete haetten. Das ist's, das ist's! Wir haben sie auch moeglichst kurz gefasst.--Bitte, moechten Sie sie einmal lesen, Herr Eigentuemer?" "Ein junges Maedchen aus angesehenem Hause, mit Lehrerinnen-Zeugnissen versehen, und mit allen Hausarbeiten vertraut, besonders musikalisch, wuenscht eine Stellung als Gouvernante, Repraesentationsdame oder Gesellschafterin. Offerten an die Expedition der Taeglichen Nachrichten unter Ch.v.O." Waehrend Herr Knoop den Inhalt studierte, fiel ihm ein, dass es seit lange seiner Tochter Margaretes hoechster Wunsch war, eine derartige Gefaehrtin zu besitzen. Infolgedessen sagte er, kurz entschlossen: "Bitten Sie doch Ihr Fraeulein Nichte, mich morgen vormittag etwa um diese Zeit hier in meinem Kontor zu besuchen. Ich kann ihr vielleicht, ohne dass wir eine Anzeige erlassen, dienlich sein! "Wenn aber nicht, so will ich Ihren Wunsch erfuellen! Ich werde die Annonce wiederholt in Zwischenraeumen ohne Kosten fuer Sie, aufnehmen." "O, sehr, sehr guetig, Herr Eigentuemer," stiess die alte Dame, gluecklich ueberrascht, heraus. "Nehmen Sie innigsten Dank! Und Ileisa wird Ihrem Wunsch genau nachkommen. Ich werde sie selbst herfuehren." "O, nein, nein! Das ist ja nicht noetig, mein Fraeulein. Was wollen Sie sich bemuehen"--fiel Herr Knoop, hoeflich bestimmt, ein und erwartete, dass die Antragstellern erfreut zustimmen wuerde. Aber es geschah nicht, es malte sich vielmehr in ihren Zuegen eine misstrauische Enttaeuschung. Auch sprach sie mit starker Betonung: "Meine Nichte macht stets nur in meiner Begleitung Besuche bei Herren. Sie ist so erzogen--" "Gut denn--gu--ut denn!" bestaetigte Herr Knoop, sich in die Wuensche der Alten fuegend, mit einem ueberlegenen Laecheln. "Wenn Sie Furcht haben, es koenne Ihrem Fraeulein Nichte etwas geschehen.--Oder--oder--jawohl--jawohl--dass es eben passender fuer eine junge Dame ist--: Voellig einverstanden! Also um zehn Uhr oder spaeter, wie es Ihnen gefaellt. Bis zwoelf Uhr bin ich in meinem Kontor!" So sprach Herr Knoop. Die Alte aber, die nichts erwidert hatte, wandte sich waehrend des Fortgehens noch einmal um, ergriff seine Hand und sagte zartfuehlend: "Verzeihen Sie, wenn ich--wenn ich--Es war ja so nicht gemeint!--Und nochmals innigsten Dank." Dann ging sie. Herr Knoop aber trat, angenehm beruehrt, und zunaechst noch im Nachdenken ueber diesen Besuch, an seinen Schreibtisch. Hier begab er sich an die Beantwortung verschiedener Geschaeftsbriefe, deren Erwiderungen er, bevor er sie in die Umschlaege steckte, auch noch auf einer auf einem Nebentisch stehenden Kopierpresse eigenhaendig abklatschte. Inzwischen war die Zeit so weit vorgerueckt, dass es von dem Turm der nahegelegenen Kirche zwoelf schlug, und fast in demselben Augenblick erschien auch schon der in seiner dunkelblauen Dienerlivree mit den silbernen Knoepfen steckende Adolf und ueberreichte Herrn Knoop mit etwas zweifelnder Miene eine Visitenkarte. "Soll ich ihm 'reinlassen oder jleich abweisen?" fuegte er, waehrend Herr Knoop diese studierte, hinzu. "Nein! Im Gegenteil! Ich werde ihm selbst oeffnen, du kannst inzwischen hinten fragen, ob etwas zu besorgen ist," erwiderte Herr Knoop und entliess den, seinen dicken, mit den beringten Ohren versehenen Kopf bewegenden Alten. Nachdem er gegangen, zog Herr Knoop das anonyme Schreiben hervor und liess es,--weil er das Gefuehl hatte, sicherlich einem sehr gewandten, nicht leicht zu durchschauenden Weltmann gegenueberstehen,--nochmals auf sich wirken. Alsdann trat er Herr von Klamm gegenueber und noetigte ihn, mit artiger Zuvorkommenheit, naeher zu treten. Herr von Klamm machte einen aeusserst vorteilhaften Eindruck. Er besass bei einem angenehm gemessenen Wesen vollendete Manieren, und verstaerkt wurde noch das sich fuer ihn in Herrn Knoop regende Interesse, als er nach Erledigung der Einleitungsworte eingehend ueber seine Absichten sprach. "Die Einrichtung Ihres Geschaefts kennen zu lernen, ist mir von doppeltem Wert, sehr verehrter Herr Knoop. Es interessiert mich an sich, und ich verbinde damit, offen gestanden, einen Zweck. "Ich moechte unter Umstaenden den Versuch machen, in einem solchen Unternehmen eine Thaetigkeit zu finden. Erlauben Sie mir, Ihnen kurz zu sagen, wer ich bin: "Mein Vater besass eine Gutsherrschaft in der Naehe von Bautzen. Diese ging nach seinem Tode in den Besitz meiner Mutter ueber, die aus den Ertraegnissen eines aus der Verwertung desselben hervorgegangenen Vermoegens existiert. "Ich wurde als junger Mensch von meinen Eltern in die Kadettenanstalt in Dresden gethan, und bin sodann in Wien in oesterreichische Militaerdienste getreten. Nachdem ich wegen einer Meinungsverschiedenheit mit meinem Vorgesetzten den Abschied genommen, war ich in gleicher Eigenschaft als Soldat einige Jahre im Ausland und habe mich, von dort zurueckgekehrt, in den grossen europaeischen Staedten auf verschiedenen, mich interessierenden Gebieten, namentlich auch schriftstellerisch und journalistisch versucht, und bin endlich, nach laengerem Aufenthalt in Wien und Dresden, hier seit reichlich einem Jahre in dem mich besonders anziehenden Berlin gestrandet. "Gewiss, ich begreife, dass man Persoenlichkeiten, die haeufig in ihren Lebensbeschaeftigungen wechseln, ein gewisses Misstrauen entgegentraegt. Indessen hat mich stets ein ausgepraegter Sinn fuer alles Wissenswerte geleitet, und ganz besondere Umstaende fuehrten die eingetretenen Ortsveraenderungen herbei. "Auch darf ich der Wahrheit gemaess behaupten, dass ich, war ich auch einmal leichtlebig, in allen ernsten und Ehrensachen stets aeusserst genau verfahren habe. "Letzteres erwaehne ich, weil ich Sie gegebenen Falles zu fragen mir erlauben moechte, ob Sie mir nicht eine Thaetigkeit in Ihrem vielverzweigten Geschaeft anweisen koennten. "Ich fuehre--ich darf es behaupten--eine gewandte Feder! "Und noch eins gleich! Sie haben vielleicht ein anonymes Schreiben erhalten! Ich bitte, dass Sie mich es lesen lassen, um die Verleumdungen zu widerlegen." Herr Knoop hatte, wie erwaehnt, dieser inhaltreichen, in einem ausserordentlich freimuetigen Ton vorgetragenen Rede unter den vorteilhaftesten Eindruecken zugehoert. Als Herr von Klamm aber den letzten Satz sprach, meldete sich ein gewisses Misstrauen. Sicher! Keiner, der Beste,--so ueberlegte Herr Knoop--konnte sich vor Verdaechtigungen schuetzen, aber die Wirkung solcher konnte auf andere niemals eine guenstige sein! Im uebrigen entsprach er dem Wunsch, den Baron Klamm geaeussert hatte. Waehrend Baron Klamm das Schreiben pruefte, trat ein veraechtlicher Ausdruck in sein Antlitz. Dann sagte er, waehrend er den Brief Herrn Knoop mit kavaliermaessiger Artigkeit wieder ueberreichte: "Ich danke Ihnen, und ich bitte, dass Sie die immer gleichlautende Niedertraechtigkeit in den Ofen werfen. Und hier!" fuhr er fort, zog ein Schriftstueck aus der Tasche und unterbreitete es Herrn Knoop. "Ich bitte freundlichst, dass Sie dies Ihrer Beachtung wuerdigen." Herr Knoop nahm das ihm Gebotene, entfaltete es und las die nachstehenden Worte: "Herr Alfred, Baron von Klamm-Gleichen, war, nachdem er den ueberseeischen Dienst verlassen hatte, waehrend einer laengeren Zeit mein Privatsekretaer. Als solcher hat er sich seiner Aufgaben in vorzueglichster Weise entledigt, und kann ich Herrn von Klamm als eine durchaus vertrauenswuerdige, in jeder Beziehung tadellose Persoenlichkeit aufs Waermste empfehlen. Meine besten Wuensche fuer sein Wohlergehen begleiten ihn. Fuerst Alexander von Kroy." "Und weshalb trennten Sie sich von dem Fuersten, wenn die Frage erlaubt ist, Herr Baron?" warf Herr Knoop hin, waehrend er mit einer verbindlichen Geste das Schriftstueck in die Haende Herrn von Klamms zuruecklegte. "Ich wuenschte den Fuersten zu verlassen, weil ich mich verlobt und den Besitz meiner Braut mit Zustimmung meiner Schwiegereltern selbst zu verwalten die Absicht hatte." "Hm.--Und das hat sich nicht nach Ihren Voraussetzungen vollzogen?" "Nein! Meine Braut starb kurz vor der Hochzeit. Inzwischen war die Stellung anderweitig besetzt, und ueberdies--ich habe mich neuerdings wieder verlobt, und warte nur des Augenblicks, heiraten zu koennen--passte dann das alles nicht mehr zusammen." Herr Knoop bewegte nach diesen Worten den Kopf mit der Miene einer Person, die einer Rede mit grossem Interesse zugehoert hat und sich durch ihren Inhalt durchaus befriedigt fuehlt. Dann sagte er: "Glauben Sie zu wissen, wenn ich fragen darf, wer den anonymen Brief geschrieben hat, Herr Baron? Ich komme darauf zurueck, weil Sie das Eintreffen eines solchen schon voraussetzten!" "Gewiss! Allerdings, Herr Knoop! Ich vermute, dass die Urheberin dieser und aehnlicher Verdaechtigungen, mit denen ich seit Jahresfrist verfolgt werde, eine jetzt in Dresden lebende Dame der vornehmen Gesellschaft ist, der ich den Hof machte, von der ich mich aber zurueckzog, weil ich ihren Charakter zur rechten Zeit durchschaute. Seitdem uebt sie diese Infamien gegen mich mit einer vollendeten Geschicklichkeit aus, weiss mich, wo ich mich befinde, mit ihren Kundschaftern zu umstellen, und Personen, zu denen ich in Beziehung trat oder treten will, vor mir zu warnen." "Hm! So! Das ist ja eine sehr fatale Sache. Und dann noch gegen solche Bosheiten wehrlos zu sein! Ich bedaure Sie aufrichtig, Herr von Klamm. Das muss ja eine ganz miserable Person sein, die fortgesetzt an einem Nebenmenschen--es sei vorgefallen was will--derart Rache uebt. Ich habe kein Verstaendnis fuer solche Charaktere--" "Und doch sind sie weit verbreiteter, als man glaubt. Man begreift bisweilen nicht, weshalb Personen ploetzlich eine andere Haltung annehmen. Man schiebt ihnen, wenn keine Erklaerungen erfolgen, Launen zu. In Wirklichkeit hat irgend ein Missguenstiger ein Minierwerk begonnen, und mit Erfolg!--Ich bin ueberzeugt, dass es Leute giebt, die aus purem Neid jahraus, jahrein, ohne Aufhoeren taeglich an der Untergrabung des Ansehens anderer arbeiten, die sich dabei noch weit raffinierterer Mittel bedienen, als meine einstige Freundin. So geschickt auch solche anonymen Briefe abgefasst sind, der vornehm und der einsichtsvoll Urteilende wird sie stets als ein Produkt niedriger Motive betrachten, und sie in die Rumpelkammer werfen." Herr Knoop pflichtete wiederum durch eine Kopfbewegung bei, dann sagte er: "Und Ihr Fraeulein Braut, Herr Baron? Sie lebt auch in Dresden?" "Ja, Herr Knoop! Sie bleibt dort, bis wir heiraten koennen--" "Nun, jedenfalls bitte ich, meine beste Gratulation entgegen zu nehmen, Herr von Klamm. Im uebrigen! Wenn es Ihnen jetzt gefaellig ist, mit mir einen Gang durch mein Geschaeft anzutreten? Nachdem konveniert Ihnen vielleicht ein kleines Fruehstueck bei uns! Meine Frau und Tochter werden sich ueber Ihren Besuch sehr freuen." Baron von Klamm verbeugte sich mit kavaliermaessiger Hoeflichkeit. "Ich danke verbindlichst, Herr Knoop. Sie kommen meinen Wuenschen zuvor! Ich wollte soeben auch diese Verguenstigung von Ihnen erbitten--" Zunaechst betraten die Herren das Vorzimmer. Von dort nahmen sie den Weg in die Setzersaele, und zwar zuerst in diejenigen, in welchen die taeglich in einer sehr starken Auflage erscheinende Tageszeitung hergestellt wurde. Zahlreiche Arbeiter standen an Pulten mit kleinen Kaesten. Herr von Klamm war erstaunt, mit welcher Fingerfertigkeit die Leute arbeiteten, wie einige eifrig, ohne aufzusehen, oder wie andere, noch Geschultere, gleichsam spielend, ihre Thaetigkeit ausuebten. Ferner ueberraschte ihn, wie geschickt und exakt die Metteure, diejenigen, die den fertigen Satz fuer die Druckpressen vorbereiteten, ihr Werk handhabten. Zwischen ihnen durch wandelte der Faktor, der Anweisungen erteilte, den Setzern ein neues Manuskript ueberwies, oder, an sein Pult zurueckkehrend, das durch kleine Boten eben aus der Redaktion herbeigebrachte Material zu gleichen Zwecken vorzubereiten begann. Das war ein Bild emsigen Arbeitsfleisses! "Im uebrigen fuer die Beschaeftigten ein sehr undankbares Geschaeft, von aller menschlichen Thaetigkeit das undankbarste!" eroerterte Herr Knoop, waehrend sie die oben belegenen, teils dem Zeitungssatz, teils den Accidenzarbeiten dienenden Saele betraten. "Sobald das von den Setzern muehsam gefoerderte Werk seine Bestimmung in den Maschinen erfuellt hat, wird es wieder zerstoert. Die Buchstaben erhalten von neuem ihren Platz in den Schriftkaesten, und von neuem beginnt, was am Abend abermals aufgeloest wird." "Und so fort und so fort, bis die Lettern durch den Druck der Maschinen so abgenutzt sind, dass sie keine genuegenden Dienste mehr leisten koennen. "Der Maschinist," ergaenzte Herr Knoop, als sie nach geraumer Zeit vermittelst Fahrstuhl zur Besichtigung der Druckpressen die Souterrainraeume erreicht und betreten hatten--"hat geholfen, etwas Bleibendes herzustellen. Das Ergebnis seiner Arbeitsmuehen hat Bestand, oft Jahrhunderte lang. Der Setzer ist--obschon ein weit groesserer Kuenstler--lediglich ein Handlanger." Baron Klamm fragte, weshalb eine Anzahl Maschinen still staenden, waehrend sich andere von dem schnurrenden Geraeusch der Transmissionsriemen begleitet, und von Bogenfaengerinnen bedient, in unruhiger Bewegung befanden. "Die ausser Thaetigkeit gesetzten Maschinen warten der Arbeit fuer die Zeitung; diese hier drucken komplizierteren Satz," erwiderte Herr Knoop, und noetigte nunmehr seinen Besuch aus den von dem Geruch des Maschinenoels und der Druckerschwaerze erfuellten Raeumen in den Papierlagerkeller einzutreten. Endlich durchschritten die Herren auch noch die Gelasse der Buchbinderei und der Stereotypie, bis sie dann wieder in die Parterrelokalitaeten gelangten und sich nach einem Besuch in den Redaktionsgemaechern und Kontoren, in denen ebenfalls ein zahlreiches Personal emsig bei der Arbeit war, in die Familienwohnung begaben. "Wie viele Menschen beschaeftigen Sie, Herr Knoop?" fragte Baron Klamm, der seiner Bewunderung ueber dieses grossartige Raederwerk und ueber die ueberall herrschende Strenge Ordnung Ausdruck verlieh. "Zweihundertundachtzig Personen erhalten Wochen- oder Monatslohn im Jahr bei mir!" erwiderte Herr Knoop, loeste die Brille von den Augen, bewegte, waehrend er Antwort erteilte und mit einem seidenen Tuch die Glaeser wischte, mit einem Ausdruck berechtigter Selbstbefriedigung das Haupt. "Und ich habe alles selbst geschaffen," ergaenzte er. "Mit Kleinem habe ich begonnen. Das ist mein Stolz! Gewiss! Es giebt noch umfangreichere Etablissements, aber dies ist auch etwas!" Und nach kurzer Pause fuhr er fort: "Ich habe auch eine Idee, wie ich Ihnen--wenn es wirklich in der That in Ihrer Absicht liegt--eine Thaetigkeit anbieten koennte, Herr von Klamm. Allerdings muessten Sie sich in den Geschaeftsrahmen hineinfuegen, wie jeder andere!" Die Rede wurde unterbrochen, weil Frau Knoop mit lebhaft zuvorkommender Miene ins Zimmer trat, und nun die Vorstellung erfolgte. Gleich darauf erschien auch Margarete, ein bruenettes junges Maedchen, mit etwas buergerlichen Zuegen, aber schoenen, sogar blendenden Farben, vollendetem Wuchs, und mit einer angenehm wirkenden freimuetigen Lebendigkeit. Nach kurzem Plaudern traten sie in den Speisesalon, in dem ein blitzend sauberer Fruehstueckstisch mit aeusserst einladenden Gerichten gedeckt war. Neben Portwein, Thee und kraeftigen Bieren, praesentierte das Hausmaedchen auch Champagner, dem Baron Klamm kraeftig zusprach, waehrend sich Herr Knoop auf ein sehr kleines Quantum beschraenkte, und die Damen ueberhaupt auf Wein verzichteten. "Auf Ihr und auf das Wohl Ihres Fraeulein Braut," begann Herr Knoop, ergriff das Glas, und stiess mit dem Baron an. Er sah wohl, dass Margarete aufmerkte, und dass auch seine Frau ueberrascht wurde. Nach Aufhebung der Tafel, und nach allerlei anregenden Gespraechen, die Klamm mit Margarete fuehrte, fuer die er ein lebhaftes Interesse an den Tag legte, begleitete Herr Knoop den Gast auf die Strasse. Er machte ohnehin stets um diese Zeit einen Spaziergang und besuchte eine Weinstube. Dies letzte Zusammensein benutzte Herr Knoop, um Herrn von Klamm mit den fuer ihn in Betracht gezogenen Plaenen bekannt zu machen. "Ueberlegen Sie," warf er hin, "ob Sie Lust und Neigung haben wuerden, in die Redaktion einzutreten, um fuer eine von mir neu zu errichtende Rubrik: "Hof und Gesellschaft" Thaetigkeit und Verantwortung zu uebernehmen. "Sie muessten--ich wuerde Sie dazu in den Stand setzen--an all dergleichen Veranstaltungen teilnehmen, in Klubs eintreten, Festlichkeiten besuchen, Personalien ueber besonders hervorragende Persoenlichkeiten zu erlangen suchen, und das alles in einer anziehenden Form in die Taeglichen Nachrichten bringen." Zu Herrn Knoops Enttaeuschung stimmte Baron Klamm nicht so lebhaft zu, wie er erwartet hatte. "Sehr vortrefflich--sehr dankbar, Herr Knoop. Ich verkenne Ihre guetigen Absichten fuer mich keineswegs. Ich bin Ihnen ausserordentlich verbunden. "Aber wenn ich ganz offen sein darf:--ich moechte am liebsten eine Kontorthaetigkeit ausueben, in der mir die Aufgabe wuerde, fuer die immer noch groessere Ausdehnung des Geschaeftes zu wirken, die Auflage der Zeitung und die Anzeigen zu vermehren, Verbindungen anknuepfen, die der Druckerei Auftraege zufuehren, und insofern auch der Redaktion in die Hand arbeiten, als ich ihr die Thueren zu den Ministerien und hoeheren Behoerden oeffnen helfe. "Einblicke in das Getriebe eines Geschaefts, wie das Ihrige, habe ich naemlich schon empfangen. Eben daraus ist der Wunsch in mir rege geworden, mich in Zukunft vorzugsweise auf diesem Gebiet zu versuchen." So sprach Herr von Klamm, und Herr Knoop, fuer den dieses Mitglied des Adels ploetzlich in ein voellig anderes Licht gerueckt wurde, erhob nicht ohne starke Beifaelligkeit das Haupt. "Hm--hm--so--so! Das sind Ihre Plaene, Herr von Klamm. Gewiss, auch das laesst sich hoeren. Freilich, etwas draengt sich mir dabei auf. Sie glauben, dass Sie sich in all diese, Ihnen doch in der Praxis noch fremden Dinge wuerden hineinarbeiten koennen? "Gewiss, gewiss! Das ist ja auch zu machen, und wenn die Saat gut war, weshalb sollte nicht kraeftiger Weizen aufgehen? Es ist aber noch ein Umstand da! Mein Sohn ist draussen, um sich noch in unserm Geschaeft weiter zu bilden. Nach uebersehbarer Frist wird er zurueckkehren. Dann sollte ihm eben das obliegen, was Sie im Auge haben.--Ich bin also grade bezueglich einer solchen Thaetigkeit, wie Sie sie planen, in Zukunft versehen! "Sie verstehen.--Hier liegt eine Schwierigkeit, Ihren Absichten Vorschub zu leisten, schon von vorneherein!" "Ich glaube nicht, Herr Knoop," fiel Klamm mit imponierender Entschiedenheit ein. "In einem Geschaeft, wie das Ihrige, koennen Sie ein halbes Dutzend Leute gebrauchen, wie Ihr Herr Sohn einer ist, und wie ich es hoffentlich mit Ihrer Unterstuetzung sein werde! Warum wollen Sie nicht ein Geschaeft in allergroesstem Stil aufbauen? Sie wollen doch nicht stehen bleiben! Fuer jede Abteilung denke ich mir, muesste eine Persoenlichkeit thaetig sein, die, mit einem besonderen Mass von Intelligenz und Machtvollkommenheit ausgeruestet, sich eben diesem Geschaeftszweig mit besonderer Energie widmet! Die Mehrkosten wuerden sich nicht gleich, aber mit der Zeit sicher einbringen." "Den Wert Ihrer Ausfuehrungen verkenne ich nicht," entgegnete Herr Knoop. "Aber Sie urteilen und ziehen Ihre Schluesse zu sehr auf Grund von Vorstellungen. Alle Geschaefte setzen sich mehr oder minder aus Kleinwerk zusammen. Fuer jeden Erfolg sind ausnahmslos Abgaben zu entrichten. Geschaeftsausdehnungen muessen sich langsam vollziehen! Man muss die Betriebskapitalien pruefen, man hat in Kreditgewaehrung mit Vorsicht zu verfahren! Ohne solche giebt's keine Kundschaft.--Man darf nichts beginnen, wobei man Gefahr laeuft, die Kraefte und den Ueberblick zu verlieren. "Langsam, bedaechtig nimmt der Gebirgsbote taeglich seine Tagestouren. Wollte er sie laufen, wuerde er bald zusammenbrechen!" Die Herren waren bei ihrem Gespraech vom Wege ganz abgekommen. Sie befanden sich, ohne darauf geachtet zu haben, im Tiergarten und hielten nun, aufschauend, still, und wanderten, auch ferner denselben Gegenstand eroerternd, auf dem naemlichen Pfade in die innere Stadt zurueck. Erst beim Wrangelbrunnen trennten sie sich, nachdem vorher noch fuer einen der naechsten Tage eine neue Zusammenkunft verabredet worden war, mit warmem Haendedruck. Herr Knoop begab sich in die Behrenstrasse, in eine von ihm taeglich besuchte Weinstube, und Herr von Klamm fuhr mit der Pferdebahn nach der Bellealliancestrasse. Hier befand sich ein alter, hochstoeckiger Bau, der von mehreren Parteien bewohnt wurde, und diesen betrat Herr von Klamm. Zur Rechten, im Fluegel, drei Treppen hoch, zog er an einer Klingel, und nach kurzen Worten wurde ihm von einer gebueckten, trotz einfacher Kleidung sehr vornehm aussehenden Dame geoeffnet. "Ach du, mein lieber Junge," stiess sie in gluecklich gehobenem Ton heraus und schritt ihm in ein zweifenstriges, mit sauberen Mietmoebeln besetztes Wohnzimmer voran. Nachdem Klamm seiner Mutter Wange sanft gestreichelt hatte, und sie sich beide gesetzt hatten, sagte er auf ihre stark belebte Frage: "Nun? Nun? Wie ist's ausgefallen, Alfred? Du kommet doch von Herrn Koop?" "Knoop, Mama--nicht Koop," berichtigte Klamm. "Es verlief alles gut, aber ich bin doch mit mir sehr unzufrieden. Ich habe eine Unwahrheit gesagt, die ich vielleicht--haette vermeiden koennen. Ich schaeme mich, dass es geschehen ist. Was bleibt von dem Menschen, wenn er sich zur Erreichung seiner Zwecke inkorrekter Mittel bedient!" "Was ist's denn, Alfred! Lasse mich alles wissen! Vielleicht kannst du noch wieder gut machen," fiel die alte Dame, liebevoll sprechend, ein. "Ich tastete hin, ob nicht auch Herr Knoop moeglicherweise den ueblichen Verleumdungsbrief von Frau von Kraetz erhalten habe." "Es war der Fall! Sie hat ihn geschrieben! Er liess mich das immer gleichlautende Schriftstueck lesen. "Und gleich entging mir nicht, dass sich ein starkes Vorurteil gegen meine Person in ihm bereits festgesetzt hatte." "Er nahm an, dass ich ein blosser Abenteurer sei, der sich in sein Haus eindraengen wolle, um seine Tochter zu heiraten. Da griff ich zu dem Mittel, das ihn von vornherein eines anderen belehrte, warf hin, dass ich verlobt waere, und gab ihm auch den Eindruck, dass wir wohlsituiert seien." "Im Nu veraenderte das die Sachlage. So glaubte er mir! So war ich im stande, das durch das Schreiben hervorgerufene Misstrauen zu zerstreuen." "Ich war gezwungen, so zu handeln! Es hilft doch nichts! Ich muss vorwaerts, ich muss etwas finden, wenn wir nicht in schwerste Not geraten sollen!" Klamm liess, nachdem er gesprochen hatte, unwillkuerlich das Haupt sinken und schaute truebe vor sich hin. Die alte Frau aber ueberkam ebenfalls ein Gefuehl der Bedrueckung. "Erzaehle weiter, Alfred!" hub sie dann, sich fassend, an. Klamm that ihr Bescheid. Er berichtete ueber alles, was vorgefallen war, und schloss: "Ich bin ueberzeugt, dass ich eine Stellung bei Herrn Knoop erhalte. Die Frage ist nur, wie lange ich ohne Entgelt arbeiten muss. Woher sollen wir fuer die naechsten Wochen die Mittel nehmen? "Ah!" fuhr er beschwert fort, schnellte empor und mass das Gemach mit Schritten, die seine Erregung bekundeten. "Wenn ich die Schurken, die uns um alles betrogen haben, aber auch die Person, die mich mit ihrem Hass verfolgt, mich dadurch bisher an meinen Erfolgen gehindert hat,--hier haette, ich koennte ihnen die Seele aus dem Leibe reissen. "Da muss man fortwaehrend Komoedie spielen, und sogar zu Unwahrheiten die Zuflucht nehmen, um sich nur zu schuetzen, um blos eine Existenz zu finden!" "Beruhige dich, lieber Alfred, du kannst spaeter erklaeren, dass uns gewissenlose Menschen um unser Vermoegen gebracht haben, dass die Verlobung zurueckgegangen sei.--Der Himmel wird's dir nicht anrechnen!" "Ja, ich kann's, und ich hoffe auf seine Nachsicht, aber ich werde es, wenn auch alles gut verlaeuft, schwer ueberwinden, mich mit einer Unwahrheit eingefuehrt zu haben. Ich schaeme mich vor mir selbst. Es liegt wie ein Makel auf mir!" "Es giebt groessere Vergehen, mein Junge! Mehr werden taeglich Unwahrheiten gesprochen, als sich Riegel auf den Daechern befinden, und die Welt hebt sich doch nicht aus den Angeln. "Dich entlasten die Umstaende: du handelst im Zwang--um den Wirkungen einer Infamie zu begegnen. Giebt's denn gar kein Mittel, Frau von Kraetz zu besaenftigen! Das heisst, wenn sie es wirklich ist. Haeltst du es fuer ausgemacht, dass sie die Briefschreiberin?" "Wer koennte es sonst sein, Mama. Alles deutet darauf hin. Sie hat es mir nicht verziehen, dass ich mich noch kurz vor der Verlobung mit ihr besonnen. Sie raecht sich mit der Unversoehnlichkeit einer Frau, und scheut selbst solche Mittel der Vergeltung nicht. Natuerlich, absolute Beweise habe ich fuer meine Annahme nicht. Wenn ich die haette, wuerde ich schon lange gehandelt haben. Und eben, ihr nicht beikommen zu koennen, ist das schlimmste von allem Unglueck." Klamm ballte die Haende, und seine Augen funkelten. Noch einmal sprach die erfahrene Frau besaenftigend auf ihren Sohn ein. Dann sagte sie: "Noch etwas, Alfred! Ich habe noch die Ringe und den Schmuck von meiner Mutter. Nimm heute alles mit und veraeussere es. Das giebt uns Lebensunterhalt fuer die naechste Zeit! "Du kannst dann auch deine Hotelwohnung beibehalten und dich in der Gesellschaft bewegen, bis dir deine Plaene bei Herrn Knoop gelingen." "Wie? Du bist noch in Besitz von Schmuck, Mama!? Das ist ja eine ausrichtende Nachricht--du sagtest es mir nicht." "Ich that's nicht, um dir's vorzuenthalten, sondern fuer den alleraeussersten Fall." Sie sprach's mit liebevollem Blick, und er kuesste sie. Dann besah er den Inhalt des kleinen Kaestchens, das sie aus der Kommode hervorholte. Bevor Klamm von seiner Mutter Abschied nahm, sagte sie: "Es ist eigentlich verkehrt, dass wir nicht zusammen wohnen, Alfred. Koenntest du nicht ein Logis fuer uns beide dort mieten? Hier unter diesen Menschen ist's nicht angenehm! Meine Wirtin ist neugierig und zudringlich, die uebrige Umgebung stoesst mich sehr ab." "Ich nahm nur erstmal, was sich bot, Mama. Alle Wohnungen in den besseren Vierteln kosten das Dreifache." "Ich blieb nur im Hotel, weil ich dem Wirt noch verschuldet bin.--Ich musste und muss dort vorlaeufig wohnen! Ich will indessen heute mit dem Besitzer sprechen. Vielleicht laesst sich deine Uebersiedelung machen. Ich wuerde nur zu gluecklich sein, dich bei mir zu haben. Vielleicht gelingen auch meine Plaene bei Herrn Knoop rascher, als ich annehme. Habe ich erst ein festes Einkommen, miete ich fuer uns eine Wohnung im Westen. "Ach, Mama--waere ich erst so weit, wie anders wuerde mir zu Mute sein!" Nach diesen Worten schlang der Mann seinen Arm um die Gestalt der zartgebauten Dame, versprach am folgenden Tage wiederzukommen und stieg eilend die Treppe herab. * * * * * Als am folgenden Vormittag Fraeulein von Oderkranz mit ihrer Nichte im Vorraum des Privatkontors des Herrn Knoop eintrat, glich dieses, bezueglich der Fuelle der Wartenden, dem Sprechzimmer eines vielbeschaeftigten Arztes. Alle Plaetze waren besetzt, und Adolf musste Sessel aus dem Hauptkontor holen, damit wenigstens die Damen nicht zu stehen brauchten. Als sie nach einstuendigem Warten endlich vorgelassen wurden, entschuldigte sich Herr Knoop, seiner Art nach, mit kurzen, knappen Worten, und die Unterredung nahm auch bald die Wendung, dass er der jungen Dame seine Absicht aussprach, sie fuer seine Tochter Margarete zu verpflichten. "Natuerlich setze ich voraus, dass Sie sich gegenseitig gefallen, und um dieses festzustellen, erlaube ich mir den Vorschlag, dass Sie uns den heutigen Tag schenken. Am Abend lasse ich Sie dann in meinem Wagen nach Hause fahren," schloss der Chef des Hauses. Nach diesen Worten richtete Herr Knoop einen auffordernden Blick auf die beiden Damen, dem Fraeulein Ileisa auch mit gehobener Miene begegnete, waehrend bei ihrer Tante eine deutliche Enttaeuschung darueber hervortrat, dass nicht auch an sie eine solche Einladung gerichtet wurde. Wenigstens deutete Herr Knoop in solcher Weise den sproeden Ausdruck in den Gesichtszuegen des Fraeulein von Oderkranz. Es draengte sich ihm auch gleich der Gedanke auf, dass die alte Dame moeglicherweise spaeter mit allerlei sehr wenig bequemen Anspruechen laestig fallen koenne, und er nahm deshalb gleich das Wort und sagte: "Ich hoffe, mein Fraeulein, dass Sie meinem Vorschlag zustimmen. Ueberhaupt darf ich gleich bemerken, dass ich bei einem Inkrafttreten unserer Plaene voraussetzen muss, dass unsere kuenftige Hausgenossin ihre bisherigen Beziehungen in dem Sinne loest, dass sie lediglich zu uns haelt. Mit ihrem Eintritt in unser Haus haben wir nur mehr mit ihr zu thun. Natuerlich schliesst das gelegentliche Besuche bei Ihnen nicht aus!" Diese Rede war so deutlich und enttaeuschend, dass Fraeulein von Oderkranz zunaechst erbleichte und unwillkuerlich die Augen schloss. Dennoch fasste sie sich ebenso rasch wieder, wusste sich sogar durch ihre Worte und eine seine steife Wuerde das Uebergewicht zu verschaffen und sagte: "Da ich Mutterstelle bei Ileisa vertrete, hatte ich nur den wohl begreiflichen Wunsch, mich Ihren verehrten Damen vorzustellen. Einen weiteren Anspruch habe ich nicht erhoben, und werde ich nicht erheben, Herr Knoop! Sie duerfen darueber voellig beruhigt sein!" "Vortrefflich, vortrefflich! Also ganz einig!" entgegnete Herr Knoop, wiederum seinerseits in einem Ton, als ob er ihre gereizte Stimmung und die Lehre, die sie ihm hatte erteilen wollen, garnicht herausgefuehlt habe. Ileisa aber fiel ausgleichend ein: "Ich werde heute gleich fragen, liebe Tante, wann den Damen dein Besuch angenehm ist. Der guetigen Aufforderung des Herrn Knoop folge ich natuerlich mit groesstem Dank!" Auf diese Rede nickte das Fraeulein notgedrungen. Auch knoepfte sie ihren unmodischen Mantel zusammen, trat Herrn Knoop naeher und sagte: "Ja, den allergroessten Dank schulden wir Ihnen, Herr Knoop, dass Sie selbst meiner Nichte zur Erlangung einer Stellung die Hand bieten wollen. "Lassen Sie mich denn hoffen, dass sich alles nach gegenseitigen Wuenschen vollziehen moege, und empfehlen Sie mich, ich bitte, einstweilen Ihren verehrten Damen!" Nach diesen in einem zwar gezwungenen, aber vollendet hoeflichen Tone gesprochenen Worten, reichte sie Herrn Knoop die Hand, drueckte sodann Ileisa die Rechte und entfernte sich. Ileisa aber sagte, nachdem die alte Dame gegangen war: "Meine Tante ist etwas empfindlich, Herr Knoop. Sehen Sie es ihr, ich bitte, nach. Sie lebte frueher in so reichlichen Verhaeltnissen, dass ihr die Einfuegung in andere, leider jetzt sehr beschraenkte, ausserordentlich schwer wird. Im Grunde ist sie eine vornehme, wahrhaft edeldenkende Natur." "Habe ich auch so aufgefasst!" bestaetigte Herr Knoop in einem derb gemuetlichen Ton, und von Ileisas Wesen angenehm beruehrt. Auch bat er sie dann gleich, mit ihm in die Wohnung zu treten, und machte sie dort mit seinen Damen bekannt. * * * * * Sechs Monate waren vergangen. Fraeulein von Oderkranz befand sich als Gesellschafterin im Knoopschen Hause. Aber auch Herr von Klamm war ein Mitglied des Knoopschen Geschaeftes geworden. Er schrieb Zeitungsartikel, fuer die er die Faehigkeit in sich fuehlte, und uebte nach anderer Richtung eine Thaetigkeit au, die dem Unternehmen nutzbringend war.--Der Kontrakt, der zwischen ihm und Herrn Knoop abgeschlossen, besass nur zwei Paragraphen: "Herr von Klamm tritt vom heutigen Tage mit einem Monatsgehalt von 450 Mark und unter gegenseitiger vierteljaehrlicher Kuendigung zunaechst probeweise in das Geschaeft des Herrn Friedrich Knoop in Berlin, ein. Genannter uebernimmt fortan einen zwischen ihnen festgestellten Teil der Theater-, Konzert- und Kunstkritiken, und wird eventuell auch unter der Zustimmung des Herrn Chefredakteurs, Doktor Strantz, andere in den Rahmen der Taeglichen Nachrichten passende Beitraege liefern. Zur Vorbereitung einer gleichzeitig in Aussicht genommenen geschaeftlichen Thaetigkeit wird sich Herr von Klamm mit den uebrigen Zweigen des Unternehmens bekannt machen und schon jetzt bemueht sein, der Firma Verbindungen zuzufuehren." Ausserordentlich ueberrascht war Herr Knoop von dem Ideenreichtum seines Mitarbeiters, nachdem sich dieser in das Geschaeft eingearbeitet hatte. Bald regte er an, dass man sich um eine Druckarbeit in den Ministerien, bald um eine solche bei grossen Instituten und angesehenen Geschaeften bewerbe. Auch wies er auf auswaertige Firmen hin, denen man feste Kontrakte bezueglich der Aufnahme von staendigen Inseraten fuer die Taeglichen Nachrichten anbieten solle. Wenn irgendwo ein neues Unternehmen ins Leben trat, sann er sofort darueber nach, ob dieses nicht irgend einen von der Druckerei zu befriedigenden Bedarf haben koenne. Auch trieb er die Redaktion an, Fuehlung mit den bedeutenden Tagespersoenlichkeiten zu suchen, um durch eine Verbindung mit ihnen den Taeglichen Nachrichten fortdauernd interessanten Stoff zuzufuehren. Arbeitskraft und unermuedliche Regsamkeit reichten sich die Hand. Er war gegenwaertig die Triebfeder im Geschaeft. Bald hier, bald dort hielt er Ruecksprache, und immer wusste er bisher die ihm weniger Wohlgesinnten durch sein gewandtes Wesen gefuegiger zu machen. Weniger ihm Wohlgesinnte waren bereits recht viele vorhanden. Teils wirkte der Aerger, dass ein bisher so gering Eingeweihter und Erfahrener so Tuechtiges leistete, bald machte sich ein sehr starker Neid geltend. Es stieg die unruhige Befuerchtung in dem Personal auf, dass Klamm bald da sitzen oder dort ein anderer sitzen werde, wo der Betreffende selbst bisher sein unbeschraenktes Herrschertum ausgeuebt hatte. Der Chefredakteur, Doktor Strantz, sowie der erste Disponent im Hauptkontor und der Geschaeftsfuehrer in der Expeditionsabteilung waren schon, ohne dass sie noch die Maske geluestet hatten, seine erklaerten Gegner. Immer wieder regte sich bei ihnen die Ueberlegung, wie es eigentlich moeglich sei, dass ein frueherer Offizier, dass dieses in der Welt hin und her verschlagene Mitglied der Gesellschaft, dass dieser mit geschaeftlichen Dingen doch bisher nur sehr oberflaechlich vertraute Lebemann eine solche intelligente Regsamkeit, solche Umsicht, und ueberdies eine solche Gleichgueltigkeit gegen seine bisherigen gesellschaftlichen Beziehungen zum Ausdruck brachte. Aber sie zogen aus diesen Umstaenden nicht den Schluss, dass es eben Ausnahmen giebt, dass tuechtige Menschen sich energisch aufzuraffen vermoegen, dass sie das kraeftig abthun, was sich ihnen nur durch die Verhaeltnisse aufgedraengt hat, sondern sie suchten nach irgend einem unlauteren Grunde. Bei Gelegenheit einer monatlich einmal stattfindenden Zusammenkunft der Redaktions- und Geschaeftsmitglieder wusste der Chefredakteur, Doktor Strantz, ein Mann mit einem ungewoehnlich hageren Gesicht und langem Vollbart, bereits das Allerneueste zu berichten, dass naemlich schon ein fester Kontrakt zwischen Herrn Knoop und Klamm zu stande gekommen sei. Demzufolge solle Klamm nicht nur Stellvertreter des Chefs werden, sondern auch die Hauptzuegel in der Redaktion in die Hand bekommen. Ihrer aller Stellung sei gefaehrdet, seitdem dieser Herr in das Geschaeft eingetreten sei. In dem Hinterzimmer eines mit alten, guten Bildern geschmueckten Bierlokals in der Kronenstrasse sassen sie beisammen, und von kaum etwas anderem wurde geredet, als ueber Herrn von Klamm. "Was er wohl sonst treibe?" warf einer der Herren, ein Herr Krammhoever, nach solchen laengeren, stark missfaelligen und abfaelligen Aeusserungen hin. "Er waere ihm," bemerkte er, "schon zweimal abends nachgegangen. Da sei er in ein Haus in der Kurfuerstenstrasse eingetreten. Er, Krammhoever, habe durch die grossen Spiegelscheiben der Haus- und Hinterthuer beobachtet, dass Klamm in eine Gartenwohnung hinaufgestiegen sei. Ob er aber dort logiere oder eine 'Freundin' besitze, wisse er nicht." Darauf hatte keiner etwas zu sagen, aber die Rede gefiel. Niemandem war bekannt, wo Klamm wohnte. Ueberhaupt hielt er sich nicht mit Reden, und noch weniger mit Offenherzigkeiten auf. Er kam, griff gleich ein, arbeitete oder machte Besuche, und blieb als letzter abends im Geschaeft. "Ob er wohl bei Knoops im Hause verkehre?" Darauf konnte Doktor Strantz antworten. "Und ob! Es sei in den naechsten Tagen beim Chef wieder ein Ball, und er, Strantz, habe von Adolf gehoert, dass Klamm den Tanz leiten und ueberhaupt dort alles in die Hand nehmen solle." "Und Sie sind nicht eingeladen?" Strantz zog abfaellig die Lippen. "Ja, natuerlich! Habe aber abgelehnt; bin kein Freund von derartigen grossen Abfuetterungen!" warf er hin, und weckte durch diese, seiner Eitelkeit entspringende Antwort (er hatte keine Aufforderung erhalten) einen natuerlichen Neid bei den fuenf uebrigen Mitgliedern der Redaktion. Die Geschaefts-Disponenten wurden ueberhaupt zu solchen Vergnuegungen nicht geladen. Sie erhielten Aufforderungen zu kleinen Mittagessen, woselbst sie Gleichgestellte fanden, und bei denen es dann sehr gemuetlich herging.-- Waehrend in solcher Weise ueber Klamm in dem Wirtshaus "Zur gemuetlichen Ecke" verhandelt wurde, sassen die Knoopschen Familienmitglieder beim Abendbrot und unterhielten sich gleichfalls ueber dieselbe Persoenlichkeit. Wie immer erging sich Herr Knoop in ein uneingeschraenktes Lob ueber ihn. Er habe am vorgestrigen Tage der Buchdruckerei einen Auftrag von ueber 50000 Mark zugefuehrt. Eines der grossen Versandgeschaefte habe einen illustrierten Katalog in einer ganz betraechtlichen Hoehe bestellt. Auch habe er durch eine besondere Einrichtung in der Inseratenabteilung den Anzeigespalten der Taeglichen Nachrichten eine erhebliche Vermehrung zugefuehrt. Am legten Sonntag haetten zwei Bogen mehr gedruckt werden muessen. Das sei eine Inseratenfuelle gewesen, wie sie in einem solchen Umfange kaum zur Weihnachtszeit vorkomme. Es sei unglaublich, was Klamm alles austueftle, wie er den Leuten beizukommen wisse, wie er Beduerfnisse ausspuere oder anzuregen wisse. "Wie geht's denn mit ihm und dem Personal jetzt? Kann er sich mit ihnen stellen?" warf die in alles eingeweihte Frau des Hauses hin. Sie sah ueberhaupt weiter als die meisten, nahm die Dinge niemals, wie sie erschienen, sondern wie sie sich ihr durch ihr kluges Nachdenken darstellten. "Er thut, als ob er Unwillfaehrigkeit und Gegnerschaft gar nicht bemerkt. Es gehoert eben auch zu seinen hervorragenden Eigenschaften, dass er sich zu beherrschen, zu verstecken weiss--" "Verstecken!" sagst du, Friedrich! Der Ausdruck stimmt mit der Warnung, die dir bei seinem ersten Besuch wurde!" Nun meldete sich bei Frau Fanny doch wieder die Frau. Wenn Muetter sehen, dass Maenner, auf die sie fuer ihre Toechter rechnen, diese nicht bevorzugen, haben sie stets eine starke Neigung, ihnen etwas am Zeuge zu flicken. Sie bauen sich dadurch Bruecken, um ihrer Enttaeuschung besser Herr zu werden. Die beiden jungen Maedchen waren nur Zuhoerende, sie aeusserten sich nicht. Sie versteckten sich ebenfalls. Beide hatte eine stille, aber leidenschaftliche Liebe fuer Klamm erfasst. Grete schwieg darueber, weil sie zu stolz war, davon zu reden, und Ileisa huetete sich zufolge ihrer Stellung, fuer Klamm irgendwelches Interesse an den Tag zu legen. Sie hatte genuegend beobachtet, wie sehr Frau Knoop enttaeuscht war, dass Klamm fuer Margarete verloren schien. "Weisst du, was mir auffaellig ist," aeusserte kurz darauf die Frau des Hauses. "Hm?" warf Herr Knoop, der eben nach der Abendzeitung der Taeglichen Nachrichten gegriffen hatte, zerstreut hin. "Ja nun! Dass Klamm nie von seiner Braut spricht, dass er sie noch immer nicht vorgestellt hat. Sie muss entweder ein Bild der Haesslichkeit sein, oder es muss sonst etwas vorliegen, was nicht ganz richtig ist. Sonst kann ich mir sein Verhalten absolut nicht erklaeren." "I was," fiel Herr Knoop, gleich stark betonend ein. "Er hat ja wiederholt erklaert, dass sie schwer erkrankt sei, dass darin der Grund zu suchen waere, dass er sie uns bisher noch nicht habe zufuehren koennen." "Ich bat ihn aber schon wiederholt, einmal ihr Bild mitzubringen," bestaetigte Margarete, die nun auch hervortrat. "Niemals hat er Wort gehalten.--Nicht wahr, Ileisa?" fuegte sie hinzu und wandte sich zu der eifrig ueber ihre Arbeit gebueckten Hausgenossin. "Du warst dabei!" Die beiden jungen Maedchen, die sich vortrefflich verbanden, ja, ganz in einander aufgingen, duzten sich schon seit laengerer Zeit und besprachen--mit Ausnahme ihrer geheimen Liebe--alles miteinander, was sie irgend anging. Ileisa betaetigte nur mit leichtem Kopfneigen, aber weil ihre Gedanken und Sinne durch dieses Gespraech schon stark angeregt worden waren, wusste sie den Ausdruck einer starken Befangenheit aeusserlich nur sehr schwer zu unterdruecken. Sie liess deshalb die Stickerei, an der sie arbeitete, wie zufaellig aus ihrer Hand fallen, bueckte sich danach, und wusste dadurch den Anwesenden ihre Gesichtszuege bis zur Wiederbeherrschung ihres Innern zu entziehen. "Ich bin begierig, ob Klamms Braut unsere Einladung nicht auch selbst beantworten wird. Ich gab Herrn von Klamm auf seinen Wunsch die Einladungskarte. Wir wissen ja noch nicht einmal, wie sie mit Vor- und Zunamen heisst. Danach will ich ihn doch bei erster Gelegenheit fragen." Das Gespraech empfing eine Unterbrechung, weil Adolf eintrat und Herrn Knoop ein Schreiben ueberreichte. Schon waehrend er es entgegennahm, verfinsterten sich die Zuege des Chefs des Hausen in einer Art, dass Frau Fanny, die bei Briefen stets aengstlich die Mienen ihres Mannes beobachtete, gleich besorgt das Wort nahm. "Etwas Unangenehmes, Friedrich?" fragte sie. "Ah--ah!" stiess der Mann heraus und knirschte mit den Zaehnen. "Wieder von Theodor! Immer Theodor!" Aber als er dann gar die Zuschrift gelesen hatte, zitterten seine Haende vor Erregung. "Ach--die ewige, unglueckliche Plage," seufzte Frau Fanny, ohne auf Ileisas Anwesenheit Ruecksicht zu nehmen. "Was hat er denn nun abermals? Hast du ihm nicht erst neulich wieder Geld gesandt?" Knoop verneinte erst stumm. Dann sagte er: "Ich habe ihm auf seine drei letzten Briefe gar nicht geantwortet. Thaete ich es, wuerde ich ja noch weniger Ruhe haben. Freilich, jetzt geht er bis an die aeusserste Grenze. Nun--nun--droht er! Wahrhaftig! Waere er nicht mein--mein--Bruder, so wuerde ich ihn auf Grund dieser Zeilen der Staatsanwaltschaft ueberliefern." "Lies vor, Friedrich! Wir haben ja vor Ileisa keine Geheimnisse. Wir wissen, dass sie das, was sie fuer sich zu behalten hat, sicher in sich verschliesst!" "Sie duerfen dessen versichert sein, gnaedige Frau!" bestaetigte Ileisa, das Auge frei aufschlagend, in einem einfachen, Vertrauen erweckenden Tone. Und Herr Knoop las: "Wenn ich nicht bis uebermorgen vormittag zehn Uhr einen Postrestantebrief (Hauptpostamt Unter den Linden) mit dreitausend Mark unter T.K. vorfinde, geschieht etwas! Was aus dem Verzweiflungsakt entsteht, ist mir gleichgueltig. Ich habe dann wenigstens ein Obdach! Falls Du aber diese Kleinigkeit Deinem weniger vom Glueck beguenstigten Bruder zuwendest, ihm dadurch wieder zu einer dauernden, menschenwuerdigen Existenz verhilfst, so wird er nicht nur alle Kraenkungen vergessen, sondern Dich niemals wieder behelligen. Nun entscheide! Dein Bruder Theodor Knoop." "Schick' ihm das Geld," draengte Frau Fanny. "Was liegt dir an ein paar tausend Mark, wenn du Ruhe bekommst!" Unwillkuerlich sah Ileisa empor. Wenn sie ihrer Tante einmal einen Teil einer solchen Summe wuerde bringen, ihr dadurch die Kargheit ihres Daseins vermindern koenne, welche Seligkeit musste das sein! Sie liebte die alte Dame, die mit einer schrankenlosen Selbstentaeusserung fuer sie seit ihren Kinderjahren gesorgt hatte, mit den zaertlichsten Gefuehlen. Und gegenwaertig wandten sich ihre Gedanken ihr besonders zu, weil sie sie so lange nicht gesehen hatte. Sie kam sich so undankbar, so gefuehllos vor, dass sie nicht den Weg zu ihr fand. Es beruehrte sie schwer, obschon sie nicht Schuld trug. Sie war gebunden; sie hatte Knoops versprechen muessen, ihre ganze Aufmerksamkeit den neuen Verhaeltnissen zuzuwenden, alte Beziehungen voellig ausser acht zu lassen. Wohlan! Aber dass Knoops nicht einmal bisher Anlass genommen hatten, sich um die alte Dame zu bekuemmern, sie ein einziges Mal einzuladen, fand sie grausam, liess eine wirkliche Herzensbildung vermissen. Herr Knoop aber erwiderte auf die Rede seiner Frau: "Es ist ja nicht das Geld, Fanny! Ich wuerde gewiss die 3000 Mark geben, und wenn es sich um das dreifache handelte. Aber sowie ich ihm wieder die Hand biete, nimmt die fruehere schamlose Zupferei kein Ende. "25000 Mark stehen schon auf deinem Konto in meinen Buechern. "Das ist ein Posten! Und einmal muss doch alles ein Ende haben, wenn alles ohne jeden Nutzen war! "Ja, wenn er wirklich ein ordentlicher Mensch, wenn ihm wirklich geholfen wuerde, gleich wuerde ich nochmals 10000 Mark opfern! "Aber er verthut es in Schlemmereien, mit Frauenzimmern und im Spiel. Er ist eben leider, zu meinem grossen Schmerz, eine verlumpte Persoenlichkeit, die am besten die Erde deckte." "Was willst du denn thun?" "Wieder gar nichts!" "Aber wenn er dir,--uns nachstellt. Ich fuerchte mich! Solche Menschen--wir lesen es doch taeglich in den Zeitungen--greifen im Affekt zum Aeussersten.--Sie laden in der Verzweiflung eine Schusswaffe." "Er schleicht sich in das Papierlager und legt Feuer an," fiel Margarete ein. "Ich traue ihm alles zu! "Wenn du ihm mit dem Bemerken es sei ganz unbedingt das letzte Mal, die 3000 Mark schickst, nimmst du uns wenigstens die Angst, Papa. Wir haben dann die Sicherheit, dass dergleichen wenigstens nicht geschieht.--Mache Bedingungen, lasse ihn ein Schriftstueck unterschreiben, dass er sich fuer immer abgefunden erklaert!" Aber Herr Knoop verneinte. "Ich will nicht, ich kann nicht. Es muss kommen, wie es muss. Unzaehlige Male war's schon das letzte Mal. Nach sechs Monaten kommt er doch wieder und hat neue Gruende! Und die Sprache, die er schon wiederholt gegen mich gefuehrt hat! Es ist ohne Gleichen! Nein, nein! Ich bin mit ihm fertig. Ich betrachte ihn laengst nicht mehr als zu mir gehoerig!" Nun sagten die Damen nichts, aber Frau Fanny nahm sich vor, doch noch einmal vor'm Schlafengehen auf ihren Mann einzusprechen. Sie wollte es thun, obschon eine gewisse, entschiedene Art sie bisher stets belehrt hatte, dass mit ihm schwer etwas anzufangen war.-- * * * * * Der Abend, an welchem der Ball bei Knoops stattfinden sollte, war herangekommen. Waehrend in den Seitenfluegeln: in dem Kontor und den uebrigen Raeumen noch die Arbeitslichter flammten und die Scheiben in den grossen Gebaeuden von oben bis unten erhellten, fuhren Equipagen auf Equipagen vor das Portal des Wohnhauses des Herrn Friedrich Knoop. Und er und die Familie standen in ihren durch maechtige strahlende Kronenerleuchteten Gemaechern, und warteten vorn bei der Eingangsthuer der Gaeste, bis sich alle mit Ordensbaendern geschmueckten Herren, und alle in ihren kostbaren Gewaendern einherrauschenden Damen eingefunden hatten. Nur Herr von Klamm fehlte noch. Er fehlte, obschon er die Anordnungen uebernommen hatte. Freilich, seine eigentliche Thaetigkeit nahm erst ihren Anfang nach dem Abendessen. Aber seine Anwesenheit beim Erscheinen der Gaeste, war doch von Herrn Knoop vorausgeht worden, und sein Ausbleiben begann ihn zu beunruhigen. "Er ist sicher noch im Kontor!" erklaerte Margarete. "Er sagte neulich, er habe grade am Ballabend noch ziemlich spaet im Geschaeft zu thun, werde sich aber nach Moeglichkeit einrichten." Als er noch immer nicht erschien, sandte Herr Knoop Adolf zu ihm. Herr Knoop lasse freundlichst bitten, dass Herr von Klamm sogleich komme. Man wolle zu Tisch gehen. Indessen war es ueberfluessig! Grade trat er durch die Mittelthuer ein, sprach Herrn Knoop seine Entschuldigung aus und richtete seine scharfbeobachtenden Augen auf seine Umgebung. "Die Sendung nach Frankfurt an der Oder waere in der That nicht abgegangen, wenn ich nicht noch nachgetrieben haette, Herr Knoop," erklaerte er. "Ich hatte die Absendung unbedingt versprochen; es war eine geschaeftliche Pflichtsache. Auch wollte ich gern die Abendpost noch einsehen. Es war viel da und Eiliges.--Eine grosse Bestellung vom Reichstagbuereau ist eingelaufen." So begruendete er seine Verspaetung, kuesste Frau Knoop die Hand, begruesste Margarete mit warmherziger Vertraulichkeit, und warf einen forschenden Blick zu Ileisa hinueber, die sich nicht weitab mit einem Offizier unterhielt.