Project Gutenberg's Ueber das Aussterben der Naturvoelker, by Georg Gerland This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org Title: Ueber das Aussterben der Naturvoelker Author: Georg Gerland Release Date: November 12, 2004 [EBook #14028] Language: German Character set encoding: ASCII *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK NATURVOELKER *** Produced by PG Distributed Proofreaders UeBER DAS AUSSTERBEN DER NATURVOeLKER VON DR. GEORG GERLAND, LEHRER AM KLOSTER U. L. FR. ZU MAGDEBURG. LEIPZIG, VERLAG VON FRIEDRICH FLEISCHER. 1868. SEINER EXCELLENZ DEM HERRN GEHEIMEN RATH H.C. VON DER GABELENTZ. Vorwort. Die Frage nach dem Aussterben der Naturvoelker ist bis jetzt nur gelegentlich und nicht mit der Ausfuehrlichkeit behandelt, welche die Wichtigkeit der Sache wohl verlangen kann. Am genauesten ist Waitz auf sie eingegangen in seiner Anthropologie der Naturvoelker Bd. 1, 158-186; aber da auch er sie nur anhangsweise bespricht und in dem Zusammenhang seines Werkes nicht mehr als nur die Hauptgesichtspunkte angeben konnte und wollte; da er ferner manches nur andeutet oder ganz uebergeht, was von grosser Wichtigkeit ist, so erscheint es durchaus nicht ueberfluessig, die Gruende fuer dies "raethselhafte" Hinschwinden selbstaendig und moeglichst genau von neuem zu eroertern. Namentlich die psychologische Seite des Gegenstandes hat man bisher ueber die Gebuehr vernachlaessigt; sie wird deshalb in den folgenden Blaettern besonders betont werden muessen. Das Material zur Beantwortung der Frage, die uns beschaeftigen soll, findet sich zerstreut in einer grossen Menge von Reisebeschreibungen, ethnographischen und anthropologischen Werken. Da es mir aber darauf ankam, einmal--denn nur strengste Empirie kann uns bei unserer Frage foerdern--meine Saetze durch getreue Quellenangabe zu stuetzen, und andererseits, dass die angefuehrten Citate nicht allzuschwer zugaenglich seien, um nachgeschlagen werden zu koennen, so habe ich mich, wo es moeglich war, auf Werke gestuetzt, die weiter verbreitet sind, und den Quellennachweis nur da weggelassen, wo das Gesagte in allen Reisewerken sich gleichmaessig findet. Dass ich das schon erwaehnte ausgezeichnete Werk meines nur allzufrueh verstorbenen Lehrers Waitz, die Anthropologie der Naturvoelker, sehr reichlich benutzt habe, wird man nicht tadeln; man findet dort die oft sehr schwer zugaenglichen Quellen in kritischer Auswahl beisammen--und wozu werden solche grundlegenden Werke geschrieben, wenn man nicht auf ihnen weiterbaut? Ich stelle hier der Uebersicht und des bequemeren Citirens wegen die Werke zusammen, welche ich als Belege benutzt habe, ohne die mit anzufuehren, welche nicht oefters citirt sind. Einige, welche ich gern gehabt haette, sind mir unzugaenglich geblieben. Angas, Savage life in Australia and N. Zealand. London 1847. Australia felix. Berlin 1849. Azara, Reise nach Suedamerika in den Jahren 1781-1801 (Magazin der merkw. neuen Reisen. Bd. 31. Berlin 1810). Bartram, Reisen durch Karolina, Georgien und Florida 1773. (eb. 10. Band). Berlin 1793. Beechey, Narrative of a voyage to the Pacific (1825-28). London 1831. Behm, Geographisches Jahrbuch. 1. Theil 1866. Gotha 1866. Bennett, Narr. of a whaling round the globe 1833-36. London 1840. v. Bibra, Schilderung der Insel Vandiemensland bearbeitet v. Roeding. Hamburg 1823. Bougainville, Reise um die Welt 1766-69. Leipzig 1772. Bratring, Die Reisen der Spanier nach der Suedsee. Berlin 1842. Breton Excursions in N.S. Wales, W. Australia and V. 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Umfang des Aussterbens Sec. 2. Empfaenglichkeit der Naturvoelker fuer Miasmen. Krankheiten, welche spontan bei der Zusammenkunft der Natur- und Kulturvoelker entstehen Sec. 3. Direkt eingeschleppte Krankheiten Sec. 4. Behandlung der Kranken bei den Naturvoelkern Sec. 5. Geringe Sorgfalt der Naturvoelker fuer ihr leibliches Wohl Sec. 6. Charakter der Naturvoelker Sec. 7. Ausschweifungen der Naturvoelker Sec. 8. Unfruchtbarkeit. Kuenstlicher Abortus. Kindermord Sec. 9. Krieg und Kannibalismus Sec. 10. Menschenopfer Sec. 11. Verfassung und Recht Sec. 12. Natureinfluesse Sec. 13. Aeussere Einfluesse der hoeheren Kultur auf die Naturvoelker Sec. 14. Psychische Einwirkungen der Kultur Sec. 15. Schwierigkeit fuer die Naturvoelker, die moderne Kultur sich anzueignen Sec. 16. Behandlung der Naturvoelker durch die Weissen. Afrika. Amerika Sec. 17. Fortsetzung. Der stille Ozean Sec. 18. Geographische Vertheilung der einzelnen Gruende fuer das Aussterben der Naturvoelker. Vergleichung dieser Gruende in Bezug auf ihr Gewicht Sec. 19. Vergleichung der Natur- und Kulturvoelker in Bezug auf ihre Lebenskraft Sec. 20. Aussterbende und ausdauernde Naturvoelker Sec. 21. Die afrikanischen Neger Sec. 22. Folgerungen aus der Art, wie die Naturvoelker von den Kultur behandelt sind Sec. 23. Zukunft der Naturvoelker; Mittel sie zu heben Sec. 24. Werth der Naturvoelker fuer die Menschheit und ihre Entwickelung. Schluss Sec.1. Einleitung. Umfang des Aussterbens. Die Erscheinung, dass eine Reihe von Voelkern vor unseren Augen durch langsameres oder rascheres Hinschwinden ihrem Untergang entgegengeht, ist eine ueberaus wichtige. Dass sie fuer die Geschichtsforschung grosse Bedeutung hat, leuchtet ohne weiteres ein; dass sie fuer die Naturgeschichte des Menschen, die Anthropologie entscheidend ist, ebenfalls. Und wenn es sich als wahr bestaetigt, dass, wie man behauptet hat, diese Voelker aus einer Lebensunfaehigkeit, welche ihrer Natur anhaftet, dem Aufhoeren entgegengehen; so ist, da die nothwendige Folgerung jener Behauptung dahin fuehrt, dass man verschiedene Arten, hoehere und niedere im Geschlecht Mensch annimmt, die Beantwortung dieser Frage auch fuer die Philosophie massgebend. Praktisch hat man sie von jeher in den Staaten betont, wo Weisse mit Farbigen zusammenleben; wie man eben die Theorie der geringeren Lebensfaehigkeit nicht weisser Racen zuerst in diesen Staaten aufgestellt hat. Und allerdings ist es auffallend, dass nur farbige Racen dies Hinschwinden zeigen und am meisten es da zeigen, wo sie mit der weissen in Beruehrung gekommen sind; dass die Weissen, obwohl sie doch ihre Heimat, das gewohnte Klima u.s.w. aufgegeben haben und in unmittelbarer Beruehrung mit denen leben, welche in ihrem Vaterlande, scheinbar unter den alten Lebensbedingungen, verkommen, gaenzlich davon verschont zu sein scheinen. Waehrend wir nun dies Hinschwinden hauptsaechlich bei den kulturlosen Racen, bei den Naturvoelkern, d.h. bei den Voelkern finden, welche dem Naturzustande des Menschengeschlechtes noch verhaeltnissmaessig nahe stehen (Waitz 1, 346), oder bei welchen, um mit Steinthal zu reden, noch keine bedeutende Entwickelung der logischen Faehigkeiten stattgefunden hat: so sehen wir es doch ebenfalls auch da, wo farbige Racen sich zur Kultur und sogar zu einer gewissen Hoehe der Kultur emporgeschwungen haben, in Polynesien, in Mexiko, in Peru, und man hat daher geschlossen, einmal dass diese Kultur doch nur Halbkultur und wenig bedeutend gewesen sei, denn waere sie wahr und ganz gewesen, so wuerde sie groessere Kraft verliehen haben: oder aber, dass bestimmte Racen, auch wenn sie sich wirklich ueber das Niveau der gewoehnlichen "Wilden" erhoben haetten, dennoch einem fruehen Tode entgegengingen, weil sie nun eben von der Natur zum Aussterben bestimmt seien, weil es ihnen eben, in Folge ihrer Raceneigenthuemlichkeit, an Lebensfaehigkeit fehle, welche keine Kultur ersetzen koenne: vielmehr decke jede Art von Kultur diesen Mangel nur um so mitleidsloser auf. Allerdings gibt es auch farbige Racen und Naturvoelker, bei welchen an ein Aussterben nicht zu denken ist; und andererseits sind auch Theile von Kulturvoelkern, indogermanische, semitische Staemme verschwunden und ausgestorben. Allein bei letzteren redet man nicht von einer geringeren Lebensfaehigkeit, einmal wegen der Verwandtschaft dieser Staemme mit den anerkannt lebensfaehigsten Voelkern der Welt; andererseits auch wegen der Art ihres Verschwindens. Denn der Grund, warum sie aufgehoert haben zu existiren, liegt klar auf der Hand; theils sind sie durch Krieg vernichtet, wie so viele Voelker, welche mit dem alten Rom kaempften, theils sind sie mit anderen Kulturvoelkern, die sie rings umgaben, verschmolzen, wie die Gothen, die Vandalen, theils trat beides zugleich ein: die hoehere Kulturstufe, welche sie besiegte, nahm die besiegten Reste in sich auf, wie die alten Preussen, die Wenden und so viele slavische Voelkerschaften durch und in Deutschland, die Iberer, die Kelten durch und in das roemische Wesen verschwanden. So war auch zweifelsohne das Loos der Voelker, welche vor der Einwanderung der Indogermanen Europa inne hatten. Anders aber ist das Hinschwinden der Naturvoelker: wo sie mit hoeherer Kultur zusammenkommen, auch da, wo diese letztere sich friedlich gegen sie verhaelt, sehen wir sie von Krankheiten ergriffen werden, ihr physisches und psychisches Vermoegen versiechen, und ihre Zahl, oft ausserordentlich rasch, sich vermindern. Allerdings sind auch einzelne Naturvoelker aufgerieben oder doch stark vermindert durch ganz aeusserliche und leicht begreifliche Gruende: so namentlich viele malaiische Staemme, welche durch nachrueckende verwandte Voelker ins Gebirge zurueckgedraengt und dabei gewiss ebenso so stark vermindert worden sind, als durch ihr gleiches Schicksal die Basken in Europa, waehrend sie in ihren Bergen sich in ziemlich gleichbleibender Anzahl halten; so die Bewohner der Warekauri-(Chatam-) Inseln bei Neu-Seeland, die Moreore. welche 1832-35 noch 1500 etwa betrugen, durch die Neu-Seelaender aber, die in jenen Jahren einen Zug nach den Warekauriinseln unternahmen, fast ganz ausgerottet sind, so dass ihre Zahl jetzt nur noch 200 betraegt: und auch diese nehmen, durch Assimilation an die eingewanderten Maoris rasch ab (Travers bei Peterm. 1866, 62). Auch muessen wir hier die schwarze Urbevoelkerung Vorderindiens, die dekhanischen und Vindhyavoelker erwaehnen, weil auch sie nach Lassen (ind. Alterthumskunde 1, 390) allmaehlich abnehmen. Frueher waren sie weiter ausgebreitet und einzelne Reste von ihnen scheinen sich (Lassen a.a.O. 387 ff.) in Himalaya, in Belutschistan, Tuebet und sonst erhalten zu haben. Sie wurden durch die nachrueckenden arischen Inder und gewiss nicht friedlich in die Gebirge zurueckgedraengt (Lassen 366), wo sie nun theils im barbarischen Zustande weiter lebten, theils aber, und so namentlich die suedlicheren Dekhanvoelker, in die indische Kultur uebergingen (Lassen 364. 371). Ein aehnliches Schicksal hatten verschiedene amerikanische Staemme, die von anderen maechtigeren Indianervoelkern theils aufgerieben, theils sich einverleibt wurden; auch wird von einzelnen Hottentottenvoelkern eine aehnliche Vermischung mit Kafferstaemmen erwaehnt (Waitz 2, 318). Doch scheinen auch manche Voelker vermindert oder gar verschwunden, ohne es in Wirklichkeit zu sein. Ein solcher Schein ist hervorgerufen, wie Waitz 1, 159-160 zeigt, theils durch Umaenderung von Namen, wo man nun faelschlich annahm, weil der Name nicht mehr existire, so sei auch das Volk erloschen, oder durch Irrthuemer der Reisenden, indem sie manche Namen zu weit ausdehnen, andere aber auf voelligem Missverstaendniss beruhen, oder durch falsche Schaetzung der Volkszahl, wie man sie oft sehr uebertrieben, namentlich bei aelteren Reisenden, z.B. fuer Polynesien bei Cook, findet u. dergl. Ehe wir nun aber die Gruende fuer jenes weniger leicht zu erklaerende Hinschwinden der Naturvoelker aufsuchen, muessen wir den Umfang desselben betrachten, wobei wir ausser Europa alle Welttheile zu beruecksichtigen haben. In Asien sterben aus oder sind schon ausgestorben die Kamtschadalen und so rasch ging ihre Verminderung vor sich, das Langsdorff (1803-4, Krusensterns Begleiter) Ortschaften, welche die Cooksche Expedition und La Perouse noch wohl bevoelkert sahen, voellig menschenleer fand. Wenn La Perouse 1787 auf der Halbinsel im ganzen noch 4000 Bewohner fand (2,166), so sind die russischen Einwanderer in dieser Zahl, bei der trotzdem auf mehrere Quadratmeilen kaum ein Mensch kommt, schon einbegriffen. Denn Cooks Reisebegleiter (1780) fanden, nach den Mittheilungen eines dort ansaessigen Offiziers in Kamtschatka nur noch 3000 Einwohner, wobei die Kurilen schon mitgerechnet sind; sie erzaehlen selbst, wie sich die Eingeborenen immer mehr mit den einwandernden Russen verbinden und ihre Zahl dadurch immer mehr abnimmt (Cook 3. R. 4, 175). La Perouses Reisegefaehrte Lessep (41) behauptet, dass nur noch ein Viertel der eigentlichen Kamtschadalen uebrig sei; und er war noch nicht ein volles Jahrhundert nach der ersten Unternehmung der Russen (1696) gegen Kamtschatka dort. Dasselbe Schicksal haben ausser den Jakuten und Jukagiren in Sibirien Waitz, (1, 164) auch die Aleuten auf den Fuchsinseln und die ihnen verwandten Staemme auf den naechsten Kuesten von Amerika, die wir hier gleich erwaehnen, weil auch sie wie die Kamtschadalen unter demselben Drucke Russlands stehen. Langsdorff fand auf den Fuchsinseln nur gegen 300 Maenner, waehrend er fuer 1796 1300 und fuer 1783-87 gar 3000 und mehr angibt. Das Steigen der Zahlen, welches wir im Anfang dieses Jahrhunderts finden, ist keineswegs troestlich. Denn wenn Chamisso (177, zweite Note) nach aktenmaessigen Mittheilungen fuer 1806 die Aleuten der Fuchsinseln auf 1334 Maenner und 570 Frauen, 1817 dagegen auf 462 Maenner und 584 Frauen angibt, so versieht er erstlich diese allerdings auffallenden Zahlen selbst mit einem Fragezeichen; und zweitens, wenn sie auch richtig sind, Langsdorff sich geirrt und die Volkszahl sich nicht durch russische Einwanderer vermehrt hat: das Sinken der Bevoelkerung von 1806-1817 ist gewiss eben so arg als wie wir es bei Langsdorff geschildert finden. Der offizielle Bericht von 1860 bei Peterm. 1863, 70 gibt 4645 Bewohner der Fuchsinseln an: allein hier sind jedenfalls die Russen, welche jetzt auf den Inseln ansaessig sind, mitgezaehlt, obwohl die Mischlinge, 1896 Seelen, noch besonders angegeben werden und diese Vermehrung, welche sich auf Kamtschatka gleichmaessig findet, ist nur eine scheinbare. Bekannt ist das Aussterben der Ureinwohner Amerikas, deren Zahl man in Nordamerika fuer die Zeit der Entdeckung etwa auf 16 Millionen, jetzt kaum noch 2 Millionen schaetzt (Waitz b, 16). 1864 betrug die Zahl der Indianer in den Vereinigten Staaten etwa 275,000; 1860 zaehlte man noch 294,431; 1841 aber, auf kleinerem Gebiete 342,058 Seelen, so dass sich also hier in 23 Jahren ein Verlust von nahezu 70,000 Menschen herausstellt (eb. 18). Noch geringere Zahlen gibt Behm (105 ff.) an, naemlich 268,000 unabhaengige Indianer fuer die Vereinigten Staaten, 155,000 fuer britisch Nordamerika. Und waehrend d'Orbigny (1838) fuer den von ihm bereisten groesseren Theil von Suedamerika 1,685,127 Indianer zaehlte (Waitz b, 16). so stellt Behm auch hier geringere Zahlen auf: Brasilien hat nach ihm (a.a.O.) 500,000 unabhaengige Indianer, die drei Guyanas 9770, Venezuela 52,400, Neu-Granada 126,000, Ekuador 200,000, Peru 400,000, Bolivia 245,000, Chile 10,000, die Staaten der argentinischen Republik 40,000, Patagonien und Feuerland 30,000, also zusammen 1,613,170 und zwar fuer ganz Suedamerika. So viel aber betrug allein die Bevoelkerung von Chile zur Zeit der Entdeckung (Poeppig 385 Anmerkung) nach einer der kleinsten Annahmen. Mittelamerika hatte um 1800 zwei und eine halbe Million unvermischter Ureinwohner und diese Zahl war im Wachsen (Humboldt a 1, 107); aber zur Zeit der Entdeckung betrug die Volkszahl in Tenuchtitlan, der alten Hauptstadt von Mexiko und dem ihm nahe gelegenen Tezkuko allein nach mittleren Angaben fast eine Million und das Land war dicht bedeckt mit grossen und volkreichen Staedten. Behm nimmt als jetzige unabhaengige Urbevoelkerung nur 6000 an (a.a.O.), eine Zahl, welche gegen Humboldts Angaben ausserordentlich gering ist: allein Behm schaetzt hier nur die Indianer ab, "welche sich den Behoerden vollstaendig entziehen", waehrend Humboldt auch die Eingeborenen mitbegreift, welche sich am europaeischen Leben so gut wie die spanischen Mexikaner betheiligen. Behm (114) schaetzt diese auf 4,800,000. Natuerlich geht dies Aussterben auch jetzt noch weiter, wofuer v. Tschudi 2, 216 ein Beispiel gibt: die Malalies, ein araukanischer Stamm, 1787 noch ueber 500 Individuen stark, schmolzen in jener Zeit durch Kriege auf 26 Seelen zusammen. Obwohl sie nun 70 Jahre lang ansaessig sind und ungefaehrdet gelebt haben, ist ihre Zahl doch nicht hoeher als auf einige ueber dreissig gestiegen. In Afrika sind es die Hottentotten zunaechst, welche in den Kreis unserer Betrachtung hineingehoeren. Waehrend sie frueher sich weit hin in das Innere von Suedafrika ausdehnten und in eine zahlreiche Menge von einzelnen Staemmen zerfielen, finden wir sie jetzt auf sehr viel kleinerem Gebiete und aufgerieben bis auf 3 Staemme, die Korana, Namaqua und Griqua (Waitz 2, 317 ff.), deren Zahl fortwaehrend im Fallen ist. Auch die Kaffern muessen hier erwaehnt werden, denn im brittisch Kafraria hat sich 1857 die Bevoelkerung um mehr als die Haelfte vermindert: sie betrug am Anfang des Jahres 104,721 Seelen und am Ende desselben nur noch 52,186 (Peterm. 1859 S. 79 nach dem Population Return v. John Maclean Chief Commissioner): nach Behm jedoch (100) 1861 74,648 Eingeborene. Es bleibt uns nun noch Australien und Ozeanien zu betrachten uebrig, wo an vielen Orten die Bevoelkerung rasch hinschwindet, so namentlich in Neuholland. Doch ist es gerade fuer dies Land schwer, ja ganz unmoeglich, Zahlen aufzustellen, weil die Staemme fortwaehrend hin- und herziehen und daher alle Zahlangaben sehr wenig zuverlaessig sind (Grey 2, 246). Die, welche Meinicke a 177 aufstellt, beweisen dies zur Genuege, und selbst die bei Behm (72) sind nicht sicherer. Nur von Suedaustralien, Queensland und Viktoria hat er bestimmte Zaehlungsergebnisse und so ist seine Gesammtziffer 55.000 nur eine sehr ungefaehre. Alle Quellen aber berichten einstimmig, dass die Bevoelkerung wenigstens der Kuesten reissend abnimmt; dass Staemme, welche frueher nach Hunderten zaehlten, jetzt vielfach bis auf ebenso viel Zehner zusammengeschmolzen sind. Die Bevoelkerung Tasmaniens betrug 1843 noch 54 Individuen, 1854 noch 16 (Nixon 18) und ist jetzt wohl ganz ausgestorben. Wenn auch nicht so reissend, so vermindern sich doch auch die Melanesier an verschiedenen Gegenden ihres Gebietes: so nach Reina (Zeitschr. 4., 360), die Voelker der kleinen Inseln in der Naehe von Neuguinea: so nach D'Urville 5, 213 die Bewohner von Vanikoro, nach Turner 494 die Eingeborenen der neuen Hebriden, wie z.B. die Bevoelkerung von Anneitum 1860, welche Turner auf 3513 Seelen schaetzt, 1100 Menschen durch eine Masernepidemie verlor (Muray bei Behm 77) und die von Erromango 1842 durch eine gefaehrliche Dysenterie um ein Drittel vermindert wurde (Turner a.a.O.); und so finden sich noch verschiedene Angaben zerstreut. In Mikronesien ist die Bevoelkerung der Marianen, welche bei Ankunft der Spanier 1668 mindestens 78,000 Einwohner gehabt haben, fuer die aber auch 100,000 durchaus nicht zu hoch gegriffen ist (Gulick 170) gaenzlich ausgestorben. Schon um 1720 hatten die Inseln (und zwar nur noch die beiden suedlichsten) nicht mehr als etwa 2000 Einwohner, und von diesen waren sehr viele von den Philippinen her verpflanzte Tagalen. Ponapi (Puynipet, Ostende der Karolinen) hatte nach Hale (82) 15.000 Bewohner, welche Annahme vielleicht etwas, aber nicht viel zu hoch ist[A]; jetzt hat sie (Gulick 358) noch 5000, Kusaie (Ualan) hatte 1852 12-1300, 1862 nur noch 700 Menschen (Gulick 245). In Polynesien betrug auf Tahiti die Bevoelkerung zu Cooks Zeiten (1770) etwa 15-16,000 Seelen (G. Forster nach einer spanischen Beschreibung von Tahiti a.d. Jahre 1778 ges. Werke 4,211, Bratring 104, welcher derselben Quelle folgt oder wenigstens einer nahe verwandten). Dieselbe Zahl fand Wilson noch im Jahre 1797; Turnbull (259) gibt nur 5000 an im Jahre 1803, Waldegrave bei Meinicke b, 113 6000 fuer 1830 und Ellis 1, 102 fuer 1820 etwa 10,000, welche Zahl Virgin auch fuer 1852 angibt (2, 41). Moegen auch diese Zahlen unbestimmt und schwankend und Turnbulls Angaben negativ uebertrieben sein: so viel ist sehr klar, dass seit der Entdeckung durch die Europaeer die Entvoelkerung dieser Insel, welche indess nach den Aussagen der Eingebornen (Virgin 2, 41) schon frueher begonnen hatte, rasch fortgeschritten ist; bis unter die Haelfte der frueheren Kopfzahl sinken die Angaben. Auf den uebrigen Societaetsinseln war das Verhaeltniss (Meinicke a. a. O.) ein aehnliches. Auch jetzt scheint das Aussterben, obwohl langsamer, fortzugehen: der offizielle franzoesische Bericht fuer 1862 gibt fuer Tahiti 9086 Bewohner an (Behm 81). Auf Laivavai, einer der Australinseln, betrug die Bevoelkerung 1822 mindestens 1200, 1830 nur noch etwa 120 und 1834 kaum noch 100 Seelen (Moerenhout 1, 143). Guenstiger ist Meinickes Schaetzung, welcher auf der ganzen Gruppe Ende 1830 etwa 5000 Seelen, fuer 1840 nur noch 2000 annimmt (a.a.O. 114). Rapa schaetzte Vankouver 1795 auf 1500 Einwohner, Moerenhout (1, 139) 1834 nur noch auf 300 und diese waren in stetem Abnehmen. Auch die Herveygruppe, welcher Ellis 1, 102 10-11,000 Bewohner gibt, ist jetzt viel minder zahlreich bewohnt, namentlich Rarotonga, welches durch eine furchtbare Seuche im hoechsten Grade gelitten hat (Williams 281). Ganz ebenso schlimm ist es in Hawaii, wo nach Ohmstedt 262, die Bevoelkerung in den Jahren 1832-36 von 130,000 auf 102,000 Seelen, also in 4 Jahren um 28,000 Seelen gesunken ist! Mag Ohmstedt nun auch Recht haben, dass die Bevoelkerungsziffer fuer 1836 zu gering ist, weil eine Menge Geburten nicht angezeigt worden sind: so ist das Hinschwinden trotzdem ganz ausserordentlich, zumal die Insel zu Cooks Zeiten, der 400,000 Einwohner angibt, wohl an 300,000 nach Jarves Berechnung (373) hatte. Die Zahlen bei Meinicke (b, 115-16 nach der Sandwich Isl. gazette) sind zwar nicht genau dieselben, das Verhaeltniss der Abnahme aber bleibt, auch wenn wir ihnen folgen, unveraendert. Nach Virgin 1, 267 hatte die Hawaiigruppe 1823 etwa 142,000 Seelen, 1832 noch 130,313, 1836 108,579 und 1850 betrug die Zahl nur noch 84,165! also in 78 Jahren hat sich die Bevoelkerung um ein Drittel gemindert und die Zahl der Geburten verhielt sich zu den Todesfaellen wie 1:3! Auch jetzt noch schreitet die Verminderung fort: die Zahl der Eingeborenen betrug nach dem Census von 1860 nur 67,084 Seelen (Behm 85). Auch auf dem Markesasarchipel, dessen Bevoelkerung nach Meinicke (b, 115) 22,000 Menschen betraegt, ist ein Hinschwinden bemerkt: so verlor Nukuhiva (Rodriguet in Revue de 2 mondes 1859 2, 638) von 1806-12 zwei Drittel seiner Bevoelkerung durch Hungersnoth. Auf Neu-Seeland betraegt die Abnahme der Bevoelkerung in den letzten 14 Jahren etwa 19-20 Percent; 1770 betrug sie etwa 100,000 und 1859 noch 56,000 (Hochstetter 474, nach Fenton). Nach offiziellen Berichten im Athenaeum (Zeitschr. 9, 325), welche zu Hochstetters Angaben nicht ganz stimmen, war die Zahl der Eingebornen 1858 87,766, und zwar, auffallend genug, 31,667 Maenner und 56,099 Frauen. Dagegen treffen die offiziellen Berichte von 1861 (Meinicke c 557) mit Hochstetter ueberein: denn sie geben 55,336 Eingeborene an. Letzteres ist wohl das richtigere. Nach Fenton (Reise der Novara 3, 178) verhielten sich bis gegen 1830 die Sterbefaelle und Geburten zur Gesammtbevoelkerung wie 1: 33,04 und 1: 67,12. Auf Samoa nimmt nach Erskine 104 die Bevoelkerung, 37,000 Seelen, gleichfalls ab, und zwar soll die Abnahme nach den Berichten der Missionaere in 10 Jahren auf einer Insel von 4000 bis zu 3700 oder 3600 vorgeschritten sein (eb. 60). Auch die Pageh auf Engano, ein den Polynesiern aehnlicher malaiischer Stamm auf einer kleinen Insel suedlich von Sumatra sterben aus nach Wallands Urtheil, der auf der Insel eine aeusserst geringe Kinderzahl vorfand--nur fuenf im Ganzen (Zeitschr. 16, 420). Sec. 2. Empfaenglichkeit der Naturvoelker fuer Miasmen. Krankheiten, welche spontan bei der Zusammenkunft der Natur- und Kulturvoelker entstehen. Indem wir uns nun anschicken, die Gruende fuer dies Hinschwinden aufzusuchen, wollen wir zuerst vernehmen, wie man sich ueber die Lebensunfaehigkeit dieser Staemme geaeussert hat. Poeppig (386) sagt von Amerika: "Es ist eine unbezweifelte Thatsache, dass der kupferfarbene Mensch die Verbreitung europaeischer Civilisation nicht in seiner Naehe vertraegt, sondern in ihrer Atmosphaere ohne durch Trunk, epidemische Krankheiten oder Kriege ergriffen zu werden, dennoch wie von einem giftigen Hauche beruehrt ausstirbt. Die zahlreichen Versuche der Regierungen haben Sitte und Buergerthum unter jener Race nie einheimisch machen koennen, denn ihr fehlt die noethige Perfektibilitaet. Dieser Mangel macht die durchdachten und menschenfreundlichen Plaene der Erziehung zu nichte und rechtfertigt den Vergleich jener Menschheit mit jener eine eigenthuemliche Physiognomie tragenden, aber niederen Vegetation, die das dem Meere entstiegene Land zuerst in Besitz nimmt, aber in dem Masse wie hoeher ausgebildete und kraeftigere Pflanzen sich entwickeln, sich vermindert und zuletzt auf immer verschwindet. Wie sehr das menschliche Gefuehl sich gegen eine solche Annahme straeubt, so glauben wir doch in den Amerikanern _einen von der Natur selbst dem Untergang geweihten_ Zweig unseres Geschlechtes zu sehen. In den leer gewordenen Raum tritt eine _geistig vorzueglichere_, beweglichere, aus dem Osten stammende grosse Familie. Wie diese ihrer Bestimmung zur allgemeinsten Verbreitung gehorsam sich ausdehnt und die entlegensten Wildnisse sich unterwirft, so legt die Urbevoelkerung sich zum Todesschlafe nieder und verschwindet selbst aus dem Gedaechtnisse des neuen Volkes. In weniger als einem Jahrhundert wird vielleicht die Forschung ueber die ersten Bewohner eines ganzen Welttheils dem Gebiete der Archaeologie ueberwiesen werden muessen, und dann erst wird das Tragische und Raethselhafte ihres Schicksals begriffen (?) und tief empfunden werden." So schrieb 1840 ein deutscher Gelehrter, der lange Reisen in Amerika gemacht hatte. Auch Carus Phantastereien von Tag-, Nacht- und Daemmerungsvoelkern (17 ff.) gehoeren hierher; seine westlichen Daemmerungsvoelker, "sie, die wirklich dem Untergange zugewendet sind und ihrem Verloeschen mehr und mehr entgegengehen", sind die Amerikaner; seine Nachtvoelker, welche sich "ueber Afrika ausdehnen und hinab gegen Sueden ueber Australien (!), Van Diemensland und einen Theil von Neuseeland (als Papus!!) erstrecken", stehen noch tiefer in ihrer geistigen Entwickelung und Faehigkeit. Ganz aehnlicher Ansicht ueber die Neuhollaender, wie Poeppig ueber die Amerikaner, scheint Meinicke zu sein, nur dass er sich verhuellter ausdrueckt; doch nennt er sie einen "dem Untergang _geweihten_" Volksstamm (c 522) und spricht hier n. a 2, 215 von ihrer "gaenzlichen Unbildsamkeit". Viel direkter hat man von der Unbildsamkeit, von dem nothwendigen Untergang, von der geringen Lebensfaehigkeit der tieferstehenden und mangelhaft organisirten Racen in Amerika (Waitz 3, 45) und den Kolonieen in Afrika, Neuholland und Polynesien gesprochen; da man denn sich auch weiter kein Gewissen machte, den Untergang, welchem diese Racen nun doch einmal geweiht seien, damit auf ihren Truemmern sich das bessere Leben hoeherstehender Racen entwickeln koenne, mit allen Mitteln beschleunigen zu helfen. Aber auch vorurtheilsfreie Forscher sehen in diesem Hinschwinden etwas Raethselhaftes, so Waitz 1, 173, wenigstens in Beziehung auf Australien und Polynesien, da hier eine Hauptursache der Entvoelkerung, welche in Amerika so wirksam war, der Druck durch die Weissen, in Polynesien ganz wegfalle, in Australien wenigstens nicht weitgreifend gewirkt habe. "Begreiflicher Weise, faehrt er jedoch fort, ist das Aussterben eines Volkes, das frueher kraeftig und gesund gewesen ist, nicht damit erklaert, dass man ihm die Lebenskraft abspricht oder einen urspruenglichen Mangel der Organisation zuschreibt, und es hat an sich schon etwas sehr Unbefriedigendes fuer eine so seltene und abnorme Erscheinung einen geheimnissvollen Zusammenhang anzunehmen, dem sie ihre Entstehung verdanke; man wird vielmehr hier wie ueberall nach dem natuerlichen Zusammenhange der Sache zu suchen haben, wenn man sich auch schliesslich zu dem Gestaendnisse genoethigt finden sollte, dass es bis jetzt nicht gelingen will, denselben vollstaendig aufzuklaeren." Wir wollen sehen, ob wir zu diesem Gestaendniss genoethigt werden. Auch Darwin (2, 213) sieht bei diesem Aussterben, fuer welches er viele natuerliche Gruende anfuehrt, auch "noch irgend eine mehr raethselhafte Wirksamkeit" thaetig. "Die Menschenracen, sagt er, scheinen auf dieselbe Art aufeinander zu wirken, wie verschiedene Thierarten, von denen die staerkere die schwaechere vertilgt." Er macht darauf aufmerksam, dass fast bei jeder Beruehrung der Naturvoelker und der Weissen, oft auch von Staemmen ein- und desselben Volkes, welche in verschiedener Gegend wohnen, seuchenartige Krankheiten entstehen, oft bei voelliger Gesundheit der Schiffsmannschaft und der von ihr besuchten Voelkerschaft, "von denen alsdann vorzugsweise die niedere von beiden Racen oder die der Eingeborenen, welche in ihrem Lande von Fremden aufgesucht werden, zu leiden hat" (Waitz 1, 162). Und hierzu lassen sich die Beispiele allerdings haeufen. So sagt Humboldt (a 4, 392), dass in Panama und Calao der Anfang grosser Epidemien des gelben Fiebers "am haeufigsten durch die Ankunft einiger Schiffe aus Chile bezeichnet werde", obwohl doch Chile selbst eines der gesuendesten Laender der Welt sei und das gelbe Fieber gar nicht kenne; aber die schaedlichen Folgen der ausserordentlich erhitzten und durch ein Gemisch von faulen Duensten verdorbenen Luft, an welche die Organe der Eingeborenen gewoehnt seien, wirkten maechtig auf Individuen aus einer kaelteren Region. Aehnlich verhaelt es sich mit dem Ausbrechen des gelben Fiebers in Mittel- und Nordamerika, das eingeschleppt zu haben so haeufig die eine der genannten Gegenden Besuchern aus der anderen vorwirft (Humboldt a.a.O. 384). Die "grausame Epidemie" von 1794, wo Verakruz ungewoehnlich heftig vom gelben Fieber heimgesucht war, fing an mit der Ankunft dreier Kriegsschiffe (eb. 423). Ebenso schreiben die Einwohner Egyptens das Ausbrechen der Pest der Ankunft griechischer Schiffe zu und umgekehrt die Bewohner Griechenlands und Konstantinopels egyptischen (eb. 384), wobei keineswegs immer an eine Einschleppung zu denken ist. Auf Rapa (Australinseln) traten toedtliche Krankheiten nach dem Besuch von englischen Schiffen auf, welche die Haelfte der Eingeborenen dahinrafften (Moerenh. 1, 139); auf Tubuai (Australinseln) ward die Bevoelkerung durch Krankheiten, welche mit der Mission 1822 auftraten, auf die Zahl von 150 heruntergebracht (eb. 2, 343). Raivavai, welches 1822 noch 1200 Einwohner hatte, besass 1830 etwa noch 120 durch gleiches Schicksal (eb. 1, 143). Williams (283-84) spricht es als seine eigene Erfahrung aus, dass die meisten der Seuchen, die er in der Suedsee erlebte, durch Schiffe, deren Mannschaft ganz gesund sei und nur auf ganz erlaubtem, gewoehnlichem Wege mit den Eingeborenen verkehrte, veranlasst wurden. Das erste Zusammentreffen zwischen Europaeern und Eingeborenen, sagt er, ist fast immer mit dem Fieber, mit Dysenterie u. dergl. bezeichnet; so starb auf Rapa die Haelfte der Eingeborenen aus; so entstand die furchtbare Seuche auf Rarotonga (Herveyinseln), die er 282 schildert. Ganz dasselbe sagt Virgin 1, 268; "Auch nur kurze Besuche von Fahrzeugen haben auf den Inselgruppen der Suedsee Krankheiten von mehr oder minder verderblicher Natur verursacht, die sich sogar erst laengere Zeit nachher gezeigt haben. Es hat sich dies auch sogar zugetragen, ungeachtet die Besatzung der Schiffe vollkommen gesund war und die Krankheiten sind nicht stets solche gewesen, welche moeglicherweise durch eigentliche Ansteckung mitgetheilt werden konnten oder welche in Europa zu denen gehoeren, deren Beschaffenheit in der Regel mehr oder weniger toedtlich ist." Von Tahiti erzaehlt Bratring 145, dass 1775 bei der Anwesenheit der Spanier unter Boenechea ein ansteckendes Katarrhalfieber ausbrach. Nach Cooks Besuch litt die Insel unter Dysenterie (Moerenh. 2, 425) und die Tahitier selbst schrieben schon um 1800 alle Krankheiten den Beruehrungen mit fremden Schiffen zu (Turnbull 266). Beechey 1, 94-95 berichtet Aehnliches von den Inseln Pitkairn. Bei regnichtem Wetter und bei gelegentlichen Besuchen von Schiffen, sagt er, leiden die Eingeborenen (eine Mischbevoelkerung von Tahitiern und Englaendern) staerker an Blutandrang (plethora) und Schwaeren als sonst; sie glauben ganz fest, dass diese Krankheiten durch den Verkehr mit ihren Gaesten, moegen diese selbst auch ganz gesund sein, herruehren. Das eine Schiff sollte ihnen Kopfschmerzen, ein anderes Scharbock, das dritte Geschwuere u.s.w. gebracht haben, wie sie denn auch von Beecheys Schiff, dessen Mannschaft ganz gesund war, aehnliches erwarteten: ja sie fuehlten schon Kopfweh und Schwindel. Beechey erklaert diese Zufaelle durch die Veraenderung ihrer Lebensweise waehrend solcher Besuche, da sie gegen ihre sonstige Gewohnheit dann viel Fleisch essen und reichlichere Kleidung tragen. Von Melanesien (Tanna) erzaehlt Turner 91 nach den Aussagen der Eingeborenen, welche alle Krankheiten, wie Fieber, Dysenterie, Husten u. dergl. "fremde Dinge" nennen, ganz Gleiches. Auch in Celebes (Waitz 1, 163) herrschte diese Meinung und ebenso auch bei den alten Marianern, welche nach jedem fremden (europaeischen) Schiff von einer Seuche heimgesucht zu werden behaupteten; so brachte 1688 ein Schiff von Mexiko, welches mit Verbrechern beladen an der Insel scheiterte, Rheuma, Fieber, Blutungen (le Gobien 376), und die Eingeborenen sahen alle Krankheiten als durch die Spanier eingeschleppt an (ebd. 140). Die Einwohner von St. Kilda (westl. v. d. Hebriden bei Schottl.) sind der festen Ansicht, fuer die sie eine lange Erfahrung haben, dass der Besuch eines Fremden ihnen Schnupfen bringe (Macculloch bei Darwin 2, 214). Nach dem medizinischen Theil der Novara Reise (1, 225) glauben die Eingeborenen der Nikobaren, dass die Kokosnuesse von den Baeumen fielen, sobald ein Missionaer die Insel betraete. So mag denn auch diese weitverbreitete Ansicht der Grund sein, weshalb in Ponapi, sobald ein Schiff in Sicht kommt, das Volk flieht und der Priester aufs Feierlichste die Goetter um Huelfe anruft (Gulick 175), wenn wir es hier nicht mit etwas Religioesem zu thun haben. Jedenfalls ist wohl zu beachten, dass die Naturvoelker vor der Bekanntschaft mit den Europaeern fast nichts von Krankheit wussten; weder die Marianer (le Gobien 140) noch die uebrigen Mikronesier (Chamisso) noch die Polynesier, von denen freilich die Neu-Seelaender, obwohl der Gesundheitszustand auch ihrer Insel im Allgemeinen trefflich war, von schweren Seuchen, die sie schon vor Cook heimgesucht haetten, erzaehlten (Dieffenbach 2, 12-14), noch die Neu-Hollaender, Hottentotten und Amerikaner (Waitz 1, 140-41). Fuer die Indianerstaemme steigert sich die Wirkung solcher Epidemien noch durch Folgendes, was v. Tschudi, einer der ausgezeichnetsten Kenner der amerikanischen Voelker, 2, 216 sagt: "Es ist eine hoechst eigenthuemliche Erscheinung, dass Indianerstaemme, die durch Krieg oder Epidemien ploetzlich sehr stark reducirt wurden, sich in der Regel nie wieder erholen und nur noch als wenig zahlreiche Familien gewoehnlich Jahrzehnte lang hinsiechen, bis sie endlich ganz aussterben. Bei ihnen tritt nicht mehr die Vermehrungsprogression ein, wie sie vor dem vernichtenden Schlage stattgefunden hatte, und bei anderen unter den naemlichen physischen Bedingungen lebenden Voelkern beobachtet wird. Meines Wissens ist dieses Verhaeltniss noch nirgends eroertert worden. Ich habe es bei einem genauen Studium der Geschichte der nord- und suedamerikanischen Indianer als Regel gefunden. Sehr verminderte Fruchtbarkeit des Weibes ist die Hauptursache: auf welchen physiologischen Einwirkungen sie aber beruht, ist wohl schwer zu ermitteln." Waitz freilich (1, 163) bringt Beispiele vom Gegentheil: die Creeks (nach Simpson), die Winibegs (nach Schoolcraft), die Apachen (Kendall) u.s.w. haben sich nach schweren Epidemien wieder erholt. Wir kommen hierauf zurueck. Man hat nun diese auffallende Erscheinung, dass Krankheiten durch Beruehrung gesunder, aber aus verschiedener Gegend oder Race stammender Menschen entstehen, zu erklaeren versucht. Darwin, der in Shropshire gehoert, dass gesunde Schafe, die aber auf Schiffen eingefuehrt wurden, in einem Pferch zu anderen gebracht, diese krank machen, Darwin meint, dass das Effluvium von Menschen--und wohl auch, nach dem letzten Beispiel, von Thieren--die lange Zeit eingeschlossen gewesen seien, giftig auf andere wirke, namentlich dann, wenn sie von verschiedenen Racen waeren (2, 214); eine Ansicht, welche indess weder von medizinischer Seite noch durch die Erfahrung bestaetigt wird. Will man sich aber mit Waitz dabei begnuegen zu sagen, dass beim Zusammentreffen verschiedener Racen, selbst bei voelliger Gesundheit beider, sich bisweilen Krankheiten erzeugen, welche dann meist die niedere Race ergreifen, so kommt einmal durch das Wort niedere Race leicht etwas Missverstaendliches in den Ausdruck, und andererseits wird nichts durch dies blosse Zusammenfassen der Erscheinung erklaert. Dazu kommt, dass z.B. der Bericht Humboldts ueber das gelbe Fieber in Panama und Callao sich ja auf gleiche Racen bezieht und eben so doch auch die Angabe Darwins von den Schafen. Und wenn man ferner die Geschichte der kultivirten Voelker betrachtet, so findet man eine aehnliche Erscheinung: eine neu auftretende Krankheitsform wuethet viel allgemeiner und verheerender, als eine fortwaehrend herrschende; so die Pest, der schwarze Tod, die Pocken, die Cholera u.s.w., die dann oft nach und nach verloeschen. Die Pocken aber hat man dadurch unschaedlich gemacht, dass man eine verwandte, aber unschaedlichere Krankheitsform einimpft. Es scheint also, als ob der menschliche Koerper um so empfaenglicher fuer ein Miasma oder einen Krankheitsstoff ist, je ferner und freier von demselben er frueher war. Ist er aber, wie bei der Pockenimpfung geschieht, durch ein Minimum des Giftes affizirt und dadurch anders disponirt worden, so dass er sich nun allmaehlich an jenen feindlichen Stoff gewoehnt, ihn der eignen Natur und die eigene Natur ihm einigermassen assimilirt hat: so hat er dadurch Faehigkeit zum Widerstand gegen die Krankheit gewonnen, da sie ja nun seiner Natur nicht mehr absolut feindlich ist; daher denn solche Seuchen nach und nach erloeschen, denn die Ueberlebenden werden nach und nach durch das Einathmen der miasmatischen Luft koerperlich selbst immer fester. Keineswegs hilft aber eine solche Gewoehnung fuer alle Zeit, wie ja auch die Pocken nach bestimmten Zeitraeumen von neuem eingeimpft werden muessen. Merkwuerdig, aber fuer uns wichtig genug ist, was Humboldt a 1, 92 ueber diese Krankheit in Mexiko sagt: "die Pocken scheinen ihre Verwuestungen nur alle 17 Jahre anzurichten. In den Aequinoktial-Gegenden"--ob das aber nicht in allen Gegenden oder wenigstens bei allen menschlichen Individuen auf gleiche Weise gilt?--"haben sie, wie das schwarze Erbrechen und mehrere andere Krankheiten, ihre festen Perioden, an denen sie sich regelmaessig wieder einfinden: und man moechte glauben, dass sich in diesen Laendern die Anlage der Eingeborenen fuer gewisse Miasmen nur in sehr weit von einander entfernten Perioden erneuert; indem die Pocken, deren Samen sehr oft von europaeischen Schiffen gebracht wird, nur in sehr ansehnlichen Zwischenraeumen epidemisch, aber auch dem Erwachsenen nur desto gefaehrlicher werden." Alles dies scheint sehr fuer unsere obige Annahme zu sprechen. Der Europaeer, der Civilisirte kommt nun fortwaehrend mit unendlich mehr Krankheitsstoffen und Miasmen, in den meisten Faellen ohne es selbst zu merken, in Beruehrung, als der im Naturzustande und der freien Natur lebende Mensch. Und nicht nur durch eigene Gewoehnung von Kindheit an, sondern auch durch Vererbung der Accommodation von Eltern und Grosseltern her hat er eine viel groessere Widerstandsfaehigkeit gegen solche schaedliche Einfluesse, als sie jemals frueher Isolirte und namentlich, wenn sie vielleicht schon erwachsen zuerst mit diesen Einfluessen in Beruehrung kommen, sich erwerben koennen. Hiergegen spricht nicht, wenn einzelne Individuen der Naturvoelker gesund etwa in Europa laengere Zeit gelebt haben. Denn in den meisten Faellen ist da eine Gewoehnung von Jugend auf eingetreten und jedenfalls sind alle solche Faelle wissenschaftlich nur dann zu verwerthen, wenn man die Geschichte des Besuchers, seine Natur, die Natur seines Volkes u.s.w. bis ins Einzelne verfolgen kann. Uebrigens gibt es auch Beispiele genug, dass solche Besuche ungluecklich abliefen: Liholiho, der Sohn Tamehameha I. und seine Gemahlin starben bei ihrem Aufenthalt in England, wo alle Sorgfalt ihnen zu Theil wurde, an den Masern bei raschem Verlauf der Krankheit; und der Prinz Libu, welchen Wilson gegen Ende des vorigen Jahrhunderts von den Palau-Inseln mit nach England genommen hatte und dort sehr sorgfaeltig pflegte, an einer aehnlichen Krankheit, kurz nach seiner Ankunft (Keate die Pelewinseln, Schluss). Jetzt beweisen solche Besuche um so weniger, als jetzt die meisten Voelker Bekanntschaft mit der weissen Race haben. Nach alledem wuerde es kein Wunder, nichts Raetselhaftes sein, wenn die Naturvoelker gegen solche Miasmen, die auch von ganz Gesunden ganz unbemerkt eingeschleppt werden koennen, um so empfaenglicher und empfindlicher sind, je weniger sie Schutz durch irgend welche Gewoehnung haben; daher denn solche Krankheiten, welche scheinbar unerklaerlich entstehen, mit einer Heftigkeit wuethen, wie, vor Zeiten die Pest. So erzaehlt Williams (280 ff.), dass bei jener Seuche auf Rarotonga von mehreren tausend Einwohnern kaum ein einziger ganz davon befreit blieb.--Die Krankheiten, welche am meisten so ganz spontan dem Schein nach entstehen, sind Dysenterie, Influenza, Fieber, Blutungen, Geschwuere, Husten und Hautkrankheiten. (Einige Belegstellen: Turner 91; Dieffenbach 2, 12-14; le Gobien 376; Beechey 1, 94-95.) Dass auch Geschwuere genannt werden, koennte auffallen. Die ausbrechenden Krankheiten richten sich jedenfalls theils nach den Miasmen, durch welche sie hervorgerufen sind, theils und wohl ganz besonders nach der Natur des Inficirten. Wie ja bei herrschenden Epidemien oder in der Naehe gefuellter Krankenhaeuser jede Krankheit, jede oft unbedeutendste Verwundung durch den giftigen Einfluss der Miasmen schlimmer werden, ja bis zum Tode fuehren kann, auch ohne in die herrschende Krankheitsform ueberzugehen: ebenso natuerlich ist es, dass sich solche eingefuehrten Miasmen gerade auf den Theil des inficirten Organismus werfen, welcher schon zuvor, in den meisten Faellen gewiss gleichfalls unbewusst, der schwaechste oder gerade bei der Einfuehrung des Miasma irgendwie erregt oder afficirt war. Auch erklaert es sich hieraus, wie bei gleichen Miasmen--vorausgesetzt, dass sie gleich sind; denn eine Schiffsmannschaft kann leicht verschiedene zugleich bringen--verschiedene Individuen, wie sich das gar nicht selten zeigt (z.B. bei Turner in Melanesien, bei le Gobien auf den Marianen, bei Beechey auf Pitkairn) verschiedene Krankheiten bekommen koennen. So erklaert sich das raethselhafte Faktum (welches als Faktum durch die sichersten und verschiedenartigsten Zeugnisse feststeht), dass eine gesunde Schiffsmannschaft gesunden Menschen Krankheiten bringen kann[B]. Dabei duerfen wir nicht unerwaehnt lassen, was Humboldt an sich und seinen Begleitern in Centralamerika beobachtete: "Es kommt haeufig vor, sagt er b 6, 142, dass sich bei Reisenden die Folgen der Miasmen erst dann aeussern, wenn sie wieder in reinerer Luft sind und sich zu erholen anfangen. Eine gewisse geistige Anspannung kann eine Zeitlang die Wirkung krankmachender Ursachen hinausschieben." Denn aus diesem Satze erklaeren sich manche Erscheinungen bei jenen spontanen Krankheiten der Naturvoelker--so darf man wohl, ohne Gefahr missverstanden zu werden, die Krankheiten nennen, welche nach der blossen Beruehrung mit den Kulturvoelkern, ohne direkte Einschleppung entstehen--Erscheinungen, welche sonst auffallen muessten. So, dass diese Uebel waehrend der Anwesenheit der Europaeer noch nicht verspuert werden, denn jene Schwindel- und Kopfwehanfaelle der Pitkairner noch waehrend Beecheys Besuch beruhten sicher, nach aecht polynesischer Art, auf anticipirender und uebertreibender Einbildung; dann, dass sie ungleich seltener bei feindlichem Zusammenstoss zweier Racen sich zeigen, welcher freilich meist auch von kuerzerer Dauer ist, als ein freundlicher Besuch. Auch scheint es, als ob das Durchmachen _einer_ Epidemie gegen Miasmen verschiedener Art abhaerte; wiewohl es gar nicht selten ist, dass ein und derselbe Volksstamm von mancherlei Seuchen nach einander (oder auch von derselben wieder) heimgesucht wird. Doch ist dann fast immer der erste Anfall der verheerendste. Jedenfalls aber haben wir hier die erste Ursache fuer das Aussterben der Naturvoelker: ihre leichte Empfaenglichkeit fuer Miasmen, welche die Kulturvoelker ohne Wissen und Willen und bei eigener Gesundheit, zu ihnen bringen; und die geringe Widerstandsfaehigkeit ihres Organismus gegen solche durch jene Miasmen entstehende Krankheiten. Sec. 3. Direkt eingeschleppte Krankheiten. Zu diesen eben besprochenen Krankheiten kommen noch andere hinzu, deren Mittheilung zwar auf demselben Grunde beruht, den wir im vorigen Paragraphen betrachteten, die aber doch, da man sie als direkt eingeschleppte allgemein betrachtet und nachweisen kann, fuer den Beobachter weit mindere Schwierigkeit bieten. Hierher gehoeren aber gerade die furchtbarsten Seuchen, welche die Naturvoelker betroffen haben; und kann man sich denken, wie verheerend sie auf die empfaenglichen Naturen jener Voelker wirkten. Nicht bloss Weisse haben sie eingeschleppt: auch einzelne Zweige desselben Stammes haben andere mit solchen Gaben bedacht. So ward ein boeser Aussatz von Polynesien aus Rapa nach Pitkairn verschleppt und den Bewohnern dieser Insel gefaehrlich; und andere gleiche Beispiele finden sich. Schlimmer aber ist, was die Weissen brachten, vor allen Syphilis und Blattern. Erstere Seuche ist zwar ueberall bekannt genug, wo die Europaeer hinkommen, und so also auch von Alters her in Afrika und Amerika, wo sie eingeschleppt wurde (in Californien nach Rollin, La Perouses Schiffsarzt bei La Perouse 2, 289; in Guyana nach Schomburgk 2, 336). Gefaehrlicher aber ist sie vor allen fuer die Polynesier geworden, denn hier beguenstigte ihre Mittheilung und Verbreitung die ausserordentliche Luederlichkeit dieser Voelker gar sehr; und da die Polynesier durch ihre Lueste vielfach entnervt waren, so wurden hierdurch auch die Formen dieser Krankheiten immer grauenvoller. Und so finden wir sie hier vom aeussersten Osten bis zum fernsten Westen. Auf Waihu (Osterins.) ist sie jetzt haeufig eingeschleppt von Europaeern (Moerenhout 1, 26). Auf Neu-Seeland findet sie sich, namentlich an den Kuesten, wo die Eingeborenen mit den Europaeern am meisten verkehren, und so schlimm, dass eine Menge Verwachsungen u. dergl. durch sie entstehen (Dieffenbach 2, 17-25). Auf Tonga hatte sie Cooks Mannschaft, wie Cook selbst erzaehlt dritte Reise 2, 390 eingeschleppt; doch kann sie hier nicht allzu heftig gewirkt haben, denn Mariner (2, 270) gibt an, dass durchaus nichts Syphilitisches sich auf der Gruppe finde und dass ein Fall, welcher auf franzoesischer Ansteckung beruhte, so rasch toedtlich verlief, dass er weiter keine Folgen hatte. Allein ob nicht die Art von Gonorrhoee mit ardor urinae, die er 268 als in Tonga heimisch erwaehnt, doch noch vielleicht von Cooks Mannschaft herstammte? Auch auf dem Gilbertarchipel und den Ratakinseln--denselben Inseln, wo Chamisso Anfang dieses Jahrhunderts so paradiesische Tage verlebte--ist die Syphilis und andere Seuchen durch europaeische Seeleute eingeschleppt (Meinicke Zeitschr. 398), wie denn ueberhaupt Mikronesien auch sonst sehr durch solche boesen Einwirkungen gelitten hat (Gulick 245). Aber am schlimmsten hat diese Seuche auf Tahiti und Hawaii gewuethet. In Tahiti ist sie so allgemein, dass fast jede Familie von ihr beruehrt ist (Moerenhout 1, 228-29); und schon um 1790 waren zwei Fuenftel der Insel venerisch (eb. 2, 425). Da nun diese entsetzliche Krankheit theils gar nicht, theils schlecht geheilt und behandelt wurde, so ward sie ein Hauptmittel fuer die Dezimirung der Eingeborenen (eb. 2, 405). Vankouver (1790) spricht von den Verheerungen, die sie unter den tahitischen Weibern angerichtet hatte (1, 111): sie musste also schon lange verbreitet sein und ist zweifelsohne gleich von den ersten Besuchern eingeschleppt, gleichviel ob von Wallis (Anfang 1767) oder Von Bougainville (1767, 15. Apr.), genug, Cook fand sie vor. Meinicke zwar (b, 118) versucht zu beweisen, dass dies Uebel in der Suedsee schon heimisch war, vor der Beruehrung mit den Europaeern: allein sein Beweis ist ihm nicht gelungen und seiner Hypothese stehen die gewichtigsten Autoritaeten entgegen, so Cook selbst fuer Tahiti (dritte Reise 2, 331) und fuer Hawaii (King ebendas. 4, 379), Turnbull (291) fuer Tahiti und so noch andere. Auch thut Meinicke nicht recht, das Zeugniss der Eingeborenen fuer so ganz nichtig zu halten; um so weniger, als die Tahitier nach Cook sehr bestimmt Bougainvilles Schiff als das bezeichneten, welches die verhaengnissvolle Gabe brachte, sich also keineswegs in allgemeinen Behauptungen hielten. Auch was Cook a.a.O. 390-91 ueber die Schwierigkeit, Ansteckung zu verhueten, die Gesundheit der eigenen Mannschaft zu ermitteln und die Leichtigkeit, mit der sich die Krankheit ausbreitet, und gewiss sehr richtig auseinandersetzt, spricht gegen Meinicke. Allerdings stuetzt dieser sich fuer die Sandwichgruppe auf den Umstand, dass, obwohl Cook zuerst nur auf Atuai und Onihiau landete, er gleichwohl schon neun Monate spaeter die Seuche auf Maui verbreitet fand--was auch La Perouse mit mehreren anderen Gruenden medizinischer Art, die aber nicht ganz stichhaltig erscheinen (1, 246, 276), als Grund gegen die Einschleppung durch Cook anfuehrt. Er schreibt die erste Verbreitung dieser Seuche den Spaniern zu, welche im 16. Jahrhundert oefters die Hawaiigruppe besucht haben. Wenn man nun auch auf die rasche Verbreitung der Krankheit, wie sie bei der Luederlichkeit und dem fortwaehrenden Verkehr der Eingeborenen nur zu moeglich war, hinweisen koennte, so ist uns das fuer unsere Zwecke gleichgueltig; genug die Seuche ist jetzt ueberall verbreitet in Polynesien und Meinicke gibt ja selbst zu, dass die Eingeborenen wenigstens die schwereren Formen des Unheils den Europaeern verdanken. Jedenfalls sind die Verheerungen, welche gerade diese Krankheit in Polynesien angerichtet hat, auch wenn es Meinicke nicht ganz zugeben will, entsetzlich genug, wie aeltere und neuere Schriftsteller einstimmig bezeugen. (Vergl. ueber Hawaii noch Virgin 1, 265; Rollin bei La Perouse 2, 271; ueber Tahiti Turnbull 291; Cook dritte Reise 2, 331). Doch scheint es, als ob in Tahiti sich jetzt (1852) der Gesundheitszustand wieder gehoben habe (Virgin 2, 41). Auch werden von frueher (Cook a.a.O. 2, 331) schon Beispiele erwaehnt, wo Infizirte, freilich selten genug, von selbst genassen. Nur in Tonga scheint, bei dem keuscheren Leben der Tonganer das Unheil wenigstens nach Mariners Bericht, nicht um sich gegriffen oder doch leichtere Formen nach und nach angenommen zu haben. Die Seuche ist auch unter den Eingeborenen von Neu-Holland verbreitet und auch hier will Meinicke (a 2, 179) die Annahme, sie sei ihnen von den Europaeern gebracht, als "aeusserst unwahrscheinlich" dadurch beweisen, dass bei der Gruendung der Colonie von Sydney und auch neuerdings diese Krankheit tief im Inneren des Continentes gefunden sei. Als ob das bei dem Wanderleben dieser Staemme auffallen koennte! als ob sie nicht schon vor der Gruendung der Colonie mit Europaeern und wahrlich nicht mit den reinsten in mannigfacher Beruehrung gewesen waeren! Den Aleuten, bei denen es Cook schon vorfand (dritte Reise 3, 265), und den Kamtschadalen ist dieses Unheil von den Russen, den Pelzhaendlern, mitgetheilt. Da nun aber die Kamtschadalen ebenfalls zu Ausschweifungen, sei es im Trunk, sei es in der Liebe, geneigt waren, so sind auch hier seine Folgen nicht ohne Gewicht fuer unsere Betrachtung. Bei weitem schlimmer, aber und allgemeiner haben die Blattern gewuethet, die schlimmste Geissel aller Naturvoelker. Am bekanntesten ist dies von Amerika, in dessen noerdlicher Haelfte sie zuerst um 1630 auftraten (Waitz b, 15). Neun Zehntel von den Nordindianern rafften sie hin; die Mandans starben 1837 fast ganz aus, die Schwarzfuesse schmolzen durch sie von 30-40,000 auf 1000 zusammen: aehnlich erging es anderen nordamerikanischen Staemmen, den Kraehenindianern, Minetarris, Cumanchen, Rikkaris; von den Omahas und den Eingeborenen des Oregongebietes erlagen ihnen zwei Drittel, von den Californiern die Haelfte (Waitz 1, 161). Aehnlich wuetheten sie unter den Voelkern von Suedamerika, den Indianern von Paraguay und Gran Chako, den Puelchen, den Cariben, den Araukanern, in Peru, am Maranon, in Guyana, wo ganze Voelkerstaemme durch sie aufgerieben sind. Nie aber sind sie, wie Humboldt b 4, 224 bezeugt, am oberen Orinoko aufgetreten, obwohl sie bei den Voelkern Brasiliens wieder ihre ganze Furchtbarkeit zeigten, bei den Chaymas, die 1730-36 von ihnen dezimirt wurden (Humboldt eb. 2, 180), bei den Chiquitas (Waitz 3, 533), welche schwer von ihnen zu leiden hatten. Nicht minder heftig aber traten sie bei den kultivirten Staemmen Amerikas auf. In Mexiko brachen, nach Torribio, die Pocken eingeschleppt durch einen Negersklaven 1520 zuerst aus und rafften gleich damals die Haelfte der Mexikaner hin (Humboldt a 1, 97); nach Herrera traten sie schon 1518 auf (Poeppig 373) und schon 1517 mit denselben Verheerungen, ohne jedoch einen Europaeer hinzuraffen, auf den Antillen, zu deren Entvoelkerung sie wesentlich beigetragen haben. Ueberall, in ganz Amerika, waren die Verwuestungen so arg, dass die Todten bisweilen unbeerdigt blieben, weil es an Haenden hierzu fehlte (Waitz b, 15). Man begreift es, dass, wenn die Pocken ausbrachen, die Indianer im aeussersten Entsetzen vielfach ihre Huetten verbrannten, ihre Kinder toedteten und in die Einsamkeit flohen (Humboldt b 4, 224); oder dass z.B. die Chilesen die Huette mit sammt den in ihr liegenden Kranken verbrannten (Waitz 1, 161). Waitz ist der Ansicht und wir stimmen ihm bei, denn alle Quellen sprechen dafuer, dass diese Krankheit zahlreichere Opfer forderte, als Krieg und Branntwein zusammengenommen; dass ihr gewiss die Haelfte bis zwei Drittel der Urbevoelkerung Amerikas erlegen sind. Allein nicht bloss auf Amerika beschraenken sich die Verheerungen der Pocken. 1767 brachen sie, eingeschleppt durch einen russischen Soldaten, in Kamtschatka aus und wuetheten wie die Pest: nicht weniger als 20,000 Kamtschadalen, Kuriler und Koriaeken sollen ihnen erlegen sein. Ganze Doerfer starben aus und Cooks Reisebegleiter fanden selbst noch eine Menge ganz leer stehender Doerfer vor. Ein anderes, vor der Epidemie mit 360 Menschen bevoelkert, hatte nachher noch 36 Seelen (Cook 3. Reise 4. 174-75). Aehnliche, wenn auch minder starke Epidemien traten 1800 und 1801 auf, welche gegen 5000 Kamtschadalen dahinrafften und bei dem schon lange immer mehr um sich greifenden Schwinden der Bevoelkerung so verheerend wirkten, dass in den Ostrogen (kleinen Doerfern des Inneren), welche vorher meist 30-40 Einwohner hatten, nachher meistens nur 8-10, in einigen wenigen 15-20 Bewohner uebrig blieben (Krusenstern 3, 49. 52. 2. Theil, 2. Abtheil. Cap. 8). Auf Neuholland brachen die Blattern zuerst 1789 aus und verwuesteten ganz Cumberland; 1830 verheerten sie, bis zur Nordkueste hin das Innere von Ostaustralien (Meinicke a 2, 179). Auch diese Seuche entstand nach Meinicke a.a.O. ohne Einschleppung spontan unter den Eingeborenen. Von einer furchtbaren Pockenepidemie auf Ponapi (Puinipet, Banabe, Carolinen) erzaehlt die Novarareise 2, 395: die Krankheit war durch einen englischen Matrosen eingeschleppt und raffte 3000 Menschen hin; 2000 blieben uebrig. Auf der Hawaiigruppe starben 1853 an den Pocken 5-6000 Menschen (Waitz 1, 176). Auch die Hottentotten, wenigstens in der Naehe der Capstadt, sind wesentlich durch die Pocken vermindert (Waitz 2, 346). Ausser dieser Krankheit haben dann die Masern und Roetheln schlimm unter den Naturvoelkern gehaust, so in Brasilien, Guyana, im Mosquitolande (Waitz 1, 162), in Neuholland (Darwin 2, 213); und noch gefaehrlicher verschiedene Fieber, welche z.B. die Oregonindianer schwer heimsuchten, die oberen Tschinuks 1823 von 10,000 auf 500 zusammenschmolzen und zwar so schnell, dass die Zahl der Ueberlebenden nicht hinreichte, die Todten zu begraben (Wilkes und Haie bei Waitz 1, 162). Doch sind wir durch diese Fieber bei den Seuchen angekommen, denen die Naturvoelker vor dem Auftreten der Europaeer unterworfen waren. Epidemische Krankheiten sind zwar vorher selten, doch finden sie sich auch. So jene Seuche, welche vor Cook auf der Ostkueste von Neu-Seeland wuethete, und zwar so heftig und rasch, dass auch hier nicht alle Todten begraben werden konnten (Dieffenbach 2, 12-14); so die Fieber, welche, wie es scheint, durch das Klima hervorgerufen am Orinoko epidemisch sind (Humboldt b 4, 215), so und vor allen jene beruechtigte mexikanische Krankheit, Matlazahuatl von den Eingeborenen genannt, ein furchtbares, dem gelben Fieber verwandtes Gallenfieber mit Blutbrechen, das schon lange vor Cortes Ankunft in Mexiko, ja wohl schon im 11. Jahrhundert unter den Tolteken, die damals noch in Nordamerika waren, herrschte (Humboldt a 4, 379), wie sich denn ueberhaupt die Krankheit mit Leichtigkeit in die kalte Zone verpflanzt und ihr "die kupferfarbige Race in beiden amerikanischen Haelften seit undenklichen Zeiten unterworfen ist" (eb. 380). Wie furchtbar aber diese Krankheit wuethete, geht aus den Zahlen hervor, welche Torquemada fuer die beiden Epidemien 1545 und 1576 angibt: 1545 sollen 800,000, 1576 zwei Millionen Indianer gestorben sein (Humboldt a 1, 97). Mag auch Humboldt, obgleich er sich verwahrt, Torquemadas Glaubwuerdigkeit anzuzweifeln, Recht haben--und er hat es gewiss--dass diese Zahlen nur auf ungefaehrer und ungenauer, vielleicht uebertriebener Schaetzung beruhen: auch wenn wir die Ziffern halbiren, welch furchtbarer Verlust an Menschenleben bleibt immer noch! Humboldt meint (a.a.O.), dass auch diese Krankheit sich alle hundert Jahre einmal zeige: da er aber 4, 379 die Jahre 1545, 1576, 1736, 1761 und 1762 als Jahre, worin die Krankheit wuethete, aufstellt, so ist, wenn anders die Periodicitaet dieser Krankheit richtig ist, ihr Erscheinen in den einzelnen Jahren dann auf Staemme und Landschaften eingeschraenkt, welche sie frueher nicht hatten. Einen Hauptgrund fuer die furchtbare Wirksamkeit solcher eingeschleppter Krankheiten, auf den wir spaeter zurueckkommen, fuehrt Humboldt an, wenn er a 4, 410-11 sagt: "Die Niedergeschlagenheit des Geistes und die Furcht vermehren natuerlich die Praedisposition der Organe, um die Miasmen aufzunehmen; daher es kein Wunder ist, wenn solche Epidemien namentlich dann besonders heftig sind, wenn sie von siegreichen Eroberern eingeschleppt werden." Sec.4. Behandlung der Kranken bei den Naturvoelkern. Alle diese Krankheiten nun, welche den Naturvoelkern durch die eigene Natur derselben gefaehrlich genug waren, wurden es noch mehr durch die ganz verkehrte Art, mit der jene Voelker Krankheiten behandelten. Die Syphilis ward dadurch so gefaehrlich in Polynesien, dass man sich theils gar nicht um sie kuemmerte, theils aber, wenn man es that, das Uebel nur vermehrte. So glaubte man in dem berauschenden Kavatrank, der aus den Wurzeln des Piper methysticum bereitet wird, ein Mittel gegen sie gefunden zu haben, und es konnte doch nichts Gefaehrlicheres angewendet werden, als bei dieser Krankheit dieses Mittel, das denn auch nicht verfehlte, die Wirkungen der Seuche erst recht schlimm zu machen (Moerenhout 2, 405). In Amerika wendete man gegen die Blattern vornehmlich Dampfbaeder mit unmittelbar folgenden kalten Abwaschungen an und in Neuholland und Polynesien ausserdem noch andere und noch thoerichtere Mittel; natuerlich wurde schon durch diese Kuren die Krankheit fast immer toedtlich. Dass sich aber diese Voelker bei neuen unerhoerten Krankheiten nicht zu helfen wussten, wird uns nicht Wunder nehmen, wenn wir sehen, wie sie sich Kranken gegenueber fuer gewoehnlich zu benehmen pflegen. Die Neuhollaender haben fuer ihre Kranken nur eine Ceremonie der Priester, welche den boesen Geist, der im Kranken sitzt, oder den Zauber, der ihn krank macht, beschwoert, indem er unter allerlei Faxen einen Stein, meist ein glaenzendes Stueck Quarz, aus dem Kranken zieht und damit ihn vom Zauber, der in jenen Stein eingeschlossen ist, befreit (Grey 2, 337). Da nun jede Krankheit auf Bezauberung beruht und zwar haeufig auf Entziehung der Seele, welche im Nierenfett ihren Sitz hat (Howitt 189), so wurde in einigen Gegenden der Kranke mit dem Nierenfett dessen, den man fuer den versteckten Moerder hielt und dem man es oft noch lebend ausschneidet (Angas 1, 123), bestrichen: oder man versucht die Krankheit aus dem betreffenden Glied auszusaugen, durch Aderlass zu entfernen, den boesen Geist, indem man den Kranken knetet, schlaegt, tritt und sonst misshandelt, zu verjagen u. dergl. mehr. Geschickter sind die Neuhollaender im Behandeln aeusserer Verletzungen; auch haben sie manche rationelle Mittel gegen den Biss giftiger Schlangen (Brehm Thierleben 5, 262). So ziemlich dasselbe Bild wird nun von der Heilkunst aller Naturvoelker zu entwerfen sein. Auf den Fidschiinseln werden schwer Kranke schon als todt betrachtet, aufgeputzt und ausgestellt (Williams und Calvert 183); Ruecksicht nimmt man auf sie durchaus nicht, hat vielmehr, da man sie fuer boeswillig haelt und glaubt, dass sie die Gesunden nur absichtlich quaelten, nicht das mindeste Mitleid mit ihnen (eb. 188). Ebenso sonst in Melanesien. Sehr gewoehnlich werden Kranke ohne weiteres erschlagen, oder ausgesetzt, z.B. auf der Fichteninsel (Cheyne 88). Auf Vate (neue Hebriden) toedtet man phantasirende Kranke sogleich, damit sie nicht Andere anstecken koennen (Turner 444); man begraebt sie und andere schwerer Erkrankte lebendig (450). Ebenso machen es die Ajetas der Philippinen, eine Negritobevoelkerung der Gebirge Luzons mit Schwerkranken (de la Gironiere Aventures d'un gentilhomme Breton aux iles Philippines 325). In andern Gegenden Melanesiens (auf den kleinen Inseln bei Neu-Guinea) setzen sich die Kranken ans Meeresufer und essen, was sie koennen, da nicht mehr essende Kranke sofort getoedtet werden. Kranke Glieder schnueren sie ein, um den Daemon, der die Krankheit verursacht, zu fangen (Reina in Zeitschr. 4, 360). Denn auch hier gilt alle Krankheit fuer Behexung (Turner 18-19), obwohl auch die Melanesier Aderlass und derartige Mittel kennen (eb. 92). Auch in Mikronesien toedtete man entweder die Kranken (indem man sie in einem lecken Schiff ins Meer stiess, Hale 80) oder man wandte, um sie zu curiren, Zauberei an, so auch auf den Marianen (le Gobien 47). Und nicht anders in Polynesien. Auch hier wurden sie oft ermordet, oder doch ganz gleichgueltig behandelt, wo denn jeder Kranke fuer sich sorgte, so gut es ging, d.h. in den Wald oder die Einsamkeit ging und entweder gesund oder gar nicht wieder zurueckkehrte. In Nukuhiva hielt man Schwerkranken Mund und Nase zu, um den Geist festzuhalten (Mathias _G***_, 115); ebenso in Suedamerika bei den Moxos (Waitz 3, 538; b 151). In Tonga bestand die Behandlung der Kranken fast nur darin, dass man sie von einem Tempel zum andern schleppte, um die Priester und Goetter fuer sie anzuflehen; je kraenker Jemand ist, je weiter schleppt man ihn--und fuehrt seinen Tod natuerlicherweise gerade dadurch herbei (Mariner 1, 110; 362 ff. u. sonst). Oder man opferte wie in Tahiti und sonst in Polynesien, Kinder oder Sklaven, um das Leben eines Vornehmeren zu erhalten. Doch waren die Tonganer als Chirurgen nicht ungeschickt und sie wagten sich an gefaehrliche Operationen. Auch war Skarifikation und der Gebrauch gewisser Pflanzensaefte in Anwendung (Mariner 2, 267-270). So wie bei ihnen, so gilt auch sonst in Polynesien Krankheit als Bezauberung, oder als Rache und Strafe der Goetter: in Neu-Seeland (Dieffenb. 2, 59 ff.); in Tahiti (Bratring 181-82, Moerenh. 1, 543); in Nukuhiva (Math. G. 228); und in Hawaii (Tyermann u. Bennet 1, 129). Daher waren auch hier die haeufigsten Mittel Opfer und Gebete. Nur auf Neu-Seeland scheint man etwas zweckmaessiger verfahren zu haben. Wenigstens kannten die Eingeborenen die Heilkraft ihrer heissen Quellen und wendeten sie fuer kranke Kinder an (Dieffenb. 1, 246), man gab den Kranken leichtere Kost, gebrauchte Daempfe von Pflanzenaufguessen (Pflanzenaufguesse kannten auch die Marianer nach le Gobien), Einreibungen mit warmen Pflanzensaeften u. dergl. (Dieffenb. 