-- Endlich ging's zu Tisch. Klamm fuehrte die Tochter eines hohen Beamten im Ministerium. Herr Knoop hatte es so gewuenscht, und es war auch richtig so. Klamm wusste die Menschen fuer sich einzunehmen, und es war klug, nichts zu versaeumen, sich dieser Familie Gunst zu erwerben. Von dem Wohlwollen des Herrn Ministerialdirektors hing die Entscheidung ueber die Vergebung sehr umfangreicher Druckauftraege ab. Bei Tisch warfen zwei Personen wiederholt forschende, von Eifersucht keineswegs freie Blicke zu ihm hinueber: Margarete und Ileisa! Und Klamm bemerkte es jedesmal, wenn sie hinueberschauten, und jedesmal begegnete er ihnen mit irgend einer Aufmerksamkeit, indem er entweder das Glas erhob und ihnen zutrank, oder einen Ausdruck stillen Einverstaendnisses in seinen Augen erscheinen liess. Als seine Tischnachbarin, Fraeulein von Wiedenfuhrt, dies einmal bemerkte, redete sie Klamm auf die beiden Damen an: "Wie Fraeulein Knoop sei? Sie habe sie nur einigemale bei Bazaren, wo sie zusammen gewirkt, gesehen. Ob sie ein liebenswuerdiges, junges Maedchen waere?" "Fraeulein Knoop ist eine jener tadellosen jungen Damen, an denen man nur bemaengeln koennte, dass sie etwas kleinbuergerlich sind. Ihre Natuerlichkeit, ihre Gradheit, ihr ungemein rechtschaffener Charakter verschmaehen es, irgend welche Schminke zu gebrauchen Und doch wuerde ihre Anziehungskraft durch eine Milderung dieser Hausbackenheit um vieles gewinnen." "Also Sentiments haben Sie fuer die Tochter Ihres Chefs nicht, Herr von Klamm? Dann ist ja noch Hoffnung fuer die vielen, die ihr Auge mit Sehnsucht auf Sie richten!" warf das junge Maedchen neckisch hin. "Glauben Sie wirklich, dass sich jetzt noch jemand aus Ihren Kreisen fuer mich interessiert?" gab Klamm auf diese, der verstandesmaessigen Richtung des Fraeuleins entsprechende, Rede zurueck. "Ich bin Prokurist in einer Buchdruckerei geworden. Das ist eigentlich so unerhoert, dass man die Pflicht hat, von meiner Existenz auf Erden Abstand zu nehmen." "Es wuerde so sein, wenn Sie nicht eben Herr von Klamm waeren," fiel die Dame mit ehrlicher Anerkennung ein. "Es giebt Ausnahmemenschen, denen alles wohl ansteht, zu denen infolgedessen auch jeder--und wenn er sich noch so sehr straeubt--Stellung nehmen muss. Juengst wurde Ihr Artikel ueber gesellschaftliche Arten und Unarten in den Taeglichen Nachrichten vielfach besprochen. Ich kann Ihnen verraten, dass er allen ausnehmend gefallen hat, natuerlich abgesehen von jenen jungen Zweibeinigen in Frack und Lackschuhen, die alles besser wissen, nur das Allernaechstliegende nicht merken, dass sie naemlich recht laecherliche und ueberfluessige Erscheinungen in der Schoepfung sind." "Im uebrigen! Wir sind noch nicht am Ende. Sie wollten mir auch noch etwas ueber das schoene Fraeulein von Oderkranz sagen." Klamm zuckte die Achseln. "Wenn ich ehrlich sein soll, so laesst mich meine Menschenkenntnis bisher in Stich. Ich weiss nicht sicher, wie sie ist. Ich vermute nur, dass mein Urteil zutrifft. Ich sehe, dass sie sich erstaunlich zu fuegen weiss, zu schweigen, ihr eigentliches Wesen zu verbergen versteht. Ganz praezise gefasst, wuerde ich sagen: "Sie besitzt die Kunst, mit ihren Eigenschaften zu oekonomisieren, immer nur das zu geben und zu thun, was am Platz ist. Und doch--und doch--" "Nun?" "Ja, und doch gewinnt man keine rechte Beziehung zu ihr, und doch kann man ihr nicht naeher kommen." "Was vermuten Sie denn?" "Alles!" betonte Klamm beinahe feurig. "Ich glaube, dass sich in diesem Maedchen alle jene Eigenschaften finden, die einen Mann in der Ehe gluecklich zu machen im stande sind. Sie ist weiblich, sittlich, haeuslich, treu und arbeitsam, daneben voll Tiefe und Waerme, und nicht minder voll Begeisterung fuer alles Schoene und Gute, sofern ihr Gelegenheit geboten wird, es zu bethaetigen. Auf ihr ruht aber die Buerde der Abhaengigkeit." "Ah! Sie schwaermen ja gewaltig, Herr von Klamm. Fast koennte man glauben, Sie legten eine unfreiwillige Beichte ab." Die junge Dame sprach die Worte in einem von Eifersucht nicht freiem Tone. "Sie irren durchaus, gnaediges Fraeulein! Wenn ich ueberhaupt meiner Passion nachgeben duerfte--ich werde naemlich sicher niemals heiraten--so wuerde ich eines Tages ein gewisses Haus betreten, dort nach dem Ministerialdirektor von Wiedenfuhrt fragen, und ihn bitten, bei seiner ueberaus schoenen und ueberaus klugen Fraeulein Tochter Margot ein gutes Wort fuer mich einzulegen." Kaum, nachdem Klamm so gesprochen hatte, erhob das junge Maedchen den Kopf und sah Klamm mit einem durchdringenden Blick an. "Dass auch Sie, Herr von Klamm"--begann sie steif im Ton--"zu den Leuten gehoeren, die selbst in ernsten Augenblicken fade Spielereien treiben, haette ich nicht gedacht. Ich bin heute um eine Erfahrung reicher geworden." "Aber mein Fraeulein--mein gnaediges Fraeulein"--fiel Klamm nicht wenig ueberrascht, ja, bestuerzt ein. "Ich bitte! Welche Sprache! Wodurch gab ich Ihnen Anlass, so mit mir ins Gericht zu gehen?" "Sie werden eher begreifen, wenn ich Ihnen mitteile," fuhr sie unbeirrt fort, "dass man allgemein davon spricht, dass Sie verlobt sind und alles daran setzen, diese Verlobung mit einem armen Maedchen rueckgaengig zu machen, deshalb naemlich, um Fraeulein Knoop zu heiraten. So spielen Sie also nun jedenfalls mit dreien: mit Ihrer Braut, mit Fraeulein Knoop, mit Fraeulein von Oderkranz, und wenn ich natuerlich Ihre an mich gerichteten Worte als einen, wenn auch recht ungeschickt gewaehlten Scherz betrachte--mit mir!" Klamm erschrak. Unversehens that sich vor ihm ein bisher gar nicht vermuteter Abgrund auf. Aber noch mehr! Ehe er etwas zu entgegnen vermochte, fuhr die junge Dame fort: "Ich will ganz offen sein! Ich will alles sagen, Herr von Klamm. Neulich hat mein Vater einen anonymen Brief empfangen, in dem er vor Ihnen gewarnt wird." "Ah! Die alte Infamie einer mich rachsuechtig verfolgenden Persoenlichkeit!" fiel Klamm, nachlaessig veraechtlich im Ton, ein. "Das schreckt mich nicht, gnaediges Fraeulein. Ich waere im stande, Ihnen den Wortlaut dieses Schriftstuecks--es hat naemlich immer den gleichen Inhalt--aus dem Kopfe wiederzugeben. Anders aber ist es mit dem, was Sie sonst aeusserten. Hier bedarf es dringend der Aufklaerung. Ich bitte, dass Sie mir einmal naechstens eine Unterredung gewaehren. "Ich weiss bestimmt, dass Sie dann anders urteilen werden." Da Klamm in einem sehr gemessenen Tone, da er wie ein Mann sprach, der um seine Ehre ficht, so gewann er das Spiel. Schon begann sich in ihr die Reue zu regen, sich so haben hinreissen zu lassen. Aber es reizte sie auch nicht wenig, von ihm selbst zu erfahren, was Wahrheit, was Geschwaetz war; es schmeichelte ihr, dass er sie zu seiner Vertrauten machen wollte. Aber an diesem Abend geschah noch etwas, das Klamm mindestens ebenso sehr zum Nachdenken Anlass gab. Die Tafel war aufgehoben, schon hatte die Musik den Gaesten zu einer Reihe von Taenzen aufgespielt. Eben sollte ein Kotillon getanzt werden, den Herr von Klamm einen anwesenden Offizier deshalb zu leiten gebeten hatte, weil er dessen Ehrgeiz: in der Gesellschaft bei solchen Gelegenheiten eine Hauptrolle zu spielen, Rechnung tragen wollte. Aber er hatte auch die Absicht, dadurch Zeit und Gelegenheit zu finden, sich mit Ileisa zu beschaeftigen. Er forderte sie zu diesem Tanz auf, waehlte einen entfernteren Eckplatz, woselbst ein ruhiges Plaudern eher moeglich war, und sagte, nachdem er eben mit ihr eine Runde gemacht hatte: "Sie machen alles vortrefflich, gnaediges Fraeulein! Auch eben zeigten Sie sich wieder als Meisterin." "Das moechte ich, ohne Komplimente, Ihnen sagen, Herr von Klamm--" "So beschaeftigen wir uns also gegenseitig mit einander, ohne dass wir es uns eingestanden haben--" Er sah sie bei diesen Worten mit einem werbenden Blick an. Er that's, obschon ihm grade die Unterredung mit seiner Tischdame heute haette eine Zurueckhaltung auferlegen sollen. Aber auch ihm geschah's, dass haeufig das menschliche Ich grade dann zu einer Auflehnung gegen die bedachte Mutter Vernunft gelangt, wo es am allerwichtigsten ist, auf ihre Stimme zu hoeren. Er fand Ileisa heute schoener denn je. Sie war auch an diesem Abend der Mittelpunkt. Jedermann draengte sich zu ihr, und auch dadurch wurden des Mannes Sinne angefacht. Bisher war ihm niemand in den Weg getreten. In das stille Knoopsche Haus traten wenige ein, nur bei solchen Gelegenheiten wurden die Staatszimmer geoeffnet. Statt auszuweichen, gab ihm Ileisa einen Blick zurueck, der sein Inneres in Aufruhr versetzte. Dann sagte sie kurz, bestimmt: "Ja, Herr von Klamm!" Diese Antwort riss Klamm fort. Er ueberflog ihre Gestalt mit seinen Augen. Er sah, wie sich unter dem seidenen Ballmieder die Bueste hob und senkte. Er umfing mit seinen Blicken all die Reize, die ihr die Natur verschwenderisch verliehen hatte, und forschte noch einmal in ihren Augen, in Augen, in denen eine versteckte Glut loderte. Dann sprach er entschlossen: "Wohlan denn, da es so ist, da wir uns verstehen, ja, da wir uns einig sind, so wollen wir Kameraden werden, gemeinsam unser Ziel verfolgen. Es bedarf keiner Erklaerung, warum es sich handelt.--Nicht wahr, Fraeulein von Oderkranz?" Und indem er die Stimme daempfte, dasselbe in einem weichen Tone wiederholte, sich zu ihr draengte mit seinem Ich: "Nicht wahr, Fraeulein Ileisa?" Abermals vernahm er ein festes Ja und fuehlte, als er nach ihrer Hand tastete, einen Gegendruck, der ihm das Blut durch die Adern jagte. "Wann und wo wollen wir uns morgen sprechen?" ergaenzte Klamm, indem er um der Umgebung willen seinen Mienen einen durchaus gleichgueltigen Ausdruck verlieh. "Ich werde bitten, ehestens meine Tante besuchen zu duerfen. Wird mir dies erlaubt, so werde ich an einem Ihnen noch schriftlich mitzuteilenden Tage gegen ein Uhr auf dem Potsdamer Platz am Rundteil sein koennen." Als Herr von Klamm eben antworten wollte, stand Margarete Knoop vor ihnen. "Darf ich stoeren?" fragte sie mit kuenstlicher Schelmerei im Ton. Sie hatte beide seit langem beobachtet und schon grosse Qualen empfunden. Auch sie hatte sich vorgenommen, heute einmal mit allem zwischen sich und Klamm aufzuraeumen. "Bitte, kommen Sie nach Beendigung des Kotillons eine Weile in den Wintergarten," bat sie, waehrend er mit ihr tanzte. "Sie muessen mir bei der Bowle behilflich sein." "Zu Ihrem Befehl, gnaediges Fraeulein," betaetigte Klamm und zog sie unwillkuerlich fester an sich. Er stand zwischen drei Feuern. Seine Tischnachbarin beargwoehnte ihn, nachdem er sich unvorsichtigerweise in ihre Hand begeben hatte. Ileisa gegenueber hatte er sich von seinen bisher zurueckgedraengten Gefuehlen fortreissen lassen. Nun kam ihm Margarete in solcher Weise entgegen!-- Als sie spaeter nebeneinander standen und Moselwein in eine Punschbowle fuellten, sagte Klamm: "Ich stehe unter dem Eindruck, dass Sie auch sonst noch ueber mich zu befehlen wuenschen. Darf ich fragen, womit Ihnen Ihr gehorsamer Diener zu willen sein kann?" "Ja, Herr von Klamm! Ich muss endlich einmal eine Frage an Sie richten. Es muss um Ihretwillen geschehen, da ich auch heute wiederholt in einer mich aergernden Weise angesprochen bin: "Wie heisst Ihr Fraeulein Braut? Woher stammt sie? Weshalb fuehren Sie sie nicht uns und der Gesellschaft zu? Ist sie wirklich krank? Und wollen Sie sich, wie man sagt, wieder entloben? "Nicht Neugierde treibt mich, ich betone dies. Die angefuehrten Gruende und das warme Interesse, das ich fuer Sie empfinde, lassen mich sprechen."-- Schon wollte Klamm antworten, er wollte ihr bekennen, wie es stand und wodurch die Unwahrheit hervorgerufen worden war. Aber dann waehlte er doch einen anderen Weg, den, zu dem ihn bei Fraeulein von Wiedenfuhrt die Umstaende getrieben, den er auch Ileisa vorgeschlagen hatte. "Zuerst meinen aufrichtig empfundenen Dank, gnaediges Fraeulein," entgegnete er. "Und um alles nach Ihren Wuenschen zu erledigen, bitte ich Sie, in eine zeugenlose Unterredung zwischen uns zu willigen. Hier--heute--ist nicht der Ort, Ihnen alles zu erklaeren. Ich muss weit ausholen. "Also, ich bitte.--Wann wollen Sie mir diese Verguenstigung gewaehren?" "Sonnabend mittag bin ich allein in unserer Wohnung. Meine Mutter will dann Besuche machen! "Wohlan! Abgemacht!" Sie reichten sich die Hand. "Aber bitte, gehen Sie jetzt, ich sehe verschiedene unserer Gaeste kommen," betonte sie, und Klamm verneigte und entfernte sich.-- * * * * * Gegen Mitternacht, waehrend sich die Gaeste bei Knoops im vollen Geniessen befanden, wurde draussen an der Hausthuerklingel der Villa gezogen. Als Adolf oeffnete, trat ihm ein hochaufgeschossener, hagerer Mann mit wuesten Augen, krankhaft geroeteten, scharf hervortretenden Backenknochen und einem unangenehm wirkenden rotbraunen Halbbackenbart entgegen. Er fragte, im uebrigen wie ein Gentleman gekleidet, mit hohem Zylinder und Pelz versehen, in einem kurzen Tone, nach Herrn Knoop. Als Adolf entgegnete, es sei Gesellschaft im Hause--es werde sich Herr Knoop jetzt unter keinen Umstaenden sprechen lassen,--erwiderte er: "Sagen Sie nur, dass es sich um hoechstens fuenf Minuten, dass es sich aber um eine sehr wichtige und eilige Geschaeftsangelegenheit handle. Sie koennen hinzufuegen, dass ich noch diese Nacht Berlin verlassen muesse, dass ich deshalb jetzt komme. "Wo kann ich mich solange aufhalten, bis Herr Knoop kommt?" schloss er, indem er durch solche Frage ohne Weiteres seinen Willen zur Geltung zu bringen suchte. "Ist hier nicht ein Gemach, wo ich warten kann?" Adolf zeigte, durch die Sicherheit, mit der jener austrat, nachgiebig gemacht, auf ein kleines, einfenstriges Kabinett zur Rechten. In dieses trat dann auch der Fremde ein, waehrend sich Adolf rasch in den Tanzsaal begab. Knoop unterhielt sich eben mit Klamm, sie beredeten noch eine kleine Ueberraschung fuer die Gaeste. "Ein Fremder? Ein Fremder um diese Zeit? Was will er?" Adolf berichtete, was er wusste. "Bitte, begleiten Sie mich, Herr von Klamm," entschied Knoop rasch entschlossen. "Da es sich um Geschaeftliches handelt, sind Sie ja ebenso sehr interessiert--" Unter solchen Worten schritt Knoop voran, und wenige Augenblicke spaeter traten sie in das erwaehnte Kabinett. "Ah! du!" stiess Knoop ebenso enttaeuscht wie zornig heraus. "Nun dringst du gar nachts unter einer Luege in mein Haus! Nein, nein--gieb dir keine Muehe! Ich habe nichts zu hoeren--" "Du erregst dich zu deinem eigenen Nachteil, Friedrich," fiel Theodor Knoop mit eiserner Ruhe ein. "Ich frage, da ich Berlin verlassen muss, da ich eine Antwort auf meine Zeilen nicht empfing, ob du meiner Bitte entsprechen willst? Ich erklaere mit meinem Ehrenwort, dass ich dich nie wieder belaestigen werde. Ich will dir einen schriftlichen Verzicht ausstellen." "Sehr gnaedig! Du thust wirklich, als ob du Ansprueche zu erheben haettest, waehrend du ganz dasselbe jedesmal beschworen hast. Was nach solchen Erfahrungen ein Ehrenwort aus deinem Munde bedeutet--" "Ah," presste Theodor Knoop in ergrimmtem Tone heraus, und seine Augen funkelten. "Immer bleibst du doch derselbe eingebildete Hochhinaus, der du schon als Knabe warst, haeltst dich fuer hundertfach besser, als andere, giebst schoene Lehren und teilst weise Sprueche aus, waehrend du----" "Nun, ja--ja--ja--es mag sein, dass du vieles mit Recht an mir auszusetzen hast. Wir geben uns eben darin nichts nach; und weil dem so ist, habe ich ja schon seit langen Jahren vorgeschlagen, dass wir auseinander bleiben. Du aber kommst immer wieder, und natuerlich immer dann, wenn du Geld von mir erpressen willst-- "Ich aber erklaere dir, dass ich mich auf nichts mehr einlasse! Ein Vermoegen, das ich dir nach und nach hingab, ist zwecklos verschleudert. Es wuerden die Tausende auch in den Sand geworfen sein, die du heute verlangst.-- "So das ist mein letztes Wort; wir haben nichts mehr miteinander zu sprechen.--Ich muss dich ersuchen, mich nicht ferner mehr zu belaestigen. Es ist hoechste Zeit, dass ich zu meinen Gaesten zurueckkehre."-- Theodor Knoop, ein Mann mit einem tueckischen Auge und kaltem Ausdruck in den Zuegen, ueberlegte, was er thun sollte. Er hatte diesen Weg eingeschlagen, weil er dadurch die ihm einzig noch bleibende Moeglichkeit erkannte, von seinem Bruder etwas zu erreichen. Nun hatte er aber, statt den Bittenden zu spielen, seinem Bruder Beleidigungen ins Gesicht geschleudert. Ungeschickter haette er es nicht anfangen koennen, ihn zur Hergabe von Geld zu bewegen. Und da griff er zu dem letzten Mittel. Indem er rasch seines Bruders Begleiter musterte und zu diesem, zu Klamm, sich wendete, sagte er: "Ich bitte Sie, mein Herr, ein gutes Wort fuer mich einzulegen. Ich wiederhole, dass ich durch dieses Geld zu einer dauernd soliden Existenz gelange. Bisher verfolgte mich das Unglueck;--mein Bruder rechnet niemals dieses hinein, er spricht immer nur von meinem Leichtsinn, weil er nie die Verhaeltnisse geprueft hat. Soll ich denn wirklich zu einem Verzweiflungsakt getrieben werden? Ich frage: Ist derjenige, der sich durch seine Schuld in einer schweren Lebensbedraengnis befindet, weniger bemitleidenswert, als der unschuldig Leidende? Und wenn, ist nicht ein Unterschied zwischen Fremden und Bruedern?" Und wieder zu seinem ungeduldig nach der Thuerklinke greifenden Bruder: "Gewiss! Ich war wiederholt ausfallend gegen dich, Friedrich. Es war aber Verzweiflung--es war nicht persoenlich. Dir ist alles geglueckt, du bist von der Natur anders veranlagt, so wurde es dir leichter, den glatten Weg zu gehen. Ich bitte, ich flehe dich an: Gieb mir das erbetene Geld! Sage, dass ich es mir morgen holen lassen darf.--Helfen Sie, mein Herr, diese Sache zwischen uns zu einem friedlichen Abschluss zu bringen!" Herr von Klamm hatte bisher nur den stummen Zuhoerer gespielt. Es war um so mehr geschehen, weil er in dem Manne, der hier naechtlich eingedrungen war, einen nach der Beschreibung seiner Mutter nicht zu verkennenden Komplizen derjenigen Geschaeftsleute zu erkennen glaubte, durch die seine Mutter, waehrend seines Aufenthaltes im Ausland um ihr Hab' und Gut gekommen war. Es war eine ganze Bande gewesen, die es in der raffinierteren Weise verstanden hatte, sie auszurauben. So zog er nun die Achseln und sagte: "Ich wurde von Herrn Knoop ersucht, ihn zu begleiten. Er nahm an, dass es sich um Geschaefte handle. In Herrn Knoops Privatangelegenheiten habe ich kein Recht einzugreifen; es wuerde, wie ich vermute, auch durchaus gegen seinen Willen sein." "Ich gebe aber nochmals zu bedenken, dass ich Ihnen allen fuer alle Zeiten entrueckt werde. Ich will mich nach Suedamerika einschiffen. Ohne Geld vermag ich es nicht, ich weiss es mir nicht anders zu verschaffen--" "Wohlan, so will ich das Billet fuer dich kaufen," sprach Herr Knoop ploetzlich entschlossen. "Herr von Klamm wird dich auf das Schiff begleiten, und dir auch noch etwas Zehrungsgeld einhaendigen. Ein Schriftstueck unterzeichnest du vorher, dass du mir so und so viel schuldig geworden. "Bist du damit einverstanden, so melde dich morgen vormittag elf Uhr zur naeheren Ruecksprache bei mir." "Und wie viel wuerdest du mir bewilligen, Friedrich?" forschte der Mann lauernd. "Ich sagte es ja schon. Den Betrag fuer die Ueberfahrt und eine Summe in angemessener Hoehe fuer den Anfang, keinen Pfennig mehr, und auch nur dann, wenn das Geld dafuer verwendet wird. Und nun nochmals.--Adieu! Ich kann und will hier nicht laenger verweilen--" "Gieb mir 3000 Mark ohne Bedingung, ich wiederhole mit meinem Eidschwur, dass ich nicht wiederkommen will, Friedrich. Weise es mir zu der angegebenen Zeit an." "Nein, es bleibt, wie ich angab! Ich lasse mich nur nochmals bewegen, etwas zu thun, wenn du Deutschland verlaesst. Es geschieht vorzugsweise auch um meiner Damen willen, die endlich Ruhe fuer mich herbeiwuenschen." Noch einen Augenblick schwankte Theodor Knoop. Dann sprach er einen rauhen Dank, nickte kurz, griff nach seinem Hut und entfernte sich unter der nochmaligen Wiederholung der Zeitstunde, die fuer den folgenden Tag zwischen ihnen verabredet war. Mit aeusserlich sorglosen Mienen traten dann auch die beiden Herren wieder unter die Gaeste. Niemand sah ihren Gesichtern an, was sich eben hinter den Thueren vollzogen hatte. Man hatte sie bisher auch kaum vermisst, nur von Ileisa war bemerkt worden, dass sie sich mit beschaeftigten Mienen beide ploetzlich entfernt hatten. * * * * * Als Klamm am naechsten Morgen erwachte, hatte er es schwer, seine Gedanken zu ordnen, insbesondere das Fuer und Wider, das sich ihm nuechtern aufdraengte, vernunftgemaess zu scheiden. Nun war der Augenblick gekommen, wo er eine buendige Erklaerung abgeben musste. Sollte er eingestehen, dass er gar nicht verlobt sei? Und wenn, welche Gruende fuer seine Behauptung sollte er angeben? Die wirklichen!? Er sah Herrn Knoops Miene und stand davon ab. Andererseits widerstrebte es ihm, an einer Luege festzuhalten und gar noch eine neue auszusprechen. Fraeulein von Wiedenfuhrt konnte er die Wahrheit bekennen, sie, die Fernerstehende, wuerde seine Handlungsweise eher begreiflich finden. Gab er Margarete zu, dass er Falsches berichtet, so konnte er ihr wenigstens nicht eroeffnen, weshalb er so gehandelt hatte. Er musste ein anderes Motiv angeben. Und wiederum, wenn er das that, musste er auch Fraeulein von Wiedenfuhrt ein gleiches sagen. Der Zufall konnte spielen. Wie wuerde er dastehen, wenn er der einen diesen, der anderen einen voellig anderen Grund mitteilte, und sie davon erfuehren? Es gab, sagte sich Klamm, Zeiten, in denen den Himmel fuer den einzelnen voll klaffender Spalten war. So erging es jetzt ihm, und nur einen Ort gab es, wo er vielleicht Rat und Trost finden konnte, bei ihr, seiner weisen, voll inniger Liebe fuer ihn erfuellten Mutter. Ihr beschloss er sich anzuvertrauen. Ihr wollte er alles mitteilen, wollte hoeren, wie sie entschied, und danach zu handeln suchen. Vorlaeufig bestand aber die naechste, ernste Tagesaufgabe darin, mit Theodor Knoop zu konferieren. Da zu diesem Zweck noch eine vorherige Ruecksprache zwischen ihm und dem Chef verabredet worden war, beeilte sich Klamm, baldmoeglichst von seiner in der Kurfuerstenstrasse belegenen Wohnung nach den in der Zimmerstrasse befindlichen Knoopschen Geschaeftsraeumen zu gelangen.-- Klamm fand Herrn Knoop allerdings nicht in der gewohnten, guten Laune, Feste lassen nur zu haeufig einen schlechten Geschmack auf der Zunge zurueck. So erging's dem Chef. Er sollte nun wieder fuer seinen Bruder Theodor, den unverbesserlichen Taugenichts, in die Tasche greifen. Auch beschaeftigte seine Gedanken ein Brief, den er von seinem Sohne Arthur erhalten hatte. Der wollte durchaus jetzt schon nach Berlin zurueck. Er mochte im Auslande nicht mehr bleiben. Und wenn er wiederkehrte, wie wuerde sich das Verhaeltnis zu Klamm stellen? Das ging Herrn Knoop nicht minder durch den Kopf. Von all dem gelangte, waehrend der Unterredung mit Klamm, etwas zum Ausdruck. Natuerlich! Gehandelt musste deshalb doch werden! Das gegebene Wort musste eingeloest werden. Die Reise nach Chile kostete, das hatte Herr Knoop schon nachgesehen, etwa 1000 Mark. Dieser Summe wollte er noch 1500 hinzufuegen. Am naechsten Tage sollte Klamm mit Theodor nach Hamburg reisen.--Das Dampfschiff ging von dort abends ab. "Wenn Sie, verehrter Herr von Klamm, den Eindruck gewinnen, dass mein Bruder die Reise nur vorgiebt, dass es lediglich darauf abgesehen ist, mir wieder Geld abzunehmen," eroerterte Knoop, "so loesen Sie kein Bildet, sondern haendigen ihm die Haelfte, naemlich 1250 Mark unter der Bedingung aus, dass er vorher das hier von mir schon heute morgen ausgefertigte Schriftstueck unterschreibt. "Dann bringe ich eben dieses Opfer noch ein- und zum letztenmal. "Und nun noch zu etwas anderem, bester Herr von Klamm! Es muss das einmal zwischen uns eroertert werden," fuhr Herr Knoop ernst geschaeftig fort, und seine Mienen und seine dann folgenden Worte versetzten Klamm in eine starke Unruhe: "Als Sie mir damals naeher traten, erklaerten Sie, dass Sie--ich habe Sie nicht danach gefragt, Herr von Klamm--verlobt seien. "Es wird nun von allen Seiten darueber gesprochen, dass Sie Ihr Fraeulein Braut mit einem sehr auffallenden Geheimnis umgeben, nie von ihr reden, sie nicht zeigen. Einige behaupten, Sie wollten die Verbindung wieder loesen, Sie haetten sie sogar schon wieder geloest. "Es ist mir sehr peinlich, uns allen, dass wir immer wieder auf diese Angelegenheit angeredet werden. Ich moechte Sie daher freundschaftlich bitten, mir Ihr Vertrauen zu schenken, mir offen und ehrlich zu erklaeren, wie die Dinge stehen. "Ich hoffe, Sie erkennen darin keine unbescheidene Zudringlichkeit, sondern nur den wohl begreiflichen Wunsch, Klarheit zu gewinnen. "Also ich bitte: Sprechen Sie, und seien Sie versichert, dass ich Ihre Erklaerungen so entgegennehmen werde, wie es unseren Beziehungen entspricht!" Was ging nicht alles durch Klamms Inneres bei dieser Rede!-- So voellig unerwartet kam ihm diese Aufforderung. Waehrend er noch vor einer Stunde hatte die Dinge nach seinen Gedanken lenken wollen, wurde er nun ploetzlich durch die Umstaende zu einer Entscheidung gedraengt. Es galt jetzt: Wahrheit oder fernere Verschleierung, volle oder halbe Wahrheit! Klamm entschied sich ohne Besinnen fuer die Wahrheit, jedoch fuer diese mit einer Einschraenkung. Zufolgedessen sagte er: "Wohlan, Herr Knoop! Da Sie mich fragen, da Sie mich Ihrer Freundschaft versichern, mit anderen Worten, Ihrer Nachsicht und Ihrer ferneren guten Gesinnungen, so sei es bekannt: "Ich bin gar nicht verlobt!" Nur das sprach Klamm vorlaeufig, und richtete einen ruhigen Blick auf seinen Chef. Zu Klamms sehr starker Enttaeuschung erschien aber nicht der erwartete Ausdruck in den Zuegen des Herrn Knoop, sondern es malte sich darin eine ganz gewaltige Befremdung. Ja, noch mehr! Es erschien ein Zug von aeusserstem Unbehagen und einer beinahe mit Entruestung vermochten Strenge. "Wie? Was? Sie waren und sind gar nicht verlobt? Und dabei geben Sie uns seit dreiviertel Jahren fortwaehrend Antwort auf unsere Fragen, befoerdern Gruesse und gar Einladungsbriefe an Ihre Braut? Ich muss gestehen, Herr von Klamm, dass diese Erklaerung mich aeusserst befremdet, und ich werde mich nicht eher beruhigen koennen, als bis Sie mir naehere, mich hoffentlich befriedigende Aufklaerung gen zu geben vermoegen.-- "Was in aller Welt gab Ihnen Anlass, mir ohne Not das vorzusprechen, und die Unwahrheit bis zum heutigen Tage fortzusetzen?" "Ich vermag Ihnen den Grund nicht zu sagen, Herr Knoop. Ich kann Ihnen nur erklaeren, dass ganz bestimmte Verhaeltnisse mich dazu draengten, Umstaende, deren Zwang Sie, koennte ich reden, anerkennen wuerden. Moege Ihnen das genuegen, und seien Sie, ich bitte, statt Richter, wie Sie es versprachen: mein nachsichtiger Freund! "Es waere ja ein Leichtes fuer mich gewesen, Ihre Frage so zu beantworten, dass mich gar kein Vorwurf getroffen haette. Ich haette Ihnen ja nur sagen koennen, dass ich die Verlobung wieder aufgehoben habe. Ich hasse aber die Luege, und sie ohne Not noch einmal anzuwenden, waere eine verwerfliche Handlung gewesen!" "Hm--hm--Das klingt sehr ehrenfest, Herr von Klamm! Aber es befriedigt mich, offen gestanden, nicht. Ich muss sogar in Anbetracht des Verhaeltnisses, in dem wir zu einander stehen, die Bedingung fuer ein ferneres Zusammenbleiben stellen, dass Sie sich mir rueckhaltlos eroeffnen. Es geht nicht anders. Es ist absolut erforderlich! "Bedenken Sie, dass ich vor Ihnen gewarnt wurde. Versetzen Sie sich in meine Lage und fragen Sie sich, ob ich anders handeln kann. "Und wenn doch--ist jetzt einmal mein Vertrauen erschuettert worden--und es liegt Ihnen die Aufgabe ob, es wieder herzustellen."-- "Ist die Sache wirklich so tragisch zu nehmen, Herr Knoop? "Was liegt vor? Ich habe erwaehnt, dass ich verlobt sei!--Ich hatte einen Grund dafuer! Ich habe dann nie wieder darueber gesprochen, bin aber, obschon ich auswich, obschon ich immer deutlich an den Tag legte, dass ich der Fragen gern entgehen moege, unzaehlige Male von Ihrer Umgebung darauf angeredet worden. Ja, aus Ihrem Hause ist die Sache auch in die Oeffentlichkeit gebracht. Ich habe mit niemandem als mit Ihnen das einzige Mal gesprochen. Nun erklaere ich auf Ihre Frage, dass ich nicht verlobt bin, dass ich seinerzeit einen wichtigen Grund hatte, mich als gebunden auszugeben. "Gewiss, damit wird die Unwahrheit nicht beseitigt, aber es ist wohl anzunehmen, dass ich wirklich unter einem Zwange handelte. An diesen, bitte ich Sie, nun zu glauben. "Aber Sie wollen nicht! Sie erklaeren, mich sogar fallen lassen zu muessen, wenn ich nicht mein Geheimnis preisgebe. Aber noch mehr, Herr Knoop! Sie fuehren sogar jenen ruchlosen Brief an! Obschon Sie mich nun fast ein Jahr geprueft haben, wollen Sie nicht nach Ihren Erfahrungen in einem fuer mich guenstigen, sondern unguenstigen Sinne entscheiden!" "Ich kann nicht anders, Herr von Klamm, soviel Sie auch zu Ihrer Entlastung anfuehren. Ich muss darauf begehen, dass Sie meine Frage beantworten: "Aus welchem Grunde erklaerten Sie mir unaufgefordert, dass Sie verlobt seien, waehrend dies eine bewusste Unwahrheit war?" "Ich vermag dennoch Ihrem Ersuchen nicht nachzukommen, Herr Knoop. Ich darf Sie nochmals bitten, sich mit meiner Erklaerung zu begnuegen und Nachsicht zu ueben! "Wenn aber nicht--so muss ich mich, so unendlich schmerzlich es mir ist--Ihrem Willen fuegen und das wieder verlassen, was ich mit auszubauen redlich bestrebt war, von dem ich gehofft hatte,--dass ich dadurch einen neuen dauernden Lebensinhalt finden werde. "Ich darf und will mich auch nicht beklagen. Ich beging ein Unrecht und muss dafuer buessen! Wann wuenschen Sie, dass ich aus dem Geschaeft austrete!?" "Ich werde Ihnen darueber noch Mitteilung zukommen lassen, Herr von Klamm! Zunaechst richte ich die Frage an Sie, ob Sie auch jetzt noch die Angelegenheit mit meinem Bruder zu uebernehmen, die Guete haben wollen?" "Jawohl! Ich bin dazu bereit, Herr Knoop!" "Ich danke Ihnen! Weiteres dann nachher bei seinem Besuch! Guten Morgen, Herr von Klamm." "Guten Morgen, Herr Knoop!" Als Klamm in sein Kontor getreten, war es sein erstes, ein Briefchen an Margarete Knoop zu schreiben. Es war sehr kurz gefasst und lautete: "Hochverehrtes Fraeulein! Verzeihen Sie, wenn ich Sie bitte, von einer Unterredung in meinen Angelegenheiten abzugehen. Zufolge einer zwischen Ihrem Herrn Vater und mir eben stattgehabten Auseinandersetzung wuerde eine solche nur Peinlichkeiten fuer uns beide mit sich fuehren. Nehmen Sie im voraus meinen verbindlichsten Dank fuer die gute Gesinnung entgegen, die ich trotzdem ferner von Ihnen und Ihrer Frau Mutter zu erbitten wage. Ihr sehr ergebener Alfred, Freiherr von Klamm." Klamm geriet noch einmal ins Zoegern, bevor er diesen Brief von Adolf hinuebertragen liess. Wer ihm das diesen Morgen gesagt haette! Und doch ging es nicht anders, und doch war es nun das Richtige, reine Bahn zu schaffen. Es waren einmal die Dinge aus dem Gleis geraten. Wo das Vertrauen verloren gegangen war, so sagte sich Klamm, da gab's keine Nadeln und keinen Zwirn zum wiederzusammenheften. Hoechstens konnte die Zeit, die alles klaerte, auch darin einstmals eine Aenderung wieder herbeifuehren. Und einen Gewinn trug er davon, wenn er Knoops verliess: er konnte sich unter weit guenstigeren Umstaenden Ileisa naehern, sie, wie er nach den gestrigen Vorgaengen annehmen zu koennen glaubte, fuer sich gewinnen.-- Grade ihre Art und ihr Wesen hatten ihn noch mehr bestrickt, hatten die Funken, die in ihm gluehten, angefacht. Einmal wieder den Geschaeften abgewendet, war das fruehere, lebendige Interesse fuer Frauen und Frauenschoenheit wieder in ihm wach geworden. Oft enttaeuscht, fand er--wie er hoffte--in ihr endlich das Ideal seiner Vorstellungen. Er konnte es nicht erwarten, in ihre Naehe zu gelangen.--Auch an Fraeulein von Wiedenfuhrt richtete er--infolge der veraenderten Sachlage--noch an diesem Morgen einen Brief: "Erlauben Sie, mein hochverehrtes Fraeulein!"--schrieb er--"dass ich einmal spaeter um die Erlaubnis bitte, Ihnen in der zwischen uns beredeten Angelegenheit naehere Aufklaerungen zu geben. Es hat sich unerwartet etwas zwischen mein Wollen und Koennen gestellt. Nur so viel heute von Ihrem Ihnen aufrichtig ergebenen Alfred, Freiherrn von Klamm." Eben hatte die Ruecksprache mit Theodor Knoop stattgefunden. Es war die Abrede getroffen, dass die Herren am naechsten Morgen nach Hamburg reisen sollten. Im legten Augenblick hatte sich Herr Knoop bereit gefunden, seinem Bruder ausser den Ueberfahrtskosten die Summe von zweitausend Mark, also einen groesseren Betrag, als er urspruenglich beabsichtigt, zu bewilligen. Er war dem geschmeidigen Wesen Theodors, seinen Versicherungen und Schwueren, dass er nie wieder etwas von sich hoeren lassen, dass er nie aus Chile zurueckkehren werde, erlegen. Bevor sie sich zum Fortgehen anschickten, ersuchte aber Klamm noch Herrn Knoop um eine Unterredung. Zu diesem Zweck traten sie in Klamms Arbeitszimmer, und hier begann letzterer: "Ich muss Ihnen eine Eroeffnung machen, Herr Knoop. Ich muss Sie dennoch bitten, dass Sie mich von meiner Zusage entbinden, mit Ihrem Herrn Bruder nach Hamburg zu reisen, ueberhaupt mit ihm in Beruehrung zu treten. "Es hat sich mir naemlich als unzweifelhaft ergeben, dass Ihr Herr Bruder zu einer Gruppe von Personen gehoert, die vor Jahren meine Mutter durch falsche Vorspiegelungen um ihr ganzes Vermoegen gebracht haben. Wir haben den Gaunern, die sich falsche Namen beigelegt hatten, bisher nicht auf die Spur kommen koennen. Nun ist einer entdeckt. "Meine Mutter hat ihn mir so oft beschrieben, dass ich schon gestern gleich stutzig wurde, als ich ihn sah. Eine Unterredung, die ich heute morgen mit ihr hatte, und der eben stattgehabte abermalige Vergleich erhaerten die Gewissheit seiner Identitaet. "Wenn ich Ihnen nicht den Eklat ersparen moechte, wuerde ich sogleich seine Verhaftung veranlagen. Ich sehe davon ab, aber Sie werden begreifen, dass ich mit ihm nicht in Beruehrung treten will! Es thut mir ausserordentlich leid, aber ich kann nicht anders handeln!" "Hm--hm," stiess Herr Knoop enttaeuscht und hoechst unangenehm beruehrt, heraus. "Das ist ja sehr fatal! "Sollten Sie sich aber nicht doch irren! Sollte wirklich mein Bruder Sie geschaedigt haben? Sie stehen doch bisher nur unter einer Vermutung. Und ich bitte, noch etwas sagen zu duerfen: Sie erklaerten mir doch bei unserer ersten Konferenz damals, dass Ihre Frau Mutter vermoegend sei. Wie habe ich es zu verstehen, dass nun mein Bruder sie um ihr ganzes Vermoegen gebracht haben soll?" Klamm fuehlte sich stark betroffen. Das war abermals eine Folge seiner damaligen Aeusserungen. Was sollte er darauf entgegnen? Da ihm aber zum Besinnen keine Zeit gegeben war, sagte er rasch und ohne aeussere Verlegenheit: "Sie scheinen zu glauben, dass ich nur nach einem Vorwande suche, mich meiner Zusage zu entziehen, Herr Knoop. Ich versichere Sie, dass ich mich in der Person Ihres Herrn Bruders nicht irre. Schon fiel es mir gestern abend auf, wie er gleich bei der Nennung meines Namens zusammenzuckte. Was ferner den Widerspruch zwischen meinen damaligen und heutigen Erklaerungen anbetrifft, so haengen sie mit jenem Umstande zusammen, ueber den ich nicht sprechen kann, und um dessen willen Sie wuenschen, dass ich Ihr Geschaeft wieder verlasse. Ich vermag mich auch jetzt nicht zu erklaeren." "Mir aber werden Sie es nachfuehlen, Herr von Klamm, dass mich alle diese Dinge aeusserst stutzig machen muessen. "Wenn auch alles guenstig fuer Sie liegt, ich habe--ich wiederhole es--das Vertrauen verloren, und da Sie abermals verweigern, Erklaerungen zu geben, so meine ich allerdings, dass eine Trennung zwischen uns nicht mehr zu umgehen ist." "Und was soll mit Ihrem Herrn Bruder geschehen?" wandte Klamm, nachdem er eine resignierende Miene angenommen hatte, ein. "Ja--ja--das weiss ich nicht," ging's zaudernd aus des Mannes Munde. "Ich--ich kann's Ihnen ja nicht verdenken, wenn Sie wirklich einen Schuldigen zur Rechenschaft ziehen wollen! Ich befinde mich in einer sehr boesen Lage. Immerhin ist's doch mein Bruder; immerhin handelt es sich doch um die Ehre und das Ansehen meines Hauses.--Seine voellige Entfernung aus Deutschland waere also die gluecklichste Loesung."-- Klamm bewegte den Kopf mit einem bitteren Ausdruck. Dann sagte er: "Nun, da es sich um Ihre Angelegenheit handelt, Herr Knoop, wuenschen Sie, dass Nachsicht geuebt wird. Es liegt ein Gaunerstreich vor, der einer Familie das Vermoegen kostete, der mich gezwungen hat, aus meinen Lebensbahnen herauszutreten, ja, ich kann es sagen, der ein indirekter Grund ist, dass ich Ihnen etwas Unzutreffendes sagte,--dass ich an ein Maedchen gebunden sei! "Aber diese Sache wollen Sie im Sande verlaufen lassen? Mich wollen Sie um eines unguenstigen Scheines willen--wollen mich trotz Ihrer anderweitigen Erfahrungen--abthun!" "Sie haben doch selbst das Anerbieten gemacht, Herr von Klamm! Sie haben erklaert, Sie wollten um meinetwillen den Eklat vermeiden." "Gewiss, ich wurde von meiner anstaendigen Gesinnung geleitet. Nachdem Sie mich aber interpellierten, wie es geschehen ist, entzogen Sie mir eine gleiche Ruecksicht. Die Dinge dieser Welt muessen, sollen sie einen Ausgleich finden, auf Gegenseitigkeit beruhen." "Sie haben recht und unrecht, Herr von Klamm! Aber jedenfalls hat--ich wiederhole Gesagtes--das gute Einvernehmen zwischen uns durch die Umstaende einen Bruch erlitten. "Ich schlage Ihnen vor: Trennen wir uns in Frieden! Verschaerfen wir den Riss nicht durch eine Fortsetzung solcher Gespraeche. Ich mache Ihnen den Vorschlag, dass Sie noch einige Zeit bleiben, um alles abzuwickeln, und dass wir dann von einander scheiden. Es trifft sich, dass mein Sohn aus dem Ausland zurueckkehren will! So kann er an Ihre Stelle treten!" "Ah--" ging's langgedehnt ueber die Lippen Klamms, und er wollte hinzufuegen: "Nun ist mir alles verstaendlich!" Aber er sprach nicht mehr. Nur noch eine Verneigung erfolgte, aus der hervorging, dass er sich mit Herrn Knoops Vorschlaegen einverstanden erklaerte.-- Er erfuhr auch nicht, in welcher Weise sich Herr Knoop mit seinem Bruder auseinandergesetzt hatte. Er sah nur nach einer geraumen Weile Theodor Knoop aus dem Hause treten und die Strasse hinabschreiten. * * * * * Klamm und Ileisa, die sich an einer von ihnen schriftlich vereinbarten Stelle in der Bellevuestrasse getroffen hatten, wanderten durch den Tiergarten und nahmen die Richtung nach Charlottenburg. Anfaenglich stockte das Gespraech. Ileisa legte eine starke Befangenheit, aber auch eine auffallende Unpersoenlichkeit in ihrem Wesen an den Tag. Sie sah sich wiederholt scheu um, ob man sie auch beobachte, und betonte zu Klamms Enttaeuschung, dass sie nur ihr Wort nicht habe brechen wollen, dass sie sich eigentlich anders entschlossen habe. Von jener versteckten Hingabe, mit der sie ihm an jenem Abend das Herz heiss gemacht und in ihm so berechtigte Hoffnungen erweckt hatte, trat nichts zu Tage. Sie war offenbar durch die letzten Geschehnisse voellig beeinflusst. Sie nickte nur mit ernst stummer Miene, als sie Klamm fragte, ob sie schon wisse, dass er das Knoopsche Geschaeft verlassen werde, und loeste ihre Zunge erst auf seine eindringlich zuredenden Worte. Sie erklaerte, dass sich Herr Knoop sehr scharf geaeussert, dass er alles ausfuehrlich eroertert und auch die vollstaendige Beipflichtung der Damen gefunden haette. Er habe gesagt, dass die Unwahrheiten, die Klamm gesprochen, deshalb so unentschuldbar seien, weil zu deren Aeusserung keine Noetigung vorgelegen habe. Es sei sicher doch etwas mit seiner Vergangenheit nicht in Ordnung. Der anonyme Briefschreiber habe ein Recht gehabt, vor ihm zu warnen. Sein ganzer Lebensgang sei sehr abenteuerlich gewesen, und nicht mit vollendeter Verstellungskunst freimuetig hervorgebrachte Worte, sondern Thatsachen waeren in solchen Faellen entscheidend. Theodor Knoop habe Klamms Beschuldigungen mit Entruestung zurueckgewiesen. Aber noch mehr! Er habe geaeussert: nicht er habe Klamm zu fuerchten, sondern Klamm ihn! Er meine in ihm einen frueheren bekannten, uebel beleumdeten Gelegenheitsmacher entdeckt zu haben, der schon wiederholt wegen sehr bedenklicher Affaeren von sich reden gemacht habe. Und nach diesen Mitteilungen geschah auch das, wovor Klamm schon gefuerchtet hatte, vor dem er zitterte: Als er einen versteckteren Weg mit Ileisa beschritt und nun an das letzte Gespraech auf dem Knoopschen Ball anknuepfte, als er weich und eindringlich auf sie einsprach, loesten sich schwere, langsam niedertropfende Thraenen aus ihren Augen, die zwar auch ihm, aber ebensosehr ihrer Enttaeuschung zu gelten schienen. Und als sie sich endlich zu fassen wusste, als sie auf sein Zureden die Sprache wieder gewann, erklaerte sie, dass sich in ihr trotz schwerster Kaempfe ein Misstrauen gegen ihn eingeschlichen habe, und dass sie es auch nicht abzustreichen vermoege. Klamm trafen diese Worte gradezu niederschmetternd. Die Welt um ihn verduesterte sich. Er sah sich als ein Opfer der Verhaeltnisse niedergeworfen. Es wirkte auch nicht, dass er nun Ileisa ein Gestaendnis ueber die Hergaenge ablegte. Immer wieder las er in ihrem Angesicht: "Darf ich dir trauen? Bist du nicht trotz deiner Worte doch der, als welchen dich der Briefschreiber und Theodor geschildert haben?" Namentlich schien auch Margarete auf sie gewirkt zu haben. Sie nahm an, dass er sich nicht zu verteidigen vermoege, und sie sah, dass er fuer sie fuer immer verloren war. Klamm empfing sonst aber auch heute die guenstigen Eindruecke, die er waehrend der wiederholten Begegnungen im Knoopschen Hause von Ileisa erhalten hatte. "Wir lebten," berichtete sie auf seine Bitte, ihm von ihrer Jugend und Vergangenheit naeheres zu erzaehlen, "in sehr reichlichen Verhaeltnissen auf einem meinem Vater gehoerigen Gute in Schlesien. Bei einem gelegentlichen, laengeren Aufenthalt in Berlin, machte er die Bekanntschaft einer adeligen Abenteuerin, die ihn dermassen zu umstricken wusste, dass er sich in der Folge oft wochenlang dort aufhielt, und ihr auch, nachdem meine Mutter inzwischen vor Gram ueber sein Verhalten gestorben war, zuletzt fast sein ganzes Vermoegen verschrieb. Nach seinem, in meinem dreizehnten Lebensjahre erfolgten Tode strengte meine, seit meinen Kinderjahren bei uns lebende, nunmehr Mutterstelle bei mir vertretende Tante einen Prozess gegen die Erbschleicherin an, der aber nur den Ausgang hatte, dass der uns verbliebene Kapitalrest noch mehr geschmaelert wurde. "Dazu traten erhebliche Verluste, die durch Kursrueckgaenge an Papieren entstanden, sodass meine Tante nur so viel uebrig behielt, um mir eine Erziehung geben und selbst unter den allerbescheidensten Anspruechen existieren zu koennen. Meine, durch solche Vorgaenge beeintraechtigte Jugend hat mich frueh ernst gemacht. Waehrend meines spaeteren Aufenthaltes in einem Maedchen-Seminar kannte ich nur Arbeit, Einschraenkungen und Pflichterfuellung. Vergnuegen, Abwechslungen gab es nicht. Aus dem einst frohen, lebenslustigen Kinde wurde ein schwermuetig bedruecktes Wesen, das frueh zu resignieren lernte, das sein urspruenglich starkes Temperament zu zuegeln gezwungen wurde. "Ich habe zufolge solcher fruehen Erlebnisse einen wahren Abscheu vor allem Unsittlichen, vor allem Abweichenden und Extravaganten erhalten. Ich habe erkannt, dass nur die Hingabe an die idealen Dinge dieser Welt einen Menschen gluecklich machen kann, dass nur weises Mass und Beschraenkungsfaehigkeit die Moeglichkeit eroeffnen, den Konflikten mit dem eigenen Ich und der Aussenwelt erfolgreich zu begegnen. "Meine Tante ist mir darin ein Vorbild. Wenn Sie einen Einblick in diese gute, gerechte, selbstlose Natur empfingen, wuerden Sie sagen, dass es doch noch Ausnahmemenschen giebt. Ihr will ich nachstreben; um ihr meinen Dank an den Tag zu legen fuer alles, was sie fuer mich voll Aufopferung gethan hat. Ich will alles vermeiden, was mich aus den ruhigen Geleisen heraus in ein unstaetes, mit Reue und Kaempfen verbundenes Leben hineintreibt. Und sehen Sie! Das mag meine Haltung und meine Entschluesse auch Ihnen gegenueber rechtfertigen!" Waehrend sie noch so sprach, waren sie an die Ecke des Salzufers gelangt, und grade wurde der nach dem Brandenburger Thor fahrende Pferdebahnwagen sichtbar. Infolgedessen beschleunigte Ileisa ihren Schritt, aeusserte durch Miene und sonstiges Benehmen, dass sie die Gelegenheit zur Rueckkehr benutzen wolle und bot Klamm unter hastigen Worten die Hand. "Verzeihen Sie, wenn ich mich von Ihnen verabschiede. Ich muss zurueck; schon ist's ueber die Zeit. Haben Sie Dank fuer Ihr Vertrauen; ich werde es Ihnen nicht vergessen! Und moege es Ihnen gut gehen: ich wuensche es von ganzem Herzen! Adieu--Adieu!" Zu einer Einrede, zu einer neuen Abrede, zu einer Bitte vermochte Klamm ueberhaupt nicht mehr zu gelangen. Sie that ihn ab fuer immer. Und so rasch entglitt sie ihm unter einem nochmaligen fast unpersoenlichen Kopfneigen, dass er gar nicht zu der Ueberlegung gelangte, dass er den Wagen ebenfalls besteigen und dadurch noch in ihrer Naehe bleiben konnte. Langsam, mit zerstreuten Gedanken, nahm er den Weg in der Richtung des Brandenburger Thors zurueck. * * * * * Herr Knoop war in keineswegs guter Stimmung. Wenn er ehrlich mit sich zu Rate ging, musste er einraeumen, dass er Herrn von Klamm trotz alledem nicht haette gehen lassen, wenn nicht das unerwartet fruehe Zurueckkehren seines Sohnes auf seine Entschliessung mitgewirkt, ja, dass dieser Umstand den Ausschlag gegeben habe. Auch wurden ihm seine Aussichten, den Kommerzienrattitel zu erhalten, sehr geschmaelert. Er hatte mit Klamm darueber gesprochen und dieser hatte ihm--mit solchen Dingen vertraut--seine Beihilfe zugesagt. Er kannte Peinlichkeiten, mit denen er, ohne Gefahr missverstanden oder abgewiesen zu werden, sprechen, und bei denen er die Sache bereden und Interesse dafuer erwecken konnte. Endlich aber hatten die Vorfaelle auch sehr stoerend auf die Plaene eingewirkt, die ihn in den Angelegenheiten seines Bruders geleitet hatten. Da ihm niemand zur Verfuegung gewesen war, der Theodor begleiten konnte, war die Unterredung vorlaeufig ergebnislos verlaufen. Er hatte ihm einstweilen auf seine Bitten einige hundert Mark gegeben und ihm erklaert, er solle wegen des weiteren noch von ihm beschieden werden. So war die Ausfuehrung in der Schwebe geblieben, und Theodor so bald wie moeglich zu beseitigen, war doch mehr als je erforderlich. Im Geschaeft befand sich niemand, mit dem Herr Knoop jemals ueber seinen Bruder gesprochen hatte. Er war in allen privaten Angelegenheiten sehr verschwiegen. Er neigte gegen Theodor immer wieder zur Nachsicht, weil der Familiensinn sehr stark in ihm ausgepraegt war. Theodor Knoop besass zudem eine ungewoehnliche Verstellungskunst. Er wusste durch das freimuetige Eingestaendnis seiner Fehler zu versoehnen, und war sich der Wirkung bewusst. Im uebrigen war noch allerlei, was der Erledigung harrte, und dass Klamm seinen Verstand und sein Nachdenken zu gebrauchen und seinen Vorteil zu nutzen wusste, trat zur Erhaertung der nun einmal eingerissenen Entfremdung noch vor dessen Fortgange zu Tage.