2, 41). Dampfbaeder und darauf unmittelbar folgende kalte Abwaschungen waren gleichfalls gebraeuchlich (Moerenhout 2, 164) und Kneten der Glieder ueberall verbreitet: in Nukuhiva, in Tahiti, Hawaii u.s.w. In Tahiti hielt man jede Krankheit fuer Wirkung goettlichen Zornes und es galt daher fuer suendlich, Arzeneien zu nehmen (Turnbull 260), gegen die sie auch einen unueberwindlichen Abscheu haben (292). Wird ein Eingeborener dieser Insel krank, so wird er sofort von allen Angehoerigen und Landsleuten gemieden: er ist ganz hilflos und auf sich allein angewiesen, ein Verfahren, welches sich bitter genug raecht: denn die bei ihnen gewoehnlichsten Uebel sind solche, die schon bei geringer Pflege leicht heilen, bei Vernachlaessigung aber toedtlich werden (Turnbull 260 u. 292). Als Chirurgen waren auch sie wie alle Polynesier geschickt (Moerenhout 1, 161). In Amerika finden wir so ziemlich dasselbe. Denn auch die Mexikaner, obwohl tuechtige Chirurgen und mit mancherlei medizinischen Mitteln bekannt, setzten ihre festeste Hoffnung auf aberglaeubische Mittel (Waitz 4, 165, 174). Die Californier versuchten durch Anblasen und Aussaugen des kranken Gliedes oder dadurch, dass sie andere opferten oder verstuemmelten, die Krankheit zu heben (Waitz 4, 250). Aussaugen, Anblasen, Reiben galt auch auf Haiti als Hauptmittel, so wie denn, merkwuerdig genug, hier die Aerzte dieselbe Ceremonie anwandten, welche die Neuhollaender noch jetzt haben: sie zogen dem Kranken einen Stein und mit ihm den Anlass aller Krankheiten aus dem Mund. Schwerkranke wurden, wie in Mikronesien, ausgesetzt, oder, wie in Nukuhiva erstickt (Waitz 4, 327). Das Hervorziehen des Steines oder Knochens aus dem Koerper des Kranken fand sich auf dem brasilianischen Festland unter den Payaguas (Azara 269). Auch in Peru war das Heilverfahren, obwohl man einige Arzneipflanzen kannte, purgirte und zur Ader liess, fast durchaus auf Zauberei begruendet (Waitz 4, 463). In Nordamerika nun waren bei fast allen den minder kultivirten Voelkern die Aerzte ganz und gar Zauberer, die Krankheit nur Besessenheit, der boese Geist ward daher, zur Kur, ausgesaugt und ausgespieen, oder durch Blasen, Kneten, Schlagen und aehnliche Mittel entfernt (Waitz 3, 213-14). Auch in Suedamerika ist Zauberei, Aussaugen Anblasen u.s.w. Hauptmittel und fast ueberall der Arzt zugleich Zauberer, nur bei den Botokuden nicht, welche nur natuerliche Mittel, Reiben, Kneten, Urtikation, auch, aber meist ohne Erfolg, innerliche Arzneien anwenden (Tschudi 2, 286-87) und als Chirurgen nicht ungeschickt sind. Aber Zauberer waren die Aerzte bei den Tupis, den Makusis, deren Heilverfahren, das neben vieler Zauberei auch manche wirklich wirksame Mittel kannte, Schomburgk (2, 333) schildert, ferner bei den Waraus (eb. 1, 170), den Cariben (2, 427), den Araukariern, welche indess neben den Zauberaerzten auch noch andere und tuechtigere Aerzte hatten (Waitz 3, 519), den Feuerlaendern (Bouqainville 130) u.s.w. Dampfbaeder sind sehr allgemein verbreitet und bei fast allen Krankheiten angewendet; so bei den Mexikanern und bei den alten Tolteken (Waitz 4, 270); ebenso in Nordamerika (3, 217) in Suedamerika bei den Makusi (Schomburgk 2, 333) und sonst. Nicht anders war im grossen Ganzen, nach Langsdorff, das Heilverfahren der Aleuten. Auch die Hottentotten betrachteten alle Krankheiten als Wirkungen von Zauberei und boesen Geistern, und behandeln sie darnach, durch Beschwoerung u. dergl., doch wendet der Zauberer oder die Zauberin dabei auch andere, innerliche und aeusserliche Heilmittel an. Wunderbarer Weise findet sich denn auch hier, wie auf den Antillen, jener sonderbare neuhollaendische Gebrauch wieder, einen Stein--hier einen Knochen--unter mancherlei Ceremonien aus dem Leibe (Mund, Ohr, Ruecken u.s.w.) des Kranken, der ihm eingehext und der Sitz der Krankheit sei, hervorzuziehen, damit jener genese (Sparmann 197-98). Ihre Giftaerzte sollen freilich sehr ausgezeichnete Mittel gegen Schlangenbiss haben, und die Colonisten haben, was sie von Heilpflanzen der suedafrikanischen Flora kennen, erst von den Eingeborenen gelernt (Waitz 2, 344). Allein Schwerkranke, Alte und Huelflose setzen die Hottentotten haeufig aus (Sparmann 320); Sterbende schuettelt und stoesst man, gewiss um den Daemon der Krankheit zu verscheuchen, ueberhaeuft ihn mit Vorwuerfen, dass er die Verwandten durch seinen Tod betruebe, bittet ihn zu bleiben u.s.w. (Sparmann 273). Die Zauberer aber gerathen sehr haeufig, wenn ihre Kur nicht anschlaegt, in Gefahr, von den erbitterten Angehoerigen arg gemisshandelt oder getoedtet zu werden. Fuer Amerika bringt Waitz und die angefuehrten Autoren eine Menge Beispiele bei: fuer Afrika genuege eins, welches bei Sparmann 198 erwaehnt wird: ein Fuerst, der an schlimmen Augen litt und von den Zauberern nicht geheilt werden konnte, liess diese alle umbringen, weil er glaubte, dass einer von ihnen, der ihm feindlich gesinnt sei, seine Heilung verhuete. Denn jeder unglueckliche Ausgang einer Krankheit gilt als bewirkt durch staerkeren Zauber, hier und in Amerika und Polynesien. Sec. 5. Geringe Sorgfalt der Naturvoelker fuer ihr leibliches Wohl. Indess, da ja Krankheiten die Naturvoelker in ihrem gewoehnlichen Zustand nur wenig plagen, so moechte alles dies Verkehrte, und wenn es manchem Kranken den Tod brachte, doch nicht allzuviel fuer ihr Hinschwinden bewirkt haben; viel gefaehrlicher ist die geringe Sorge, welche fast alle Naturvoelker auf ihre leibliche Pflege verwenden und verwenden koennen. Freilich sind sie abgehaertet gegen Vieles durch eigene Gewoehnung und, wodurch diese erst in so hohem Grade ermoeglicht wird, durch Vererbung; und so fuehlen sich auch noch die Feuerlaender, nach Darwin die elendesten und niedersten Menschen, in ihrem entsetzlichen Klima, ohne rechtes Obdach, auf dem nassen Boden schlafend, nackt, nur kuemmerliche Nahrung und diese nur mit Muehe findend, nach ihrer Art wohl und begehren nichts Besseres (Darwin 1, 230). Die Eskimos sind an ihre Schneewuesten, die Neuhollaender an ihre unfruchtbaren Steppen, die ihre wandernde Lebensart bedingen, die neuhollaendischen Weiber an ein Leben voll Last und Muehe, an die schrecklichste Behandlung gewoehnt, so weit menschliche Natur sich gewoehnen kann. Trotz aller Gewoehnung aber haengt es mit der Lebensart der Naturvoelker zusammen, dass sie, auch bei der ersten Bekanntschaft mit den Europaeern, bisweilen selbst wenn sie schon eine gewisse Halbkultur erlangt hatten, verhaeltnissmaessig so geringe Bevoelkerungsziffern aufweisen; sie leben eben so, dass die menschliche Natur nicht anders als kuemmerlich gedeiht--wenn auch die einzelnen Individuen oft ganz besonders stark erscheinen. Es ist ja aber gerade ein oft wiederholter Ausspruch, die Naturvoelker seien deshalb koerperlich so kraeftig, weil alle schwaechlichen Kinder ohne weiteres erlaegen; so z.B. Humboldt b 2, 189. Nicht bloss schwaechliche Kinder erliegen indess; und diese Sterblichkeit der Kinder ist das erste, was wir hier zu betrachten haben. Die Feuerlaender, deren Wohnung nicht den geringsten Schutz bietet (Darwin 1, 228), setzen ihre Kinder nackt der Wuth ihres Klimas aus (eb. 229). Fast alle Indianer in Nord- und Suedamerika fuehren jetzt ein elendes Wanderleben; und ueberall hin werden die Kinder von den Muettern mitgeschleppt, auf den rauhesten und weitesten Maerschen und oft noch, waehrend sie durch aufgelegte Bretter und andere gewaltsame Mittel (um ihrem Kopf eine eigenthuemliche Gestalt zu geben) in der natuerlichen Entwickelung gestoert sind. Schon bei der Geburt werden viele Kinder sterben. Denn ueberall ist es Sitte, dass das Weib kurz vor der Geburt sich in den Wald begiebt, dort allein gebiert, sich selbst die Nabelschnur abschneidet und unterbindet, dann sich und das Kind sogleich in kaltem Wasser badet und nun zurueckkehrt, nicht etwa zur Pflege, sondern zur erneuten Arbeit. Dies war der Fall bei den Waraus in Guyana (Schomburgk 1, 166), bei den Cariben und Makusi (eb. 2, 315, 431); und in Nordamerika sehr vielfach (Waitz b, 98). Die Nahrung aber, welche ein Kind nach und neben der Muttermilch bekommt, ist oft schon an und fuer sich schaedlich und ungesund. Grosse Sterblichkeit herrscht noch unter den Kindern des heutigen Mexiko in Folge verkehrter Diaet (Waiz 4, 196). Die Nahrung wird ihnen auch noch beschraenkt durch die eigenthuemliche Sitte, neben den Kindern Thiere, Affen, Beutelratten u.s.w. zu saeugen, was die Makusi, die Waraus, die Cariben und verschiedene andere Voelker thun (Schomburgk 2, 315. 1, 167). Von der schlechten Wartung der Kinder, wenn sie krank sind, spricht Humboldt b. 4, 224 und der Schmutz, in welchem sie aufwachsen, und von denen Schomburgk aus Guyana Abschreckendes erzaehlt, kann auch keinen guten Einfluss haben. Und doch lieben die Amerikaner in Nord-und Suedamerika ihre Kinder aufs innigste. In Tahiti nehmen die Frauen unmittelbar nach der Geburt sofort Dampfbaeder mit kalten Abwaschungen (Wilson 461), in Neuseeland gleichfalls, wo die Kinder, wie in Tahiti, ganz nackt bleiben und eher schwimmen als laufen koennen (Dieffenbach 2, 24-25, Ellis 1, 261 und Moerenh. 2, 61); und ebenso auf Nukuhiva (Melville 2, 191). Hautkrankheiten, und zwar sehr boesartige der Kinder (jaws, framboesia) werden oefters erwaehnt, z.B. in Tonga, wo die Kinder gut gepflegt und sonst sehr gesund sind (Mariner 2, 179) und in Ponapi (Cheyne 122). Grosse Sterblichkeit herrscht aber unter den Kindern wegen Mangel an Pflege und Wartung in Hawaii (Virgin 1, 268) und ebenso in Tahiti (Bennett 1, 148). Ellis sagt, dass die tahitischen Kinder, obwohl dem Aussehen nach dick und gesund, doch bis zu einem Alter etwa von 12 Monaten sehr zart und hinfaellig waeren (1, 260). Formation des Schaedels durch Platt- und Hochdruecken war in Tahiti sehr haeufig 1, 261. Auch auf Mikronesien ist die Wartung der Kinder schlecht. Auf Tobi (Lord North, aeusserstes Sued-Westende Mikronesiens) erhalten die Kinder sofort nach der Geburt ganz gleiche Speise wie die Erwachsenen (Pickaring, Memoir of the Language and Inhabitants of Lord Norths Isl. 1845; 228), und ebenso auf Ratak Kokosmilch und Pisang, den ihnen die Mutter vorkaut; schaedlicher aber als diese Nahrung ist ihnen die Unregelmaessigkeit, mit der sie ueberhaupt etwas bekommen (Gulick 180-181), daher denn auch hier die Sterblichkeit unter ihnen gross ist. Auch in Polynesien saeugen die Weiber gern Thiere auf neben den Kindern, wie z.B. die Hawaierinnen nach Remy XLII Hunde und Schweine. In Melanosien ist es nicht besser: die Kinder werden nicht gepflegt und muessen von der Geburt an das Leben der Alten mitmachen. In einigen Gegenden Neu-Guineas (Finsch 103) wird der Gebaerenden fortwaehrend kaltes Wasser ueber den Kopf gegossen, ist aber das Kind geboren, Mutter und Kind sofort kalt gebadet und dann einer moeglichst starken Hitze neben einem lodernden Feuer ausgesetzt, und so abwechselnd weiter. Je heisser und laenger Mutter und Kind diese Hoellenkur vertragen, fuer desto gesuender gelten beide. In einer anderen Gegend hatte eine Frau ein unlaengst erst geborenes Kind auf den heissen Sand gelegt und arbeitete in der Naehe; als Fremde kamen, grub sie es ohne weiteres bis an den Hals in den Sand und arbeitete fort (eb. 63). Fast nirgends aber sterben mehr Kinder als in Neuholland: von vieren wird kaum mehr als eins drei Jahre alt (Turnbull 43), was sich aus der Behandlung, die ihnen zu Theil wird, und die nur ausserordentlich starke Kinder ueberstehen, erklaert. Kaum geboren wird das Kind in ein Opossumfell gewickelt, ueberall mit hingeschleppt und meist im hoechsten Grade nachlaessig behandelt, dem Feuer zu nahe gelegt und dergl. (Grey 2, 250-251). Dies Wandern fuehrt auch Darwin (2, 213) als Grund der Sterblichkeit unter den Kindern an, und es ist beachtenswerth, was er zusetzt: "Wie die Schwierigkeit, sagt er, sich Nahrung zu verschaffen, waechst, so waechst ihre wandernde Lebensweise und darum wird die Bevoelkerung ohne eigentlichen Hungerstod auf eine so ausnehmend gewaltsame Weise zurueckgehalten, im Vergleich mit civilisirten Laendern, wo der Vater seine Arbeit mehren kann, ohne den Sproessling zu vernichten". Dazu wird ihnen auch noch die Nahrung dadurch verkuerzt, dass auch hier die Weiber vielfach junge Thiere, Hunde, saeugen (Grey 2, 279) und gewiss oft nur aus Noth: denn ein Hund ist jetzt um so mehr, als die Jagdthiere immer scheuer und seltener werden, ein grosser Schatz fuer den jagenden Eingeborenen und die Nahrung fuer die jungen Thiere ist gewiss oft genug selten. Kurz aber mit allem Nachdruck muessen wir hier erwaehnen, dass auch das Tattuiren, was in ganz Polynesien haeufig betrieben wird, haeufig den Tod nach sich zieht (Ellis 1, 266); und da man nur eben heranwachsende dieser Operation unterwirft, so wird der Jugend auch durch sie ein nicht zu unterschaetzender Abbruch gethan. Wichtiger freilich, weil eine Sache von groesstem Einfluss auf das leibliche Gedeihen der Naturvoelker, ist die oft ueber alle Begriffe schlechte Behandlung der Weiber. So vor allen Dingen in Neuholland. Die armen Weiber muessen, schwanger oder nicht, mit allem Gepaeck und oft noch mit 1-2 Kindern beladen, dem Manne, der nur das Jagdgeraeth traegt, folgen; sie muessen, kaum angekommen, alle Arbeit fuer den Haushalt besorgen, die Huette aufschlagen, Feuer machen, Wurzeln, Muscheln erst suchen, dann kochen, fuer den Mann, die Kinder alles Noethige bereiten, und dann, wenn sie bei alle dem oft aufs brutalste behandelt sind, dem Manne Nachts geschlechtlich zu Willen sein. Die beste Nahrung, die sie finden, ist fuer den Mann und ihre Soehne; sie duerfen erst essen, was diese uebrig lassen und wenn sie fertig sind. So ist ihr Loos Tag fuer Tag: denn von dem, was sie noch ausser diesem gewoehnlichen Elend besonderes Schlimmes trifft (z.B. die Art, wie sie von den Maennern zur Ehe geraubt werden), brauchen wir hier nicht zu reden. Ein wichtiger Umstand ist ferner, dass ihre Pubertaet schon mit 11 oder 12 Jahren beginnt und sie schon mit diesen Jahren verheirathet werden. Nimmt man zu alle dem nun noch hinzu, dass sie ihre Kinder sehr lange saeugen, oft bis 3 Jahre (Grey 2, 248-250) ja laenger (4-6 Jahre nach Salvado 311), so wird man sich nicht wundern, dass die Lebensdauer dieser Ungluecklichen, die nichts desto weniger oft ganz froehlich sind und ihren Maennern mit Liebe anhangen, nicht allzulang ist und dass es weniger Weiber als Maenner gibt, im Verhaeltniss wie 1:3 nach Grey, nach anderen wie 2:3--ein Umstand indess, der wahrscheinlich mit bedingt ist durch die Sitte, neugeborene Maedchen umzubringen, von der wir spaeter reden muessen. Und in Amerika ist es nicht besser. "Entbehrung und Leiden, sagt Humboldt b 2, 192, sind bei den Chaymas, wie bei allen halbbarbarischen Voelkern, das Loos des Weibes. Wenn wir die Chaymas Abends aus ihren Gaerten heimkommen sahen, trug der Mann nichts als ein Messer, mit dem er sich einen Weg durchs Gestraeuch bahnt. Das Weib ging gebueckt unter einer gewaltigen Last Bananen und trug ein Kind auf dem Arm und zwei andere sassen nicht selten oben auf dem Buendel". Auch die Botokudinnen muessen, wie ihre Leidensgenossinnen in Neuholland, alle Arbeit thun, alles Gepaeck schleppen und sich dann noch von ihren Maennern aufs roheste misshandeln lassen (Tschudi 2, 284). Dasselbe erzaehlt Schomburgk von den Bewohnern Guyanas (2, 313; 1, 122 ff.) und mit einem schauderhaften Beispiel von roher Misshandlung von den Cariben (2, 428). Noch haerter ist das Loos der Weiber in Nordamerika, wo sie auch die Feldarbeit thun muessen (Humboldt b 2, 293) und noch roher misshandelt werden (Waitz b, 98). Mrs. Eastmann, welche laengere Zeit selbst mit den Dakotas gelebt hat und daher diese Voelker genau kennt, hat wohl Recht, wenn sie (bei Waitz b, 98; 3, 100) sagt: "Die Arbeit des Weibes wird nie fertig. Sie macht das Sommer- und Winterhaus. Fuer jenes schaelt sie im Fruehling die Rinde von den Baeumen, fuer dieses naeht sie die Rehfelle zusammen. Sie gerbt die Haeute, aus denen Roecke, Schuhe und Gamaschen fuer ihre Familie gemacht werden und muss sie abschaben und zubereiten, waehrend noch andere Sorgen auf ihr lasten. Wenn ihr Kind geboren ist, kann sie sich nicht ruhen und pflegen. Sie muss fuer ihren Mann das Rudern des Kahnes uebernehmen, Schmerz und Schwaeche wollen dabei vergessen sein. Immer ist sie gastlich. Geh zu ihr in ihr Zelt, sie gibt dir gern, was du brauchst, wenn es nur in ihrer Macht steht, und thut bereitwillig, was sie kann, um es dir bequem zu machen. In ihrem Blick ist wenig Anziehendes. Die Zeit war es nicht, die ihre Stirn gerunzelt und ihre Wange gefurcht hat. Mangel, Leidenschaft, Sorgen und Thraenen haben es gethan. Ihre gebueckte Gestalt war einst anmuthig, Mangel und Entbehrung erhalten die Schoenheit schlecht". So kommt es vor, dass Maedchen von ihren Eltern getoedtet werden, um sie dem elenden Loos, das ihrer wartet, zu entziehen; und dass Weiber sich selbst umbringen, weil sie die Buerde ihres Lebens und Leidens nicht mehr zu tragen vermoegen (Waitz 3, 103). Nur bei einigen wenigen Voelkern war das Loos der Weiber etwas besser (Waitz 3, 181). Die Speisen des Mannes durften die Weiber nicht theilen, ja oft nicht einmal mit den Maennern zusammen essen (Schomburgk 2, 428), eine Sitte, die auch ueberall in Ozeanien herrscht und ihren letzten Grund in religioesen Anschauungen hat. Doch waren durch sie den Weibern meist die wirklich guten und nahrhaften Lebensmittel untersagt, was bei ihren schweren Arbeiten von doppeltem Gewichte war. In Poly- und Mikronesien (in Melanesien herrschten Sitten, die den australischen naeher kommen und Fidschi steht zwischen beiden) war die Stellung der Weiber nicht schlecht; allerdings waren sie meist von der Gesellschaft und den Genuessen der Maenner ausgeschlossen, doch empfanden sie dies sowie die Prostitution, zu der sie verurtheilt waren, nicht, weil es die Sitte nun einmal mit sich brachte und man sie sonst als Freudenspenderinnen ehrte. Wirklich schlecht scheinen sie nur in der Paumotugruppe behandelt zu sein, von wo und zwar von Mangareva Moerenhout 2, 71 schreckliche Beispiele aeusserster Bedrueckung und grausamster Misshandlung erzaehlt. Waehrend an den meisten Orten den Weibern so gut wie gar keine oder nur weibliche Arbeit, Zeugbereiten und dergl. obliegt, wie in Tonga, in Tahiti, in Nukuhiva (Melville 2, 147); so muessen sie in andern Inseln fast alle Arbeit thun, wie in Neuseeland (Dieffenb. 2, 12). Fruehreife der Weiber ist in Polynesien sehr gewoehnlich. Auf Neuseeland tritt die Pubertaet frueher als bei uns, doch spaeter als in Suedeuropa ein (Dieffenb. 2, 33) nach Browne 38 sind sie schon mit dem 11. Jahre heirathsfaehig und frueher coitus ist auf der ganzen Insel gewoehnlich (Dieffenb. 2, 12). Aehnlich fand es Cook auf Tahiti (b, 126-127). Dass sich 11jaehrige Maedchen den Fremden anbieten, ist gar nicht selten; es soll auch noch juengere geben, die es thun. Die Geschlechtsentwickelung auf den Fidschiinseln faellt spaeter: fuer die Maedchen ins 14., fuer Knaben ins 17. oder 18. Jahr (Wilkes bei Waitz 1, 126). Auch in Amerika reifen die Weiber sehr frueh (Azara an vielen Stellen). Schomburgk (1, 123) sah unter den Waraus in Guyana eine Frau von kaum 10 Jahren, die dennoch hochschwanger war. Humboldt der b 2, 188 sagt, dass die Chaymasweiber mit 11-12 Jahren sich verheiratheten, erzaehlt dasselbe von den Eskimos der Nordwestkueste von Amerika, den Koriaeken und den Kamtschadalen (190), bei denen haeufig 10jaehrige Maedchen Muetter sind. Er meint zwar, dass diese fruehzeitigen Heirathen der Bevoelkerung nichts schadeten: jedenfalls aber haengt das fruehzeitige Verbluehen der Weiber (Waitz b, 99; Tschudi 2, 298; Schoinburgk sagt in Beziehung auf Guyana dasselbe) mit dieser Fruehreife zusammen. Doch gibt es Staemme in Nordamerika, wo die Geschlechtsreife viel spaeter eintritt (Waitz 1, 125) Thunberg sah bei den Hottentotten hinwiederum Maedchen von 11-12 Jahren, welche schon Kinder hatten (25-26[C]). Zu dieser fruehen Entwickelung kommt nun ein sehr langes Saeugen. Wie in Neuholland die Weiber--und in Polynesien ist es ebenso, nach Dieffenbach a.a.O. und anderen--so saeugen auch die Amerikanerinnen ihre Kinder oefters bis ins 12. Jahr und dies Saeugen wird, wenn die Mutter mittlerweile durch ein 2. Kind beansprucht wird, von der Grossmutter fortgesetzt! Die Indianerinnen behaupten, im Besitz eines Mittels zu sein, welches ihnen laenger und unerschoepflicher die Milch erhalte (Schomburgk 2, 239. 315). Muss eine solche Lebensart, welche auch bei den Hottentotten um nichts besser und nur in Nebendingen anders ist, die Weiber fruehzeitig welken lassen und dahinraffen, so ist die Lebensweise der Maenner vielfach auch vollkommen aufreibend durch das Uebermass von Anstrengungen, was sie mit sich bringt. Man denke auch nur, was es heissen will, Tag fuer Tag, bei oft ganz ungenuegender oder durch ihre zu reichliche Fuelle schaedlicher Nahrung, fortwaehrend umherzuziehen, ueber endlose Strecken dem Wild nach, in den Anstrengungen der Jagd oder des Krieges und dabei allen Unbilden des Klimas, des Wetters ausgesetzt! Daher finden wir nirgends in Neuholland oder dem Feuerland oder unter den Wanderstaemmen Amerikas ein so hohes Alter unter den Einzelnen als es Chamisso auf den Ratakinseln und San Vitores (nach le Gobien 47) auf den Marianen fand, wo 100jaehrige Greise nicht selten waren, waehrend Grey schon 70 Jahre als hohes Alter unter den Neuhollaendern betrachtet (2, 247-248), aber gleich hinzusetzt, dass bei der grossen Sterblichkeit der Kinder, die mittlere Lebensdauer bei ihnen viel geringer als in Europa ist. Nach Azara freilich erreichen die brasilianischen Staemme ein sehr hohes Alter: er will unter den Payaguas mehrere Maenner gesehen haben, die zum wenigsten 120 Jahre alt waren (270; vgl. 173). Die Polynesier, ueberhaupt die Bewohner kleiner und meist genuegend fruchtbarer Inseln, so bedenklich ein solcher Wohnort nach anderen Seiten sein mag, sind in dieser Beziehung besser gestellt, da schon die Oertlichkeit ihrer Heimath solche uebermaessige Anstrengung verhuetet; die langen und duennen Gliedmaassen, die vorhaengenden Baeuche, die verkommene Gestalt aber der Neuhollaender ist zweifelsohne nicht Racencharakter (an einem anderen Ort gedenke ich den Nachweis zu fuehren, dass die letzteren gleichfalls ein Zweig des malaiopolynesischen Stammes sind), sondern durch die muehselige Lebensart, das ewige Wandern, die Unregelmaessigkeit der Nahrung hervorgebracht. Und natuerlich steigert sich alle diese Noth durch die Ausbreitung der Europaeer, durch welche die Jagdthiere der Naturvoelker sehr rasch zusammenschmelzen; ja sie steigert sich durch sich selbst und ihre eigene lange Dauer, da die Thiere, stets verfolgt, dadurch immer scheuer, die Jagd immer schwieriger wird, wie von Tschudi 2, 279 von Suedamerika bezeugt. Auch werde, um nichts zu uebergehen, wenigstens beilaeufig an das erinnert, was Tschudi eb. 290 sagt, dass mangelnde Jagdbeute die Voelker noethigt, ihre Jagdzuege weiter auszudehnen und das Gebiet anderer Horden zu verletzen; dass diese ihr Gebiet vertheidigen und sich so oft sehr bedeutende Kaempfe um die Existenz entwickeln. Auf beschraenktem Terrain war Ausrottung der Jagdthiere bisweilen nothwendige Folge auch der vorsichtigsten Jagd; so in Neuseeland, wo die grossen Jagdvoegel, die Moas (Dinornis, Apteryx), nach und nach ausgerottet sind von den Eingeborenen selbst, die ersteren ganz, die letzteren wenigstens zum groessten Theil, und zwar ohne Schuld der Maoris: die Voegel vermehrten sich langsam und wurden bei ihrer Unbehuelflichkeit und dem nicht sehr guenstigen Terrain leicht die Beute der Jaeger. So starben sie aus, ohne dass man jenen ein blindes Wuethen gegen die Jagdthiere vorwerfen duerfte. Betraf dies nun ihre Lebensart im Allgemeinen, so muessen wir nun noch von einzelnen Punkten speziell reden. Zunaechst die Nahrung, in deren Auswahl und Aufbewahrung fast alle Naturvoelker wenig Sorgfalt zeigen. Sie duerfen auch, da die Natur von selbst, auch in den Tropen, nicht zu jeder Zeit und nicht allzubereitwillig das Noethige bildet, nicht allzu waehlerisch sein. So essen denn z.B. die Botokuden eigentlich Alles, ausser geniessbaren Thieren auch Fuechse, Aasgeier, Maeuse, Schlangen, Eidechsen, Kroeten, Fledermaeuse, Insektenlarven, Wuermer, ungeputzte Eingeweide (Tschudi 2, 279. 298) und dergl. In Guyana graben die Kinder 18 Zoll lange Skolopender aus der Erde und--fressen sie lebendig (Voigt Zoologie V, 420 nach Humboldt). Das Erdeessen der Otomaken haelt Humboldt, der es b 6, 102 ff. mit Herbeiziehung alles Analogen bei anderen Voelkern bespricht, zwar nicht fuer schaedlich, nuetzlich aber ist es auch nicht, sondern nur hungervertreibend. Auch in Australien (Grey 2, 263-264) findet es sich; doch wird hier die Erde mit einer geriebenen Wurzel gemischt. In Australien ist zwar nach Grey 2, 259-261 der Nahrungsmangel nicht so gross, als man gewoehnlich annimmt und vieles was uns nur aus aeusserstem Elend gewaehlt scheint, ist ihnen eine willkommene Leckerei; indess sagt Grey doch selbst, 261 ff., dass jede Gegend des Continents ihre besondere Nahrung habe, die man aber erst kennen und aufsuchen muesse. Und das scheint keine leichte Sache, wenigstens war er selbst, obwohl von einem nicht unbefaehigten Eingeborenen begleitet, auf seinem unfreiwilligen Zug die Westkueste des Kontinentes entlang in der aeussersten Lebensgefahr durch Hunger. Ein fauler Walfisch ist den Neuhollaendern, waehrend sie sonst sehr ekel gegen angegangenes Fleisch sind, groesster Genuss und je stinkender die Speise, desto willkommener wird sie, wie auch die Thakallis, ein Stamm der Athapasken in Nordamerika, faules Fleisch vorzueglich gern essen (Waitz b, 90). Und wie nun diese Voelker essen! "Die Botokuden geniessen die meisten Nahrungsmittel, besonders das Fleisch in halbgarem Zustande. Es wird ueber das Feuer gehalten, bis die aeussersten Schichten etwas angebrannt sind und dann verzehrt. Die Gefraessigkeit dieser Indianer ist fast sprichwoertlich geworden.----Wenn ein gluecklicher Jagdzug reichliche Beute gewaehrt, so wird sie gierig verzehrt und da das Fleisch rasch in Faeulniss uebergeht, um ja nichts zu verlieren, der Magen so lange vollgestopft, als eine physische Moeglichkeit dazu vorhanden ist. Dann folgt eine lange behaebige Verdauungsruhe und dieser oft wochenlang aeusserst spaerliche Mahlzeiten. Voelker und Individuen, die ausschliesslich auf Fleischnahrung angewiesen sind, haben eine rasche Verdauung und es aeussert sich bei ihnen Heisshunger viel heftiger als bei jenen, die an eine vegetabilische oder gemischte Nahrung gewoehnt sind. Sie koennen sich aber auch mit einer sehr geringen Quantitaet ihrer gewohnten Fleischnahrung lange kraeftig erhalten, leiden dabei aber stets an Hunger. Bei jeder sich darbietenden Gelegenheit suchen die Botokuden ihren steten Hunger durch uebermenschliches Fressen zu stillen und verschlingen mit der Gier eines Raubthieres die ekelhaftesten Gegenstaende ohne Wahl mit gleichem Heisshunger". Was Tschudi (2, 278-279) uns so von den Botokuden erzaehlt, das kann mit denselben Worten von allen Naturvoelkern Amerikas, von den Feuerlaendern bis zu den Eskimos, das kann von den Hottentotten, von denen es allwaerts bekannt ist (von den Buschmaennern bezeugt es z.B. Lichtenstein 2, 355), und trotz ihrer mehr gemischten Nahrung von den Neuhollaendern, den meisten Melanesiern, und auch, obwohl bei diesen meist die vegetabilische Nahrung vorwiegt, von vielen Polynesiern gesagt werden, von den roheren gewiss, doch zu Zeiten auch von den cultivirteren, wenigstens uebersteigt die Masse der bei Festlichkeiten verschlungenen Lebensmittel alle europaeischen Begriffe bei weitem. Ja es kam vor, dass man bei grossen Vorraethen, wie einst die hochcivilisirten Roemer, Brechmittel nahm, um mit frischen Kraeften weiter essen zu koennen (Waitz 3, 82, vom suedl. Nordamerika). Zwiefach gefaehrlich ist eine solche Lebensart, einmal, weil sie dem menschlichen Organismus gewiss nicht entsprechend und also schaedlich ist; und zweitens weil sie, da man alles was die Gegenwart bietet aufzehrt und in sich stopft, Vorraethe zu sammeln aber etwas ganz Ungewohntes ist, fuer die Zukunft, fuer welche Naturvoelker nur in den seltensten Faellen und auch dann meist sehr unvollkommen sorgen, die bedenklichsten Folgen hat. Hungersnoth entsteht in Polynesien nicht selten durch gaenzliches Aufzehren aller Lebensmittel bei Festlichkeiten, obwohl doch die meisten Voelker hier Vorraethe sammeln. Uebrigens thun dies auch manche Indianerstaemme (Waitz b, 91). Man sollte denken, gerade die Naturvoelker, durch Noth und Erfahrung belehrt, muessten am ersten fuer die Zukunft Sorge zu tragen gelernt haben, allein Waitz, der daran erinnert, dass "auch unter den civilisirten Voelkern die Individuen und die ganzen Classen der Gesellschaft sich um die Zukunft wenig oder gar nicht kuemmern, denen zur Arbeit jedes andere Motiv fehlt, ausser der Sorge fuer ihren eigenen Lebensunterhalt", hat sehr richtig b, 84 u. 91 die psychologischen Gruende entwickelt, warum die kulturlosen Voelker nur der Gegenwart leben. Die Hauptsache ist, dass sie allzusehr unter der Herrschaft der sinnlichen Nerveneindruecke stehen: die Vorstellung, welche sie gerade gegenwaertig haben, verdraengt alle anderen aus ihrem Bewusstsein, und ist, nach Noth und Entbehrung, die Gegenwart wieder gut, so kommt dazu der physische Genuss dieses Wohllebens, dieser Ruhe, der die augenblicklichen Vorstellungen mit um so groesserer Macht zu alleinherrschenden macht (Waitz 1, 351). Aber nicht bloss sorglos sind sie um die Zukunft: wie oft zerstoeren sie sich man kann fast sagen die Lebensbedingungen fuer dieselbe selbst, so namentlich auf der Jagd. "Der Jaeger, sagt Waitz 1, 350, geraeth, besonders massenhafter Beute gegenueber, wie der Soldat im heissen Kampfe, in eine grenzenlose Wuth, er mordet mit Lust und verwuestet das Wild meist in voellig nutzloser Weise, verzehrt davon das Beste und oft dieses kaum, wenn es im Ueberfluss sich darbietet. Daher brauchen Jaegervoelker ein ganz unverhaeltnissmaessig grosses Areal und gerathen trotzdem oft in Noth, weil ihnen Schonung der Jagdthiere ebenso fremd ist, als sparsames Haushalten mit Vorraethen ueberhaupt. Der hundertste Theil des von den Zulus erlegten Wildes, bemerkt Delagorgue, wuerde zu seinem und seiner Begleiter Unterhalt mehr als hinreichend gewesen sein." Die Buschmaenner zerstoeren haeufig groessere Jagdbeute aus Missgunst und Bosheit: "was sie selbst im Ueberfluss nicht gebrauchen koennen, soll wenigstens keinem anderen zu Gute kommen", sagt Lichtenstein 2, 565 von ihnen. Aehnlich berichtet Hearne 120 von den noerdlichsten Staemmen Nordamerikas, die das Wild schliesslich der Zungen, des Markes, des Fettes wegen, aller Gegenvorstellungen zum Trotz, erlegten, die an keinem Nest mit Jungen oder Eiern voruebergehen konnten, ohne es zu zerstoeren. Waitz 3, 81 sieht darin nur die Sitte eines gaenzlich rohen Stammes und sagt, dass, wo diese und aehnliche Sitten jetzt eingerissen seien, es in Folge moralischer Gesunkenheit geschehen sei, da sonst Sparsamkeit der Charakter der meisten Indianer gewesen sei. Mag letzterer Zug ganz richtig sein: die Leidenschaft der Jagd aber, welche kein Thier schont, findet sich in Amerika nicht nur bei verkommenen Voelkern. Sie herrscht in Canada (Waitz 3, 85) und gewiss sonst noch aus der aberglaeubischen Ansicht, dass die fliehenden Thiere die anderen warnen und verscheuchen wuerden. Von Suedamerika berichtet Azara 193 Gleiches. Dasselbe gilt von den Neuhollaendern. Und nicht genug, dass sie sich auf diese Weise die Nahrung selbst zerstoeren: sie verbieten sich auch eine Menge Speisen, oft gerade die besten, durch religioesen Glauben. Zunaechst sind die Frauen fast ueberall in Amerika, Polynesien und Australien, in Neuholland auch die Juenglinge und Knaben (Grey 2, 248), von den besten Nahrungsmitteln, die nur den erwachsenen, oft nur den greisen Maennern erlaubt sind, ausgeschlossen. Dann aber gehoert das Totem der Indianer hierher, von dem Waitz 3, 119 sagt: "Der politische Verband des Volkes beruhte in alter Zeit sehr allgemein auf einer Eintheilung in Banden oder Geschlechter, deren jedes durch ein Thier oder einen Koerpertheil, eines Thieres als Marke bezeichnet war, z.B. Baer, Bueffel, Fischotter, Falke und dergl. Nur ein Fisch oder ein Theil eines Fisches konnte diese Marke nicht sein." Der Name dieser Marke, Totem, kommt von den Algonkin. Wahrscheinlich (ebend.) hatte das Totem urspruenglich eine religioese Bedeutung: das Thier des Totem war der Schutzgeist der nach ihm benannten Familie, wurde von dieser heilig gehalten und _durfte von ihr nicht gejagt_ werden. Und ebenso verhielt es sich gewiss mit "der Medicin", die jeder Amerikaner hatte, d.h. dem Totem des Einzelnen. Denn zur Zeit der beginnenden Mannbarkeit erscheint jedem einzelnen sein Schutzgeist in Gestalt eines Thieres, das dann gejagt und dessen Balg stets von dem Betreffenden getragen werden muss. Der Verlust der Medicin wuerde ihm tiefste Verachtung und bestaendiges Unglueck zuziehen (Waitz 3, 118-119). Urspruenglich durfte gewiss kein Indianer das Thier, das ihm "Medicin" Schutzgeist war, verzehren. Die meisten Voelker (auch die Aleuten) stammten von solchen Thieren ab (Waitz 3, 119. 191) und auch diese waren ihnen gewiss urspruenglich heilig, wenn sich auch spaeter diese Verehrung in etwas abschwaechte. Diese auffallende Sitte, die genauer betrachtet gewiss mancherlei merkwuerdige Resultate gaebe[D], findet sich ganz uebereinstimmend bei den Neuhollaendern, worueber man Grey 2, 225-229 vergleiche. Jede Familie, oder besser, jeder Stamm, denn die Familien sind ausgedehnt wie Staemme, hat ihr "kobong" Pflanze oder Thier, das ihr heilig ist, ihr den Namen gibt u.s.w. Wie in Amerika Leute von gleichen Totem, so durften in Neuholland Leute desselben Kobongs einander nicht heirathen. Kein Neuhollaender toedtet sein Kobong, wenn er es schlafend findet, auch nie, ohne ihm vorher Gelegenheit zur Flucht zu geben; war es eine Pflanze, so durfte es der Betreffende nur zu bestimmten Jahreszeiten und unter ganz bestimmten Ceremonien einaernten und benutzen[E]. Hierin sehen wir eine Folge der Noth; denn urspruenglich durfte das Kobong wohl ebenso wenig gegessen werden, wie das amerikanische Totem. Dafuer spricht auch die Form, in welcher sich die Sitte in Polynesien erhalten hat. Denn in Polynesien gilt es noch jetzt an verschiedenen Orten als strenges Gesetz, dass Einzelne einzelne Thiere, in welchen ihr Schutzgeist oder der Geist ihrer Ahnen verborgen ist, weder toedten noch essen duerfen. So in Mikronesien z.B. auf Ponapi (O'Connel bei Hale 84), auf Tikopia (Gaimard bei D'Urville V, 305-307), auf den Fidschiinseln (Wilkes 3, 214), wohin die Sitte entweder von Polynesien gekommen ist oder sich als malaiisches Ureigenthum, wie wir sie auch in Neuholland finden, erhalten hat; so in Hawaii (Remy 165), in Tahiti (Moerenhout 1, 451-57). Wir finden auf allen diesen Inseln jetzt Gedanken an Seelenwanderung eingemischt; allein man muss bedenken, dass der Glaube an die behuetende Macht der Seelen der Vorfahren, also an den Uebergang der abgeschiedenen Seelen in Schutzgeister der Lebenden in Polynesien spaeter vielfach aufgekommen ist. Auch anderer Aberglaube als dieser entzog bisweilen den Naturvoelkern die Nahrung, wie z.B. Grey 1, 363-364 erzaehlt, dass, weil einige Eingeborene beim Muschelessen gestorben waren, die Neuhollaender, die ihn begleiteten, aus Furcht vor Zauberei nicht dahin zu bringen waren, selbst durch den aeussersten Hunger nicht, dass sie Muscheln assen; und Derartiges liesse sich, wenn es fuer unsern Zweck nicht zu weit fuehrte, noch mancherlei sammeln. Dass nun die engen dumpfigen Wohnungen vieler dieser Voelker (es bedarf hierzu keiner Belegstellen), worin oft sehr viel Menschen zusammengepfercht wohnen und schlafen und die oft von Schmutz und Ungeziefer starren, ungesund sind, versteht sich von selbst. Andere Staemme (Feuerlaender, Australier u.s.w.) haben in ihren Wohnungen fast gar keinen Schutz vor dem Wetter; die Buschmaenner (Waitz 2, 344) haben zu ihren stets wechselnden Schlafstaetten Erdloecher, die sie mit Baumzweigen ueberdecken, Felsspalten und Buesche. Auch auf die meist sehr mangelhafte Bekleidung dieser Voelker braucht hier bloss hingewiesen zu werden. Alles dies, die Art wie sie sich naehren zumeist, ist zwar schaedlich und bewirkt es, dass nirgend die Naturvoelker sehr hohe Kopfzahlen aufzuweisen haben; aber alles dies ist auch wiederum nicht von solchem Einfluss, dass es das Aussterben dieser Voelker allein schon erklaerte; wir duerfen es nur als sekundaere Ursachen dafuer betrachten, als solche aber duerfen wir es auch durchaus nicht uebergehen oder unterschaetzen. Waere dies ihr Leben dem menschlichen Organismus zutraeglicher, so wuerden sie auch manches feindliche Schicksal, welchem sie so erliegen oder erlegen sind, ueberwunden haben. Sec. 6. Charakter der Naturvoelker. Aber nicht bloss diese Fahrlaessigkeit in Bezug auf ihr aeusseres Leben schadet den Naturvoelkern: ihr ganzer Charakter, wie er sich im Laufe der Jahrtausende entwickelt hat, steht einem kraeftigen Gedeihen im Wege und so muessen wir auch diesen, wenigstens nach einigen Seiten hin, betrachten. Zunaechst ist unter ihren geistigen Eigenschaften ihre furchtbare Traegheit hervorzuheben, welche z.B. in Mikronesien so weit geht, dass man viel zu indolent ist gegen eine fuerchterliche Form des Aussatzes, welche in ihrem Anfang noch heilbar und leicht heilbar in ihrer Entwickelung ebenso qualvoll als absolut toedtlich wird, auch nur das Mindeste zu thun: man sieht dem ersten Anfange, der noch nicht belaestigt, mit groesster Seelenruhe zu, bis jede Huelfe zu spaet ist (Virgin 2, 103). Diese Faulheit, welche Waitz 1, 350; b, 84, 90 und sonst zur Genuege geschildert hat, ist denn auch ein Grund, weshalb Naturvoelker so selten Vorraethe sammeln, ja verhindert sie oft nur auszugehen, um Nahrung zu suchen, wie Grey 2, 262-63 von den Neuhollaendern sagt; namentlich im Sommer bei Hitze und im Winter bei Kaelte und Naesse leiden sie Hunger, die Folge ihrer Traegheit. Beispiele von den Hottentotten zu geben waere ueberfluessig. Diese Traegheit schadet ihnen aber noch auf ganz andere Weise. Denn wie Fleiss, Interesse und geistige Anspannung auch koerperlich anregen und groessere Kraft und dem ganzen Organismus auch leiblich erhoehteres Leben verleihen, so schwaecht umgekehrt fortgesetzte Schlaffheit und geistige Traegheit, wie sie die Naturvoelker in so hohem Grade ausser wenn sie Noth treibt bekunden, auch die leibliche Kraft und die Funktionen des Koerpers scheinen darunter zu leiden. Wenn nun dieser Zustand durch leibliche und geistige Vererbung (auch der Einfluss geistiger Vererbung ist von groesster Bedeutung und wohl noch nicht ueberall hinlaenglich gewuerdigt) sich immer mehr befestigt, so muss er auf das Gedeihen der Naturvoelker einen immer gefaehrlicheren Einfluss haben. Allerdings ist das Ineinandergreifen des leiblichen und geistigen Lebens ein schwieriger und dunkler Punkt, auf den aber gerade deshalb ganz besonders aufmerksam gemacht werden muss. So entwickelt sich denn aus dieser Traegheit des aeusseren auch eine Starrheit und Unbeweglichkeit des geistigen Lebens, die gleichfalls von den schlimmsten Folgen fuer diese Voelker ist, schon dadurch, dass jeder gute Einfluss der Europaeer auf sie, jeder Versuch, sie zur Kultur emporzuheben, ausserordentlich erschwert wird. Dadurch abgeschreckt haben auch vorurtheilsfreie Maenner, wie Meinicke, behauptet, sie seien zu jeder Kultur unfaehig, und doch ist, wie Erfahrungen bei allen Naturvoelkern bewiesen haben, nichts falscher, als diese Behauptung. Da nun diese Starrheit mit jeder Generation nach und nach zunimmt, so wirken auch historische Schicksale, Wanderungen und dergl. unendlich viel schwerer auf diese Voelker, als sie vor so vielen Jahrtausenden auf die Indogermanen, die Semiten, als sie auch auf die gebildeteren Polynesier und Amerikaner wirkten. Daher versinken sie immer mehr und mehr in Roheit und Stumpfheit, und es ist nicht uebertrieben, zu behaupten, dass, auch wenn sie allein auf der Welt waeren, ohne jeglichen feindseligen Einfluss von aussen her, sie dennoch, wie jetzt ihre Entwickelung oder wohl besser ihre Verhaertung ist, nach und nach langsam vergehen und erloeschen wuerden. Denn nichts ist der menschlichen Natur, die so sehr auf Wechselbeziehung zwischen Leib und Seele gegruendet ist, schaedlicher, als eine solche Unthaetigkeit beider. Ein dritter Zug ihres Charakters, der uns hier naeher angeht, ist eine gewisse Melancholie, die sich, wie bekannt, zumeist bei den Amerikanern findet. Doch auch die scheinbar so froehlichen Polynesier, wenn man gleich ihr Temperament nicht wie das der Amerikaner melancholisch nennen kann, zeigen manches Entsprechende. So resigniren sich die Tahitier ueber ihr Aussterben durch den oft wiederholten Ausspruch, den wohl Ellis (1, 103-104) zuerst mittheilte: der Hibiskus soll wachsen, die Koralle sich ausbreiten, der Mensch aber dahinsterben; und "es war melancholisch, sagt Darwin (2, 213), die schoenen energischen Eingeborenen Neuseelands sagen zu hoeren, sie wuessten, dass das Land nicht das Eigenthum ihrer Kinder bleiben wuerde." Fuer Kamtschatka ist wichtig, was v. Kittlitz ueber das Klima dieses Landes sagt, das bald (oder Einzelne) zur tiefsten Melancholie stimme, bald (oder Andere) zur hoechsten excentrischsten Freude aufrege. Die Schilderungen der Aleuten bei Kotzebue, Chamisso, Langsdorff u.a. enthalten ganz aehnliche Zuege von Niedergeschlagenheit, die allerdings hier mit grossem Phlegma gepaart scheint. Es ist klar, dass diese Melancholie mit jener schon besprochenen Traegheit zusammenhaengt; denn diese raubt dem Geist der Naturvoelker, der nach aller Naturvoelker Art ganz und gar vom jedesmaligen sinnlichen Eindruck und meist nur von solchen abhaengig ist, die besonnene und feste Willens- und Widerstandskraft immer mehr. So wie nun aber jeder Willensakt eine rein physische Nerventhaetigkeit voraussetzt, so wird auch fortgesetztes Nichtwollen zum bleibenden Nervenhabitus, zum nicht Wollenkoennen und dadurch vom uebelsten Einfluss auf die Seele, der, wenn dieser letzteren Leiden entgegentreten, um so groesser und vernichtender wird. Das zeigt sich nun schon bei den Naturvoelkern im Leben der Individuen. Wir sahen, dass Krankheiten ueberall als Bezauberung oder Einwirkung von Daemonen gelten; viele aber, die von Krankheiten befallen sind, sterben aus keinem andern Grund, als aus Melancholie ueber die vermeintliche Bezauberung. Beispiele fuer Neuseeland gibt Dieffenbach 2, 16, Browne 75; fuer Tahiti Ellis 1, 364, 367-68; fuer Neuholland, wo eine namenlose Angst vor Bezauberung herrscht, Grey 1, 363-64. 2, 336-40; fuer Nordamerika, wo der Tod aus aberglaeubischer Furcht gar nicht selten ist, Waitz 3, 213: und nach allem Gesagten werden wir in den Laendern, wo Krankheit durch Zauberei entsteht oder als Folge von Suenden gilt, wie z.B. in Kamtschatka, wo Krankheit und Tod erfolgen, wenn man Kohle mit dem Messer spiesst oder Schnee mit dem Messer von den Schuhen schabt (Waitz 1, 324), in allen diesen Laendern, also bei allen Naturvoelkern werden wir auch ein solches Hinsterben Einzelner aus Angst und Aberglauben finden. Sec. 7. Ausschweifungen der Naturvoelker. Die gaenzliche Abhaengigkeit der Naturvoelker von sinnlichen Eindruecken hat auch noch eine andere sehr gefaehrliche Folge fuer sie, durch welche einzelne Staemme ernstlich bedroht worden sind: wir meinen die Ausschweifungen, denen viele von ihnen verfallen sind, im Trunk und vor allen in geschlechtlicher Beziehung. Zwar von den gebildeten Voelkern Amerikas, den Mexikanern und ihren Verwandten sowie den Peruanern, kann man nicht behaupten, dass sie nach dieser Seite hin Vorwuerfe verdienten; freilich kamen bei ihnen Ausschweifungen und grobe, ja unnatuerliche Laster vor, freilich gab es bei ihnen oeffentliche Dirnen, aber alles das war keineswegs ausgebreitet und durchaus verachtet, so dass wir sie in dieser Beziehung viel hoeher stellen muessen, als die heutigen Kulturstaaten Europas. Die Schilderung freilich, welche wir bei Poeppig 375 finden, oder was uns der beruechtigte Ortiz, ein Moench zur Zeit der Entdeckung, erzaehlt, enthaelt des Scheusslichsten auch nach dieser Seite viel; Ortiz Darstellung sollte aber nur die Behandlung, welche das Land durch die Conquistadoren erfuhr, rechtfertigen und so haeufte sie alle Laster auf die Indianer. Poeppigs Nachrichten beruhen auf aehnlichen Quellen, die gleichfalls ganz unzuverlaessig und meist unwahr sind. Wenn z.B. Gomara (bei Poeppig) berichtet, dass Balboa 50 Paederasten in Quarequa in Darien und ebenso (Waitz 4, 350) den Herrn dieses Landes um desselben Lasters willen von Hunden zerreissen und dann verbrennen liess, so ist es ganz klar, dass hier die Anklage nur erfunden wurde, um die scheussliche Grausamkeit Balboas zu bemaenteln, der selbst sagt, das Laster sei nur von den Vornehmen veruebt, vom Volke verabscheut. Denn dass spanische Soldaten, unter welchen es gleichfalls vorkam (Waitz 3, 383), jemals dafuer und gar so fuerchterlich gestraft waeren, davon wird nichts erwaehnt. Waitz im 4. Bande der Anthropologie hat nun ganz klar und deutlich bewiesen, dass solche Ausschweifungen nur einzeln und selten bei diesen Voelkern sich fanden, wofuer die strengen Strafen, welche bei ihnen allen auf solchen Lastern oder auf sonstiger Unzucht standen, sprechen; vergl. Waitz 4, 85. 88. 131. 307. 350. 367 u. sonst. Ebenso wenig waren solche Laster, wie Poeppig a.a.O. will, "Volkslaster" in Peru; freilich haben die Conquistadoren auch hier das aergste zu erzaehlen gewusst und mussten, nach ihren Berichten, die grausamsten Strafen gegen die Luestlinge anwenden; wenn man aber liest (Waitz 4, 478), wie der gefangene Inka Manko Capak, Atahualpas Bruder, die Spanier flehentlich bat, dass man ihn doch wenigstens nicht zum Feuertod verurtheilen oder den Hunden vorwerfen, sondern nur aufhaengen moege, so wirft das auf jene Strafen ein ganz eigenthuemliches Licht. Auch beweisen die Zeugnisse bei Waitz 4, 417, dass auch in Peru solche Laster, Ehebruch oder gar Paederastie, durchaus nicht verbreitet waren, sondern nur vereinzelt vorkamen, wofuer wiederum die strengen Strafen, welche die einheimischen Landesgesetze gegen derartiges verhaengten, sprechen. In Nordamerika war, wie bei den eben besprochenen Voelkern, Polygamie erlaubt, keineswegs aber sehr ausgedehnt (Waitz 3, 109). Weibertausch kommt vor, als Freundschaftszeichen unter Familien (Hearne 128), ebenso auch Prostitution aus Gastfreundschaft. Keuschheit der Maedchen war ueberhaupt etwas, auf das man bei vielen Voelkern und namentlich bei den roheren, keinen Werth setzte (Waitz 3, 111). Schlimmere Dinge und namentlich Blutschande erwaehnt als gewoehnlich bei den Athapasken Hearne 128, der auch sonst den Anwohnerinnen der Hudsonsbai arge Ausschweifungen Schuld gibt (126-27). Unnatuerliche Laster werden vielfach bei den Voelkern Nordamerikas erwaehnt und Maenner in Weiberkleidern finden sich freilich an vielen Orten, so bei den Illinois, in Florida, bei den Mandans, den Osagen, den Kansas u.s.w. (Waitz 3, 113); auch bei den Bewohnern Nutkas wird Aehnliches erwaehnt (eb. 133), obgleich sie sowohl wie die Koluschen im ganzen keusch leben, anders wie die Chinook (am Columbia), bei denen Prostitution und sinnliche Ausschweifungen verbreitet waren (eb. 337). Strenger sind die Voelker vom Oregongebiete. Uebrigens ist das nicht immer ein Zeichen von unnatuerlichen Lastern, wenn Maenner Weiberkleider tragen; denn einmal scheint manche aberglaeubische Vorstellung (eb. 113) damit verbunden zu sein, in anderen Faellen war es wenigstens eine symbolische, wie z.B. die Delawares von den Irokesen "zu Weibern gemacht", d.h., gezwungen wurden, als sie gaenzlich besiegt waren, den Weiberrock anzuziehen (Waitz 3, 23. b, 158) und auch bei den Chibchas in Neu-Granada Feiglinge mit einem Weiberrock bekleidet wurden (4, 361). Bei den Illinois standen die so gekleideten Maenner in besonderem Ansehen (3, 113) und ganz aehnlich war es bei den noerdlichen Patagoniern (3, 506), wo die Zauberpriester, deren einen jede Familie hatte, Weiberkleider trugen. Auch was Combes (Hist. de las islas de Mindanao Madrid 1667 p. 55) erzaehlt, dass es bei den Subanos auf Mindanao Maenner gaebe, welche unverheirathet blieben, Weiberkleider truegen, aber geehrt waeren und keusch lebten, zugleich aber auch physisch ein weibliches Aussehen haetten, werde hier als merkwuerdige Parallele erwaehnt. Den Cariben in Suedamerika wird von den aelteren spanischen Schriftstellern gleichfalls der Vorwurf unnatuerlicher Lasterhaftigkeit gemacht, doch hat Waitz 3, 383 Recht, wenn er auch diesen Vorwurf fuer unrichtig haelt, "denn auf ihn pflegte hauptsaechlich der Anspruch gegruendet zu werden, die Eingeborenen zu rechtmaessigen Sklaven zu machen". Andere Schriftsteller laeugnen auch, dass hier solche Laster vorgekommen seien; doch fanden sich Maenner in Weiberkleidern auch hier (Oviedo bei Waitz 3, 383). Auch die Tupis in Brasilien lebten streng (3, 423); ebenso die Araukaner (3, 516). Hiermit stimmen auch alle Nachrichten bei Azara; nur dass er den Weibern der Mbayas, bei denen Polygamie erlaubt ist, mancherlei Ausschweifungen vorwirft (249-50). Es ist nicht noethig, dies bei den Amerikanern weiter zu verfolgen; fuer uns genuegt das Ergebniss, dass zwar mancherlei Ausschweifungen namentlich in Nordamerika unter ihnen sich vorfanden, dass diese aber keineswegs allgemein und bedeutend genug waren, um aus ihnen die Verminderung der Kopfzahl dieser Voelker zu erklaeren. Dass aber, seit der Bekanntschaft mit den Europaeern diese Ausschweifungen sehr zugenommen haben, ist eine traurige Wahrheit. Dem Trunk war man in Mittel- und Nordamerika nicht ergeben und ist es verhaeltnissmaessig auch jetzt noch nicht. Allerdings kannte man in Mexiko mehrere geistige Getraenke (Waitz 4, 98), von denen das eine, Pulque, Agavesaft, den man durch Ausschneiden des Herzens der Pflanze, wenn sie den maechtigen Schaft treiben will, gewinnt und gaehren laesst, auch von Europaeern (Humboldt a 3, 99) mit wahrer Leidenschaft getrunken wird; allein die Mexikaner waren maessig, wie schon aus ihren Gesetzen hervorgeht. Der Trunk wurde darin so streng geahndet, dass irgend welche Verbreitung desselben ganz unmoeglich war (Waitz 4, 83-84). Auch in Californien war er selten (eb. 240. 242). Die Eingeborenen von Nikaragua, von welchen auch verschiedene geschlechtliche Ausschweifungen berichtet werden, sollen nach Oviedo auch dem Trunke ergeben gewesen sein; allein allzu sicher sind diese Nachrichten nicht (Waitz 4, 279). Auch die Peruaner, obwohl sie verschiedene geistige Getraenke hatten, waren dem Trunke nicht ergeben (4, 429), so wie sie auch dem Genuss der Coka, die im ganzen Land gebaut wurde, nicht uebermaessig froehnten; dem Volk war sie ganz verboten (422). Obwohl nun die Eroberung des Landes die Sitten vielfach verschlechterte, so sind doch auch jetzt noch weder die Peruaner (500) noch die Mexikaner (196) und die ihnen verwandten Voelker dem Trunk ergeben (227)--wenn es auch Feste gab, z.B. in Yukatan, bei welchem sich die Weiber berauscht haben sollen (4, 307), oder bei denen, wie in Nikaragua, allgemeine Zuegellosigkeit herrschte (279). Denn bei allen solchen Festen waren gewiss, wie bei aehnlichen semitischen und indogermanischen, religioese Motive wirksam. Anders war es in Suedamerika, wo Schomburgk 2, 420 die Cariben als Trunkenbolde schildert; und schon von Alters her hatten sie ausser andern ein berauschendes Getraenk aus Cassadabrod, welches zerbrochen, mit heissem Wasser zu einem Teig zerruehrt, dann von alten Weibern durchgekaut und in einen Trog gespieen wurde, wo es nun gaehren musste (Schomburgk 1, 173); ganz aehnlich bereiteten die Tupis einen berauschenden Trank aus Mais oder Hirse, wobei das Getreide gekocht und von alten Weibern durchgekaut wurde. Sie nannten es Caouin oder Kaveng und sowohl durch die Bereitungsart als durch den Namen wird man an den gleich zu erwaehnenden polynesischen Kavatrank erinnert (Waitz 3, 423-24). Gegohrene Getraenke hatten die Araukaner (3, 509), die Chiquitos, die dem Trunke sehr ergeben waren (eb. 530) und sind (533), die Moxos (537), welche ihn gleichfalls sehr lieben und andere Voelker schon vor der Entdeckung. Dass nun durch den Einfluss der Europaeer diese Neigung nicht vermindert, sondern nur gestiegen ist, begreift sich; und so wird es uns von den Cariben (Schomburgk 1, 173) von den Warans (eb. 1, 123), den Charuas (Azara 184), den Mbayas (eb. 242) u.s.w. berichtet. In Nordamerika, bei den Indianern der Vereinigten Staaten, waren vor den Europaeern keine geistigen Getraenke in Gebrauch, ja Wasser war fast das einzige Getraenk, was sie genossen, wie Waitz 3, 82 ins Einzelne ausfuehrt; ebenso war es bei den Koluschen und den Chinooks (3, 84. 337). Wenn nun der Trunk, der Branntwein in Nordamerika doch so traurige Folgen gehabt und ganze Staemme dahin gerafft hat, so dass man oft genug die Behauptung findet, die Indianer seien von Natur dem Trunke ergeben gewesen; so fordert dies zur genaueren Untersuchung der Sachlage auf, die sich nach Waitz 3, 83-84 und 270, der die Quellenbeweise beibringt, so stellt, dass die Indianer sich aufs staerkste gegen den Verkauf von Branntwein gewehrt und viele Vertraege geschlossen haben, in welchen die Einfuhr derselben ausdruecklich verboten war, dass aber der Branntwein dennoch, sogar mit Gewalt, von den europaeischen Nationen den Eingeborenen aufgezwungen ist, theils um das Produkt abzusetzen, theils um sie im Trunke zu betruegen, theils auch geradezu, um sie durch den Trunk zu vernichten. Das ist denn nur allzugut gelungen; denn wenn auch, trotz der vorherrschenden Sinnlichkeit, die Amerikaner einen hoechst beachtungswerthen Widerstand diesem Genussmittel entgegensetzten, so konnte dieser eben bei ihrer Natur kein absoluter sein; oefters zwang sie der Nahrungsmangel zum Trunk und ein sehr haeufiger Grund, sich dem Trunke zu ergeben (der auch in Mittelamerika vielfach vorkam) war der, dass man aus der grenzenlosen Fuelle des Elends ringsher sich wenigstens einmal wieder durch den Rausch in einen gluecklichen Zustand versetzen oder dass man sich in der Verzweiflung betaeuben wollte. Uebrigens haben Voelker und Individuen sich dem Laster des Trunkes auch wieder zu entreissen vermocht (Waitz b, 43). Eigentlich also gehoerte diese Betrachtung erst dahin, wo wir vom Einfluss der Weissen auf die Naturvoelker sprechen werden, indess mag ein solches Vorausnehmen, des Zusammenhangs wegen und um den einen Gegenstand zu erschoepfen, gleich hier seine Entschuldigung finden. Tabak hat ebensowenig als Coka geschadet. Wenn nun auch die Hottentotten und die Buschmaenner gar keinen Werth auf die Keuschheit der Maedchen und Weiber legen, so waren sie doch weder in geschlechtlicher Beziehung noch im Trunk sehr ausschweifend, waehrend wir bei den Aleuten und Kamtschadalen die Verhaeltnisse wesentlich anders finden. Dem Trunk waren namentlich die Kamtschadalen ganz ausserordentlich ergeben (Krusenstern 3, 53) und wie diese Leidenschaft von den europaeischen Pelzhaendlern zu ihrem Verderben benutzt ist, werden wir spaeter sehen. Aber auch die Aleuten liebten dies Laster (Waitz 3, 314), wie sie auch sonst sehr ausschweifend lebten. Die Weiber hatten (nach Wenjaminow in Ermans Archiv bei Waitz 1, 356 Note) zwei Maenner, einen aus hoeherem Stande und einen Nebenmann aus niederem; dem Gast stellte der Wirth, um ihn gastfreundlich zu ehren, das eigene Weib zur Verfuegung. Auch der Paederastie waren sie ergeben (Waitz 3, 314) und die stumpfsinnige Melancholie, in der sie z.B. Chamisso vorfand, scheint nicht wenig durch derartige Ausschweifungen veranlasst zu sein. Den Kamtschadalen schadete gar sehr der grosse Weibermangel, der nach Krusenstern 3, 44, bei ihnen herrschte und nicht nur die Moralitaet gaenzlich, sondern auch die Fruchtbarkeit der Ehen zerstoerte. xyxyxyss Die Neuhollaender, obwohl sie von den Unverheiratheten beider Geschlechter keine Keuschheit verlangen, obwohl sie an einigen Orten die Weiber ihren Gastfreunden anbieten und sie mit guten Freunden tauschen (Angas 1, 93), sind doch so eifersuechtig, dass verheirathete Frauen sehr zurueckhaltend sein muessen (Grey 1, 256). Polygamie ist bei ihnen haeufig, aber man kann sie eigentlich nicht ausschweifend nennen. Auch geistige Getraenke hatten sie nicht. Von den Melanesiern wird nichts auffallend Schlimmes berichtet, wohl aber von manchen Orten das Gegentheil; so herrschen, nach Malte Brun in Bullet. de la soc. geogr. 1854, I, 238, auf Neucaledonien, wenn auch die Weiber ganz sklavisch gehalten werden, geschlechtliche Ausschweifungen nicht. Polygamie ist allerdings auf den Inseln Sitte (Turner 86. 371. 424), allein wirklich ausgedehnt nur bei Haeuptlingen und in selteneren Faellen. Ehebruch kommt, aus Furcht vor Strafe, kaum vor (Turner 86 in Bez. auf Tanna), allein Keuschheit der Unverheiratheten ist hier so wenig verlangt als sonst irgendwo bei den Naturvoelkern. Waehrend nun Erskine 256 von den Fidschis sagt, dass sie sehr enthaltsam lebten und Ekel vor Ausschweifungen empfaenden, so behaupten William und Calvert 1, 134, dass sie sehr zuegellos und grobe Ausschweifungen bei ihnen verbreitet seien. Moeglich, dass Erskine ein zu guenstiges Urtheil faellte; jedenfalls aber stehen die Fidschiinsulaner sehr viel hoeher als die Polynesier in dieser Beziehung und moegen wohl erst durch den fortwaehrenden Verkehr mit den Fremden zu dieser Zuegellosigkeit gesteigert sein. Am schlimmsten muessen wir ueber die eigentlichen Polynesier urtheilen, unter denen Trunk und Wollust schon vor den Europaeern aufs aergste gehaust haben. Aus der Wurzel vom Piper methysticum, dem Kavapfeffer, bereitete man, indem sie (an den meisten Orten von alten Weibern) gekaut und dann ausgespieen wurde, durch Aufguss von Wasser ein eigenthuemliches Getraenk, dem alle Polynesier sehr zugethan waren. Es berauscht nicht eigentlich, da es die Besinnung nicht raubt, aber, indem Gang und Zunge schwer werden, versetzt es den Geist in einen aehnlichen Zustand, wie das Opium; auch wolluestige Traeume u. dergl. sollen seinem Genuss folgen, der oft wiederholt allgemeine Schwaeche, Zittern, geistige Stumpfheit, Abmagerung und schliesslich scheussliche Hautkrankheiten hervorbringt, Geschwuere, welche aufbrechen und arge Narben zuruecklassen. Aber gerade diese Narben galten als Ehrenzeichen (Hale 43). Namentlich auf Tahiti und auf Hawaii war der Kavatrank beliebt; grosse Kavafeste auf Tonga beschreibt Mariner, auf Fidschi d'Urville b 4, 207 und Hale 63. Dagegen trank man ihn auf Neuseeland, obwohl man ihn kannte, nicht. Auch in Mikronesien, wo indess die Wurzel zerrieben, nicht gekaut wurde, war der Kavatrank sehr beliebt und sehr verbreitet (Hale 83: Gulick 417). Was jedoch die schaedlichen Einwirkungen dieses in der That hoechst gefaehrlichen Trankes sehr milderte, war der Umstand, dass er ein heiliges Getraenk war. Freilich durfte er daher bei keiner irgend wie bedeutenderen Gelegenheit fehlen; aber nur die Fuersten waren es, die ihn trinken durften, nie das Volk, und auch die Fuersten nur bei und unter bestimmten Feierlichkeiten (Hale 43, fuer Mikronesien Novara 1, 371). So hat denn auch der Schade, den dieser Genuss hervorrief, fast nur die Fuersten und den Adel getroffen. Gegen den Branntwein (Rum u.s.w.) hatten alle Polynesier einen grossen Widerwillen (Novara 2, 337 fuer Mikronesien), und wenn er trotzdem in Tahiti und Hawaii so verderbliche Wirkungen hervorgerufen hat, so muss man bedenken, wie er zu Tahiti von den Franzosen, zu Hawaii von diesen sowie den amerikanischen und europaeischen Kaufleuten unter heftigem Widerstreben der Missionaere und gegen den Willen der Eingeborenen (vergl. z.B. Lutteroth Geschichte der Insel Tahiti 172 u. sonst) gewaltsam eingefuehrt ist. Und schlimm genug waren die Folgen dieser Einfuehrung. "Als die Tahitier von fremden Seeleuten und Sandwichinsulanern geistige Getraenke von einheimischen Wurzeln zu destilliren gelernt und Rum in reichlicher Menge von ihnen empfangen hatten, da verbreitete sich Trunksucht sehr allgemein, und alle die Demoralisation, die Verbrechen, das Elend, welches ihr folgt, kam ueber das Volk. Unthaetigkeit wuchs, Streit in den Familien nahm ueberhand, die Verbrechen der Areois (ueber welche wir sogleich reden) nahmen zu", sagt Ellis 1, 108 und so wie hier und noch aerger war es zu Hawaii und an den Kuesten von Neuseeland. Allein die Eingeborenen (vergl. Ellis u.a.O.) haben sich an vielen Orten, Dank dem reinen Eifer der Missionaere, wieder von diesem so gefaehrlichen Laster befreit; in Neuseeland sowohl wie in Hawaii schadet der Rum nur an den Kuestenplaetzen den Eingeborenen und das ueberall wachsende Christenthum hat siegreich auch in Tahiti und sonst diese Gefahr im Allgemeinen abgewendet. Bei weitem verhaengnissvoller aber wirkten die geschlechtlichen Ausschweifungen, die wohl bei keinem Volk der Welt so schamlos verbreitet waren, wie in Polynesien. Jede Reisebeschreibung (auch andere Buecher als die schamlose Reise der Pandora von Hamilton) rechtfertigt an hundert Stellen den Namen la nouvelle Cythere, welchen Bougainville der Insel Tahiti gab. Nicht nur, dass auf Tahiti, Hawaii, Neuseeland, auch auf Tonga (obwohl man hier strenger lebt) und auf Samoa (nach Wilkes) wenigstens Fremden gegenueber die Maedchen ganz frei waren; so ist auch nirgends die Prostitution der Weiber durch Vaeter, Brueder, Gatten frecher betrieben wie hier. Polygamie herrschte ueberall. Gastfreunden bot man die Weiber an, vornehme Frauen lebten ganz zuegellos. Fuer Hawaii bezeugt dies, um nur einige Beweisstellen anzufuehren, Jarves 80, fuer Tahiti Cook und alle andern Reisenden, fuer Waihu Moerenhout 1, 26, fuer die Markesas Porter (Journal of a cruise in the Pacif. Ocean 1812-14) 2, 60, Krusenstern 1, 221; nach Mathias G*** 152 herrscht indess Prostitution nur in den Haefen. Neuseeland stand etwas hoeher; doch waren auch hier die Maedchen vollstaendig ungebunden (Dieffenb. 2, 40). Die Weiber selbst lockten die ankommende Mannschaft von Wallis Schiff durch die unanstaendigsten Geberden ans Land und die Maenner, welche das Geschaeft abschlossen, forderten schon damals fuer schoene Frauen, Toechter, Schwestern u.s.w. hoehere Preise als fuer minder schoene (Wallis 214 ff. 256). Ja vor aller Augen, und nicht etwa aus Roheit, wie die Bewohner der Palauinseln nach Kadus Zeugniss bei Chamisso 137[F], sondern umstanden von vornehmen Weibern, unter denen die Koenigin selbst, vollzogen sie die Begattung, zum Ergoetzen der Umstehenden, welche dem Paare, namentlich dem betheiligten Maedchen, Lehren gaben, um die Lust zu erhoehen--doch das war nicht noethig, denn, obwohl das Maedchen erst 11 Jahre zaehlte, so wusste sie doch mit allem schon guten Bescheid (Cook b, 126-27, vergl. 86. 106). Da ist es nicht zu verwundern, dass schmutzige Gegenstaende sehr haeufig, vor aller Ohren, Inhalt der Unterhaltung waren und nur belacht wurden. Ueberall herrschte Polygamie; auf Tahiti, Nukuhiva und Hawaii (Turnbull 65, Stewart 129, Porter 2, 30) kamen Heirathen unter Geschwistern vor, jedoch nur in der regierenden Familie, die auf andere Art keine ebenbuertige Ehe schliessen konnte, da alle anderen Adelsgeschlechter an Rang unter ihr standen (Ellis 4, 435). Auf den Markesasinseln war es nach Melville 2, 122-23 Sitte, dass die Weiber, aehnlich wie die Aleutinnen, zwei Maenner hatten, einen wirklichen Gatten und einen Nebenmann, der ganz die Rechte wie jener besass, auch im Frieden mit ihm lebte; welche Sitte nach Melville darin ihren Grund hatte, dass es weit mehr Maenner als Frauen gab. Mathias G*** sagt 111 dasselbe, was auch sonst noch vielfach bestaetigt wird. Auch unnatuerliche Lueste, denen in Tahiti ein eigener Gott vorstand (Moerenh. 2, 168), waren sehr ausgedehnt. Maenner in Weiberkleidern finden wir, wie in Amerika, auch zu Tahiti, aber hier nur im Dienste der widernatuerlichen Wollust (Turnbull 306); und da nun die Maenner des gemeinen Volks, damit die Fuersten desto mehr Weiber haetten, oder weil sie den Kaufpreis fuer die Frauen nicht zahlen konnten, fast immer unverheirathet bleiben mussten, so war Onanie unter ihnen in solchem Grade getrieben, dass sie dadurch meist unfaehig wurden, einem Weibe noch beizuwohnen (Wilson 311). "Ihre Verbrechen in dieser Art sind zu entsetzlich, als dass sie alle erzaehlt werden koennten," sagt Wilson (1799) a.a.O. Noch Ellis (1, 98) fand dasselbe vor, er sagt, die Schilderung, welche Paulus von den Heiden im ersten Kapitel des Roemerbriefes mache, passe durchaus auf die Tahitier. Auch in Hawaii waren unnatuerliche Laster ganz gewoehnlich, von denen Paederastie nur oder wenigstens vorzugweise unter den Fuersten vorkam (Remy XLIII). Mikronesien steht viel hoeher in dieser Beziehung, mit Ausnahme der alten Marianer, unter denen, freilich nach den alten spanischen Berichten (Salacar bei Oviedo XX, 16), eine arge Zuegellosigkeit herrschte, und le Gobien berichtet manches entsprechende. Aber sonst fanden die ersten europaeischen Besucher in Mikronesien keine Ausschweifungen, weder im Trunk noch in der Liebe vor, wenn auch die Maedchen leicht zu gewinnen waren: und schamhaft waren sie alle (Chamisso 91. 119). Uebrigens herrschte, nach Chamisso 118-19, Polygamie auch auf Ratak und besonders nahe Freunde besassen auch die Weiber gemeinschaftlich.--Auch im eigentlichen Polynesien gab es reinere Bezirke, so Tonga, wo die Juenglinge von Staatswegen zur Keuschheit ermahnt wurden: nie sollten sie Gewalt anwenden, nie sich gegen Ehefrauen vergehen (Mariner 1, 138); allein auch hier waren die Unverheiratheten ganz frei und ebenso die verheiratheten Maenner (2, 174), auch hier waren Unanstaendigkeiten der haeufige und gern belachte Inhalt des Gespraeches, die man nur vor verheiratheten Frauen vermied (2, 177). In Samoa herrschte noch groessere Sittenstrenge. Viel besprochen ist die Gesellschaft der Areois auf Tahiti, ueber welche Moerenhout 1, 485-503 und Ellis 1, 230 ff. handeln, und die auch wir kurz besprechen muessen, wenn wir an diesem Ort auch nur auf die furchtbare Unsittlichkeit hinweisen, welche in dieser urspruenglich religioesen Gesellschaft herrschte. Maenner und Weiber lebten in ihr aufs hoechste ausschweifend und unter dem bestimmten Gesetz, alle ihre Kinder zu toedten, beisammen und hochgeehrt vom ganzen Volk, dem sie wie Goetter erschienen, durchzogen sie die Inseln, um Feste, Schauspiele, Taenze vor der Menge aufzufuehren. Wir finden diese Gesellschaft nicht bloss auf Gesellschaftsinseln, sondern (Meinieke b 78) auch auf Rarotonga, auch im Markesasarchipel (Moerenh. 