-- Er liess sich durch Adolf am folgenden Vormittag bei Herrn Knoop melden und begann nach gegenseitiger kuenstlich unbefangener Begruessung: "Ich erachte es als zweckmaessig fuer beide Teile, dass unsere Trennung sobald wie moeglich stattfindet, Herr Knoop. Bevor sie jedoch nach unsern uebereinstimmenden Wuenschen in freundschaftlicher Weise erfolgt, moechte ich Ihnen etwas vortragen, das Sie sicher als berechtigt anerkennen werden." "Zuerst darf ich wohl voraussetzen, dass Sie Ihrer Kundschaft und Bekanntschaft meinen Austritt mit einem Zeugnis zur Kenntnis bringen, wie es gerecht ist. Ich habe Ihrem Geschaeft die erwarteten Vorteile zugefuehrt, ich war von morgens bis abends in Ihrem Interesse thaetig. "Ich darf das Verlangen stellen, dass die Motive, die Sie zur Kuendigung leiteten, unbedingt zwischen uns bleiben. Wenn Sie sie auch als berechtigte erachten und ich, weil der Schein gegen mich spricht, ihren Entschluss vergehe, so versteckt sich doch thatsaechlich hinter ihnen nichts, was den geringsten Tadel gegen mich erwecken koennte. Sie moegen bedenken, dass es so ist, wenn ich Sie auch nicht zu ueberzeugen vermochte. "Und ferner: Ich darf von Ihrer bisherigen Kulanz erwarten, dass Sie mir mein volles Gehalt auszahlen!" "Ich weiss nicht, ob ich mir in einem Viertel- oder Halbjahr schon wieder einen Erwerb werde verschaffen koennen." "Dann noch etwas, Herr Knoop: "Ich werde Ihnen vielleicht, ja sicher, Konkurrenz machen. Ich spreche das gleich offen aus, damit Sie mich nicht spaeter einer unkorrekten Handlungsweise zeihen!" Und Knoop erwiderte: "Gegen Ihren sofortigen Austritt habe ich nichts einzuwenden, Herr von Klamm. Auch bin ich bereit, Ihnen ein ganzes Vierteljahrhonorar und die Haelfte einer weiteren Quartalrate bei meiner Kasse anzuweisen. Mehr bedaure ich nicht bewilligen zu koennen. Es haette in Ihrer Hand gelegen, in meinem Geschaeft zu bleiben, wenn Sie meiner Bitte um offene Darlegungen Ihrer Handlungsweise entsprochen haben wuerden. Da Sie es verweigerten, waren Sie--nicht ich--schuld an unserer Trennung. Ueber die inneren Vorgaenge, die Ihren Austritt veranlassten, werde ich nicht sprechen. Das gewuenschte Zeugnis werde ich Ihnen ausstellen." "Konkurrenz muss sich jeder gefallen lassen. Ich haette lieber gesehen, Sie haetten auf solche Plaene verzichtet--natuerlich--ich bedaure sogar, dass ich Sie nicht in dem Vertrage zwischen uns, dazu verpflichtet habe--aber ich vermag nichts einzuwenden." Die Gegenrede war sehr kuehl gehalten. Sichtlich kostete es Knoop Muehe, auch nur so zu sprechen. Und so blieb und wurde dann auch alles. Schon am folgenden Vormittag machte Klamm den Damen seinen Abschiedsbesuch, und die Damen liessen sich verleugnen. Den Redaktionsmitgliedern, die ihm, wie er wusste, meist feindselig gesinnt waren, sandte Klamm nur seine Karte. Von denen im Geschaeft, die ihm wohlwollten, die seinen Fortgang bedauerten, verabschiedete er sich persoenlich. Als er am vierten Tage nach der erwaehnten Unterredung bei Herrn Knoop nach vorangegangenem Klopfen und "Herein" eintrat, fand er Theodor Knoop dort, und die Blicke der beiden Maenner trafen sich, ohne dass sie einen Gruss wechselten, mit einem Ausdruck von Feindseligkeit. Klamm ging bei dieser letzten Verabschiedung mit dem Gefuehl von dannen, dass er fortan nicht nur in dem Bruder Theodor, den er bisher noch geschont hatte, einen unerbittlichen Gegner haben werde, sondern, dass er sich auch das Wohlwollen des Herrn Knoop vollstaendig verscherzt habe. * * * * * Den ersten Schritt, den Klamm nach seiner Entfernung aus dem Knoopschen Geschaeft unternahm, richtete er ins Polizeipraesidium. Er hatte sich vorher erkundigt, an wen er sich wenden musste, und fand auch bei dem Abteilungschef eine sehr hoefliche Aufnahme und ein bereitwilliges Ohr. Nach eingehender Darlegung der Umstaende empfing er die Zusage, dass ihm vorlaeufig fuer die naechsten acht Tage ein Geheimpolizist zur Verfuegung gestellt werden sollte, der gegen Personen, welche sich bei Klamms Ausgaengen durch Verfolgung seiner Schritte verdaechtig machen sollten, vorzugehen haben wuerde. Aber Klamm traf auch Massnahmen, um sich ueber Theodor Knoops Persoenlichkeit eine Gewissheit zu verschaffen. Da er bei der ersten Konferenz erfahren hatte, dass jener in einem Hotel in der Jaegerstrasse wohne, fuhr er mit seiner Mutter am naechsten Morgen dorthin, liess die Droschke in angemessener Entfernung halten und zog bei dem Portier Erkundigung ein, wann Herr Knoop auszugehen pflege. Er empfing die Antwort, dass ein Herr Knoop dort ueberhaupt nicht wohne, aber allerdings ein Herr, der zu der von Klamm gemachten Betreibung passe, und sich Ulmer nenne. Er sei noch auf seinem Zimmer; er waere waehrend der Zeit, in der er im Hotel wohne, meist morgens zwischen neun und zehn fortgegangen. Nach diesen Auskuenften begab sich Klamm zu seiner Mutter zurueck, um ihr zunaechst das Ergebnis dieser Unterredung mitzuteilen. Ulmer hatte sich Knoop damals nicht genannt. Also in dieser Beziehung gewaehrte die angestellte Ermittlung keinen Anhalt. Frau von Klamm betaetigte wiederholt, dass Knoop bei den damaligen Verkaufsverhandlungen als Agent aufgetreten sei, dass er die Sache in die Wege geleitet, die ungeheuren Vorteile geruehmt und den Wert der statt Geld zu zahlenden Papiere in den Himmel gehoben habe. Spaeter waren zwei andere Herren, die sich Malch und Wendt genannt, in Aktion getreten. Der grosse Preis hatte die arglose Dame verfuehrt, sehr rasch ohne mit ihrem damals im Ausland befindlichen Sohne in Verbindung zu treten, abzuschliessen. Sie hatte ihn durch den gluecklichen Erfolg ueberraschen wollen, ein Erfolg, der sich allerdings als ein aeusserst trauriger Irrtum insofern herausgestellt hatte, als sich die Industriepapiere, die sie neben der kleinen Auszahlungssumme von den Kaeufern in barem Gelde empfangen, als voellig unverkaeuflich, also wertlos herausgestellt hatten. Reue, Scham und Schmerz hatten sie nach der Entdeckung abgehalten, ihrem Alfred--nunmehr aus diesen andern Gruenden,--Mitteilung zu machen, bis er dann aus dem Ausland zurueckgekehrt und nichts mehr zu verschleiern gewesen war. Das Gut war seit dem damaligen Verkauf schon wieder dreimal in andere Haende uebergegangen. Die als Kaeufer um jene Zeit genannten Personen waren, da sie sich falscher Namen bedient, nicht mehr zu ermitteln gewesen, und nur ihr Aussehen hatte Frau von Klamm ihrem Sohne immer wieder beschreiben, nur die Namen ihm mitteilen koennen. Der Verdacht, der in Klamm aufgestiegen war, hatte sich zur Gewissheit verstaerkt, weil Theodor, wie erwaehnt, ein aeusserst unsicheres Wesen bei der Nennung des Namens Klamm an den Tag gelegt hatte.-- Das Ergebnis dieser an diesem Morgen angestellten Untersuchung verlief voellig nach Voraussetzung. Es gelang Klamm und seiner Mutter, Theodor Knoop, als er aus dem Hotel trat, genuegend in Augenschein zu nehmen, und Frau von Klamm vermochte mit unbedingter Sicherheit festzustellen, dass er mit jenem Agenten identisch sei. Nun konnte Klamm Friedrich Knoops Anstandsgefuehl anrufen, wenigstens einen Teil der Veruntreuungen, die sein Bruder an seiner Mutter und an ihm veruebt, zurueckzuerstatten. Bei naeherer Ueberlegung hatte er sich gesagt, dass es ein uebertriebenes Zartgefuehl sei, nicht wenigstens den Versuch zu machen, das Ehrgefuehl des Bruders anzusprechen. Im uebrigen war Klamms Sinn schwer verduestert. Ileisas Verhalten hatte--abgesehen von der ungeheuren Enttaeuschung--einen gewaltigen Aufruhr in ihm hervorgerufen. Immer wieder hefteten sich die Folgen der Verleumdung an seine Fersen! Der Austritt aus dem Knoopschen Geschaeft wuerde ihm--wie anderweitige Erfahrung in solchen Faellen lehrte,--ueberall zu seinen Ungunsten ausgelegt werden, und endlich stand er wiederum vor einer leeren Luftschicht und sollte sich aus dem Nichts Neues herausholen. Das Selbstvertrauen, das er seiner Mutter und Knoop gegenueber an den Tag gelegt, war in Wirklichkeit stark beeintraechtigt, und erst allmaehlich entwickelte sich aus dem Unmut, dem Schmerz, der Verbitterung und Enttaeuschung, der Entschluss, seinerseits jeden Gedanken an das sproede Maedchen voellig von sich abzuthun und in Zukunft nur seinen Zielen und Erfolgen zu leben! Zunaechst nahm er sich vor, gleich am naechsten Tage nach Dresden zu reisen, bei der Frau, die er einst geliebt, einen Eingang zu ermoeglichen und sie auszuforschen. Es hatte sich seiner ein solches Gefuehl trotziger Auflehnung bemaechtigt, dass er die Ermittlungen der Berliner Polizei nicht abwarten wollte. Vielleicht vermochte er die Massnahmen der Behoerde zu unterstuetzen, vielleicht ohne sie zum Ziele zu gelangen. Jedenfalls wollte er aus dem bisherigen Zustande des Abwartens heraus!------ * * * * * Am Tage der Ankunft Klamms in Dresden sass in einer reizvoll zurueckgelegenen Villa in der Neustadt vormittags eine Dame der vornehmen Gesellschaft in ihrem Kabinett. In einen seidenen Morgenrock gehuellt, umgeben von Pariser Moebeln und kostbaren Kunstgegenstaenden, lehnte sie sich in einen weichgepolsterten, mit Damast bezogenen Stuhl zurueck, putzte an den Naegeln ihrer weissen, zierlichen Haende und horchte auf den Bericht eines vor ihr gehenden Mannes. Er war nach Art jener die herrschenden Moden beobachtenden Persoenlichkeiten gekleidet, die zwar ein Auge dafuer besitzen, was den Leuten der bevorzugten Gesellschaftsklassen gefaellt, die aber bei der Wahl der Stoffe und des Schnittes wegen ihres eigenen Mangels an gutem Geschmack fuer sich selbst allezeit fehlgreifen. Auch besass er die grobe Gesichtsfarbe und jenen gewissen unsicheren Ausdruck in den Zuegen, der dem gewoehnlichen Mann schon Misstrauen einfloesst, die Erfahrenen aber abhaelt, sich mit ihnen, sofern sie sie nicht fuer ihre Zwecke durchaus brauchen, ueberhaupt einzulassen. "Ich bin hergekommen, um mir fernere Verhaltungsmassregeln zu erbitten, meine Allergnaedigste!" hub er an. "Es war das von Ihnen befohlen, sobald in Herrn von Klamms Lebenslage eine Aenderung eintreten wuerde. "Ich habe zu melden, dass er das Knoopsche Geschaeft schon wieder verlassen hat. "Auch ist allerlei Auffallendes in diesen Tagen geschehen. Er hat mit seiner Mutter zusammen einen Fremden, der in einem Hotel in der Jaegerstrasse wohnt, versteckt beobachtet. Dieser Fremde ist, wie ich weiss, weil ich ihn persoenlich kenne, der Bruder seines bisherigen Chefs. Was aber die gnaedige Frau besonders interessieren wird, ist die Nachricht, dass er offenbar mit der Gesellschafterin im Knoopschen Hause ein Verhaeltnis angeknuepft hat. "Ich bin ihm gefolgt, waehrend er mit ihr ein Rendezvous im Tiergarten hatte, und schliesse aus diesem Umstand wohl nicht mit Unrecht, dass seine Entlassung damit im Zusammenhange steht." "Ah--ah! Das sind ja interessante Neuigkeiten, Herr Numick.--Ich muss Naeheres, Ausfuehrlicheres hoeren," fiel Frau von Kraetz mit lebhaftem Ausblick ein, noetigte ihren Agenten nunmehr zum Sitzen und liess sich von ihm erzaehlen. Und er gab zum Besten, was Wirklichkeit war und was er, um den Wert seiner Dienste zu erhoehen und sich dadurch einen groesseren Anspruch auf Belohnung zu sichern, ohne Skrupel aus seiner Phantasie hinzufuegte. "Was Sie ferner thun sollen?" bemerkte dann am Schluss seines Berichtes die Dame. "Sie sollen mir melden, was Herr von Klamm Neues beginnt oder einleitet, welchen Verkehr er fuerder pflegt, besonders aber, ob sich Ihr Verdacht bestaetigt, dass er mit dem Fraeulein eine ernstliche Beziehung angeknuepft hat." Der Ehrenmann verbeugte sich ehrerbietigst. Dann sagte er: "Und sollen die Briefe wieder abgesandt werden, in denen vor ihm gewarnt wird? Sollen sie denselben Inhalt haben?" "Nein," entgegnete die Dame in einem raschen Ton und liess einen versoehnlichen Ausdruck in ihren Zuegen erscheinen. "Das will ich ueberhaupt nicht mehr fortsetzen! Ich bedaure eigentlich sogar, dass es geschehen ist.--Ich bin Ihnen da gefolgt, aber es ist im Grunde nicht mein Geschmack, es ist auch trotz der vorsichtig gehaltenen Fassung sicherlich bei einer Entdeckung keineswegs ohne Gefahr. "Dass ich diesem Manne eine Strafe fuer seine Treulosigkeit gegen mich gewuenscht habe, ist menschlich,--begreiflich. Er hat mehr als unrecht gegen mich gehandelt. Aber enfin--Was hat mein Vorgehen genuetzt? Er hat doch seine Zwecke erreicht. Er ist eben einer, dem niemand widersteht.--Nein, nein, das nicht, das will ich unter keinen Umstaenden fortsetzen! Ich will nur ferner wissen, was er thut und treibt. Hoeren Sie, Herr Numick?" Nachdem sie ihn fuer seine Dienste belohnt, ihm noch etwas hinzugefuegt, auf dessen Anwartschaft er in ausfuehrlicher Rede hingewiesen hatte, verliess sie ihn.-- * * * * * Am Abend eines der naechstfolgenden Tage gab Frau von Kraetz ein Fest, einen Maskenball. Alles, was Dresden an bevorzugten Persoenlichkeiten besass, alles, was zur Gesellschaft gehoerte, war geladen. Seit einer halben Stunde wogte schon eine buntgekleidete Menschenmenge in den weitlaeufigen, strahlend erleuchteten Raeumen der Villa auf und ab, schwatzte, lachte und trieb jenen lustigen Schabernack, der zu der ausgelassenen Froehlichkeit einer Karnevalsstimmung gehoert. Wundervolle und auch sehr eigenartige, das Auge fesselnde Kostueme waren von den Gaesten gewaehlt. Da fehlte von bekannten Masken weder ein Pierrot, noch eine Colombine, weder der Tanzbaer, noch der Brieftraeger, weder das Baby, noch die Koenigin der Nacht. Aber man sah auch eine besponnene Eau de Cologne-Flasche, die fortwaehrend ihren duftenden Inhalt spendete, und einen indischen Fuersten, dessen Seidengewand mit Edelsteinen bedeckt war, aus denen fortwaehrend elektrische Funken spruehten. Ein Gast trug ein Gewand, das ein Gesicht darstellte, dessen Zuege einen unerbittlich kalten Ausdruck besassen. Auf seinem Ruecken war ein Schild befestigt, auf dem geschrieben stand: "Ich bin die oeffentliche Meinung." Auch erregte eine schlanke Dame Aufsehen, die in weisse Seide gekleidet war und nur ein einziges, grosses dunkles Auge, statt deren zwei, und zwar mitten auf der Stirn hatte. Sie erklaerte, dass sie der letzte Nachkomme des Riesen Polyphem sei, mit dem einst Ulysses ein Taenzchen habe bestehen muessen. Und so fort. Immer war etwas Neues zu sehen. Die Geladenen hatten es an Anstrengungen ihrer Phantasie und an kraeftigen Griffen in ihre Geldboersen nicht fehlen lassen. Die Wirtin, Frau von Kraetz, hatte beim Empfang der Gaeste keine Maske vorgesteckt, es hing ihr jedoch eine, sichtbar und erkennbar, am Guertel. Nicht aber mit dieser bedeckte sie--zur besseren Taeuschung der sie Ansprechenden--spaeter ihr Angesicht, sondern mit einer anderen, zarten. Auch das Gewand hatte sie rasch in ihrem Ankleidegemach abgestreift und war in ein fuer diesen Abend nach ihren Ideen angefertigtes Kostuem geschluepft. Sie stellte eine Undine dar. Gruenes Schilf hing in ihrem Haar. Ihren Leib umspannte ein silberner Guertel. Silberne Schuhe bedeckten ihre Fuesse, die Augen in der fuer die Blicke freien, weissseidenen Maske blickten traeumerisch, und mit einem, wie von Mondesglanz durchleuchteten Schilfwedel beruehrte sie die sich ihr Nahenden und bat sie, sie einmal in ihrem Geisterreich am Undinensee zu besuchen. "Und wo ist der?" fragte eine dunkelschwarze Gestalt mit verhuelltem Haupt und fast verhuelltem Angesicht. "Wo? Wenn du fragst, bist du nicht berufen, in meinem Reiche zu erscheinen. Das muss dir dein Herz, dein Verlangen, deine Sehnsucht selbst beantworten!" "Ich hatte dieses Verlangen, diese Sehnsucht! Aber ich ward betrogen! Das Reich der Schoenheit fand ich, der klugen Kunst, aber nicht das Reich der Wahrheit. Als ich es einst betrat--fand ich keine engelhafte Undine, vielmehr eine launenhafte, von Eindruecken abhaengige, in der Liebe Unbestaendige, ja, der echten Treue Entbehrende und des Besitzes Unwerte--" "So waehltest du den unrechten Pfad, einen, der nicht zu mir fuehrt. Dann waerest du bei einer meiner Schwestern, deren ich viele besitze, die aber nicht zu den reinen Geistern gehoeren!--Komm zu mir und du wirst erfahren, was eine echte Undine fuer Schaetze zu bieten hat."-- Sie nickte und war verschwunden. Er aber folgte ihr durch das Gewuehl der Masken, und nachdem er sich in einer versteckten Ecke rasch und geschickt ein Brustschild vorgesteckt hatte, auf dem sich ein Totenkopf und die Worte: "Mitglied der heiligen Inquisition" befanden, wusste er ihr abermals am Eingang des in der Villa befindlichen Wintergartens zu begegnen. Und nachdem er sie angehalten, sagte er: "Hoere, Undine! Ich bin erschienen, um dich zur Rechenschaft zu ziehen! Du verfolgst durch anonyme, herabsetzende und verdaechtigende Briefe einen Ehrenmann, schaedigst ihn an seinem Ansehen, seiner Ehre und seinem Fortkommen. Du begehst gemeine, einer edlen Seele unwuerdige, verbrecherische Handlungen! "Herunter mit der Maske der Sanftmut, Tugend und Weiblichkeit! Erklaere, dass du bereust, dass du dein unerhoertes, strafwuerdiges Treiben einstellen willst! "Geschieht es nicht, so ist es mein Wille, hier jetzt laut zu erklaeren, was du gethan, wer mich hergesandt hat, was meines Amtes ist. Ich werde die Maske abstreifen und dich im Namen des Gesetzes verhaften! "Nun waehle rasch! Bekennst du, so wirst du mir morgen eine schriftliche Erklaerung abzugeben haben, eine, von deren Inhalt dann nichts in die Oeffentlichkeit dringen soll; auch die Strafe wird dir erlassen werden, dir und deinem Helfershelfer--der, nachdem er lange beobachtet und inzwischen ueberfuehrt wurde,--bereits ein Gestaendnis abgelegt hat!" Alles war in raschem Fluss gesprochen und in einem Tone der Entschiedenheit, der Frau von Kraetz nicht darueber in Zweifel liess, dass es sich nicht um einen zufaellig auf sie passenden Scherz, sondern um etwas sehr Ernstes, um das wirklich handelte, was ihr schuldbewusstes Inneres belastete. Voellig entmutigt und geschlagen aber wurde sie, als der Mann, der in der unheimlichen Maske vor ihr stand, die letzten Worte geredet hatte. Wenn Numick gestanden hatte, half kein Leugnen! Sie sprach deshalb--rasch entschlossen, jedoch in kluger Berechnung: "Ob Maskenscherz oder Ernst--ich vermag nicht zu beurteilen, was dich reden laesst, Mitglied der heiligen Vehme! "Jedenfalls erwarte ich dich morgen mittag zu einer Besprechung in meiner Wohnung. Fuer jetzt achte das Gastrecht und lasse uns in Frieden ziehen!" Nach dieser Antwort streckte sie ihm--aeusserlich auch jetzt noch mit leichter Unbefangenheit und unter anmutiger Geberde,--die Hand hin und wollte von ihm zuruecktreten. Er aber hielt sie und sprach mit nunmehr unverstellter Stimme: "Zu Ihnen redete Freiherr, Alfred von Klamm! Er will--eingedenk frueherer Beziehungen--Ihrem Wunsch stattgeben. Er wird morgen mittag bei Ihnen erscheinen und die Angelegenheit weiter besprechen!" "Ah--Klamm--also wirklich--Sie!?" stiess die Frau in hoechstem Erschrecken heraus. Ihre Stimme bebte, auch ihre Gestalt. Sie musste sich an den Thuerpfosten lehnen, um nicht einer Schwaeche zu unterliegen. Er aber wusste sie unauffaellig zu stuetzen und fluesterte: "Ich verlasse jetzt die Villa, damit Sie sich ohne Zwang Ihren Gaesten ferner zu widmen vermoegen. Im uebrigen: Es bleibt bei unserer Abrede! Sie wollen es mir nochmals bestaetigen!" "Ja, auf morgen!" drang in einem gefuegigen Ton an sein Ohr, waehrend er sich nun rasch zurueckzog. Grade waelzte sich auch wieder ein Schwarm von Masken heran, der den Wintergarten betreten wollte, aber auch Diener erschienen, die Champagner und andere Getraenke darboten. Und sie schob die Maske beiseite, griff nach einem Glase und stuerzte den Inhalt hinunter. Jetzt erst gewann sie wieder die alte Fassung und Sicherheit zurueck.-- * * * * * Mit klopfendem Herzen erwartete Frau von Kraetz am folgenden Morgen den Besuch ihres einstigen Anbeters, des Freiherrn von Klamm. Er war waehrend seines frueheren Aufenthaltes in Dresden ein taeglicher Gast in ihrem Hause gewesen, hatte sich von ihrer Liebenswuerdigkeit bestricken lassen und ihr zuletzt einen Antrag gemacht. Nachdem er aber erfahren und Beweise dafuer empfangen hatte, dass sie nach der Zeit noch eine sehr wenig angesehene Persoenlichkeit, einen Grafen Dyk, trotz ihrer gegenteiligen Versicherungen in spaeten Abendstunden bei sich empfangen, sich auch sonst verschiedener, fuer sie nicht passender Abweichungen schuldig gemacht, hatte er ihr ohne weitere Erklaerungen einen Absagebrief geschrieben und auch in der Gesellschaft erklaert, dass er die Beziehungen zu ihr rueckgaengig gemacht habe. Auf Nachfragen hatte er erklaert, sie besitze nicht die Eigenschaften, die er bei ihr vorausgesetzt habe. Nachdem wiederum ihr dies bekannt geworden, hatte sie die Schuld auf ihn geladen und ihn des Wortbruchs angeklagt. Freilich waren ihre erregten Gefuehle schon bald wieder einer milderen Auffassung gewichen. Es war nur eine durch ihre leidenschaftliche Liebe zu ihm hervorgerufene Eifersucht geblieben, aber eben die hatte sie verfuehrt, gegen ihn dann in der bekannten Weise vorzugehen.-- Als der Diener ihr das Erscheinen Klamms meldete, befand sie sich in solcher Spannung, dass sie fortwaehrend die Farbe wechselte. Nur unter Aufbietung aller ihrer Kraefte, vermochte sie ihm mit einem einigermassen gelassenen Wesen zu begegnen. Klamm beobachtete, als er ihr gegenuebertrat, die Hoeflichkeit eines Kavaliers, der einer Dame der Gesellschaft zum erstenmal einen formellen Besuch macht. Nachdem er sich vor ihr mit ernster Artigkeit verbeugt hatte, sah er sie mit unpersoenlichem Ausdruck an, und sprach zu ihr, die wiederholt zur Daempfung ihrer Erregung die Hand auf die Brust drueckte, in kurzen, scharfabgerissenen Saetzen: "Wir wollen uns kurz und buendig auseinandersetzen, gnaedige Frau. Ich musste die Verlobung zwischen uns aufheben, weil Sie, gegen Ihre feierliche Ansage, einen zweifelhaften Menschen bei sich empfingen, ja, ihm bis zwei Uhr in der Nacht den Aufenthalt bei Ihnen gestatteten. Ueberdies wurde mir bekannt, dass Sie mir allerlei Beziehungen, die Sie gehabt, verheimlicht hatten. Sie thaten es, obschon ich Sie gebeten, sich rueckhaltlos zu aeussern, Ihnen bemerkt hatte, dass ich Ihnen nichts nachtragen wuerde. "Ich musste infolgedessen fuerchten, mich in unserer Ehe gleichen Abweichungen auszusetzen, und so that ich, was geschehen ist. Ich hob unsere Verlobung auf. Dass es mir nicht leicht wurde, will ich Ihnen bekennen. Ich liebte Sie mit allen zaertlichen Gefuehlen eines Mannes. "Sie haben sich nun dafuer in der Ihnen gestern vorgehaltenen Weise geraecht! Sie haben einen Mann, den Sie zu lieben vorgaben, der nur auf Grund Ihrer Handlungen sich so entschliessen musste, derartig verfolgt und verdaechtigt, dass er trotz des allerredlichsten Bemuehens, heute wiederum vor dem Nichts steht." Nach diesen Einleitungsworten schilderte Klamm ihr alle Folgen ihrer Nachstellungen, berichtete ihr ueber Knoop, sprach von seiner Wirksamkeit und der Loesung seiner Beziehungen. Endlich teilte er ihr auch mit, dass er neuerdings die Berliner Polizei zur Hilfe gerufen, und dass ihm nach Dresden berichtet sei, dass ein gewisser, sehr anruechiger Numick in ihren Diensten stehe!-- Sie hatte ihn nicht einmal unterbrochen. Als er nun aber geendet, sagte sie weich: "Und was soll ich zur Suehne thun, Herr von Klamm?" Nur das sprach sie, und sah ihn mit einem demuetigen Blick an. "Sie muessen das Schriftstueck, das ich mitgebracht habe, unterzeichnen. Ueberdies wuensche ich von Ihnen, die Sie eine reiche Frau sind, ein groesseres Kapital zur Begruendung einer sicheren Existenz. Dieses Kapital werde ich Ihnen verzinsen und nach und nach zurueckzahlen. Wohlthaten will ich von Ihnen nicht, ich will aber, dass Sie Ihr Unrecht dadurch gut zu machen suchen, dass Sie mir die Mittel zu meiner Rehabilitierung zur Verfuegung stellen. "Man koennte sagen: es sei den Vorgaengen mehr entsprechend, dass ich Sie den Gerichten ueberlieferte und sie der Verachtung anderer und eigener Verachtung preisgaebe! Aber mir fehlt die Veranlagung zu einem sentimentalen Stolz. Ich habe zu viel gesehen und erfahren, um mich ueber irgend etwas zu wundern. "Infolgedessen lehrte mich das Leben, eher zu versuchen, aus dem Unguenstigen das Guenstige herauszuziehen, mit redlichen Mitteln, aber ohne Hingabe an eine unnuetzliche Empfindlichkeit oder ein unfruchtbares Gruebeln. "Ich will schliessen, indem ich sage: "Sie haben in Ihrer Leidenschaft gehandelt. Das mag Sie ein wenig, vielleicht mehr, als sonst eine solche Handlungsweise verurteilt zu werden verdient, entlasten. Ich erwarte nun Ihre Antwort." Und Frau von Kraetz entgegnete ohne Besinnen: "Ich bitte, lassen Sie mich das Schriftstueck lesen, das ich unterzeichnen soll." Er reichte es ihr; es lautete: "Ich erklaere, dass ich den Freiherrn Alfred von Klamm infolge einer starken Enttaeuschung verleumdete. Ich bestaetige indessen aus freiem Antriebe, dass ich ihn als einen vollkommenen Kavalier schaetzen und lieben lernte, und deshalb mein Vergehen tief bereue." Hierauf legte er ein anderes, von ihm entworfenes Aktenstueck in ihre Haende, das folgenden Inhalt besass: "Ich, der unterzeichnete Freiherr Alfred von Klamm, bekenne, von der verwitweten Baronin Adelgunde von Kraetz, geborene Graefin Dugos in Dresden, die Summe von.... Mark als Darlehn erhalten zu haben und verpflichtet zu sein, dieses Kapital baldmoeglichst, jedenfalls in fuenfzehn Jahresraten zurueckzuzahlen, auch ihr mit Beginn des naechstfolgenden Jahres dafuer vier Prozent, in Vierteljahresraten zahlbar, zu vergueten." "Und wie viel wuenschen Sie, und wann wuenschen Sie das Geld zu haben, Alfred? Wollen Sie es nicht ohne Schuldschein von mir annehmen?" fragte Frau von Kraetz, in der Ueberwallung ihrer Gefuehle wieder den Ton frueherer Zeiten anschlagend. Ein feuchter Schimmer erschien in ihren Augen, auch streckte sie ihm ihre kleine Rechte mit demuetig flehendem Ausdruck entgegen. Klamm aber verneinte stumm. "Nein, gnaedige Frau! Ich nehme von Ihnen nur, was ich nehmen muss, und lediglich um nicht infolge Ihres Vorgehens unterzugehen. "Ich verspreche Ihnen, dass ich nur bestimmte Personen in das von Ihnen zu unterzeichnende Schriftstueck Einsicht nehmen lassen werde. "Und ferner: "Ich erbitte das Geld, sobald Sie es fluessig machen koennen! Und die Summe? Die Summe? Soll das Unternehmen, das ich plane, genuegend fundiert werden, brauche ich den Betrag von 100000 Mark!" "Wohlan! Ich bitte Sie, morgen nachmittag sechs Uhr bei mir zu sein, dann werde ich es Ihnen einhaendigen."--Und indem sie sich erhob und ihn mit einem liebewarmen Ausdruck anblickte, sagte sie: "Ich bitte--ich flehe Sie an, vergessen, verzeihen Sie! Sie haben selbst zutreffend die Gruende angefuehrt, die mich fehlen, straucheln liessen. "Und nicht wahr? Morgen! Ich gebe Ihnen dann auch die Unterschrift. Und--und Geld! Ich bin ja reich! Ich kann es entbehren. Wollen Sie nicht mehr?" "Ich danke, gnaedige Frau--es genuegt." Er griff nach seinem Hut und wandte sich von ihr ab. "Alfred--Alfred!" stiess die Frau unter schmerzlichem Schluchzen hervor. "Koennen Sie wirklich so von mir gehen?" Einen Augenblick kaempfte Klamm. Dann aber sah er sie, statt ihrem Anruf Folge zu leisten, mit fremdem Ausdruck an, verbeugte sich foermlich und mit einer ablehnenden Bewegung und verliess das Zimmer. Sie aber warf sich, nachdem er gegangen, in die Sofaecke und weinte sich aus.--Es gab fuer sie nur einen wahrhaft liebewerten Menschen in der Welt. Er war eben gegangen!-- * * * * * Waehrend Klamm den Weg zu dem Hotel einschlug, in dem er Wohnung genommen, fuehlte er sich in seiner Stimmung sehr gehoben. Er hatte durch sein gewagtes, fast ein wenig abenteuerliches, aber wohlueberlegtes Vorgehen alles erreicht, was er nur wuenschen konnte. Bei seinen Erkundigungen nach Frau von Kraetz hatte er zufaellig erfahren, dass sie im Begriff stehe, einen Maskenball zu geben, und gleich war in ihm der Gedanke aufgestiegen, sich unter dem von ihm gewaehlten Domino in ihren Raeumen einzufinden. Freilich wirkte auch gegenwaertig noch etwas auf sein Gemuet und seine Sinne, das er nicht im entferntesten vorausgesehen. Die Frau, die er in jener Zeit leidenschaftlich geliebt hatte, war ihm in einem ueberaus vorteilhaften Lichte erschienen. Ihre Erscheinung und ihr Wesen hatten wieder so sehr auf ihn gewirkt, und die Art ihrer Busse, ihre Weichheit und das neue Bekenntnis ihrer Liebe ihn von neuem derartig fuer sie eingenommen, dass er--den das Leben so ruecksichtslos mitgenommen,--nicht nur bedauerte, nicht in diesen sicheren Hafen eingelaufen zu sein, sondern weislich ueberlegte, ob nicht doch ein Buendnis mit ihr moeglich sei. Er streifte dann sogleich alle Sorgen ab, die Sorge fuer sich und seine Mutter. Aber noch mehr! Er vermochte denen mit der Miene stolzen Selbstgefuehls zu begegnen, die sich ueber ihn zu stellen gewagt hatten, die nichts von dem freieren Sinn besassen, der ihm selbst innewohnte. Ileisa konnte keinen gerechten Tadel gegen ihn erheben! Er hatte um sie geworben, und sie war ihm--beeinflusst durch ihre Umgebung--als eine voellig andere, als er sich vorgestellt, als sie sich an jenem Abend gegeben, kuehl, ja abweisend begegnet. Es blieb also nur die Dresdner Gesellschaft, mit der er zu rechnen hatte! Und da stutzte freilich Klamm! Die Winde wuerden von Berlin nach Dresden tragen, dass etwas dort nicht richtig gewesen sei! Und dass er ein Charakterloser sei, wurde dadurch erhaertet, dass er sich nunmehr wieder mit der vereinigte, die er seinerzeit so geschmaeht hatte. Auch schlichen sich, nachdem sich diese Ueberlegungen in ihm festgesetzt hatten, die alten Bedenken in seine Seele, ob er mit Adelgunde von Kraetz auf die Dauer gluecklich werden wuerde. Und das, grade das, erfuellte ihn schon bei dem blossen Gedanken mit Sorge und Bedenken. Grade der Lebemann, grade der, sagte er sich, der einen tieferen Einblick in die Gesellschaft gethan, der gesehen hatte, wie aeusserlich und grundsatzlos sie durchweg war, schaute in erster Linie nach einem Weibe aus, bei dem er sich vor solchen Gefahren geschuetzt wusste. Er wollte sich endlich retten aus dem grossen Scheinleben. Er wollte unter allen Umstaenden ein reines Haus haben und mit all dem Eklen, das auf ihn selbst eingedrungen war waehrend seiner Wanderjahre draussen, abschliessen. * * * * * Nach diesen Ereignissen waren einige Monate vergangen. Waehrend dieser Zeit hatte der Freiherr Alfred von Klamm, schwer erkrankt, in der Villa der Frau von Kraetz in Dresden gelegen. Er hatte gedacht, das Schicksal aber anders entschieden! Als er am Mittag des naechsten Tages den Weg zu Frau von Kraetz genommen, war ihm schon sehr schlecht gewesen.--Eine eigentuemliche Mattigkeit hatte in seinen Gliedern gesessen. Kalter Frost war ihm ueber den Koerper gerieselt, und diesem koerperlichen Unbehagen hatte sich auch noch eine starke Gemuetsbeschwerung hinzugesellt. Trotzdem war er gegangen! Er wuenschte, sobald wie moeglich, Dresden wieder zu verlassen; er stand unter der Furcht, dass er hier wuerde ein Krankenlager aufschlagen muessen. Auch wollte er Begonnenes zu Ende fuehren! Darum war er doch eben hergekommen! Aber schon nach der ersten Gespraechseinleitung hatte ihn abermals eine solche Schwaeche ergriffen, dass er Frau von Kraetz um eine Staerkung hatte bitten muessen. Waehrend sie voll angstvoller Besorgnis davon geeilt, war er Zustaenden erlegen, die einen solchen Charakter angenommen, dass sie ihn in der Villa hatte betten lassen muessen. Und die vorlaeufige Wiedergewinnung seiner Kraefte hatte er auch nur den verstaendigen Massnahmen des Hausarztes der Frau von Kraetz zu verdanken. An ein Ausstehen war nicht zu denken gewesen, weil sich, statt Besserung, ein Nervenfieber eingestellt hatte. Zu diesen unguenstigen Verhaeltnissen gesellten sich noch andere. Frau von Klamm--die Frau von Kraetz sogleich benachrichtigt, und der sie Wohnung in ihrer Villa angeboten hatte, um bei ihrem Sohn zu sein,--war selbst schwer erkrankt. So blieb der Witwe die Sorge fuer Klamm allein, so wurde sie seine Pflegerin waehrend der ganzen Zeit seines sich Monate hinziehenden Siechtums. "Ihnen wird er sein Leben verdanken!" hatte der Arzt wiederholt gegen die Frau des Hauses, und Gleiches hatte er haeufig gegen Klamm geaeussert, nachdem er sich wieder erholt, nachdem ihm klar geworden, wie krank er gewesen, wer ihm die Samariterdienste geleistet. Klamms erstes Wort und erster beredter Blick galten auch ihr, und sie kamen aus einem bewegten Herzen. Er streckte ihr die Hand entgegen und sagte, weich betonend: "Wie soll ich Ihnen danken?" Das zweite Wort galt der Frage seiner Mutter: ob sie ihn auch gepflegt habe, wo sie sei? Nun musste Frau von Kraetz mit der Wahrheit hervortreten! Sie berichtete, dass Frau von Klamm dem Tode nah' daniedergelegen habe, dass sie sich indessen in der Besserung befinde, dass die Nachricht von seiner fortschreitenden Genesung besonders guenstig auf sie gewirkt habe. Ein Ausdruck glueckseliger Befriedigung trat in Klamms Zuege. Wiederum drueckte er Frau Adelgunde die Hand. Und so vergingen die Tage, und wieder verliefen zwei Wochen, und dann konnte Klamm zum erstenmal anstehen und ihr, die wie eine Schwester an ihm gehandelt, gegenuebersitzen. Waehrend sie, selbst noch bleich von der Pflege, der Sorge und den Anstrengungen der Nachtwachen, aber mit einer gleichsam vergeistigten Schoenheit vor ihm sass, ihre stillen, liebewarmen Augen auf ihn richtete, sagte er: "Ich habe in diesen Tagen der Ruhe und des Nachdenkens immer wieder darueber nachgedacht, wie sehr ich waehrend meiner ganzen Lebenszeit ohne die Unfaelle gerechnet habe. "Immer, wenn ich eben glaubte, mein Spiel zu gewinnen, die Dinge nach meinem Willen lenken zu koennen, zog am Himmel eine Wetterwolke auf, entlud sich und zerstoerte, was ich geplant oder gar schon aufgebaut hatte. "Ist immer der Charakter auch des Menschen Schicksal? Ich frage mich, ob ich allezeit die Schuld an den Enttaeuschungen trug, die mir geworden sind!? "Vielleicht! Vielleicht deshalb, weil ich mich niemals begnuegen konnte, nur eine Nummer zu sein, weil ich--einmal auf dieser Erde, und mit Kraeften und Genusssinn versehen,--auch dem Leben etwas abgewinnen, ja, etwas erreichen, erobern, mein Eigentum nennen wollte." "Beziehen sich Ihre ersten Worte auch auf das, was Ihnen hier geschah?" fiel Frau Adelgunde ein. Sie forschte in seinem Angesicht in einem Gemisch von Schmerz und Trauer. "Ja--und nein," entgegnete Klamm, und gab ihr durch Mienen und Betonung zurueck, was sie, in solche Frage eingekleidet, aus ihrem tiefsten Innern hervorholte. "Ich will voellig ehrlich gegen Sie sein, wozu es mich stets draengt, obschon diese Art nicht grade immer weise ist, mir gar oft, meist schaedlich war. "Die Wahrheit darf in unserer Welt einmal nicht nackt gehen, sie muss sich verhuellen! "Ich wollte vor meiner Erkrankung wieder so rasch wie moeglich von Ihnen scheiden. Ich wollte mich vor mir selbst behueten. Der Gedanke, Sie nun doch um das zu bitten, was Sie mir einst gewaehren wollten--was sich fuer uns beide zerschlug--scheiterte an der Ueberlegung, dass es Ihnen einmal nicht gegeben sei, nur fuer einen zu leben, nur einen zu lieben, in eigentlichem Sinne Treue zu ueben, sich in der Ehe wirklich anzupassen. "Ich hatte Furcht vor der Zukunft, und ich hatte Furcht vor der oeffentlichen Meinung, die mir, die uns nachsagen wuerde: 'Die Charakterlosen schlagen und vertragen sich!' Ich wollte endlich auch das unberechtigte Vorurteil zerstreuen, das die Menge beherrscht: dass ein Mann, und besonders ein Adeliger, mit einer stark wechselnden Vergangenheit, sein ernsthafter, sittlicher, auf seinen Namen und seine Ehre das Allerhoechste haltender Mensch sein koenne. "Nur deutsche Einseitigkeit der Auffassungen weist den Schuster an, Schuster zu bleiben und wenn er auch die Faehigkeit in sich entdeckt, als Schneider weit Besseres zu leisten. "Erst wenn diejenigen, die sich allmaehlich zu dem Rechten durcharbeitete und zugleich Grosses wurden, gestorben sind, lobt man ihnen nach, dass sie dem Vorurteil zum Trotz, sich nicht begnuegten, etwa bloss Spargel zu stechen, sondern etwas Bedeutendes geschafft zu haben. Und dann: Alles wird bei uns klassifiziert, und in dieser Klasse hat der Mensch hoehere Rechte oder hat er sich der Ansprueche auf Vorrechte zu begeben. "Wie kann ein Adliger in eine Buchdruckerei eintreten? Er muss notwendigerweise aus der Art geschlagen sein! "So ist es mir ergangen! Und wie ist es wirklich? Ich wollte ueberhaupt nur eine Thaetigkeit aufnehmen, eine, die mich fesselte, die mir Erfolg verhiess, die mich aus dem ueblichen Nichtsthun gewisser Lebemaenner mit adligen Namen befreite! Nun, da ich--durch harte Umstaende bedraengt--aus dem Geschaeft wieder so bald ausgetreten bin, wird die oeffentliche Meinung mir schuld geben. Und wer Schuld traegt, wissen wir beide allein, Frau Adelgunde! "Wollen wir es nun trotzdem versuchen, dennoch versuchen, ein Buendnis zu schliessen? Wollen Sie meine Frau werden? Koennen Sie dem Vorurteil begegnen, dass ich nicht als der Freiherr von Klamm auftrete, der als Mann einer sehr reichen Frau lediglich die Zeit stiehlt und im Muessiggang lebt, sondern ein Geschaeft, ein Gewerbe betreibt, arbeitet, schafft, foerdert, massvoll lebt, den rechten Lebensgewinn in dem Verkehr mit gleichgesinnten, wertvollen Personen erblickt, die denselben Anschauungen huldigen, so ueberlegen Sie meinen abermaligen Antrag! Aber goennen Sie mir auch--verzeihen Sie das viele--das Geloebnis, dass Sie lediglich mein sein und bleiben wollen, dass Sie"--Klamm sprach's mit einem sanften, gewinnenden Laecheln--"keine anderen Goetter haben wollen, neben mir!" Adelgunde von Kraetz nickte nur und sah Klamm mit einem weichen Blick an. Und dann schnellte sie empor, lehnte sich mit leidenschaftlicher Hingabe an ihn und fluesterte: "Ja, ja, Lieber! Wie du es willst, so soll und wird es sein!"-- * * * * * Nach diesen Geschehnissen waren fast anderthalb Jahre verstrichen. Waehrend dieser Zeit hatte sich fuer Klamm und Adelgunde sehr viel Bedeutsames ereignet. Frau von Klamm litt nach ihrer Krankheit unter einer Laehmung, und aus den Plaenen Klamms, sich gleich wieder eine Thaetigkeit zu suchen, war nichts geworden. Die Vorbereitungen zur Hochzeit hatten seine Zeit und Sinne in Anspruch genommen, und spaeter, nach ihrer Hochzeit, waren sie, teils um seine Gesundheit noch zu staerken, teils um Adelgundes Vergnuegungsdrang Nahrung zu geben, auf Reisen gegangen. Frau von Kraetz war sehr klug vorgegangen. Bald nach ihrer Verlobung hatte sie zu Klamm gesagt: "Erlaube mir eine Bitte, mein teurer Alfred! Verfuege schon jetzt ueber meine Kasse und mein Vermoegen, als ob sie dir gehoeren! Es soll dir auch in Zukunft alles mit gehoeren, was mein ist! Wir werden nicht in getrennter, sondern in Guetergemeinschaft leben! Ich moechte dich auch gleich ueber meine Verhaeltnisse unterrichten! Ich besitze das dir bekannte, von mir verpachtete Gut in der Lausitz, ferner das hiesige schuldenfreie Haus, ueberdies liegen in der Bank Staatspapiere, die mir allein eine Rente von 80000 Mark im Jahr gewaehren. Ich habe nur einen entfernteren Verwandten, der Ansprueche an mich erheben koennte, und ich liebe nur einen Menschen auf der Welt aus voller Seele--und dieser Mensch bist du!"-- Und ein andermal hatte sie bei seinen sich aeussernden, auf die Berliner und Dresdner Gesellschaft beziehenden Bedenken hingeworfen: "Ach, Lieber! Was sorgst du dich, was sie alle meinen, denken und sagen! Wir schlagen sie ja alle aus dem Felde, wenn wir sie besuchen und ihnen erklaeren: die Irrtuemer haetten sich aufgeklaert, und wir haetten uns dennoch gefunden, wie wir es anfangs gewollt."-- "Und Knoops und Ileisa von Oderbruch?" hatte Klamm hingeworfen. "Ah, bah, mein Freund! Was hast du auf die Ruecksichten zu ueben! Sie nahmen dich auf, und du warst ihnen ueberaus nuetzlich! Dann gaben sie dir den Laufpass. Also ignoriere sie fortan. Zudem gehoeren sie ja gar nicht zur Gesellschaft, kommen also nicht in Betracht. Und das kleine Maedchen, das es so geschickt begonnen hatte, dich zu fangen, deren dann folgende Sproedigkeit nur darauf berechnet war, dich nur noch fester zu binden, lasse erst ganz aus dem Spiel!" Klamm hatte nichts erwidert, aber grade ihre Bemerkungen hatten ihn wenig angemutet. Adelgunde besitze,--so sagte er sich--nicht die erhabene Seele, nach der er verlangte. Sie war viel zu sehr Aristokratin und zu sehr verwoehnt, um sich in die Lage der bebuerdeten Mitmenschen, und in ihre voellig gleichberechtigten Anforderungen an das Dasein, hineinzuversetzen. Sie beurteilte die Dinge nur richtig und immer nur nachsichtig, sofern sie in ihren Ideenkreis passten. Jene goettliche, der gesamten Menschheit zugewendete Anteilnahme, jene Beschraenkungsfaehigkeit, jene echte Weiblichkeit, die er an eine Frau seiner Wahl stellte, besass sie nicht. Und im Zusammenhang mit ihren Aeusserungen ueber Knoops und Ileisa, die zugleich ihre Eifersucht gegen das junge Maedchen bekundeten, stieg in Klamm die Erinnerung auf, was sie ihm aus dieser Eifersucht angethan hatte! Auf solche "Gedanken" geriet nicht einmal ein vornehmer Mensch, viel weniger fuehrte er sie aus. Und endlich und zulegt! Das sah er schon jetzt: Nicht nur keinen Vorschub wuerde sie seinem Schaffensdrang leisten, vielmehr ihn zu hindern suchen. Er wuerde--wenn er nicht die erforderliche Energie entwickelte--nun doch der Muessiggang treibende Mann einer reichen Frau werden! Schon jetzt begriff Klamm nicht, dass er je hatte glauben koennen, dass sie sich in buergerliche Verhaeltnisse wuerde hineinfinden, dass sie gar die Gattin eines Geschaeftsmannes wuerde sein wollen. Sie konnte dem Auslugen nach vornehmem Verkehr nicht entsagen, ihre Genusssucht, ihren Ehrgeiz nicht einschraenken! Sie hatte anfangs zu allem ja gesprochen, aber sie hatte sich gleich dabei selbst zugefluestert, dass sie es schon verstehen werde, die Dinge nach ihrem Gefallen zu lenken. Etwas Ausgleich fand Alfred von Klamm in seinem Innern durch das Urteil, das seine Mutter ueber Adelgunde faellte. Sie sagte ihm: "Jeder hat etwas; jeder hat Berge von Fehlern, aber jeder hat Vorzuege, hat Anlagen, die entwickelt werden koennen. Deine Frau ist ein temperamentvolles Wesen! Sie ist auch gut, weich und lenksam, obschon sie, sobald es sich um ihr Ich handelt, egoistisch zu ueberlegen, sehr wohl die ihr mitgebrachte, nicht geringe Klugheit zu ihrem Vorteil zu gebrauchen weiss. "Aber ist das nicht aller Menschen Art, und kannst du sie dir nicht weiter erziehen?" "Ich wuerde aber, ich fuehle es, Mutter, mit dem kleinen, pflichttreuen Maedchen im Knoopschen Hause trotz aller Entbehrungen weit gluecklicher geworden sein. Ich liebe--ich wiederhole es--die ernste Arbeit; verachte die Uebertreibung. Ich besitze keinen Hang zum fortwaehrenden Vergnuegen, zu reinen Aeusserlichkeiten. Ich bin--obschon ein Adliger--durchaus buergerlich veranlagt; ich verkehre am liebsten mit ganz einfachen Leuten aus dem Volke!" Zwischendurch war denn doch Klamm wieder dem liebenswuerdigen und aufgeweckten Wesen seiner Frau erlegen. Dass ihre Zaertlichkeit, dass ihre reinen und ehrlichen Gefuehle mehr in Blicken, mehr in stummer Hingabe befanden, nahm ihn auch fuer sie ein. Sie liebte auch Klamm mit der Tiefe, deren sie faehig war, und wollte sich ihm in allem moeglichst fuegen. Sie wollte nur nichts von seiner buergerlichen Richtung, nichts von Geschaeften buergerlicher Art wissen! Hofchef, Theater-Intendant, Ceremonienmeister, Oberstallmeister eines Fuersten konnte er werden. Aber Zeitungsunternehmer, Fabrikant, Kontorkaufmann! Dergleichen musste er sich aus dem Sinn schlagen! Auch, wenn er wieder in die Armee eintreten wollte, hatte sie nichts dagegen. Aber das wies er wiederum schroff zurueck. Er wollte keinerlei solche Abhaengigkeit. Endlich konnte er auch Gutsbesitzer werden, ihre, seine Gueter selbst bewirtschaften. Das war nach ihrem Sinn. Dann konnte sie im Sommer auf dem Lande, und im Winter in Dresden leben, die Geselligkeit geniessen, und die alte Rolle spielen! Es hatte sich zunaechst auch alles gestaltet, wie sie es gewollt. Die Umstaende waren ihr zur Hilfe gekommen. Der Paechter auf ihrem Gute Gross-Loschwitz war unerwartet gestorben. Es bedurfte also einer fuehrenden Hand, und dazu hatte sie ihn zum Schluss zu ueberreden gewusst. Nach ihrem Aufenthalt im Sueden, an den italienischen Spiel- und Vergnuegungsorten, in Paris und Berlin, waren sie nach Dresden zurueckgekehrt und ruesteten sich mit dem nun eben begonnenen Fruehjahr--es war Mai geworden--nach Gross-Loschwitz ueberzusiedeln.-- * * * * * Inzwischen waren die Dinge im Knoopschen Hause in Berlin durch eingetretene Umstaende stark beeinflusst worden. Hier, wie anderswo, hatten Zwang der Umstaende, Einfluesse von aussen und innen und jene Schwaeche, die sich aus natuerlicher Ruecksicht, weichherzigen Anwandlungen und Nuetzlichkeits-Erwaegungen zusammensetzt, bewirkt, dass derselbe Mann, der von allen Knoops bis dahin verabscheut worden war, den fuer immer aus ihrer Naehe zu entfernen, ihr fortwaehrendes Sinnen und Trachten gewesen, nunmehr im Hause wieder verkehrte und als berechtigtes Familienmitglied behandelt wurde. Wenn man auch nicht unbedingt an seine Besserungsschwuere glaubte, auch seinen auf Entlastung von Schuld berechneten Erklaerungen ueber seine Vergangenheit nur ein halbes Ohr schenkte, so hatten doch seine einschmeichelnden Beteuerungen bewirkt, dass von einer dauernd trennenden Auseinandersetzung nicht mehr die Rede war. Herr Knoop hatte eine Summe gespendet, die Theodor, wie er selbst erklaerte, von Sorgen befreite, aber sich auch dazu verstanden, seinem Bruder eine Thaetigkeit im Geschaeft anzuweisen. Er hatte die Aufgabe, der Buchdruckerei und der Leitung Kundschaft zuzufuehren und empfing dafuer eine feste monatliche Zahlung und ueberdies eine nicht schlecht bemessene Provision. Herr Knoop ueberlegte wohlweislich, dass Theodor seine Pflichten sehr bald vernachlaessigen wuerde, wenn nicht ein Nebenreiz zum Verdienen bestand. So sah er wenigstens die Moeglichkeit, dass sich sein Bruder an eine ehrliche Thaetigkeit gewoehnte. Wo ihn sein Nachdenken und sein Verstand anders belehrten, da traten die Verwandtschaftsgefuehle in ihr Recht, auch entschlug er sich nach verstaendiger Menschenart dem Gruebeln ueber das, was einst kommen "konnte". Erreicht war zunaechst, dass das unnatuerliche Verhaeltnis zwischen den Bruedern beseitigt worden war, dass er sich der Gewissensbisse enthoben fuehlte, die ihm immer doch geblieben waeren, wenn er Theodor in der von ihm beabsichtigten Weise fortgeschafft haben wuerde, und endlich, dass er sich so am besten vor ferneren Schaedigungen des Namens Knoop schuetzte.-- Das naechste wichtigste Ereignis im Hause war die Rueckkehr von Arthur Knoop aus dem Auslande. An einem Sonntag Morgen holten ihn sein Vater, seine Mutter und Margarete vom Lehrter Bahnhof ab. Sehr veraendert sah er aus, als er den Seinigen gegenuebertrat, und ganz anders, als sie erwartet hatten, begruesste er sie. Er legte das Wesen eines Mannes an den Tag, der es als etwas Kindisches ansieht, Gefuehle hervorzukehren. Er sprach, nachdem er ihnen kaum fluechtig die Hand geboten, wohl aber den mit dem Tragen deines Handgepaecks betrauten Traeger deshalb sehr scharf angefahren, weil er bei dem Allzuviel eine lederne Tasche hatte fallen lassen, lediglich von der Zugverspaetung. Auch aeusserte er gleich beim Verlassen des Perrons,--unliebenswuerdig kritisierend--dass die Feder auf Margaretens Hut seinen Beifall nicht habe. Er flocht in recht gemachter Weise englische Laute in seine Reden ein: "No--no--you know--certainly" und anderes an englischen Einschaltungen ging ueber seine Lippen. Vor dem Besteigen des Wagens musste er sich noch eine Cigarette anstecken. Der scharfe Geruch fuehrte fuer Frau Knoop einen Hustenreiz herbei, und Margarete wehte mit der Hand den Rauch ab. "Na, seid ihr aber zimperlich," entschied Arthur, warf zwar den Rest zum Fenster hinaus, zog aber ein missfaelliges Gesicht und schuettelte den Kopf. Und was draussen in den Strassen sich darstellte, das unterzog er einer fortwaehrenden, abfaelligen Kritik, verglich es mit England und meinte: "Die guten Deutschen bleiben ewig in den Kinderschuhen stecken." Der Eindruck auf seine Familie war, wenn auch ein vermiedener, bei allen ein unbehaglicher. Bei Frau Knoop siegte zwar die Bewunderung ueber den Sohn. Arthur besass das Aeussere und die Manieren eines Mannes von Welt. Sie verglich die Zeit, in der er im Kittel und gelben Riemengurt um den kleinen Leib umhergelaufen war, mit dem heutigen Tage, und fuehlte sich gehoben durch ihres Sohnes Bildungs- und Anpassungsfaehigkeit. Sie glaubte an seinen Wert, weil sie ihn erhoffte. Sie redete sich ein, dass er sein altes, zutrauliches Kinderherz nur verstecke. Und Herr Knoop sah in ihm den jedenfalls das Leben kraeftig anpackenden Mann, der wusste, was er wollte, der besser fuhr, wenn er sich mit Weichmuetigkeit nicht abgab. Was ihm nicht gefiel, darueber wuerde er schon mit ihm sprechen. Anders war's mit Margarete. Sie empfand nicht nur eine starke Enttaeuschung, sondern sie wurde auch zu einer energischen Abwehr gedraengt. Das Gefuehl fuer alles Natuerliche, Vernuenftige und Gerechte, das im Grunde auch ihrer Mutter eigen war, das bei der nur einen Abbruch erlitt, sofern es sich um ihre Kinder handelte, lehnte sich gegen den kaltherzig abbrechenden Ton auf, den sich ihr Bruder erlaubte. Wenn er ihre Hutfeder getadelt hatte, so aergerte sie sich ueber seinen Hang, sich der herrschenden thoerichten Mode anzuschliessen: "Warum hast du denn deine Beinkleider unten umgelegt? Es ist ja voellig trockenes Wetter!" warf sie spoettelnd hin. Und Arthur antwortete: "Sprich doch nicht so naives Zeug, Grete! Man sollte glauben, du lebtest in Posemuckel oder in einem anderen Nest--" "Du irrst, Arthur! Ich weiss sehr wohl, dass zahllose Narren mit aufgekrempelten Beinkleidern umherlaufen, sollte aber meinen, dass sich Menschen mit gelaeutertem Geschmack nicht zum Diener solcher Abgeschmacktheiten machen." "Na ja, na ja, liebes Kind! Du bist die Weisheit in Person," warf wiederum Arthur hin, und schon hier im Wagen mussten die Eltern zum Frieden ermahnen.