1, 502). Und da nun le Gobien 59-62 von den Uritaos der Marianen ganz das Naemliche erzaehlt, die in aller Zuegellosigkeit mit den Maedchen des Landes zusammenlebten, selbst in Blutschande, ohne dass es ihnen Tadel zuzog, da sie von hoeherer Weihe waren (Freycinet 2, 368)--so werden wir auch diese, wie schon ihr Name derselbe ist, mit jenen Areois trotz Meinickes Widerspruch (b, 79) zusammenstellen muessen. Es kann uns nicht wundern, wenn solche lasterhafte Sitten, in solcher Ausdehnung herrschend, die Gesundheit der polynesischen Bevoelkerung untergruben und sie haben es gethan. Schon eine bis zwei Generationen vor Wallis hatte die Volksverminderung, nach den Aussagen der Eingeborenen selbst, auf Tahiti angefangen (Ellis 1, 105) und dass hieran diese Ausschweifungen, wenn auch nicht allein, so doch zum groessten Theil schuld waren, kann man gewiss behaupten. Ihren entnervenden Einfluss schildern wenigstens die zuverlaessigsten Augenzeugen in den duestersten Farben, wie Ellis 1, 98 und Turnbull (1804) 307. Und ferner ist es sehr begreiflich, dass solche entnervte Wuestlinge sehr viel und leichter Krankheiten ausgesetzt waren, als gesunde Menschen, dass Krankheiten viel heftiger bei ihnen wuethen mussten und dass sich namentlich die Syphilis unter ihnen rasch verbreiten und gefaehrlich erweisen musste. Sec. 8. Unfruchtbarkeit. Kuenstlicher Abortus. Kindermord. Aber eine andere noch schlimmere Folge dieser Ausschweifungen ist die Unfruchtbarkeit der Weiber, welche in Polynesien hauptsaechlich auf diesem einen Grund beruht. Die Unfruchtbarkeit der Ehen auf den Markesas, welche schon Krusenstern 1, 255-56 und dann Melville 2, 125 betont, erwaehnt auch Mathias G*** 108 mit starkem Nachdruck. Unfruchtbarkeit ist in Hawaii sehr verbreitet (Virgin 1, 268); in Tahiti wird es erst in neuerer Zeit besser und Dieffenbach 2, 15-16 gibt als eine der Ursachen fuer das Hinschwinden der Maoris die geringe Fruchtbarkeit ihrer Weiber an. Da nun aber ganz analoge Erscheinungen sich in Melanesien (wo z.B. auf Erromango schon eine hohe Kinderzahl ist, Turner 494), in Neuholland (Grey 2, 248 ff.) und namentlich in Amerika vorfinden, so hat man, vor allem mit Ruecksicht auf die Eingeborenen des letzten Landes gesagt, die geringe Fruchtbarkeit sei ein charakteristisches Merkmal fuer niedere Racen, das in ihrer Natur selbst begruendet liege. Allerdings haben die Weiber der Botokuden (Tschudi 2, 284), der Makusi (Schomburgk 2, 312) der meisten brasilianischen Voelker (Azara an vielen Stellen) und ebenso auch der meisten Nordamerikaner (wofuer Waitz 1, 169 die Beispiele zusammenstellt) sehr wenige, oft auch gar keine Kinder; allein wie man hierin ein Racenmerkmal finden soll, ist fuer Unbefangene unmoeglich abzusehen. Denn erstlich zeigen sich eine lange Reihe aeusserer Gruende, wodurch die Unfruchtbarkeit bewirkt wird; ausser den schon besprochenen Gruenden wie Ausschweifungen, Krankheit u. dergl., die auch in Amerika und vor allen auf Kamtschatka und den Aleuten wirkten, muss hier auf das gleichfalls schon erwaehnte lange Saeugen hingewiesen werden, welches der Fruchtbarkeit Abbruch thut, ferner und ganz besonders auf die meist ueberaus elende Stellung der Weiber, auf die Noth, die ewigen Muehsale, unter denen sie ihr Leben hinbringen muessen. Dann heirathen viele Voelker nur im eigenen Stamm und man kann wohl sagen, da bei vielen kleineren Voelkern Stamm und Familie so ziemlich zusammenfaellt, in derselben Familie; dass aber auch hierdurch eine Verminderung der Fruchtbarkeit eintritt, ist bekannt genug. So z.B. die Botokuden; daher Tschudi (2, 284) in diesem Umstand einen Hauptgrund fuer die Unfruchtbarkeit ihrer Ehen sieht. Auch bei den Bewohnern von Darien zeigten sich die schaedlichen Folgen solcher Heirathen (Waitz 4, 351). Der allzufruehe Coitus, den Dieffenbach 2, 15 fuer die Unfruchtbarkeit der Neuseelaenderinnen als einen Hauptgrund anfuehrt, ist wichtig fuer viele Voelker, da er bei vielen, wie wir sehen, vorkommt. Obwohl nun Humboldt (b, 2, 190), nach dem Zeugniss der amerikanischen Ordensgeistlichen am Orinoko, darin keine Gefahr fuer die Zahl der Bevoelkerung sehen will, so spricht doch die Natur der Sache und mannigfache Erfahrung gegen ihn. Doppelt gefaehrlich wird aber zu frueher geschlechtlicher Umgang bei Voelkern, bei denen es an Weibern fehlt. So heirathen die Maedchen der Tarumas in Guyana, weil es unter diesem Volk nur wenig Weiber gibt, schon vor der Pubertaet (nach Schomburgk bei Waitz 1, 170). Mehr Maenner als Weiber gab es noch in verschiedenen Orten in Amerika (z.B. Californien Waitz 1, 170 Anmerk., bei den Guanas Azara 232), in Polynesien (Tahiti, Markesas u. sonst) und in Kamtschatka, wo der Mangel an Weibern, wie wir sahen, vorzugsweise gross war. Durch diesen wurde denn wieder eine andere sehr wenig heilsame Einrichtung gefoerdert, dass in Neuholland junge Maedchen zunaechst an alte Maenner und erst nach deren Tode, wenn sie nun mittlerweile aelter waren, an juengere Leute verheirathet wurden (Nind im Journ. R. Geogr. Soc. 1, 38), eine Sitte, welche bei den Irokesen ebenfalls im Schwunge war: "Der junge Mann von 25 Jahren erhielt bei ihnen oft eine aeltere Frau zugetheilt als er selbst war, der alte Wittwer dagegen waehlte sich ein junges Maedchen" (Waitz 3, 103). Dass wir unter diesen Gruenden die Polygamie und Polyandrie mit ihren gewiss schlimmen Folgen fuer die Bevoelkerungszahl nicht besonders erwaehnen, hat seinen Grund darin, dass wir diese beiden Einrichtungen, auch wenn sie noch so gesetzmaessig sind, unter die Ausschweifungen rechnen und also, was von jenen gesagt ist, auch fuer diese gilt. Ebenso, was man fuer manche amerikanische Voelker als Grund fuer die Unfruchtbarkeit angefuehrt hat, die geringe Neigung der Maenner fuer das weibliche Geschlecht und ihre minder entwickelten Genitalien (Poeppig, Azara, Waitz 1, 171 u.s.w.) lassen wir auf sich beruhen, da dieser Umstand keineswegs allgemein und keineswegs in den daraus abgeleiteten Folgen sicher ist. Weit wichtiger sind noch einige psychische Gruende, die wir recht hervorheben moechten. Wie Gram und Kummer, Druck und Despotismus das aeussere Leben zurueckhalten und verkuemmern lassen, so wirken sie natuerlich auch auf die Fruchtbarkeit der Weiber ein, denn der Einfluss des geistigen Lebens auf jede Seite des leiblichen, so sehr man ihn auch anerkennt, kann kaum maechtig genug gedacht werden. Wo daher ein schwerer Druck auf der Bevoelkerung liegt wie durch die Adelsherrschaft in Polynesien und hier namentlich auf den Fidschi- und Hawaiiinseln, da wird es auch leichter unfruchtbare Ehen geben. Und noch mehr, wenn der Druck der Herrscher zugleich das tiefste moralische Weh ueber die Unterworfenen bringt, wie das durch die furchtbaren Einwirkungen der Europaeer fast ueberall geschehen ist. Auch ist zu bemerken, dass von diesen Gruenden stets mehrere vereint, nie einer allein wirken; dass wir die verminderte Fruchtbarkeit also aeusserlich veranlasst sehen, wodurch die Ansicht, sie sei Racencharakter, schon erschuettert wird. Und waere sie es wirklich, so muesste sie doch ueberall sich bei den betreffenden Racen zeigen. Aber das ist gar nicht der Fall. In Neuholland z.B., wo allerdings Heirathen in demselben Stamme so gut wie gar nicht vorkommen, werden fruchtbare Ehen gar nicht selten erwaehnt. Grey (a.a.O.) sah 41 Weiber, welche zusammen 188 Kinder hatten; und gar manches Volk in Amerika gibt es, welches eine sehr reichliche Kinderzahl besitzt, so die Staemme der Nordwestkueste, die Nordindianer, welche Hearne besuchte, die Chippewais, die Sioux, die Mandans, und manche Suedamerikaner, welche Waitz 1, 171-72 zusammenstellt. Und waehrend einzelne Theile melanesischer Bevoelkerung meist nur kinderarme Familien aufweisen, ist das Gegentheil bei anderen, z.B. den Fidschis der Fall; dieselben Gegensaetze zeigt Mikronesien und Polynesien, in welchem letzteren Gebiet z.B. Tonga ganz anders als Tahiti und die Markesasinseln nur fruchtbare Ehen kennt. Und wer hat je etwas der Art von dem Brudervolk der Polynesier, von den Malaien gehoert? Gedeihen sie nicht reichlich in ihrer Inselwelt und muesste nicht, waere die Unfruchtbarkeit Racencharakter, sie sich auch bei ihnen vorfinden? Umgekehrt aber findet sie sich bei Kulturvoelkern, bei denen die oben besprochenen Gruende wirksam sind, wofuer Waitz 1, 173 einige Beispiele aufstellt. Wo diese Gruende aber wegfallen, da sind die Weiber auch sonst minder fruchtbarer Staemme mit Kindern gesegnet. Neuseelaenderinnen mit Europaeern (Dieffenbach 2, 152) und Botokudinnen mit Weissen oder Negern vermaehlt (Tschudi 2, 284) pflegen sehr fruchtbar zu sein, weil dann die Frau meist ein ruhigeres, besseres Leben hat, wie Tschudi dies sehr richtig a.a.O. erklaert, nicht aber etwa in Folge der Vermischung und des Einflusses einer hoeheren Race, da ja in der Ehe mit Negern dasselbe Verhaeltniss eintritt. Wir wuerden schon hieraus die Unfruchtbarkeit der Weiber vollkommen erklaerlich finden, ohne Hinzunahme einer so wenig begruendeten Theorie, wie die von der minderen Zeugungsfaehigkeit der hinschwindenden Racen. Aber einen der wichtigsten Gruende, welcher nicht nur diese Unfruchtbarkeit, sondern ueberhaupt die Verringerung der Naturvoelker nicht zum mindesten Theil erklaert, haben wir noch zu besprechen: es ist das weitverbreitete Toedten der Kinder vor oder gleich nach der Geburt. Bei den Hottentotten (Sparmann 320) herrschte die Sitte, Saeuglinge, deren Mutter starb, mit dieser zugleich zu begraben oder auszusetzen; ebenso toedteten sie von Zwillingen das eine Kind. Kuenstliche Fehlgeburten kamen haeufig bei ihnen vor. Noch haeufiger war dies alles bei den Buschmaennern, welche bei ehelichen Streitigkeiten, bei Nahrungsmangel, der sie oft genug betraf, und bei eiliger Verfolgung die Kinder toedteten, aus Rache und Zorn gegen den Ehegatten, oder weil sie dieselben nicht ernaehren, nicht mitnehmen konnten; das heisst in den meisten Faellen, weil sie jede ungewoehnliche Anstrengung, welche ihnen die huelflosen Kinder auferlegt haetten, scheuten. Zwillinge und missgestaltete Kinder wurden stets umgebracht (Waitz 2, 340 und daselbst die Quellen). Ebenso war es in Amerika, namentlich in der suedlichen Haelfte des Kontinentes, waehrend die Indianer Nordamerikas, wie sie ueberhaupt hoeher stehen, auch ihre Kinder besser halten, ja sie oft mit der innigsten Liebe pflegen. So verwenden z.B. die Potowatomi auch auf arbeitsunfaehige und bloedsinnige Kinder zaertliche Sorgfalt (Waitz 3, 115-16); und die Huronen zogen auch solche Saeuglinge auf, deren Mutter gestorben war (Waitz b, 100). Kuenstlicher Abortus dagegen war weit verbreitet unter den Thakallis, dem westlichsten Stamm der Athapasken, welcher auch sonst sehr tief stand und von Keuschheit oder ehelicher Treue keinen Begriff hatte (Waitz b, 90). Dass die Knisteno namentlich ihre weiblichen Kinder toedteten, um sie vor dem elenden Loos des Lebens, das sie erwartete, zu behueten (Waitz 3, 103), ist schon erwaehnt. Und nun gar in Suedamerika. Die Guanas (Azara 232) bringen die meisten Maedchen sofort bei der Geburt um, indem sie die Neugeborenen lebendig begraben; ueberhaupt aber ziehen sie nur etwa die Haelfte ihrer Kinder auf. Da es bei den Tupis Sitte war (Waitz 3, 423), die Neugeborenen dadurch anzuerkennen, dass man sie vom Boden aufhob, so koennen wir hieraus schliessen, dass bei ihnen, wenigstens in frueherer Zeit, viele Kinder, die man eben nicht aufhob, getoedtet sind. Von den Guaikurus (oestlich vom oberen Paraguay) berichtet Azara 273, dass die ganze Nation hauptsaechlich durch Abtreiben der Kinder, von denen sie nur das letzte und also, da diese Rechnung sehr unsicher ist, oft keins schonten, ganz verschwunden sei; und wenn wir auch mit Waitz (3, 430) diese Nachrichten, sowohl in Beziehung auf ihr Aussterben--denn Castelnau z.B. fand 6 Staemme von ihnen, darunter zwei ackerbauend, am Paraguay vor--als auch in Betreff dieser furchtbaren Ausdehnung des Kindermords fuer uebertrieben halten, so muss doch kuenstlicher Abortus bei ihnen vorzugsweise verbreitet gewesen sein, wie ihn auch noch neuere Reisende, Martius, Castelnau bei Waitz 3, 472 als gewoehnlich unter ihnen angeben. Auch von den Mbayes, welche indess von den Guaikurus nicht zu trennen sind, gibt Azara 250 genau dasselbe an: sie toedten alle Kinder bis auf eins, bisweilen auch alle insgesammt. Als Gruende fuer diese Sitte geben die Indianerinnen an, regelmaessige Geburten machten sie vor der Zeit alt und haesslich, auch sei es ihnen, bei ihren ewigen Wanderzuegen, wo sie selbst oft nichts zu essen haetten, sehr schwer mehr als ein Kind mitzunehmen und zu erhalten. Fuehlte sich also eine Frau schwanger, so legte sie sich auf die Erde und andere Weiber gaben ihr so lange die heftigsten Schlaege auf den Unterleib, bis Blut und bald darauf die Frucht abging, eine Operation, an der natuerlich viele Weiber sogleich oder kurz darauf starben, andere wenigstens ihr ganzes Leben siechten (Azara a.a.O.). Auch bei den Abiponen herrschte dieser Gebrauch; mehr als zwei Kinder zogen sie nicht auf (Waitz 3, 476). Die Tobas (zwischen Abiponen und Guaikurus, oestlich vom Paraguay) toedten viele ihrer Kinder (Waitz 3, 475), die Lules (oestlich von den Tobas) alle unehelichen, von Zwillingskindern, welche fuer ein Zeichen von Untreue gelten, immer eins, und wenn die Matter stirbt, so begraben sie den Saeugling mit ihr (Waitz 3, 480). Die Yurakares, westlich vom Titikaka-See, mordeten ihre Kinder, wenn sie keine Lust hatten, sie weiter zu verpflegen (Waitz b, 100). Die Moxos toedteten von Zwillingen immer das eine Kind und begruben kleine Kinder mit ihrer Mutter, wenn diese starb (Waitz 3, 537). Gegen Zwillingskinder wandten sie diese Massregel an, weil man in einer solchen Doppelgeburt etwas Thieraehnliches sah (Waitz b, 100). Die Chiquitos (zwischen dem oberen Paraguay und dem Titikaka) hatten so wenig Anhaenglichkeit an ihre Kinder, dass sie dieselben leicht fortgaben oder verkauften (Waitz 3, 530) und von den Minuanes (am unteren Parana) erzaehlt Azara 191 ganz aehnliches; waren die Kinder entwoehnt, so kuemmerten sich die Eltern gar nicht mehr um sie, vielmehr wurden sie von verheiratheten Verwandten aufgezogen. Bei den caribischen Voelkern herrschten dieselben Sitten, wie dies Humboldt b 4, 225-28 genauer schildert. Von Zwillingen toedten sie immer ein Kind, um nicht wie Ratten, Beuteltiere und das niederste Gethier, das viele Jungen zugleich wirft, zu sein, oder weil man auch hier in einer solchen Doppelgeburt ein Zeichen von Untreue sieht. Auch missgestaltete, ja selbst schwaechliche Kinder werden getoedtet, um sich der Last, die man spaeter mit ihnen haben wuerde, zu entziehen. Die Frauen dieser Voelker haben verschiedene Pflanzenaufguesse, welche sie zum Abtreiben anwenden und zwar in verschiedenen Gegenden zu verschiedener Zeit, je nachdem sie es fuer die Gesundheit und die Schoenheit frueh oder spaet Kinder zu bekommen fuer zutraeglich halten. Auch bei den Makusis sieht Schomburgk (2, 312), so sehr er auch sich gegen diese Annahme straeubt, sich genoethigt, an kuenstliche Fehlgeburten zu glauben. Wenn er aber meint (313), dass Zwillinge bei ihnen nicht getoedtet wuerden, und dass ueberhaupt solche Geburten hoechst selten bei ihnen seien, weil er nur zweimal unter den Eingeborenen von Guyana, einmal unter den Makusis, einmal unter den Waikas Zwillinge sah und nie von ihnen reden hoerte, so ist das sicherlich unrichtig, denn er selbst erzaehlt, dass die Frauen jener Voelker auf seine Bemerkung, die Europaeerinnen bekaemen bisweilen zwei, ja drei Kinder, den Mund spoettisch verziehend geantwortet haetten: wir sind keine Huendinnen, die einen Haufen Junge werfen.[G] Also auch hier dieselbe Auffassung wie ueberall in Suedamerika und sicher auch derselbe Gebrauch. Schon die Seltenheit von Zwillingen spricht dafuer; und wenn die Indianer nie von Zwillingen sprechen, so erklaert sich das aus dem herrschenden Gebrauch, von der Ermordung der Kinder ueberhaupt nicht zu reden; man thut, als seien sie eines natuerlichen Todes gestorben: "Das arme Kind konnte nicht mit uns Schritt halten; man hat nichts mehr von ihm gesehen" (Humboldt 64, 226). Auch bei den Kulturvoelkern Amerikas herrschte derselbe Brauch. Die Mexikaner, in dem Glauben, dass Zwillinge den Tod des Vaters oder der Mutter vorbedeuteten, toedteten oft das eine der beiden Kinder (Waitz 4, 164). Die Chibchas, in Neu-Granada, thaten dasselbe, weil sie in Zwillingsgeburten die Folge grober Ausschweifungen sahen (eb. 4, 367). Auch in Peru galten Zwillinge als ueble Vorbedeutung fuer die Eltern, der man in vielen Theilen des Landes durch Fasten (eb. 417), in anderen durch Toedtung eines der Kinder vorzubeugen suchte (eb. 461). Die darischen Weiber sollen ihre Kinder getoedtet haben, um ihre Schoenheit zu bewahren (350). Die zu den Chibchas gehoerenden Panches toedteten alle ihre Kinder, so lange ihnen nur Maedchen geboren wurden (eb. 376); und hier mag denn den Schluss die Bemerkung bilden, dass die vielfach vorkommende Toedtung der Maedchen urspruenglich wohl nicht den Grund hatte, den Toechtern ein schlimmes Lebensloos zu ersparen, welche Auffassung gleichwohl spaeterhin gegolten haben mag: der Hauptgrund war gewiss ein aberglaeubisch-religioeser oder wenigstens der, dass man Knaben der Kriegstuechtigkeit halber und weil man sie fuer vortrefflicher hielt, lieber sah als Maedchen. Dieselben Sitten galten in Neuholland. Stirbt die Mutter eines Saeuglings, so wird derselbe mit ihr begraben und von Zwillingen stets das eine Kind getoedtet (Freycinet 2, 747), in Ost- und Westaustralien; missgestaltete Kinder oder solche, die bei der Geburt Schmerzen machen--diese alle gewiss, weil man sie von boesen Geistern besessen glaubt--toedtet man gleichfalls, so wie alle Kinder von europaeischen Vaetern, welche die Mutter verliessen (Grey 2, 251. Bennet 1, 122). Von Mischlingskindern toedtet man nach Breton (231) indess nur die Knaben, nicht die Maedchen, waehrend sonst die Maedchen so vorzugsweise getoedtet werden, dass nach Grey (2, 251) das Verhaeltniss der Weiber und Maenner wie 1: 3 ist. Jede Mutter toedtet ihr drittes, bisweilen schon ihr zweites Maedchen, wenn es nicht eine fremde Frau als ihr Kind annimmt (Salvado 111). Fehlgeburten werden oft herbeigefuehrt und Neugeborene oft getoedtet, um der Last und der Schwierigkeit, Kinder aufzuziehen, zu entgehen (Meinicke a 2, 208). Ja es soll sogar vorkommen, dass Eltern ihre neugeborenen Kinder selbst auffressen (Stanbridge, transaction of the ethnol. Society X. S. 1, 289; Australia felix 129; Angas 1, 73). Auf Vandiemensland dagegen herrschte der Kindermord nicht (Bibra 16). Wohl aber in Melanesien, und so auf Vate (Gill 67), wo man neugeborene Kinder lebendig begrub und nur zwei bis drei aufzog (Turner 394), und ebenso war es auf Erromango (Turner 491) und in groesster Ausdehnung auf den Inseln in der naechsten Naehe von Neuguinea (Reina in Zeitschr. 4, 359). Auf den Fidschiinseln war der Kindermord gleichfalls nicht selten, wie Williams und Calvert (1, 180) berichten und das Gemaelde, das sie entwerfen, ist duester genug: kuenstliche Fehlgeburten, Toedtung der Kinder, namentlich der Maedchen, gleich nach der Geburt, ist sehr haeufig, aus Laune, aus Faulheit, aus Eifersucht und Rache; wie in Polynesien gab es auch hier in jedem Dorf Leute, welche Fehlgeburten herbeizufuehren verstehen. Hale (66) schreibt den Fidschis dieselbe Sitte zu, welche wir bei den Tupis fanden und welche ja auch unter den Indogermanen eine so weit verbreitete war, dass alle Kinder, welche der Vater oder Priester nicht unmittelbar nach der Geburt vom Boden aufnimmt, als "ausgestossene" getoedtet werden. Aber schlimmer noch und wahrhaft in entsetzlicher Ausdehnung tritt der Kindermord auf im uebrigen Ozeanien. Wir beginnen mit Mikronesien. Waehrend allerdings die Carolinen frei von diesem Verbrechen waren (Chamisso 137), durfte auf den Ratakinseln keine Mutter mehr als drei Kinder grossziehen: alle uebrigen wurden umgebracht (Chamisso 119); und ebenso ist, um uebergrosse Bevoelkerung zu vermeiden, kuenstlicher Abortus bei den Gilbertinsulanern nach Gulick (410), allerdings gegen Hales Ansicht, haeufig. Von der Kingswillgruppe, aber mit Ausnahme von Makin, sagt auch Hale dasselbe (96). Nach alledem, was wir von den marianischen Uritaos wissen, scheinen auch sie, obwohl bestimmte Daten darueber fehlen, die Kinder, welche ihnen bei ihren Ausschweifungen und namentlich die, welche von niederen Weibern geboren worden, getoedtet zu haben. Im eigentlichen Polynesien nun bleiben auf Tikopia nur die aeltesten beiden Soehne am Leben, um die Insel nicht zu uebervoelkern, so wie alle Maedchen, daher die Insel weit mehr Weiber als Maenner hat (Dillon 2, 134). Auf Tonga kam der Kindermord, dessen Motiv dann meist Traegheit oder Bequemlichkeit ist, nur vereinzelt vor (Mariner 2, 18-19), auf Samoa aber gar nicht (Wilkes 2, 80, Williams 560) und ebenso wenig, um das hier gleich anzuschliessen, auf den Herveyinseln (Williams 560). Allein auf Tahiti war das Verbrechen so im Schwunge, dass Ellis (1, 249) annimmt, es habe sich in der Ausdehnung, wie er es vorfand, erst in etwa den letzten 50 Jahren vor der Entdeckung, ausbreiten koennen, weil sonst eine so zahlreiche Bevoelkerung, wie sie Wallis und Cook vorfanden, sich unmoeglich habe erhalten koennen. Cook fand den Kindermord schon allgemein verbreitet vor und suchte vergeblich den Koenig Otu zu seiner Abschaffung zu veranlassen. Auch die Missionaere des Duff (1796) fanden die Toedtung der Kinder als etwas ganz Selbstverstaendliches, ueber das mit der groessten Gleichgueltigkeit geredet wurde (Wilson 272. 310); und mit demselben Entsetzen ueber diese Gleichgueltigkeit wie Wilson sagt auch Ellis, dass etwa zwei Drittel der Kinder getoedtet seien. Die ersten drei Kinder wurden es meist, Zwillinge gleichfalls, mehr wie zwei oder drei Kinder zog Niemand auf. Allein eben dadurch konnten sich die Geburten rascher folgen und so fand Ellis Frauen, welche vier, sechs, acht, ja 10 und noch mehr Kinder getoedtet hatten (1, 250. 251); ja er versichert, und da kein Stand von dem Gebrauche ausgeschlossen war, ganz glaublich, kein Weib gefunden zu haben, das nicht seine Haende mit dem Blut der eigenen Kinder befleckt haette. Unter den Areois nun war es so strenges Gesetz, alle Kinder, welche den Mitgliedern der Gesellschaft geboren wurden, zu toedten, dass wer sich diesem Gesetz nicht fuegte, sofort ausgestossen wurde. Die einzigen Ausnahmen, welche gestattet waren, bestanden darin, dass die ersten Fuersten ihren ersten Sohn behielten und dass die vornehmsten Areois (die Gesellschaft hatte 12 Grade, Moerenhout 1, 489) nur ihr aeltestes Kind so wie alle Maedchen toedteten. Das letztere geschah auch hier wohl aus religioesen Gruenden oder weil man die Maedchen fuer geringer als die Knaben hielt; Moerenhout, dem diese Nachrichten entlehnt sind--er handelt von den Areois 1, 485-98--ist der Meinung, alle diese Morde seien vollbracht, um die Volksmenge der Insel nicht uebergross werden zu lassen, welcher Ansicht man kaum beipflichten wird; wie denn auch das tahitische Volk selbst der Ansicht war, die Weiber braechten zur Conservirung ihrer Schoenheit die Kinder um. Dass alle Kinder einer Mischehe--wenigstens, nach Williams 565, eines gemeinen Mannes und einer adligen Frau--umgebracht wurden, versteht sich nach den Begriffen, welche man ueber die verschiedenen Staende hatte und nach denen der Adel ganz goettlich, das Volk aber nicht einmal im Besitz einer Seele war, von selbst. Fuer Tonga waehlte man solche Kinder vorzueglich gern, nach Mariner, zu Opfern aus. Und so war es auf allen Gesellschaftsinseln. Williams erzaehlt von Raiatea, wo er (1829) seine Station hatte, folgendes Beispiel. Er sass mit Bennett in einem Zimmer, in dessen Hintergrund mehrere eingeborene Weiber arbeiteten und als Bennett sich bei ihm nach der Ausdehnung des Kindermords erkundigte, so fragte er, um sich selbst zu ueberzeugen, ob das Verbrechen so allgemein sei als er glaube, die zufaellig anwesenden Weiber, die er nicht weiter kannte, wie viel Kinder jede getoedtet habe: neun die eine, sieben die andere, die dritte fuenf, also alle drei zusammen 21! Eine andere Frau bekannte sterbend, dass sie 16, ein vornehmer Haeuptling, dass er 19 umgebracht haette und manche Familien hatten alle getoedtet (Williams 562-565). Als Gruende geben ihm die Eingeborenen an, zunaechst Furcht vor den ewigen Kriegen und ihren blutigen Zerstoerungen; man wollte von den Kindern nicht gehindert sein, auch wohl boese Schicksale ihnen ersparen und was wohl der Hauptgrund war, dem Feind keine Gelegenheit zu irgend welchem Triumph (etwa durch Gefangennehmung oder Ermordung der Kinder) geben. Zweitens war aber die Verschiedenheit des Ranges ein wichtiger Grund. War ein Mann von niederem Rang als seine Frau, so konnte er durch Toedtung von zwei, vier oder sechs Kindern, je nachdem er tiefer stand, zum Rang der Frau sich erheben und die Kinder, welche ihm, nachdem er diese Stufe erreicht, geboren wurden, blieben am Leben. Die Frau aber, welche von minder hohem Range als ihr Mann war, konnte, da alle Vererbung nur in weiblicher Linie erfolgte, sich durch kein Mittel, auch dieses nicht erheben. Blieben aber in gemischten Ehen die Kinder ohne Weiteres am Leben, so sank die Familie auf den Rang herab, welchen der minder vornehme der Eltern inne hatte (Ellis 1, 256). Als dritten Grund fuehrt Williams die Eitelkeit der Weiber auf: sie wollten ihre Schoenheit nicht durch Saeugen und Kinderpflegen gefaehrden. Der Hauptgrund scheint aber, wenn nicht in fruehester, vorhistorischer Zeit religioese Motive mitwirkten, Faulheit gewesen zu sein: auf der Insel, welche eine vielfach groessere Bevoelkerung leicht ernaehren konnte, hiess ein Vater von vier Kindern schon ein "arg ueberbuerdeter" Mann (Ellis a.a.O.). Man toedtete die Kinder, indem man ihnen einen nassen Lappen auf den Mund legte, oder ihnen die Kehle mit dem Daumen zupresste, oder sie, noch im Mutterleibe, aber waehrend der Geburt, mit einem spitzen Bambus durchbohrte; oder man begrub sie lebendig und zwar gerne so, dass die Erde nicht unmittelbar auf sie kam, sondern sich ueber ihnen her woelbte (Williams und Ellis a.a.O.). Eine vierte noch viel scheusslichere Art beschreibt Williams 567-568: zuerst wurden den eben Geborenen die aeussersten Glieder an Finger und Zehen, dann, wenn sie davon nicht starben, die Hand- und Fussknoechel gebrochen. Ueberstand das Kind auch das, so kamen die Kniee und Ellenbogen an die Reihe, und wenn es dann immer noch lebte, so wurde es schliesslich erwuergt. Indess ist die That scheusslicher als die Gesinnung, welche sie hervorbrachte: denn ohne Zweifel wandte man diese graesslichen Todesarten aus keinem anderen Grunde an als aus Ehrfurcht vor der Seele des Kindes, die auf moeglichst gelinde Weise, von aussen her, zur Entfernung mehr aufgefordert als genoethigt werden sollte, und erst wenn sie diese Aufforderung gar nicht verstand, trat Zwang ein. Denn die Seelen der getoedteten Kinder, die man sich unter der Gestalt von Heuschrecken nach Moerenhout dachte, galten fuer heilig und wurden hoch geehrt. Auch hier gab es fast in jedem Dorfe Leute, welche aus dem Kindermord Gewerbe machten (Williams 568) und doch, war einem Kinde auch nur eine Viertelstunde das Leben erhalten worden, so durfte es nicht mehr getoedtet werden, und hatte dann sehr liebevolle, ja wohl zaertliche Eltern. Wo moeglich noch roher waren die Bewohner der Sandwichsinseln. Hier herrschte der Kindermord namentlich in den unteren Klassen, von denen die Eltern selten, mochten die Ehen auch noch so fruchtbar sein, mehr als zwei oder drei, vielmehr oft nur ein Kind aufzogen. Auch hier sind (Ellis 4, 326-330) 2/3 der Kinder getoedtet und zwar meist durch Erwuergen oder lebendig Einscharren, wobei man sie ohne Weiteres mit Erde bedeckte und diese mit den Fuessen feststampfte. Hier begrub man die kleinen Leichen oft im eigenen Hause, ja im eigenen Schlafgemach der Eltern, waehrend man zu Tahiti ihnen doch wenigstens einen Platz neben dem Hause gab. Oft waren es, hier wie zu Tahiti, die Eltern selbst, welche die grauenvolle That vollbrachten. In Hawaii war der Grund zu diesem Mord meist Traegheit nach Ellis 4, 329 und Eitelkeit der Weiber, nach Jarves 85. Waehrend aber zu Tahiti die Kinder, welche die erste halbe Stunde ueberlebt hatten, gerettet waren und zaertlich aufgezogen wurden; so toedtete man zu Hawaii, mit viel groesserem Stumpfsinn, die Kinder auch noch nach einem Jahre, ja noch spaeter. War ein Kind krank und machte Unruhe, so begrub man es lebendig, schrie es der Mutter zu unertraeglich, so stopfte sie ihm ein Stueck Zeug in den Mund und grub die unglueckliche Creatur in die Erde, wenige Schritte von ihrem Bette, zu welchem sie nach vollbrachter That, als ob nichts geschehen waere, ruhig zurueckkehrte (Ellis 4, 330). Und selbst dies wird noch durch folgenden Fall, den Ellis gleichfalls (326) erzaehlt, ueberboten. Ein Mann und eine Frau, welche ein Kind, einen huebschen Jungen, nach Jarves (73) von sieben Jahren, hatten, geriethen ueber denselben in Streit und da die Frau nicht nachgab, ergriff der Vater das Kind bei Kopf und Fuss, brach ihm ueber seinem Knie den Ruecken entzwei und warf die zuckende Leiche der Mutter zu Fuessen! Tamehameha, bei dem die Unthat angezeigt wurde, erklaerte, er koenne nicht strafend eingreifen, da der Mann sein eigen Kind umgebracht habe.--Auch in Neuseeland findet sich der Kindermord gar nicht selten (Angas 1, 313); er ist aber, wie in Tahiti, nicht mehr statthaft, wenn das Kind auch nur eine halbe Stunde gelebt habe. Will man es toedten, so wird es meist lebendig begraben oder bei der Geburt erwuergt. Rache ist haeufig das Motiv hierzu, wegen harter Behandlung der Frau waehrend ihrer Schwangerschaft, oder weil der Vater sie verliess oder aus irgend welchem anderen Grunde (Dieffenbach 2, 25 ff.). Traegheit aber steht auch hier in erster Linie. Namentlich Maedchen brachte man um (Taylor 165). Auch Abortus ist haeufig: und so ist es nicht zu verwundern, dass (Browne 40) die Ehen durchschnittlich kaum mehr als zwei Kinder haben. Allerdings herrschen diese furchtbaren Gebraeuche am meisten an der Kueste; im Innern sind die Familien zahlreicher, ja Dieffenbach (2, 33) sah bis zu 10 Kindern in einer. Gegen die geschonten Kinder sind die Maoris liebevolle (Dieffenbach 2, 25 ff.), wenn auch nicht gerade zaertliche Eltern (Browne 39). Es koennte scheinen, als haetten wir uns schon allzu lange bei diesem abschreckenden Gegenstande aufgehalten und seien zu sehr ins Einzelne gegangen, allein dies genauere Eingehen war noethig fuer folgenden Nachweis. Da alle Polynesier liebevolle Eltern sind und wir dennoch dieselben Eltern im ganzen oestlichen Polynesien so vollkommen abgehaertet gegen den Kindermord sehen, dass sie ruhig von allen den Scheusslichkeiten sprechen, ja auch schon herangewachsene Kinder kaltbluetig morden: so kann diese Sitte nicht erst 50 Jahre vor der Entdeckung, also um 1700 oder 1710 weiter um sich gegriffen haben, wie Ellis will. Jedenfalls muss sie aelter sein, auch in dieser Ausdehnung. Denn um ein Volk so ganz zu beherrschen, dazu braucht eine solche Sitte, auch wenn sie eingeschraenkt schon frueher im Gebrauche war, mehr als 50 Jahre. Auch ist uns berichtet, dass die marianischen Weiber ihre Kinder vor und bei der Geburt massenweise toedteten, als die Spanier die Inseln eroberten, damit die Neugeborenen nicht in Knechtschaft geriethen. Auch das setzt schon ein Bekanntsein mit Aehnlichem voraus, und dazu kommt, dass sich beim malaiischen Stamm ueberhaupt die Sitte des Kindermordes oder des kuenstlichen Abortus sehr haeufig findet. So treiben die Battas haeufig die Frucht vorzeitig ab, Waitz 5, 190; die oestlichen Malgaschen toedten Zwillinge, sowie sie solche Kinder, die an einem boesen Tage geboren wurden, ertraenkten, aussetzten oder lebendig begruben (Waitz 2, 441). Die Bisayas ziehen, um nicht zu verarmen, nur wenige Kinder auf, und toedten uneheliche Kinder meist, weil das Maedchen, ihr Vater und ihr Geliebter fuer aussereheliche Schwangerschaft Strafe zahlen muessen (Loarca in Ternaux Archives 1, 23). Aehnlich die Pintados auf den Philippinen, welche ihre Kinder vom 3ten an toedten, indem sie dieselben unter Festen und Lustbarkeiten lebendig begraben, so wie auch, um sie nicht ernaehren zu muessen, alle unehelichen Geburten (nach einem Bericht von 1577 in N. Journ. As. VIII, 39, 1831). Auf den Niasinseln setzt man die Kinder aus (Domis bei Oosterling tydschrift toegew. van de verbreiding d. Kennis v. Oost. Indie II, 2, 125). Abtreiben der Kinder bei den Dajaks aus Sittenlosigkeit erwaehnt Schwaner Borneo 1, 203. Wie hat man sich nun die Entstehung dieser schrecklichen Sitte zu denken? Ist es bloss Traegheit und Versunkenheit, worin sie wurzelt? In Afrika und Nordamerika ist freilich meist das aeussere Elend ihr Anlass, wie auch die Markesaner ihre Kinder aus Hungersnoth toedteten und assen (Ellis 4, 328); allein das reicht weder fuer Polynesien noch fuer Suedamerika aus. Meinicke meint nun (b, 59 bis 60), dass in Polynesien der Kindermord eingefuehrt sei, um die Reinheit des Blutes der Aristokratie zu erhalten. Er stuetzt diese Ansicht, fuer welche historische Gruende sich nicht aufstellen lassen, dadurch, dass, trotzdem der Kindermord bei allen Klassen der Bevoelkerung vorkommt, er doch zu Tahiti zumeist von den Areois ausgeht, dass alle Kinder aus gemischten Ehen, die bei der foermlichen Berechtigung der Vornehmen zu jeglichem Lebensgenuss gar nicht zu vermeiden waren, getoedtet wurden. "So moegen", faehrt er S. 60 fort, "solche Kinder seit Jahrtausenden getoedtet sein, ohne dass dies bei den koerperlichen Vorzuegen, die dergleichen Verbindungen mit Menschen niederen Standes nicht haeufig gemacht haben werden und bei ihrer geringen Zahl grossen Einfluss gehabt haben wird. Aber mit der Zeit fing man an, Kinder auch zu toedten, um durch die Sorge, die sie erforderten, nicht an Ausschweifungen und Vergnuegungen gehindert zu werden (wie es bei den Areois der Fall war), und endlich verbreitete sich die grauenvolle Sitte bloss durch den Einfluss der Mode, die auf den Suedseeinseln so gut wie in anderen Erdtheilen die niederen Staende antreibt, Verkehrtheiten und selbst Laster der Vornehmen nachzuahmen, auch unter das Volk, wo sie in der Bequemlichkeit, Liederlichkeit, Armuth und den Beschwerden, die Kinder zu erziehen, mannigfache Unterstuetzung fand. Man sieht, dass der Kindermord so mit der Zeit stets zunehmen musste und wird hierin eine Hauptursache der erstaunlich raschen Abnahme der Bevoelkerung zu suchen haben, wenn auch die Angaben der Missionaere ueber die Zahl der hingeopferten Kinder uebertrieben sein sollten". Dies letztere ist nun zwar bei den mit bestimmten Zahlen angegebenen einzelnen Faellen und der genauen Uebereinstimmung der Angaben, welche die Missionaere machen, nicht wahrscheinlich[H] wie denn Ellis ausdruecklich sagt, dass er Williams Angabe, 2/3 der Kinder seien getoedtet, an Ort und Stelle geprueft und nicht uebertrieben gefunden habe. Recht aber hat Meinicke darin, dass auch er diese Sitte fuer eine sehr alte ansieht. Allein sonst ist seine Ansicht schwerlich richtig. Mag auch spaeterhin, und er hat es gewiss sehr reichlich gethan, der Unterschied zwischen Volk und Adel dem Kindermord weitere Ausdehnung verliehen haben; veranlasst hat er ihn gewiss nicht, wofuer zunaechst spricht, dass wir in Suedamerika den Kindermord fast in aehnlicher Ausdehnung wie in Polynesien, jenen Standesunterschied aber nicht vorfanden. Aber auch fuer Polynesien allein wird es bedenklich, den letzteren als alleinige Ursache des ersteren anzusehen, wenn man Folgendes erwaegt. Williams sagt, wie wir schon vorhin sahen, dass ein niederer Mann durch Kindermord sich dem Stand seiner vornehmeren Frau angleichen kann; was Meinicke, wohl nur durch einen Irrthum seinerseits, fuer einen Irrthum hielt. Denn aller Rang vererbte durch die Mutter; der Adel war ferner eine mit Seele begabte, goettliche Klasse, im Gegensatz zu dem unbeseelten, irdischen Volk. Kinderseelen nun, welche nach Moerenhout fuer besonders heilig gehalten und zu denen als Vermittlern zwischen Goettern und Menschen besonders gebetet wurde, konnten, wenn fuer den unbeseelten Mann geopfert, ihm, sei es durch direkten Uebergang in ihn, oder sei es durch Vermittlung bei den Goettern, zu einer Seele verhelfen, wodurch er zu hoeherem Rang emporstiege. Die Areois sind eine religioese Gesellschaft; religioese Scheu zeigte sich in der Art, wie man (wenigstens in Tahiti) die Kinder umbrachte; man hat sie also in vielen Faellen vielleicht nur getoedtet, um Schutzgeister zu haben oder sie als Opfer fuers eigene Leben--solche Opfer werden wir gleich noch mehr sehen--den Goettern darzubringen. Dieselbe Bedeutung hat wohl der Kindermord in Mikro-und Melanesien gehabt, wie einzelne Spuren noch andeuten, wenn sich auch Zwingendes nicht dafuer anfuehren laesst als eben ihre Verwandtschaft mit den Polynesiern. Wenn aber Meinicke sagt, die Sitte muesse ueberall geherrscht haben und sei, wo wir sie nicht erwaehnt finden, wie in Tonga, nur uebersehen, so kann man das nicht zugeben; der so feinen und scharfen Beobachtung Mariners haette sich ein so auffallender Gebrauch nicht entziehen koennen und er fuehrt 2, 18-19 einen Fall der Art ausdruecklich als etwas Ausserordentliches an. Aber moeglich