-- Die naechsten Tage nach seiner Ankunft benutzte Arthur Knoop, um sich im Geschaeft umzusehen, und dort die alten und neuen Angestellten zu begruessen. Ueberall, wo er erschien, begegnete man ihm mit einer ausnehmenden Zuvorkommenheit, ja, nicht selten mit aeusserster Unterwuerfigkeit. Man sah in ihm den Stellvertreter des Herrn Knoop, den kuenftigen Chef. Und Arthur, mit der tadellosen Erscheinung, der uninteressierten Miene, den kalten Augen und dem nach portugiesischer Art zugespitzten Kinnbart, reichte den Herren in den Geschaeftsabteilungen entweder herablassend die Hand, oder machte sich, wenn er ein Gespraech anknuepfte, zum Mittelpunkt der Eroerterungen. Niemals fragte er nach den persoenlichen Verhaeltnissen der Mitarbeiter seines Vaters. Den Unterbeamten und Handlangern nickte er ueberhaupt nur zu, und behielt in den Unterabteilungen der Druckerei, den Setzersaelen, den Maschinensaelen und Papierlagerraeumen, nach englischem Vorbild den schwarzen Cylinderhut auf dem Kopf. Nur Adolf behandelte er anders, und auch Theodor, sein Onkel, fand Gnade vor seinen Augen. Theodor wusste ihn zu umschmeicheln, und da es mit vollendeter Meisterschaft geschah, so wusste er Arthur fuer sich einzunehmen. Arthur fragte, wo sein Onkel abends verkehre, liess sich erzaehlen und erklaerte, sich ihm haeufiger anschliessen zu wollen. Theodor Knoop hatte inzwischen in seiner aeusseren Erscheinung sehr gewonnen. Er kleidete sich einfach dunkel, mit grossem Geschmack. Er hatte den roten Bart abgeschnitten, die Haarfrisur vorteilhaft veraendert und glich nunmehr einem, den vornehmen Kreisen angehoerenden Flaneur der Grossstadtwelt. Dieses Wertlegen auf eine ausgewaehlte Kleidung gefiel Arthur ausnehmend, er zog daraus sogar Schluesse auf die Wuerdigkeit seines Onkels. Die Vorurteile, die ihm durch den Inhalt der Briefe von Hause ueber Theodor geworden, schwanden allmaehlich mehr. Da Theodor es auch bei gelegentlichen Gespraechen ueber seine Vergangenheit mit gewohnter grosser Klugheit verstand, sich lediglich als Opfer ganz besonders widriger Verhaeltnisse darzustellen, befestigte er sein Ansehen in den Augen seines Neffen wenigstens gegenwaertig durchaus. In einer Unterredung mit seinem Vater hatte Arthur die Absicht kund gegeben, die Thaetigkeit von Klamm, von dem er sich immer und immer wieder erzaehlen liess, der ihm wegen seiner jetzigen Vermoegenslage ausserordentlich imponierte, aufzunehmen. Allerdings machte er auch gleich bestimmte Einschraenkungen, indem er erklaerte, dass er stets um sechs Uhr frei ueber seine Zeit verfuegen und sich ueberhaupt nicht gleich einem Angestellten binden wolle. Er huldigte dem Sport nach allen Richtungen, und uebte alle Passionen, die zu pflegen in England zum guten Ton gehoerten. Namentlich verstand er es auch, die vorhandenen Kraefte auszunutzen, die Angestellten in jener fortwaehrenden Spannung zu erhalten, die in ihnen die Befuerchtung wach erhielt, dass sie bei irgend einer Unterlassung oder geringerem Eifer ihrer Stellung verlustig gehen koennten. Die Personen waren eben nur fuer seine Zwecke da, und Geschaeft war lediglich Geschaeft. Da gab's keine Artigkeiten, keine Ruecksichten, sondern nur Dienstbarkeit und Arbeit, wofuer bezahlt wurde. Wo die Familie verkehrte, machte er alsbald Besuche, und dem Kutschbock-Diener, der fuer ihn die Karten abwarf, musste eine neue Livree angeschafft werden. Auch liess er sich in verschiedenen Sportklubs, und namentlich auch in dem so genannten Millionenklub aufnehmen. Er trat auf als der Sohn des Grosskaufmanns, des Millionaers. Und infolge seines Auftretens und seiner Erfolge verwandelte sich auch das anfaengliche Unbehagen seiner Eltern bald in ein Gefuehl, dass ihn das doch alles gut kleide. Stolz erfuellte ihr Inneres. Die alte Schwaeche der Nachsicht des Herrn Knoop gegen seine Familienangehoerigen trat in Kraft. Nur Margarete verhielt sich nach wie vor ablehnend gegen seine kalte Art, gegen sein Besserwissen, gegen seinen Egoismus und seine Ueberhebung. So hoerte sie auch mit allergroesstem Missfallen einem Abendgespraech zu, in dem Arthur bei Erwaehnung der Kommerzienrat-Aussicht des Herrn Knoop geringschaetzig hinwarf: "Ach! Das ist ja gar nichts, Vater. Kommerzienrat kann jeder werden, und wenn du es sein wirst, so meinst nur du allein, dass du etwas erreicht hast. "Du musst den erblichen Adel erstreben! Das ist etwas fuer dich und fuer uns! Und das werde ich einleiten, und in dieser Richtung soll Theodor helfen. Unsere Vorfahren waren ja adlige Dithmarscher Ritter. Daran wollen wir anknuepfen, und wenn du dafuer Opfer bringen musst, du hast ja die Mittel!" Herrn Knoop gefiel diese Rede ausnehmend. Er, der Sohn eines einfachen Muehlenbesitzers, sollte den erblichen Adel erhalten! Das war Nahrung fuer seinen Ehrgeiz! Aber noch eine vernahm, was er sprach, obschon sie dabei sass, als ob sie gar nicht dazu gehoere, ja, als ob sie gar nicht im Zimmer sei: Ileisa! Und sie dachte, welche geringe Bedeutung und welcher Unwert das war, was man besass, und welchen ungemessenen Reiz das ausuebte, was man nicht hatte. Sie war eine Baronesse von Oderbruch--und was war sie, und was fing sie damit an? Und diese Leute wollten ihr ehrliches Buergertum gegen ein "von" umtauschen und dafuer Opfer bringen, deren Inhalt zahllosen ungluecklichen Menschen ein glueckliches Dasein verschaffen konnte. Auch ihr gefiel, wie Margarete, manches durchaus nicht an Arthur, aber seine Entschiedenheit, seine Maennlichkeit, sein Selbstgefuehl floessten ihr einen gewissen Respekt ein. Sie draengte die Empfindungen fuer Klamm, die in groesster Staerke wieder erwacht waren, nachdem seine Verlobung mit der Witwe in Dresden bekannt geworden, mit aller Kraft zurueck. Sie nahm sich vor, Arthur entgegenzukommen ihn zu pruefen, sich allerdings auch nichts zu vergeben. Sie war ihm infolgedessen, als er einmal etwas frueher ins Speisegemach getreten war, sie dort allein angetroffen und sie angesprochen hatte, zuvorkommender begegnet, als es sonst in ihrer Art lag. Aber als er, dadurch kuehn gemacht, sich eine Vertraulichkeit gegen sie hatte erlauben wollen, hatte sie mit grosser Bestimmtheit im Ton gesagt: "Sie werden von Ihrem Fraeulein Schwester erfahren haben, wer ich bin, Herr Knoop! Ich bitte deshalb, dass Sie mir trotz Ihres Aufenthaltes im Hause, ein Bleiben moeglich machen. Ich habe nichts, als mein unbescholtenes Ich! Aber das ist mir so wert, wie irgend jemandem, der sich einer Bedeutung und eines Ansehens in der Welt ruehmt. "Ich rufe den Kavalier in Ihnen an--ich weiss, Sie sind ein Kavalier--und nun--ich bitte--Ihre Eltern und Fraeulein Margarete kommen--treten Sie zurueck--" Zwei Tage spaeter, als er abends mit seiner Schwester aus einer Gesellschaft zurueckgekehrt war, hatte er die Gelegenheit ergriffen, einmal eingehend ueber Ileisa zu sprechen. Er fragte sie, was sie nach ihren Beobachtungen von ihr halte. Und Margarete hatte erwidert: "Ileisa ist eine vornehme Natur. Ich wuesste nichts an ihr auszusetzen--" "Aber einen Fehler wird sie doch auch haben," fiel der nuechterne Arthur ein. Margarete dachte nach, dann sagte sie: "Mutter meint, der Verstand sei doch mehr in ihr ausgebildet, als das Herz." "Na, das ist doch erst recht ein Vorzug--" "Wohlan, wenn du es so betrachtest--und dann--dann--" "Nun?" "Sie glaubt, sie sei im Grunde doch ziemlich adelsstolz. Als du neulich von den Plaenen gesprochen haettest, die du fuer Vater hast, habe sich ein veraechtlicher Zug um ihre Mundwinkel gelegt. Als ob sie haette sagen wollen: "Ihr Buergerlichen! Ihr bleibt ja doch Grautiere, wenn ihr euch auch mit der Loewenhaut umhuellt." "Na, ja," fiel Arthur mit kaltem Lachen ein. "Sie hatte ja damit auch nicht so ganz unrecht. Ich meine,--in den Augen derer trifft's zu, die auf ererbten alten Adel zurueckblicken. Die Menge beugt dagegen den Ruecken. Bei der Masse giebt's Ansehen. Und auf sie kommt es an. Und den Zutritt zu den vornehmen Kreisen eroeffnet das 'von', ja, sichert es. Was will man mehr?" "Unbegreiflich," warf Margarete hin. "Du, der entsetzlich nuechterne Verstandesmensch, legst auf Dinge solchen Wert, eroerterst gar deren Wert in solcher Weise! Du, fuer den Erwerb, Geld, Lebenszweck ist! Ich denke, der Adel soll bestehen in der Tadellosigkeit unserer Lebensfuehrung, in vornehmer Gesinnung und Handlungsweise! Mein Buergerstolz lehnt sich dagegen auf, um des erkauften Titels oder Ranges willen mit anderen Augen in der Gesellschaft angesehen zu werden." "Ja, ja, du kommst immer mit deiner Kinderstubenmoral und Tugendsamkeit, meine Beste. Das kennt man! Aber mit ihnen wird man hoechstens eine kleine Kompastorin auf dem Lande. "Uebrigens kamen wir von Ileisa ab! Giebt's sonst noch etwas?" Margarete schuettelte erst den Kopf, dann sagte sie spoettisch: "Ja, eines giebt es noch, und das wird wenigstens auch in deinen Augen ein sehr starker Mangel sein! Dieses einzige ist: du imponierst ihr gar nicht! Nachdem offenbar sogar ein Herr von Klamm ihr den Hof gemacht--so stark den Hof gemacht, dass er sie heiraten wollte,--versinkt deine Herrlichkeit in nichts!" "Wie? Herr von Klamm hat sich um sie bemueht?" fiel Arthur, die starke Enttaeuschung, die Margarete ihm bereitet hatte, vorlaeufig unterdrueckend, ein. "Das ist ja etwas ganz Neues! Das habe ich ja gar nicht erfahren! Woher weisst du's? Hat sie es dir gesagt?" "Gesagt? Nein, Liebster! Dazu ist sie zu diskret und zartfuehlend. Sie wusste ja, dass er mir durchaus nicht gleichgueltig war.--Aber ich habe sie im Traume sprechen hoeren. Es geschah bald, nachdem uns Klamm verlassen hatte. Sie schlaeft doch neben mir. Die Thuer stand an dem Abend offen. Ploetzlich hub sie an, seinen Namen zu rufen und sich sehr schwaermerisch auszudruecken. "Und ueberdies hat mir Onkel Theodor erzaehlt, dass sie ein gewisser Numick im Tiergarten mit ihm hat promenieren sehen. "Es mag Zufall gewesen sein. Aber es ist sehr verdaechtig, dass sie mir niemals etwas davon erzaehlt hat."-- "Hm--hm--so--so! Darueber moechte ich wohl etwas Sicheres erfahren? Und namentlich moechte ich wissen, weshalb denn nichts aus der Partie geworden ist?" Margarete zog die Schultern und holte unwillkuerlich Atem, wie jemand, der sich so besser einer Starken Bedrueckung entledigt. Dann sagte sie: "Ist ueberhaupt Herr von Klamm zu ergruenden? Bei uns eifrig, ja unermuedlich! Ein Adliger aus vornehmer Familie! Ein Mann, mit dem Drang nach Einfachheit, Soliditaet, buergerlicher Thaetigkeit, nach Erwerb und Erfolg. Und gleichzeitig versteckt, unzuverlaessig, unwahr! Der Frau von Kraetz, die er nun geheiratet hat, soll er kurz vor der allgemein erwarteten Verlobung ploetzlich abgeschrieben haben. Dann hatte er sich--es scheint sicher--an ein anderes armes, junges Maedchen in Dresden gebunden. Die liess er aber auch,----und wiederum--nachdem ihn die Not trieb--suchte er die Millionaerin auf. Wenn nun noch hinzutritt, dass er Ileisa den Kopf verdreht hat, so steht man ja vor einem Raetsel, es sei denn, dass er eben doch ein Abenteurer ist, dass er hier nur so arbeitete und taeuschte, weil er sich mit den geheimen Absichten trug, Papas Kompagnon zu werden, oder ihm das Geschaeftliche fuer damalige eigene Zwecke abzulauschen. Diese Thatsachen haben denn auch, wenn meine Sympathien fuer ihn nicht abgeschwaecht, doch meine Neigung fuer ihn zum Erloeschen gebracht." Arthur hatte nicht ohne Spannung zugehoert. Nachdem seine Schwester aber ihre Rede beendet, sagte er mit einer an ihm sonst nicht hervortretenden Lebhaftigkeit: "Ich muss ihn kennen lernen! Ich moechte mir selbst ein Urteil bilden, moechte der Wahrheit oder den Ursachen seiner Handlungsweise nachspueren. Und Ileisa von Oderbruch--!? Hm--was du sagst--Uebrigens--da faellt mir ein--sie hat ja noch eine Tante. Die wollen wir doch bald einmal einladen. "Ich moechte sie naeher kennen lernen--" "Mir will wirklich scheinen, dass du fuer unsere Hausgenossin ein nicht gewoehnliches Interesse hast, Arthur!" fiel Margarete ein. "Aber ich wiederhole dir: Bei der, grade bei der wirst du kein Glueck haben!" "Na, ich werde dir das Gegenteil beweisen," stiess Arthur Knoop heraus, zog sein Etui hervor, entzuendete eine Cigarette und blies die Rauchwolken nach der Art stark Erregter aus dem Munde. Grade waren sie jetzt eben an dem Knoopschen Hause angelangt. Nachdem Arthur seiner Schwester die Thuer geoeffnet und sich noch versichert hatte, dass das ihrer wartende Maedchen zur Stelle war, nahm er den Weg zurueck. Er wollte noch in den Klub und dort einige Nachtstunden verbringen.-- * * * * * In einem alten Berliner Hause in der Kronenstrasse, drei Treppen hoch, zog einige Tage spaeter, um die Zeit zwischen Mittag und Spaetnachmittag Ileisa von Oderbruch an der nach frueherer Sitte durch eine Messingstange in Bewegung zu setzenden Klingel. Sie wollte ihre Tante, die dort ihre Zimmer besass, besuchen, wollte endlich einmal wieder nach laengerer Zeit dieser einzigen Verwandten, die sie noch auf der Welt hatte, Liebesbeweise an den Tag legen. Es waehrte eine Weile, bevor ihr geoeffnet wurde. Auch klaeffte ein Koeter mit den bekannten heiseren Kehllauten, die diesen Vierfuesslern eigen sind. Als endlich die Thuer aufgeklinkt wurde, geschah's nur spaltenweit. Hinter der noch nicht abgehakten Sicherheitskette fragte die Bewohnerin mit einer muerrisch misstrauischen Stimme, wer da sei, und was man wuensche. "Ich bin's, ich bin's, liebe Tante," betonte Ileisa. Nun flog auch rasch die Thuer auf, und unter dem freudenerregten Winseln des Hundes, unter dessen Wedeln und Anspringen, nahmen Tante und Nichte den Weg durch den etwas dunklen Flur ins Wohngemach. Die alte Dame mit dem kleinen, duerren Koerper, den eingefallenen Zuegen und den pergamentfarbenen Wangen, legte eine ueberselige Freude an den Tag, ihre Nichte vor sich zu sehen. Immer wieder schaute sie ihr ins Angesicht, strich ihr liebevoll die Haende und stellte Fragen. Und nachdem dieser erste Freudenausbruch vorueber war, begab sie sich zunaechst fort, um eine Tasse Thee zu bereiten. Nachdem sie alles Erforderliche herbeigeholt, und endlich noch aus einem neben dem Ofen stehenden Blechkasten eine Anzahl selbstgebackener Kuchen hervorgeholt, liess sie nun auch ihrer Zunge ueber ihre Person und Angelegenheiten freien Lauf. Zunaechst berichtete sie, dass Mopsi--so hiess der Hund--recht ernstlich krank sei, was um so stoerender gewesen, weil sie selbst wieder an ihrem alten, boesen Husten gelitten, und sich im Bett habe halten muessen. Dann folgten mitleidige Bemerkungen ueber das Fussleiden der Aufwaerterin, die taeglich erschien, um die groebere Arbeit zu verrichten, und nachdem sie dann auch noch allerlei mehr nachsichtige als anklagende Mitteilungen ueber den Hauswirt und die Mitbewohner gemacht, gelangte sie auf die Verhaeltnisse der Familie Knoop. Sie liess sich besonders von Arthur erzaehlen. Und Ileisa sprach aus, was zutraf, aber sie verhehlte auch ihrer Tante nicht, dass er ihr wegen seines kraeftigen, weltmaennischen Auftretens und seiner Abneigung, sich irgendwie in seiner Eigenart zu verdecken, nicht uebel gefalle. "Und wie stellt sich der Sohn zu dir?" warf die alte Dame hin. Ileisa berichtete ihrer Tante, was zwischen ihr und Arthur vorgefallen war. "Hm--gut so--sehr gut, mein Kind. Du bist nun sicher, dass er sich nichts wieder gegen dich erlauben wird! Noch mehr! Ich glaube, nach deiner Schilderung wirst du in seinen Augen nur gewonnen haben." "Es scheint so, allerdings, Tante. Ich hatte ein sehr unpersoenliches Wesen von ihm erwartet. Statt dessen redete er mich heute morgen in der liebenswuerdigsten Weise an. Es geschah sogar das bisher Unerwartete, dass die Familie sich endlich auch deiner einmal erinnert!" "Siehst du wohl! Siehst du wohl," fiel die Alte ein, machte vergnuegte Augen, und liess einen fast triumphierenden Ausdruck in ihren Zuegen erscheinen. Und gleich fuegte sie hinzu: "Ach, mein suesses Kind, wie wuerde ich mich freuen, wenn du mit der Zeit aus jeder Abhaengigkeit herauskaemest, wenn du einen braven, gutsituierten Mann faendest. Es ist mein taeglicher Gedanke und mein taegliches Gebet. "Schade, dass dieser Arthur ein solcher Verstandesmensch ist, das waere sonst ja alles nach Wunsch! Du die Schwiegertochter des Herrn Knoop! Es waere erreicht, was ich im geheimen gehofft und erwartet habe, als ich dir riet, eine Stellung anzunehmen.--Uebrigens--was macht denn der Herr von Klamm? Fuer ihn interessierte ich mich immer ausserordentlich. Wenn der in guten Verhaeltnissen gewesen waere, haette ich dir gewuenscht, dass du seine Frau geworden waerest." Statt zu antworten, stellte Ileisa die eben schon erhobene Theetasse wieder auf den Tisch, veraenderte ihre Miene und liess gedankenvoll das Haupt sinken. "Ja, ja, Tante--wenn er--" Dabei loeste sich gleichsam als Befreiung versteckten Schmerzes ein langer Seufzer aus ihrer Brust. "Also du interessiertest dich wirklich ernsthafter fuer ihn? Du liebtest ihn, meine liebe Ileisa? Ja! Ja! Ich hab' mir's gedacht, ohne dass du mir davon gesprochen hast," fiel die alte Dame teilnehmend ein. "Hatte es einen Sinn und Wert, Tante? Er hatte und war nichts--und was da so ploetzlich zum Vorschein gelangte und geschah--liess mich ja zweifeln, ob er ueberhaupt ein wirklich vertrauenswerter Mann sei-- "Und nun ist ja auch alles aus, und nichts mehr zu aendern." "Gewiss, mein Kind, und sollte sich Herr Arthur Knoop fuer dich entscheiden, pruefe dich zwar erst, aber dann sei nicht sproede, dann sage nicht nein. Ich halte es fuer moeglich, dass du, grade du ihn sanfter, weicher zu machen verstehen wirst. Und wenn dir das gelingt, so hast du ja auch das, was du jetzt noch an ihm entbehrst. Im uebrigen, mein Kind. Es ist eine Thorheit, wenn die jungen Maedchen den Veilchen nachahmen, und eher in demutvoller Bescheidenheit verbluehen, als die Augen einmal aufschlagen wollen. "Wie der Mann, so hat auch die Frau die Pflicht und Aufgabe, die sich fuer ihr Fortkommen bietenden Gelegenheiten wahrzunehmen. Ein Maedchen ist wirklich nicht unweiblich, wenn sie sich vorhaelt, dass ohne Entgegenkommen ueberhaupt im Leben kein Buendnis geschlossen wird! "Gewiss! Sitte und keinerlei Abweichung von der Tugend! Aber den ihr von Gott verliehenen Verband soll jede Kreatur gebrauchen! Kein Mensch zahlt uns Frauen etwas dafuer, dass wir aus lauter sittsamer Pruederie alte Jungfern werden. Im Gegenteil: Wenn wir's geworden, verhoehnt man uns noch dazu!" Die alte Dame sprach's und seufzte auf. "Allerdings, oft mit bitterem Unrecht," fuhr sie fort. "Man kann sein Glueck auch aus Pflichtdrang fuer andere verpassen--wie es mir geschah.--Wie! Was?--Du siehst schon nach der Uhr? Ist's schon so weit, mein suesses Kind? Nein, nein, ich will dich nicht aufhalten--! "Wart', ich helfe dir----Still, Mopsi--still--still!----Wie meinst du?--Gewiss, ich komme gern, und dass sie mich gar in ihrem Wagen nach Hause bringen wollen, ist ja aeusserst liebenswuerdig! "Gruesse und danke.--Adieu! Adieu! Auf Wiedersehen, mein liebes Kind!"-- * * * * * Acht Tage nach dem vordem Geschilderten hatte Arthur vormittags eine sehr wichtige Beratung mit dem Oberfaktor. Verschiedene groessere Firmen in Berlin waren von der zustaendigen Behoerde aufgefordert worden, Offerten einzureichen. Es handelte sich um die fuer die allgemeine Volkszaehlung im Deutschen Reich erforderlichen Zaehlformulare, deren Ausfuehrung einer mindest bietenden Buchdruckerei uebertragen werden sollte. Arthur ueberlegte mit dem Faktor schon seit Stunden. Die Kosten fuer das Papier und die gesamte uebrige Herstellung wurden wiederholt ueberschlagen, aber auch Erwaegungen angestellt, ob das ungeheure Quantum in der vorgeschriebenen Zeit fertig gestellt werden, ob der jedenfalls mit sehr gedrueckten Preisen hervortretenden Konkurrenz so begegnet werden koenne, dass ein Nutzen ueberhaupt zu erzielen sei. Von grossem Vorteil wuerde es sein, wenn in Erfahrung zu bringen waere, welche Offerten eine andere, im wesentlichen in Betracht kommende Firma, naemlich die Hohensteinsche Buchdruckerei mache. Sie war die einzige, die bezueglich der gesamten Einrichtungen Gleiches und mehr schaffen und zu maessigen Saetzen herzustellen vermochte, als das Knoopsche Geschaeft. Waehrend sich noch Arthur und der Faktor unterhielten, zwischendurch Anfragen von Eintretenden beantworteten, auch den sich ihnen zugesellenden Herrn Knoop eben mit der Erklaerung beruhigt hatten, dass sich selbst bei dem von ihnen erwogenen Minimalpreis noch ein sehr schoener Nutzen herausstellen werde, trat nach dessen Fortgang Theodor Knoop mit sehr beschaeftigter Miene ins Kontor. Arthur streckte ihm mitten im Redefluss, kurz nickend, die Hand entgegen und warf, als Theodor fragte, ob heute morgen etwas zu besorgen sei, erst nachsinnend und dann von einer praktischen Idee erfasst, in einem belebten Ton hin: "Hm--ja. Allerdings!" Dabei gellte er sich gegen das Pult, zog erst noch vorm Weitersprechen das Cigaretten-Etui hervor, entzuendete mit gewohnter Schnelligkeit eine Diubek und stiess den Rauch durch die Nase. Dann ergaenzte er, waehrend er die Linke in die Beinkleidertasche schob: "Koenntest du vielleicht an den Faktor der Hohensteinschen Buchdruckerei herankommen und ihn ausforschen, welche Offerte--sie fuer die Zaehlkarten einreichen! Da waere was fuer dich und fuer andere zu verdienen." Erst zog Theodor die Lippen. Gleich darauf aber trat ein cynischer Ausdruck in seine Mienen und er stiess heraus: "Ah! Du meinst, ich soll ihn--" Hier machte er eine nicht misszuverstehende Bewegung mit der Hand und lachte unangenehm anzueglich. Arthur aber ging auf diese Auslegung seiner Worte nicht ein; er liess vielmehr einen abweisenden Ausdruck in seinen Gesichtszuegen erscheinen und sagte: "Nein, du irrst dich!--Wie sollte ich auf so etwas kommen. "Weisst du, wir sprechen noch ueber die Sache, ueber das Wie.--Wo fruehstueckst du heute?--Hm--Hm--Ich schlage dir vor, dass wir bei Ewest in der Behrenstrasse um ein Uhr ein Steak essen. Ich lade dich ein!" Und ohne Theodors Antwort abzuwarten, da er dessen Zustimmung immer gewiss war, wenn er ihn zu einer Pikanterie einlud, schloss er: "Also abgemacht! Ein Uhr, rechts im Zimmer mit der geschnitzten Thuer.--Jetzt habe ich hier noch vollauf zu thun." Dabei drueckte er ihm in jener Art die Hand, durch die man jemanden hoeflich hinauskomplimentiert. Nachdem der Onkel gegangen, war Arthur zunaechst bemueht, den unvorteilhaften Eindruck dieser Scene bei dem Faktor zu verwischen. Was er gesagt hatte, war ihm in Wirklichkeit im Augenblick so herausgeschluepft. 'Dergleichen that man natuerlich nicht bei ruhiger Ueberlegung.' Er sagte deshalb: "Gewiss, Karlsen, man haette es leicht, wenn man etwas von Hohensteins erfahren koennte. Aber natuerlich meinte ich nur, dass man dem Faktor vielleicht Fragen stellen koenne, aus denen man sich einen Vers zu machen im stande waere. "Einen Beamten zu Pflichtvergessenheiten zu verleiten, wie Herr Knoop annahm, kann mir doch nicht beifallen." Arthur hatte auch Glueck. Karlsen, der Faktor, nahm die Worte, wie sie Arthur verstanden haben wollte. Und Arthur war dessen sehr froh! Es kam ihm jetzt auch noch der Gedanke, dass sein eigener Beamter auf die Idee geraten koenne ihn an die Hohensteinsche Buchdruckerei fuer Geld zu verkaufen!! Er erschrak foermlich! Und er nahm sich vor, Theodor unter allen Umstaenden von Schritten abzulenken, zu denen er in einer unbesonnenen Anwandlung, in der Sucht, Vorteile zu erringen, den Anlass gegeben hatte.-- Als Onkel und Neffe zur verabredeten Zeit im Ewestschen Restaurant in dem erwaehnten Raum beisammensassen, einen halben Hummer verzehrten und eine Flasche Bocksbeutel dazu tranken, sagte Theodor, sobald er die Gelegenheit als guenstig erachtete, in stark belebtem Tone: "Weisst du, Arthur, wie ich die Sache mit Hohensteins Faktor machen koennte? Wir wollten ja darueber noch reden!--Ich werde mich an ihn heranmachen und fragen, ob er nicht bei uns ins Geschaeft eintreten wolle. Verbessern will sich jeder! "Wenn ich ihn dann heute abend in den Ratskeller bestelle, und nach einigen Flaschen Wein nach meinem Willen habe, dann gehe ich vor!" Zunaechst entgegnete Arthur mit ungekuenstelter Ueberraschung: "Bei uns eintreten? Ich verstehe nicht! Wir koennen den Mann doch nicht anstellen?" "Ach, davon ist ja auch nicht die Rede. Das soll ja nur die Einleitung, das Lockmittel, der Vorwand sein. Nachher kriegt er eben seinen Batzen fuer seine Dienste. Und--und--wie viel hast du mir denn zugedacht, wenn ich euch die Offerte, die Hohensteins machen, herausbringe." Diese letzte Aeusserung aergerte Arthur ausnehmend. Abgesehen davon, dass die Vorschlaege, die sein Onkel machte, ein starkes Oppositionsgefuehl in ihm erregten, sah er es als einen Mangel an Delikatesse an, dass Theodor, der inzwischen so viel Gutes von der Familie genossen hatte, gleich seinen Vorteil betonte, schon vorher wissen wollte, was fuer ihn abfiel. Er sagte deshalb wiederum in seiner unangenehm kalten Art: "Du hast mich voellig missverstanden, wenn du annimmst, dass ich jemals die Hand zu dergleichen Vorgehen bieten koennte. Meine Meinung war, dass man versuchte, etwas auf geschickte Art herauszubringen. Aber so was--" "Na, du sagtest doch, ich und andere koennten verdienen," betonte Theodor bruesk. "Das war doch nicht misszuverstehen!" "Du hast es aber doch falsch aufgefasst! Ich meinte, du solltest etwas davon haben, obschon ich--aufrichtig gesagt--eben nicht angenehm beruehrt war, dass du das in den Vordergrund stelltest, uns das nicht ueberlassen wolltest. Und wir wuerden was davon haben, wenn die Wirkung die waere, dass wir die Lieferung erhielten." "Na, ja--Also--du hast dich besonnen! So drehst du's jetzt! Du willst lieber nichts ausgeben.--Darauf kommt's heraus!" fiel Theodor--zum erstenmal Arthur in einer solchen abfaelligen Weise begegnend, ein. Einen Augenblick wollte sich Arthur hinreissen lassen, das zu thun, was sich Menschen um so eher aufdraengt, wenn sie sich getroffen fuehlen. Dann aber beherrschte er sich doch und entgegnete nur in einem ueberlegenen Tone: "Du hast recht: Ich habe mich besonnen, dass ich zu derartigen Mitteln nicht greifen will, besonders und unter keinen Umstaenden zu solchen, wie du sie zu meinem Erstaunen vorschlaegst! Aber im Unrecht bist du, wenn du meinst, die Furcht einer Schmaelerung des Verdienstes leite mich. "Wenn die Firma Knoop so daechte, verehrter Onkel, wuerde sie mit dir doch keine Pakte geschlossen haben--" "Was soll das nun wieder?" fiel Theodor ein. "Ich denke, ihr habt hinreichenden Nutzen aus meiner Thaetigkeit, und alte Sachen soll man endlich schon deshalb ruhen lassen, weil jeder seine Rechnung mit sich zu machen hat. Wie ich fuer euch thaetig bin, wollte ich dir grade erzaehlen. Ich wollte dir mitteilen, wie weit ich im Heroldsamt mit der Nobilitierung deines Vaters gekommen. Aber freilich--bei solcher Art vergeht einem die Lust. "Du denkst immer, verehrter Neffe, dass dir alles ansteht. Andere denken sehr viel anders darueber." "Hm--es mag sein, Onkel! Aber entscheidend ist wohl, ob Defekte im Charakter oder nur unsympathische Eigenschaften der Kritik unterliegen. Dass deine Vergangenheit nicht voellig tadellos ist, kannst du doch nicht leugnen, und wenn du vorschlugst, den Faktor bestechen zu wollen, so ist dies nur ein Beleg, dass du es mit Gewissenssachen nicht sehr ernst nimmst. Ueber dir zu Gericht sitzen--kann mir nicht beifallen, aber wenn du einen solchen Ton gegen mich anschlaegst, so sage ich dir meine Meinung." "Ja, ja, es ist immer dieselbe Geschichte. Dein Vater und du halten sich fuer Goetter, andere aber gehoeren in den Hades!" "Gut, zugegeben, dass wir unsere Schwaechen haben! Sie ueberhaupt zu leugnen--da wir Menschen sind--waere ja eine Laecherlichkeit," entgegnete Arthur mit unheimlicher Ruhe. "Aber du bietest ja selbst die Hand zu dem Ehrgeiz, den du so herbe verdammst.--Eben hobst du noch hervor, dass du wieder Schritte gethan habest. Ich sollte denken, dass du doch so etwas Schlimmes dann nicht darin erkennen kannst.--Im uebrigen! Wohin sollen solche Gespraeche fuehren? Sie koennen schliesslich nur den Ausgang einer voelligen Entfremdung zwischen dir und uns haben. Und das kann dir doch am wenigsten wuenschenswert sein! "Wessen Brot ich esse, dessen Lied ich singe. Lasse also die Dinge ruhen, lasse aber hoeren, was du aus dem Heroldsamt bringst." Nach diesen Worten erhob Arthur das Glas, hielt es seinem Onkel hin, und liess einen kuenstlich versoehnlichen Ausdruck in seinem Angesicht erscheinen. Es wurde Theodor nicht leicht, sich gleich wieder umzustimmen. Er war zu allem, was ihn veraechtlich machte, auch noch ueber die Massen empfindlich. Er wollte--trotz aller Ueberfuehrung--immer noch ein Opfer der Verhaeltnisse, und auch zu seiner jetzigen Thaetigkeit nur deshalb gedraengt sein, weil er noch unter den Folgen frueherer Widerwaertigkeiten litt. Das Wesentliche seiner indessen nun folgenden Mitteilungen ging dahin, dass dem Antrag auf Nobilitierung deshalb an sich naeher getreten werden koenne, weil es als richtig festgestellt sei, dass die Familie in frueheren Jahrhunderten "von Knoop" gehiessen habe. Aber es sei nach den gegebenen Vorschriften erforderlich, pekuniaere Nachweise und Opfer zu bringen, und jedenfalls besser, die Zeit abzuwarten, nachdem sich Herr Knoop als Privatmann vom Geschaeft zurueckgezogen haben werde. Einen Gewerbetreibenden mache man zum Kommerzienrat, wenn die Vorbedingungen vorhanden seien, aber eine Nobilitierung sei bei Personen mit offenem Geschaeft nicht angebracht. "Na--und weiter," forschte Arthur, nachdem das alles von Theodor eroertert war. "Ja, sonst nichts! Dein Vater muss nachweisen, dass er standesgemaess leben kann--also etwa eine Million oder mehr besitzt, und er muesste wohl aus dem Geschaeft austreten. "Zudem wird vorausgesetzt, dass er irgend eine Schenkung macht, zum Beispiel an den Deutschen Frauen-Verein vom roten Kreuz oder dergleichen. Ihr wuerdet gut thun, das Geschaeft--ich wollte schon darueber immer einmal mit dir und deinem Vater reden--an eine Aktiengesellschaft zu verkaufen. Dann kann sich dein Vater zurueckziehen, und alles ist in Ordnung." "Doch nicht! Wo bleibe ich?" fiel Arthur kritisch ein. "Wenn mein Vater als Geschaeftsmann nicht nobilitiert werden kann, so also auch ich nicht!--Und ich will doch eine Thaetigkeit behalten, ich will doch noch Geld verdienen--" "Hm! Weisst du, darueber habe ich auch schon nachgedacht. Du laesst dich zum Vorsitzenden des Aufsichtsrates der Aktiengesellschaft machen. Du schwebst sozusagen als Geist ueber den Wassern. So erreichst auch du deinen Zweck! Sehr haeufig fungieren ja Adlige--Grafen und Barone--als Aufsichtsraete. Das hat sich ja eingebuergert und wird nicht moniert! Im Gegenteil!" Diese Worte gefielen Arthur nicht schlecht. Er sah sich bereits in seinen jungen Jahren in einer solchen Position. Er war der reiche Privatmann, der sich bei grossen Unternehmungen beteiligte, den man auch sonst in Direktionen hineingewaehlt, der Vertrauensstellungen einnahm, der grosses Ansehen genoss und mit verhaeltnismaessig wenig Arbeit seine Taschen fuellte. Der Freiherr Arthur von Knoop--den Freiherrn musste er erzielen!--war in aller Welt Munde! Ah! Wie das des ehrgeizigen jungen Mannes Inneres entflammte! Er sagte jedoch, rasch wieder nuechtern geworden, und seinen Zuegen einen pessimistischen Ausdruck verleihend: "Aktiengesellschaft! Aktiengesellschaft! Ja, wenn das so leicht waere! Gewiss! zu machen ist ja alles! Aber ob man den Preis erhaelt, den man haben muss! "Andere Menschen rechnen auch, und erst recht. "Die ganze Nobilitierungsaffaere scheint mir nicht nur auf sehr schwachen Fuessen zu stehen, sondern in dieser Behandlungsart, bei solchen Forderungen, ziemlich aussichtslos." "Du irrst wieder einmal gruendlich," fiel Theodor mit abfaelliger Betonung ein. "Die Aktiengesellschaft bringe ich sehr rasch zu stande, und wenn ich gut verdiene, so vorteilhaft, dass ihr mehr als zufrieden seid! "Und wenn's keine Aktiengesellschaft wird, so weiss ich einen Millionaer, der darauf reflektiert. Schliesslich kann's euch ja gleich sein--woher ihr euer Geld bekommt--und um so eher begegnest du dem Einwand, dass du eine gewerbliche Thaetigkeit als kuenftiger Freiherr betreibst." "So--so--da waere ich begierig," fiel Arthur ein, zog die bekannte Cigarette hervor, entzuendete sie mit gewohnter Hast und paffte stark. "Also--bitte--heraus damit, wenn's gefaellig ist--" "Der Reflektant ist--ich nehme natuerlich an, dass ihr nicht selbst verhandelt, sondern mir das ueberlasst--Freiherr Alfred von Klamm. Er sucht ein Zeitungs- und Druckerei-Unternehmen zu erwerben--" "Du meinst?" fiel Arthur ueberrascht, aber zunaechst nicht unglaeubig ein. Und dann doch gleich wieder abwiegelnd: "Jedenfalls kannst du aber doch nicht mit ihm verhandeln. Du, den er beschuldigt, dass du ihn und seine Mutter um ihr ganzes Vermoegen gebracht hast. Da muesste doch ein anderer vorgehen--" "Und du glaubst noch immer an diesen Unsinn, Arthur!? Ich muss mich wirklich wundern! Schon aus dem Umstande, dass ich mit ihm in Verbindung treten will, erhellt doch zur Genuege, dass ich ihm seine Behauptungen vollkommen zu widerlegen im Stande bin. "Ich will davon absehen, dass ich ihn eigentlich wegen schimpflicher Verleumdung belangen muesste." Arthur erhob das Haupt und sah seinen Onkel nicht ohne starken Beifall an. Was sich nicht alles in dessen Kopf gestaltete, und mit welcher cynischen Souveraenitaet er ueber Felsen und Schluchten wegsetzte. Man musste es bedauern, dass ein an sich so findiger und gewandter Mensch seine ihm von der Natur verliehenen Gaben nicht in den Dienst solider Dinge stellte! Nach diesen, auf Theodor gerichteten Betrachtung gen aber gingen auch seine Gedanken wieder zu Klamm. Er sagte infolgedessen: "Na, ja--gleichviel! Lassen wir das! Etwas anderes aber ist--und das faellt allein ins Gewicht: Sollte wirklich Klamm, nachdem er in einen solchen Glueckstopf gegriffen und sich wieder in die vornehme Gesellschaft eingereiht hat, ein Zeitungs-Unternehmen und eine Buchdruckerei kaufen wollen?" "Ja," betonte Theodor entschieden. "Er sucht etwas, obschon seine Frau, wie ich erfahren habe, durchaus dagegen ist. Er hat einmal Geschmack an der Publizitaet gefunden, und die Eitelkeit, als selbst produzierender Mensch und Zeitungsbesitzer die uebliche einflussreiche Rolle zu spielen! Frage nur deinen Vater, mit welchem unglaublichen Eifer er bei euch thaetig war. Freilich das nur, um bei euch etwas moeglichst rasch abzulernen." "Ja!" meinte Arthur und ruestete sich jetzt, rasch nach der Uhr sehend, zum Aufbruch. "Es ist ein ungewoehnlicher Mensch, und ich wiederhole oft Gesagtes: ich moechte ihn gern 'mal kennen lernen. Na, ja! Denkbar ist es ja jetzt--wenn du"--hier nahm Arthur seinen pessimistischen Ton wieder an--"dir nicht selbst etwas eingebildet, wenn du nicht Moeglichkeiten und Hoffnungen als Thatsachen hingestellt hast! "Jedenfalls will ich noch heute mit meinem Vater sprechen und ihm ueber alles Mitteilung machen. Du sollst dann alsbald Nachricht haben." Hierauf klingelte er, zahlte dem Kellner, ohne von seinem Onkel noch besondere Notiz zu nehmen, und machte sich dann--ihm rasch und fluechtig die Hand drueckend--davon. "Geben Sie mir noch einen Hennessy Cognac vom besten!" erklaerte Theodor, der noch dageblieben war, dem Kellner, und zog die Boerse. Und waehrend dieser forteilte, um das Verlangte herbeizuholen, murmelte Theodor Knoop: "So viel ist gewiss! Sobald ich mein Geld bei ihnen fuer die Adelsgeschichte und den Verkauf des Geschaefts in der Tasche habe, ziehe ich mich von der ruppigen Gesellschaft ein fuer allemal zurueck! Jede kleinste Zuwendung wird einem vorgehalten. Selbst Bezahlungen fuer geleistete Dienste werden einem auf das Mitleidskonto geschrieben! "Mit meinem Bruder laesst sich wenigstens noch sprechen! Aber dieser eingebildete Ruppsack und Erz-Egoist Arthur ist mir nachgerade widerlicher, als irgend ein anderer Mensch! "Bevor ich vorgehe, werde ich mir erst einen Schein ueber meine Provision ausstellen lassen! Sonst streiten sie mir alles nachher ab. "Ich hole die Kastanien aus dem Feuer und habe nachher das Nachsehen! "Und--und--kann ich dem Arthur nachher 'mal eins beibringen, so soll's gewiss geschehen! "Ich vergesse es nicht, wenn jemand sich einen solchen Ton gegen mich erlaubt!" Und waehrend er die Friedrichstrasse hinabflanierte und den Weg nach der Kanonierstrasse nahm, woselbst er in einem kleinen Hotel wohnte, schloss er: "Wetter! Wie waere es, wenn ich mir die Preise fuer die Zaehlkarten von Knoops verschaffte und durch--hm--hm--vielleicht durch Numick--solche der Hohensteinschen Buchdruckerei offerierte? Da waere jedenfalls ein Geschaeft zu machen. Die sind nicht so zimperlich.--Freilich--freilich--solange ich so noch zu Knoops stehe--ist's wohl besser--Ich koennte hereinfallen und mir alles verderben.--" * * * * * Arthur machte an demselben Tage seinem Vater Mitteilung von der Unterredung mit Theodor. Sie hatten sich nach Tisch in der Villa im Arbeitszimmer des alten Herrn niedergelassen und schluerften, waehrend sich die Damen zu einem Schlaefchen zurueckgezogen, eine Tasse Kaffee, und rauchten eine Havanna. Herr Knoop war in ausserordentlich guter Stimmung. Die Aussicht auf das Geschaeft mit den Zaehlkarten machte ihm eine gute Laune. Er hielt den Zuschlag fuer ziemlich sicher, weil die als aeusserst zuverlaessig bekannte und bei den Behoerden vorteilhaft eingefuehrte Buchdruckerei schon seit Jahren wiederholt als Sieger bei solchen Konkurrenzen hervorgegangen war. Nicht der Preis allein, sondern die Guete und die Sauberkeit der Ausfuehrung der Ware, deren man bei Knoops sicher war, halfen, wie er wusste, bei der Entscheidung mit. Arthur hatte ihm von neuem bestaetigt, dass ein sehr huebscher Posten, selbst bei der beabsichtigten starken Ermaessigung, abfallen werde. Ueberdies wirkten die Nachrichten und Vorschlaege, die Theodor gemacht, sehr erhebend auf Herrn Knoop. Dass Klamm Kaeufer sein koenne, leuchtete ihm ein. Als Bewerber passte er ihm ausnehmend. Die Frau besass bekanntlich Millionen! Infolgedessen wuerde die Anzahlung, die Knoops fordern mussten, keine Schwierigkeiten haben. Aber auch der Bildung einer Aktiengesellschaft war Herr Knoop, der solchen Plaenen bisher ausgewichen war, nicht abgeneigt. Thaetigkeit wuerde ihm, dem spaeteren Freiherrn von Knoop, nicht fehlen. Auch Arthur wuerde sich, bei seinem ausgepraegten Erwerbssinn, der Arbeit nicht entziehen und schon etwas Passendes finden, sofern er nicht in der Aktiengesellschaft Beschaeftigung und Vorteile fand. Nach Theodors Mitteilung stiess ja nur noch der Geschaeftsmann in seiner jetzigen Facon im Heroldsamt auf Widerstand. Eine erheblichere Summe fuer einen oeffentlichen, dem Staat dienenden Zweck herzugeben, fiel ihm nicht schwer, und er war dazu bereit. Es lagen starkgewoelbte Packete mit Staatspapieren in seinem Geldschrank! Gegenwaertig hatte alles andere, was ihn sonst beschaeftigte, ein untergeordnetes Interesse. Nur die Ueberlegung, wie seine Frau und Margarete die Sache auffassen wuerden, machte ihm noch Sorge. "Deine Mutter wird freilich nicht sehr einverstanden sein, Arthur," erklaerte Herr Knoop. "Sie legte schon auf den Kommerzienrat keinen Wert. Und deine Schwester ist erst recht nicht dafuer, dass wir das Geschaeft aufgeben! Freilich, auf sie kommt nichts an. Aber deine Mutter hat ein Wort mitzureden." "Na, was will Mutter denn mehr, als eine so gesicherte Zukunft, Vater!? "Ihr werdet euch die schon mehrfach von euch gewuenschte Villa kaufen, eine angenehme und noch erweiterte Geselligkeit pflegen, im Sommer--da du nicht mehr gebunden bist--ins Bad reisen und so euch in eurem Alter eines ungewoehnlich behaglichen Lebens erfreuen.-- "Grete besitzt wirklich etwas mehr als kleinbuergerliche Anschauungen. Sie gleicht trotz ihrer Jugend alten Leuten, die sich in eine neue, andere Zeit nicht hineinversetzen koennen. "Ihr fortwaehrender Oppositionsdrang ist recht stoerend und wenig geschmackvoll!" "Na, sie leidet sonst nicht daran, Arthur! Sie besitzt nur einen stark ausgepraegten Sinn fuer alles Natuerliche. Es ist ein vortreffliches Maedchen.--Schade--schade"--unterbrach er sich--"dass sich Klamm gebunden hatte. Der waere ein Mann fuer sie gewesen. Es mag sein, wie es will--hervorragende Eigenschaften hatte er trotz alledem." "Vielleicht, Vater! Aber die Sache war ja aussichtslos, da Klamm Ileisa den Hof machte. Er hat sich fuer Grete ja gar nicht interessiert--" "Allerdings! Es scheint so! Sicher aber waere es anders geworden, wenn wir das fremde junge Maedchen nicht ins Haus genommen haetten. Es war ein Fehler--" "Wie du so sprichst, Vater! Ich denke, Grete hatte doch einen grossen Gewinn von dem Verkehr mit ihr! Und die Dinge mit Klamm sind doch nun abgethan! Er kuemmert uns doch nur noch als Reflektant. Und dahin wollen wir wirken. Ich werde Theodor morgen frueh gleich mitteilen, dass du einverstanden bist." "Nein, nein! Warte doch noch erst, mein Sohn! Erst muss ich mit deiner Mutter nochmal sprechen. Wir wollen nichts ueberhasten. Besser fahren wir beim Verkauf, wenn die Zaehlkarten-Angelegenheit durchgeht. Das entscheidet sich ja--wie anzunehmen--in acht Tagen-- "Und dann--" In diesem Augenblick erschien mit vorsichtigem Schritt Adolf mit der wichtigen Miene und den staehlernen Ringen in den Ohren. Er bestellte, dass ein Herr Herrn Knoop senior sogleich dringend zu sprechen wuensche. "Warte hier--ich komme zurueck"--entschied der alte Herr, erhob sich rasch und elastisch und verliess, von Adolf gefolgt, das Zimmer. Eine Zeitlang blieb Arthur noch nachdenklich sitzen. Dann erhob er sich--von einem starken Verlangen nach Ileisa, von der er wusste, dass sie im Wohnzimmer sein werde, erfasst--und trat, auf dem dicken Teppich unhoerbar einherschreitend, in das erwaehnte Gemach. Und da bot sich ihm dann ein Anblick, der ihn berueckte: Ileisa war, waehrend sie mit einer Lektuere beschaeftigt, eingeschlafen. Das Buch, in dem sie gelesen hatte, war ihr aus der Hand geglitten. Es ruhte auf ihrem Schoss. Waehrend des Schlummers hatte sie ihre urspruengliche Stellung veraendert. Der Koerper war in eine schraege Lage geraten, das Gewand hatte sich verschoben, und ein kleiner Fuss und ein Knoechel, ueber dem ein wahrhaft vollendetes Ebenmass der Linien sichtbar wurde, bot sich Arthurs Augen. Aber er ueberflog auch mit feinen Augen die klassischen Formen ihres ueppigen Koerpers; er sah, wie sich die Bueste in sanfter Regelmaessigkeit hob und senkte, und ihn entzueckte der waehrend dieser Bewusstlosigkeit in ihrem Angesicht noch staerker hervortretende, ihr gleichsam angeborene Ausdruck stolzer Gemessenheit. Nicht trennen konnte er sich von ihrem Anblick, und je staerker es ihn ueberkam, dass er eigentlich eine Unzartheit begehe, so von ihr unbemerkt, ihre Schoenheit auf sich wirken zu lassen, desto mehr verstaerkte sich sein Verlangen, in ihrer Naehe zu bleiben. Ja, noch mehr! Von einer maechtigen Leidenschaft erfasst, kniete er vor ihr nieder und war eben im Begriff, einen Kuss auf ihre Hand zu druecken, als sie jaehlings erwachte, sah, was vorging und in hoechster Verwirrung emporschnellte. "Wie--Sie--Herr Knoop?" stiess sie, waehrend das Rot der Scham in ihr Angesicht schoss, erschrocken heraus. "Ja, ich!" betonte der Mann, "ich, der Ihnen schon lange sagen wollte, dass ich Ihnen gut bin, der ich Sie schon lange bitten wollte, mir Gehoer zu schenken! "Es sei Ihnen gestanden, Fraeulein Ileisa--ich liebe Sie, und wuerde gluecklich sein, wenn ich gleiche Empfindungen bei Ihnen voraussetzen duerfte." Nach diesen Worten beugte er sich zu dem zunaechst fassungslosen jungen Maedchen herab, kuesste erst stuermisch ihre Haende und nahm sie, als sie keinen Widerstand leistete, vielmehr in einem Gemisch von andauernder Verwirrung und aufflammender Hingebung den Oberkoerper unwillkuerlich zu ihm neigte, in seine Arme. Nun kuesste er auch ihre Lippen, zwang sie, sich zu erheben, und draengte sich ganz zu ihr. Und sie zu ihm! Von einem heftigen Liebesrausch erfasst, verharrten sie so eine Weile, ganz sich hingegeben, bis ploetzlich nebenan ein Geraeusch hoerbar wurde, und beide auseinanderflogen. Aber, als er dann etwas Furchtsames in ihrem Angesicht sich regen sah und den Grund richtig deutete, fand er noch Zeit, ihr hastig zuzufluestern: "O nein, nein--fuerchte nichts, mein teures Maedchen. Ich meine es ehrlich. Noch heute erklaere ich meine Verlobung mit dir meinen Eltern! Du bist mein--und ich bin dein fuer immer!" Noch sah er, welch glueckseliger Ausdruck in ihrem Angesicht erschien, wie sich die Bueste befreit hob. Dann entschluepfte sie, er aber schritt seinem zurueckkehrenden Vater mit aeusserlich gleichmuetiger Miene entgegen.-- * * * * * Nach diesem Zwischenfall trat bei den Verlobten dasselbe ein, was der erste Liebesrausch zunaechst nachwirkend stets zur Folge hat. Eine starke Erregung durchstroemte ihre Koerper und Seelen, und die Sehnsucht, jede Trennung zu verkuerzen, trat in ihr Recht. Daneben begannen sich, da beider Verstand nicht schlief, die Ueberlegungen zu regen. Im Gegensatz zu den meisten Brautpaaren, die alles, was den Gegenstand ihrer Neigung betrifft, verherrlichen, die das rechte Augenlicht fuer Helle und Schatten verlieren, uebersannen diese beiden Menschen nuechtern die Folgen, die Vorteile und Nachteile des zwischen ihnen geschlossenen Buendnisses. Arthur sagte sich, dass die Standes-Erhoehungsplaene, die sein Vater und er verfolgten, eine Foerderung erfuhren, wenn er in den Zeitungen veroeffentlichen konnte, dass er sich mit der Freiin Ileisa von Oderkranz verlobt habe! Dies klang sehr gut, das machte Eindruck. Und wenn er sie zudem als seine Braut in die Gesellschaft einfuehrte, wenn sie erst die Kleider und den Schmuck trug, die er ihr schenken wollte, wenn ihre grosse Schoenheit noch dadurch gehoben wurde, dann geschah seiner Eitelkeit und seinem Drang, Beachtung und Aufsehen zu erregen, vollste Saettigung.-- Und endlich: Ileisa hatte waehrend ihres Aufenthaltes im Knoopschen Hause bewiesen, wie sehr sie sich zu fuegen wusste. So erhielt er eine Frau, die immer des Spruches eingedenk sein werde, dass sich die Frau dem Manne unterzuordnen habe. Und da sie schliesslich sonst auch alle Eigenschaften besass, die eine Frau zieren, da sie sittlich, gebildet, tuechtig, sich zu beschraenken, zu entsagen im Stande war, so musste er sich darein finden, dass sie nichts besass. Dass ihn das doch stark stoerte, dass das seine Neigung, ihr seine Hand zu reichen, abschwaechte, verhehlte er sich in ruhigeren Augenblicken nicht. Auch die Welt werde fragen, ob sie etwas habe?--Nein! Sie war die Nichte einer sich kuemmerlich durchschlagenden adligen Jungfer; sie hatte eine Stellung als Gesellschafterin im Knoopschen Hause inne gehabt! Aber nun hatten die Umstaende einmal eine Entscheidung herbeigefuehrt, eine, die seiner Schwester und seiner Mutter voellig sympathisch war, die auch, allerdings nach einigem Zoegern, Herr Knoop guthiess.-- Nicht ohne Zagen dachte auch Ileisa in den Stunden nuechterner Betrachtung ueber ihre Zukunft. Sie glaubte nicht an die sittliche Kraft der Maenner, weil sie ein solches Gegen-Beispiel im Vaterhause gehabt, und sie glaubte an Ruecksichten der Maenner in der Ehe ebenfalls nicht, weil sie zu haeufig das Gegenteil beobachtet und allzuviel darueber gelesen hatte, wie wenig sich deren Beteuerungen mit den spaeteren Wirklichkeiten deckten.-- Eine volle Befriedigung erfuellte dagegen Fraeulein von Oderkranz, ihre Tante. Sie begegnete den Bedenken und Gewissensregungen, die Ileisa erhob, mit denselben besaenftigenden Aeusserungen, wie damals, als von dieser Moeglichkeit die Rede gewesen. Inzwischen hatten die Plaene, die Herr Knoop, Vater und Sohn, verfolgten, in der That noch zu starken Auseinandersetzungen mit den beiden Frauen gefuehrt. Herr Knoop hatte nicht mit Unrecht gegen Arthur hervorgehoben, dass er sich mit ihnen, namentlich mit seiner Frau zu verstaendigen habe. Frau Knoop hatte gesagt: "Wir empfangen doch keinerlei Wert und Ansehen durch unser Kleid, sondern lediglich durch die Tadellosigkeit unserer Handlungen. "Legten deine Vorfahren den Adel ab, so wussten sie sicher, was sie thaten. Sie entaeusserten sich gewisser Pflichten und Noetigungen, die sie hemmten und schaedigten. Hat es denn irgend einen Vorteil, ein 'Herr von' zu sein, wenn man seine Befriedigung statt in Eitelkeiten, in der Ausbildung des Gemuets und des Sinnes fuer die idealen Dinge dieser Welt, sowie in der Pflege des Verkehrs mit den Besseren und Gleichgearteten sucht? "Fuer Arthur ist's eine Thorheit, ihn in seinem Ehrgeiz zu verstaerken, ja, ich fuerchte, es kann sein Verderben werden!" Und Margarete ging noch weiter. Sie drang in ihren Vater und in ihren Bruder, von der Erstrebung dieser Aeusserlichkeiten ueberhaupt abzusehen. Sie hatte ein Bild in Ileisa vor sich! Was war sie in der Gesellschaft mehr? Erfolg sicherte nur das Geld. Und Geld besass ihr Vater. Was wollte er sich moeglicherweise dem Gespoett aussetzen? Letzteres sagte sie ihm jetzt nicht. Ihre Pietaet als Tochter hielt sie davon ab, aber in einer Unterredung mit ihrem Bruder brachte sie ihre Ansichten zum Ausdruck. "Du solltest deinen Ehrgeiz darin suchen, es unserm Vater gleich zu thun. Du solltest durch energische Ausuebung deiner dir verliehenen Faehigkeiten etwas Grosses, Nuetzliches zu schaffen und zu foerdern suchen! Thatkraeftige Maenner der Industrie schlugen den Adel aus. Sie wollten, dass man lediglich ihren Namen respektierte, nicht das "von"! "Du bist Ileisa gar nicht wert! Sie ist viel zu gut fuer dich! "Ein Mensch, der ohne Not auf solche Nichtigkeiten etwas giebt, erniedrigt sich selbst; er zeigt, wie ungefestigt sein Charakter ist!" Und Arthur hatte erwidert: "Deine zimperliche Weisheit und Tugendhaftigkeit verpflanze, wie ich dir schon frueher riet, in ein Pastorenhaus. Du bist und bleibst ein Gaenschen, das die Federn eines Paradiesvogels verschmaeht, weil es eben nur zum Gaenschen Veranlagung hat." "Ah--du solltest dich schaemen," hatte Grete erwidert. "Um das letzte Wort zu behalten, um einen Deckmantel fuer deinen Ehrgeiz zu haben, scheust du dich nicht, deine eigene Schwester herabzusetzen-- "Frage nur Ileisa, wie sie ueber solche Dinge denkt! Ich sprach zufaellig noch gestern mit ihr ueber Eitelkeiten und die ueblichen Heucheleien, die gang und gaebe!" Arthur hatte nichts mehr erwidert, nur die Achseln gezuckt und sich entfernt. Aber ein zweiter Stachel setzte sich ihm schon vor seiner Heirat mit Ileisa ins Fleisch. Sie war erstens eine, die nichts, gar nichts einbrachte, und sie legte auf dasjenige an Aeusserlichkeiten keinen Wert, das ihm sehr, sehr viel, ja, das Hoechste war!-- * * * * * Der Spaetherbst war inzwischen gekommen; Frau Adelgunde von Klamm hatte es durchgesetzt, dass ihr Mann sich damit einverstanden erklaert, den Winter in Berlin zu verleben. Als Aufenthalt hatten sie sich das Parkhotel am Potsdamerplatz ausgesucht. In dieses zogen sie in den ersten Tagen des Oktober ein, und nahmen drei Gemaecher in der ersten Etage nach vorn in Besitz. Dem Straeuben Klamms, der auf dem Lande hatte bleiben wollen,--der sich, weil er seine Stadtplaene nicht verwirklichen konnte--auf die dortige Thaetigkeit mit allem Eifer geworfen,--hatte sie entgegengehalten, dass man in seiner Mutter Naehe gelange, dass man der alten Dame die Freude machen muesse. Frau von Klamm war nach der schweren Krankheit noch immer leidend, aber sie liebte trotzdem Geselligkeit, und sie war besonders gluecklich, wenn sie ihren Sohn womoeglich taeglich sehen und sprechen konnte.-- Theodor Knoop hatte durch einen seiner Helfershelfer, einen gewissen Schmeidel, bei Herrn von Klamm vorgefragt, ob er das Knoopsche Geschaeft kaufen wolle. Klamm hatte erwidert, dass er nicht abgeneigt sei, wenn die Offerte von der Familie Knoop selbst an ihn gelange. Allerdings hatte Frau von Klamm wiederum staerksten Einspruch erhoben, und nicht Schwaeche, aber die Fessel, die Klamm angelegt war, weil seine Frau das Geld besass, hatten ihn bewogen, dem dann inzwischen wirklich eingegangenen Antrag von der Firma Knoop vorlaeufig noch keine Folge zu geben. Sehr schwer war's ihm geworden, und starke Kaempfe waren damit verbunden gewesen. "Du hast ja eine Thaetigkeit, mein lieber, teurer Freund! eine Thaetigkeit, die dich befriedigt, die fuer dich passt, deinem Stande angemessen ist," hatte sie eroertert. "Weshalb immer wieder auf diese Plaene zurueckkommen! Thu's mir zu Liebe und gieb die Gedanken an! "Bedenke auch! In welche Nesseln du dich setzest! Du wirst deines Lebens nicht froh werden, wenn du in all das Gezaenk verflochten wirst! "Und nicht ungefaehrlich ist's bei der starken Konkurrenz, dafuer ein solches Kapital zu wagen! Weshalb darauf ausgehen, wo in anderer Weise ohne Faehrlichkeiten und Aerger dasselbe zu erreichen ist." Klamm hatte nur mit wenigen Worten erwidert. "Du kannst es nicht vergehen, dass ich grade dafuer Neigung besitze, weil du eine Frau, ein Kind der Gesellschaft bist. Ich kann immer nur wiederholen, dass mich grade eine solche Beschaeftigung mehr anzieht, als irgend eine andere! Frage den Musikfreund, weshalb er grade die Tonkunst, den Kuenstler, warum er die Malerei liebt und in deren Foerderung sein volles Genuege findet!? Ist es nicht etwas Herrliches, durch die Presse den Sinn fuer edle Dinge, Fortschritt, das Interesse fuer Kunst und Wissenschaft zu heben, ein Kulturfoerderer in bester und auch in wirksamster Weise zu sein? "Ist es nicht ueberaus anziehend, auch die praktische Seite des Schrifttums, das Buchdruckereigewerbe und seine Vervollkommnung zu pflegen?" "Hm--aber nun grade das Knoopsche Unternehmen! Ich wuerde zu stolz sein, um mich diesen Personen wieder freiwillig zu naehern, dadurch all die alten Dinge aufzuruehren, Alfred!" "In dieser einen Beziehung muss ich dir recht geben, Adelgunde! Ich habe ja auch deshalb erwidert, dass ich die Offerte von der Familie erwarte. "Aber noch mehr! Ich habe ja bisher noch gar nicht von mir hoeren lassen--" "Mag es auch so bleiben, liebster Alfred! Schreibe ab! Beschaeftigen wir uns mit anderen Dingen. Zunaechst wollen wir einmal unsere Visiten machen, deine und meine Bekannten aussuchen!" So hatte das Gespraech sein Ende gefunden, und Klamm hatte auch jetzt, bei seiner Anwesenheit in Berlin noch von einer Beruehrung mit Herrn Knoop voellig Abstand genommen.-- Inzwischen aber hatte Theodor Knoop nicht geruht. Er war nach allen Richtungen thaetig gewesen, um das Geschaeft vorteilhaft zu verkaufen und den Nobilitierungsplaenen weiteren Vorschub zu leisten. Zu dem Verlobungsfest Arthurs mit Ileisa war er mit eingeladen worden, und diese Gelegenheit weicherer Stimmungen hatte er benutzt, um von seinem Bruder einen Provisionsschein zu erhalten. Wuerde das Geschaeft, wie es geplant war, fuer drei und eine halbe Million verkauft, erhielt er 25000 Mark Vermittlungsgebuehr, und erfolgte die Standes-Erhoehung, wuerden ihm weitere 20000 ausgezahlt. Er solle aber darueber nicht reden, auch mit Arthur nicht! hatte ihm Friedrich Knoop auf die Seele gebunden. Als Klamm sich trotz des Angebots, das ihm durch Theodors Handlanger gemacht worden war, nicht meldete, warf sich Theodor auf die anderweitig vorgesehene Realisierung des Verkaufs des Geschaeftes, hielt aber Klamms Mitwirkung dabei doch im Auge. Er erklaerte der Bank, an die er herantrat, dass ein kuenftiger Leiter in der Person des Herrn von Klamm nicht nur gewonnen sei, sondern dass sich dieser auch mit einem sehr erheblichen Kapital beteiligen werde. Auch Knoops wuerden Aktien statt Geld nehmen, und Herr Arthur Knoop werde als Aufsichtsrat spaeter thaetig sein. Ueberdies hatte er auch gleich den sogenannten Emissionsplan vorgelegt. Nicht dreieinhalb Millionen, sondern vier Millionen Aktien sollten oeffentlich von der Bank aufgelegt und dem Publikum zur Beteiligung angeboten werden. Nach den bisherigen Einnahmen ergab sich dann immer noch, wie er ihnen vorrechnete, eine jaehrliche Verzinsung von neun bis zehn Prozent. Wiederholte, sich ziemlich lang hinausziehende Besprechungen endeten mit der Bereitwilligkeit der Bankdirektion, in eine Pruefung des Geschaefts einzutreten. Sie sollte durch zwei der Bank kundige und vertrauenswerte Persoenlichkeiten vorgenommen werden. Sie hatten die Aufgabe, die Gebaeude, die Maschinen und das gesamte Inventar abzuschaetzen und die Buecher des Geschaeftes einzusehen. Ergab sich wirklich ein solcher Nutzen, sollte in ernsthafte Verhandlungen eingetreten werden. Unter solchen Umstaenden musste aber Theodor nun doch an Klamm herantreten. Dass sich Klamm mit Kapital und seiner Arbeitskraft beteiligen werde, hatte die Bank, die Erkundigungen nach ihm eingezogen, als Vorbedingung hingestellt. Gegen Arthur Knoop hatte sich wegen seiner Jugend Bedenken erhoben; auch ergaben die Ermittelungen, dass er mehr Sportsmann und Lebemann, denn ein eifriger Geschaeftsmann sei.-- Bei einer Unterredung, die zwischen Arthur und Theodor stattgefunden, hatte Arthur gedraengt, dass Klamm nunmehr baldigst bestimmte Erklaerungen gaebe. Theodor hatte bisher mitgeteilt, dass Klamm ihm gesagt, dass er in irgend einer Form der Sache naeher treten wolle. Er hatte Arthur unter dem Eindruck gelassen, dass er persoenlich mit ihm verhandelt habe. Um nun nicht der Luege ueberfuehrt zu werden, musste er den Gang zu Klamm schon wagen. Er wollte ihm erklaeren, dass er im besonderen Auftrag des Herrn Knoop komme, und gab sich der Hoffnung hin, dadurch einer unhoeflichen Behandlung von seiten Klamms enthoben zu werden. Liess sich Klamm, wie er voraussetzte, auf Besprechungen ein, wollte er alles vorbringen, was er den Bankdirektoren und Knoops als thatsaechlich bereits erzaehlt hatte. Theodor hatte auch, wie es schien, Glueck. Herr von Klamm liess, als der Oberkellner bestellte, dass Herr Theodor Knoop im Auftrage des Herrn Friedrich Knoop komme, und baete, den Herrn Baron sprechen zu duerfen, heraussagen, er werde sich unten im Konversationszimmer einfinden. "Was wuenschen Sie?" begann Herr von Klamm mit eisiger Miene und Betonung, als er in den erwaehnten Salon eintrat und sich Theodor erhob und eine besonders hoefliche Verbeugung machte. Theodor brachte vor, was er zu sagen hatte. Er knuepfte daran an, dass Herr von Klamm erklaert habe, dass er das Angebot von Knoops in Ueberlegung ziehen wolle. "Ja, aber ich muss dennoch ablehnen.--Sie wollen das, da Sie als Beauftragter des Geschaeftsinhabers erscheinen, Ihrem Herrn Bruder mitteilen.--Sonst noch etwas?" schloss Klamm und machte eine Bewegung zum Gehen, die hinreichend bewies, dass er mit dem Besuch ferner zu konferieren nicht wuensche. Aber Theodor liess sich nicht abschrecken. Er sagte nun das, was er klueglich zuerst nicht in Vorschlag gebracht, das, was er der Bank aber bereits mitgeteilt hatte. Er bat Klamm, die Oberleitung zu uebernehmen, erzaehlte, dass ein Kapitalisten-Konsortium die Sache kaufen, in eine Aktiengesellschaft verwandeln und grade ihn als Geschaeftsleiter erwaehlen moechte. Man hoffe, dass sich Klamm auch mit einem Kapitalbetrag des ihm ja sehr bekannten Geschaeftes beteiligen werde. Er fuegte hinzu, dass sich Knoops ganz zurueckziehen wollten. Hoechstens sei der junge Herr Knoop bereit, sich mit in den Aufsichtsrat einzureihen. Klamm ueberlegte rasch. Bei solcher Sachlage wuerde Adelgunde vielleicht keine Einwendungen erheben. Einen geringen Teil ihres Kapitals wuerde sie dann nur riskieren, und sicher wuerde er ihren Widerstand beseitigen, wenn er lediglich die Stellung des Vorsitzenden des Aufsichtsrates uebernaehme. Thatsaechlich wuerde er aber dann schon die Mittel und Wege finden, die Zuegel ganz in seine Haende zu bekommen. Das klang dann ganz anders! Das stimmte dann mit dem ueberein, wozu sich auch sonst adlige Personen verstanden. Klamm konnte alle seine Wuensche erfuellen, wenn die Dinge sich so vollzogen. Er erwiderte in diesem Sinne knapp und kurz und schloss: "Ich wuensche aber mit der Bank selbst zu verhandeln! Welche ist es?--Sie werden von dort ueber meine Entschliessungen verstaendigt werden--" Hierauf nickte er und machte abermals eine Bewegung, sich zu entfernen. In Theodor schwoll's auf! Das ging ja alles herrlich! Aber eben nun musste das Eisen noch gleich ganz geschmiedet werden. Er wollte Alfred ueberreden, ihm eine feste, prinzipielle Zusage zu erteilen. Als er jedoch zu diesem Zwecke nochmals anheben wollte, richtete sich Klamm mit aeusserst bruesker Miene empor und sagte: "Ich muss es ablehnen, mit Ihnen auch ueber das Allernotwendigste noch ferner zu sprechen. Es geschah ueberhaupt nur, weil Sie im Auftrage Ihres Herrn Bruders zu kommen erklaerten. Waere das nicht, haette ich Sie gar nicht empfangen, und ich rate Ihnen dringend, nicht noch einmal den Versuch zu machen, sich mir zu naehern. "Bedingung fuer meinen Eintritt ist ueberhaupt, dass ich nichts--gar nichts mit Ihnen in Zukunft zu thun habe. Solches werde ich auch allen Beteiligten mitteilen.--Adieu!" Theodor Knoop schoss das Blut in den Kopf, eine rasende Wut ergriff ihn. Statt zu gehen, statt alles hinzunehmen, statt ein erklaerend besaenftigendes Wort zu sprechen, um sich so den Abgang zu erleichtern sagte er: "Wohlan, mein Herr! Nach Ihrem Belieben! Ich darf mir aber wohl die Frage erlauben, was Sie berechtigt, mich in solcher Weise zu beleidigen? "Sollten es die alten Maerchen sein, dass ich Ihre Frau Mutter bei Gutskaeufen geschaedigt habe, so erklaere ich das fuer eine Luege. Ich kann Ihnen nur dringend raten, dass Sie Ihre Verleumdungen nicht fortsetzen! Also nicht Sie haben ein Recht, eine solche Sprache zu fuehren, sondern ich koennte Sie wegen Ihrer Nachreden, die sich auf voellig vage Vermutungen stuetzen, zur Rechenschaft ziehen. Ich habe Ihre Frau Mutter nie mit Augen gesehen!" Theodor hatte seine Rede kaum beendet, als schon ein, mit einer befehlenden, jeden Widerstand aufhebenden Handbewegung begleitetes: "Hinaus! Augenblicklich hinaus!" in einem so drohend lauten Ton erfolgte, dass es hell durch die unteren Raeume des Hotels ertoente, und Anlass gab, dass sich mehrere nebenan befindliche, beim zweiten Fruehstueck sitzende Gaeste erhoben und herbeieilten, aber auch der Portier unmittelbar darauf mit besorgter Miene den Kopf durch die Thueroeffnung steckte. "Lassen Sie dieses Subjekt niemals wieder vor! Hoeren Sie, Portier! Er soll mir nicht mehr gemeldet werden!" befahl Klamm in einem kurz befehlenden, sehr scharfen Ton. Waehrend sich Theodor, zitternd und zaehneknirschend vor Wut, entfernte, schritt er auf dem entgegengesetzten Weg zum Aussenflur, um sich wieder in sein Zimmer zu begeben. * * * * * Nach diesem Vorfall richteten sich zunaechst Theodor Knoops Gedanken auf die Ueberlegung, wie er sich--gleichviel ob ihm Vorteile dadurch entgehen wuerden--an Klamm raechen koenne. Je mehr er zugeben musste, dass Klamms Haltung voellig gerechtfertigt gewesen, desto hoeher loderte der Ingrimm in ihm auf, desto mehr verschaerften sich die Vergeltungsgedanken. Aber schon am selben Tage dachte er anders! Was scherte ihn das Wohlwollen oder die Abneigung des Herrn von Klamm! Wenn er nur das Geschaeft machte, nur Geld verdiente! Und nur in dem einen Punkte musste er noch handeln! Er musste fuer alle Faelle den Bankdirektoren eine Erklaerung geben, weshalb Klamm so sehr gegen ihn eingenommen sei. Dass Klamm sich gegen Knoops aeussern wollte, machte nichts aus. Das waren fuer jene ja allbekannte, von ihm laengst widerlegte Sachen. Zuletzt rieb sich Theodor Knoop sogar die Haende. Wie nun? Wenn Klamm ihn--als jener Betrugshandlungen verdaechtig--beim Staatsanwalt denunziert haben wuerde! Dem war er doch entgangen! Also den Kopf hoch und leichten Sinnes! Die Unterredung war so vortrefflich wie moeglich verlaufen! Noch an demselben Abend suchte er Arthur im Kontor auf, teilte ihm mit, dass er ihm Gutes zu melden habe, und schlug ihm vor, den grade in Berlin anwesenden Cirkus Renz zu besuchen. Da Ileisa und Margarete einer Einladung zu Wiedenfuhrts folgen wollten, Arthur also die Stunden nicht, wie sonst, mit seiner Braut verleben konnte, nahm er seines Onkels Vorschlag an und traf die Abrede, dass sie sich im Restaurationsraum vorm Cirkuseingang treffen wollten. Bevor sich Arthur aber dahin begab, traf zufaellig grade die Nachricht ein, dass der Firma der Zaehlkarten-Auftrag zuerteilt worden war, ein Umstand, der Arthur Anlass gab, sich so gleich zu seinem, hinten im Wohnhaus befindlichen Vater zu begeben. Der Bote, der ihm die Nachricht schon vor der offiziellen Mitteilung gebracht und dafuer ein vorher versprochenes Trinkgeld erhalten, hatte noch zu erzaehlen gewusst, dass sich die Offerte der Hohensteinschen Buchdruckerei in allem stets ein weniges unter dem Knoopschen Angebot gehalten habe, dass aber trotzdem der Zuschlag deshalb fuer die Knoopsche Offizin ausgefallen sei, weil man groesseres Vertrauen in ihre Leistungsfaehigkeit und Zuverlaessigkeit setze. Namentlich habe sich auch Herr Wiedenfuhrt fuer Knoops ausgesprochen. Das alles regte die beiden Herren sehr an, hob ihre Stimmung ausnehmend, gab aber auch zu der Befremdung und Frage Anlass, wie es komme, dass die Hohensteinsche Buchdruckerei grade die Saetze von Knoops unterboten habe. Es machte fast den Eindruck, als ob sie von der Offerte der Firma Knoop Kenntnis gehabt. Arthur erinnerte sich seines Gespraeches mit Theodor und dem Oberfaktor, und aeusserte, dass der letztere sich unmoeglich eines Vertrauensbruches schuldig gemacht haben koenne. "Fuer den trete ich ein!" betonte er, und Herr Friedrich Knoop Stimmte ihm bei. Was sie aber beide sonst noch dachten, sprachen sie nicht aus.-- Im uebrigen waren sich Vater und Sohn nunmehr einig, dass sie in Theodors Vorschlaege willigen wollten. Es folgte gleich nach der unmittelbar bevorstehenden Pruefung der von der Bank erwaehlten Kommission, in deren Geschaeftszimmer eine Zusammenkunft anberaumt und: Kaufpreis, Zahlungsmodalitaet, Beteiligung, Direktorium, Aufsichtsrat und Uebernahmetag festgesetzt werden. Wenn Klamm, wie Theodor sicher behauptet hatte, eintreten und sich beteiligen wollte, war die Sache sicherlich gemacht! Dann strich Herr Knoop drei und eine halbe Million in die Tasche. Und dann noch das letzte: die Nobilitierung! Was machte es aus, wenn von den drei und einer halben Million wirklich selbst anderthalb hundert tausend noch abgingen--der Rest war wahrlich ein Resultat, das sich sehen lassen konnte! Und darin waren sich Vater und Sohn einig. Sobald alles erreicht war, wollten sie Theodor, den Onkel, ein fuer allemal von sich abthun. Dafuer war Margarete ueberhaupt schon immer eingetreten. Sie hatte wiederholt gebeten, dass ihn die Familie so wenig wie moeglich ins Haus ziehe, ja, wie damals schon geplant, selbst mit staerkeren Opfern alle Beziehungen zu ihm loese! Sie traute ihm durchaus nicht. Sie glaubte an den Klammschen Gueterbetrug! Und bis zum legten Augenblick--noch am Abend vorher--war sie in ihren Vater gedrungen, sich von dem Geschaeft nicht zu trennen, und sich auf Standes-Erhoehungsplaene nicht einzulassen. Bei allem aber blieb Herr Friedrich Knoop auf seinem Standpunkt stehen. Er ereiferte sich durchaus nicht. Er betonte stets mit vollkommener Ruhe, dass er materiell gar nicht besser fahren koenne, als wenn er jetzt verkaufe. Ueber eine Million Thaler in sicheren Staatspapieren sei ein Resultat. Darin muesse er Arthur recht geben. Und der Adel? Er hiesse lieber Freiherr Friedrich von Knoop, als Herr Rentier Knoop! Gewiss, im Grunde sei dergleichen wie so vieles, ein Nichts, ein Schaum, dem nachzujagen, eine Thorheit. Aber man lebe eben in einer Welt der Komoedien, und wolle man den absolut Vernuenftigen spielen, laufe man geradezu Gefahr, ins Irrenhaus gesperrt zu werden. Und das wiederum so Vorgebrachte klang denn auch wahrlich nicht so uebel! Wie ueberall das, was die Sinne bestrickt, stets in anderen Farben leuchtet, als die graue Vernunft. Sie, die Vernunft, mit ihrer rauhen Tugend, passt in die Trappistenkloester, aber nicht in die Welt der Beduerfnisse, des Geniessens, des Ehrgeizes.---- Waehrend sich die Dinge in solcher Weise bei Knoops abspielten, sass am Schluss der Woche abends im Millionen-Klub Alfred von Klamm neben einem ihm bereits aus seiner Dresdner Zeit bekannten, jetzt in Berlin lebenden Freiherrn von Milan, einem frueheren Garde-Ulanen-Offizier, der wegen eines Knieleidens hatte seinen Abschied nehmen muessen. Zu Milan hatte sich Klamm stets sehr hingezogen gefuehlt. Er war ein Mann, der nichts weniger als schablonenhaft zugeschnitten war. Auch er suchte etwas. Da er nicht ohne Vermoegen war, vermochte er auch so zu leben. Er wuenschte aber eine ansprechende Thaetigkeit zu finden und sich--zu verheiraten. Waehrend sie einer Flasche Wein zusprachen, warf Milan die Frage nach Klamms naechsten Plaenen und nach--Klamms Gattin hin. Er fragte ihn ohne Rueckhalt, ob er sich in seiner Ehe gluecklich fuehle. Sie hatten ihr Inneres einander so haeufig geoeffnet, dass keinerlei Unzartheit darin lag. Klamm liess einen ernsten Ausdruck in seinen Zuegen erscheinen, und sagte: "Dass ich aus den mehr als bedraengten Verhaeltnissen herausgekommen bin, dass sich meine teure alte Mama der Sorgen und der Vorwuerfe, die sie sich meinetwegen gemacht, entschlagen hat, ist ja ein unschaetzbarer Gewinn. Ja, ich muss sagen, dass ich dem Himmel nicht dankbar genug sein kann. Wenn Sie mich aber fragen, lieber Freund, ob ich gluecklich bin, so sage ich--nein! Durchaus nicht! "Immer mehr gelange ich zu der Einsicht, dass der Begriff Glueck nicht zu definieren ist. Ein Blinder kann sehr gluecklich sein, ein Armer, ein ewig Dienender, Entbehrender. Liebe zu unseren Mitmenschen, die Freude am Kleinen, die Faehigkeit, eines Sonnenstrahls Verschoenerungskraft mit den Augen des Naturschwaermers wuerdigen zu koennen, Genussfaehigkeit und Gesundheit koennen uns gluecklich machen! "Am wenigsten erzeugt Geld, Besitz an sich, Glueck-- "Es muss dem Erdenmenschen immer etwas zu wuenschen uebrig bleiben, etwas, dem er entweder eifrig nachstrebt, und an dessen Gewinnung er dann Freude erlebt, oder dessen Erfuellung er der alles reifenden Zeit mit geduldigem Wartesinn ueberlaesst. "Das Furchtbarste ist: der Mann seiner Frau zu sein, in dem Sinne, dass sie das Vermoegen hat, man selbst nichts besitzt und deshalb in seinen Bewegungen, Entschluessen und Handlungen von ihr abhaengig ist. "Und darum antworte ich Ihnen: ich bin nichts weniger als gluecklich." "Aber Ihre Frau Gemahlin vermag sich doch der besten Eigenschaften zu ruehmen. Sie ist bekannt wegen ihrer Liebenswuerdigkeit, Klugheit und Herzensguete! Sie ist, wie ich sicher weiss, eine Sie sogar eifersuechtig liebende Frau, lieber Klamm." Klamm bewegte erst leichthin das Haupt, dann sagte er, langsam sprechend: "Ja, aber wir passen nicht zu einander! Sie kennt und will nur Vergnuegen, und ich--ich habe jeglichen Geschmack daran verloren. "Meine Frau kann eigentlich keinen Abend mit mir allein sein! Sie musiziert, sie liest, sie plaudert wohl gern einmal ueber ernstere Dinge, hat Talent fuer jene und Verstand fuer diese; aber es muss immer ein Zeuge da sein, der sie bewundert, ihr zuhoert, dem sie ihre kleinen Komoedien vorspielen kann. Es giebt Personen, die nur gluecklich sind, wenn sie jeden Tag als Akteure auftreten, ihre Faehigkeiten vor anderen leuchten lassen koennen, wenn sie in Lust und Trauerspielen, in Vaudevilles und Singspielen, die sie auffuehren, oder zu denen sie sich als Teilnehmer draengen, womoeglich die Hauptrolle spielen und zum Schluss laut oder stumm beklatscht werden. "Solch ein Mensch ist meine Frau. Dazu kommt der verrueckte, nicht zu bannende Ehrgeiz, in der allervornehmsten Gesellschaft zu verkehren, sich dieser anzuschliessen, deren Modethorheiten oder ueble Passionen mitzumachen. Sie wuerde sich auch--wenn jene es ihr vormachten--einbilden, sie muesse neben mir einen Geliebten haben. Dass sie ohnehin schon dazu manche ernannt hat und immer wieder ernennt, macht sie sich nicht einmal klar. Es ist aber der Fall. Kleine Liebestaendeleien mit flotten Offizieren oder Diplomaten, aber auch mit aelteren Personen von Distinktion gehoeren zu ihr, wie frueher zu den alten Jungfern die Moepse und Strickbeutel! "Und nun die Abhaengigkeit von ihrem Gelde! Das ist's, mein Freund. Sie hat zwar anfaenglich ausgesprochen, dass alles mir so gut gehoeren solle, wie ihr, aber sie hat die Initiative, das gerichtlich festzusetzen, nicht ergriffen. Und wenn ich bisweilen dachte, ich wollte ihr's nachtraeglich abgewinnen, stockte ich doch.-- "Weshalb?--Ich habe ein Gefuehl, dass ich mich dann erst recht in unloesbare Fesseln schlage--ohne dem aber noch einmal meine Freiheit zurueckgewinnen kann--" "Wie? Mit solchen Gedanken beschaeftigen Sie sich, Klamm?" fiel Milan ueberrascht ein. "Nein--und ja!--Ich will jetzt eben versuchen, ob meine Frau mir zu willen sein will. Ich habe die Absicht, eine grosse Zeitung zu uebernehmen, in dieser Richtung zu wirken. Ich habe einmal Sinn fuer oeffentliches Leben, sozialen Fortschritt, Pflege der Kunst und Wissenschaften. Meine Frau aber hat fuer dergleichen nicht das geringste Interesse. Sie liest nicht einmal eine Zeitung. Und dergleichen 'Thaetigkeit' ist ihr viel zu buergerlich. Das zieht mich ja von Geselligkeit und all den Modelasten ab, an dem sie lediglich Gefallen findet." Milan hatte bei Klamms Eingangsworten besonders ausgehorcht. Nach einer naeheren Eroerterung darueber, sagte er: "Vielleicht koennen Sie mir--koennen wir uns die Hand reichen! Ich teile Ihren Geschmack, ich wuerde sehr gern die Stellung eines staendigen Mitarbeiters an Ihrer Zeitung uebernehmen. Ich habe--wie Sie wissen--schon ziemlich viel geschrieben: Militaerisches, National-Oekonomisches und auch Feuilletonistisches.--Vielleicht hat's der Zufall gefuegt, dass wir an einer Sache gemeinsam arbeiten koennen. Das wuerde mich sehr freuen! Ich moechte auch in die Kammer gewaehlt werden. Ich habe ja Grundbesitz und bin nicht ohne Einfluss in meinen Kreisen." In diesem Sinne festen die beiden Maenner ihre Unterredung bis in die Nacht fort. Erst um drei Uhr morgens schritten sie zusammen die Friedrichstrasse und spaeter die Leipzigerstrasse hinab. Und heute etwas gehobener denn seit langer Zeit, stieg Klamm die Hoteltreppen empor, und suchte den Segen des groessten Gottes, der sich dem Menschen naehert--den Schlaf.-- * * * * * Der Abschluss war erfolgt. Herr Friedrich Knoop hatte seine Buchdruckerei und seine Leitung an die Aktiengesellschaft fuer den von ihm bedungenen Preis verkauft. Die Anzahlung war bereits gemacht, und die Erledigung der uebrigen Raten war von der an dem Geschaeft beteiligten Bank garantiert worden. Und Freiherr Alfred von Klamm war als Vorsitzender des Aufsichtsrates mit der Massgabe erwaehlt worden, dass es ihm ueberlassen sei, fuer die Direktionsgeschaefte eine passende Persoenlichkeit ausfindig zu machen. Vorderhand sollte er selbst aber als Direktor eintreten, und im Fall er Neigung besitze, diese Thaetigkeit fortzusetzen, den Vorsitz an eine andere Persoenlichkeit abgeben. Eine starke Enttaeuschung hatte die Familie Knoop dadurch erlitten. Auf Arthur war nicht--wie Friedrich Knoop und die Damen angenommen und gewuenscht hatten--die Wahl gefallen. Klamm war vor dem Uebergang an die neue Gesellschaft einigemale mit Arthur in Beruehrung gelangt, hatte jedoch an der Selbstgefaelligkeit und der unangenehm wirkenden Sicherheit des sich mit den Haenden in den Hosentaschen vor ihm ausstellenden jungen Menschen so wenig Geschmack gefunden, dass er ihn aus der Zahl der Bewerber von vornherein ausgeschieden. Er wuenschte gegebenen Falles voellig neue Bahnen, und hatte sich deshalb auch in der Wahl der Anstellung anderer Beamten das Recht selbstaendiger Entscheidungen vorbehalten. Knoops waren auch schon aus dem Wohnhause fortgezogen, Klamm hatte dort seinen Einzug gehalten. Sonst hatte sich aeusserlich zunaechst nichts veraendert. Klamm empfing saemtliche Angestellte und versicherte sie, dass jeder, der seine Pflicht, wie bisher, gewissenhaft ausuebe, auf seinem Platz bleiben und von ihm bestens beschuetzt werden werde. Wo frueher Herr Friedrich Knoop in dem Arbeitszimmer mit den zahlreichen Klingelknoepfen geherrscht, da sass nun--der einst kurzweg Entlassene!-- Und in einem vornehmen Villenbau in der Kurfuerstenstrasse, den Herr Knoop gekauft hatte, wurden zu gleicher Zeit die Hochzeitsfeierlichkeiten zwischen Arthur und Ileisa vorbereitet. Das Aufgebot war erfolgt, und der Tag der Vermaehlung bereits festgesetzt. Zunaechst waren die Gemueter auch noch sehr gehoben. Die Erwartung hielt alle in Atem, sie liess sie zu rechten Nebengedanken nicht gelangen. Herr und Frau Knoop beschaeftigte die Sorge, wie sie ihrem Sohn alles moeglichst vollkommen herrichten koennten. Sie waren viel unterwegs, prueften, waehlten und zogen den Geldbeutel. Aber auch die beiden jungen Maedchen waren ganz bei der Sache, und wenn nicht Ileisa die Nadel ruehrte oder mit Margarete Aussteuer-Angelegenheiten ueberlegte, begab sie sich an ihres Verlobten Arm auf die Suche nach einer Wohnung. Und der junge Mann kritisierte nach seiner Art das meiste, zeigte aber doch auch dabei den praktischen Sinn, der eine seiner besten Eigenschaften war. Im uebrigen hatte er sich auch schon nach einer neuen Thaetigkeit umgesehen. Sein Vater hatte sich bereit erklaert, ihm und Ileisa den Zinsgenuss einer Million Mark zu ueberweisen; eine gleiche Rate sollte Margarete bei ihrer Hochzeit werden. Den Rest wollten die Alten fuer sich verwenden. Kapital wollte Herr Friedrich Knoop nicht hergeben. Sein Sohn und sein kuenftiger Schwiegersohn sollten der Gefahr entgehen, jemals zu verarmen. Sie sollten sich, falls sie Geld fuer Geschaeftszwecke brauchten, anderweitig umsehen. Arthur hatte auch keinen Einwand erhoben. Wenn er ueber eine Rente von 40000 bis 50000 Mark verfuegte, dann konnte er "standesgemaess" existieren. Es wuerde sich finden, was er noch that und wie er sich einrichtete. Als Ileisa einmal bescheiden davon gesprochen hatte, dass er ihr einen Liebesbeweis an den Tag legen wuerde, wenn er ihrer Tante eine jaehrliche Beihilfe zuwende, hatte er "solches zu ueberlegen" versprochen.--Es war aber sehr bezeichnend gewesen, dass er seinen Vater ersucht hatte, diese Last zu uebernehmen. Herr Knoop hatte unter der Bedingung ja gesagt, dass die Dame ihm dagegen nach ihrem Tode ihr Vermoegen ueberweise. Dann vermochte er sich voll oder zum Teil wieder von dem Ausfall zu erholen. Fraeulein von Oderkranz konnte noch zwanzig Jahre und laenger leben! Es hiess also eine erhebliche Summe verschenken, wenn sie ein hohes Alter erreichte. Arthur hatte nicht den Mut gehabt, seiner Braut diese "kaufmaennischen Plaene" zu unterbreiten, er hatte nur gesagt, dass er es geordnet habe, dass die alte Dame die von Ileisa gewuenschte vierteljaehrliche Rate erhalte. Und sie hatte ihn--ahnungslos ueber die Vorgaenge--gekuesst und sich bedankt. Vier Tage vor der Trauung hatte Ileisa noch eine Unterredung mit ihrer Tante in der frueher erwaehnten Wohnung. Fraeulein von Oderkranz schaute auf, und auf den knochigen Backen erschien das Rot freudiger Erregung, als Ileisa in einem aeusserst geschmackvollen, neuen Radkostuem in dunkelblauem Stoff zu ihr ins Zimmer trat. "Reizend siehst du aus, mein suesses Kind! Wohl ein Geschenk von Arthur?" warf sie belebt hin. "Ja, Tante! Aber nicht nur das! Sechs neue Roben hat er mir auf einmal gekauft, und alles, was irgendwie sonst noch dazu gehoert. Und sieh nur, das Geschenk von Vater!" Hierbei knoepfte sie das Jacket auf und zeigte auf eine Brosche, die einen Saphir in der Mitte barg, der von zahlreichen Brillanten umgeben war. Es blitzte das Geschmeide. Die klassische Bueste des schoenen Maedchens hob sich unter dem straff geschnittenen Kleide, und ein Ausdruck gluecklicher Befriedigung verschoente ihre Zuege. Sie hatte, wie sie so dastand, etwas Berueckendes. Unwillkuerlich stiess die alte Dame heraus: "Nun? War's nicht gut, dass wir's so machten? Haben wir nicht alles erreicht? Bist du nicht gluecklich?" Und Ileisa nickte und zwang sich, an etwas zu glauben, was ihr Inneres bestritt, schwatzte aufgeraeumt und verliess ihre Tante erst nach geraumer Zeit. Aber an dem Abend desselben Tages nach dem Zusammensein mit ihrem Verlobten, lagen Schatten auf ihrer Stirn, es wuehlte und nagte etwas in ihrem Innern, dessen sie nicht Herr werden konnte. Bevor sie an diesem Abend zur Ruhe ging, warf sie sich Margarete an den Hals und weinte und schluchzte bitterlich. "Was ist, meine einzige Ileisa!" fluesterte die warmherzige Freundin. "Ach, Grete! Glaubst du, dass ich deinen Bruder gluecklich machen werde?" sprach sie nach deren wiederholter Aufforderung, ihr ihr Herz auszuschuetten, mit verzagender Stimme. "Seltsam! Je naeher der Augenblick kommt, desto mehr aengstige ich mich! Wenn wir nur zu einander passen, Grete.--Natuerlich, nur dir sage ich das--und nur zufolge meiner Gewissenhaftigkeit in allen ernsten Dingen. Glaube nicht, dass ich irre geworden bin. Jeder hat ja seine Art. Arthur wird auch manches an mir lieber anders sehen-- "Es ist koerperlich--gewiss nur koerperlich! Ich erleichtere mich schon durch Aussprechen--" So belog sie sich selbst, zog in demselben Augenblick zurueck, was sie eben betont hatte, und setzte voraus, dass Grete alles so hinnaehme, wie es ihr in ihrer wechselnden, durch ihre seelische Bedrueckung hervorgerufenen Stimmung wuenschenswert war. Die kluge Margarete schwankte, ob sie Ileisa zurufen sollte: "Was nuetzt die Verstellung, was nuetzt das Hinausschieben! Sage noch heute: Ich kann nicht! Ich will nicht! Sei wahr und ehrlich gegen dich und meinen Bruder, dem ich mich niemals zu eigen geben wuerde." Aber dieselben Bedenken, die Ileisa bestimmten, sprachen auch bei ihr. Was sollte aus ihrer Freundin werden? Stiess sie auch hier zurueck, was sich ihr bot, war's sicher fuer immer aus. Dass sich ihr Vater, und dass Arthur sich niemals ferner um sie kuemmern wuerden--und wenn sie selbst in hoechste Not geriet--wusste sie. Sie wusste es, obschon ihr Vater ein zu beeinflussender Mann war, obschon ihre Mutter ein gutes Herz besass. Und Arthur? Er wuerde vielleicht sogar eine boshafte Freude empfinden, wenn die, die ihn verschmaeht hatte, unterging. Sie sprach zu ihrer Freundin: "Ich las juengst, dass ein Mann vor der Ehe seiner Tochter riet: "Nimm dir vor, dem Mann deiner Wahl ein guter Kamerad zu sein! Pruefe, ob er Widerspruch vertraegt! Wenn nicht, beherrsche ihn durch Schweigen! Willst du etwas erreichen, was ihm und dir nuetzlich ist, waehle immer den rechten Augenblick. Darauf kommt alles an. Selbst Teufel haben eine Stelle, wo sie, angefasst, vergessen, dass sie Engel zu bekaempfen haben! Kannst du nicht in 'Liebe' leben, so erstrebe, es in 'Frieden' zu koennen. Das ist das A und O der Ehekunst--" * * * * * Neun Monate waren nach diesen Ereignissen vergangen. Ileisa hatte geheiratet, mit Arthur eine Hochzeitsreise gemacht, war zurueckgekehrt und nun bereits gewohnt worden, dass sie ihr Mann abends haeufig allein liess. Gegenwaertig waren die alten Knoops nicht in Berlin. Sie hatten sich nach dem Sueden begeben, um die Nachwirkungen einer staerkeren Unpaesslichkeit, die sie beide ergriffen hatte, endgueltig zu beseitigen. Die Nobilitierung war noch immer nicht erfolgt, aber Arthur hatte auch noch immer keine Thaetigkeit gefunden. Er hatte sich Pferde und Equipagen angeschafft und in auffallende Livreen gekleidete Diener waren angenommen worden. Im Grunde konnte er sich diesen Luxus neben den vielen anderen Ausgaben nicht leisten, aber er rechnete auf die Einnahme, die ihm durch seine Thaetigkeit werden wuerde. Theodor Knoop hatte Berlin ebenfalls voruebergehend verlassen. Es hiess, dass er sich zum Vergnuegen nach Paris begeben habe. Mit der Provision in der Tasche, die ihm sein Bruder ausgezahlt hatte, konnte er sich wieder einmal auf's Nichtsthun und Wohlleben legen. Die Haltung Klamms hatte seinen Fortgang beschleunigt. Man hatte ihm erzaehlt, dass Klamm geaeussert haette, er werde ihm, wenn er sich nicht aus Berlin entferne, wegen alter Unregelmaessigkeiten ruecksichtslos zu Leibe gehen. Ileisa suchte sich durch einen lebhaften Verkehr mit ihrer Tante fuer das zu entschaedigen, was sie in ihrer Ehe entbehrte, und Arthur hinderte sie nicht daran. Wenn ihn sein fortwaehrender Vergnuegungsdrang aus dem Hause trieb, war sie nicht immer allein. Es passte ihm eine solche "Aja" vortrefflich. Viel beschaeftigte sie sich auch mit Lektuere und Musik, und setzte aus der Ferne die Beziehungen zu Margarete durch eine regelmaessige Korrespondenz fort. Sie holte sich Wohlgefuehl und Erhebungen, wo sie sie fand. Im uebrigen war in ihrem Hause alles so neu, so schoen, so ausreichend und bequem, dass schon die Freude an dem Besitz ihr anfangs leichter ueber die Leere weghalf, die sie an der Seite ihres Mannes fand, nachdem seine Leidenschaft abgekuehlt und der alte Mensch wieder in ihm eingezogen war. Arthur war weder warm, noch besonders ruecksichtsvoll. Er verkehrte mit ihr, wie mit allen anderen. Aber er war auch gelegentlich gar schon brutal gegen seine Frau gewesen. Wenn sie ein einschraenkendes Wort ueber Ausgaben gewagt hatte, die er machen wollte, hoerte sie Worte, wie: "Du sollst es ja nicht bezahlen! Also verdrehe dir deinen Kopf, nicht den meinen! Gewoehne dir ueberhaupt das Moralisieren ab. Damit hat niemand Glueck bei mir!" Und ein andermal, als sie ihn gefragt, ob er noch immer keine Thaetigkeit und keinen Verdienst gefunden, hatte er ihr erwidert: "Na, hast du's denn noch nicht gut genug? Frueher warst du--so viel ich weiss--bei deiner Tante doch nicht so sehr verwoehnt--" Und als ihr unter Erblassen die Worte entschluepft waren: "Ah--wie--unzart, ah, wie--" hatte er zornspruehend gerufen: "Nun--? Was denn noch mehr? Was beliebt noch?" Und: "O, nein--nein--nichts!--Gar nichts!" war ihm Ileisa, sich erschrocken fuegend, in die Rede gefallen, hatte die Hand auf die erregte Brust gedrueckt und sich seinem Anblick entzogen.-- "Dieser Schuft, dieser Lump, dieser Theodor," hatte grade an einem der letzten Tage Arthur bei Tisch herausgestossen. "Du meinst? Ist wieder etwas geschehen?" hatte Ileisa sanft gefragt. "Ja, ich meine, wie er uns mit seinen Zusicherungen beschwindelt hat. Nichts regt sich. Von der Nobilitierung schweigt alles. Als ich heute vormittag einen Unterbeamten im Heroldsamt zu sprechen wusste, erklaerte der mir, dass die Akten gar nicht wieder behandelt waeren. Er glaube nicht, dass dem Antrag Folge gegeben werden wuerde--" "So lasse es denn, lieber Arthur!--Wir haben ja alles, was wir wuenschen und brauchen! Wenn du auch noch eine Beschaeftigung findest, koennen wir doch wahrhaft mit unserm Schicksal zufrieden sein." "Nun kommet du wieder mit deiner Beschaeftigung," stiess Arthur, aufgeregt und ruecksichtslos im Ton, heraus. "In den letzten Tagen haben mich die im anderen Hause mit diesen Reden schon halbtot geoedet. Namentlich entwickelt Margarete darin eine solche bevormundende Beharrlichkeit, dass ich ihr schon erklaert habe, sie moege sich gefaelligst um ihre eigenen Kochtoepfe bekuemmern, mich aber in Ruhe lassen. Ich werde schon wissen, was ich zu thun habe.-- "Da faellt mir uebrigens ein: Sie wuenschen, dass wir heute abend zu ihnen zum Abendbrot kommen. Wir treffen uns um acht Uhr dort! Ich kann dich nicht abholen, ich muss heute nachmittag Geschaefte besorgen." Ileisa hatte sich schon daran gewoehnt, dass sie eigentlich nur neben ihrem Gatten einherging. Wenn er einmal, entsprechend seinem Verhalten waehrend der Verlobungszeit, wieder ein fuegsames und gemuetlicheres Wesen hervorkehrte, so mussten sie diese Augenblicke fuer seine Unpersoenlichkeit und Kaelte entschaedigen, denen allerdings auch alle anderen, die mit ihm in Beruehrung traten, ausgesetzt waren. Das waren dann die kleinen lachenden Inseln, die in dem uferlosen Meer auftauchten, auf dem sie sich befand. Es war eben alles so eingetroffen, wie sie es--von Zweifeln waehrend ihrer Brautzeit wiederholt ergriffen--vorhergesehen. Neuerdings kam sie, da mit den alten Knoops auch Margarete wieder zurueckgekehrt war, leichter ueber die Entbehrungen ihres Herzens und die sich in ihr immer mehr festsetzende Bitterkeit fort.---- * * * * * Aehnlich, wie bei den jungen Knoops, standen die Dinge bei Klamms, nur mit dem Unterschiede, dass sich Alfred von Klamm auf die Arbeit geworfen, und mit Eifer und mit immer steigenderem Erfolge den Geschaeften, der Leitung und der Druckerei zugewendet, hier Ersatz fuer das zu finden gesucht hatte, was er in seiner Ehe entbehrte. Es kamen nicht eigentlich Scenen zwischen ihm und Adelgunde vor. Dazu war er zu kavaliermaessig geartet, und dazu war sie eine zu leichtlebige, bequeme Natur. Ueberdies wirkte bei ihr noch die eifersuechtige Liebe nach, die sie fuer Klamm empfand. Aber es verging fast keine Woche, in der sie nicht ueber die eingetretene Veraenderung klagte. Er war und blieb ein Gegner von Visiten, ueberfluessigen gesellschaftlichen Ruecksichten und all den Nichtigkeiten, die nun einmal fuer Frau Adelgunde den Mittelpunkt ihrer Gedanken bildeten. Ihre Toilette, ihre taeglichen Ausfahrten, ihre Besuche und jene Sucht, stets einen Hofhalt um sich zu bilden und eine Hauptrolle zu spielen, hielten sie in Atem. Und da Alfred nur immer mit halbem Interesse dabei war, oder deutlich zeigte, welchen starken Zwang er sich auflegen muesse, ihr nachzugehen, da ihn immer nur seine Zeitung, seine Geschaefte, die Politik und oeffentliche Vorgaenge interessierten, lebte jeder ein Dasein fuer sich. Jeder legte an den Tag, dass er sich in des anderen Thun und Treiben nicht hineinzuversetzen vermoege. Was Frau Adelgunde besonders empfand, war der Umstand, dass sich die bereits angebahnten Beziehungen zu den hoechsten Kreisen der Berliner Gesellschaft schon wieder zu lockern begannen, nachdem ihr Mann die Leitung uebernommen hatte. Es wurden einmal Unterschiede gemacht! Man bediente sich seiner, wenn man ihn brauchte--eine Zeitung war eine Macht--aber der frueheren Gesellschaftsgleichberechtigung geschah Beeintraechtigung. Wenn man auch Herrn von Klamm einlud, wenn er auch zu den Ministerabenden entboten wurde, so nahm man doch von Adelgunde keine Notiz. Grade das nagte an der lebhaften und ehrgeizigen Frau. Als sie sich einmal mit einem Gesandtschafts-Attache aus fuerstlichem Gebluet in einer Abendgesellschaft begegnete, erklaerte sie bei den Eroerterungen ueber Ehrgeiz und Erfolge, sie wuerde ihre hoechste Befriedigung darin gefunden haben, als Mitglied eines Fuerstengeschlechtes geboren zu sein. Und als der Artigkeiten gegen Frauen gewohnte Hofmann ihr erwidert hatte, dass er allerdings glaube, dass kaum eine der Berliner Damen so sehr die Allueren dazu besitze, wie sie, war sie uebergluecklich. Sie hatte auch Alfred davon Mitteilung gemacht; sie hatte damit die Absicht verbunden, ihm zu imponieren. Er aber hatte gesagt: "Wenn du nur wuesstest, welche Freuden in der Welt ausgestreut liegen und nur aufgehoben zu werden brauchen. Aber du willst nichts dazu thun, um ihrer teilhaftig zu werden." "Ach, bitte, Alfred, komm mir nicht wieder mit den Hinweisen auf das Kraehen der Haehne und das Bruellen der Rinder auf dem Lande. Ich kann einmal weder etwas Poetisches noch Melodisches darin finden. Ebenso geht mir der Sinn dafuer ab, an den Krankenbetten alter Bauerweiber zu sitzen und Christentum zu ueben. Ich finde es schrecklich! Und die kindische Freude an vollen Leinenschraenken, selbstgemachten Handarbeiten, Einmachen von Fruechten und Gurken geht mir nun einmal ebenso sehr ab, wie das Interesse fuer die langweiligen Zeitungen mit ihrer Kritik, ihren Luegen, ihren Uebertreibungen, ihrem Furchtmachen vor Kriegsgefahr und anderer Sensationsmacherei! Ich kann es ja doch nicht aendern. "Du sprachst neulich von Wohlthaetigkeitsvereinen! Nun ja! In ihnen hat man wenigstens ein bischen Amuesement, man kommt mit Menschen in Beruehrung. Aber dieser Frauenbewegungsuebereifer und all das entsetzliche Reden ueber die verkannten Rechte unseres Geschlechtes treiben mich zum Widerstand. "Ich sage es frei, wie ich es meine. Sehr, sehr viele denken ebenso, wagen es nur nicht auszusprechen." "Ja, ja, du bist ein echtes Weltkind, du kannst froh sein, dass du nicht auf Arbeit und Erwerb angewiesen bist, sonst wuerdest du anders reden, Adelgunde. Und wenn du nur einmal auf dich Einfluss ausueben lassen wolltest! Wenn du dich mit der Natur, mit Kindern und einfachen Leuten abgeben, diese Menschen suchen und ihnen Interesse abzugewinnen dir Muehe geben wuerdest! Wenn du ueberhaupt so recht ins Leben hineingreifen und an allem teilnehmen wolltest, dann wuerdest du erkennen, dass die Freuden, die du dadurch empfaengst, mit anderen, die du jetzt schaetzest, gar nicht zu vergleichen sind. "Was meinst du, Adelgunde, wenn wir ein Kind annaehmen? "Ich glaube, die Beschaeftigung mit einem solchen wuerde dich ausfuellen, befriedigen, wuerde dich von den Nichtigkeiten ablenken, denen du nachgehst und die dich--im Grunde--doch nicht befriedigen--" "O nein, nein, Monsieur le Baron Alfred," wehrte die Frau ohne Empfindlichkeit, mit lustigem Pathos ab, beugte sich zu ihm herab und kuesste ihn. "Ich will kein Kind! Ich bin gluecklich, dass uns keins beschert ist! Nur fuer dich thut es mir leid," schraenkte sie gutherzig ein. "Aber gar ein fremdes? Na, wie dergleichen ausfallen kann, sieht man doch an zahllosen Beispielen. "Nein, nein! Es geht ja auch so! Jeder fuegt sich dem andern. Ich waere ja auch ganz gluecklich, wenn du nur nicht diese graesslichen buergerlichen Passionen haettest, wenn du nur nicht grade auf diese Thaetigkeit geraten waerest. "Wie herrlich war's, als du mit der Pfeife im Munde und mit dem eisenbeschlagenen Feldstock in der Hand ueber unser Gut schrittest, oder wenn unsere Fuechse vor unserem Jagdwagen ungeduldig auf und ab tanzten, wenn wir die Nachbarn besuchten, unsere reizenden kleinen Sommergesellschaften arrangierten, uns auf die Freuden des Winters praeparierten, auf unseren Reisen interessante Menschen kennen lernten, so Anregung, Belehrung schoepften, sorglos, froehlich und befriedigt waren! "Was hast du jetzt? Verantwortung, Sorgen, Aerger, Abspannung--und Undank! Ja, ja--Undank! Wie sind sie neulich bei Theobalds ueber die Zeitung hergefallen. "Ich hoerte es, ohne dass die Gruppe der Schwaetzer es ahnte. "Mich, liebster Alfred, stellst du allezeit als ein im Grunde verlorenes, lediglich Thorheiten treibendes Wesen hin. Aber mit welchem Recht? Ich habe die Passionen einer Dame! Ich liebe Musik, Lektuere, ich liebe interessante und geistvolle Menschen, und ich bin dir trotz kleiner Gefallsuechtigkeiten so treu, wie nur eine unvollkommene Eva sein kann. Aber ich suche dir auch dein Haus gemuetlich zu machen und dich nach Kraeften zu pflegen. "Also lass das Geschelte, schraenke deinen langweiligen Lebensernst ein!" Nach solchen Antworten war Alfred entwaffnet, diese Art versoehnte ihn wieder. Sie weckte alle Zuneigung und weckte seinen Gerechtigkeitssinn, der ihm sagte: wenn selbst den von dem grossen Weltgeist regierten, und in den himmlischen Hoehen kreisenden Sonnen, Planeten und Monden Maengel anhafteten, erst recht den, von demselben Schoepfer geschaffenen Kreaturen, die sich Menschen nannten, winzige Unvollkommenheiten eigen und nachzusehen seien. Wie Ileisa die Klugheit, die Nuechternheit, den Ordnungssinn und den wenn auch zur Zeit falschen Zielen nachjagenden Ehrgeiz ihres Mannes schaetzte, wie sie sich an seinen gelegentlichen, besseren Launen wieder von seiner Herzenskaelte aufzurichten suchte, so auch Alfred an der liebenswuerdigen Gemuetsrichtung seiner Frau. Und es wuerden sich diese beiden Ehen, wie so viele tausende andere, die im Grunde nicht gluecklich sind, wohl miteinander ein- und ausgelebt haben, wenn nicht Ereignisse eingetreten waeren, die so stark auf die Mitglieder eingewirkt haetten, dass ihr Wille und ihre Fertigkeit daran gescheitert waeren. * * * * * Alfred von Klamm befand sich bei seiner Mutter; sie hatte ihn gebeten, sie zu besuchen. Sie wohnte noch in der Kurfuerstenstrasse, in der damals von Klamm gemieteten Etage, war wieder hergestellt und nahm an allem, was ihren Sohn und ihre Schwiegertochter betraf, den lebhaftesten Anteil. Sie wuenschte ihn zu sprechen, weil sich Adelgunde wieder einmal an sie gewandt hatte, um ihre bei ihrem Manne auf Widerstand stossenden Plaene durchzusetzen. Er war fast niemals dazu zu bewegen, an den Premieren im Theater teilzunehmen. Nur wenn er selbst einmal eine Kritik ueber ein neues Stueck, oder ueber die Leistungen eines Kuenstlers auf anderem Gebiet schreiben wollte, trat seine Abneigung zurueck, grade dann einem oeffentlichen Konzert oder einer Ausfuehrung beizuwohnen. Fuer Adelgunde hatte aber just die Teilnahme an den ersten Vorstellungen den allergroessten Reiz. Sie konnte sehen und konnte gesehen werden. Das Publikum, das fuer ein Opernplatzbillet bei Gelegenheit des Erscheinens einer Beruehmtheit fuenfzig bis hundert Mark bezahlte, war dasjenige, was ihr gefiel, mit dem sie sich gleichgestimmt fuehlte. Adelgunde steckte sich in solchen und anderen, mit ihrer Eitelkeit zusammenhaengenden Faellen hinter Frau von Klamm, und die gab sich auch in ihrer Herzensguete dazu her, Alfred zuzureden, seiner Frau entgegenzukommen. Und oft gelang's ihr auch; aus Gutherzigkeit willigte er ein. Neuerdings hatte sich Adelgunde in den Kopf gesetzt, ihr Gut bei Dresden zu verkaufen. Da sie nun doch in Berlin ferner leben sollte, wollte sie in nicht zu weiter Ferne von der Hauptstadt ein anderes erwerben. Sie schwelgte schon im voraus in dem Gedanken, dort im Sommer ihre Berliner Bekannten zu empfangen, Feste zu geben, und das Dasein in solcher Weise zu geniessen. Es gehoerte zur Befriedigung ihrer Eitelkeit, und sie geriet dadurch in die Lage, mit den adligen Gutsbesitzern der Umgegend in Beruehrung zu gelangen. Nur kein Stillstand, keine Einfoermigkeit, keine Langeweile! Jeder Tag musste etwas Besonderes bringen, musste in seiner Art ein Festtag sein. Klamm hatte sich zunaechst ihren Plaenen widersetzt. Es widerstrebte ihm, den Besitz bei Dresden, der so lange Eigentum der Familie gewesen, auf dem auch er gearbeitet und so mancherlei gefoerdert hatte, zu veraeussern. "Wer weiss, was wir wieder erhalten! Bei Gueter- und Pferdekaeufen das Richtige treffen, ist sehr schwer! Wie nun? Wenn wir fuer schoenes Gold Kupfer einhandeln? Wir wollen doch dein Vermoegen zusammenhalten," hub er morgens beim Fruehstueck an. "Warum sprichst du immer von 'meinen' Vermoegen?" fiel ihm Adelgunde in die Rede. "Warum sagst du nicht: 'unser' Vermoegen?" "Weil es dein Geld ist, was gewagt werden soll--" "Du hast doch auch mein Geld--wenn du auf dieser Unterscheidung bestehst--an dem Knoopschen Zeitungsunternehmen gewagt und bist voll Vertrauen! Weshalb sollten wir denn grade hierbei getaeuscht werden? "Andere Menschen kaufen auch Gueter und machen einen guten Handel. Es giebt doch zuverlaessige Leute und auch Sachverstaendige. Wir koennen doch letztere zu Rate ziehen." "Hm--Ja, es ist moeglich! Aber wer kauft uns den Besitz bei Dresden ab? Und wenn--wer bezahlt ihn uns so, wie wir ihn schaetzen?" "Das ist denn auch kein Unglueck. Wir koennen ihn ja auch zur Not behalten! Behalten wir ihn doch ueberhaupt, und erwerben wir uns ein huebsches Gut im Oderbruch oder in noch groesserer Naehe von Berlin dazu." Aber bei dieser Eroerterung war es einstweilen geblieben. Nun sollte Mama Klamm vorgehen! Freilich wusste Adelgunde nicht, wie ihre Schwiegermutter die Sache auffassen werde. Sie fuerchtete, sie wuerde auch bei ihr auf Widerstand stossen.