ist es, ja wahrscheinlich, dass die Sitte auch in Tonga urspruenglich geherrscht hat, nur waehrend sie sich im uebrigen Polynesien ausbreitete, so erlag sie schon sehr frueh und lange vor der Entdeckung dem besseren Sinn der Tonganer, wie sie auch andere aehnliche Sitten aufgaben, z. B. die Ermordung der Weiber beim Tode der Maenner, von der Mariner als von einer frueher gebraeuchlichen hoerte (1, 342), die aber zu seiner Zeit schon ausser Gebrauch gekommen war. Da wir nun Gruende haben, bei den Polynesiern diesen Gebrauch fuer einen urspruenglich religioesen zu halten, der freilich in spaeterer Zeit aus ganz anderen Motiven, aus Faulheit, Eitelkeit, Lieblosigkeit, Standeshochmuth u.s.w. sich unendlich verbreitete und das ganze Leben der Nation in der neuen Gestalt anfrass; so moechte auch die ziemlich weite Verbreitung der Sitte, wie wir sie im eigentlichen Malaisien von Luzon bis nach Madagaskar hin nachwiesen, auf demselben Princip beruhen. Wie es sich in Suedamerika hiermit verhaelt, lassen wir, da es uns an aelteren Daten fehlt, uneroertert; doch hat hier vielleicht eine aehnliche Grundanschauung geherrscht, als wir sie fuer Polynesien annahmen. Denn in Mexiko wenigstens glaubte man, kleine Kinder, welche stuerben, seien den Goettern besonders lieb; sie kaemen zu einem Baum, von welchem bestaendig Milch herabtraeufele, und seien Vermittler zwischen Goettern und Menschen (Waitz 4, 166). Kinderopfer, um die Goetter gnaedig zu stimmen, kamen viel bei ihnen vor (4, 159) und das Bild des Gottes, das sie bei der Ceremonie, die unserem Abendmahl aehnlich ist, unter sich vertheilen und als "das Fleisch Gottes" verzehren, war mit Kinderblut angefertigt, wie auch bei den Totonaken die Kuchen bereitet waren, welche sie "das Brot unseres Lebens" nannten (Waitz 4, 161). Jetzt scheint diese Sitte dort keine anderen Motive zu haben, als Eitelkeit, Faulheit und Elend und Noth[I]. Das Toedten von Zwillingen oder des einen von beiden Kindern beruht auf anderen Grundlagen: es geht aus von dem Schreck ueber das portentum einer mehrfachen Geburt, in welcher man etwas Unnatuerliches und daher Unheimliches oder aber eine Thieraehnlichkeit sah. Sec. 9. Krieg und Kannibalismus. Haben wir oben gesehen, wie wenig das Menschenleben bei den Naturvoelkern geachtet wurde, so werden wir von seinem geringen Werth bei ihnen im Folgenden noch massenhaftere Beispiele finden, da wir uns zunaechst mit der Frage beschaeftigen muessen, welchen Einfluss auf Zahl und Existenz dieser Voelker haben Krieg, Kannibalismus und Menschenopfer gehabt? Freilich scheint die Art der Kriegfuehrung bei den unkultivirten Staemmen mindere Opfer als bei den kultivirten gefordert zu haben. Denn so kriegerisch auch die Nordamerikaner waren, so sehr ihr ganzes Leben beinah auf dem Krieg beruhte, so galt ihnen doch eine Art der Kriegfuehrung, wie die europaeische, wo man in offener Feldschlacht stets das eigene Leben in Gefahr setzt, fuer Thorheit, ihr Krieg bestand nur in Ablauern des Feindes, in Ueberfall und Hinterhalt; daher er denn, dem entsprechend, minder durch Tapferkeit als durch Schnelligkeit, Schlauheit und Verwegenheit gefuehrt wurde. Aber dafuer endete auch der Krieg bei ihnen nie: denn Grenzverletzungen oder Blutrache, sowie Rache fuer Zauberei (durch die man jeden Todesfall, namentlich aber den Tod von Haeuptlingen verursacht glaubte) oder alter, einmal eingewurzelter und durch stets neue schlimme Thaten niemals verloeschender Stammhass erregten ihn immer aufs Neue. Und gerade diese versteckte, fast feige scheinende Art, wie sie den Krieg fuehrten, brachte oft ein furchtbares Blutvergiessen hervor, da bei den Ueberfaellen der meist unvorbereitete und wehrlose Feind ganz und gar mit Weib und Kind niedergemetzelt wurde, schon der Skalpe wegen, deren Erbeutung ja den Siegern die groesste Herzenssache und Ehre war. In Virginien zwar und bei den Huronen wurden Weiber und Kinder meist zu Gefangenen gemacht; war der Kampf aber lang und erbittert gewesen, so mordeten auch hier die Sieger so lange als sie die Arme heben konnten (Waitz 3, 150-154). Und gefangene Feinde, die Maenner wurden ja von diesen Voelkern wie bekannt so gut wie immer getoedtet. Dass aber solche Kriege der Existenz ganzer Voelker verhaengnissvoll geworden sind und also, als fuer ihr Aussterben grundlegend, recht eigentlich zu unserer Betrachtung gehoeren, dafuer hat Waitz, was Amerika betrifft, 1, 165, Zeugnisse gesammelt. "Die Kupferminenindianer sagt er an dieser Stelle, wurden durch die Hundsrippenindianer (Hearne) fast vertilgt, die Moquis durch die Navajos im hohen Grade geschwaecht (Schoolcraft), die Osagen durch ihre erstaunlich vielen Feinde innerhalb 10 Jahren auf die Haelfte ihrer frueheren Anzahl reducirt. Der kleine Rest des besiegten Volkes wird dann nicht selten von dem siegenden in sich aufgenommen und sein Name verschwindet von da an aus der Geschichte. Auf diese Weise sollen z.B. die Creecks allmaehlich die Reste von 15 anderen Staemmen verschlungen haben." Auch die Irokesen (Waitz 3, 155) haben ausserordentlich durch derartige Kriege gelitten. Jenseits des Felsengebirges sind die Kriege viel milder und thun im Ganzen wenig Schaden (3, 338) und ebenso ist es auch bei den Oregonvoelkern, wenn diese gleich viel kraeftiger zu sein schienen als die Nulkas und Chinooks. Der Kannibalismus, welcher vom Kriege nicht zu trennen ist, hat auf die Voelker Nordamerikas keinen sehr bedeutenden und fuer ihre Zahl durchaus ungefaehrlichen Einfluss gehabt. Er findet sich bei manchen Voelkern, z.B. den noerdlichen Athapasken, den Hasenindianern, Nipissangs, den Crees, Ojibways, doch ist bei allen diesen das Entsetzen vor der That ein ganz ausserordentliches. Ebenfalls findet er sich, und durch gleiche Veranlassung, bei den Indianern in Canada, die ihn aber minder verabscheuen (Waitz 3, 89). Allein bei den Algonkins und den Irokesen, den Sioux war der Kannibalismus frueher (jetzt hat er aufgehoert) weit verbreitet und besonders merkwuerdig ist es, dass es bei den Miami und Potowatomi eine besondere, aus bestimmten Familien sich ergaenzende Gesellschaft gab, welche Menschenfleisch ass und sich im Besitz von uebernatuerlichen, auf andere uebertragbaren Zauberkraeften waehnte (Waitz 3, 159 nach Keating): man wird an die Gesellschaften der Areois auf Tahiti und die entsprechenden auf den anderen polynesischen Inseln erinnert.[J] Aber bei allen diesen amerikanischen Voelkern sowie auch bei den Oregonindianern (Waitz 3, 345) ward der Kannibalismus nur an gefangenen oder gefallenen Feinden ausgeuebt, deren Herz man ass, theils aus Rache, theils um sich die Tapferkeit und Kraft dessen, dem das Herz gehoerte, anzueignen (Waitz 3, 159). In Suedamerika hat der Krieg nicht minder, die Anthropophagie noch weit mehr gewirkt, als in Nordamerika: lebte doch hier das Volk, welches dem Kannibalismus seinen Namen gegeben hat, die Kaniben, Kariben oder Karaiben. Urspruenglich auf den kleinen Antillen und dem ihnen gegenueberliegenden Festland heimisch machten sie von dort aus, nach Columbus Erzaehlung, verheerende Kriegszuege in weite Ferne, um Weiber zu erbeuten, waehrend sie die Maenner erschlugen und sie, wie auch ihre eigenen mit den gefangenen Weibern erzeugten Kinder frassen (Waitz 3, 374-375). Auch ihre Weiber waren ausserordentlich kriegerisch und kaempften so selbststaendig, dass die Sage von den Amazonen, die im noerdlichen Suedamerika haeufig vorkommt, durch sie veranlasst zu sein scheint. Schomburgk 2, 429 erzaehlt, dass die Kariben sich namentlich gegen die Makusis wandten, um Sklaven zu erbeuten, zu welcher Menschenjagd sie von den Hollaendern aus Eigennutz angetrieben wurden, denn diese kauften die Sklaven von ihnen. Er schildert diesen scheusslichen Handel naeher und sagt, dass er bis gegen die vierziger Jahre dieses Jahrhunderts, also bis auf unsere Zeit hin bestanden habe! Die Art nun, wie noch jetzt die Kariben von allen anderen indianischen Staemmen als Herrn und Gebieter gefuerchtet werden, so dass sie ohne Weiteres sich in jeder beliebigen Huette was ihnen gefaellt nehmen koennen (ebendas. 427); so wie die blinde Angst, welche man noch jetzt in jenen Gegenden vor ihnen hat, laesst erkennen, was sie einst gewesen sein moegen. Und wie durch sie die Aturen (Humboldt c, 1, 284) in die Katarakten des Orinoko, wo ihres Stammes letzte Spuren birgt des Uferschilfes Gruen, hineingedraengt verkamen: so waren die blutigen Kriege, welche von ihnen ausgingen, eine Hauptursache fuer die Verminderung der Staemme in Guyana. Indess verzehren sie jetzt (Schomburgk 2, 430) Menschenfleisch nicht mehr; und jetzt sind auch sie sehr zusammengeschmolzen (eb. 417), wozu ihre eigenen Kriege nicht wenig beigetragen haben moegen. Da nun auch die Tupi tapfere, ja wilde Krieger waren (Azara 218) und sie sowohl wie auch die Guarani (welche Azara 213 ff. freilich als sehr scheu schildert) Menschenfleisch verzehrten; da nun auch fast alle suedamerikanischen Staemme, die Araukaner (Waitz 3, 529 ff.), Chiquitos (eb. 530), die Pampas, Patagonier u.s.w. (Azara an vielen Stellen) sich durch wilde Tapferkeit auszeichneten und demzufolge zwischen ihnen fast stetiger Krieg herrschte; da sie fast alle Kannibalen waren, wie die Mbayas (Waitz 3, 473), ganz besonders die Guaykurus (471), die Tobas (475), die Abiponer (476), die Feuerlaender (508) und ebenso die Patagonier, welche alle feindlichen Maenner niederhieben, Weiber und Kinder aber zu Gefangenen machten: so werden wir begreiflich finden, dass die Zahl dieser Voelker, die in so heftigem und unablaessigem Kampf mit einander sind, auch dadurch abgenommen hat und noch jetzt abnimmt. Tschudi 2, 259 sagt geradezu, dass die Angriffe der Botokuden auf die von den Portugiesen um Rio Janeiro unterworfenen halb civilisirten Indianer die Ursache seien, dass jene Gegenden auch heute noch so spaerlich bevoelkert seien. Auch mag daran erinnert werden, dass jene Voelker in dem Urarigift, mit dem sie ihre Lanzen vergifteten, eine ganz besonders gefaehrliche Waffe haben, da dies Gift auch bei der leisesten Verwundung unfehlbar toedtet. Tuechtige Krieger waren nun, nach der trefflichen Schilderung bei Waitz, auch die Kulturvoelker des alten Amerikas. Doch da ihre Kriege keine Vernichtung des Feindes bezweckten, sondern diesem, auch wenn er besiegt wurde, seine Nationalitaet und Hab und Gut liessen, bis auf den Tribut, den sie zahlen mussten (Waitz 4, 77. 406), so konnten diese wohl den Namen von Voelkern aufhoeren machen, indem sie das besiegte dem eigenen Volke einverleibten, und namentlich in Peru geschah das oefters (407), aber ein Volk vernichten oder auch nur so weit verringern, dass seine Lebenskraft dadurch gebrochen waere, konnten sie nicht und haben sie nicht gethan, denn Columbus, Cortez und Pizarro fanden dichtbevoelkerte, bluehende Staaten vor. Zwar herrschte auch Anthropophagie in Mexiko: die geopferten Sklaven oder Kriegsgefangenen wurden verzehrt, und die Ottomies sollen sogar Menschenfleisch auf dem Markte verkauft haben, eine Sitte, die man so wenig anstoessig fand, dass man offen davon sprach und den Spaniern erzaehlte, ihr Fleisch schmecke bitter (Waitz 4, 158); doch liegt es auf der Hand, dass auch diese Sitte dem Bestehen dieser Voelker oder seiner Nachbarn nicht die mindeste Gefahr brachte, da sie sehr wenig ausgedehnt war. Sie scheint ein Recht zu sein aus alter und aeltester Zeit, wo sie dann freilich weitere Verbreitung gehabt haben wird. Auch in Neugranada war Kannibalismus, in manchen Gegenden des Landes in sehr roher Form, verbreitet (Waitz 4, 374, 376). Was von den Cariben erzaehlt wird, dass sie ihre eigenen mit gefangenen Weibern erzeugten Kinder gefressen haetten, wird auch von ihnen berichtet (4, 374). Auch in Yukatan (310) fand sich Anthropophagie. Anders aber finden wir es in der Suedsee. Zwar in Australien sind, ausser im Norden, die Kaempfe an sich wenig blutig: Hale 115 beschreibt dieselben, wie sie meist aus Privatschlaegereien entstehen, wie sich dann beide Parteien, jede bis 200 stark, heftig und lange erst schelten, und dann Mann fuer Mann vortritt und den Speer schleudert, bis einer verwundet wird: dann hoert der Kampf auf. Doch fehlt es ihnen keineswegs an Muth, Kraft und Standhaftigkeit, wie sie auch Schmerzen mit grosser Geduld ertragen (Turnbull 34-35). Allein da die Kriege, bei der Verfehdung fast aller Staemme unter einander, doch sehr zahlreich sind (Wilson 143 v.d. Rafflesbai), da man manche Staemme von ihnen, namentlich die Nordaustralier, deren Krieger und Zauberer durch den ganzen Continent aufs Aeusserste gefuerchtet sind, als Gegner auch Europaeern gegenueber keineswegs verachten darf (Grey 1, 152), da ferner auch diese Kriege zum groessten Theil in Ueberfall und in Ermorden Wehrloser oder Schlafender bestehen und, weil jede solche That wieder Rache verlangt, geradezu unendlich sind (Meinicke a 2, 198)--so sind sie fuer die Zahl und das Gedeihen der Einwohner so verhaengnissvoll, dass wir sie als eine der wichtigeren Ursachen fuer das Aussterben der Australier hier bezeichnen muessen. Auch die Eingeborenen von Vandiemensland lebten unter einander in bestaendigem Streit, der von Stamm gegen Stamm ausgefochten wurde (Nixon 26). Auch Kannibalismus herrscht in Neuholland, doch keineswegs sehr ausgedehnt. So brauchen nach Angas 1, 68 die Eingeborenen von Lake Albert die Schaedel ihrer Feinde als Trinkgeschirre, ganz wie die Inkas von Peru (Waitz 4, 413) und die Abiponer, und nach dem bekannten Zeugniss des Paulus Diaconus, die Langobarden.[K] Ferner sollen Kannibalen im Innern des Landes leben (Angas 2, 231); ganz sicher verzehren im Norden Freunde ein Stueck vom verstorbenen Freund und an Moretonbai assen (Angas 1, 73) Eltern aus Liebe von dem Fleische ihrer todten Kinder, eine Sitte, welche nach Anderen auf geliebte Verwandte ueberhaupt ausgedehnt ist (Howitt a, 289. Austral, Felix 134). Sie findet sich auch zu Hawaii: dort ass das Volk aus Liebe Fleisch von der Leiche seiner verstorbenen Fuersten (Remy XLVIII. 125.[L]) Auch Aberglaube diente dazu den Kannibalismus zu verbreiten. Wie bei den Potowatomi und den Miami in Nordamerika, wie in so manchem indisch-arabischen Maehrchen der Genuss des Menschenfleisches hoehere uebermenschliche Kraft gibt--ein Zug, der auch, wie wohl verdunkelt, in deutschen Sagen vorkommt (Bechstein, Sagen des Rhoengeb. u. d. Grabfeldes 60 ff.)[M]--ebenso muessen in Australien (nach Eyre) die Zauberer Menschenfleisch essen, um ihre Wunderkraft zu behalten. Am Lake Alexandrine ist es nicht ungewoehnlich, einem lebenden Menschen das Nierenfett auszuscheiden, das als Zauber gegen boese Geister von ganz besonderer Kraft sein soll (Angas 1, 123). Auch Bennet (1, 295) fand Menschenfett als Zaubermittel oder Medikament aufgehoben. Meinicke a 2, 184 hat also wohl die Neuhollaender zu frei von Kannibalismus dargestellt. Gehen wir nun zu den melanesischen Inseln, so finden wir auf Vanikoro unter den einzelnen Staemmen fortwaehrenden Kampf (D'Urville 5, 165) und wenn sie auch keine Kannibalen zu sein behaupten, so dienen die Schaedel der Feinde doch als Trophaeen (eb. 217), welche oeffentlich aufbewahrt werden. Auch auf Tanna herrscht bestaendiger Krieg der einzelnen Staemme unter einander (Turner 82, Gill 227), da jede Privatbeleidigung einen oeffentlichen Krieg nach sich zieht (85), und ausgebildetster Kannibalismus: die erschlagenen Feinde werden mit Yams gekocht, Farbige den Weissen vorgezogen, einzelne Portionen des Fleisches an Freunde geschickt als Ehrengeschenke u.s.w. (82). Auch auf Fate und Aneitum, obwohl beide minder kriegerisch sind, findet sich der Kannibalismus (Turner 393. 371. Gill 66). Erromango und Mare (Nengone), auf welcher letzteren Insel zwei feindliche Staaten neben einander bestanden, waren fortwaehrend von leidenschaftlichem Krieg heimgesucht und die Anthropophagie hatte hier einen solchen Grad erreicht, dass selbst die naechsten Verwandten, wenn man mit ihnen in Streit gerieth, erschlagen und gefressen wurden (Gill 10-11; 122. Turner 400. 411). Es ist eine leere Behauptung oder auch Einbildung der katholischen Mission, dass sie auf Neukaledonien den Kannibalismus haette aufhoeren machen (Montreval in nouv. annal. de la foi 1854, 94); Turner (um anderer zu geschweigen) fand ihn daselbst sehr ausgebildet und so unbefangen, dass er ueberall eingestanden und besprochen wurde (426), wie er uns auch von den bestaendigen Kriegen der Insel (428) berichtet. Die Bewohner von Isabel schildert schon Mendana 1595 (Dalrymple 91) als Menschenfresser und eifrige Krieger, wie sich auch die Bewohner von Guadalcanar zeigen. Eifrige Krieger und Menschenfresser sind auch die Eingeborenen der Lusiade (Salerio bei Petermann 1862, 342-344) und von der Nordwestkueste von Neuguinea sagt einer der besten Kenner dieser Gegenden, Marsden (in Transact. of the Reg. Asiat. Soc. 3,125), dass daselbst ein aeusserst roher Kannibalismus herrsche: man frisst Feinde so gut wie Freunde, natuerlich Gestorbene so gut wie Erschlagene, und ist dieser Nachricht gegenueber nicht abzusehen, wie Finsch (49) seine Behauptung, noch sei von keinem glaubwuerdigen Manne bestimmte Nachricht ueber das Vorkommen des Kannibalismus auf Neuguinea gegeben, aufrecht halten will. Einzelne der neuguineischen Staemme sind Koepfeschneller, d.h. sie schlagen todt, wen sie finden, um Koepfe zu erbeuten, deren recht viele zu besitzen eine grosse Ehre ist; und so entstehen bloss zu diesem Zwecke im Distrikt Namototte (Speelmannsbai) die hartnaeckigsten und moerderischsten Kriege (N. Guin. 109 ff. und daher wohl Finsch 82). Aber schlimmer als ueberall ist die Geringschaetzung des Menschenlebens auf den Fidschiinseln, deren Einwohner im Ruf einer besonderen Tapferkeit auch auf Tonga stehen, und die von solchen Tonganern, welche Kriegsabenteuer erleben und zu Hause selbst als Krieger beruehmt sein wollten, vielfach besucht wurden (Mariner). Krieg ist nun auch, nach Wilkes 3, 63, ihre so bestaendige Beschaeftigung, dass irgend welcher Kampf auf der Gruppe immer herrscht; und da die Insulaner ebenso blutduerstig als verraetherisch sind (Hale 50), so sind diese Kriege sehr zerstoerend. Doch fuehren sie den Krieg, der indessen stets offen angesagt wird, nur durch Verrath und heimlichen Ueberfall; weshalb sie Williams und Calvert (1, 43) und ebenso Erskine (249) geradezu feig nennen. Wegen des bestaendigen Verrathes herrscht ein grenzenloses Misstrauen auf der Gruppe, Niemand geht, aus Furcht ueberfallen zu werden, ohne Waffen (Will. u. Calv. a.a.O.), Niemand traut einem andern, selbst nicht den naechsten Verwandten (Hale 51). Und das nicht ohne Grund: denn da zu ihren nur einigermassen solennen Bewirthungen Menschenfleisch nothwendig gehoert, so werden oft die harmlosesten Wanderer (je harmloser, desto eher), Weiber bei der Feldarbeit u.s.w. ueberfallen und getoedtet, wozu Erskine 182 empoerende Beispiele erzaehlt. Wenn auch die Schlachten, sobald nur einige gefallen sind, aufhoeren (Jackson bei Erskine 425), so sind die Kriege doch ausserordentlich blutig durch die sinnlose Wuth, mit der Alles, was ihnen in die Haende kommt, gemordet wird. Bei Ueberfaellen, die sehr haeufig sind, machen sie es nicht anders, so dass oft ganze Distrikte (Erskine und Jackson a.a.O. Seemann Zeitschr. 9, 476) vernichtet werden. Wer einen Menschen erschlagen hat, bekommt einen Ehrennamen und wird durch besondere Ceremonien geweiht (Will. u. Calvert 55), gerade wie in einigen Gegenden Neuguineas nur der Kakadufedern tragen darf, der einen Feind getoedtet hat, und bei den alten Deutschen nur ein solcher aus dem kostbarsten und heldenhaftesten Trinkgefaess, dem Schaedel des erschlagenen Feindes, trinken durfte. Der Kannibalismus ferner steht hier in solcher Bluethe, wie wohl nirgends sonst auf der Welt. Erskine, der um 1840 die Gruppe besuchte, gibt (257-60) Beispiele. Den Menschen nennen die Eingeborenen nur das "lange" Schwein, zum Unterschied vom "wahren" Schwein (ebend.); bei jedem Fest muss Menschenfleisch gegessen werden, zu welchem Behufe die das Fest gebenden Staemme gar nicht selten ihre eigenen Kinder schlachten; alle Feinde, alle Schiffbruechigen werden gefressen (Erskine. 262. 229). Oder man erschlaegt, um das noethige Fleisch zu bekommen, den ersten besten aus dem Volke, den man unbewaffnet trifft (so wurden einmal 16 Weiber gefangen und gegessen, wie Erskine 182 erzaehlt). Dass man allen Freunden von dieser geschaetztesten Speise schickt, ist so feste Sitte, dass gar nicht selten, weil es bei irgend einer Gelegenheit unterlassen, Krieg entsteht. Dem Gebratenen gibt man oft eine Keule in die Hand, malt ihm das Gesicht roth und setzt ihm eine Perruecke auf (Erskine 262); ja in einigen Gegenden der Gruppe fuehren die Weiber um diese Todten und ihnen zum Hohne die allerschandbarsten Taenze auf (Jacks, bei Erskine 440). Auch hat man verschiedene Arten, Menschenfleisch zu kochen, welche nach den Landestheilen verschieden sind (261. 439). Als der Sohn eines Haeuptlings starb; jammerte ihm sein Vater nach: er war so kuehn! er toedtete, wenn sie ihn erzuernten, seine eigenen Weiber und ass sie (Ersk. 244). Auch Mariner (1, 329) nennt den Kannibalismus auf den Fidschiinseln sehr verbreitet und sagt, dass er von dort erst zu den Tonganern, die ihn nur in prahlerischer Nachahmung der Fidschis ausueben, gekommen sei; an einem Fest haetten die Fidschimaenner 200 Feinde gegessen (1, 345; 2, 71). Wer eines natuerlichen Todes stirbt, wird nicht gegessen (Williams und Calvert 1, 266), doch hat man auch Graeber erbrochen, um die Leichen zu verzehren! (eb. 212), ja man schneidet, um auch das Scheusslichste nicht zu verschweigen, auch von Lebenden, aber nur von gefangenen Feinden, Fleisch ab und verzehrt es vor ihren Augen (Will. u. Calv. 1, 212). Der Grund des Kannibalismus, urspruenglich Hass und Rachedurst oder Prahlerei, indem man sich dadurch furchtbar machen wollte, oder die Absicht, sich die Eigenschaften des Gefressenen anzueignen, ist jetzt fast ueberall auf der Gruppe nur Wohlgeschmack am Menschenfleisch, das sie jetzt jedem anderen Fleische vorziehen. Roh verzehren sie es nie: die Gabel, mit der es gegessen wird, ist fuer alle anderen Speisen verboten (Tabu) (eb. 212). Mit Trommelschlag in ganz bestimmtem Rythmus | |\ | _ | | | |\ | _ | | | | | / | | | | | / | | * * * * ' * ' , * * * * ' * ' , der sonst nie angewendet wird, laden sie zu den Kannibalenfesten ein (Erskine 291), von denen Weiber fast immer, Sklaven und gewisse Priester immer ausgeschlossen sind (Erskine 260; Williams und Calvert 1, 211). Und trotz alledem hatte der Kannibalismus eine religioese Weihe bei ihnen: die getoedteten Feinde werden zuerst den Goettern dargeboten (Erskine 261), die selbst Kannibalen sind (247) und jedes Kannibalenfest hat bestimmte, sonst nicht getanzte heilige Taenze (209. 440). Wir haben uns bei diesem ekelhaften Detail so lange verweilt, einmal, weil es anthropologisch von hohem Interesse ist--dann aber und hauptsaechlich, um zu beweisen, dass der Kannibalismus, der so ausgepraegt, so eingewurzelt bei den Fidschis ist, nicht erst, wie jetzt die Haeuptlinge gern erzaehlen, in der letzten Zeit aufgekommen sei, Hand in Hand mit dem blutiger werdenden Kriege (Erskine, 272). Er besteht gewiss viele Jahrhunderte lang, gewiss viel laenger, als die Fidschis ihre jetzige Wohnung inne haben: allein er hat sich immer weiter ausgedehnt und mag seine rohesten Formen, z.B. das Menschenfressen aus Leckerei erst im letzten Jahrhundert seines Bestehens, so lange aber auch mindestens, angenommen haben. Trotzdem aber, und auf dies Faktum werden wir zurueckkommen, trotzdem ist ein Aussterben der Bevoelkerung nicht zu merken (Erskine 274). Die Zahl derselben betraegt nach den Missionaeren (ebendas.) 200-300,000 und mag dies auch etwas zu hoch gegriffen sein, sie ist jedenfalls betraechtlich genug, so dass auch Behm 200,000 als Totalsumme annimmt. Und ferner, was von besonderer Wichtigkeit fuer die geschichtliche Betrachtung der Naturvoelker ist, sie selbst haben das Bedenkliche des Kannibalismus eingesehen; daher jene halb entschuldigende Rede der eingeborenen Fuersten; daher die verhaeltnissmaessige Leichtigkeit des Kampfes, welchen die Missionaere gegen die Anthropophagie fuehren, welchen man doch gerade, wegen des Alters der Sitte, fuer unendlich schwierig halten sollte (Erskine 280). Ja sie werden sogar von einer heidnischen Partei darin unterstuetzt, welche sehr gegen den Kannibalismus, sowie gegen das unsinnige Morden der Weiber und Sklaven ist, welches wir gleich betrachten werden, und fuer Abschaffung aller dieser Sitten eifrig kaempft. Die Fuersten sind es, welche aus feudalen Geluesten dies Alles aufrecht erhalten wissen wollen (Seemann Zeitschr. 10, 289). Man sieht, das Christenthum ist hier gerade im rechten Zeitpunkt gekommen: man sieht aber auch ferner, solche Umaenderungen, wie wir sie vorhin fuer Tonga voraussetzten, haben sich wirklich bei diesen Voelkern vollziehen koennen: wir sehen sie hier bei einem viel roheren Volk vor unseren Augen geschehen. Auch in Polynesien herrschten die blutigsten Kriege, wobei aber zu bemerken, dass, obwohl man den Eingeborenen persoenliche Tapferkeit durchaus nicht absprechen kann, welche sie, auch die sonst so weichlichen Tahitier, selbst den Europaeern gegenueber, wohl gezeigt haben, dass trotzdem auch hier der Krieg hauptsaechlich durch Ueberfall gefuehrt wird. Aber auch die Polynesier morden den besiegten Stamm kaltbluetig mit Weib und Kind und so sind ihre Kriege ausserordentlich blutig und verheerend. Solche Kaempfe herrschten nun zu Neuseeland und trugen wie zur Zersplitterung der Maoristaaten zum Hinschwinden der Bevoelkerung nicht wenig bei (Dieffenbach 2, 132), die theils im Krieg selbst getoedtet, theils zu Sklaven gemacht, theils durch die Noth nach dem Kriege vernichtet wurde (2, 16). In Tonga wurden Kriegsgefangene (Mariner 1, 115) stets ermordet, und ebenso alle Einwohner eroberter Staedte (1, 101). Von den grausamen Kriegen unter Finau (der z.B. einmal 18 nur verdaechtige Vornehme ertraenken liess, Mariner 1, 271), welche bei Ankunft der Europaeer schon in voller Bluethe und nur Wiederholung oder Fortsetzung frueherer aehnlicher war, hat uns Mariner ein getreues, aber schreckensvolles Bild geliefert, wie er auch erzaehlt, dass die tonganischen Sitten immer mehr durch die Bekanntschaft mit den Fidschis verwilderten. Auf Samoa herrschte ein noch grausamerer Kriegsgebrauch als zu Tonga (Mariner 1, 163) und haeufig genug waren diese blutigen Kriege daselbst, welche Turner 304 und vorher schildert. Und betrachten wir den Markesasarchipel, so ist ganz Nukuhiva in einzelne vom hohen Gipfel der Insel herablaufende Thaeler getheilt, deren jedes von einem besonderen Stamm bewohnt wird. Alle diese Staemme sind in erbitterter Feindschaft und in ewigem Krieg (Melville, Krusenstern, Mathias G***). Viel aerger aber als ueberall haben die Kriege auf Tahiti gewuethet, von denen die Insel so fortwaehrend heimgesucht war, dass Lutteroth (22) ganz mit Recht den Frieden einen der Insel unbekannten Zustand nennt. Und wie wurden diese ewigen Kriege gefuehrt! Alle Fliehenden, die man einholte, alle Weiber und Kinder der Besiegten, welche dem Sieger in die Haende fielen, wurden niedergemetzelt (Moerenhout 2, 38-39, Lutteroth 21, Ellis 1, 310 ff.). Nun waren in frueherer Zeit fast alle Schlachten Seeschlachten und gerade deshalb besonders blutig, denn die Besiegten, welche sich durch Schwimmen ans Land zu retten suchen mussten, wurden begreiflicher Weise leicht von den Kaehnen der Sieger eingeholt. Weniger verderblich waren die Landschlachten, weil in ihnen, nach malaiisch-polynesischer Sitte, der Sieg, nach dem nur einige wenige gefallen waren, fuer entschieden angesehen wurde (Moerenhout 2, 40, Ellis l, 312). Waren dann bei der Verfolgung die Menschen vernichtet, so gings nun an die Zerstoerung des Landes: die Tarofelder und sonstigen Pflanzungen wurden verwuestet, den Kokosbaeumen das Herz ausgeschlagen, wonach sie absterben, die Brotbaeume umgehauen, die Haeuser verbrannt (Ellis 1, 293, Lutteroth 21-22)--kurz die Besiegten wurden womoeglich ausgerottet, ihr Land auf Jahre zu einer unfruchtbaren Oede gemacht. Solche Kriege wuetheten auf der ganzen Gesellschaftsgruppe; der Missionaer Nott erlebte auf Tahiti in einem Zeitraum von 15 Jahren 10 solcher Kriege (Lutteroth 17). Auch die Kriege auf der Hawaiigruppe waren verwuestend genug. Hier wie zu Tahiti gab es blutige Seeschlachten (Ellis 4, 155) und in den Landkriegen, in denen nach Jarves (59) Hinterhalte, heimliche Ueberfaelle u. dergl. selten vorkamen, vielmehr meist in offenen Feldschlachten (die auch zu Tahiti keineswegs selten waren, Ellis 1, 284) gekaempft wurde, war es namentlich wieder die Verfolgung, nicht die Schlachten selbst (Jarves 60), welche der Bevoelkerung und ganzen Distrikten Tod und Zerstoerung brachte. Die Gefaehrlichkeit dieser Kriege geht aus der Geschichte Hawaiis unter Tamehameha und aus den Bewegungen, welche dieser grosse Fuerst auf der Gruppe hervorbrachte, zur Genuege hervor. Auch die Paumotuinsulaner sind wilde, weit und breit gefuerchtete Krieger, die unter sich die heftigsten Kriege fuehren. Die Bewohner von Anaa (Chainisland) verwuesteten alle umliegenden Inseln, hieben die Fruchtbaeume nieder und was von den Bewohnern nicht getoedtet wurde, ward als Sklave mit fortgeschleppt (Moerenhout 1, 199 vergl. 169). Nicht weniger als 38 Inseln haben sie auf diese Art veroedet (Hale 35). Auch in Mikronesien wurden und werden heftige Kriege gefuehrt, so auf den Palaus (Keate), auf einzelnen Karolinen und zwar auf den hohen Inseln Eap, Truck (Hogoleu), Ponapi, nicht aber auf Kusaie (Ualan Chamisso 135, Kittlitz 1, 356): so und besonders leidenschaftlich auf der Eatakkette (Kotzebue, Chamisso) und auf den Gilbertinseln (Gulick 410). Waehrend man in diesem Gebiet nur an einigen Orten die Baeume schonte (Hale 84) hieb man, sie nach der gemeinsamen Sitte der Ozeanier, auf Ratak und sonst nieder (Kotzebue 287), und man kann sich denken, wie furchtbar solche Barbareien auf den kleinen schon ohnehin nur ueberaus kaergliche Nahrung bietenden Inseln wirken mussten: viele, die der Krieg verschont hatte, namentlich Weiber und Kinder, erlagen dem Hunger, dem Elend, das ihm folgte. Daher ist die Behauptung, dass die einheimischen Kriege der ozeanischen Bevoelkerung ganz unberechenbaren Schaden zugefuegt und wesentlich zu ihrer stetigen Verminderung beigetragen haben, nur allzusehr gerechtfertigt. Die Sitte des Schaedelerbeutens, welche wir auf Neuguinea sahen und die das ganze Malaisien beherrscht, finden wir insofern ueberall in Polynesien, als man gierig die Schaedel und in Tahiti auch die Unterkiefer der Feinde erstrebt, um sie als Trophaee aufzuheben (Nukuhiva Melville 2, 129, Tahiti Bougainville 181, Ellis 1, 309, Perl- oder Palliserinseln ebend. 1, 358, Aitutaiki 1, 309, Rarotonga 1, 359, Neuseeland Dieffenbach 2, 134, Samoa Turner 301. 304). Hiermit haengt die weite Verbreitung der Menschenfresserei enge zusammen, wie sie nach Hale 38 in Neuseeland, wo nach Thomson 1, 148 das letzte Beispiel dieser Sitte noch 1843 vorkam, Hervey, Mangareva (Gambier), Paumotu und dem Marquesasarchipel ganz allgemein und ohne Scham betrieben wurde. Auch zu Kriegen wird sie oft Anlass, indem man, um ihn zu fressen, einen oder mehrere Menschen eines fremden Stammes erschlug, welche That natuerlich Rache erheischte. Auf Samoa, Tonga, Tahiti und Hawaii kommt der Kannibalismus jetzt nur noch einzeln vor, auf Samoa bei ganz besonders erbittertem Hass (Turner 194), auf Tonga aus Prahlerei und in Nachahmung der Fidschisitten, (Mariner 1, 116-17), so wie bei Hungersnoth, wo man irgend Jemanden, meist einen Verwandten erschlaegt und isst (eb. 2, 19; 1, 117); in Tahiti gleichfalls, aus Prahlerei, um sich furchtbar zu machen (Ellis 1, 310). Aber frueher war er auf diesen Inseln allgemeine Sitte (Hale 37), wie eine Menge seltsamer und anders ganz unerklaerbarer Gebraeuche beweisen: so auf Tahiti der oft beschriebene Gebrauch bei Menschenopfern, dem Koenig das linke Auge (den Sitz der Seele) des Opfers darzubieten, der dann den Mund oeffnete, als ob er es verschlaenge und durch diese Ceremonie Verstand und Klugheit bekommen sollte. Urspruenglich hat er es gewiss gegessen, und erst spaeter, als die Sitten sich milderten, begnuegte man sich, wie in analogen Faellen bei allen Voelkern der Welt, mit einer symbolischen Handlung. Im Samoaarchipel beugt sich, wer dem Sieger als besiegt sich unterwirft, vor demselben nieder, indem er ihm Feuerholz und die Blaetter darreicht, in welche man in Polynesien die Speisen, die gekocht werden sollen, einschlaegt (Turner 194). Und so liesse sich vieles anfuehren. Es scheint aber, als ob, wie die Tahitier, Hawaier u.s.w. die Menschenfresserei abgeschafft hatten, ehe die Europaeer kamen, noch an manchen anderen Orten Polynesiens dieselbe Sitte in Abnahme oder doch in Misskredit gekommen sei, ohne dass der Einfluss der Europaeer dies bewirkt haette: so laeugneten auf Nukuhiva die wilden Taipis den Kannibalismus ganz und gar, und suchten ihn den Weissen zu verbergen, wie Melville mittheilt. Und die neuseelaendischen Fuersten erzaehlten, er sei keineswegs von Alters her bei ihnen Sitte, sondern erst spaeter eingefuehrt (Thomson 1, 142), eine Behauptung, welche entschieden falsch und nur von ihnen erfunden kaum eine Widerlegung verdient. Sec. 10. Menschenopfer. In Nordamerika sind Menschenopfer nicht sehr zahlreich gewesen. In Florida wurden Weiber und Diener ehedem beim Tode des Herrn gleichfalls getoedtet, um ihm im Jenseits zu dienen (Waitz 3, 199-200), wie man ebendaselbst den Erstgeborenen der Sonne opferte. Kinderopfer werden auch sonst oefters erwaehnt: in Virginien, in Neuengland, bei den Sioux und sonst (Waitz 3, 207). Auch bei manchen Caribenstaemmen wurden mit den gestorbenen Haeuptlingen einige seiner Weiber lebendig begraben (ebend. 