-- Zu ihrer angenehmen Ueberraschung fand sie Frau von Klamm jedoch durchaus bereit, ihren Wunsch bei Alfred zu unterstuetzen. Der Dame gefiel der Plan, weil sie auch Vorteile davon haben wuerde. Sie war auf dem Lande gross geworden und hatte ihre meiste Lebenszeit dort zugebracht. Sie liebte das Land; ja, sie stellte sich bereits vor, dass sie dort ferner mit ihren Kindern leben werde. Sie wuerden im Sommer ganze Wochen oder Monate dort zubringen, Alfred wuerde zwar taeglich zur Stadt fahren, aber abends zurueckkehren. Das Stadtleben zersplitterte. Frau von Klamm war nicht gern in Berlin. Mitten in dem grossen Getriebe fuehlte sie sich vereinsamt, umsomehr, weil sie wenig Umgang pflegte. Neuerdings hatte sie Fraeulein von Oderkranz kennen gelernt und sich ihr etwas genaehert. Die alte, kluge, seine Dame hatte ihr ausnehmend gefallen. Alfred hoerte seine Mutter, als sie auf ihn einsprach, ohne Unterbrechung an. Er erhob auch, nachdem sie geendet, keinen Einwand, laechelte nur und sagte: "Wenn ihr einen Verschwoererbund stiftet, was soll ich dann machen? Ich muss ja wohl ja sagen. Ich habe mich hauptsaechlich geweigert, weil ich immer gehofft hatte, dass sich meine Frau mir mehr anpassen werde, dass sie groessere Freude an ihrem Hause, an unserm Zusammenleben finden, dass sie ernstere, bessere Dinge ueber ihre Vergnuegungen setzen werde. "Aber ich erkenne immer mehr, dass in dieser Richtung eine Einwirkung auf sie unmoeglich ist. Da ich sehe, dass auch du fuer den Plan bist, will ich nachgeben. Ich verstehe, dass du dich nach der reinen Luft des Landes sehnst, dass du dorthin wieder zurueckkehren moechtest, wo dein eigentlicher Lebensboden ist. Aber damit wir nicht auseinander geraten, damit wir ebenso haeufig miteinander verkehren, wie bisher, muss es doch schon ein Gut in naechster Naehe Berlins sein, und das wird viel Geld kosten." "Ihr habt ja viel! Wieviel besitzt eigentlich deine Frau?" wandte Frau von Klamm mit sanfter Beharrlichkeit ein. "Nun, eine Anzahl Millionen werden wohl herauskommen," entgegnete Klamm. "Aber was will das sagen, wenn so grosse Summen in verschiedenen Unternehmungen festgelegt werden! "Ich gestehe dir, dass ich eigentlich die Absicht hatte, die Leitung und die Druckerei allein kaeuflich an mich zu bringen, darin Adelgundes Vermoegen festzulegen. Meine groesseren Plaene, meine eigentlichen Wuensche werden durch den Gutskauf nicht nur beeintraechtigt, sondern vielleicht unmoeglich." "Ich wuerde es vermeiden, das Geld deiner Frau in deine Unternehmungen zu verwickeln, Alfred. Du bleibst freier." Klamm laechelte bitter. "Ja, ja!" betonte er. "Du hast voellig recht. Das ist's ja eben! Sobald es sich um meine Wuensche handelt, tritt immer die Erwaegung ein, dass es ihr Geld ist. "Schliessen wir indessen das Gespraech, liebe Mutter. Ich werde Adelgunde und dir--ich wiederhole es--nachgeben, ich werde ein Gut ehestens besehen, und auch sonst alles thun, was deine Wuensche verwirklicht." In Frau von Klamms Angesicht erschien ein Ausdruck groesster Befriedigung. Sie nickte ihrem Sohn warmherzig zu und schloss, waehrend er sich erhob und zum Fortgehen ruestete: "Was machen eigentlich Knoops? Ich vergass immer, dich danach zu fragen. Sind sie zurueck, und ist"--hier laechelte Frau von Klamm gutmuetig--"der Bote mit dem Adelsbrief unterwegs oder gar schon angelangt?" "Ja, sie sind zurueck, und auch der beruehmte Theodor, der Hallunke, ist, wie ich von einem der Herren in der Redaktion zufaellig gehoert habe, aus Paris heimgekehrt. "Er wird wohl die Provision, die ihm sein Bruder fuer den Zeitungsverkauf zugebilligt hat, schon wieder verthan haben und muss nun neues Futter suchen. "Dazu gehoert die Nobilitierung. Er ist ja der eifrige Vermittler, um der Familie das 'von' anzuhaengen." "Und der junge Mann und Frau Ileisa? Hast du sie auch wieder gesehen? Fraeulein von Oderkranz aeusserte neulich, dass es ihr lebhafter Wunsch sei, dass ihre Kinder mit euch verkehren--" "Aber besser ist's schon, dass es unterbleibt, Mutter! Dieser Herr Arthur ist mir nichts weniger als sympathisch; namentlich seitdem er sich zum Nichtsthuer herausgebildet hat. Ein Mensch in seinen Jahren ohne Beschaeftigung, ohne Erwerb! Es sind mir solche Leute gradezu widerwaertig! "Um uebrigens deine andere Frage zu beantworten: Ja, ich sah sie noch gestern in der Equipage, die er sich angeschafft hat. Er kutschierte selbst, und sie sass neben ihm. Sie sah ueberaus anziehend aus, und gruesste, als ob niemals etwas zwischen uns vorgefallen waere!" Klamm schloss seine Rede mit einem Seufzer. Dann neigte er sich zu seiner Mutter und kuesste sie auf die Wange und verliess das Zimmer. * * * * * Der Winter hatte sich in diesem Jahre sehr frueh verzogen. Der Fruehling war jaehlings ins Land gestuermt und hatte seine unwiderstehliche Herrschaft angetreten. Ploetzlich war's von den Daechern getropft. Der Schnee war rasch und behende zerschmolzen; die Eiszapfen waren ihm mit eilfertiger Aufloesungshast gefolgt, und zu allem hatten vergnuegt geschwaetzige Staare die Musik gemacht. An Baeumen und Gestraeuchen waren in einer einzigen Nacht die jungen Triebe erschienen, und ehe sich's die Welt versehen, hatte die Natur ein farbiges Kleid angelegt. Und dem Fruehling war ein bluetenschwerer Sommer gefolgt. Schon war die Zeit bis Ende September wiederum vorgerueckt, und seit Monaten befanden sich Klamms bereits auf dem von ihnen erworbenen, in der Naehe von Berlin belegenen Gut Gruenhagen. Aber es war noch etwas geschehen: Ihre Nachbarn waren--Knoops geworden. Der Zufall hatte gespielt. Als an den alten Herrn Knoop die Anforderung ergangen war, sich als Eigentuemer einer umfangreicheren Gutsherrschaft auszuweisen, war Behrwalde--so hiess das Rittergut--grade zum Verkauf gestellt worden. Der fruehere Besitzer, ein Graf Kloeker, war ploetzlich gestorben, und die zurueckgebliebene Familie hatte sobald wie moeglich den Landaufenthalt gegen die Stadt zu vertauschen gewuenscht. Da hatte Herr Knoop sogleich zugegriffen, obgleich auch ihn die Naehe der Familie Klamm gehoert. Bei Klamms aber war erst recht ein Missbehagen eingetreten. Nachdem Alfred eben die Familie geschaeftlich von sich abgeschuettelt hatte, sass sie nun neben ihm, gleichsam Stube an Stube. Aber nicht nur die Alten, sondern auch die Jungen! Wie es hiess, blieben Knoops nur fuer den Sommer und Herbst dort. Aber da Arthur und die Alten ihre Wohnung in der Stadt schon wieder aufgegeben, erschien die Verwirklichung doch sehr zweifelhaft. Es passte das, wie man sich erzaehlte, Arthur so besser. Er stand nun, da seine Frau und seine Familie auf dem Lande wohnten, unter gar keiner Kontrolle mehr. So konnte er seinen Lebemaenner-Gewohnheiten voll nachgehen! Margarete Knoop war ueber die Ortsveraenderung ausserordentlich gluecklich. Sie hatte den Plan ihres Vaters, ein Gut zu erwerben, mit allen Kraeften gefoerdert. Mit der Erhebung in den erblichen Freiherrnstand, war es nach Theodors Rueckkehr aus Paris ploetzlich sehr rasch gegangen. Herr Knoop hatte fuenfzigtausend Mark fuer Zwecke des roten Kreuzes gespendet, zudem dies adlige, grosse Rittergut erworben, und sich endlich auch der buergerlichen Thaetigkeit begeben. Da die Familie Knoop in vergangenen Jahrhunderten den Adel besessen und ihn nur freiwillig abgelegt, so waren sonstige vorhandene Schwierigkeiten leichter zu beseitigen gewesen. Und da war denn in ueberraschend kurzer Frist, nach ein paar Wochen, die Nobilitierung erfolgt. "Na, ja! Es ist doch etwas! Ich sag's noch einmal!" hatte Herr Baron Friedrich von Knoop in einem sehr gehobenen Tone gegen seine Frau geaeussert. "Ich bin doch vom Buchdruckergesellen zum Freiherrn herausgerueckt, und habe drei Millionen Mark und reichlich darueber, teils im Kasten, teils in rentablem festem Besitz! "Und unsere Schwiegertochter stammt aus altem Adel und ist eine treffliche Frau, und unsere Kinder sind von der Natur so veranlagt, dass wir an ihnen sicherlich nur Freude erleben werden." Frau von Knoop hatte sich zunaechst auch mit der Neueinrichtung der Dinge ziemlich ausgesoehnt, ja, sie hatte Augenblicke, in denen auch sie ihrer Eitelkeit erlag. Und zu dieser gesellten sich sonstige Befriedigungen. Anders war's mit Margarete. Sie missbilligte ihres Vaters Ehrgeiz nach wie vor. Sie bedauerte seine Unthaetigkeit, die schon allerlei unliebsame Folgen mit sich gefuehrt. Als einzigen wirklichen Gewinn betrachtete sie lediglich die Erwerbung des Gutes, und die Aussicht, dort ferner zu leben. Ihr ging's wie Frau von Klamm! Das Gezwitscher der Voegel in der blauen Luft ueber den saatengoldenen Feldern klang ihr weit melodischer als der Laut der gefluegelten Scharen ueber den mit geschwaerzten Schornsteinen besetzten Daechern der Grossstadt. Die Freiheit und die Unabhaengigkeit von dem gesellschaftlichen Zwang mit all seinen Komoedien und Unwahrheiten mutete sie an wie eine neue Wunder-Daseinswelt. Da nun auch Ileisa fortan in ihrer Naehe blieb, glaubte sie alles zu besitzen, was ihr Herz ausfuellen konnte. Nur eines stoerte sie jeden Tag. Das Verhaeltnis zu ihrem Bruder wurde immer schlechter. Immer mehr verflachte er, und mit der Annahme der Verflachung und der Arbeitsscheu verstaerkten sich seine Empfindlichkeit und sein Mangel an Ruecksichten gegen seine Umgebung. War er frueher rauh und rechthaberisch gewesen, so hatte er doch Sinn fuer Arbeit, Erfolg besessen und Respekt vor seiner Person in allen Kreisen erstrebt. Jetzt sprach er nur von den gesellschaftlichen Errungenschaften, die ihm, als Mitglied des Adels, immer mehr zufielen. Als ihn ein bisher sehr unnahbares Mitglied des Unionklubs, in dem er aufgenommen war, zu einem Fruehstueck eingeladen, war ihm diese Auszeichnung dermassen zu Kopf gestiegen, dass er im Hause mit seiner ganzen gefuehllosen Unausstehlichkeit austrat. "Du thust wirklich, als ob dich die Beachtung, die dir Graf von der Horwitz erwiesen, zu einem Mitglied der Ritter vom schwarzen Adlerorden gemacht habe, Arthur," hatte seine Schwester mit veraechtlichem Spott hingeworfen. "Wie ist es moeglich, dass ein Mensch mit freiem Sinn und Selbstachtung auf solche Nichtigkeiten Wert legen kann! Wo ist die Zeit, in der du noch deinen Ruhm in kraeftiger Thaetigkeit und deine Erfolge in dem sahst, was unser Vater sein Lebelang unermuedlich schaffte und foerderte. Ich sage dasselbe, was ich dir schon frueher vorhielt: "Du laesst dich--ein junger Mann--von ihm ernaehren, spielst den grossen Herrn, vergeudest dein Geld in Ueberfluessigkeiten, vielleicht gar im Spiel, vernachlaessigst deine Frau, deine Eltern und was das Schlimmste ist, machst dich wegen deines eitlen Auftretens zum Gespoett bei allen unbefangenen und ernsthaften Men--" Aber weiter war Margarete nicht gelangt. Der von ihr so Angegriffene hatte sich wie ein Tobsuechtiger benommen. Die Reitpeitsche, die er zufaellig in der Hand gehabt, hatte er gegen seine Schwester erhoben und sie mit wutentstellten Mienen angeschrieen: "Schweig, unverschaemte, dumme Gans, die du immer nur nach deinen jaemmerlich hausbackenen Auffassungen Thun und Treiben anderer beurteilst. Was weisst du, welche Zwecke ich verfolge, welchen Plaenen ich nachgehe! Und es sei dir zum letztenmal gesagt: deine Unverschaemtheiten verbitte ich mir! Wenn du noch einmal so auftrittst--untersage ich dir, unser Haus zu betreten." "Vaters Haus meinst du doch wohl! 'Dein Haus' giebt es nicht! Du hast seit deiner Rueckkehr von England nur im ersten Jahre gearbeitet und etwas selbst verdient. "Jetzt bist du ein Tagedieb und verminderst dein Ansehen von Tag zu Tag vor deiner Frau," war Margarete unerschrocken fortgefahren. "Gold glaubte sie zu finden, aber wertloses, ja unedles Metall hat sie erhalten." Aber mit diesen Worten hatte sie doch zu viel gewagt. Sie hatte Arthur dermassen gereizt, dass er sie gepackt und mit einem Ruck auf den Flur gesetzt hatte. Und hier hatte er sie stehen lassen und ihr bei seinem Fortgange zugerufen: "Wage nicht, jemals wieder ueber diese Schwelle zu treten"--und war dann, die Hausthuer heftig hinter sich zuschlagend, keuchend vor Wut und Aufregung seiner grade aus dem hinteren Teil des Gartens kommenden Frau entgegengetreten. Ihr hatte er dasselbe erklaert. Sie habe Margaretes Umgang fortan ueberhaupt zu meiden, und wenn sie das nicht koenne und wolle, werde er Behrwalde wieder verlassen und sich irgendwo anders niederlassen. "Mit meiner Schwester bin ich ein fuer allemal fertig. Das werde ich auch noch heute den Eltern mitteilen!" So hatte er geschlossen, ohne Ileisa zu Wort kommen zu lassen und war, nachdem er stumm und verbissen mit ihr das Mittagessen eingenommen, zur Stadt gefahren. "Sie moege nicht auf ihn warten! Es werde spaet werden. Er habe Geschaefte!" Mit dieser Erklaerung war er gegangen und hatte auch ihr kaum einen Gruss gegoennt. * * * * * Margarete fand ihre Eltern, gleich nach dieser Scene mit ihrem Bruder, im Begriff, ebenfalls zur Stadt zu fahren. Der Wagen stand bereits vor der Thuer, Herr Knoop knoepfte mit ungeduldigen Gebaerden an seinen Handschuhen und draengte eben seine Frau, sich zu beeilen. Grade kam sie auch aus dem Hause hervor, um in dem eleganten, mit dem Knoopschen Wappen bereits geschmueckten, offenen Landauer Platz zu nehmen. Als sie aber Margaretens ansichtig wurde und deren auffallende Blaesse und deren verweinte Augen bemerkte, trat sie sogleich besorgt auf sie zu, zog sie, von ihrem Manne begleitet ins Haus, und sprach auf sie ein. "Was sie habe, was geschehen, warum sie nicht, wie sie beabsichtigt, bei Ileisa geblieben sei?" stiess sie beaengstigt heraus. Und Margarete berichtete, und nachdem sie alles mitgeteilt, ja, fast woertlich wiedergegeben hatte, was zwischen ihr und Arthur vorgefallen war, geriet Herr Knoop in eine ganz ungeheure Aufregung. Er sprach aus, dass er nur bedaure, Arthur nicht gleich fassen, ihn zur Rede stellen und ihn so abkanzeln zu koennen, dass ihm zu Wiederholungen eines solchen Auftretens die Luft vergehen werde. Aber auch Margaretens Mutter bemaechtigte sich eine grosse Empoerung, der sich eine tiefe Trauer und eine starke Bedrueckung hinzugesellte. Ihre alte Ahnung, dass die in solcher Art herbeigefuehrte Abweichung von frueherer Einfachheit ihrem Manne und ihnen allen nicht zum Segen gereichen, ihnen vielmehr zum Verderben werden wuerde, erfasste sie von neuem. Immer wieder musste Margarete erzaehlen, und mit jeder Erneuerung ihrer Darlegungen verstaerkten sich in beiden der Zorn und die Entruestung ueber Arthurs Benehmen. Erst nach einiger Zeit vermochten sie sich zu besaenftigen. Waehrend sich aber Herr Knoop anschicken wollte, nunmehr zur Stadt zu fahren, erklaerte Frau Knoop, dass sie sich nicht mehr in der Stimmung befinde, Besuche zu machen. Ueberhaupt sei sie gegen das fortwaehrende, von ihrem Manne gewuenschte Visitenmachen; sie buerdeten sich dadurch ohne Not und Zweck und ohne irgend welche Vorteile Lasten auf. Das reizte nun aber wiederum Herrn von Knoop dermassen, dass er sich in den schaerfsten Worten gegen seine Frau erging. Das gestoerte Gemuet musste sich an irgend etwas wetzen und austoben. "Ach Gott," seufzte Frau von Knoop unter heissen Thraenen. "Wie waren wir doch frueher in unserer Villa hinten auf deinem Arbeitshof gluecklich! Fast nie kam eine Verstimmung, gar ein boeses Wort zwischen uns vor! Und jetzt? Seitdem Arthur aus England wiedergekommen, ist's, als ob ein boeser Geist bei uns eingekehrt. Nach unserer Standeserhoehung und nach dem Gutskauf ist erst gar die Freude von uns gewichen." Und eben, weil sie das Rechte traf, weil ihre Worte den Thatsachen entsprachen, weil sich der Mann getroffen fuehlte, erhoehte sie nunmehr sein Ingrimm. Er wollte, da sich jetzt doch der Eitelkeitssinn fuer den Sohn regte, Arthurs Ansehen retten; er wollte namentlich nicht zugeben, dass ihn der Sohn beeinflusst habe. Eine unbaendige Heftigkeit kaempfte in seinem Innern mit einer sich regenden, heissen Reue. In diesem Augenblick wuenschte er, dass er niemals sein schoenes, durch Fleiss und kraeftige Pflichterfuellung aufgerichtetes Werk anderen Haenden ueberlassen, dass er, wie seine Frau richtig geaeussert, in Arbeit und Einfachheit auch ferner sein Glueck gefunden haette. Und eben diese Selbstanklage, und diese grosse, sich unheimlich in seine Seele einschleichende Reue, veranlassten ihn zu den schwersten Ausfaellen gegen seine Familie. Er sprach in den heftigsten Ausdruecken von Uebertreibungen, und er redete von schnoedem Undank! Statt Anerkennung zu empfangen und guter, gerechter Einsicht zu begegnen, dass er--allezeit ein Fleissiger und Bebuerdeter--in seinem Alter auf Ruhe, Erholung und Abloesung ein Recht habe, fassten sie beide nur ihre Annehmlichkeiten ins Auge, ergingen sich gegen ihn in Vorwuerfen und Anklagen, und verbitterten ihm das Dasein. Ihnen fehle jedes Verstaendnis dafuer, dass sich ein Mann Ansehen und Beachtung in der Welt erwerben solle. Sie stellten ihn nachgerade als einen Unmuendigen hin, der noch wie ein Schulkind belehrt werden muesse. Er wisse aber sehr genau, was er wolle, und sie sollten Gott danken, dass sie sich keinen Wunsch zu versagen brauchten, und ueberhaupt vom Glueck ueberschuettet seien. Im uebrigen trenne er Berechtigtes von unzutreffenden Sentimentalitaeten. Mit Arthur werde er ein sehr deutliches Wort reden. Er habe einen festen Entschluss gefasst. Den Inhalt wuerden sie bald erfahren.-- Hierauf griff er nach Hut und Stock, erklaerte, dass er, da er frische Luft und andere Eindruecke zu seiner Besaenftigung gebrauche, allein zur Stadt fahren wolle, und befahl dem schon mit recht muerrischer Miene auf dem Bock sitzenden Kutscher, vorwaerts zu machen. Nachdem er sich entfernt hatte, eroerterten Mutter und Tochter die Vorgaenge in einer moeglichst sanften und sachlichen Weise. Sie nahmen sich vor, auf Herrn von Knoop nach seiner Rueckkehr versoehnlich einzusprechen, aber ihn auch bei der ersten sich dazu bietenden Gelegenheit zu bitten, dass sie ihr Leben anders einrichteten. Mutter und Tochter hatten schon erfahren, dass man sie im Grunde doch nur als Emporkoemmlinge ansah. Bei ihren Besuchen in der Nachbarschaft, auf den Guetern, war man ihnen wohl hoeflich, aber nichts weniger als sehr zuvorkommend begegnet. Man liess sie dafuer buessen, dass sie sich einbildeten, sie seien nun schon Gleichberechtigte. Was war ein erkaufter Adel? Mutter und Tochter fuehlten eine heisse Scham, um die Gunst so Denkender zu buhlen. Aber auch in ihrem bisherigen Bekanntenkreis in Berlin hatten sie starke Enttaeuschungen erfahren. Dort machte sich der Neid breit. Die angeseheneren Familien, die Knoops ihre Thueren bisher geoeffnet, mit ihnen, wenn auch nicht eng, aber doch in sehr freundlicher Weise verkehrt, hatten nun nichts mehr vor jenen voraus! Jetzt standen Knoops mit Geld und Rang ueber ihnen! Das passte ihnen nicht!-- Das Benehmen der jungen Herren gegenueber Margarete war auch ein ganz anderes geworden. Die Gutgearteten, die Absichten auf sie gehabt hatten, zogen sich zurueck, weil sie nicht den Eindruck hervorrufen wollten, sie wuerben nur um die reiche Erbin! Und wiederum draengten sich die auf ihren Geldbeutel Spekulierenden jetzt mehrfach mit solcher Unzartheit an sie heran, dass es sie verletzte. Herr von Knoop hatte frueher seine ihn stark in Anspruch nehmende Thaetigkeit gehabt. Er hatte einen Tageszweck besessen. Jetzt langweilte er sich, er beschaeftigte sich fortwaehrend mit seiner Gesundheit und bildete sich zum Hypochonder aus. Infolgedessen war seine Laune meistens keine gute. Er noergelte um nichts; er quaelte seine Umgebung mit Kleinlichkeiten. Und wiederum, wenn die vornehme Gesellschaft in Frage kam, konnte er, trotz eben hervorgehobener Beschwerden, alles, war er zu Opfern stets bereit und befand darauf, dass man den Adligen den Hof mache. Er schalt, wenn seine Familie nicht sehr willig auf seine Aeusserlichkeits-Ruecksichten einging, als kleinlich, unsinnig, empfindlich und unliebenswuerdig.-- Nach Tisch begab sich Margarete in ihr Zimmer oben im Gutshause und hielt eine Umschau in die sie umgebende Welt. Behrwalde war ein prachtvoller Besitz, wurde von einem aeusserst tuechtigen Mann verwaltet, und stand infolgedessen in bester Kultur. Aber auch die Lage des Gutes war eine herrliche. Das in weisser Farbe prangende Herrenhaus war umschlossen von laubreichen, alten Buchen und Linden. Weiter hinab umgaben aeusserst wohlerhaltene, von Epheu und Schlinggewaechsen meist umzingelte Wirtschaftsgebaeude den maechtig geraeumigen Gutshof. Hinter den zwei, unten das Gesamtviereck begrenzenden, altertuemlich gebauten Thorhaeusern bot sich dem Auge ein Blick, der nicht schoener gedacht werden konnte. Durch Tannen- und Buchenwaldungen unterbrochene gruene Flaechen dehnten sich bis zum sanftblauen Horizont aus. Zwischen ihnen tauchten die Silberbaender kleiner Auen auf, und ueberall erhoben sich Doerfer mit weissschimmernden Mauern, Kirchtuermen und roten Daechern. Zur Linken, gleich neben dem Schloss, trat man in einen, durch ein vergoldetes Gitterwerk eingefriedigten Park. An ihn stiess der Besitz von Klamms. Zur Rechten befand sich ein grosser Gemuesegarten. Die nie einen Anruf versagende, grosse Troesterin der Menschen: die Natur, half auch Margarete heute zu einer ruhigeren Auffassung. Ja, als sie das alles vor sich sah, in seiner noch prangenden Schoenheit und Fuelle, uebergossen von goldenem Sonnenlicht, und in solchem stillen Erdfrieden, erfasste sie gar wieder eine starke Zuversicht. Sie hoffte, ihren Vater beeinflussen zu koennen. Sie sah die alten Zeiten zurueckkehren, und sie nahm sich vor, auf Ileisa einzuwirken damit sie ihres Mannes Herr werde.-- Unter solcher Vorstellung verliess sie ihr mit Blumen und allerlei kleinen Zierlichkeiten und Kunstgegenstaenden angefuelltes Gemach, und stieg die weisslackierte Treppe hinab. Alle Thueren, Fenster und Treppen im Hause trugen diese schneeweisse Farbe, und erstere waren geschmueckt mit Messing-blitzenden Klinken und die Schloesser umgebenden, zierlich gewundenen Einfassungen. Margarete eilte ueber den Hof, erreichte das, seine Front dem eben betriebenen, freien Land zuwendende, sogenannte kleine Herrenhaus, in dem frueher ein Bruder des verdorbenen Grafen Kloeker gewohnt und in dem nunmehr Arthur eingezogen war. Sie fragte den ihr auf dem Flur entgegentretenden Diener nach ihrer Schwaegerin. Er erklaerte hoeflich beflissen, dass sie im Garten sei oder sich ins Dorf begeben habe. Er wolle eilig nachforschen. Nachdem er sich entfernt hatte, trat Margarete zunaechst auf die Veranda, dann aber ins Wohngemach, schaute sich, wie am Vormittag, als Arthur sie ueberrascht hatte, nach allem um. Dann ging sie gedankenlos, ihrem Impulse folgend, in das daneben befindliche, von Ileisa vorzugsweise bewohnte Kabinett. Auf der anderen Seite befand sich ein aehnliches, von Arthur ausschliesslich benutztes Arbeitszimmer. Hier fand Margarete auf Ileisas Schreibtisch eine Art von Gedenkbuch mit beschriebenen Blaettern, und las--gegen ihren Willen angezogen--was Ileisa dort angezeichnet hatte. Und so ergriff sie das, was sie fand, dass sie unwillkuerlich in einen nebenan gehenden Sessel zuruecksank und sich--den Gedanken unterdrueckend, dass sie etwas that, wozu ihr das Recht fehlte--voellig in die Lektuere vertiefte. Es hiess da: "Alle _Vorstellungen_ ueber Glueck sind ausnahmslos unzutreffend. Nur die Erfahrungen koennen uns ueber dessen Einzelwesen belehren. "Einer denkt, er werde mit dem Haupt in den Himmel hineinragen, wenn er seiner Nahrungssorgen entrueckt werde, und wird ihm in Fuelle, was er vom Schoepfer erflehte, schreit er nach dem Wechsel zwischen Entbehrung und Genuss! "Zum Glueck gehoeren moeglichste Unabhaengigkeit von anderen, und die Saettigungen, die unsere 'Herzen' und Gemueter beduerfen. "Ich bin eine Sklavin geworden, die ich dachte, ich wuerde alle Fesseln abstreifen. Und mich hungert foermlich nach Liebe! "Waeren nicht zwei Menschen: meine edle Tante und Margarete, wuerde ich vielleicht schon ins Wasser gesprungen sein. "Es fliesst so lockend jenseits der Wiese vorueber. So tief ist der Au, so rein ist sein Wasser. Da ruht's sich sicher gut. Ich bin so todestraurig, so verzagt, so grenzenlos unbefriedigt. Wer hilft mir--?" Als eben Margarete noch weiter lesen wollte, vernahm sie nebenan Geraeusch von Schritten, scheuchte infolgedessen hastig empor, warf sich eilig in einen Sessel, der in einem nach dem Garten schauenden Erkerausbau stand, und griff nach einem, auf einem kleinen Tisch liegenden Buch. Im naechsten Moment stand Ileisa vor ihr. Aber ein Schreck ergriff Margarete, als sie Ileisa anblickte. Diese aber eilte auf Margarete zu, fiel vor ihr nieder, und stiess erschuettert heraus: "Ach, liebe, liebe Margarete, was habe ich eben erlebt--" Dann folgte ein verzagtes, herzzerreissendes Wimmern, das die mitfuehlende und beaengstigte Margarete fast ebenso fassungslos machte. "Um Himmelswillen! Was ist geschehen? Bitte, richte dich auf. So, so! Setze dich hierher.--Ah--ah--meine arme Ileisa," rief sie, sich selbst mit Gewalt aufraffend, lief erst noch fort, schloss das Gemach und begab sich dann wieder rasch zu ihrer bedrueckten Verwandten. "Ja! Hoere," begann Ileisa und strich, tief aufatmend, mit der Hand ueber die Stirn. "Ich kam vom Dorf zurueck, ging ueber die Landstrasse, und wollte eben an der Parkthuer zu Klamms vorueberschreiten, als Herr von Klamm von dort herauskam, ploetzlich vor mir stand und mich anredete. "Ich weiss nicht--aber vielleicht weiss ich's doch--weshalb mir das Herz so zitterte. Jedenfalls wurde ich so verwirrt, dass ich ihm keine Antwort stehen konnte. Er legte das als ein koerperliches Unbefinden aus, redete teilnehmend auf mich ein, bat, ob ich nicht einen Augenblick in den Park treten, und mich dort--du weisst, gleich rechts auf dem Eichenberg--niederlassen wollte. "Ich that dann etwas, was ich nicht wollte. Statt sein Anerbieten abzulehnen, liess ich mich--gradezu wie von einer Hypnose ergriffen--von ihm mitziehen und verwickelte mich mit ihm in ein Gespraech. "Er erkundigte sich nach Tante, auch fluechtig nach Arthur und eingehend nach dir. Zuletzt beruehrte er unser frueheres Zusammensein. Er erwaehnte des Zufalls, dass wir nun doch wieder zu einander gerueckt waeren und meinte, es mache ihn gluecklich, mich wenigstens dann und wann wieder zu sehen. "Um etwas zu erwidern, entgegnete ich: "'Ich danke Ihnen herzlich fuer Ihr Interesse, Herr Baron, um so mehr, da ich es nicht verdiene. Sie wissen es am besten! Lassen Sie mich Ihnen aber sagen, dass ich glaube, dass es am besten ist, wenn wir uns meiden, uns nur aus der Entfernung schaetzen. Ich werde dabei entbehren, gewiss, aber es ist richtiger so, wenigstens fuer mich.' "Diese Antwort wirkte auf Herrn von Klamm ganz anders, als ich erwartet hatte. "Statt darauf etwas unmittelbar zu entgegnen, liess er den Kopf sinken, verfiel in Nachdenken und sagte dann: "'Es fehlt mir die Zeit, und es ist hier nicht der Ort zu einem Gespraech, an dem ich Ihnen--wie ich moechte--auf Ihre Worte erwidern kann, meine gnaedige Frau. "'Lassen Sie mich nur das eine bemerken: "'Wenn Sie von Entbehrung sprechen, so trifft dies bei mir erst recht zu--' "Nach diesen Worten sah er mich mit einem so traurigen Blick an, dass ich am liebsten an ihm herabgeglitten waere und ihm gedankt haette, dass er mir noch immer so gut geblieben sei. "Was aber dann dieser Auseinandersetzung folgte, spottet jeder Betreibung. "Klamm hatte mich eben verlassen; er war, als er mir begegnete, im Begriff gewesen, zur Bahnstation zu gehen, und musste sich, um nicht den Zug zu verpassen, sehr beeilen. Ich aber sass noch in Gedanken versunken. So viel war auf mich eingestuermt, dass ich voellig vergessen hatte, wo ich mich befand. "Daran sollte ich aber sehr bald, und sehr unliebsam erinnert werden. Ich hatte waehrend meines Gespraeches mit Klamm schon einmal Geraeusch hinter den Gebueschen zu hoeren vermeint, da aber Klamm sich nicht umgesehen, angenommen, dass ich mich doch wohl getaeuscht habe. "Es war aber Frau von Klamm gewesen, die, um ihrem Manne noch etwas zu sagen, ihm gefolgt war, und als sie uns sprechen gehoert, stehen geblieben und gehorcht hatte. "Sie trat nun jaehlings hervor, stellte sich vor mich auf, mass mich mit hochmuetiger Miene und stiess, mit vor Erregung zitternder Stimme, heraus: "'Ich war eben Zeuge des Gespraeches zwischen Ihnen und meinem Mann. Voller Empoerung vernahm ich, dass Sie sich nicht scheuten, ihm Avancen zu machen, mit wohlberechneter Weichmuetigkeit aeusserten, wie schwer es Ihnen werde, ihm fern zu bleiben! Der Sinn Ihrer Worte war nicht misszuverstehen, am wenigsten fuer denjenigen, der fruehere Vorkommnisse kennt. "'Ich moechte Sie nun sehr ernstlich ersuchen, solche Koketterien mit meinem Gatten nicht ferner zu wiederholen! Ich moechte Sie erinnern, dass wir, Ihre Nachbarn, sehr streng ueber Ehrbarkeit, Sitte und Ehepflichten denken. Jawohl! Nicht nur ich--sondern auch mein Mann, dem Sie von Entbehrungen sprachen, den Sie--nun doch wieder an sich ziehen moechten. "'Bitte, bitte, echauffieren Sie sich nicht! Es ist doch, wie man hoert, Ihrem Andraengen zu verdanken, dass Sie sich unmittelbar neben uns angekauft haben! Also Thatsachen sprechen! "'Ich fordere Sie auf, dafuer zu sorgen, dass Ihr Gatte wieder von hier fortzieht. Erst dann werde ich glauben, dass Ihnen Sittlichkeits- und Ehrgefuehl nicht abgeht, dass meine Rede den Zweck erfuellt hat, den ich mit ihr verbinde! Ich will meinen Gatten Ihnen nicht opfern! "'So, das habe ich zu sagen. Ich empfehle mich Ihnen--'" "Und du? Und du? Was antwortetest du?" stiess Margarete nach diesem Bericht heraus, biss vor Zorn die Zaehne zusammen, und ballte unwillkuerlich die Haende. "Ich that nichts, denn ich konnte nichts thun, Margarete," entgegnen Ileisa. "Sie war ja schon fort, als alle die Feuer, die sich in mir entzuendet hatten, losbrechen und sie versengen wollten. "Nachdem ich nur eben wieder Atem gewann, eilte ich, ohne mich aufzuhalten, ins Haus. Ich sehnte mich nach Vereinsamung, Nachdenken und Ruhe. Ich wollte mich hier auf's Sofa werfen und ausweinen--und fand dich!" "Wohlan," erklaerte Margarete mit fester Stimme und entschlossener Miene, "so will ich statt deiner antworten, so will ich jetzt zu ihr gehen. Ich will Einlass fordern, und ihr erklaeren, was sie ist, was die Welt von ihr sagt, und ihr verbieten, sich ferner herauszunehmen, Personen zu beleidigen, die moralisch so hoch ueber ihr stehen, dass sie die Augen niederzuschlagen hat. Fuer dich will ich eintreten! Ich will ihr ins Gesicht schleudern, dass sie die Unehrbare ist, die mit Maennern taendelt, die nichts anderes kennt, als Eitelkeiten und Aeusserlichkeiten, dass sie sich wie eine ungebildete Xantippe benimmt, waehrend sie sich ruehmt, eine Dame, eine Bevorzugte der Gesellschaft zu sein!" Nach diesem Ausbruch wollte sich Margarete entfernen. Aber Ileisa hielt sie zurueck, redete auf sie ein, und teilte ihr das Gefuehl der Besonnenheit mit, das sie inzwischen selbst zurueckgewonnen. Sie hatte Einkehr in sich genommen, und ihr gerechtes Ich hatte sich gemeldet. Wenn schon Herr von Klamm die vergangenen Dinge beruehrt habe, so haette sie, erklaerte sie, als verheiratete Frau, darauf gar nicht eingehen duerfen. Sie habe sich--ungluecklich wie sie waere--von ihrem Enttaeuschungsschmerz fortreissen lassen. "Ich bin," fuhr sie fort, "insofern nicht ohne Schuld. Und Frau von Klamms Ausbruch gegen mich war ein Produkt der Eifersucht. Eifersucht aber weiss nicht, was sie thut; sie darf nicht mit dem gewohnten Mass gemessen werden. Dass aber Frau von Klamm auf einen solchen Mann ueberhaupt eifersuechtig ist, dass sie ihn fuer sich, fuer sich ganz allein behalten will, ist's ihr zu verdenken? Ich wuerde ebenso fuehlen, und vielleicht gar auch so handeln. "Ach, Margarete! Haben wir Klamm nicht beide geliebt und lieben--wir ihn nicht noch heute? "Ich wenigstens gestehe es in diesem Augenblick. Ich liebe ihn mit der ganzen Kraft meiner Seele. Ich koennte mein Leben fuer ihn lassen, ich sehe in ihm ebenso sehr das Ideal eines redlich strebenden Mannes, wie ich in Arthur nur ein Abbild jener erblicke, die nichts anderes kennen als ihr genusssuechtiges Ich, die nichts anderes erstreben, als Aeusserlichkeiten. "Ach--ach--wer rettet mich, Margarete? Ich bin verloren!" schloss sie erschuettert, und warf sich ihrer Freundin an die Brust. Margarete aber sagte, nachdem sie Ileisa von ihrer Brust sanft geloest hatte: "Ich weiss, wie vielleicht doch noch alles gut werden kann, Ileisa. Rede einmal fest und unerschrocken mit meinem Bruder. Sage ihm, dass du ungluecklich seist, bitte ihn, dass er ein anderer wird, dass er mit dir lebt, dir Waerme und Liebe entgegentraegt, dass du sonst neben ihm verdorrst. Gewiss, ich weiss! Eine einzige solche Unterredung thut's nicht. Aber du musst es ihn wissen lassen, dass es so in dir aussieht. Und wenn er etwas thun will, was ihn von dir und seinen guten Regungen abzieht, so sprich auf ihn ein und beginne immer von neuem, und suche auf ihn einzuwirken. Ihr seid nun doch einmal verheiratet, und als Frau hast du Pflichten uebernommen. Du klagst dich an! Ich weiss nicht, ob mit Recht. Sollen es aber nicht Worte bleiben, so musst du wenigstens den Versuch machen, und erst, wenn alles vergeblich, wenn du erkennst, dass er weder will noch kann--dann fuege dich in das Unvermeidliche." Und Ileisa erwiderte weich gestimmt: "Du sprichst gut und weise, und ich will deinen Rat zu befolgen suchen, meine liebe Margarete. Aber wenn es mir nicht gelingt, auf Arthur einzuwirken, vergiss nicht, dass man eigentlich doch nur lehren kann, wenn man etwas zu sagen hat. Ich aber habe die Zuneigung, die ich fuer ihn empfand, so gut wie verloren. "Es ist furchtbar, zu gestehen, aber ich bekenne dir, dass ich eher einen Abscheu vor ihm empfinde, denn die Neigung spuere, mich ihm ferner zu naehern. "Wir haben eben sehr frueh mit einander verspielt--und mein Verdienst nach dieser Erkenntnis war bisher nur das--dass ich duldete und--schwieg." Und ploetzlich, in einem sie maechtig ueberwaeltigenden Gefuehl, umschlang sie Margarete und fluesterte: "Willst du mir versprechen, meine teure Margarete, mich, wenn das Ende doch so wird, wie du es herbeizufuehren mir selbst raetst--nicht zu verlassen? "Was soll ich beginnen? Wohin soll ich mich fluechten? Ich zittere schon, wenn ich mir nur vorstelle, was meine Tante sagen wird, wenn ich mein Glueck--so nennt sie meine Ehe, und nannte sie sie, als sie mir vordem stets so eifrig zuredete--wieder von mir gestossen habe!" "Ja!" entgegnete Margarete fest. "Ich werde dir eine Schwester sein im besten Sinne des Wortes, Ileisa, ich werde dich--so lange ich lebe und etwas mein eigen nenne--nie verlassen!" Es waren, waehrend sie redeten, die Abendschatten schon herangeschlichen und hatten das Gemach verduestert. Duester war's draussen und in den Herzen dieser beiden Menschen, die nach ihrer Art redeten und Plaene machten, die wie alle anderen Sterblichen durch Einsaetze in die grosse Daseinslotterie zu gewinnen hofften, und doch verloren, oder--ohne Einsaetze--in groesserer Geduld--der Zeit und den Umstaenden vertrauend--aufrecht stehen blieben und sich vor den Lebenszufaellen schuetzten, bis die Zeit auch ueber ihre kaempfenden Seelen die Schwingen ewiger Ruhe ausbreitete. * * * * * In der Knoopschen Aktienbuchdruckerei war ein gewaltiges Hin und Her. Klamm hatte mit Zustimmung der massgebenden Persoenlichkeiten eine Reihe von Veraenderungen ins Auge gefasst, und nunmehr herbeigefuehrt. Es waren Rotationsmaschinen fuer die Leitung und Buchdruckmaschinen angeschafft, auch Schneide- und Satiniermaschinen besserer Konstruktion eingestellt worden. Ferner war beschlossen worden, die Zeitung durch ein handlicheres Format, neue Schrift, eine andere Einteilung, Textvermehrung, sowie groessere Vielseitigkeit zu verbessern. Klamm ruhte und rastete nicht, Vervollkommnungen zu erstreben. Natuerlich wurden bei der Vermehrung der Arbeit die Kraefte der Angestellten in hoeherem Masse angestrengt. Es hatten deswegen schon heftige Auseinandersetzungen mit dem noch im Amt befindlichen Chefredakteur stattgefunden. Es beduerfe, wie er erklaerte, umfangreicherer Beihilfe und besserer Honorierung! Ueberhaupt lehnte er sich gegen die Zeitungs-Neuerungen auf und behauptete, dass sie dem Blatte nicht zum Nutzen, sondern zum Schaden gereichen wuerden. Gegenwaertig handelte es sich um die Herstellung der ersten neuen Quartalsnummer, und diese stiess auf unerwartete, ganz erhebliche Schwierigkeiten. Unten in den Druckraeumen schalt der Maschinenmeister mit den Maedchen, die sich bei den neuen Rotationsmaschinen ungeschickt benahmen. Die Folge war, dass sie saemtlich aufsaetzig wurden, kehrt machten und davon gingen. Nun war guter Rat teuer! Woher gleich andere nehmen? Der Maschinenmeister eilte zu Klamm hinauf und meldete, was geschehen sei. Er hatte den Kopf voellig verloren. Es schien unmoeglich, dass die Zeitung ueberhaupt am naechsten Morgen erscheinen konnte. Um das Unglueck voll zu machen, berichtete der Zeitungsfaktor, dass dem Metteur ein Unglueck mit dem im uebrigen kaum zu bewaeltigenden Satz passiert sei, die Setzer aber, trotz Aufforderung und Bitte, Ueberstunden nicht machen wollten. Zunaechst schickte Klamm einen Boten zu der aeltesten, in der Druckerei schon seit zwei Jahren beschaeftigten Bogenfaengerin. Der Maschinenmeister wusste zufaellig, wo sie wohnte--und liess ihr vom Direktor bestellen, dass sie so gut sein moege, "rasch einmal heran zu kommen". Sodann begab sich Klamm in den Setzersaal und verhandelte mit den Setzern, die sich bereits die Haende wuschen und fortgehen wollten. Er bot ihnen eine angemessene Entschaedigung, wenn sie nach einer Stunde zurueckkehren, und einen Teil der Nacht durcharbeiten wollten. Nach sehr schwierigen Verhandlungen, bei denen eine bedauerliche Interessenlosigkeit fuer das Geschaeft bei den Angestellten zu Tage trat, gelang es Klamm, deren Zusage zu erreichen. So war wenigstens diese Schwierigkeit beseitigt. Nun aber galt es auch unten zum Ziele zu gelangen. Klamm hielt Umschau und pruefte, ob nicht im Papierraum Angestellte zu haben seien. Aber die Versuche verliefen hier eben so unguenstig, wie die Pruefung bei dem uebrigen Maschinenpersonal. Zwei sonst Beschaeftigte waren ueberhaupt nicht anwesend, weil sie sich krank gemeldet hatten. Die Maschinenmeister selbst erklaerten, dass sie zweien Herren nicht dienen koennten. Sie muessten fortwaehrend nach den Druckpressen sehen, da noch alles nicht recht "eingelenkt" sei. Inzwischen war die Zeit immer weiter vorgerueckt. Ueberall wurden die Arbeitskittel bereits ausgezogen, und Klamm lief Gefahr, sich einer grossen Blamage auszusetzen, wenn es nicht gelang, Bedienung fuer die Maschinen herbeizuschaffen. Zum Glueck erschien nun das von ihm herbeigerufene Maedchen, eine etwa sechsundzwanzigjaehrige, robuste Person, in einem schwarzen Mantel und mit federbesetztem Hut. Sie sah wie eine schlecht kostuemierte Nebenfigur auf einer Kleinstadtbuehne aus und legte, als Klamm sie anredete, ein recht schnodderiges Wesen an den Tag. Sie beklagte sich im Berliner Jargon ueber den Maschinenmeister Schulze, der "die Maechens man immer so behandelte, als ob sie 'Rakkers' waeren, die vor 'ne Lehmmuehle zu jehen haetten. Det Jeschimpfe hoere jar nich uf, nu dafuer waer'n sie sich alle einig jeworden, abzujehen. Sie persoenlich habe sich auch den Abend schonstens mit ihr Verhaeltnis verabredet, sie koenne nich bei die Maschine arbeiten, und wo die anderen wohnen thaeten, det wisse sie man sehr unbestimmt. "Wiederkommen wollten sie ja alle, aber bloss, um beim Direktor vorstellig zu werden. Sie haetten sich verabredet, am naechsten Morgen, Uhr neune, anzutreten." Nach dieser Erklaerung ergriff nun aber Klamm das Wort. Er bot dem Maedchen, wenn sie die Arbeit etwa nach einer Stunde wieder aufnaehme, und wenn sie die uebrigen Arbeiterinnen mit Droschken herbeizuholen sich verpflichtete, eine erhebliche Belohnung, ihnen allen aber Abendbrot mit Bier, Kaffee in der Nacht, und eine so bedeutende Verguetigung, dass "Christine Munk" schliesslich weich wurde. Das Geld reizte die Person, und um so schwankender wurde sie, da Klamm erklaerte, dass er allen fortan den Lohnsatz erhoehen wolle. Hierauf eilte die Munk fort. Klamm begab sich, nachdem er die Maschinenmeister zum Dableiben verpflichtet hatte, ins Kontor, und von dort in die Redaktion. Hier sah er nach dem Rechten, wartete dann noch in groesster Spannung, ob Setzer und Maedchen erscheinen wuerden, und atmete foermlich auf, als er zunaechst die Setzer hinauskommen sah und nun sicher war, dass in den Saelen oben weiter gearbeitet wurde. Die Maedchen liessen viel laenger auf sich warten. Als der Maschinenmeister endlich ueber ihr Eintreffen berichtete, hatte er zu melden, dass nur zwei erschienen seien. "Nun, wohlan! So muessen wir mit angreifen, Schulze! Ich bleibe so lange an der Maschine, bis wir unsere Auflage fertig haben!" erklaerte Klamm, setzte ein kurzes, Adelgunde verstaendigendes Schreiben auf, sandte einen herbeigeholten Dienstmann damit fort, und begab sich in den Maschinenraum. Und hier arbeitete er dann ganz ebenso wie das Personal, und wenn er einmal seine Thaetigkeit unterbrach, um oben im Setzersaal nachzutreiben, so musste auch der andere Maschinenmeister so lange mit anfassen. Endlich nachts zweieinhalb Uhr war die Arbeit gethan. Da das Expeditions-Personal diesmal schon um vier Uhr morgens eintraf, konnten die mit den fuer die verschiedenen Bahnhoefe bestimmten Zeitungspacketen beladenen Geschaeftswagen bereits um sechseinhalb Uhr abfahren. Trotz aller Hemmnisse und Ungelegenheiten, und trotz der umfangreicheren Auflage war alles ohne irgend welche Verzoegerung in der Stadt und an die auswaertigen Abonnenten expediert worden. Aber Klamm begnuegte sich damit nicht. Nachdem er ein paar Stunden in der ihm ueberwiesenen, frueheren Knoopschen Villa geschlafen hatte, begann er schon wieder seine Thaetigkeit, traf allerlei Massnahmen, wodurch fortan jegliche Hast und Ueberstuerzung, aber auch aehnliche Verlegenheiten vermieden wurden. Er ordnete sowohl in der Redaktion wie in den Setzersaelen eine andere Einteilung an, und sah sich nach einem zuverlaessigeren Arbeiterpersonal fuer die Maschinen um. Die Maedchen hatten ein sehr unzuvorkommendes Wesen hervorgekehrt. Unter der Fuehrung Christine Munks, traten sie, wie sie schon angekuendigt hatte, mit so erheblich hoeheren Lohnforderungen an die Direktion heran, und legten eine so feindselige Gesinnung gegen den Maschinenmeister Schulze an den Tag, dass Klamm sie ueberhaupt nicht zu behalten beschloss. Es musste eben vielfach aufgeraeumt werden. Er kuendigte auch bereits an diesem Tage dem Chefredakteur, Doktor Strantz, der heute, wie frueher, sowohl im Geschaeft wie in dem "Wirtshaus zur gemuetlichen Ecke" in der Kronenstrasse, seine Intriguen gegen ihn fortsetzte, zum naechsten Quartal, und unternahm so gleich Schritte fuer eine andere Besetzung. Endlich berief Klamm auch die Vorstaende der verschiedenen Abteilungen. Er setzte ihnen auseinander, dass eine groessere Anspannung der Kraefte erforderlich sei, ersuchte sie, ihn zu unterstuetzen, versprach ihnen dagegen Erhoehung ihres Lohnes, und lud sie zudem fuer den Schluss der Woche zu einer geselligen Zusammenkunft im Leipziger Garten ein. Um sechs Uhr nachmittags war Klamm erst so weit, dass er sich nach Hause begeben konnte. Als er jedoch im Gruenhagener Gutshaus eintraf, fand er in seiner Wohnung weder seine Frau noch die Dienerschaft. Erst nach vergeblichem Klingeln sah er bei weiterem Nachforschen die beiden Maedchen im Nebengebaeude im Gespraech mit den Stallknechten. Der Diener sei, wie sie meldeten, im Auftrage der gnaedigen Frau, bereits nachmittags in die Stadt gefahren, sie selbst habe vor einer Stunde gesagt, dass sie den gnaedigen Herrn im Geschaeft abholen werde. "Hat denn meine Frau keinen Brief von mir erhalten? Ich hatte nach sechs Uhr das Essen bestellt?" warf Klamm sehr unmutig hin. Die Maedchen verneinten. Es sei ihnen nichts gesagt. Die gnaedige Frau oben (Klamms Mutter) habe um zwei Uhr mit Frau von Klamm reichlicher als sonst gefruehstueckt, das Essen sei ueberhaupt abbestellt worden. Die gnaedige Frau habe gesagt, dass sie mit dem gnaedigen Herrn in der Stadt speisen werde. Sie wollten nachher das Theater besuchen. So haetten sie verstanden. Klamm nickte. Er wusste nun genug. Seine Frau hatte, wie ersichtlich, die Gelegenheit benutzt, um sich einmal wieder ein Vergnuegen zu verschaffen, wie so oft, ohne ihn zu fragen, ihre Plaene gemacht und war trotz seines Briefes fortgegangen. Sein Missvergnuegen verstaerkte sich, weil er starken Hunger spuerte und die Zimmer kalt waren. Er hatte sich grade heute nach den Anstrengungen, die hinter ihm lagen, auf sein Haus und auf Gemuetlichkeit gefreut. Und zu haben war natuerlich nichts; und wenn doch, dauerte es sehr lange. Er beschloss deshalb, nach der Stadt zurueckzukehren, dort sogleich zu speisen, und seine Frau aufzusuchen. Er nahm an, dass sie Bescheid im Geschaeft zurueckgelegt hatte. Er musste sich in die Sachlage finden, so sehr er sich dagegen straeubte. Schon weil Adelgunde nicht allein abends zurueckkehren konnte, musste er sich auf den Weg machen. Sie war mit der Bahn gefahren, statt das eigene Fuhrwerk zu benutzen.-- Waehrend Klamm noch sann, regte sich draussen ein Geraeusch. Ein Mietswagen fuhr vor, und diesem entstieg--Adelgunde! Sie war also, da sie ihn nicht gefunden, wieder zurueckgekehrt! So dachte Klamm, und das freute ihn, das freute ihn sogar so sehr, dass er Lust hatte, die Droschke zu benutzen, und mit seiner Frau nach Berlin zu fahren, und dort zu soupieren. Er wusste, dass das ganz in ihrem Sinne sein werde. Aber schon war der offenbar schon von ihr vorher abgelohnte Kutscher wieder abgefahren, schon stand sie vor ihm und stiess in einem hoechst missmutigen, sehr unfreundlichen Ton heraus. "Na, das war eine schoene Enttaeuschung--die haettest du mir doch auch ersparen koennen. Da fahre ich wie in einem Karussel immerfort in der Runde herum, um nun unverrichteter Sache, hungrig, abgespannt und veraergert wieder hier anzukommen." Selbst in dem friedfertigsten und selbstlosesten Menschen wird sich ein Gefuehl der Entruestung regen, sobald man ihm Vorwuerfe macht, wenn er fuer seine Handlungsweise ein unbestreitbares Recht besitzt, lediglich Gutes dabei im Auge hatte. So sagte er mit stark auflehnender Miene: "Ah--lasse doch Lamentationen, an denen du selbst schuld bist! "Ich bin der Genarrte! Ich komme hoechst abgespannt und sehr hungrig nach Hause, finde niemanden, finde keinen gedeckten Tisch, und erst recht dich nicht, die ich doch von meiner Rueckkehr und meinen Wuenschen vorzeitig unterrichtet hatte!"-- Klamm sprach, waehrend er ins Wohnzimmer schritt, und Adelgunde erwiderte, waehrend sie den Mantel loeste und ihn auf die Lehne eines Stuhles warf: "Ich kann doch nicht dafuer, dass ich dich nicht traf. Du laesst mich ja gar nicht sprechen, erklaeren, kommst gleich mit Vorwuerfen. Der Zug hatte Verspaetung. Als ich mich so rasch wie moeglich nach deinem Kontor fahren liess, warst du schon fortgegangen." "Wohlan, Adelgunde! Ich hatte dir aber doch ausdruecklich geschrieben, dass ich zu Tisch kommen werde, dass du mich zwischen sechs und halb sieben erwarten moegest. "Dass ich, nachdem ich von Mittag vorigen Tages bis jetzt mit geringer Unterbrechung gearbeitet hatte, zu solchen Vergnuegungen nicht aufgelegt sein wuerde, konntest du dir wohl vorstellen. Du denkst aber leider fast immer nur an dich, willst dich mir nicht akkomodieren!" Adelgunde hatte sich waehrend ihres Mannes Rede in einen Sessel niedergelassen, ihn auch ohne Unterbrechung angehoert. Nun aber hielt es sie nicht ferner, und lang zurueckgehaltenes draengte bei dieser Gelegenheit nach Ausdruck. "Du machst mir die gewohnten, sich in unertraeglicher Gleichmaessigkeit wiederholenden Vorwuerfe," begann sie. "Es geschieht, obschon ich es gut meinte und denke, dass ich wohl auch eine Entschaedigung fuer meine Vereinsamung und dafuer verdient haette, dass du nun gar schon um deiner Zeitungsgeschichten willen die Naechte fortbleibst! "Ich wollte alles in mir herabdruecken, dir freundlich begegnen, und dich gar aus dem Geschaeft abholen! "Aber da du dich als den Verletzten hinstellst, will ich sprechen! "Erstens: Ich will nicht mehr hier auf dem Gute wohnen und foermlich verdorren. Der Besitz wurde erworben, damit wir die Sommermonate hier zubraechten, nicht Herbst und Winter, und nicht fortwaehrend mit deiner Mutter! "Ich erwarte, dass du mich ueber deine mir unsympathischen Zeitungs- und Druckgeschichten nicht, wie es schon vielfach geschehen ist, gradezu vernachlaessigst. Ich verwuensche den Augenblick, in dem ich dir darin nachgab. Und endlich erwarte ich, dass du fuer alle Zeiten der koketten Frau nebenan die Absage erteilst, die sie verdient! "Ich war Zeuge eurer Unterredung, und ich muss gestehen, dass mich dein Liebeswerben empoert hat. Es musste mich doppelt empoeren, weil du doch erkannt hast, welchen Unwert sie besitzt. Sie gab dir damals einen Korb, und erteilte ihn deshalb, weil sie glaubte, dass dein Gluecksstern erloschen sei. Es beweist wenig Selbstgefuehl, dass du ihr nach solchen Erfahrungen ueberhaupt noch einen Blick, geschweige werbende Worte goennst! "So, das ist mein Standpunkt, immer derselbe Standpunkt von frueher!" Klamm ueberlegte, ob und was er auf diese Rede entgegnen sollte. Dennoch sah er von einer Auseinandersetzung ab und sagte: "Ich will, mag und kann heute abend mit dir nicht streiten. Du bist nicht sachlich, gerecht und logisch. Es wird sich ein geeigneter Augenblick finden. Ich wuensche, mich in mein Arbeitszimmer zurueckzuziehen. Die Maedchen sollen mir etwas bereiten und auf den Tisch setzen.--Nachdem ich gegessen und noch eine Cigarre geraucht habe, werde ich mich ins Bett verfuegen. Ich habe Schlaf und Ruhe sehr noetig. Es waren sehr gemuetaufregende Stunden mit grosser Anspannung--" Nach diesen Worten zog er die Klingel, durchschritt das Gemach und begab sich in sein Zimmer. Er machte sich auch daran, selbst Feuer in dem Ofen zu entzuenden, gab--da seine Frau sich nicht regte--dem jetzt zurueckgekehrten und eintretenden Diener Auftrag, ihm ein Abendbrot moeglichst rasch herrichten zu lassen und ihm in seinem Zimmer zu servieren. So bemerkte er auch nicht, dass Adelgunde ueberhaupt das Haus verliess. Sie ging ueber den Gutshof, erreichte den bereits mit Licht versehenen Herrenstall und befahl dem Kutscher, sogleich anzuspannen. Alsdann schritt sie in ihr Kabinett, schrieb einen Brief an ihren Mann, den sie vorlaeufig zu sich steckte, und war schon unterwegs nach Berlin, als es ihn nach beendigtem Mahle trieb, sich nach ihr umzusehen. Klamm war nicht wenig erstaunt, und geriet in nicht geringe Erregung, als er seine Frau nicht fand, und ihm auf sein Befragen der Diener erklaerte, dass die Frau Baronin nach Berlin gefahren sei und auch einen Brief zurueckgelassen habe.-- "Einen Brief? Weshalb haben Sie mir den nicht gleich gebracht," stiess Klamm schroff heraus. "Die gnaedige Frau hatte mir befohlen, ihn dem gnaedigen Herrn erst auszuhaendigen, wenn der gnaedige Herr nach der gnaedigen Frau fragen wuerden." "So--das ist etwas anderes. Sie koennen gehen! Ich werde rufen, wenn ich noch etwas brauche." Nachdem sich Friedrich entfernt hatte, brach Klamm das Schreiben auf, liess sich in einen Sessel und las folgendes: "Ich will in Gruenhagen nicht mehr wohnen. Ich will nicht neben der Person noch eine Nacht sein, die sich dort eingenistet hat, um Dich zu umgarnen. Die ganze Gegend weiss es, dass sie hoechst ungluecklich mit ihrem neugeschaffenen Baron ist. Da wirst sie natuerlich die Netze wieder nach Dir aus.--Ich mag und will aber auch nicht--ich wiederhole es--auf dem Lande verdorren und mich tot langweilen. Ich kehre nicht zurueck, unter keinen Umstaenden. Ich will aber gern mit Dir in Berlin leben und alles thun, damit Du mit mir zufrieden bist. Allerdings erwarte ich, dass auch Du Konzessionen machst. So geht es nicht weiter. Ich werde heute nacht im Askanischen Hof logieren. Der dort uns so lange Jahre kennende Wirt wird nichts Auffaelliges darin finden. Morgen vormittag begebe ich mich in unsere Wohnung und werde alles zum Aufenthalt herrichten. Unsere Sachen bitte ich Dich, von unserem Dienstpersonal sofort einpacken und herbefoerdern zu lassen. Sie sollen auch selbst bis morgen abend spaetestens hier sein. Dich erwarte ich natuerlich schon um Mittag und ich schliesse nicht nur mit den Worten Corneilles: 'Soyons amis', sondern sage: Seien wir sogar die alten, die wir einst waren. Es wuerde darueber gluecklich sein, Deine, auch einmal einen Willen und ihre Neigungen besitzende Adelgunde." Der erste Gedanke, der Klamm kam, nachdem er diesen Brief gelesen hatte, war: dass Adelgunde seiner Mutter mit keiner Silbe gedacht hatte. Sie entbot die Dienstboten zu sich--seine alte Mama konnte sehen, wo sie blieb und was aus ihr wurde. Dass man ihr das Personal nahm, das fuer sie kochte und ihr aufwartete, kam gar nicht in Frage. Klamm liess das Haupt sinken. Gab's denn wirklich nur eine einzige auf der Welt, die ein Recht auf seine Liebe und unbedingte Verehrung besass, sie, seine Mutter, die oben gewiss noch seiner wartete, damit er ihr, wie immer, einen Kuss auf die Wange druecke, und ihr "Gute Nacht" sage. Schatten umfingen seine Seele und trieben ihm eine grenzenlose Trauer ins Herz. Fuehlte sich Ileisa nebenan ungluecklich, so ungluecklich, dass sie schon von tiefen Wassern gesprochen, er, Klamm, haette sich in diesem Augenblick mit seinem Leibe tief unten in der Erde gewuenscht. Er hielt Umschau! Lag's an ihm? War er zu anspruchsvoll? Waren die Menschen im Grunde gut und umgaenglich? Verlangte er zu viel--hatte er etwas vom Philister an sich, der nicht in ueblicher Weise mitgehen wollte und konnte. Er musste diese Frage verneinen. Er suchte ja grade das Gute bei allen, wennschon ihn seine Veranlagung die Schwaechen der Menschen mit solcher Deutlichkeit erkennen liess. Befriedigte ihn seine Thaetigkeit nicht? Gewiss, sie grade! Aber nicht der Tand, das Hohle, das beides ihn stets angewidert hatte.-- Hatte er sich wirklich gegen seine Frau versehen? Nein! Ein weiches Gefuehl ohne Nebengedanken hatte ihn fortgerissen, Ileisa so zu begegnen, so zu ihr zu sprechen, wie es geschehen war. Er hatte einmal die Sehnsucht nach Glueck durch das Zusammenleben mit einer Frau. Die Gedanken gingen weiter. Die gestrigen Vorgaenge im Geschaeft hatten ihn belehrt, welche Lasten er sich aufgeladen. Nur durch Vorteilszuwendungen hatte er sich die Personen gefuegig gemacht. Geld machte alles! Das ekelte ihn an, das empoerte ihn, obschon er das Leben so genau kannte. Er schnellte empor, fuhr sich mit der Hand ueber die Stirn, schritt ruhelos auf und ab und ueberlegte, was er thun sollte. Er fragte sich, was er wohl moechte, was ihn doch noch gluecklich machen koenne! Er wusste es! Er moechte Ileisa sein Weib nennen. Sie konnte ja schweigen, sich fuegen. Sie hatte ihm weh gethan, aber sie hatte selbst genug darunter gelitten. Ihr Lebensgang entschuldigte sie. Sie liebte ihn noch; seine Erfahrung und sein Blick hatten es ihm unwiderlegbar bewiesen. Was ihm Adelgunde von Arthur schrieb, wusste er sehr wohl. Die Spatzen schwatzten es von den Daechern, dass sie mit ihrem Manne ungluecklich sei, aber ringsum war man dagegen ihres Lobes voll. Alle, die mit ihr in Beruehrung traten, ruehmten ihr guetiges, verstaendiges und sanftes Wesen. Es kam kein unfreundliches Wort ueber andere ueber ihre Lippen, ihr Hauswesen besorgte sie musterhaft, in diese neuen Verhaeltnisse hatte sie sich in ueberraschender Weise gut hineingelebt, und immer war ihre Hand offen fuer Beduerftige. So sprachen die Menschen--und sie redeten, wie es sich mit der Wahrheit deckte. Und weiter dachte Klamm: Es wuerde Klamms Ideal gewesen sein, hier wohnen zu bleiben, wenn er statt Knoops andere Nachbarn wuerde erhalten koennen. Er, Ileisa und seine Mutter! Sie wuerden in schoenster Harmonie leben! Und das auszubauen, was er in Berlin begonnen, wuerde ihn nach wie vor, vollkommen ausfuellen und befriedigen! Nur waere er gern alleiniger Besitzer, nicht von anderen abhaengig gewesen! Schon hatten sich Misshelligkeiten eingestellt. Vielleicht konnte er mit der Zeit das Geschaeft kaufen, die Aktien an sich bringen.--Aber da stockte er doch nun ploetzlich, und ueberhaupt fiel jetzt doch wieder das ganze Gebaeude zusammen! Er war ja an Adelgunde gebunden! Sie, sie hatte ja das Geld! Er war ja der abhaengige Mann einer reichen Frau.--Das Luftschloss zerfloss, und alles zerrann.--Er besass ja nichts, gar nichts--und abermals seine Mutter bei ihrem Recht auf ein endliches sorgenloses Alter mit neuen Faehrlichkeiten, gar mit Ehescheidungen zu beunruhigen, war ausgeschlossen.--Als Arthur an diesem Tage nach Hause kam, lag ein Billet von seinem Vater auf seinem Schreibtisch, dessen Inhalt lautete: "Ich ersuche Dich, morgen frueh, bevor Du Dich in die Stadt begiebst, bei mir vorzusehen. Ich habe wegen der heutigen Vorkommnisse zwischen Dir und Deiner Schwester, aber auch sonst mit Dir zu sprechen!" Nachdem Arthur diese kurz und kuehl gefassten, sicher nichts Gutes verheissenden Saetze gelesen und nochmals gelesen, schloss er den Brief ein und ging eine Weile nachdenklich auf und ab. Sodann begab er sich zu seiner Frau, teilte ihr aber von dem Inhalt der Zuschrift nichts mit, war ueberhaupt den ganzen uebrigen Teil des Abends in seinem Wesen verschlossen und legte sich auch sehr fruehzeitig schlafen. Am kommenden Morgen besuchte er zunaechst den Pferdestall, machte dann einen Spaziergang ins Dorf, und las nach eingenommenem Fruehstueck in voellig wiedergewonnener Gemuetsruhe die Zeitung. Dann nahm er gemaechlichen Schrittes den Weg zu seinem Vater nach dem Hauptgebaeude. Vorm Fortgehen wandte er sich noch einmal zu seiner bereits im Hause schaffenden Frau um und sagte: "Ich gehe zu den Eltern hinueber. Vielleicht lade ich sie zum Abendessen ein. Sollte es der Fall sein--es kommt auf die Stimmung drueben an--muessen wir noch etwas besorgen. Denke inzwischen einmal darueber nach, was wir geben koennten!"-- Herr Friedrich Knoop befand sich in seinem Arbeitszimmer im Parterre zur Linken, als Arthur ihm gegenueber trat. "Ah so--du! Jawohl!" betonte Herr Knoop, der sich mit der Durchsicht von Schriftstuecken beschaeftigt war, legte letztere beiseite, nickte kurz und unzuvorkommend und zeigte auf einen Stuhl. "Setz' dich! Wir haben laenger zu sprechen," fuhr er dann in jenem gewissen Ton fort, den er stets angenommen, wenn es sich um sehr ernste Dinge gehandelt hatte. "Margarete hat uns gestern den Inhalt des Gespraeches mitgeteilt, das zwischen ihr und dir stattgefunden hat! "Ich habe mir infolgedessen vorgenommen, dir einmal meine Meinung zu sagen. Ich wollte es schon frueher thun, unterliess es aber, weil ich hoffte, dass du dich selbst noch rechtzeitig besinnen wuerdest. "Bitte, bitte, jetzt rede ich--nachher kannst du, wenn du etwas zu erwidern hast, zu Worte kommen," unterbrach er sich, als Arthur das Wort nehmen wollte. "Als du aus England zurueckkehrtest, hattest und warst du so wenig wie heute! Ich beschaeftigte dich infolgedessen bei mir! "Wenn du auch keinen Uebereifer entwickeltest, so hattest du doch Sinn fuer Arbeit und Erwerb, und ich freute mich dessen und sah dir--und wir alle sahen dir deshalb eine starke, wenig erfreuliche Selbstueberhebung nach, die du aus dem Auslande mitgebracht hattet.-- "Dann kamen die neuen Plaene. Dann kam deine Verlobung mit Ileisa. Von der Zeit an liessest du geschaeftlich gaenzlich nach, hattest eigentlich nur noch Sinn fuer deine Passionen und voruebergehend fuer deine Braut. "Deinen Eltern hast du nicht die geringsten Ruecksichten erwiesen, geschweige bist du ihnen mit Waerme oder gar mit Gefuehlen der Erkenntlichkeit fuer ihre vielfache Fuersorge begegnet. "Du nahmst alles hin, als ob es ganz selbstverstaendlich waere, als ob dir in erster Linie alle Verguenstigungen zukaemen! "Aber ich will das noch hingehen lassen, du bist eben noch jung und unreif. Wenn ich mich einmal ueber deine Maengel beklagte, wies deine Mutter auf die sicher guenstigen Wirkungen durch deine Verheiratung hin. "Da wuerdest du gefunden, wieder an Arbeit und Erwerb Freude finden, dich von deiner praechtigen Frau beeinflussen lassen, ein anderer werden! "Aber leider ist nichts eingetroffen. Im Gegenteil! Deine Selbstueberhebung, deine Arbeitsscheu, dein Drang nach Vergnuegungen hat zugenommen, deine Pflichtversaeumnisse gegen deine Eltern, deine Schwester und gegen deine Frau haben sich vermehrt, und endlich hast du dir angemasst, deiner dir einmal in bester Absicht zu Herzen redenden Schwerer das Haus zu verbieten, ja, sie sogar auf die Strasse gesetzt! Das stoesst dem Fass den Boden aus!! "Nein, nein--nein--bitte sehr! Lasse mich erst aussprechen. Ich wiederhole vorher Gesagtes! "Ich erklaere dir nun folgendes: "Wenn du deine Schwester nicht um Verzeihung bittest, wenn du nicht innerhalb vier Wochen Thaetigkeit gefunden hast, wenn du dich nicht voellig aenderst und ein anderes haeusliches Leben beginnst, so ziehe ich--es ist mein fester Wille--die Zuwendungen zurueck, die ich dir bisher gewaehrt habe. "Es war leider ein Fehler von uns, dir ueberhaupt in solcher Weise die Hand zu bieten. Es entsprang das derselben Schwaeche, der ich mich auch deinem Onkel Theodor gegenueber schuldig gemacht habe. Man soll nach Grundsaetzen verfahren, sich niemals von Gefuehlen leiten lassen, auch selbst seinen Angehoerigen gegenueber nicht! "Mein Familiensinn ging falsche Wege; es soll aber jetzt anders werden! "Du kannst dir, wie jeder andere, dein Brot verdienen, und keinesfalls will ich dir ferner--selbst wenn diese Unterredung einen guenstigen Erfolg hat--eine so hohe Rente bewilligen. Equipagen und Pferde kannst du wieder abschaffen. Vermagst du spaeter selbst so viel zu verdienen, um sie dir halten zu koennen, so ist es etwas anderes.-- "So, das habe ich zu sagen, und merke es dir, mein Sohn, ich bleibe eisenfest. Diese Wirtschaft soll ein Ende nehmen--und fuegst du dich nicht, magst du deine eigenen Wege gehen!" "Bist du fertig, Vater?" begann Arthur in einem voellig unempfindlichen Tone, erhob sich zur groessten Ueberraschung des Herrn Knoop, und schob sogar, zum Zeichen des beabsichtigten Gespraechs-Abbruchs, den Stuhl, auf dem er gesessen, wieder auf seinen Platz. "Schoen! Wohlan! Ich entgegne auf deine Worte, dass ich mich schon von heute ab auf meine eigenen Fuesse stellen und nichts mehr von dir fuer mich fuerder annehmen werde. Ich werde aber auch nicht bei meiner Schwester um Verzeihung nachsuchen; sie hat vielmehr mir ihre ungehoerigen Ausfaelle abzubitten. Ich vermag nicht zu sagen--und das erhaertet meinen Entschluss--ob ich in vier Wochen schon eine Thaetigkeit gefunden habe. Es liegen die Verhaeltnisse zur Zeit sehr unguenstig, und deshalb waren meine Bemuehungen bisher auch nicht von Erfolg gekroent. "Dass du fuer Ileisa materiell eintreten wirst, nehme ich dagegen an. Ich habe sie mit eurer Genehmigung geheiratet, und es war nicht nur eine stillschweigende Voraussetzung, dass mir von dir eine Jahresrente ueberwiesen wuerde, sondern sie ist mir von dir ohne mein Ansuchen gewaehrt worden. Ich haette mich sonst natuerlich noch nicht verheiratet. Sie wirst du also in deiner Weigerung, mir keine Zuwendungen mehr machen zu wollen, nicht einschliessen. "Sonst habe ich noch kurz nachstehendes zu entgegnen: "Nachdem wir nobilitiert worden, sind uns gewisse Pflichten erwachsen. Das liegt einmal bei richtiger Wuerdigung der Dinge vor, und sie decken und deckten sich ja auch mit meinen bisherigen Neigungen. Ich moechte diesen nicht entsagen--ich moechte eben der bleiben, der ich einmal bin. Ich habe keine Anlage zum Schuerzengatten, der den ganzen Tag um seine Frau herumschwaermt, finde auch keinen Geschmack an Familiensimpeleien, sondern brauche Menschen, Luft, Abwechslungen und Anregungen von draussen. "Da ich das Geld hatte, war ich berechtigt, so zu leben, wie es geschah. Ich habe ja keine Schulden gemacht. Und endlich: ich habe mich nicht geschaffen, wie ich bin; das ist des Schoepfers Laune und Bestimmung gewesen. Unehrenhafter Handlungen bin ich mir nicht bewusst, meine also, eine solche Entschliessung, wie sie mir von dir heute wegen eines blossen Wortstreits geworden, nicht verdient zu haben. "Aber es ist ganz gut so. Ich wiederhole, dass ich mich fuege. Und weiter habe ich denn auch nichts zu sagen, Vater. Gruesse Mutter! Ich siedle schon heute nach Berlin ueber. Wegen Ileisas erhalte ich wohl noch Nachricht! Guten Morgen!" Waehrend Arthur, von seinem Vater nicht gehemmt, den Weg ueber den Gutshof nach der Nebenvilla zuruecklegte, hielt er folgendes Selbstgespraech: "Fuer die naechsten drei Monate habe ich hinreichend Geld, und fuer weitere drei Monate habe ich unter allen Umstaenden den erforderlichen Kredit. In dieser Zeit werde ich etwas finden. Ich will mich gleich ernstlich umsehen. Dass alles so gekommen, ist vielleicht nachteilig fuer mich, vielleicht auch nicht. Mein Vater hat ja nicht unrecht, aber er hat darin unrecht, dass er gleich das Kind mit dem Bade ausschuettet, dass er so vorgeht! Aber das ist seine Art. Er hat es mit Herrn von Klamm ja auch so gemacht. "Wenn ich mir selbst eine Selbstaendigkeit und ein Vermoegen erwerbe--so werde ich das wertvolle Gefuehl besitzen, nicht der von seinem reichen Vater gnaedigst dotierte Sohn zu sein. Es ist nicht das Rechte. Ich habe es schon lange empfunden! Bei allem, was ich that, und was sie drueben natuerlich stets ueberfluessig fanden, sah ich den Vorwurf in ihren Augen. Ein unertraeglicher Zustand, ein ganz unertraeglicher! "Und meine Frau--Ileisa?-- "Wir passen nicht zusammen. Sie ist aus der sittsamen 'Margaretenschule', sie ist die Mutter Vernunft, die an der Krankheit schweigender Langeweile und tugendsamer Fuegsamkeit leidet. "Ich brauche ein stoerriges Pferd, einen lebhaften Araber--eine, die mit mir geht durch Dick und Duenn.--Ich brauche ein elegantes, geistvolles Weib, das gesellschaftlich eine Rolle spielen kann und will. So eine, wie die Frau von Klamm--das waere eine fuer mich gewesen. "Und wenn denn die Sache mit einer Trennung zwischen mir und Ileisa endet--na, dann ist's mir eben sehr recht. "Ich hatte mich in ihren Koerper verliebt--ihre Seele kannte ich wenig." Nachdem Arthur seine Wohnung wieder betreten hatte, begab er sich mit Hilfe seines Dieners an ein eifriges Packen, und suchte alles zusammen, was er fuer sein Junggesellenheim brauchte. Auf die Mitnahme von Moebeln verzichtete er vorlaeufig. Das alles wuerde sich spaeter finden!-- Dann rief er seine Frau ins Zimmer, legte ein gelassenes Wesen an den Tag und sagte: "Ich moechte dir gegenueber ganz ehrlich und offenherzig sein, ich moechte dir alles sagen und dich auf die Folgen rechtzeitig vorbereiten. "Ich hatte eben eine Auseinandersetzung mit meinem Vater. Ich werde von heute nichts mehr von ihm annehmen. Ich will mich--es ist mein fester Wille, und es ist mir der Anlass durchaus nicht unwillkommen--auf eigene Fuesse stellen. Ich siedle--vorlaeufig allein--nach Berlin ueber. "Von mir oder meinen Eltern wirst du weiteres hoeren. Sollte aus dem allen eine Trennung zwischen uns hervorgehen--es erscheint mir zweifellos--so weiss ich,--dass dir dadurch kein Herzeleid entstehen wird. Wir haben uns geheiratet, Ileisa, aber wir passen gar nicht fuer einander! Ich spreche ja nur das aus, was du mir lange selbst hast sagen wollen. So blind bin ich nicht, nicht nachzuempfinden, dass ich dich nicht befriedige, und ich--ich--ich sage es frei--brauche auch eine andere Frau! Die Welt wuerde--sollte sie mich jetzt sprechen hoeren--eine solche Auseinandersetzung, eine solche kalte Erklaerung entsetzlich finden! Vielleicht--sicher--wuerde sie--allerdings in gleicher Lage--anders denken, nicht ueber mich und dich zu Gericht sitzen. "Wir koennen friedlich auseinander gehen. Dass du keine materiellen Sorgen haben wirst, versteht sich. "Wie gesagt--darueber erhaeltst du noch Mitteilungen. "Ach, was! Weine doch nicht, Ileisa! Ich weiss, du denkst in diesem Augenblick daran, wie sich deine Tante beunruhigen wird. Du denkst an die Meinung der Welt--an das, was die Leute sagen werden! "Bin ich kalt--ich bin ein Mensch, der zuerst an sich denkt, ich leugne es nicht--so gehoere ich doch nicht, wie sie, zu der grossen veraechtlichen Schar der Komoedianten. Ich gebe mich unverstellt, allezeit, wie es in mir aussieht, und da niemand mir etwas anderes vorwerfen kann, als dass ich nicht grade so zugeschnitten bin, wie die Menge es nach ihren Launen und ihren Anforderungen verlangt--so habe ich nur ein Achselzucken und stilles Laecheln ueber ihren Vormundungsdrang. "So, da hast du mein Bekenntnis! "Ich beging einen Fehler, einen einzigen! Ich erkenne den Vorwurf darueber als berechtigt an. Ich habe mir das Leben lediglich nach meiner Facon gestaltet. Ich werde ihn ablegen und nicht, um der Welt zu gefallen, sondern weil ich selbst mich nicht behaglich fuehle, weil ich nur wieder zu meiner eigentlichen Natur: zur Thaetigkeit und zur richtigen Einteilung zwischen Geschaeft und Abwechslung zurueckkehren will!" Und als Ileisa nach dieser stummen Rede voellig in sich versunken, die Haende vor ihrem Angesicht, sitzen blieb, wie jemand verharrte, dem man das Letzte an Leben und Trost abgeschnitten, trat er auf sie zu, loeste die Schatten von ihren Augen, und sagte: "Nun, rede doch auch ein Wort! Ich sprach ja nichts, was nicht in deinem Herzen Widerhall fand!" So angeredet, loeste sich Ileisa aus ihrer Agonie, erhob das Haupt, und sagte in einem bitteren Ton: "Ja, du hast recht. Du nanntest dich selbst einen Egoisten, und du gabst eben wieder in einer Weise davon Zeugnis, wie wohl sonst kaum ein anderer Mensch es ueber sich gewinnen wuerde, Arthur. Und so ist denn auch alles am Platz und gut, und es ist thoericht, dass ich erschuettert bin, dass alles so und so rasch ein Ende genommen. Du hast ja nicht einmal den Versuch gemacht, dich mit mir einzurichten, etwas von der Liebe und Waerme zurueckzugewinnen, der du mich frueher versichertest. "Ich weiss mich jedenfalls frei von Schuld, ja, mich trifft nicht einmal ein Vorwurf, nicht alles angewendet zu haben, auf dich einzuwirken! "Im Anfang habe ich es versucht! Aber mein guter Wille, den ich auch jetzt grade wieder anwenden wollte, prallt allezeit an deiner Kaelte ab. Dass ich somit erlahme, ist begreiflich. Wo Steine sind, da waechst kein Samen!" "Nun wohl! Aber wir sind uns schon heute einig!" fiel Arthur ein. "Ich verzichte auf eine Erwiderung, da ich dir in der That nichts vorzuwerfen habe, da ich deine Worte gerechtfertigt finde. Ich sage nur: wir haben uns beide geirrt, beide, denn es stand dir ja seinerzeit frei, mir einen abschlaegigen Bescheid zu erteilen. "Ach, da kommt schon Friedrich mit dem Wagen. Karl soll noch meinen Koffer schliessen!" Nach diesen Worten entfernte sich Arthur mit eiliger Beflissenheit. Ileisa aber ging mit langsamen, schweren Schritten in ihr Zimmer und liess sich dort in einen Stuhl fallen.-- * * * * * Arthur war bereits seit einigen Stunden abgefahren. Ileisa hatte waehrend dieser Zeit ihren Gedanken eine geordnete Richtung zu geben versucht, und zuletzt den Entschluss gefasst, sich dahin zu fluechten, wo sie bisher immer noch in ihrem Leben Trost und Kraeftigung fuer ihre Seele gefunden: ins Freie, in die Natur!-- Diesmal waehlte sie aber einen anderen Weg wie juengst. Sie wollte unter allen Umstaenden vermeiden, Adelgunde zu begegnen. Schon bei der blossen Vorstellung, sie koenne ihr wieder gegenuebertreten, ueberlief sie ein angstvolles Gefuehl. So nahm sie die Richtung nach einem kleinen Walde, der zu dem Gute gehoerte. Man musste ihn durchschreiten, wenn man zur Eisenbahn wollte. Waehrend sie noch--alles wieder ueberdenkend--dahinwandelte, auch uebersann, dass sie doch noch heute eine Unterredung mit ihren Schwiegereltern ueber die Geschehnisse herbeifuehren muesse, begegnete ihr eine aeltere Frau, die aus dem Dorf gebuertig war und fast taeglich bei Klamms Dienstleistungen verrichtete.-- Sie gehoerte zu den gutherzigen, aber zugleich schwatzlustigen Personen, denen man lieber ausweicht. Heute nun hatte sie etwas ganz Besonderes zu berichten und nahm, nachdem sie Ileisa ehrerbietig gegruesst, unaufgefordert das Wort, und sagte eifrig: "Haben gnaedige Frau schon gehoert, dass auf der Bahn ein Unglueck passiert ist?!" "Nein, nichts habe ich gehoert. Was ist denn geschehen?" "Ja, eben erzaehlte es mir der Jaeger vom Grafen drueben in Edelmark. Unser Herr Baron ist noch gluecklich davon gekommen, er hat es sogar zuerst gemerkt und hat gleich vorgebeugt. Er ist waehrend des Fahrens auf das Trittbrett geklettert und ist nach der Maschine gegangen. "Da hat der Lokomotivfuehrer den Zug zum Halten gebracht. "Nu ist man einiges Vieh verunglueckt; waeren sie noch etwas weiter gefahren, haette es ein grosses Malheur gegeben." "So--so--! Das ist ja sehr erfreulich, dass alles so gut abgegangen ist. Wo kam denn Herr von Klamm her? Von Berlin?" forschte Ileisa. Und gleich fuegte sie hinzu: "War Frau Baronin auch mit im Zug?" "Ach, nein! Die nicht! Die ist ja schon gestern nach Berlin abgereist, ganz ploetzlich! Wissen gnaedige Frau das gar nicht?" Ileisa verneinte. Es bemaechtigte sich ihrer eine starke Spannung. Ein ahnendes Gefuehl sagte ihr, dass Adelgundens Entfernung mit der Unterredung in Verbindung stehe, die zwischen ihr und Alfred stattgefunden hatte. "Weshalb ist denn Frau von Klamm so ploetzlich abgereist?" warf sie, im Ton gelassen, hin. Die Frau machte eine geheimnisvolle Miene. "Ich weiss es nicht genau. Ich hoerte man, dass sie in der Kueche allerlei sprachen. Der gnaedige Herr und die gnaedige Frau sollen sich maechtig erzuernt haben.--Sie bleibt auch in Berlin, er bleibt aber noch hier. Er kommt gleich; er ist schon unterwegs. Der Jaeger sagte es." Ileisa haette noch mehr fragen moegen. Aber es widerstand ihr, die Neugierige zu spielen. Auch beunruhigte sie der Gedanke, dass sie Klamm begegnen koenne. Sie fertigte deshalb die Frau mit einigen Worten ab und schlug einen Seitenpfad ein. Aber nachdem sie kaum fuenfzig Schritt gegangen war, kam Klamm ihr entgegen. Er schritt nachdenklich einher und sah Ileisa erst, als sie eben in den Nebenweg einbiegen wollte. Beide waren verwirrt, fast bestuerzt. Aber Klamm fasste sich rasch, lueftete den Hut, und sagte in einem warmen Ton: "Welch ein abermaliger, gluecklicher Zufall, gnaedige Frau! Wollen Sie nach Hause? Darf ich Sie begleiten?" Ileisa haette lieber "nein" gesagt, aber sie fuegte sich, da sie keinen Ablehnungsgrund fand, und schloss sich Klamm an. "Ich hoerte eben, dass sich ein Eisenbahnunglueck ereignet hat," nahm Ileisa das Wort, um das Gespraech gleich auf ein moeglichst unpersoenliches Gebiet zu leiten. Klamm nickte und berichtete. Wie immer war, was geschehen, von dem Berichterstatter stark uebertrieben; aber es bestaetigte sich, dass Klamm, da keine Notleine im Coupe gewesen, letzteres geoeffnet und bis zur Maschine geklettert war. "Das koennen doch auch nur Sie thun," stiess Ileisa unwillkuerlich heraus. "Ich wuerde es vor Angst nicht wagen. Andere wuerden es auch nicht versuchen--" "Das Gefahrvolle liegt doch nur in der Vorstellung," entgegnete Klamm. "Die Schaffner revidieren doch waehrend der Fahrt die Billete--" "Ja, die--sie sind's gewohnt," meinte Ileisa. Fuer Augenblicke stockte das Gespraech. Klamm hatte nichts erwidert, und die junge Frau war gesenkten Hauptes neben ihm hergeschritten. Nun aber blieb Klamm stehen, sah sich um, ob er mit Ileisa allein sei, und sagte: "Erinnern Sie sich noch, dass wir schon einmal so neben einander hergingen, gnaedige Frau? Sie entwichen mir damals rasch. Sie waren mir nicht wohlgesinnt, und nun, da Ihre guten Gesinnungen zurueckgekehrt sind, trotz der Erregung meiner Frau, werden wir durch andere Umstaende getrennt. "Sie werden sich wundern, dass ich auf alte Zeiten zurueckkomme. Aber ich habe den heissen Drang nach Aussprache. Ich bitte, gehen wir noch eine Weile hier, machen wir einen kleinen Umweg. Fuerchten Sie nichts"--fuegte Klamm bitter laechelnd hinzu--"meine Frau ist in Berlin. Sie wird uns nicht wieder beobachten.-- "Und Sie--Sie?--Ich hoerte auf dem Bahnhof, dass Ihr Herr Gemahl zur Stadt gefahren sei. So wird auch er nicht schmollen koennen, dass ich die Gelegenheit ergreife, mich von alten Zeiten wieder mit Ihnen zu unterhalten--Nicht wahr, Herr von Knoop ist nicht auf dem Gute?" "Nein----Und er wird auch"--Ileisa sprach's, obschon sie es eigentlich nicht wollte, obschon sie es, nachdem es geschehen, schon bereute--"er wird auch nicht mehr zurueckkehren--" "Wie? Er wird nicht mehr zurueckkehren?" "Nein!--Wenigstens nicht zu mir--" "Gnaedige Frau!--Was Sie mir sagen. Bitte, reden Sie.--Schenken Sie mir Ihr Vertrauen." Ileisa zauderte, sie hob die Schultern und atmete tief auf. Aber in der Ueberlegung, dass ihr Mann ihr ihre Freiheit bereits zurueckgegeben, ueberwand sie alle Bedenken. Auch draengte es sie, wie ihn, nach Aussprache, nach Abloesung von der Qual ihres Innern. "Mein Mann erklaerte mir vor einigen Stunden, dass er sich mit seinem Vater ueberworfen habe, dass er sich auf eigene Fuesse stellen, aber auch, dass er die Ehe mit mir wieder loesen wolle.--" "Wie? Das that er? Das ist geschehen? Und die Gruende?" Ueber Ileisas Angesicht flog ein hartes Laecheln. "Gruende? Er erklaerte mir, dass er mir durchaus nichts vorzuwerfen, dass er aber eingesehen habe, dass wir nicht fuer einander passen. Er berief sich bei seinen kaltherzigen Erklaerungen auf den Umstand, dass ja--auch--ich--ihn nicht liebe----" "Und das stimmt mit den Thatsachen ueberein?" Statt zu antworten, senkte Ileisa das Haupt, und ihre Hand strich ueber ihre Augen, aus denen es unaufhaltsam hervortropfte.-- "Ah--Sie arme, liebe Frau," fluesterte Klamm weich. "Wie fuehle ich mit Ihnen--doppelt, da ich mich in gleicher Lage befinde. "Ja, in demselben Vertrauen, das Sie mir geschenkt haben, und das ich ehren werde, bekenne ich Ihnen, dass ich fast vor einer gleichen Entscheidung stehe, insofern schon, als auch ich nicht gluecklich bin. "Seien Sie nicht traurig, wenn sich alles friedlich loesen kann. Sie sind die Bevorzugte.--Ich--ich vermag mich niemals von meiner Frau zu trennen, es sei denn, sie legte diesen Wunsch an den Tag. "Mein freier Wille ist durch das Gefuehl der Dankbarkeit, das ich ihr fuer ihre aufopfernde Pflege in meiner lebensgefaehrlichen Krankheit schulde, gebunden. Eben dies Gefuehl war's ja auch, das mich damals veranlasste, ihr meine Hand zu reichen.-- "Ja, gnaedige Frau--wir sind beide den falschen Weg gegangen, Sie, indem Sie, statt Ihr Herz sprechen zu lassen, damals Ihrer Umgebung allzu viel Gehoer ueber mich schenkten, und ich, indem ich zu weich an unrechter Stelle war--etwas that, das, ich wusste es, mich einst gereuen wuerde. Nun ist fuer mich ein Glueck in der Ehe dahin. Selbst meine Arbeit, die mich entschaedigen koennte, macht mich nicht froh, weil meine Frau auch auf sie scheel herabsieht, sie mir fortwaehrend zu verleiden sucht. "Doch ich spreche von mir;--reden Sie--ich bitte Sie--von sich. Nur das allerwaermste Interesse leitet mich. Ich moechte Sie ja so gern gluecklich wissen--" Er sprach die letzten Worte so weich und herzlich, und seine Empfindungen waren so lebhaft, und seine Gefuehle quollen so stark ueber, dass er ihr naeher trat und sie unwillkuerlich sanft an sich zog. Und da neigte sie stumm das Haupt, und weinte sich aus wie ein schluchzendes Kind.-- * * * * * Inzwischen hatten sehr lebhafte Gespraeche zwischen Herrn Knoop und seinen Damen stattgefunden. Die Entschiedenheit, mit der Arthur aufgetreten war, besonders aber die Gleichgueltigkeit, mit der er die Zuwendungsfrage behandelt, war Herrn Knoop so ueberraschend gekommen, dass er zu gar keiner rechten Klarheit gelangen konnte. Er hatte ja nur zur groesseren Wirkung seiner Worte mit der Entziehung der Jahresrente drohen wollen. Nun war durch Arthurs Verzichtleistung, die neben ihrer Unnatuerlichkeit sein Herz deshalb so stark beruehrte, weil sie Arthurs Gemuetlosigkeit selbst gegen seine Eltern nur allzu scharf beleuchtete, alles verschoben und auseinander gerissen. Frau Knoop pflanzte dagegen doch noch Hoffnungen auf. Sie erklaerte, dass sie sich von einer Unterredung mit Arthur ein Einlenken verspreche, und dass sie auch Ileisas Einfluss vertraue. Grade dieser Zwischenfall koenne vielleicht eine Wandlung in alles bringen. Die Ehegatten wuerden sich naehern, da nun Arthur materiell von Seiner Frau abhaengig werden wuerde. "Du wirst ihr doch dasselbe geben, wie ihnen beiden vorher?" schloss Frau Knoop ihre Rede. Bevor Herr Knoop antworten konnte, sagte Margarete: "Ich fuerchte, liebe Eltern, dass die Dinge einen ganz anderen Verlauf nehmen werden, als ihr voraussetzt. "Ich stehe unter dem Eindruck, dass Arthur deshalb so entschieden hat, weil er so die beste Gelegenheit findet, sich seiner Frau wieder zu entledigen--" Herr und Frau Knoop sahen ebenso ueberrascht wie erschrocken empor. Wenn sie sich auch nicht verhehlten, dass die Ehe drunten im Nebenhause keine glueckliche sei, so war ihnen doch der Gedanke nie gekommen. "Wie, das meinst du?" fiel Frau Knoop, die ihrer Tochter richtigem Instinkt ausserordentlich vertraute, hoechst beunruhigt ein. "Das waere ja schrecklich! Hat Arthur in diesem Sinn jemals mit dir gesprochen? "Du lieber Himmel," beendete sie seufzend ihre Rede. "Wenn das nun auch noch kaeme, wenn das das Ende waere--" Margarete ueberlegte, ob sie noch mehr verraten, ob sie ihren Eltern mitteilen sollte, wie sich Ileisa bereits geaeussert hatte! Aber sie schwieg. Sie wusste, dass sie, wenn sie jetzt redete, damit Ileisas Zukunft gefaehrden koenne. Sie wuerden jetzt Ileisa die Schuld beimessen. Noch waren ihnen, trotz allem Geschehenen, die Augen nicht weit genug geoeffnet. Natuerlich! Dem Sohne konnte man es zur Not nachsehen, wenn er sich fuer andere Frauen interessierte, sein eigenes Weib vernachlaessigte, oder gar die Treue brach. Aber sie--sie durfte kein anderes Gefuehl, als das des Enttaeuschungsschmerzes in sich aufkommen lassen! Das waren die landlaeufigen Anschauungen der Menschen, und auch die ihrer Eltern. Margarete musste, um Gutes fuer Ileisa zu erwirken, nachweisen, dass alle Schuld Arthur zufalle, der in ihren Augen auch ganz allein der Schuldige war. "Es ist so, glaubt es mir! Er will wieder frei sein! Und dass Ileisa sich nicht die Augen ausweinen wird, dessen bin ich gewiss! Ist das eine Ehe! Wie geht er mit ihr um! Wann ist er einmal abends zu Haus'? Und wenn er mit ihr zusammen ist, spricht er entweder gar nicht, oder redet mit ihr wie mit irgend jemandem, mit dem ihn der Zufall in Beruehrung gebracht hat." "Na, dass Ileisa auf ihn haette mehr einwirken, dass sie sich auch ihrer Pflichten besser haette erinnern koennen, ist sicher," fiel ganz nach Margaretes Erwartung ihr ihre Mutter in die Rede. "Gewiss, sie macht keine Scenen, sie ist fuegsam, weiss zu schweigen und klagt nicht. Aber das hat ihn vielleicht grade gereizt. Er mit seinem lebhaften Temperament will Anregung--" "Es mag sein, Mutter, aber wenn Menschen so verschiedene Interessen besitzen, tritt schon von vorneherein eine Entfremdung ein. Ileisa hat eine ernsthafte Lebensauffassung, ist haeuslich, sparsam und wirtschaftlich! Musik, Lektuere und Unterhaltungen, die einen tieferen Inhalt besitzen, langweilen Arthur, Gemuetswaerme und Zuspruch bezeichnet er als Gefuehlskomoedie, und Pflichten, die er doch auch wahrlich hat, erkennt er nicht an. Was soll denn die arme Ileisa thun?" Frau Knoop musste zugeben, dass ihre Tochter recht hatte. Aber aus der schmerzlichen Einsicht entstand keine milde Gesinnung gegen Ileisa, sondern ein bitteres Gefuehl, dass jene so viel mehr wert war, als ihr Sohn. Herr Knoop hatte stark rauchend bisher zugehoert, ohne die beiden Frauen zu unterbrechen. Nun aber sagte er: "Es muss eine faktische Trennung deshalb verhindert werden, weil wir einen oeffentlichen Skandal unter allen Umstaenden zu vermeiden haben. Das waere Wasser auf die Muehle aller der uns unguenstig gesinnten, von neidischen Gefuehlen erfuellten Familien. "Nein, nein, das darf und soll nicht sein.--Koennen sie wirklich nicht mit einander leben--ich hoffe, dass Margarete nur nach Eindruecken urteilt,--dann darf nichts an die Oeffentlichkeit dringen. "Und du urteilst doch nur vorlaeufig nach Eindruecken? Du antwortetest nicht auf die Frage deiner Mutter, ob Arthur irgend etwas darueber geaeussert hat!" "Nein, aber sie haben beide mir gegenueber nicht verhehlt, dass sie ungluecklich sind--" "Hm--so also doch----So weit ist Ileisa schon gegangen?" warf Herr Knoop betroffen hin. "Fuer alle Faelle wollen wir hoeren, wie die Dinge zwischen den beiden drueben verlaufen sind, was Arthur ihr gesagt hat! Geh' hinueber, Frau! Ileisa soll herkommen! Arthur wird ja jedenfalls heute abend wieder nicht zu Hause sein!" Frau Knoop erhob auch keinen Einwand. Sie nickte still. So viel Truebes ging durch ihr Inneres, und ein Spruch, den sie einmal gelesen, kam ihr ins Gedaechtnis: "Nicht Willkuer, Ordnung herrscht, Wo Sonnen, Monde kreisen! Gebannt an der Gesetze Kraft Webt, was die Allmacht einst geschafft! So sei's ein Vorbild Dir, o, Mensch! Weich nicht vom Wege! Weich nimmer von Gesetzen ab, Die, unbefolgt, selbst Welten stuerzt ins Grab!" Der Zufall wollte es, dass sich Ileisa, von ihrem eigenen draengenden Verlangen nach Aussprache ergriffen, aufgemacht hatte und das Gutshaus betrat, waehrend Frau Knoop zu ihr unterwegs war. Frau Knoop traf bei ihrer sogleich erfolgenden Rueckkehr, ihre Schwiegertochter im Wohnzimmer, und fast gleichzeitig kamen auch Vater und Tochter wieder und betraten das Gemach. Durch diese Umstaende wurde Margarete an ihrer Absicht behindert, Ileisa vor ihrer Unterredung mit ihren Schwiegereltern erst mit einigen Worten vorzubereiten. Sie wollte sie bitten, sich vorsichtig zu aeussern, mehr zu hoeren, als zu reden. Es ergriff sie eine starke Enttaeuschung, als sie nun bereits bei ihrem Eintritt Ileisa thraenenueberstroemt in den Armen ihrer Schwiegermutter fand. "Ach, ich bin ganz fassungslos, Mutter. Arthur hat mir vordem erklaert, dass er nicht ferner mehr mit mir leben will," stiess Ileisa, von ihrer Erregung fortgerissen, heraus und bestaetigte somit frueher, als gedacht, was Margarete als wahrscheinlich behauptet hatte.-- Der Abend verlief den Familienmitgliedern in einer grenzenlos bedrueckten Stimmung. Frau Knoop sass nach dem Abendbrot wie zerschlagen da. Waehrend sich ihre Haende an einer Arbeit ruehrten, tropfte es immer wieder aus ihren Augen. Herr Knoop ging bald wortlos, bald aufgeregt sprechend, auf und ab. Immer wieder wurde eroertert, wie man Arthur beikommen koenne, und immer wieder gelangten die Beteiligten zu dem Schluss, dass mit ihm nichts anzufangen sein werde. Jedenfalls wollten sie alle--das wurde zum Beschluss erhoben,--vorlaeufig das Gut nicht verlassen. Sie wichen so besser allen Fragen aus. Hier auf dem Lande lag der Verkehr weit auseinander, und ein erheblicher oder engerer hatte sich, wie schon erwaehnt, ueberhaupt zu ihrer Enttaeuschung nicht entwickelt. Und auch das Aeusserste wurde bereits ins Auge gefasst. Wenn schliesslich die Dinge das traurige Ende wirklich nahmen--wenn Arthur auf Scheidung bestand--dann waren Knoops dafuer, dass Ileisa mit ihrer Tante Berlin und ueberhaupt die Provinz verliess. Dann wollten auch Knoops fortziehen. Herr Knoop dachte an seine Heimat, an Holstein, wogegen die Frauen durchaus nichts einzuwenden hatten. Wenn ihr Vater sich dort ein Gut kaufte, war's ganz in ihrem Sinne. Fraeulein von Oderkranz und Ileisa konnten vielleicht kuenftig in Hamburg wohnen. Dann konnten sie sich untereinander leicht erreichen. So endete dieser Tag, und so wurde wiederum ein erheblicher Teil von dem "grossem Glueck" abgebroeckelt, das dem Verkauf des Geschaeftes und der Nobilitierung hatte folgen sollen.-- * * * * * Klamm hatte inzwischen gesonnen und gegruebelt, wie er die Dinge lenken koenne. Zuletzt war er zu seiner Mutter gegangen, die schon wiederholt nach ihm gefragt hatte. Ihr war von den Dienstboten mitgeteilt worden, dass Adelgunde abgereist sei und nicht wiederkommen werde. Alfred sollte ihr Aufschluss geben. Es lag sonst nicht in ihrer Art, sich vorzudraengen; sie wartete aus Grundsatz ab, bis man sie rief. Was einst Klamm seinem Freunde Milano gesagt hatte, das legte er in dieser Unterredung seiner Mutter dar, er verschwieg ihr auch nicht die zwischen ihm und Ileisa stattgefundene Begegnung, die Scene, die seine Frau ihm gemacht, und das abermalige Zusammentreffen mit der jungen Frau nebenan. Und sie sagte: "Ja, dein Fehler ist, dass du dich zu leicht von deinen augenblicklichen Gefuehlen beherrschen und Eindruecke zu sehr auf dich wirken laesst. Dein gutes Herz steht in den gegebenen Faellen ueber kuehler Erwaegung. "Ich rate dasselbe, was ich dir immer riet. Schliesse einen Kompromiss mit deiner Frau. Wenn ihr nicht zusammenleben koennt, lebt moeglichst ertraeglich 'nebeneinander'. "Ihr seid's nicht allein, denen etwas zu wuenschen uebrig bleibt. "Ich bin gar nicht erzuernt, dass deine Frau ohne Abschied fortgegangen ist; sie hat wohl nicht darueber nachgedacht, dass mich das verwundern, mich gar kraenken koenne. Und dass sie eine Klage um meinetwillen erhoben hat, verueble ich ihr auch nicht. Junge Frauen betrachten meistens die Muetter ihrer Maenner ungefaehr wie muhamedanische Nebenweiber! Sie wollen ihre Gatten fuer sich allein haben. Man kann's ihnen wahrlich nicht verdenken und muss den durch ihre Eifersucht hervorgerufenen Mangel an unbefangenem Urteil ihrem krankhaften Eifersuchtsgefuehl zu Gute schreiben." Klamm hoerte seiner Mutter Reden voll Bewunderung zu. Jegliches suchte sie zum Guten zu lenken. Als er davon sprach, dass er Adelgunde den von ihr schon wiederholt selbst eroerterten Vorschlag machen wolle, einen Besuch bei einer Freundin in Paris zu machen, aeusserte sie ihren Beifall, meinte aber, dass er Adelgunde dazu bringen solle, selbst diesen Wunsch auszusprechen. Es wuerde sich sonst leicht Misstrauen in ihr regen. In solcher Weise von seiner Mutter angesprochen und gestaerkt, begab sich Klamm am folgenden Tage in die Stadt-Villa. Es war eben elf Uhr vormittags geworden; Adelgunde hatte sich grade erhoben und sass beim ersten Fruehstueck, als Klamm zu ihr ins Speisezimmer trat. Als sie seiner ansichtig wurde, streckte sie ihm ihre Hand liebenswuerdig und mit der Miene voelliger Unbefangenheit entgegen, und sagte: "Das ist freundlich von dir, Alfred, sehr freundlich! Nun sehe ich, dass du wieder gut bist! Ich konnte wirklich nicht anders handeln! Natuerlich bin ich zu weit gegangen! Ich habe dir Unrecht gethan, insofern, als du ja nicht die Begegnung mit dem koketten Frauenzimmer herbeigefuehrt hast. Aber im Recht bin ich wiederum auch! "Und--und--was sagt Mama?! Hast du sie gesprochen? Grade wollte ich ihr schreiben, und mich entschuldigen, dass ich so fortgegangen bin. "Na, sie weiss es ja auch ohne Worte, dass ich keine boese Absicht damit verband.--Erklaere uebrigens! Welch einen fuerchterlichen Laerm haben eure Maschinen wieder einmal gemacht. Werden denn nun auch am Tage die schrecklichen Ungeheuer in fortwaehrende Bewegung gesetzt?" So sprach sie rasch und lebhaft nacheinander, erschoepfte alles, was sie beschaeftigte, auf einmal. Klamm sah infolgedessen auch davon ab, die Vorgaenge ausfuehrlicher zu beruehren. Er sagte nur: "Du erlaubst dir viel, Adelgunde. Was grade deine Sinne kreuzt, das musst du haben, ohne Ruecksicht auf andere. Aber lassen wir das! und hoere, was ich meinerseits vorzuschlagen habe. "Ich moechte unser Gut noch nicht verlassen. Die Witterung ist so milde, und die Landluft so wohlthaetig fuer meine Nerven, dass es thoericht waere, mich des guten Einflusses zu entziehen. Ich moechte auch mit meiner Mutter die kuenftigen Dinge feststellen. Sie will nicht in die Stadt zurueckziehen. Es ist das auch von Wert! So haben wir stets jemanden, der draussen nach dem Rechten sieht. Du musst also allein hier wirtschaften, oder du musst dich ueberhaupt anderweitig einrichten.--" "Was heisst das? Wie meinst du das?" fiel Adelgunde befremdet ein. Und gleich fuhr sie fort: "Ah, ich weiss! Ich koennte meine Absicht ausfuehren, meine Freundin, Frau von Stein, in Paris zu besuchen, das waere eine Idee.--Das heisst," unterbrach sie sich wieder, und stockte. "Nun? Was hast du? Ich finde den Plan sehr gut. Wenn du von Paris zurueckkehrst, werde ich auch den Wunsch haben, wieder in die Stadt zu ziehen.--Also alles in Ordnung--" "Jawohl, Alfred! Ich will nach Paris reisen! Aber nur dann, wenn die Person--die Knoop--nicht draussen wohnen bleibt. Zieht sie es ferner vor, unsere Nachbarin zu sein, trotz meines Verbots, so--so--" "Du hast es ihr verboten? Was heisst das? Wie kannst du ihr etwas verbieten?-- "Im uebrigen ist deine Reizbarkeit gegen die junge Frau ungerechtfertigt. Ich leugne gar nicht, dass ich etwas von ihr halte--viel halte--es waere unnatuerlich, wenn es anders waere, da ich mich damals mit ihr verloben wollte. Aber ich habe sie doch niemals gesucht. Wir haben Knoops dann einen Besuch gemacht, bei dem wir sie absichtlich nicht zu treffen wussten, und damit war's vorbei. "Also gieb nun deine Eifersucht auf. Lass Frau von Knoop bleiben oder fortgehen! So viel ich gehoert habe und weiss, ziehen die alten Knoops ehestens wieder in die Stadt. So werden die Jungen wohl folgen!" "Hm, du kannst sie aber auch in der Stadt treffen--" "Um Himmelswillen, Adelgunde! Nun beschaeftigst du dich ploetzlich sogar mit dieser Moeglichkeit, waehrend du doch eben nur den Wunsch ausgesprochen, sie solle das Gut verlassen. Ich habe keine Lust und Neigung, dir auf all diesen Wegen zu folgen. Ich werde darauf nicht mehr antworten. Kommen wir zu Ende! Ich muss ins Geschaeft! Es bleibt also dabei.--" "Ich muss ins Geschaeft! betonst du.--Nicht einmal in so wichtigen Dingen hast du Zeit--hast du Zeit fuer mich, Alfred! Ach--ich bin ungluecklich.--Ich hoffte einen Mann zu heiraten, der mit mir leben wuerde. Aber seine wirkliche Braut, seine Frau, die er liebt, ist die graessliche Zeitung, das ewige Hasten und Jagen, der fuerchterliche Geruch des Maschinenoels und der Druckerschwaerze. Gieb doch diese Beschaeftigung auf! Wir wollen wieder nach Dresden ziehen.--Wir wollen die Haelfte des Jahres auf unserm Gute leben. Das waren koestliche Tage.--Gottlob, dass wir es nicht verkauft haben. Dann loesen wir uns auch von dieser fuerchterlichen Knoopschen Gesellschaft, von diesen Parvenues, von dieser koketten Person, die nicht ruhen wird, bis sie dich mir ganz abgewendet hat.--" So sprach, weinte und schluchzte die junge Frau, und Klamm ging auch diesmal in allergroesster Unbefriedigung von ihr. Er wusste zwar, dass sie nach Paris reisen, dass er vorlaeufig Ruhe haben, und den Geschaeften wurde leben koennen, aber es war doch nur ein Aufschub. Wenn sie zurueckkehrte, hatten sie von neuem Kompromisse mit einander zu schliessen.-- * * * * * Inzwischen hatte Fraeulein von Oderkranz an Ileisa einen Brief gerichtet, in dem sie ihrer Verwunderung und ihrer Enttaeuschung Ausdruck verliehen, dass sie so lange nicht bei ihr gewesen sei. Sie sehne sich nicht nur nach einem Wiedersehen, sondern muesse auch noch eine besondere Angelegenheit mit ihr besprechen. Es beherrsche sie seit Tagen ein Gefuehl von Sorge und Angst, dessen sie nicht Herr werden koenne. Vielleicht sei's nur koerperlich, aber nicht minder unertraeglich. Sie moege sie beruhigen und sobald wie moeglich kommen. Ileisa liess das Schreiben aus der Hand fallen und starrte--tief schwermuetig, wie in all diesen Tagen--vor sich hin. Ihre Tante hatte eine nur zu starke Berechtigung, sich Sorgen hinzugeben. Ileisa graute vor dem Augenblick, in dem sie ihr alles offenbaren sollte. Sie schwankte sogar, ob es ueberhaupt nicht besser sei, sie erst schriftlich vorzubereiten. Aber sie verwarf doch diesen Gedanken wieder. Sie wuerde dadurch die Unruhe, die die von ihr ueber alles geliebte Verwandte beherrschte, sicher noch vermehren. So machte sie sich denn sogleich auf den Weg.-- Der Hund klaeffte wie immer, und die Thuer wurde nur spaltenweise geoeffnet, wie stets, nachdem Ileisa die Klingel in der Wohnung ihrer Tante gezogen hatte. Und wie allezeit schritt die alte Dame unter gluecklichen Worten voran, und noetigte ihr Herzenskind, sich niederzulassen, nachdem sie ihr selbst behuelflich gewesen, sich von ihrem Mantel zu befreien. "Gott sei Dank, dass du da bist! Wie ich mich gesehnt und gesorgt habe, kannst du dir nicht denken--" So begann sie, und eine Fuelle von warmherzigen Aeusserungen folgte, bis Ileisa endlich auch zum Sprechen gelangte. Sie erklaerte--die notwendige Vorsicht uebend--vorerst nur, dass keine Einigkeit zwischen Knoops, Vater und Sohn, sei, dass ihr Mann stets aushaeusiger, gleichgiltiger und kaelter gegen sie werde, und dass sie schmerzensreiche Tage hinter sich habe.-- "Hm--hm--armes, liebes Kind! Aber sei ruhig, das hat bei Maennern seine Zeit! Das kommt dann auch wieder," troestete die gute Alte, aber fuegte schon gleich hinzu, was sie selbst gegen Arthur vorzubringen hatte. "Ich habe," hub sie an, "trotz meiner bescheidenen Mahnung, die zugesagte Vierteljahrsrente nicht empfangen, und gestern schreibt dein Mann mir gar: ich wuesste doch, dass er sie ueberhaupt gar nicht zu entrichten habe, sondern sein Vater! Nichts weiss ich, und eben darueber wollte ich auch mit dir reden. Wusstest du es, Ileisa?" "Nein, Tante!" stiess Ileisa heraus. "Aber wahrlich! Man darf sich bei meinem Manne ueber nichts wundern!" Und durch diese Mitteilung innerlich noch mehr gereizt und zum Reden gedraengt, hielt auch Ileisa nunmehr mit ihren Eroeffnungen nicht mehr zurueck. Sie erklaerte rueckhaltlos, was vor sich gegangen war, und nur bezueglich Klamms legte sie sich noch Reserve auf. Und die alte Dame fiel in ihren Sessel zurueck, der Atem wollte ihr vor Erregung stocken. Also so weit war es schon gekommen! Er drang auf Scheidung! Und Stunden vergingen, und sie schwanden wie Augenblicke in den Gespraechen ueber Gegenwaertiges und Zukuenftiges. Und ganz, wie Ileisa es vorausgesehen, so kam's! Ihre Tante drang zunaechst auf sie ein, festzuhalten, dennoch nochmals einen Versuch zu machen, mit Arthur in irgend einer Weise zusammenzubleiben. Ihr schwebte das Urteil der Welt vor Augen, sie ueberlegte auch, dass Ileisa nun ebenso weit wieder sei, wie sie gewesen. Sie zog ferner die materielle Frage in Betracht, besonders aber lehnten sich ihr Stolz, ihr Selbstgefuehl gegen diese Art und dieses fruehe Ende auf. Sie erklaerte als ihren unumstoesslichen Willen, selbst mit Arthur sprechen und in nichts frueher willigen zu wollen, bis sie selbst einen unbedingt richtigen Eindruck gewonnen habe. Und wenn wirklich alles an der Unempfindlichkeit dieses auserlesenen Egoisten scheitern sollte, dann wollte sie im Austausch ihrer Zustimmung zur Scheidung wenigstens ihn bindende materielle schriftliche Zusicherungen erlangen. Ileisa wollte anfaenglich ihrer Tante entgegentreten, aber eine naehere Ueberlegung hielt sie doch davon ab. Sie war es sich schuldig, die Dinge nicht ohne eine naehere Eroerterung hinzunehmen. Auch waren die materiellen Verhaeltnisse zu beruecksichtigen. Es hiess einen voellig falschen Stolz anwenden, in Armut zurueckzukehren, wo die Umstaende so lagen, wie hier. Ueberdies war Ileisa sicher, dass Arthur auf seinem Scheidungsantrag beharren wuerde, und wiederum hatte auch Ileisa nichts mehr einzuwenden. Nur eine nicht zu bannende Schwermut, Traurigkeit und Oede beherrschte ihr Inneres. Ein Weh um den Verlust ihrer Ehe war nicht mehr vorhanden. Nur wenn sie Klamms gedachte, schwoll ihr Herz auf. * * * * * Die Unterredung zwischen Fraeulein von Oderkranz und Arthur fand infolge schriftlicher Vereinbarung in der Wohnung der alten Dame statt. Arthur sass in seinem hochmodernen, schwarzen, eben aus einem Mode-Magazin hervorgegangenen Anzug, mit dem sorgfaeltig gepflegten Spitzbart und den ueberaus subtil gepflegten Haenden, der ein zwar hoefliches, aber sehr gemessenes Wesen hervorkehrenden alten Dame gegenueber.