3, 387) und vornehmen Leuten folgte ein Sklave nach (3, 334). Allein bei allen diesen Voelkern sind die Menschenopfer von so wenig Ausdehnung gewesen, dass wir bei ihnen, da sie fuer unsere Betrachtung gar keine Bedeutung haben, nicht zu verweilen brauchen. Um so zahlloser aber waren die Menschenopfer, welche die Religion der amerikanischen Kulturvoelker forderte und deren Ursprung in uralte vorhistorische Zeit zurueckgeht (Waitz 4, 157). Wo wir Menschenopfer finden, werden wir dieselben immer mit groesster Wahrscheinlichkeit auf die alleraelteste Zeit zurueckfuehren, denn sie wurzeln stets in sehr ernst gemeinter Religiositaet, nie in Grausamkeit. Spaetere Einfuehrung derselben findet sieh nur in ganz vereinzelten Faellen und wird sich aus Nachahmung der Sitten anderer Voelker, besonders heftiger Kriegserbitterung oder irgend etwas aehnlichem fast immer erklaeren lassen. Wohl aber sind die Menschenopfer im Laufe der Zeiten bei manchen Voelkern abgekommen: so bei den Indogermanen, den Semiten u.s.w. Die Zahl dieser Opfer war nun in Mexiko geradezu ungeheuer, wie folgende Zeugnisse, die alle aus Waitz 4, 157 ff. entlehnt sind, beweisen. Der Bischof Zumarraga (zur Zeit der Entdeckung) schaetzt sie bei Torquemada auf 20,000 jaehrlich, wenigstens fuer die letzte Zeit des Reichs; in der Hauptstadt und ihrer naechsten Umgebung soll ihre Zahl jaehrlich mehr als 2500 gewesen sein. Oviedo behauptet, dass Montezuma jedes Jahr ueber 5000 geopfert haette; bei einem Fest in der Stadt Tlaskala fielen 800 Opfer jaehrlich; der zweite Monat des Jahres war, weil er so viele Menschenopfer forderte, nach der Schlaflosigkeit der Menschen benannt. Trat Duerre, Misswachs u. dergl. ein, so wurden die Opfer vermehrt. Die Einweihung des Haupttempels zu Tenochtitlan (den 19. Februar 1487 nach Gama) "soll nach Torquemada (1610) 62,344, nach Fra Toribio Motolinia und Ixtlilxochitl (von muetterlicher Seite aus vornehmen mexikanischen Fuerstengeschlecht, von vaeterlicher Seite Spanier, der mit grossem Eifer die Geschichte des Landes seiner muetterlichen Vorfahren durchforschte und seine grossentheils zuverlaessigen Werke um 1600 schrieb Waitz 4, 7 u. 8) sogar 80,400 Menschen das Leben gekostet haben." Die Schaedel der Opfer wurden zu einer grossen Pyramide im Tempelhof aufgeschichtet, die man im mexikanischen Haupttempel auf 136,000 berechnet hat (Waitz 4, 149). Und ausserdem kommt noch eine grosse Zahl geopferter Menschen dadurch hinzu, dass jedes auch kleinere Fest solche Opfer, nur wenigere forderte: durch die stete Wiederholung aber, denn es gab viel Feste im Jahr, sammeln sich auch diese zu einer grossen Summe. Wenn wir nun auch mit Waitz die kleinsten der genannten Zahlen fuer die wahrscheinlichsten halten; so ist die Zahl, die fuer jedes Jahr herauskommt, noch immer enorm. Waren die eben besprochenen nur solche Opfer, die man den Goettern brachte, so forderte der Tod vornehmer Menschen andere. Starb der Herrscher oder irgend ein Vornehmerer sonst, so folgten diesem Weiber und Sklaven in den Tod; aber da nun am 4ten, 20sten, 40sten und 80sten Tage nach dem Begraebniss auf dem Grabe derartige Abschlachtungen stattfinden mussten, so darf man sich auch die Zahl der auf diese Weise umgebrachten Menschen nicht zu gering denken: stieg sie doch manchmal bis auf 200 (4, 167). Die Quiches in Guatemala (4, 264) so wie die Chorotegen in Nikaragua (279), toltekische Voelker, brachten Menschenopfer dar wohl ebenso reichlich als die Mexikaner, wie denn ihre Religion in fast allen Stuecken der mexikanischen gleich war. In Yukatan, wo solche Opfer zwar auch vorkommen, waren sie doch minder zahlreich als in jenen Gegenden und in Mexiko (4, 309). In Darien vergifteten sich des Herrschers Lieblingsweiber und Diener bei seinem Tod, oder sie wurden lebendig mit ihm begraben (4, 351), wie Weiber und Diener auch bei den Chibchas in Neugranada getoetet (4, 466) und Menschenopfer bei allen diesen Voelkern gar nicht selten den Goettern dargebracht wurden. Ebenso war es auf den Antillen (4, 327). In Peru waren Menschenopfer, wozu man gefangene Feinde nahm, selten und nur bei ausserordentlichen Veranlassungen gebraeuchlich. Weiber und Diener aber folgten auch hier dem Inka, deren einem 1000 seiner Angehoerigen sich geopfert haben sollen, und ebenso den Vornehmen freiwillig in den Tod nach, um ihm im Jenseits weiter zu dienen. Namentlich aber Kinder wurden hier vielfach getoetet; wenn ein Vornehmer krank war, wurde eins von seinen eigenen Kindern den Goettern zum Ersatzopfer, wie man annimmt, geschlachtet, welches dann freudig in den Tod zu gehen pflegte. Vor dem Auszuge zum Krieg, bei Krankheit des Herrschers und bei dessen Inauguration wurden Kinder, meist Knaben von 4-10 Jahren, seltener Maedchen, nach einzelnen freilich nicht ganz glaubwuerdigen Angaben bis zu 200, ja bis zu 1000, geopfert, was auch beim Erntefest, bei verheerenden Epidemien, ja in einigen Gegenden mit jedem erstgeborenen Kinde und mit dem einen von Zwillingen geschah. Auch wurde den Todten von dem Blute des geopferten Kindes ein Strich von einem Ohr zum anderen gezogen (Waitz 4, 460-61). Auch hier muessen wir auf das zurueckkommen, was wir oben gesagt haben: die Kinderopfer dienen nur dazu, einen bei den Goettern, denen Kinder am liebsten waren, besonders gueltigen Vermittler zu haben; deshalb, und nicht zum Ersatz, wurden die eigenen Kinder als Opfer bei Krankheiten preisgegeben und unsere Auffassung wird unterstuetzt dadurch, dass die Kinder gewoehnlich freudig in den Tod gingen: sie wussten, dass sie einem guten Loos entgegengingen; daher auch der Strich mit Kinderblut ueber die Todten, welche auf diese Weise gleich das Zeichen des Vermittlers an sich trugen. Die Kinderopfer in Mexiko hatten meist dieselbe Veranlassung und denselben Zweck: so wurden zwei Kinder vornehmer Abkunft, wenn die Saat aufging, ertraenkt, vier, wenn sie groesser war, dem Hungertode preisgegeben (4, 159). In Nikaragua wurde ein Knabe, wenn Regen noethig war, den Goettern dargebracht (4, 379). Aehnliche Opfer brachten die Chibchas in Neugranada vor der Schlacht (364). Nirgends aber sind auch die Menschenopfer massenhafter, als auf Fidschi, wie wir daselbst auch den Kannibalismus schrecklicher ausgebildet fanden, als sonst irgendwo. Zur Feier der Mannbarkeit eines Haeuptlingssohnes, so erzaehlt Seemann (Zeitschr. 9, 476), sollte eine rebellische Stadt ganz vernichtet, die Einwohner erschlagen, auf einen Haufen zusammengetragen, auf diese Sklaven gelegt und auf diese wieder der Einzuweihende gesetzt werden. Alle Schiffbruechigen, das verlangt ihr Glaube, muessen getoedtet werden; wer es unterliesse, wuerde sonst selbst im Schiffbruch umkommen (Erskine 249-50). Alte Eltern werden von ihren Kindern, kranke Kinder von ihren Eltern lebendig begraben (ebend.) und zwar ist es der eigene Wille der Opfer, dass ihnen so geschieht (477), denn man glaubt, man kaeme nach und durch solchen Tod sofort in ein anderes und viel besseres Leben; daher sich diese scheussliche Sitte mit wirklicher Familienanhaenglichkeit vertraegt. Aber es ist ebendaher auch begreiflich, dass nur wenige Menschen eines natuerlichen Todes sterben (Will. u. Calvert 1, 188). Menschenopfer am Grabe, namentlich von Haeuptlingen, sind ebenso gewoehnlich als umfangreich; die Weiber werden entweder alle oder doch die Lieblingsweiber und eine Menge Sklaven ermordet. Die Mutter, deren geliebter Sohn stirbt, folgt ihm bisweilen ins Grab, der Freund dem Freund (Will. u. Calvert 1, 134). Auch hierzu draengen sich, wegen der Belohnungen im Jenseits, die Opfer; die Weiber erdrosseln sich selbst, wenn ihnen Niemand diesen Dienst thut (Erskine 293. Mariner 1, 347). Und wie fest man an den Menschenopfern hielt, geht aus folgender Notiz bei Erskine 440 hervor: ein Fidschiinsulaner hatte, von irgend welchem Mitleiden ergriffen, einen Gefangenen nicht dem Gotte geopfert; da erschien ihm letzterer im Traum und quaelte ihn ueber diese Unterlassung dermassen mit Gewissensbissen, dass der Mensch fast in Raserei fiel. Doch dieselbe Partei, welche, wie wir schon erwaehnt haben (S. 70), sich gegen den Kannibalismus wendete und ihn abzuschaffen sucht, ist auch diesen Menschenopfern feindlich (Erskine 280) und so werden auch sie, da der Einfluss der Europaeer hinzukommt, hoffentlich nicht mehr allzulange dauern.--Aehnliche Gebraeuche fanden sich auch sonst in Melanesien, wenn auch nirgends so uebertrieben wie hier: namentlich ist es das Lebendigbegrabenwerden der Eltern, der Kranken, die Ermordung der Mutter oder einer Verwandtin, wenn ein kleines Kind stirbt, was uns berichtet wird. Was nun Polynesien betrifft, so ist es gewiss Uebertreibung, wenn Michelis (91. ohne Quellenangabe) erzaehlt, der Koenig von Futuna (noerdlich von Samoa), dessen Insel 2000 Einwohner hat, habe waehrend seiner Regierung an 1000 Menschen den Goettern geopfert. Denn wir finden sonst in Polynesien die Menschenopfer nicht allzuzahlreich. Freilich ist es ein Irrthum, wenn Ellis 1, 106 behauptet, sie seien in Tahiti erst spaeter eingefuehrt, da sie mit der ganzen polynesischen Religion viel zu eng verwachsen sind; wohl aber sind sie in spaeterer Zeit, noch vor der Entdeckung, von den Eingeborenen selbst sehr beschraenkt. Bei Beginn eines Krieges erhielt der Kriegsgott ein Menschenopfer (Ellis 1, 276), dem so wie anderen Goettern oefters Menschen dargebracht wurden (1, 357). In Kriegszeiten, bei grossen Nationalfesten, bei Krankheiten und dem Tod der Fuersten (Bratring 182-83. 196) opferte man Menschen, sowie man die Koepfe der Besiegten (was auch melanesischer Brauch war) in den Tempelplaetzen als Weihgeschenk aufstellte (Moerenhout 2, 47). Haeufiger waren diese Opfer in Hawaii, wo (Jarves 47) haeufig an 80 Menschen auf einmal geschlachtet sein sollen. Man nahm, hier und in Tahiti, dazu Gefangene oder Verbrecher oder Leute, die irgend ein Tabu gebrochen hatten, oder, wenn deren keine vorhanden waren, Leute aus dem Volk (Jarves 18. Ellis a.a.O.). Aehnlicher Gebrauch herrschte auch auf den Herveyinseln (Williams 215). Wenn nun auch in Hawaii, nach den Angaben der Fuersten, diese Opfer erst spaeter eingefuehrt sein sollten (Jarves 47); so ist dies nur ein Zeichen, dass man auch hier schon dies Schreckliche der Sitte eingesehen hatte und sie im Abnehmen war. Menschenopfer fanden selbstverstaendlich auch hier an den Graebern der Vornehmen statt, zunaechst beim Ausstellen der Leiche und dann noch zahlreicher beim Begraebniss selbst (Remy 115). Ebenso war es frueher in Neuseeland Sitte--jetzt ist sie abgekommen--dass sich die Weiber am Grabe ihrer Maenner erdrosselten, die Sklaven getoedtet wurden (Taylor 97). In Tonga wurden bei den Graebern der Vornehmen ab und zu Weiber geopfert (authent. narrat. v. Tonga 78; Mariner 1, 295), was auf fruehere Allgemeinheit dieser Sitte, gegen welche die tonganischen Fuersten selbst eiferten, schliessen laesst. Von besonderem Interesse ist der Kindermord, wie er sich auf Tonga zeigt. So wurden (Mariner 1, 229) Kinder den Goettern geopfert, um den Frevel eines Fuersten gegen ein Heiligthum wieder gut zu machen: ein Opfer, welches gar keinen Sinn haette, wenn man nicht eben in den Kindern den Goettern besonders angenehme Vermittler gesehen haette. Um des Koenigs Leben zu erhalten, wurde eines von seinen mit einem Nebenweib erzeugten Kindern getoedtet (1, 379): wenn aber der Tui-tonga, der hoechste religioese und frueher wohl auch weltliche Herr von Tonga krank ist, da genuegt ein Kind nicht und man toedtet drei bis vier (1, 454). Ehe wir diesen Gegenstand verlassen, ist noch von einer Art Opfer zu sprechen, die, wie es scheint, ueber die ganze Welt verbreitet ist: ueber die Menschenopfer zur Einweihung, zur Sicherung von Gebaeuden u. dergl.[N] Auch diese Sitte ist am uebertriebensten auf den Fidschiinseln. Dort muessen neugebaute Kaehne, damit sie vor Sturm und Unheil sicher sind, ueber lebende Sklaven in die See gerollt werden; jeden Pfosten eines neu gebaut werdenden Hauses muss, damit der Pfosten sicher steht, ein lebender Sklave umfassen--und zu diesem lebendig Zerquetscht-, zu diesem lebendig Begrabenwerden draengen sich die Opfer, denen es im Jenseits maechtig vergolten wird (Erskine 249-50). Die Sitte war nicht bloss melanesisch, sondern auch ueber ganz Polynesien verbreitet: in Neuseeland ruhte der Mittelpfeiler des Hauses frueher auf Menschenleichen (Taylor 387 ff.) und von Tahiti erzaehlt dasselbe Moerenhout 2, 22-23; doch scheint auch hier der Gebrauch in spaeterer Zeit abgekommen zu sein; denn wenn er und Ellis (1, 346) diesen Gebrauch nur fuer Tempel angeben, so ist er wohl erst spaeter nur auf diese beschraenkt worden. Derselbe Gebrauch findet sich auch in Suedamerika: der Palast des Bogota, des Herrschers der Chibcha stand auf Maedchenleichen und sein Grund so wie seine Thuerpfosten waren mit Menschenblut getraenkt (Waitz 4, 360). Nachdem wir so diese Uebersicht ueber die Art, wie die Naturvoelker das Menschenleben schaetzen, vollendet haben, ergibt sich als Resultat, dass ihre Kriege fuer sie hoechst gefaehrlich sind, ja einzelnen geradezu die Existenz gefaehrden, so dass wir sie in erster Linie auffuehren muessen, wenn wir die Ursachen fuer das Aussterben der Naturvoelker aufsuchen; dass aber Kannibalismus und Menschenopfer, obwohl in einzelnen Laendern furchtbar ausgedehnt, nur von sekundaerer Wichtigkeit sind und nur wenn sie mit anderen Gruenden vereint auftreten, zur sichtlichen Verminderung eines Volkes beigetragen haben. Sec. 11. Verfassung und Recht. Auch die Staats-und Rechtsverfassung der Naturvoelker wird nach einigen Seiten uns hier, freilich nur kurz, beschaeftigen muessen. Die Kulturstaaten Amerikas so wie die polynesischen Inseln sind es, die wir nach dieser Richtung hin betrachten muessen; denn bei den uebrigen Naturvoelkern ist theils das Rechts- und Staatsleben zu wenig entwickelt, als dass es irgend welchen Einfluss gehabt haette, theils so entwickelt, dass dieser Einfluss kein unguenstiger war. Wie das Recht in seiner aeltesten Entwickelung immer seine Gesetze "mit Blut" schreibt; so war es auch in Mexiko der Fall: fast alle Verbrechen, selbst geringe Diebstaehle, Trunk, Verleumdung u. dergl. wurden mit dem Tod bestraft, und bisweilen die ganze Familie in die Sklaverei verkauft (Waitz 4, 84-85). Denn der Grundsatz, dass die Sippe haften muss fuer das einzelne verbrecherische Mitglied gilt auch hier. In Peru (4, 414-15) war die Strenge der Gesetze nicht minder gross und die Haftbarkeit der Familie fuer den Schuldigen, mit dem sie in vielen Faellen den Tod zugleich erlitt, noch groesser. Diese strenge Justiz und namentlich die Haftbarkeit der Familie fuer den Einzelnen hat in der Suedsee ferner, wo sie gleichfalls herrscht, um so groesseren Schaden angerichtet, als, wie wir gleich sehen werden, dort die Gewalt der Herrschenden noch absoluter war als in Amerika. So wurde in Tonga der ganze Stamm eines Aufruehrers vernichtet (Mariner 1, 271) und die fortwaehrenden Rachekriege dieser Voelker und Staemme untereinander beruhen theilweise auf dieser blutigen Rechtsauffassung (z.B. fuer Neuseeland Dieffenbach 1, 93, Haftbarkeit des Stammes fuer den Einzelnen Thomson 1, 98). Auch in Neuholland sind ziemlich strenge Rechtsstrafen (Grey 2, 236-37), entweder Tod oder Durchstossen einzelner Koerpertheile mit dem Speer (wobei oft der Tod erfolgt) oder Speerung, d.h. der Schuldige muss sich den Speerwuerfen einer groesseren oder geringeren Menge von Volksgenossen aussetzen, denen er freilich durch seine Geschicklichkeit (Waffen darf er nicht haben), wenn sie ausreicht, ausweichen darf (Grey 2, 244-45). Die Haftbarkeit der Familie, des Stammes fuer den Einzelnen ist hier wo moeglich noch fester, als irgendwo sonst (Grey 2, 239-40; 235-36). In Mexiko war die Verfassung streng monarchisch, wobei der Adel, der frueher wahrscheinlich die hoechste Staatsgewalt selbst in Haenden gehabt hatte (Waitz 4, 71), wie in anderen monarchischen Staaten auch, grosse Vorrechte ueber das Volk hatte. Der Herrscher, weil er Stellvertreter Gottes auf Erden war, hatte unumschraenkte Gewalt (Waitz 4, 68); und mochte dadurch auch mancherlei Ungerechtigkeit und Gewaltthaetigkeit geschehen, mochten einzelne Fuersten ihre Macht missbrauchen, wie denn namentlich der letzte von ihnen, Montezuma II., seinen gewaltthaetigen und hoffaertigen Charakter in noch schaerferer Entwickelung des Absolutismus und der Sonderstellung des Adels zeigte; das wurde doch vom Volk ertragen, ohne dass dadurch das Volk noch auch durch den Unwillen des Volkes die Herrscher gefaehrdet waren. Schlimmer war, dass die Herrscher durch ihren Absolutismus den eigenen Willen des Volkes zu sehr gelaehmt hatten. "Die strenge und allgemeine Fuegsamkeit in den Willen des Herrschers hat sich von Seiten des Volkes bei mehreren Gelegenheiten in unzweideutiger Weise gezeigt: auf einen Wink von Montezuma blieb Alles ruhig, sogar als er selbst von Cortez gefangen gesetzt wurde und mit der Eroberung der Hauptstadt hoerte jeder Widerstand auf, nicht bloss weil die Grossen des Reichs dort alle vereinigt waren, sondern auch weil mit dem Falle des Herrschers fuer die bis zum Aeussersten standhaft gebliebenen Mexikaner die Pflicht der Selbstverteidigung wegfiel. Revolutionen des Volks waren--abgesehen von neu eroberten Laendern--fast unbekannt" (Waitz 4, 68). Am gefaehrlichsten aber war die Eroberungspolitik des mexikanischen Staates. Um alle Laender sich und ihrem Gotte Huitzilopochtli zu unterwerfen, was das stete Streben der Mexikaner war (4, 117), hatten sie ihre Herrschaft vom atlantischen bis zum stillen Ozean ausgedehnt, ohne aber wirklich Widerstand leistende Laender ernstlich zu bezwingen und sich zu assimiliren. Und Montezuma II. noch machte es ebenso. Waehrend in seinen Laendern Empoerungen der unterworfenen Laendertheile ausbrachen, schickte er, anstatt das Gewonnene dauernd zu fesseln, seine Heere in immer fernere Gegenden, um immer mehr zu gewinnen (Waitz 4, 46), und "daher, sagt Waitz 4, 47, ist es wohl begreiflich, dass das grosse rasch gewachsene Reich des Montezuma durch ein paar kraeftige und geschickt gefuehrte Stoesse zertruemmert werden konnte." Eine Menge einheimische Feinde, ganze Laendertheile erhoben sich und stellten sich auf Seiten der Spanier--und so ist Mexiko, das so bevoelkerte, reiche und bluehende Land zum nicht geringsten Theil durch seine eigene Politik zu Grunde gegangen. Da diese Schilderung im Grossen und Ganzen auch auf Peru passt, wo der Koenig als Stellvertreter Gottes auf Erden nur eine noch absolutere und drueckendere Macht besass, wo gleichfalls Eroberungskriege das Land ausgedehnt und dadurch minder fest gemacht hatten, weil es nun in seinem Innern feindliche Elemente barg (Waitz 4, 399-413), da wir hier so ziemlich dasselbe finden, so brauchen wir die Verhaeltnisse des Inkareiches nicht genauer zu betrachten und gehen gleich zu Polynesien ueber. Hier hat der Absolutismus und die Sonderstellung des Adels, die in der goettlichen Abstammung des Adels und der Koenige wurzelt, die denkbar hoechste, man koennte sagen eine logisch vollkommene Entwickelung gefunden. Ueberall, in Neuseeland, in Tahiti, in Hawaii, dem Markesasarchipel, auf Tonga, bei der alten Bevoelkerung der Marianen (waehrend sonst Mikronesien in der Praxis wenigstens die Gegensaetze minder scharf fasst) gilt das Volk als unbeseelt, daher sein Leben als vollkommen werthlos. Man toedtete es nach Geluesten oder Laune (Mariner 1, 60. 91), man bedrueckte es, da es weiter keine Geltung hat, als eben nur fuer die Vornehmen da zu sein, keinen Werth weiter als was es den Vornehmen werth ist--und nirgends war dieser Druck schlimmer als auf Hawaii--man hat ihm aus demselben Grund alle harte Arbeit, z.B. den Landbau, aufgeladen; dabei ist ihm das meiste der besseren Nahrungsmittel verboten; zu den Festen der Vornehmen muss es, was es besitzt an Lebensmitteln, beisteuern, zu den Menschenopfern nimmt man die Individuen aus ihm, kurz, es liegt ein Druck auf ihm, so unglaublich, dass man gar nicht begreift, wie unter demselben ueberhaupt sich eine und noch dazu zahlreiche Bevoelkerung erhalten konnte. Oft fand es nicht Zeit zur Bestellung des eigenen Landes, daher denn Hungersnoth, Kindermord und namentlich eine grosse Menge von Auswanderungen eintraten, die vor allem Tahiti entvoelkerten, aber auch von anderen Inseln erzaehlt werden. So gab es auf Tahiti im wilden, gebirgigen und kaum bewohnbaren Inneren der Insel eine zerstreute Bevoelkerung "wilder Maenner", die, ausserordentlich scheu und aengstlich, ganz einsam in den Klueften leben, gewiss nur entsprungene Fluechtlinge aus dem Volke, oder deren Abkoemmlinge, welche nicht zurueckzukehren wagten (Ellis 1, 305). Von Hawaii sagt Jarves (368 ff.): "Der Ackerbau ward vernachlaessigt, und Hungersnoth herrschte. Ganze Schaaren gingen unter ihrer Last zu Grunde; andere verliessen ihre Heimath und flohen gleich wilden Thieren in die Tiefe der Waelder, wo sie aufs elendeste aus Mangel umkamen, oder eine klaegliche Existenz durch Fruechte und Wurzeln fristeten. Blind fuer diese Folgen setzten die Fuersten ihre Politik (zu der sie von geldgierigen Fremden vielfach verleitet wurden) fort." Kindermord war die Folge namentlich einer unerschwinglichen Kopfsteuer und nicht nur physisch, auch moralisch verkam das Volk. Und auf dies moralische Verkommen ist sehr zu achten; denn nichts befoerdert den Untergang einer Bevoelkerung mehr als dies. Wo die Moralitaet (natuerlich hier nur nach den Begriffen der betreffenden Voelker) fehlt, fehlt auch die Selbstachtung; wo die Selbstachtung, die Freude am Leben, welche diesen Menschen auch schon aus aeusseren Gruenden unmoeglich war; und wo die Freude am Leben fehlt, da verkommt und versiegt das Leben selbst. Mit Recht stellt daher Jarves (a.a.O.) diesen Druck, unter dem das Volk erlag, fuer eine Hauptursache seines massenhaften Schwindens hin: und wie es in Hawaii war, so war es, mit wenig Abaenderungen, so ziemlich ueberall in Polynesien. Sec. 12. Natureinfluesse. Sahen wir so, was die Naturvoelker durch eigene Lebensart oder Schuld zu ihrem Hinschwinden beitragen: so muessen wir, ehe wir weiter gehen, einen Blick auf die Naturumgebungen dieser Voelker werfen und deren guenstigen oder schaedlichen Einfluss abwaegen. So viel leuchtet schon dem ersten Blick ein: durch Natureinfluesse allein stirbt kein Volk aus und die menschliche Natur gewoehnt sich fast an alles. Man kann sich, nach Darwins Schilderung, kaum eine fuer menschliche Entwickelung unguenstigere Natur denken, sowohl in Hinsicht auf Klima, als auf Lebensmittel u.s.w., als die Suedspitze von Amerika und dennoch sagt derselbe Schriftsteller, dass ein Aussterben der elenden Staemme der Feuerlaender nicht zu bemerken sei. Ebenso wenig der Eskimos. Der Mensch akklimatisirt sich, freilich nur sehr allmaehlich in langsamen Vorruecken und durch Jahrhunderte oder besser Jahrtausende lange Vererbung und dadurch Verstaerkung der fuer die einzelne Gegend speziell befaehigenden Eigenschaften an jede Gegend, an jedes Klima, und nichts beweist gerade mehr die Dauerhaftigkeit unserer Natur als diese Faehigkeit der Gewoehnung. Aber freilich werden weder Feuerlaender noch Eskimos sich je zu grossen maechtigen Nationen entwickeln: und zwar in Folge ihrer Naturumgebung, welche der freien Entfaltung der Menschheit denn doch unuebersteigliche Hindernisse in den Weg stellt. So ist denn eben die Naturumgebung der Grund, dass wir die roheren Naturvoelker nie sehr zahlreich sehen; die Natur erheischt ein Leben, welches dem Gedeihen der Menschheit nicht zutraeglich ist. Die geringe Zahl der Neuhollaender ist zweifelsohne bedingt durch die erstaunlich unfruchtbare Natur ihres Landes, denn wenn auch Grey (1, 239) Recht hat gegen Sturt und viele Andere, dass der Nahrungsmangel in Neuholland nicht so gross ist, als er gewoehnlich gemacht wird, und allerdings gibt er fuer den Suedwestdistrikt des Welttheils, fuer eine Ausdehnung von 2-300 Meilen (2, 299) eine reiche Menge Nahrungsmittel an (2, 263-64); so sind dieselben doch immer erst weit zerstreut, muessen gesucht werden und sind oft, im einzelnen betrachtet, elend genug. Sie zu vermehren, anzubauen haben die Eingeborenen nicht Kultur genug, auch finden sich kaum unter den Pflanzen und Thieren Neuhollands solche, die zu eigentlichen Kulturpflanzen oder Hausthieren brauchbar waeren; zu sammeln aber sind die Neuhollaender, wie wir schon bei der Betrachtung ihres Charakters sahen, zu indolent, zu traege. Wir muessen hier die ausserordentlich hemmenden Schranken der Natur anerkennen, die jedoch nur dann erst wirklich fuer den Bestand eines Volkes gefaehrlich werden, wenn noch andere Bedraengnisse hinzukommen. Ueber viele Distrikte Amerikas muss man, mehr oder minder, dasselbe sagen, in mancher Beziehung auch von Suedafrika. Und fast noch unguenstiger gestellt ist Polynesien schon in seinen hohen Inseln, die meist im Innern so steil und unwegsam sind, dass sie, wie Tahiti und Nukuhiva, nicht bewohnt werden koennen, oder grosse unfruchtbare Strecken hinter ihren meist ueppigen Uferstrecken bergen, wie die Fidschis und viele der Hawaiiinseln, und die, wenn sie auch durch und durch bewohnbar waeren, doch schon durch ihre verschwindende Kleinheit in dem ungeheuren und gefaehrlichen Ozeane ihren Bewohnern ein Hinderniss sind. Hier ist die Schifffahrt nicht so leicht, wie im Mittelmeer und eine Kuestenschifffahrt ganz unmoeglich. Grosse Thiere gibt es gar nicht ausser dem zum Hausthier im wahren Sinne ungeeigneten Schwein und einigen Hunden, welche aber ihre Hundenatur fast abgelegt haben und Mastvieh geworden sind. Nutzpflanzen gibt es genug, aber so reichlich, dass weder geistige noch leibliche Anstrengung, ja kaum Thaetigkeit noethig ist, um hinlaenglichen Vorrath zu bekommen, oder so wenig, wie auf Neuseeland (natuerlich zur Zeit der Entdeckung), dass trotz aller Anstrengung die Nahrungsmittel sich nicht sehr heben konnten. Und nun gar die kleineren Inseln, die fast immer unfruchtbaren Korallenringe, welche meist, wie im oestlichen Polynesien und in Paumotu, nur den Pandanus mit seinen kuemmerlich naehrenden Fruechten und, aber noch nicht einmal ueberall, z.B. in der noerdlichen Ratakkette nicht, die Kokospalme hervorbringen, den Brotbaum und die anderen Nahrungspflanzen der Suedsee, welche feuchten Boden verlangen, wie Tacca und Arum, nur seltener oder nur erst nach sehr muehevoller Bearbeitung des harten Korallengrundes gedeihen lassen, Thiere aber, ausser zahlreichen Ratten, gar nicht besitzen. Dazu kommt, dass graessliche Orkane, denen nichts zu widerstehen vermag, auf Tahiti, den Paumotu- und Herveyinseln, auf Tonga, den Karolinen, den Marianen, kurz so ziemlich ueberall, die Vegetation gar nicht selten so vollstaendig vernichten, dass aeusserste Hungersnoth eintritt. Auf den Inseln suedlich vom Aequator sollen Stuerme der Art nach Moerenhout (2, 365) nicht oefter als alle 8-10 Jahre vorkommen, also gerade oft genug, um eine reiche Entwickelung der Bevoelkerung unmoeglich zu machen. Denn ihre Gewalt ist so, dass an irgend welchen Schutz oder Widerstand gar nicht zu denken ist. Daher ist es denn begreiflich, dass man den Kindermord, wie Chamisso mit solchem Entsetzen von den Ratakinsulanern erzaehlt, dort und auch sonst noch (z.B. auf Tikopia) geradezu gesetzlich regulirte, um die Inseln vor Uebervoelkerung zu behueten; begreiflich ferner, wie Hochstetter auf den Gedanken kam, dass der Kannibalismus auf Neuseeland durch den Hunger eingefuehrt sei. Ist nun zwar letztere Ansicht gewiss nicht richtig, wie sich leicht aus dem was wir ueber den Kannibalismus schon gesagt haben, ergibt; so ist es doch sicher, dass in einzelnen Gegenden Polynesiens, z.B. in Nukuhiva, bisweilen der Hunger zum Auffressen naher Verwandten trieb. Auch in Amerika, namentlich im Norden, gibt es Voelker, die durch die aeussere Noth gezwungen, zum Kannibalismus gebracht sind (Waitz 3, 508; 4, 251). Dass auch die Aleuteninseln durch ihre Naturbeschaffenheit keine reiche Entwickelung ihrer Bevoelkerung zulassen, ist klar; und dasselbe gilt von Kamtschatka, ueber dessen Natur von neuern Schriftstellern v. Kittlitz trefflich gehandelt hat. Alle die besprochenen Laender machen eine grosse geschichtliche Entwicklung von vornherein so gut wie unmoeglich. Einfoermigkeit ist das Zeichen der meisten; und historische Schicksale, das wirksamste Mittel, die Menschheit zu heben, konnten ihre Bewohner so gut wie gar nicht treffen. Dadurch aber konnten sie sich nicht ueber die Natur, wie z.B. die Indogermanen, die Semiten gethan, erheben, so dass diese von ihnen beherrscht waere. Und nehmen wir auf der anderen Seite Voelker mit den Sitten, wie wir sie bisher geschildert, in unguenstiger Natur, so leuchtet wohl ein, wie gerade ihnen gegenueber schaedliche Natureinfluesse von doppelter Gefahr sein mussten. Sec. 13. Aeussere Einfluesse der hoeheren Kultur auf die Naturvoelker. Wir koennen nun erst, nachdem wir betrachtet haben, was in der Natur und Lebensweise dieser Voelker selbst einen fruehen Untergang Begruendendes liegt, die Einfluesse genauer erwaegen, welche ihre Beruehrung mit anderen meist hoeher kultivirten Voelkern und namentlich mit den Kulturvoelkern Europas und Amerikas hervorgebracht hat. Es sind hier zunaechst Einfluesse zu erwaehnen, welche obwohl durchaus nicht feindselig, ja haeufig nur gut gemeint dennoch physisch wie psychisch die gewaltsamsten Wirkungen haben mussten und hatten und haben. Zunaechst ist es die Umaenderung des aeusseren Lebens der Naturvoelker, welche uns, wie sie durch jene Beruehrung unvermeidlich war, beschaeftigen muss.