-- "Ich habe die Bitte an Sie gerichtet, mich zu besuchen, weil ich nach den mich tief erschuetternden Mitteilungen meiner Nichte aus Ihrem Munde hoeren--um der Ehre unseres Namens willen--hoeren moechte, welche Gruende Sie bestimmen, die Ehe wieder loesen zu wollen?" begann Fraeulein von Oderkranz und schob den duerren, in einem altmodischen, braunen Seidenkleide steckenden Koerper in steifer Haltung zurueck. Arthur, der neuerdings ein Glas in dem linken Auge trug, liess es, ohne es mit der Hand zu beruehren, mit ausdrucksloser Miene fallen, und sagte ohne jegliche Erregung: "Ich wundere mich, offen gestanden, verehrte Gnaedige, dass Sie grade diese Frage an mich richten. Ich habe doch Ileisa auseinandergesetzt, was mich zu meinem Entschluss veranlasst. Ich habe eingesehen, dass wir nicht zu einander passen, und meine, dass wir eine gegenseitige Unbequemlichkeit nicht freiwillig fortsetzen wollen. "Den Anschauungen, in denen Sie auferzogen sind, widerspricht die Loesung einmal geschlossener, ehelicher Buendnisse. Unsere abgeklaerteren Begriffe haben uns dahin gebracht, dass wir sagen: man trenne sich ohne Eklat in Frieden und suche, statt sich unpraktischen Sentimentalitaeten hinzugeben, die Folgen eines begreiflichen und verzeihlichen Irrtums zu beendigen. Die Ansicht, man naehme Schaden an seiner Ehre und seinem Ansehen, ist nur ein--pardon--kuenstlich erzeugtes, einer gewissen Schablonen-Anschauung entspringendes Gefuehl. Alle verstaendigen Menschen werden den Entschluss gutheissen. Irrtuemer, Luegen und Komoedien nicht fortzusetzen, nicht deshalb an unnatuerlichen Verhaeltnissen festzuhalten, weil die Welt darueber die Nase ruempfen koennte. "Ich will ueberdies nochmals, auch Ihnen gegenueber betonen, dass ich Ileisa gar nichts vorzuwerfen habe, nicht einmal, dass sie sich neuerdings um Herrn von Klamm recht sehr bemueht, so bemueht hat, dass es an sich eigentlich mit ihren Ehepflichten nicht ganz im Einklang steht. Es ist mir darueber grade gestern berichtet worden.-- "Ich will das nur erwaehnen, damit Sie nicht unter dem Eindruck stehen, meine Gnaedige, dass Ileisa lediglich die Eigenschaften eines Engels besitzt. Wir sind eben alle Menschen und haben unsere Tugenden und begreiflichen Schwaechen." "Ich moechte darauf erwidern," entgegnete Fraeulein von Oderkranz, "dass das unausgefuellte Herz naturgemaess nach Ersatz sucht. Dass Ileisa etwas Unweibliches gethan, dass sie ihre Pflichten gegen Sie versaeumt, gar die Treue gegen Sie gebrochen, ist ausgeschlossen! Und was Ihre Ausfuehrungen anbelangt, so moechte ich Ihnen doch auch meinen Standpunkt darlegen, den Standpunkt, den Sie als unpraktische Sentimentalitaet bezeichnen. "Die Ehe wird unter sehr ernsten, im Gotteshause stattfindenden Ceremonien geschlossen. Der Geistliche richtet an beide Beteiligte Fragen, die, wenn sie sie mit Ja beantworten, ihnen unverbruechliche Ehrenpflichten auferlegen, in dem Sinne auch, dass jeder--und sei's ein Menschenleben hindurch--die Aufgabe hat, erziehlich, sanft und geduldig auf den anderen einzuwirken, Liebe zu erzeugen und zu kraeftigen. Eine absolute Notwendigkeit tritt ein, eine gradezu heilige Pflicht, wenn die Ehe mit Kindern gesegnet ist. Gewiss, bequemer ist's, die Ehe als ein Zeitbuendnis zu betrachten. Zwei Kameraden vertragen sich in demselben Gemach nicht mehr und trennen sich. "Aber es ist dies doch die allerroheste Anschauung ueber das, was wir selbst einmal als eins der vornehmsten Sittengesetze aufgestellt haben. "Es gehoert ein grenzenloser Mangel an Pflichtgefuehl und rechtschaffener Gesinnung dazu, auch diese menschliche Beziehung lediglich aus dem Gesichtspunkte der Nuetzlichkeit und Bequemlichkeit zu behandeln.--Sie erachten die Anschauung, dass die Familienehre durch Scheidung nach aussen beeintraechtigt wird, als ein kuenstlich erzeugtes Eitelkeitsgefuehl. Ich muss dem widersprechen. Der vornehm geartete, wahrhaft sittliche Mensch hat das natuerliche Bestreben, in der Umgebung, in die ihn die Verhaeltnisse gesetzt haben, nicht nur als eine moeglichst tadellose Persoenlichkeit zu erscheinen, sondern auch eine solche zu sein. "Ehre, Anstandsgefuehl, moralisches und sittliches Empfinden sind ein Teil des Blutes gewisser Menschen, und dass sie es besitzen, ziert sie. "Ernste Pflichten zu ueben, statt die Welt als ein lustiges Schlemmerhaus anzusehen, und danach zu leben, ist eine Sache jener Religion, die zwar nichts auf Aeusserlichkeiten, aber desto mehr auf ein musterhaftes, auf Grundsaetzen aufgebautes Handeln und Wirken sieht, jenes, das den Eingang in eine bessere Welt vorbereitet." "Hm--sehr schoen! Ich verstehe Ihren Standpunkt vollkommen, meine Gnaedige. Aber schon, da ich ihn nicht teile, bin ich Ihrer Nichte nicht wert. "Lassen wir alle moralischen Betrachtungen und Erguesse--ich bitte Sie dringend. "Lassen Sie uns lieber darueber unterhalten, welche beste Form wir waehlen, um das einmal Unabaenderliche zu gestalten." "Sie uebernahmen auch materielle Pflichten gegen meine Nichte. Wie denken Sie darueber, Herr von Knoop?" "Mein Vater wird sich darueber mit Ihnen unterhalten, meine Gnaedige." "Haben Sie denn schon mit ihm Ruecksprache genommen?" "Nein vorlaeufig im speziellen wenigstens noch nicht. Sie moegen aber beruhigt darueber sein, dass Ihr Fraeulein Nichte nicht zu kurz kommt--" "Das bin ich eben nicht, Herr von Knoop. Nachdem ich nicht einmal die mir guetigst von Ihnen freiwillig zugesagte Rente erhielt, bin ich in Sorge. "Wann wollen Sie mir eine schriftliche Erklaerung von Ihrem Herrn Vater aushaendigen, die meine Nichte sichert, die unbedingte Garantie liefert? "Und welche Jahreszuwendung haben Sie sich gedacht?" "Ich kann, wie gesagt, darueber Bestimmtes noch nicht aeussern, ich wiederhole bereits Gesagtes--" "Wohlan! Ich erwarte also Ihre Mitteilungen! Und noch eins! Sie nehmen alle Schuld der Eheloesung auf sich--?" "Ja--ich nehme die Schuld auf mich. Ich werde Ileisa verlassen, und sie wird auf boeswillige Verlassung 'klagen'. Das ist der formelle Hergang." "Wann darf ich den Besuch Ihres Herrn Vaters erwarten!?--Offen gestanden, bin ich ueberrascht, dass bei solcher Sachlage Ihre Familie mir nicht die Ehre eines Besuches, nicht einmal einer Benachrichtigung gegoennt hat.-- "Nur Fraeulein Margarete hat mir waehrend unserer Bekanntschaft freundliche Ruecksichten erwiesen." Arthur zog die Lippen. Er wollte nun nichts mehr hoeren, es ergriff ihn eine gewisse Reizbarkeit. Er erhob sich nach den letzten Worten der Dame und sagte in einem ruhig bestimmten Tone: "Ich bitte Sie dringend, keine Empfindlichkeiten hervorzukehren, und keine zu erzeugen, meine Gnaedige. Es geschieht, wenn Sie so fortfahren, und statt Vorteile, werden Ihnen Nachteile erwachsen. "Ich gebe Ihnen die buendige Erklaerung nochmals, dass Sie ueber alles benachrichtigt werden, und dass Sie nicht zu kurz kommen sollen. Was ausblieb, wird nachtraeglich erfuellt werden." Damit griff er nach seinem Hut, wehrte mit einer wenig ruecksichtsvollen Bewegung den laestigen Hund von sich ab, und verliess nach formellen Abschiedsworten das Gemach.-- * * * * * Zweierlei beschaeftigte die Familie von Knoop in Behrwalde ausserordentlich. Arthur hatte, nachdem seine Mutter einen vergeblichen Versuch gemacht hatte, ihn zu sprechen, geschrieben, dass er eben vor einer Reise nach England und Frankreich stehe. Er wolle sich dort nach Kapital fuer ein geplantes grosses internationales Unternehmen umsehen. Er ersuchte seine Mutter in diesem Schreiben, seinen Vater zu veranlassen, Fraeulein von Oderkranz die rueckstaendige, von ihm zu zahlen unterlassene Vierteljahrsrate zuzusenden, und sie auch ueber die Rente zu verstaendigen, die Ileisa ferner erhalten wuerde. Er hoffe, wie man sich auch zu seinen Entschluessen stelle, dass man Ileisa nicht beeintraechtigen, vielmehr sie und ihre Tante standesgemaess befriedigen werde. Da er verzichte, so erwachse seinem Vater ja kein Nachteil. Leben muesse doch seine Frau, und ohne Sicherstellung werde Fraeulein von Oderkranz in die Trennung nicht willigen. Zum Schluss war noch die Bitte ausgesprochen, alles in Frieden und Freundlichkeit zu behandeln. Aendern koenne er seine Absichten nicht--es wuerde schon die Zeit kommen, wo sich ihm die Seinigen mit anderen Empfindungen wieder zuwenden wuerden. Ausserdem beschaeftigte die Familie von Knoop ein Gespraech, dem sie tagsvorher waehrend der Eisenbahnfahrt zugehoert hatte. Sie waren mit zwei Herren und zwei Damen zusammen gefahren, die sich, ohne zu wissen, dass sich Knoops mit ihnen zusammen im Coupe befanden, grade ueber sie unterhalten hatten. Einer der Mitfahrenden hatte auf die Frage einer der Damen nach den Guetern und Inhabern der Gueter in dieser Gegend, hingeworfen: "Behrwalde ist von einem frueheren Buchdruckereibesitzer Knoop in Berlin erworben worden, nachdem er sich mit seinem, bei den Taeglichen Nachrichten erworbenen Reichtum den Adel gekauft hatte. "Es ist aber davon die Rede, dass er das Gut schon wieder veraeussern will, weil sich die Familie in ihren Voraussetzungen getaeuscht findet. Sie haben naemlich, als sie hier uebersiedelten--so ist mir aus guter Quelle erzaehlt worden--den Anspruch erhoben, mit den umliegenden adeligen Gutsbesitzerfamilien zu verkehren, waehrend diese ihnen zum Teil nicht einmal die Ruecksicht eines Gegenbesuches erwiesen. Der aeltere Adel ist gegenueber solchen gekauften 'Vons' zurueckhaltend. Dieser Herr Knoop soll schon von vorneherein durch Auftreten und aufdringliche Aeusserlichkeiten starke Opposition erregt haben. "Wo es angeht und nicht angeht, bringt er unter anderem das neu geschaffene Wappen an, und bei jeder moeglichen und unmoeglichen Gelegenheit erzaehlt er gehobenen Hauptes, dass die Familie eigentlich zu dem aeltesten Adel des Nordens gehoere und solchen nur seinerzeit abgelegt habe. "Sie sollen bereits ganz allein stehen. Die angeseheneren Berliner Familien, mit denen sie frueher verkehrten, haben sich von ihnen zurueckgezogen weil bei ihnen das Protzen- und Strebertum: 'sich an den Adel heranzumachen', grosses Missfallen erregt hat." "Giebt's nicht auch einen jungen Knoop? Ich meine auch von ihm, und in ebenfalls nicht sehr vorteilhafter Weise gehoert zu haben," hatte der zweite Herr gefragt. "Ja! Allerdings! Von dem weiss ich noch Positiveres!! Der junge Mensch kam einige Zeit vor dem Verkauf des Geschaefts aus England zurueck und spielte sich schon damals in laecherlicher Weise als Grand Seigneur auf. Jetzt gilt er als einer der bekanntesten und nicht grade bestbeleumdeten Berliner Lebemaenner, der sich nur mit Sport, Weibern und Spiel beschaeftigt. Jetzt eben hoere ich, dass er bereits mit seiner erst vor wenigen Jahren geheirateten Frau in Scheidung liegt, und zwar lediglich aus dem Grunde, weil er ihrer ueberdruessig geworden ist. Die Frau soll in jeder Richtung tadellos sein!--Na, ja! Es ist der uebliche Verlauf der Dinge. Dem Alten ist das Geld in den Kopf gestiegen, und so verleugnet er seine buergerliche Abstammung und seine Vergangenheit. Und wenn ueberdies Frauen ihren Ehrgeiz spielen lassen, weiss man, wie es geht. Gewisse Weiber koennen niemals genug Eitelkeiten treiben, und so verpulvern sie und der junge Tagedieb allmaehlich das Vermoegen. Das Resultat solcher Ambitionen ist dann die Einbusse der Selbstachtung und der gaenzliche Verlust dessen, was einst durch Fleiss, Ausdauer und Umsicht erworben ist." Margarete hatte sich in eine Ecke gedrueckt, damit man die Thraenen der Scham nicht bemerke, die ueber ihre Wangen rieselten. Frau von Knoop haette die Coupethuer oeffnen und hinausspringen moegen, und Herrn von Knoop hatte die Zeitung, in der er gelesen--es war sein frueheres, eigenes Blatt gewesen--in der Hand gezittert. Wortlos, mit verstoerter Miene, war er mit seinen Frauen in die auf der Station seiner wartenden Equipage--die Equipage mit dem eben so abfaellig beurteilten Wappen--gestiegen. So--so--beurteilte man also ihn und seine Angehoerigen! Sein ganzes Innere befand sich in Aufruhr, und wenn es in diesem Augenblick moeglich gewesen waere, wuerde Herr Knoop gleich abgereist sein, Berlin und Behrwalde fuer alle Zeiten den Ruecken gewendet haben. Aber wenn sich das auch so rasch nicht machen liess, so war doch sein Entschluss unweigerlich gefasst! Er wollte fort, sobald wie moeglich. Er wollte mit Frau und Tochter nach Holstein uebersiedeln. Der frueher bereits erwogene Gedanke sollte zur Ausfuehrung gebracht werden! Zu einem Gespraech zwischen ihm und den beiden Damen ueber den Vorfall kam es nicht. Scham liess die Lippe verstummen. Aber ueber seine Absichten aeusserte sich Herr von Knoop bereits an diesem Tage, auch warf er hin, wie er es mit Ileisa und ihrer Tante halten wollte.-- Mitten in diese Aufregung platzte abends Theodor Knoop herein. Ohne vorherige Anmeldung erschien er, und erklaerte seinem sich durchaus nicht sehr zuvorkommend gebenden Bruder in dessen Arbeitszimmer, mit wichtig geheimnisvoller Miene, dass er ihm den italienischen Grafentitel verschaffen koenne, wenn er 100000 Francs und eine Provision von 25000 daran wenden wollte. Der Augenblick fuer ein solches, inzwischen wieder von dem geldgierigen Theodor ausgehecktes Anerbieten konnte allerdings nicht schlechter gewaehlt sein. Kurz und rauh, mit schroffer Zurueckweisung im Ton, fertigte Herr von Knoop seinen Bruder ab. Er solle sich schaemen, seine Kraefte und seine Thaetigkeit solchen Vermittlungsgeschaeften zu widmen. Er solle namentlich ihn ein- fuer allemal mit derartigen Anerbietungen verschonen. Er habe das Geldausgeben fuer solche Thorheiten satt, uebersatt, und wenn er alles recht bedenke, so sei eben Theodor schuld daran, dass er seinen guten, buergerlichen Namen, aber auch seinen zufriedenen Sinn fuer einen elenden Tand dahingegeben. Nichts, nichts wolle er mehr von solchen Dingen hoeren, und er erklaerte ihm zugleich zum ersten und allerletzten Mal, dass er ferneren Anspruechen an seinen Geldbeutel--es sei doch diese Offerte wiederum nichts anderes--keinerlei Gehoer mehr schenken werde. Es sei ueberhaupt besser, dass Theodor sich nicht ferner nach Behrwalde herausbemuehe, und zudem werde er auch dort bald nicht mehr anzutreffen sein. Theodor war ebenso ueberrascht wie aufgebracht, und unterdrueckte die Ausbrueche seines Ingrimms nur deshalb, weil es sich herausgestellt hatte, dass sich sein Bruder hoechst ungluecklich fuehlte. Das war Nahrung auf sein rachsuechtiges und neidisches Herz. So erwaehnte er bloss sanftmuetig, dass er wohl ein Recht haben wuerde, sich gegen eine solche Begegnung und Sprache aufzulehnen, aber dass er davon absaehe, weil er in Betracht ziehe, dass sein Bruder sichtlich schweren Verdruss und starke Enttaeuschungen erlitten habe, und sich deshalb in missmutiger Stimmung befinde. Was ihn selbst betreffe, so habe er sich doch nur eine Anfrage erlaubt. Es sei ja gut, wenn Friedrich davon nichts hoeren wolle; er werde ihn sicherlich nicht wieder belaestigen. Aber es draenge ihn sein bruederliches Mitgefuehl, zu erfahren, was geschehen sei. Vielleicht koenne er ihm helfen, raten, nuetzen, ihn raechen! Er verlange weder Dank, noch Lohn dafuer! Er moege ihm doch freundlich gesinnt sein! Sie waeren doch Brueder! Und da erlag denn Friedrich von Knoop abermals wie allezeit den Listen seines Bruders, da stellte sich der alte Vergebungssinn gegen seine Familienmitglieder wieder ein. Er gab wider seinen Willen in der Folge alles zum besten, was er besser fuer sich behalten, worin er jedenfalls nicht Theodor haette einweihen sollen. Nicht gleich zwar gelangte alles ueber seine Lippen, aber nach und nach, infolge der sanften Ermunterungen, erheuchelten Teilnahmsaeusserungen und klugen Zwischenreden seines Bruders. Bevor Theodor Behrwalde verliess, wusste er, dass sich das junge Paar wieder trennen wollte, ferner, dass Vater und Sohn auseinander waren, dass Behrwalde wieder verkauft werden solle, und endlich, dass die ganze "Sippe", wie er seine Verwandten im stillen nannte, tief gedemuetigt war, und sich ebenso bedrueckt wie ungluecklich fuehlte. Und da triumphierte er, einmal darueber, dass jenen ein Stachel im Herzen sass, und dann darueber, dass sich ihm nun doch unerwartet ganz sichere Geschaefte aufthaten, dass es wieder etwas einzuheimsen gab. Denn Friedrich von Knoop hatte sich auf Theodors Bitten hinreissen lassen, ihm die Veraeusserung des Gutes Behrwalde in die Hand zu geben und ihn ueberdies beauftragt, etwas Passendes in Holstein, in moeglichster Naehe von Hamburg auszuspueren. Aber er sollte nur schriftlich mit ihm verkehren, hatte Herr Knoop bereits in Hinblick auf die sicher eintretenden Vorwuerfe seiner Damen hingeworfen und zur Bedingung gemacht. Und als er sich wieder ins Wohngemach begab, erwaehnte er nur auf deren nicht unbesorgte Frage, dass sich Theodor lediglich habe Auskuenfte ueber einiges einholen wollen. Die Reue hatte ihn schon jetzt erfasst, und sie wirkte derartig nach, dass er an diesem Abend eine noch schlechtere Laune hervorkehrte, als er sie nach den Erlebnissen im Coupe der Eisenbahn an den Tag gelegt.-- Am folgenden Morgen suchte Herr von Knoop seine Gedanken zu ordnen, und es gelang ihm, indem er allerlei Kompromisse mit seiner Vernunft und den Unabaenderlichkeiten schloss. Zunaechst suchte er Ileisa auf, und teilte ihr mit, dass er ihr monatlich die Haelfte von dem auskehren wolle, was er ihrem Manne bisher zugewendet habe. Ausserdem haendigte er ihr die rueckstaendige Rente fuer ihre Tante ein und ersuchte sie, mit ihrer Verwandten zu sprechen, ob sie nicht mit ihr nach Hamburg uebersiedeln wolle. Sie selbst wollten Behrwalde verkaufen, in der Naehe der genannten Stadt auf's Land ziehen, und wuenschten natuerlich Ileisa in ihrer Naehe zu behalten. "Na ja," schloss er, resigniert sprechend, und indem er wenigstens aeusserlich gute Empfindungen gegen seine Schwiegertochter hervorkehrte. "Der Mensch baut sich etwas auf und glaubt unter ein sicheres oder noch besseres Dach zu gelangen. Das Schicksal aber schiebt sich ruecksichtslos dazwischen und bestimmt es nach seinem Gefallen. "Und dann muss man sich eben anders einrichten. "Deiner Tante bitte ich eine Entschuldigung auszusprechen, dass ich noch nicht bei ihr war, aber es wird ehestens geschehen. "Auch Mutter und Margarete werden sich baldigst bei ihr sehen lassen. "Uebrigens," beendete er seine Rede: "Hast du einen Brief von Arthur? Er ist ja nach England gereist! Was schreibt er dir?" "Ja," entgegnete Ileisa, und holte gleichzeitig ein Schreiben von ihrem Manne hervor, das sie ihm mit stummer Miene ueberreichte. Es lautete ohne Anrede: "Ich teile Dir von hier, von Koeln aus, mit, dass ich auf laengere Zeit, moeglicherweise fuer mehrere Monate, nach London und Paris gehe. An meinen Vater schrieb ich Deinet- und Deiner Tante wegen. Du wirst--ich bin dessen sicher--Zufriedenstellendes von ihm hoeren. Deine Tante besuchte ich noch vor meiner Abreise und fand sie unter den von ihr angenommenen Voraussetzungen mit unserer Trennung einverstanden. Nach meiner Rueckkehr wird die Scheidungsklage schon wesentlich weitergerueckt sein, und alles wird sich ohne Verdriesslichkeiten und ohne Aufsehen vollziehen, sofern Du und Deine Tante dem Unabaenderlichen zuvorkommend die Hand reichen. Noch eins: Gestern abend traf ich zu meiner Ueberraschung im Hotel du Nord Frau von Klamm, die denselben Weg nimmt. Wir fahren zusammen! Dies unter uns. Und nun Addio! Ich gruesse Dich. Arthur." Herr von Knoop nickte nur und gab Ileisa das Schreiben ohne Bemerkung zurueck. Was er dachte, behielt er fuer sich; im uebrigen wunderte er sich ueber nichts mehr. * * * * * Wieder war eine laengere Zeit verstrichen. Waehrend ihres Fortschreitens hatte sich nach dem gewohnten Laufe der Dinge manches, das vorausgesetzt und erhofft worden war, erfuellt, manches Unliebsame den Personen geworden, die der Zufall in diesem engeren Kreise zusammengefuehrt. Klamm hatte sich nach Adelgundes Abreise wie ein ploetzlich frei gewordener Mensch gefuehlt und--nun unbehindert--den Geschaeften mit noch groesserem Eifer zugewendet. Statt des Herrn Strantz war Herr von Milan in die Redaktion eingetreten, und dadurch war Klamm ein doppelter Gewinn erwachsen. Einmal ging Milan durchaus auf Klamms redaktionelle Ideen ein--waehrend Strantz stets muerrische Einwaende erhoben--und ueberdies war Herr von Milan im stande gewesen, Klamm eine so erhebliche Summe an Kapital zur Verfuegung zu stellen, dass sich die sichere Auskunft eroeffnete, durch ein Auskaufen verschiedener unbequemer Aktionaere voellig freie Hand zu erhalten und schliesslich gar alleiniger Herr des Geschaeftes zu werden. Verdriesslichkeiten ueber Verdriesslichkeiten waren Klamm allmaehlich erwachsen, indem bald einer der Herren vom Aufsichtsrat Klagen ueber die Haltung des Blattes in wichtigen, grade seine Interessen beruehrenden Fragen erhoben, bald Aktionaere ihre Ansichten und Meinungen in laestigster Weise hatten zur Geltung bringen wollen. Aber auch persoenliche Dinge hatten gespielt und Verstimmungen hervorgerufen. Protektionswesen hatte sich geltend gemacht und Intriguen waren angezettelt. Jeder stellte an Klamm Forderungen, dass er ihm dienlich oder gefaellig sein sollte. Sobald er es ablehnte oder ablehnen musste, die geaeusserten Wuensche zu erfuellen, waren ihm Gegner oder gar Feinde erwachsen.--Fuer alles und jegliches suchte man ihn verantwortlich zu machen, und einige Male hatte er schon, des Noergelns und der fortwaehrenden Aergernisse satt, die Flinte ins Korn werfen wollen. Ein gewaltiges Leben pulsierte auch ferner in dem Geschaeft; die Zeitung gewann immer mehr an Beachtung und Einfluss, an Abonnenten und Inserenten. In der Buchdruckerei hoben sich die Geschaefte derartig, dass an Erweiterungsbauten fuer die neu einzustellenden Maschinen gedacht werden musste. Alle Neuerungen wurden geprueft. Wo sich herausstellte, dass in anderer Weise weniger umstaendlich gearbeitet, und insbesondere ein groesserer Gewinn erzielt werden konnte, setzten die beiden Herren ein. Vielfach foerderten und verbesserten sie zufolge ihrer planvollen Ueberlegungen noch das, was der Erfinder urspruenglich ersonnen hatte. Das gesamte Raederwerk fasste genau ineinander. Wo einmal das Personal zu versagen Gefahr lief, da war bereits im voraus dafuer gesorgt, wie Ersatz zu schaffen. Wo Mitarbeiter an Eifer nachliessen, da wurden andere berufen. Nirgends Stillstand, ueberall Regsamkeit und Fortschritt. Dass die beste Empfehlung und die beste Reklame stets diejenige sei, wirklich Gutes zu leisten, bewahrheitete sich auch hier. Da ueberdies Klamm fuer die Zeitung immer ein ganz bestimmtes Lesepublikum im Auge behielt, dessen Geschmack und Wuensche im Laufe der Zeit hatte festgestellt werden koennen, so gewann er stetig mehr an Terrain. Adelgunde schrieb hoechst zufriedene Briefe aus Paris. Sie verspuerte vorlaeufig gar keine Neigung, zurueckzukehren. Sie ermuedete die Geduld ihres Mannes auch nicht durch Eifersuechteleien. Nur anfangs hatte sie den alten Ton angeschlagen. In der letzten Zeit war es sogar einmal vorgekommen, dass sie geschrieben hatte: "Es kommt mir so vor, dass ich auch in einer Ehe mit Dir gluecklich sein koennte, wenn ich fern von Dir waere. Ich lebe durch die Illusionen, denen ich mich hingebe, fast gluecklicher als vordem, und ueberdies finde ich Ersatz durch den Verkehr mit anregenden Maennern. Du wirst ja nicht eifersuechtig, wenn ich das sage? Du waerest mich gern los? Gelt?" Diese Worte hatten doch Klamm zum Nachdenken gestimmt, allerdings fuehlte er sich dadurch nicht einmal unangenehm beruehrt. In solchen Augenblicken gingen dann seine Gedanken zu Ileisa, die nun bereits seit einem halben Jahre mit ihrer Tante nach Hamburg uebergesiedelt war, und hier zunaechst das Ende des Scheidungsprozesses abwartete. Sie hatten sich noch vor ihrem Fortgang mehrere Male draussen gesprochen. Ileisa hatte auch Frau von Klamm wiederholt besucht. Es war beides ohne Wissen der alten Knoops geschehen. Nur Margarete hatte Kenntnis davon gehabt, es nicht eben gebilligt, aber auch nicht verhindert. Sie fuehlte ihnen nach, dass sie sich zu begegnen wuenschten. Wenn sie einschraenkend erklaerte, dass sich Ileisa so verhalten muesse, dass sie keinerlei Vorwurf waehrend ihrer noch bestehenden Ehe treffen koenne, so geschah's mehr aus einem Rest von Eifersuchtsgefuehl, das sie sich zwar nicht selbst zugestehen wollte, das sie aber thatsaechlich leitete.-- Die alte Zuneigung fuer Klamm brach immer noch einmal wieder hervor. Wenn sie auch Ileisa den Mann goennte, den sie urspruenglich geliebt, so haette sie ihn doch sich--waere eine Aussicht dazu gewesen--nicht minder als Gatten gewuenscht. Knoops hatten sich ueberall verabschiedet. Sie waren bei ihren alten Freunden und bei denjenigen gewesen, denen sie seinerzeit ihre Antrittsbesuche gemacht. Nirgends waren sie indessen bei ihren Rundfahrten ausgestiegen, nur die Karten waren von dem Diener abgegeben worden. Sie wollten nicht gefragt werden, weder, wohin sie sich zu begeben die Absicht hatten, noch, was ihr Fortgehen veranlasste. So viel Bitterkeit und so viel Ingrimm gegen die gesamte Gesellschaft sass in ihnen, dass sie diese nicht durch Reden und Erklaerungen noch vermehren wollten. Sie hatten genug von allen, denn fast alle hatten ihnen den Ruecken gewendet. Dass es auch an ihnen, vielleicht gar allein an ihnen lag, erkannten die Frauen, nicht aber gab es Herr von Knoop zu. In den Resultaten war's auch gleich. Sie brauchten ja auch die Menschen nicht. Sie waren unabhaengig. Fiel's ihnen ein, konnten sie in Afrika wohnen. Frau von Knoop war zudem gluecklich, dass es ihr noch in ihrem Alter vergoennt sein sollte, in ihrer Heimat zu leben.-- Arthur hielt sich abwechselnd in Paris, London und Berlin auf. Mit seiner Familie hatte er keinen Verkehr mehr. Nur einmal hatte er in seiner nuechternen Weise geschrieben, dass es ihm gut gehe, und dass er Gleiches von ihnen erhoffe. Das Verhaeltnis war nicht schlechter geworden, aber es war auch nicht gut. Es bestand gegenwaertig sozusagen gar keines zwischen ihm und der Familie. Herr von Knoop entschlug sich--um ueber Unabaenderliches keine neuen Aufregungen herbeizufuehren--des Nachdenkens ueber seinen Sohn. Die Frau resignierte unter Hoffen auf eine wieder eintretende Wandlung der Dinge. Zwischen ihnen und Ileisa war eine voellige Entfremdung eingetreten. Knoops schoben in ihrer Verbitterung Ileisa die Verantwortung fuer das Geschehene zu, sie gaben ihr, je laenger, desto mehr, Schuld an dem Ausgange der Dinge. Sie beschuldigten sie, dass sie waehrend ihrer Ehe Beziehungen zu Klamm angeknuepft habe. Noch hielt Margarete zu Ileisa, aber da sie seit ihrem Fortgang von Behrwalde fortdauernd kraenkelte, oft wochenlang bettlaegerig war, verminderte sich zunaechst die Korrespondenz und sie hatte, da sich Ileisas Stolz gegen die ungerechte Behandlung aufgelehnt, gegenwaertig ganz aufgehoert.-- Das naechste bedeutsame Ereignis war die Wiedererkrankung der Frau von Klamm. Ihr Zustand wurde so bedenklich, dass sich Alfred taeglich zu ihr herausbegab. Es war an einem Tage am Ende des Sommers, als er abermals, von Sorge getrieben nach Gruenhagen fuhr, um ihr seine liebevollen Empfindungen an den Tag zu legen. Schon im Flur teilte ihm die Magd mit, dass es heute grade sehr schlecht stehe, und mit zitterndem Herzen trat Klamm zu seiner Mutter ins Schlafgemach und liess sich an ihrem Bette nieder. Und sie streckte die Hand aus und sprach mit einem Ausdruck von Verzicht in den kranken Zuegen, der dem eindrucksvollen Mann das Innere zerschnitt: "Sei nicht traurig; weine nicht, mein teurer Alfred. Wir werden allerdings getrennt, aber dir bleiben die Erinnerungen an die guten Stunden, die wir zusammen verleben durften, und ich finde Erloesung. Der Tote ist immer der Gluecklichere. Da er keine Seele mehr besitzt, so entbehrt er nichts und leidet auch nicht mehr. "Ist es nicht das hoechste Streben und der Wunsch eines jeden, das zu erreichen? "Mir wird das Sterben nicht schwer, weil ich mit der Sicherheit davongehe, dass du--soweit ein Mensch sorgenfrei werden kann--es geworden bist. Fandest du insbesondere in deiner Ehe kein Genuege, denke an andere und vergleiche! Sobald wir vergleichen, gelangen wir zu der Einsicht, dass wir es doch noch besser haben, als tausende. "Ich haette deine Frau gern noch einmal gesehen, aber sie zu rufen, wird zu spaet sein. Gruesse sie von mir und sage ihr, dass ich mit waermsten Gefuehlen von ihr Abschied genommen habe. "So, und nun kann ich nicht mehr sprechen. Kuesse mich, mein Herzensjunge. Gott breite seinen vollsten Segen ueber dich aus." Gegen Morgen war sie dann wirklich verschieden. Aber nach Verlauf von vier Wochen hatte sich etwas gleich Bedeutsames zugetragen. Es war Klamm ein Brief zugegangen mit folgendem Inhalt: "Hochverehrter Herr von Klamm! Ich mache Ihnen die Mitteilung, dass meine Tante gestern nacht gestorben ist, und frage Sie durch diese Zeilen, ob es Ihnen moeglich sein wuerde, nach Hamburg zu kommen, um mir zur Seite zu stehen. Ich bitte darum, weil ich voellig allein bin. Die Familie Knoop hat sich schon seit Wochen nach Madeira begeben, und wenn ich sie auch wirklich erreichen koennte, so wuerden sie doch deshalb nicht zurueckkehren. Auch Margarete ist nach einem Influenzaanfall so leidend--um ihretwillen haben Knoops ihr Gut in Holstein verlassen--dass sie nicht zu mir reisen kann. Sie waere sonst sicher zu mir geeilt. Ich wage diesen Anspruch an Sie zu erheben, weil Sie mir in Ihrer grossen Guete bei unserer letzten Begegnung sagten, dass Sie--wann immer ich Sie riefe--da sein wuerden. Ihre Ileisa von Knoop." Klamm hatte den Brief in dem Augenblick gelesen, als der auch ferner im Geschaeft verbliebene Adolf ihm einen Herrn aus dem Ministerium gemeldet. So legte er vorlaeufig das Schreiben zu anderen, eben von ihm durchgesehenen Korrespondenzen, obschon es ihm noch durch den Sinn ging, dass es besser sei, grade dieses Schriftstueck wegzuschliessen. Unter den Anspruechen, die dann an ihn herantraten, und die ihn Stunden lang und laenger als sonst in Atem hielten, blieben die Eingaenge auf dem Pulte liegen. Sie wurden auch von Klamm--da er mit einem Lieferanten in der Druckerei zu thun hatte und sich mit diesem in der Naehe in ein Restaurant nach geschehener Ruecksprache begab--spaeter nicht entfernt. Er besorgte selbst die Depesche an Ileisa nach Hamburg, in der er ihr mitteilte, dass er bereits abends abreisen und sie in der Fruehe sogleich aussuchen werde. Klamm hatte, als er gegen fuenf Uhr zu Tisch kam, Adelgunde, die zur Beerdigung seiner Mutter nach Berlin zurueckgekehrt war, an diesem Tage noch nicht gesehen. Sie stand sehr spaet auf, waehrend er stets frueh wach und in Thaetigkeit war. "Ich werde heute abend eine Reise antreten," warf Klamm, nachdem er seine Frau gelassen gegruesst, nach bereits verzehrter Suppe hin. "Auch werde ich einige Tage fortbleiben, denke jedoch Ende der Woche zurueckzukehren." "Ich weiss es--ich weiss alles," entgegnete Adelgunde, die ihm schon mit sehr verschlossener Miene gegenueber gesessen, mit ausdruckslosem Gesicht. "Du weisst es?! Was weisst du?" "Ich suchte dich in deinem Kontor auf, fand dich nicht, aber einen offen daliegenden Brief von der Person in Hamburg, den ich las--" "Du liest Briefe ohne Erlaubnis.--Darueber muss ich mich wundern--" Statt diesmal etwas zu entgegnen, sah Adelgunde ihren Mann erst mit einem kurzen Blick an. Dann legte sie die Serviette beiseite, lehnte sich in ihren Stuhl zurueck, bedeckte ihr Angesicht und brach, waehrend sich Thraenen aus ihren Augen loesten, in die Worte aus: "Wie war ich einst gluecklich--und wie ungluecklich fuehle ich mich heute." "Ja, wir beide," bestaetigte Klamm mit mueder, trostloser Stimme. Da der Diener in diesem Augenblick erschien, wussten sie ihre Erregung zu verbergen. Nachdem er aber gegangen, stand Klamm, gleichsam in besserem, mildem Besinnen auf, zog seine Frau auf das Kanapee und sprach: "Warum peinigen wir uns gegenseitig, Adelgunde? Wollen wir nicht einmal frei mit einander reden, damit wir beide zur Ruhe gelangen koennen? Du sagst, du seist nicht gluecklich. Warum bist du es nicht, da ich dich doch ganz gewaehren lasse--" Sie zog die Schultern wie jemand, der reden moechte, aber die Sprache nicht findet. Klamm aber fuhr fort: "Und da du mich nicht mehr liebst, entbehrst du auch nach der Richtung nichts mehr. "Du kannst mich doch nicht mehr lieben, denn selbst die lebhafteste Empfindung erlischt, wenn sie keine Nahrung empfaengt. Ich gestehe zu, dass ich dir nichts biete. Aber ich kann nicht geben, was ich nicht besitze." Adelgunde bewegte mit der Miene tiefster Bitterkeit das Haupt. Dann stiess sie heraus: "Ah! Ich begreife! Da du heute zu ihr reisen willst, nimmst du die Gelegenheit wahr, mich fuer immer zu verabschieden." Klamm sah seine Frau, mit sanftem Vorwurf im Auge, an. "Nein!" entgegnete er dann. "Ich verband mit meiner Bitte gar keine Nebengedanken. Ich wollte nur mit dir ueberlegen, welchen Modus wir jetzt, nach deiner Rueckkehr, nach Mamas Tode, waehlen koennten, uns nicht zu trennen, aber nebeneinander ohne Verstimmung einzurichten. Und ferner: Von mir wird der Vorschlag, ganz auseinander zu gehen, niemals gemacht werden." "Und weshalb nicht?" "Meine Dankbarkeit gegen dich verbietet es. Es waere ein Akt groesster Undankbarkeit--" "Das verstehe ich nicht. Du koenntest, wenn dieses Gefuehl so maechtig in dir ist, es doch auch in anderer Weise zum Ausdruck bringen--" "Zum Beispiel, Adelgunde?" Klamm sprach freundlich und einlenkend. "Dass du dich bemueht haettest, mich gluecklich zu machen, Alfred--" "That ich es, thue ich es nicht, Adelgunde?" "Kann ich mich gluecklich fuehlen, wenn du eine andere liebst?" Einen Augenblick zauderte Klamm mit der Antwort, dann erwiderte er: "Ich lebe doch nicht mit der, von welcher du sprichst. Ich naehere mich ihr niemals. Bei unseren Begegnungen haben uns zwar unsere Gefuehle ueberwaeltigt, aber dabei ist es geblieben.--Wir haben nicht einmal korrespondiert." "Ich glaube dir, Alfred. Aber du liebst sie doch--und mich liebst du nicht--" Nun zog er die Schultern. "Wollen wir uns nicht einmal sachlich verstaendigen, Adelgunde. Ich wiederhole Vorhergesagtes." Sie nickte ernst. "Wohlan, ja, sprich, Alfred." "Sage mir erst mit einem unverbruechlichen Wort der Wahrheit, ob du dir in der Ehe mit mir nichts vorzuwerfen hast? Kamst du keinem Mann in deinen Gedanken, keinem durch deine Handlungen entgegen? Ich fordere von dir dieselbe Wahrhaftigkeit, die ich dir eben bewiesen." Erst sah sie ihn forschend, misstrauisch, aber auch aengstlich an, dann erwiderte sie: "Du weisst, wie ich bin.--Ich interessiere mich fuer Maenner--" "Das ist keine richtige Antwort, Adelgunde. Ich frage dich auf Ehre und Gewissen: "Interessierst du dich nicht in ungewoehnlich starker Weise fuer Herrn Arthur von Knoop. Warst du nicht in Paris wiederholt mit ihm zusammen? Hat er dir nicht Avancen, ja einen Antrag gemacht? Mir ist das von mehreren Seiten mitgeteilt--" Adelgunde zuckte zusammen und statt zu antworten, liess sie sich neben ihm nieder, umschlang seine Knie, sprach auch jetzt nicht, aber weinte und schluchzte bitterlich. "Ach, was werde ich hoeren muessen," stiess Klamm heraus. Und dann: "Sprich, was es auch sei. Ich bitte dich, Adelgunde. Es ist bei dir dein bester Freund auf der Welt trotz alledem! Er wird alles verstehen und sicherlich alles--vergeben koennen." "Nein, nein--nein, das--das kannst du nicht--" Sie war wie zerschmettert. Als ob die Kraefte versagten, die Glieder zu regieren, dem Koerper zu gebieten, so lag sie da. "Rede--rede--ich bitte dich noch einmal," draengte Klamm guetig. "Du weisst ja alles, Alfred--" Ein kurzer Laut ging aus Klamms Munde. Dann sprach er: "Nun wohlan! Aber wenn es so ist, so verstehe ich nicht, dass dir die Trennung von mir so schwer wird. Jetzt brauche ich ja nicht mehr zu fragen, ob du mich noch liebst! Jetzt erweise ich dir ja einen Dienst, wenn ich sage: loesen wir unsere Ehe." "Ach, Alfred, ich liebe dich ja doch, liebe dich ja tausendmal mehr, als jeden anderen Menschen, wenn ich mein besseres Ich finde, wenn ich still und ruhig, nicht im Rausch des Vergnuegens bin. Aber jetzt, jetzt--nachdem ich die Treue gegen dich verwirkte--bleibt mir ja nichts anderes, als dich zu bitten, dass du--mich--frei giebst." "Armes Weib--arme Frau--Ich wollte, ich koennte dir helfen.--Ich wollte, ich koennte dich gluecklich machen. Glaubst du, dass ich mit dir fuehle, Adelgunde--?" "Ja--ja," seufzte sie mit immer noch abgewendetem Gesicht.--"Ich glaube alles von dir, was gut, nachsichtig, gross, menschlich und gerecht ist. Grade weil du, obschon auch bisweilen ein irrender Mensch, alle deine Gedanken auf das Ernste, Massvolle, wahrhaft Gute gerichtet hast, muss ich dich ja lieben, kann ich das Gefuehl fuer dich nicht aus meinem Herzen reissen." "Rege dich nicht auf, Adelgunde! Beantworte mir aber noch eine Frage: Ich stelle sie, um zu ueberlegen, ob ich dir in deinem Sinne zu helfen vermag--" "Nun ja, ich bitte?" bestaetigte sie und nahm, jetzt ihr Angesicht trocknend, ihm gegenueber im Sofa Platz. "Ihr wollt euch also heiraten--?" "Ich habe ihm noch keine Zusage gegeben. Wie koennte ich--" "Er draengt dich aber?" Adelgunde nickte. "Und du meinst, dass ihr fuer einander passt?" Sie zog die Schultern. "Ich finde bei ihm gleichen Sinn und gleiche Interessen. Das zieht mich an. Er besitzt eine eiserne Gesundheit, einen unverwuestlichen Gleichmut, einen Cynismus, der mich nicht nur nicht stoert, sondern anzieht. Er hat ein vorteilhaftes Aeusseres, er weiss sich in der Gesellschaft zur Geltung zu bringen. Er ist klug und ist geschickt in allen Dingen, die die Kreise, in denen ich leben moechte, schaetzen." "Hm--aber er ist kalt--sehr kalt, Adelgunde. Wie hat er sich gegen seine Frau benommen--" "Sie langweilte ihn--sie ist ein Tugendspind--sie ist phlegmatisch, ohne Temperament--sie liebte ja auch dich, nicht ihn." Adelgunde wollte noch mehr sagen, sie war im Begriff, einen Ausfall gegen Ileisa zu machen, aber Klamm liess sie nicht dazu gelangen. Er sagte: "Wenn du nun aber dasselbe in der Ehe erlebst, wie Ileisa, Adelgunde--?" Sie stiess an mit einem herbklingenden Laut. Dann erwiderte sie in einem wehmuetig ernsten Ton: "Gewiss, es kann kommen, dass er auch mich vernachlaessigt. Aber habe ich dann weniger, als jetzt? "Wir leben doch auch nur nebeneinander! Aber Arthur von Knoop wird mich nie in der Ausuebung meiner Neigungen hindern, wir werden--ich wiederhole es--in dieser Beziehung voellig harmonieren. Es giebt keine Menschen, die nach der Richtung besser fuer einander passen." "Hm--so waeren wir uns denn einig.--Du willst von mir gehen--?" "Ich will nicht, du willst, Alfred--und nun muss ich, da ich mich--deiner--unwert gemacht--" Sie sprach die Worte mit tief herabgesenktem, demuetigem Blick, abgebrochen, voll Scham und Zerknirschung. Und Klamm sprach: "Ich will dir nichts vorwerfen und ich will dir nichts nachtragen. Ich will mich in deine Lage hineinversetzen und denken, ich sei es selbst, dem zu verzeihen waere. Das ist meine Antwort! "Ueber alles weitere, ueber das wann und wie wollen wir uns in voelligem Frieden verstaendigen.--Lasse uns jetzt speisen. Komm! Ich muss noch meine Geschaefte besorgen, packen--ich kann das arme Weib in Hamburg nicht ohne Hilfe lassen. Finde dich darein.--Noch einmal! Komm!" "Ich kann nichts essen, Alfred! Aber ich will dir danken, du guter, edler Mensch." Sie umschlang ihn und kuesste ihn wie eine Braut. Und ihn durchzog's, und alle Schauer des Mitleids drangen auf ihn, aber auch jene Empfindungen, die uns trotz alles Kaempfens beschleichen, wenn wir die Liebkosungen einer Frau--dulden, statt ihrer zu begehren. * * * * * Klamm sass in der Vorstadt Hamm bei Hamburg Ileisa in dem Wohngemach einer aeusserst eleganten und bequem eingerichteten Villa gegenueber. Er war, wie er es beabsichtigt und gemeldet hatte, am Abend abgereist, und hatte sich nach kurzer Morgenruhe in Streits Hotel sogleich nach Hamm aufgemacht. Das Wesentlichste, das zur Bestattung gehoerte, war schon von Ileisa besorgt worden. Nach Ueberwindung der ersten Erschuetterung und des ersten Schmerzes, hatte sie sich aufgerafft und die notwendigen Vorkehrungen getroffen. Klamm war auch schon mit ihr ins Sterbezimmer getreten. Die alte Dame, deren ganzes Leben eigentlich nur in der Sorge fuer andere bestanden, und eben doch dieses ihr Schicksal, sanft ergeben, getragen, hatte dagelegen wie eine Schlafende. Ein Ausdruck stillen Friedens hatte ihre Mundwinkel umschwebt; nichts von dem Abstossenden, das sonst meist der Tod mit sich fuehrt. Ileisa aber war bei ihrem Anblick in bittre Thraenen ausgebrochen, und anfaenglich war's Klamm kaum moeglich gewesen, sie zu besaenftigen. Spaeter liess er sich berichten, wodurch der Tod herbeigefuehrt sei, was der Kranken gefehlt habe. "Sie hat wohl mehr der Gram getoetet, als koerperliches Leiden," erklaerte Ileisa. "Sie konnte es weder ueberwinden, dass so schnell alles ausgeloescht war, was sie sich als mein Glueck gedacht, noch vermochte sie sich mit ihrer feinen Seele, ihrem Stolz und ihrer sittlichen Auffassung darin finden, dass mich Knoops fortan fast ganz wie eine laestige Zugabe ansahen und behandelten, statt als Verwandte, als Opfer der Unbestaendigkeit ihres Sohnes. "Sie warfen und werfen--je laenger die Zeit--die Schuld an allem, was eingetreten, auf mich. Sie versetzten sich nicht einen Augenblick in die Lage einer geschiedenen Frau, die zwar nun zu leben hatte, aber naturgemaess in einen menschenscheuen, weltverachtenden und lebensmueden Zustand geraten war." "Und Fraeulein Margarete?" fragte Klamm. "Sie ist so leidend, dass man an ihrer Wiedergenesung zweifelt, ja, sie ist wohl ueberhaupt aufgegeben. Sie schleppt sich nur noch als unheilbare Lungenkranke nach der Influenza, an der sie fortdauernd in schwerster Weise gelitten, hin. Wenn mich etwas schmerzt, wenn mich etwas ausser dem Hinscheiden meiner Tante traurig macht, so traurig, dass ich jeden Tag daran denken und mich sorgen muss, so ist es das Schicksal dieser meiner Freundin. Sie ist ein wahrhaft vortreffliches Maedchen, Sie wissen es, Herr von Klamm. Und sie war mir wie eine treue Schwester." "Hm," stiess Klamm nachdenklich heraus. "Wenn ich bedenke, wie gluecklich die Familie Knoop war, und was aus ihnen nach Aufgabe ehrlicher Arbeit geworden ist! "Die Alten voll tiefster Enttaeuschung, voll sehnsuechtigen Verlangens nach dem "Einst", die Tochter sterbend--der Sohn--der Sohn.--Was wissen Sie von ihm, Frau Ileisa?" "Nichts--gar nichts! Bei dem formellen Scheidungsakt haben wir uns noch einmal gesehen und gesprochen. Da gab er mir die Hand und sagte in seiner kalt nuechternen Weise: 'Lebe wohl! Moege es dir gut gehen,' dann ging er, ohne mich auch nur noch einmal anzusehen. Er behandelte die Angelegenheit ganz wie ein nun einmal nicht zu umgehendes, moeglichst rasch zu Ende zu fuehrendes Geschaeft. Er ist ein Mensch, der nur sich kennt, der nichts respektiert, aber allerdings auch sich selbst nicht. "In dieser Hinsicht ist er aeusserst objektiv, er ist durchaus nicht im Unklaren ueber sich. Er giebt der Wahrheit die Ehre, spielt keine Komoedien. Und das war's ja auch, das mich seinerzeit anzog, wodurch es kam, dass ich meiner Tante glaubte, die mir zuredete und einbildete, ich koenne auf ihn einwirken. Er war anders, als der Durchschnitt. Er besass Konsequenz und Willen, wennschon er, wie sich herausgestellt hat, lediglich die Pfade bequemer Selbstsucht und Genusssucht beschritt. "Nachdem er mich abgethan hat, wird er, ich bin dessen sicher, eine moeglichst vorteilhafte Partie zu machen suchen. Er will gut leben und hoechstens bei Spekulationen einmal seinen Kopf in die Weiche legen!" Klamm hatte Ileisa mit grosser Spannung zugehoert. Als sie geendet hatte, sagte er. "In der letzteren Annahme irren Sie sich durchaus nicht, Frau Ileisa. Was sie voraussetzen, ist schon unterwegs." Und waehrend er den Eindruck in Ileisas Mienen beobachtete, schloss er: "Arthur von Knoop wird in nicht zu langer Frist--meine Frau heiraten." "Wie? Sprechen Sie die Wahrheit?" brachen die Worte aus dem Munde der Frau, waehrend ihre Wangen erbleichten, ein eigenes Feuer aber in ihren Augen aufleuchtete.-- * * * * * Zwei und einhalb Jahre waren nach den geschilderten Vorgaengen verstrichen. Je nach ihrem Thun und Treiben, nach den auf ihr Innenleben von aussen einwirkenden Geschehnissen, war den einzelnen das Dasein als ein Wandeln in einer gluecklichen Welt oder als eine Last erschienen. Wo die Anforderungen gering, die erkenntliche Empfindung fuer des Himmels Zuwendungen lebhafte, wo Pflichtuebung und Arbeit die Grundlagen gewesen, hatten sich die Menschen zufrieden gefuehlt. Wo die Sucht nach fortwaehrenden Abwechslungen und Zerstreuungen den Hauptinhalt des Denkens und Handelns gebildet, hatten sich Unbefriedigung und Ueberdruss eingestellt. Nach ihren Charakteren hatte sich aller Schicksal vollzogen. Das zielbewusste Streben Klamms hatte seinen Lohn empfangen. Seine Hoffnungen hatten sich erfuellt. Er war Herr des Geschaeftes, dem er sein ganzes Interesse von vorneherein zugewendet, geworden, und neben ihm, als seine Frau, lebte Ileisa. Sie ging ganz in ihm auf. Ihr Augenmerk richtete sich von frueh bis spaet auf ihn und ihre Obliegenheiten. Sie war sein rechter Kamerad und sein bester Freund geworden. Wie er es wollte, so war es gut. Was er vornahm, passte auch ihr.-- Arthur hatte Frau von Klamm geheiratet und ihr Vermoegen eingezogen. Nur ein groesserer Teil war auf ihren Wunsch und bestimmten Willen dem Zeitungs- und Druckereigeschaeft geblieben; Klamm verzinste es ihr. Das Gut war verkauft. Dagegen hatte Klamm eine Villa in Wannsee erworben, in der sein guter Geschmack und sein praktischer Sinn, von Ileisa unterstuetzt, einen vollendeten Ausdruck gefunden. Nebenan hatten sich Milans angebaut. Auch Arthur lebte mit seiner Frau gut. Sie fand an seiner Seite die volle Moeglichkeit, das Dasein zu geniessen. Sie hatten beide den gleichen Ehrgeiz, eine Rolle zu spielen, und fanden ihre Rechnung. Ihm half sein kalter, und ihr ihr leichter Sinn ueber das fort, was sich allen Menschen einmal stoerend in den Weg stellt. Zu Streit und Scenen kam es zwischen ihnen schon deshalb nicht, weil jeder den anderen gewaehren liess. Auch bewahrte ihn sein Egoismus und sein kuehles Temperament davor, eine gewisse Grenze jemals zu ueberschreiten, und Adelgunde besass doch zu viel sittlichen Fond und soviel Erfahrung, um sich nicht auf Abenteuerlichkeiten einzulassen, die ihren Ruf und ihres Mannes gesellschaftliche Stellung gefaehrden konnten. Knoops hatten ihre Tochter Margarete verloren. Nachdem Arthur noch am Grabhuegel seiner Schwester gestanden, auch eine Aussoehnung zwischen ihnen stattgefunden, waren sie auf ihr Gut in Holstein zurueckgekehrt. Hier lebten sie mit Nachbarn, die zu ihnen passten. Unter dem Adel eine Rolle zu spielen, hatte Herr von Knoop voellig aufgegeben. Er suchte sich den Umgang von Personen, die, wie er jetzt, ganz in ihren Interessen fuer die Landwirtschaft aufgingen, und deren einfacher Sinn zu seinem im Grunde einfachen Naturell, und besonders zu der Richtung seiner Frau passte.---- Unter den Briefen, die Alfred von Klamm eines morgens auf seinem Tisch im Fruehstueckszimmer in der Stadtvilla vorfand, erregte ein Schreiben seine und auch Ileisas Aufmerksamkeit im hohen Grade. Es lautete: "Hochverehrter Herr von Klamm! Ich liege seit elf Wochen bereits in Bethanien im Lazaret. Ich habe einen Knochenfrass im Koerper, dessen Ende nur der Tod sein kann. Ich bitte Sie flehentlich um Unterstuetzung! Vergessen Sie Vergangenes, beruecksichtigen Sie, ich bitte, dagegen, dass ich indirekt mit Anlass gewesen bin, dass Sie erreicht haben, was Sie heute--ein Gluecklicher nach allen Richtungen--Ihr eigen nennen! Und um dieser Thatsache und um der edlen Gesinnung willen, die Ihnen eigen, wage ich, Ihnen diese Zeilen zu schreiben. Der Edle verzeiht, wenn er sieht, dass sein Nebenmensch in Qualen dahinsiecht. Sie sind ein solcher, und ich bin ein armer Elender! Keiner hilft mir! Mein Neffe Arthur hat mir auf alle meine vielen Briefe nicht geantwortet! Mein reicher Bruder beruft sich auf einen endgueltigen Verzichtschein, den ich ihm einst ausstellte. So habe ich niemanden auf der Welt, als meinen einstigen groessten Feind! Er wird mich, ich weiss es, nicht umsonst flehen lassen. Weisen Sie mir, ich bitte, hochverehrter Herr von Klamm, woechentlich eine Summe an, bis ich in die Gruft gesenkt werde. Lange werde ich Ihnen nicht laestig fallen. Der mich behandelnde Arzt, Herr Doktor Stroeber, wird Ihnen bestaetigen, dass alles strenge Wahrheit, was ich Ihnen sage. Ich lege die Bescheinigung bei. Ich segne Sie im voraus als Ihr dankbarer Theodor Knoop." "Und was willst du thun?" warf Ileisa hin und blickte ihren Mann fragend an. "Ich werde seine Bitte erfuellen! Es giebt nur einen Richter, der das Recht besitzt, zu richten, und er wird ausnahmslos sanft und guetig vergeben. Sollte sein Geschoepf nicht um so mehr ohne Schwanken stets dazu bereit sein?" Sie sah ihn an. Dann stand sie auf, naeherte sich ihm und umschlang ihn. Sie sprach nicht, aber er wusste, was sie sagen wollte, und jenes Gefuehl der Selbstachtung durchdrang ihn, das eines der glueckseligsten und befriedigendsten ist, die in der menschlichen Brust emporzukeimen vermoegen. End of Project Gutenberg's Charaktere und Schicksale, by Herrmann Heiberg *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK CHARAKTERE UND SCHICKSALE *** ***** This file should be named 12927.txt or 12927.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: https://www.gutenberg.org/1/2/9/2/12927/ Produced by Project Gutenberg Distributed Proofreaders Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. 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