--Die ganze Lebensart dieser Voelker war durch lange fast instinktive Auswahl, dem Klima, den Bodenverhaeltnissen, ihrer ganzen aeusseren Natur so entsprechend oder wenigstens die Natur dieser Voelker hatte sich durch lange Gewoehnung so mit dieser Lebensart assimilirt, dass jede auffallende Aenderung, namentlich wenn sie ploetzlich kam, wenn sie sich ueber mehreres erstreckte, oder gar wenn sie bloss halb, bloss zeitweilig durchgefuehrt wurde, die groessten Revolutionen in ihrem gesammten Wesen hervorbringen musste. Auch hier ist wieder auf die unendliche Macht einer sich stets verstaerkenden Vererbung hinzuweisen, wie sie durch Jahrhunderte, Jahrtausende lange Gewoehnung, durch ueberaus allmaehliche Angleichung die Menschennatur so fest auch an unguenstige Einfluesse gewoehnen kann, dass eine Abwendung von ihnen fuer den Augenblick nur schaedlich zu wirken scheint. So finden wir das koerperliche Leben der Naturvoelker im engsten Einklang mit den Naturumgebungen und ihren Einfluessen. Vor der Bekanntschaft mit den Europaeern oder Amerikanern (die immer, was gestattet sein moege, mitgemeint sind, wenn im Folgenden einfach nur von den Europaeern und ihrem Einfluss die Rede ist) waren daher die Naturvoelker durchaus gesund, obwohl einzelne Seuchen ab und zu schon damals bei ihnen vorkamen: nie aber kannten sie die chronische Kraenklichkeit kultivirter Nationen. So war es mit der Kleidung. Die Neuseelaender trugen Kleider von Mattenzeug, welches aus den Blaettern der neuseelaendischen Flachslilie (Phormium tenax) geflochten war--auf welchen Matten man auch schlief--und seltener und nur die Fuersten einen Mantel aus zusammengenaehten Hundefellen (Dieffenbach 2, 153). Statt dieser kuehlen, die Haut nur schuetzenden, kaum erregenden Kleidung, welche auch (fuer Neuseeland sehr wichtig, wo es sehr oft, meist nur voruebergehend, regnet) die Naesse nicht lange hielt, tragen sie jetzt wollene Decken, die, abgesehen davon, dass sie dem Ungeziefer eine willkommene Zuflucht sind, die Haut reizen, die Feuchtigkeit sehr lange halten und einen viel staerkeren Wechsel in der Temperatur des Koerpers hervorbringen. Denn wie die Maoris frueher ihre Phormiummatten bei irgend welcher Arbeit oder sonstigen Gelegenheit leicht ablegten, gerade so machen sie es, ganz ohne Ruecksicht, ob sie warm sind, ob nicht, auch mit den Wollendecken jetzt (Dieffenbach 2, 18). Ganz aehnlich schildert das Jarves 370 von Hawaii. Fuersten und Volk, sehr begierig auf jeden auslaendischen Stoff, gleich viel ob es Matrosentuch oder das duennste chinesische Gewebe war, trugen alles ganz ohne Unterschied, und so kamen sie bald nach ihrer alten Art, bald anders, bald mit einer Mischung von beiden bekleidet; derselbe, der laengere Zeit eine solche Kleidung trug, erschien dann wieder viele Tage lang nackt. Je schoener das Wetter war, um so reichlicher bekleidet gingen sie, um zu paradiren, bei schlechtem Wetter aber meist nackt, um die Kleidung zu schonen; nackt daher auch in der ganzen Jahreszeit des Winters, und im Sommer bekleidet. Jarves wie Dieffenbach finden daher mit vollem, Recht in dieser Veraenderung und in dieser Art der Neuerung eine aeusserst wirksame Ursache fuer den Verfall der Gesundheit dieser Voelker. Diese Ursache aber wirkt ueberall, wo Natur- und Kulturvoelker zusammentreffen: sie musste eintreten, weil schon die Missionaere eine etwas decentere Bekleidung als die meisten Naturvoelker kannten, verlangen mussten. Auch eingefuehrte Nahrungsmittel (abgesehen von den Spirituosen) waren den Naturvoelkern schaedlich: so nach Dieffenbach a.a.O. fuer die Neuseelaender die Einfuehrung des Maises, den sie halb gegohren verbacken und durch dies aeusserst ungesunde Brot sich sehr schaden. Salz, sagt er, was sie frueher in den Seethieren genossen, essen sie jetzt gar nicht mehr, denn ihre fast einzige Nahrung ist die Kartoffel; diese aber, abgesehen davon, dass ihr ausschliesslicher Genuss ueberhaupt schaedlich ist, wirkte noch dadurch unguenstig, dass sie bei der wenigen Pflege, die sie verlangt, ganz und gar nur von Sklaven und Weibern besorgt wird, ohne die Maenner nur zu irgend welcher Thaetigkeit anzuregen. Was wir hier an dem einen Beispiel zeigten, gilt natuerlich wiederum fuer einen ganzen Kreis dieser Voelker. Auch der Hausbau hat sich vielfach geaendert, wenigstens in Polynesien, da hier fast allein ein annaehernd freundliches Verkehren der Europaeer mit Eingeborenen sich entwickelt hat. In Polynesien war man frueher an sehr luftige, reinliche Haeuser, die fast nur aus einem sehr tief herabreichenden Dache bestanden, gewoehnt. Jetzt aber kommen mehr und mehr mit Hintansetzung der altheimischen Art Haeuser oder Baracken auf, die nach europaeischer Art gebaut der fuer jene Gegenden so noethigen Ventilation fast ganz entbehren und, da nun noch dazu nach alter Sitte viele Menschen in einem solchen Raum zusammen wohnen und schlafen, durch den grellen Gegensatz gegen das von frueherher Gewohnte den schlimmsten Einfluss haben (z. B, Dieffenbach 2, 68-71). Namentlich war es der Adel in Polynesien, der diese Aenderungen vornehmlich, da er mit den Europaeern in genauere Beruehrung kam und groessere Mittel hatte, bei sich einfuehrte: gerade aber der Adel ist vom Aussterben weit mehr und rascher ergriffen, als das Volk--so namentlich in Hawaii--und es ist diese Erscheinung nicht so zu erklaeren, dass man beim Adel, weil er geringer an der Zahl sei, das Hinschwinden klarer saehe: denn hiergegen sprechen die Verhaeltnisszahlen so wie der Umstand, dass in der ersten Zeit der Adel vornehmlich von Krankheit u. dergl. heimgesucht war, bis das Verderben sich weiter ausbreitete. Es nimmt das um so weniger Wunder, als auch der Adel es war, welchem die meisten der geschilderten polynesischen Ausschweifungen zur Last fallen. Das meiste ueberhaupt, was vorzueglich in aelteren Reisebeschreibungen von Polynesien gesagt wird, geht auf den Adel, da dieser bevorzugte Stand mit so hervorragenden Fremdlingen, als die Europaeer waren, zu verkehren nach polynesischen Begriffen fast allein das Recht hatte. Wo aber diese Voelker wenigstens nicht halb und nur zeitweilig, sondern ganz und fuer immer die europaeischen Sitten, Kleidung, Wohnung, Lebensart u. s. w. annehmen, da bleiben sie weit ungefaehrdeter, wie dies Dieffenbach a. a. O. von den Neuseelaendern nachweist. Den skrophuloesen Habitus so vieler Maorikinder an der Kueste erklaert er dagegen nur durch die ungeeignete und halbe Aenderung der einheimischen Lebensweise. Auch die Ausbreitung der Weissen beschraenkt und beschaedigt natuerlich, schon durch sich selbst und ohne boeswillige Absicht der sich Ausbreitenden, die Naturvoelker in hohem Grade. Auf den kleinen polynesischen Inseln z. B., doch auch sonst und ueberall sind die Lebensmittel bei so riesig durch die Europaeer gesteigertem Verkehr viel werthvoller und dadurch immer knapper geworden. Man denke nur, um dies Beispiel aus Polynesien auszufuehren, was alle die Schiffe brauchen, welche zu Papeiti oder gar zu Honolulu vor Anker gehen, um sich zu verproviantiren. Und sollte man denken, dass grade dies groessere Beduerfniss ein Sporn fuer die Eingeborenen sei, der sie weiter bringe in der Kultur, im Ackerbau, Handel u. s. w.: so erwaege man, dass jetzt kaum ein Jahrhundert seit der ersten Entdeckung (die spanischen Besuche auf den Inseln, welche frueher fallen, abgerechnet) verflossen ist, dass in einem so kurzen Zeitraum aber, wo so mannigfache Schicksale auf die Eingeborenen einstuermten, sich der Ackerbau noch gar nicht so entwickeln konnte, dass er diesen massenhaften Anforderungen entspraeche; und dass zu grosse Forderungen eben nicht mehr anspornen, sondern erschlaffen, erdruecken. In anderen Gegenden gestaltet sich dieselbe Sache anders, aber die Resultate bleiben gleich. Die Neuhollaender freuen sich, wenn sich in ihrem Gebiete Europaeer niederliessen, sie wuenschten es und forderten sie dazu an vielen Orten auf. Allein die naechste Folge war, dass sie in eine sehr elende Lage geriethen: denn (abgesehen von anderem, was wir spaeter besprechen) ihre Jagdthiere verminderten sich auf der Stelle, ja sie verschwanden, theils verdraengt oder verjagt, theils ausgerottet von den meist sehr jagdlustigen Einwanderern (Lang bei Grey 2, 234-35). Daher sagte ein Australier sehr richtig zu einem Europaeer: "Ihr solltet uns Schwarzen Milch, Kuehe und Schafe geben, denn ihr seid hergekommen und habt die Opossums and Kaenguruhs vertilgt. Wir haben nichts mehr zu essen und sind hungrig" (Bennet bei Waitz 1, 183). Die brauchbaren Gras- und Weidestrecken nahmen die Europaeer mehr und mehr im Lauf der Jahre ein in Neuholland, Neuseeland, Afrika, Amerika, die fruchtbaren Kuestenstriche, sonst der gewoehnliche Aufenthalt der Eingeborenen, haben sie ganz und gar inne, das Land erklaeren sie fuer ihr Eigenthum, und da sie sich man kann wohl sagen taeglich mehr und mehr ausbreiten, so draengen sie schon durch ihre blosse Existenz die Eingeborenen in die Waelder, die Berge, die Wildniss zurueck; so dass es denn gar kein Wunder ist, wenn die Eingeborenen schon hierdurch allein "wie von einem giftigen Hauche beruehrt" (oder wie die Phrase lautet) verkommen. "Als der weisse Mann, so sagte der Cherokeehaeuptling Bunteschlange in einer Rede, sich gewaermt hatte am Feuer des Indianers, und sich gesaettigt an seinem Maisbrei, da wurde er sehr gross, er reichte ueber die Berggipfel hinweg und seine Fuesse bedeckten die Ebenen und die Thaeler. Seine Haende streckte er aus bis zum Meere im Osten und Westen. Da wurde er unser grosser Vater. Er liebte seine rothen Kinder, aber sprach zu ihnen: ihr muesst ein wenig aus dem Wege gehen, damit ich nicht von ungefaehr auf euch trete. Mit dem einen Fuss stiess er den rothen Mann ueber den Okonnee und mit dem anderen trat er die Graeber seiner Vaeter nieder. Aber unser grosser Vater liebte doch seine rothen Kinder und aenderte bald seine Sprache gegen sie. Er sprach viel, aber der Sinn von Allem war, nur: geht ein wenig aus dem Wege, ihr seid mir zu nahe. Ich habe viele Reden von unserem grossen Vater gehoert und alle begannen und endeten ebenso" (Waitz 3, 144). Chamisso, einer der wenigen, die sich in Deutschland fuer die Stellung jener Voelker interessirten, hat dieser Rede ergreifenden Ausdruck verliehen in einem seiner Gedichte (Werke 4, 86). Sie ist bekannt genug: und wenn auch in ihr der ethische Gedanke die Hauptsache ist, so kann doch auch die Schilderung der Thatsachen nicht schlagender gegeben werden. Und doch, auch wenn man den Eingeborenen genuegenden Landbesitz und Jagd und Lebensmittel genug sichern koennte, wir wiederholen es: die totale Umwaelzung ihres ganzen leiblichen Lebens, das, wie wir eben gesehen, sich nach jeder Richtung hin aendern musste durch die ploetzlich hereinbrechende Kultur, wird auch wenn keine Halbheiten, Ungeschicklichkeiten u. dergl. vorkommen, wenn alles gleich so trefflich als moeglich eingerichtet waere, den gefahrvollsten Einfluss auf die Naturvoelker haben und je mehr, je ploetzlicher sie kommt. Denn je laenger physische Gewohnheiten schon bestehen, um so fester sind sie und um so gefaehrlicher ist es fuer die menschliche Natur, wenn sie ploetzlich gebrochen werden sollen. Auch hierin ist Leib und Seele einem Gesetze unterworfen: dem Gesetze der Beharrlichkeit. Wie eine Fluessigkeit, welche man in einen bestimmten Kreislauf gebracht hat, diesem Laufe immer williger und rascher folgt, aber wild in ungeordnete Wirbel zusammenschaeumt, wenn man sie nach der entgegengesetzten Richtung hin zwingen will, bis sie sich endlich und allmaehlich diesem Neuen gewoehnt: so musste das natuerliche Leben dieser Voelker in Aufregung und Unordnung kommen, als es so ploetzlich von der uebermaechtigen Kultur unterbrochen wurde, an die es sich erst langsam und sehr allmaehlich gewoehnen wird. So werden denn einzelne wohl, nie aber ein ganzes Volk rasch und ploetzlich sich eine so totale Umaenderung, wie hier noethig, und kaeme sie unter den guenstigsten Bedingungen (was hier leider nicht geschah), aneignen koennen. Nur so ist sicher die Nachricht zu verstehen, die wir vorhin Dieffenbach entlehnten, dass die Neuseelaender, wo sie vollkommen europaeisch lebten, auch gesund seien: wobei denn immer noch zu erwaegen bleibt, dass Dieffenbach erst 1840 seine Beobachtungen anstellte, also ueber zwei Generationen (70 Jahre) nach der ersten Entdeckung der Insel. Allein man koennte sagen: und doch haben andere Voelker dasselbe ploetzliche Hereinbrechen einer uebermaechtigen Kultur durchgemacht und ueberwunden. Man koennte unsere eigenen Vorfahren, die alten Deutschen nennen. Und doch, welch ein ungeheurer Unterschied hier in Allem! Denn erstens war die griechischroemische Kultur, wie sie zu den Germanen kam, unendlich bequemer als die moderne, wie sie die Naturvoelker annehmen sollen; zweitens standen die Germanen in jeder Weise, auch in ihrer leiblichen Beschaffenheit, jener Kultur und ihren Traegern bei weitem naeher als die Naturvoelker den Europaeern; drittens brach dieselbe nicht so unaufhaltsam, so ploetzlich, so ruecksichtlos ueber die Germanen herein, wie ueber jene Voelker, sondern ganz allmaehlich, durch Jahrhunderte langes Vertrautwerden mit dem Einzelnen, wobei das romanisirte Gallien keine unbedeutende Vermittlerrolle spielte; und endlich kam sie nicht in solchem Grade feindselig, wie die moderne Kultur ueber die sogenannten Wilden. Sec. 14. Psychische Einwirkungen der Kultur. Und so blieben unsere Vorfahren vor dem namentlich bewahrt, was den Naturvoelkern so verhaengnissvoll wurde: vor dem geistig deprimirenden Eindruck, den die Kultur auf die Naturvoelker macht. Die Germanen fanden Gelegenheit selbstaendig siegend in dem Land ihrer geistigen Besieger aufzutreten: sie behielten stets das gegruendete Bewusstsein eigenes Werthes und dass sie nicht in jeder Beziehung untergeordnet seien. Sie standen den Roemern gegenueber wie der Schueler dem Lehrer, der des Schuelers geistiges Leben leitet, corrigirt, erhoeht, aber nicht verletzt, vernichtet, verhoehnt. Ganz anders aber die Naturvoelker. Ihr Geistesleben, alles, was sie dachten, fuehlten und glaubten ist ihnen durch ihr Bekanntwerden mit den Europaeern was sollen wir anders sagen als geradezu (und oft mit der boshaftesten Absichtlichkeit) vernichtet worden. Hierdurch wurden selbstverstaendlich je gebildeter die Voelker waren, sie um so haerter betroffen; so dass vieles von dem im folgenden Entwickelten auf die rohesten Staemme Suedamerikas oder Neuhollands keine Anwendung findet. Zunaechst die Religion. Die meisten Naturvoelker sind von sehr reiner und inniger Religiositaet, bei allen Abgeschmacktheiten und Monstrositaeten ihres Glaubens. So waren es die Mexikaner. Ihre Religion (Waitz 4, 128) war es, welche ihnen ihre hohe und reine Moral eingab, deren Grundgedanke--zugleich ihr festester und untrueglichster Schwur (Waitz 4, 154)--war: sieht mich nicht unser Gott? Und alles, was die Religion schweres von ihnen forderte, wurde treu und gewissenhaft und mit aechter und inniger Andacht von ihnen, nach Cortez eigenem Zeugniss (Waitz 4, 154) ausgefuehrt, Ihre vielen Eroberungskriege waren, wie wir schon sahen, alle von dem Gedanken geleitet, ihre Religion auszubreiten ueber alle Welt. Nicht anders, nach Waitz Schilderung (4, 447 ff.) die Peruaner. Gleichfalls in hohem Grade gottesfuerchtig sind die Nordindianer (Waitz 3, 205), die keine Handlung ohne Gebet unternehmen, die alle schweren von der Religion verlangten Peinigungen mit der groessten Gewissenhaftigkeit vollfuehren. Und so haben alle diese Voelker ueberall zaehe an ihren Religionen gehalten. Etwas anders steht die Sache in Polynesien. Nicht als ob die polynesischen Voelker nicht von gleich tiefer Religiositaet waeren; was z.B. schon die bekehrten Eingeborenen beweisen, in deren Hand jetzt der groesste Theil der Suedseemission ist. Aber die ganze Bevoelkerung war sittlich minder rein als die Amerikaner und befand sich schon zur Zeit der Entdeckung, wie Meinicke (b) nachgewiesen, in einem Zustande auch des geistigen Verfalls. Daher erklaert sich die auffallende Erscheinung, dass die Polynesier (Dieffenbach 2, 50 vom ganzen Ozean) und nach Chamissos Zeugniss auch die Mikronesier sich leicht bewegen lassen, ueber ihren frueheren Aberglauben selbst zu lachen und ihn aufzugeben. Doch auch sie fuegen sich und nicht bloss aus Herkommen mit freudigstem Gehorsam den beschraenkendsten Gesetzen ihrer Religion, z.B. den Tabu-Gesetzen, d.h. den Bestimmungen, durch welche Gegenstaende aller Art heilig gesprochen und dem unheiligen Volk gaenzlich entzogen werden, sowie der uebergrossen Adelsverehrung und anderem der Art. Und nur da haben sie ihre Religion wirklich und ohne Widerstand aufgegeben, wo sie durch die Mission wirklichen religioesen Ersatz bekamen. Gegen feindselige Angriffe auf ihre Religion, mochten sie absichtlich oder nur zufaellig sein, haben sie sich immer aufs heftigste aufgebracht gezeigt und eine Menge Ueberfaelle, Kriege, ja Cooks Tod selbst sind nur durch solche Verletzungen ihrer Tempelplaetze oder sonstigen Heiligthuemer hervorgerufen. Aber selbstverstaendlich war es gerade die Religion, gegen welche sich die heftigsten und ersten Angriffe der Kulturvoelker richteten. Das brauchte nicht mit der brutalen Roheit der Conquistadoren und ihrer Pfaffen in Amerika oder der Sendlinge Frankreichs in den letzten Jahrzehnten, der Laplace, Dupetitthouars u.s.w. in der Suedsee zu geschehen: auch die edelsten der Europaeer mussten sich gegen diese Religionen wenden, um sie zu zerstoeren, und so sahen die Eingeborenen ihr Heiligstes vernichtet, ja als durchaus schlecht und nichtswuerdig verachtet. Aus dem Vorstehenden aber kann man ermessen, wie vernichtend dieser Schlag ihr geistiges Leben traf. Ebenso war es mit den politischen Einrichtungen: und auch hier muessen wir wenigstens auf einige Hauptpunkte hinweisen. Die despotische Verfassung, das strenge Adelsregiment der Suedsee (um bei den Polynesiern zunaechst zu bleiben), haben wir schon betrachtet. Aber mochte der Adel sich noch so hoch ueber das Volk stellen, das Volk aufs aergste unterdruecken: er war doch von Gott, man hing ihm doch mit warmer Verehrung an, man brachte in den meisten Faellen sein Gut und Blut mit aufrichtigem Eifer dar--lohnte doch eine solche Aufopferung mit einem besseren oder ueberhaupt mit einem Leben nach dem Tode! Jedenfalls beruhte auf diesem Verhaeltniss des Adels, der naturgemaess die stolzeste Meinung von sich hatte und sich keineswegs den europaeischen Grossen untergeordnet fuehlte, und des Volkes das gesammte oeffentliche Leben Polynesiens und Mikronesiens und hier wieder vorzueglich der Marianen. Durch den Einfluss der Europaeer aenderte sich das alles und so sehr auch das Volk nachher dadurch gewann: fuer den Augenblick musste es die Einrichtungen, die ihm seit Jahrtausenden gewohnt und ehrwuerdig waren, aufgeben und die, welche es vordem gleich Goettern geachtet hatte, von den Europaeern keineswegs besonders hochgestellt, ja oft mit Verachtung oder gar mit schreiendster Ungerechtigkeit behandelt, zum Theil wie auf den Marianen blutig verfolgt und vernichtet sehen. Der Adel selbst aber war noch schlimmer dran. Er war, bei voelliger Unumschraenktheit, der festen Ueberzeugung, von ganz anderem Stoff zu sein, als das gemeine Volk, er stellte sich ganz den hoechsten Europaeern gleich und wusste sich, wie Liholiho, Tamehameha I. Sohn in England bei seinem Aufenthalt unter der englischen hoechsten Aristokratie bewiesen hat, diesen auch im aeusseren Benehmen ziemlich gleich zu halten. Und nun fand er sich von den Europaeern, oft von den gemeinsten Matrosen, nicht nur nicht goettlich verehrt, sondern verachtet, dem gemeinen Volke ganz gleich, und jedenfalls tief unter jeden Weissen gestellt, er fand sich von der Gesellschaft in den meisten Faellen (wo sich eine wirklich europaeische Gesellschaft bilden konnte) entweder ausgeschlossen oder doch nur geduldet! So geschah es zu Neuseeland--man kennt ja den Hochmuth der englischen Race einer farbigen Bevoelkerung gegenueber--so, seit der gloriosen franzoesischen Occupation, zu Tahiti, so einige Jahrhunderte frueher auf den Marianen, wo der Adel in den blutigen Kaempfen ganz zu Grunde ging. Noch viel schlimmer, weil die Zerstoerung gruendlicher war, wirkten diese Dinge in Amerika. Denn auch hier war Volk und Herrscher durch Bande grosser Anhaenglichkeit und Religiositaet verknuepft. Der Herrscher, der aus dem hohen Adel gewaehlt wurde, und mit ihm der hoechste Adel war, wie wir schon sahen, Stellvertreter Gottes auf Erden und daher unumschraenkt. Wie rein und tief man in Mexiko, trotz alles Absolutismus, die Stellung des Herrschers auffasste, geht aus den Reden hervor, die man bei seiner Inauguration an ihn richtete und welche nicht nur nach Waitz 4,68 "zu dem Schoensten und Erhabensten gehoeren, was von den Azteken noch uebrig ist", sondern ueberhaupt zu dem Schoensten und Erhabensten, sicher zu dem Wahrsten, was man je Koenigen gesagt hat. Die Steuern und Frohnen, unter denen, nach den alten spanischen Schriftstellern, das Volk seufzte, sind nach Waitz genauer und schlagender Untersuchung von den Spaniern aus nahe liegenden Gruenden sehr uebertrieben worden. Nach alle diesem wird sich die Luecke ermessen lassen, welche im Gemueth des Volkes nach dem Sturz alles Bestehenden entstand. "Zurita hat gezeigt, sagt Waitz 4, 186, wie das mexikanische Volk hauptsaechlich dadurch ins aeusserste Elend gerieth, dass alle Grundlagen seiner bisherigen politischen und socialen Organisation von den Siegern zerstoert wurden. Vom mexikanischen Adel ueberlebten nur wenige den Fall der Hauptstadt und diese wenigen waren meist noch Kinder. Eine Petition sechs vornehmer Indianer an Karl V. legt dar, wie der Rest des Adels von den Spaniern niedergetreten und ins Volk zurueckgeworfen in Armuth und Elend umkam. Eine Tochter Montezuma's ist im tiefsten Elend gestorben." Man nehme nun dazu, dass auch das gesammte aeussere Leben, die ganze glaenzende Kultur des Volkes, die reiche Hauptstadt, die bluehenden Gaerten, die zahlreichen Tempel, dass Alles zerstoert und oft aufs grausamste und veraechtlichste zerstoert wurde: und man wird begreiflich finden, dass schon dadurch der Sieger der Seele des besiegten Volkes einen Todesstoss versetzte. Dasselbe gilt, vielleicht in noch hoeherem Grade von den Quechuas und den Nordamerikanern. "Mit einem Fuss stiess er den rothen Mann ueber den Okonnee, und mit dem anderen trat er die Graeber unserer Vaeter nieder", hiess es in der oben erwaehnten Rede. Und leider waren es die persoenlichsten und heiligsten Empfindungen, die man allzu oft und mit der groessten Ruecksichtslosigkeit verletzte, woran freilich nicht mehr die Kultur, sondern nur ihre Traeger schuld waren. Das zweite Concil zu Lima bedrohte die Zerstoerung und Pluenderung der alten Indianergraeber, die Preisgebung der Leichen mit Excommunication; allein der supremo consejo de las Indias fand der Schaetze wegen, die sie enthalten koennten, fuer gut, ihre Durchsuchung zu erlauben (Waitz 4, 493-94). Alles dies musste das unterdrueckte Volk ruhig mit ansehen: ihr innerstes Leben wurde ihnen vernichtet, ohne dass sie, die sonst schon aufs fuerchterlichste bedrueckt waren, sich wehren konnten. Dass aber nicht bloss ihre Todten, dass die Lebenden selbst noch mehr zu leiden hatten; dass man auf sie, ob sie lebten oder starben, nicht die mindeste Ruecksicht nahm, dass man also durch Verletzung der theuersten und heiligsten Gefuehle auch nach dieser Seite hin den Indianern das aeusserste that, das ist nur allzubekannt. Ein Nordindianer (Waitz 3, 141) sagte in einer oeffentlichen und viel erwaehnten Rede: "ich haette sogar daran gedacht, ganz unter euch zu leben, haette nicht ein Mann mir Boeses gethan. Oberst Cresap ermordete im letzten Fruehjahr (1774) mit kaltem Blut und aus eigenem Antriebe alle meine Verwandten, selbst meine Weiber und Kinder verschonte er nicht. Kein Tropfen von meinem Blut laeuft mehr in den Adern eines lebenden Wesens." Dies eine Zeugniss genuege. Eine der hervorragendsten Eigenschaften der Naturvoelker ist ihr Stolz. Die Amerikaner halten sich fuer die ersten aller Menschen; Geschickt wie ein Indianer und dumm wie ein Europaeer sind bei ihnen Sprichwoerter (Waitz 3, 170). Verletzung dieses Stolzes war auch das Haerteste, was sie unter sich einander zufuegten. Die Polynesier glaubten alles Ernstes, die Europaeer kaemen zu ihnen, um jetzt erst wahres Leben kennen zu lernen und an ihrer Glueckseligkeit, an ihrer Vollkommenheit Theil zu nehmen. Selbstmord aus Scham oder verletztem Ehrgefuehl ist unter ihnen gar nicht so selten (Dieffenbach 2, 112. Thomson 319. Will. u. Calvert 1, 121 ff.); ihre eigenen Thaten laeugnen sie eben wegen dieses Stolzes nie (Williams u. Calvert 1, 124; Tyermann u. Bennet 1, 78; Waitz a.a.O.). Nicht minder empfindlich ist das Rechtsgefuehl aller dieser Voelker, welches z.B. einen Irokesen, der von Christi Leiden hoerte, ganz wie jenen Friesenfuersten zu dem Ausrufe zwang: "waere ich dabei gewesen, ich wuerde ihn geraecht und die Juden skalpirt haben" (Waitz 3, 169). Und diese Empfindungen, fuer welche Waitz a.a.O. u. b, 147 noch eine Menge Beispiele zusammenstellt, finden wir ebenso in Polynesien; ebenso wirksam wenigstens, wenn auch minder frei entwickelt, auch bei den roheren Voelkern, den Suedamerikanern, Hottentotten, Australiern. Schon das stete Streben, welches diese Voelker nach Rache haben, beweist es. Wie grausam aber sind gerade diese Eigenschaften von der Kultur verletzt! Theils ohne ihre Schuld: denn dass die Naturvoelker gar bald einsahen, wie sie gegen die Europaeer nichts waeren und nichts vermoechten, lag in der Natur der Sache. Theils aber tragen auch hier die Europaeer die schwerste Verantwortlichkeit, denn sie haben die Rechte dieser Voelker absichtlich mit Fuessen getreten, sie haben, da sie die Naturvoelker kaum fuer Menschen ansahen, nicht einmal ihr menschliches Selbstbewusstsein ihnen lassen moegen, sondern auch dieses, und oft von Staatswegen, wie die Vereinigten Staaten, wie Frankreich in Tahiti, wie die Englaender in Australien, mit Fuessen getreten; und man tritt es durch den grenzenlosen Hochmuth und Hass, mit dem man diese Voelker von aller Gemeinschaft und damit von aller Kultur ausschliesst, nachdem man ihnen haeufig Land und Lebensmittel genommen, auch ferner mit Fuessen. Und selbst in ihrem Rachedurst sind alle diese Voelker den Europaeern gegenueber so ohnmaechtig, gegen welche hoechstens einmal ein vereinzelter Racheakt Einzelner gluecklichen Erfolg hatte. Mag auch Waitz Recht haben, wenn er sagt (b, 157), das Rechtsgefuehl der Indianer sei durch den harten Druck der Weissen weiter und schaerfer entwickelt worden, als es wohl sonst geschehen sei; so faehrt er doch ebenso richtig fort: "freilich war davon die naechste Folge fuer sie selbst nur diese, dass sie ihre Ohnmacht und die Trostlosigkeit ihrer Lage dann um so bitterer empfanden." Diese Vernichtung aber des gesammten geistigen und ethischen Lebens der Nationen kann man gar nicht stark genug betonen, wenn man die Gruende fuer ihr Aussterben aufsuchen will. Wie nichts ein Volk mehr hebt, als freudige Achtung vor sich selbst und froehliches Gelingen des von ihm Erstrebten, so drueckt nichts den Volksgeist tiefer, als das Gefuehl der eigenen Ohnmacht und Verlorenheit. Zum Gefuehl aber der aeussersten Ohnmacht und Rechtslosigkeit, des bittersten und doch ganz huelflosen Ingrimms finden wir alle diese Voelker, Amerikaner, Aleuten und Kamtschadalen, Neuhollaender, Polynesier und Hottentotten verdammt. "Jede Race, weiss schwarz oder roth, sagt Elliot bei Waitz 3, 299, muss untergehen, wenn ihr Muth, ihre Energie und Selbstachtung durch Unterdrueckung, Sklaverei und Laster zu Grunde gehen." Und nun hatten, wie wir gesehen, die meisten Naturvoelker schon von Haus aus einen entschiedenen Hang zur Melancholie, welche durch alle diese Schicksale natuerlich aufs aergste vermehrt ihren Untergang nur beschleunigte. Man denke sich nur, wenn wir Europaeer mit allen unseren Kulturmitteln, mit unserer Religion, kurz mit allen den Vortheilen, die wir den Naturvoelkern gegenueber besitzen, ihr Loos auch nur wenige Jahre, etwa eine Generation, zu ertragen haetten, was aus uns werden sollte! Man denke, wie der dreissigjaehrige Krieg gewirkt hat, dessen Greuel doch bei weitem durch das, was die Naturvoelker zu leiden hatten, ueberboten werden: und man wird sich mehr ueber die zaehe Ausdauer, als ueber das Hinschwinden derselben verwundern. Nur ihre groessere Haerte und Festigkeit hat sie aufrecht erhalten den Voelkern gegenueber, die sie anfangs alle, Mexikaner sowohl wie Hottentotten und Neuhollaender, fuer Goetter hielten! Musste alles dieses auf das geistige Leben der Voelker und damit auch auf das leibliche einen vernichtenden Einfluss ausueben, so uebte es den auch noch auf eine andere Art. Mit der Vernichtung der bestehenden Staaten war natuerlich auch jedes Recht und Gesetz, welches in denselben bestanden hatte, aufgehoben. In Mexiko, in Peru aber waren die Gesetze von grosser Strenge und grosser Wirksamkeit, da sie ueberall in hoechster Achtung standen und nicht anders war es in Polynesien, wo das Tabu auch manchen heilsam verbietenden Einfluss hatte. Stuerzte nun das Alles zusammen, so musste nothwendigerweise eine um so aergere Demoralisation eintreten, je hoeher frueher die Kultur des zerstoerten Staates gestanden hatte; eine solche Demoralisation musste aber gerade in einer Zeit einer so allgemeinen Zerstoerung, wo fuer die Unterliegenden weder leiblich noch geistig irgend ein Halt blieb, die unheilvollsten Folgen fuer ihr ganzes Dasein haben und nicht wenige in den genannten Kulturstaaten sind denn auch gerade durch die unter den Eingebornen einreissende Zuegellosigkeit zu Grunde gegangen. Und je tiefer, je persoenlich vernichtender die Angriffe waren, um so mehr natuerlich demoralisirten sie die Voelker: was sollten die noch irgend etwas scheuen und heilig halten, welche selbst in ihrem Heiligsten verletzt waren? wie konnten sie noch sich selbst achten, die von jenen ankommenden Goettern so in Staub getreten wurden? Ueberall riss in Folge der auf diese Weise nahenden Kultur Entsittlichung und dadurch immer tieferes geistiges und leibliches Sinken unter den Naturvoelkern ein. Was nicht unmittelbar vernichtet wurde, das wurde im Innersten vergiftet und langsames Hinsiechen war die nothwendige Folge. Sec. 15. Schwierigkeit fuer die Naturvoelker, die moderne Kultur sich anzueignen. Aber wenn auch die europaeische Kultur den Naturvoelkern mit vollkommener Freundlichkeit und Schonung zugefuehrt worden waere: diese Kultur bot auch noch ausser denen, welche wir schon gesehen haben, die groessten Schwierigkeiten und Gefahren, die wir jetzt betrachten muessen. War es schon keine Kleinigkeit, dass diese Voelker fast alle ihre seit Jahrhunderten eigenthuemlichen Ideen und Anschauungen aufgeben mussten, so war es noch viel schwieriger, das aufzunehmen, was die Europaeer brachten, die ganze unendlich verwickelte moderne Kultur! Das traf besonders Polynesien und Australien; man denke sich die kleinen Kokosinseln, die nun ploetzlich sich hineinfinden muessen in die ganze europaeische Lebensart, in den europaeischen Handel, das europaeische Recht, die Religion und so vieles andere--und sie muessen mehr als nur oberflaechliches davon annehmen, wenn sie nicht verloren sein wollen. Um wie viel gluecklicher waren auch hierin die Germanen, die sehr allmaehlich eine viel weniger verwickelte Kultur aufzunehmen hatten; und doch wie lange Zeit brauchten auch sie, bis sie diese Kultur vollkommen sich assimilirt hatten! Ist es zu viel gesagt, wenn man behauptet, dass dies erst im vorigen Jahrhundert durch das geistige Durchdringen des Alterthums ganz geschehen sei? Einzelne Punkte--denn vieles (Wohnung, Kleidung u.s.w.) ist schon in dem bisher Behandelten wenigstens andeutend ausgesprochen worden--muessen wir noch besonders beruecksichtigen. Zunaechst die Bewaffnung. Die Feuerwaffen sich anzueignen ist weit schwieriger, als die Aneignung der roemischen Taktik, da sie ausser der leiblichen Uebung noch die Ueberwindung der Scheu vor Donner und Blitz, durch welche gerade man die Weissen zuerst als Goetter dokumentirt sah, verlangen; da ihre Wirkung weit uebernatuerlicher scheint, als die der roemischen Waffen.--Ferner die Sprache. Uns Europaeern macht es sehr grosse Schwierigkeiten, die Sprache eines Naturvolkes mit ihren anderen Anschauungen geistig zu erfassen; und doch steigen wir herab, da jene Sprachen alle in der Entwicklung und Verbindung der Gedanken so wie in der Fuelle der Anschauung weit weniger vorgeschritten sind, als die Sprachen des gebildeten Europas; und zugleich haben wir durch lange Jahrhunderte fortgesetzte Uebung und ausserdem durch eine Menge von Huelfsmitteln eine viel groessere Kraft, als jene Voelker, die doch hinaufsteigen muessen, wenn sie eine europaeische Sprache erlernen wollen. Schon beim blossen Sprechenlernen, das vom Begreifen und wirklichen Verstehen einer Sprache himmelweit verschieden ist, muessen sie ihren Geist mit einer ganzen Menge neuer Anschauungen und Begriffe erweitern, die ihnen frueher aber auch ganz unbekannt waren--und das meist vom Niveau einer Sprache aus, welche strenges, logisches Verknuepfen und Ausdenken der Begriffe wenig genug unterstuetzt. Nicht anders ist es mit der Religion. Der Abstand von manchen der Religionen dieser Voelker vom Christenthum mag, wenn auch die meisten tiefer stehen, nicht groesser sein, als der des germanischen Heidenthums von letzterem war; aber das Christenthum, was den Germanen gepredigt wurde, war selbst ein ganz anderes, als was die Missionaere, wenigstens die protestantischen, heut zu Tage predigen. Dann freilich, wenn man die Berichte des sehr eifrig katholischen Michelis liest, so ist das, was die Propaganda z.B. in der Suedsee gepredigt hat, an vielen Orten ueberhaupt nicht, viel Anderes gewesen, als was jene Voelker schon wussten: die katholischen Missionaere haben getauft und das Heidenthum gelassen. Auf der andern Seite aber, wie so ganz unfassbar muss fuer die ganz sinnlichen Naturvoelker eine so abstrakte Lehre sein, wie die evangelische, die noch dazu auf Begriffen und Anschauungen beruht, welche jene Voelker gar nicht haben. Und indem man ihnen das Christenthum predigte, verlangte man, dass sie die Religion der Maenner annehmen sollten, welche ihnen so alles Aergste zugefuegt hatten, der Weissen! Ja hat man sie nicht auch gleich, damit ihnen nichts erspart bliebe, mit dogmatischen Streitigkeiten beglueckt? In der ganzen Missionsgeschichte der neueren Zeit ist vielleicht kein so trauriges Ereigniss als das Auftreten der Propaganda in der Suedsee, wo eben die protestantische Mission festen Fuss zu fassen und Fruechte ihrer muehevollen Arbeit zu sehen begann. Das liess der katholischen Kirche nicht Ruhe: sie trat an einzelnen Stellen mit rohster Gewalt (die dann durch Luegen aller Art verdeckt wurde) der protestantischen Mission entgegen und brachte zu den eben bekehrten Heiden den Streit der kirchlichen Parteien. Lutteroth, den zu widerlegen Michelis sich vergebens bemueht, hat dies scharf und schlagend bewiesen. Auch Streitigkeiten, die in ihrem eigenen Schooss entstanden sind, brachte sie zu den Neubekehrten, wie Humboldt b, 5, 133 von Suedamerika erzaehlt. Uebrigens ist auch die protestantische Kirche in der Schonung solcher Heiden, die von einer andern protestantischen Sekte bekehrt waren, durchaus nicht uebermaessig zart gewesen. An manchen Orten (Nordamerika, Afrika u s.w.) hat auch sie statt des Friedens des Christenthums den Streit der Sekten gebracht. Welchen Einfluss musste das auf die eben gewonnenen Naturvoelker und deren Charakter machen! Dabei darf auch nicht vergessen werden, dass in den meisten Faellen sich der Mission die Europaeer selbst auf das Heftigste entgegensetzten, da sie sich durch jene in ihrem oft sehr weltlichen oder besser gesagt gottlosen Treiben behindert sahen. So war es namentlich in Polynesien, fast auf jeder Insel (Meinicke, Lutteroth und fast in allen Quellen); so in Amerika schon im 16. Jahrhundert (Waitz 4, 188; 338); so auch in Afrika bei Hottentotten, Kaffern, Negern, ueberall. Man sieht, unsere Kultur verlangt von den Naturvoelkern eine geistige Anstrengung von so enormer Groesse, dass sie mit einem Male und von einer Generation gar nicht ueberwunden werden kann. Waehrend aber nun die Europaeer immer frischen Zuzug neuer Schaaren haben, die sie in ihren Bestrebungen staerken, waehrend auch bei den Germanen auf die Stelle einer unterlegenen Schaar eine andere trat, die das, was jene gewonnen hatten, uebernehmend ausfuehrte, was noch nicht geleistet war, so fehlt es bei der geringen Kopfzahl der Naturvoelker an solcher kraftgebenden und aushelfenden Ersatzmannschaft, durch welche die Arbeit sich theilen, die Aneignung sich leichter und allgemeiner vollziehen koennte. Daher wird der lebenden Generation eine um so groessere und schwerere Aufgabe gestellt und es ist schon deshalb klar, dass eine Generation, ja dass zwei, drei Generationen ihr nicht genuegen koennen. Die Groesse der Aufgabe, die enorme geistige Anstrengung selbst erschwert aber das gedeihliche Weiterleben der Generationen durch den geistigen Druck so sehr, dass wir auch hierauf mit allem Nachdruck hinweisen muessen. Und zweitens muessen wir auch wieder betonen, dass der Hang zur Melancholie durch solche Ueberanstrengung, wo in den meisten Faellen nur allzubald sich zeigt, dass ein auch nur einigermassen befriedigendes Ziel kaum zu erreichen ist, immer vergroessert wird, ja dass er geradezu Charakterzug der Voelker werden kann. Und so finden wir es im allgemeinen wie im einzelnen. Tschudi 2, 286 erzaehlt von einem Botokudenknaben, der von einer Familie in Bahia sorgfaeltig aufgezogen und dann zum Studium der Medizin auf die Universitaet geschickt wurde. Er erwarb sich den Doktortitel, uebte auch eine Zeitlang die Praxis selbstaendig, bis er verschwand. "Eine tiefe Melancholie war immer der Grundzug seines Charakters." Spaeter erfuhr man, dass er wieder, nachdem er sich jeglicher Spur von Civilisation, auch der Kleider, entledigt, als Jaeger durch die Waelder streife. Einen ganz gleichen Fall von einem jungen Choktaw, der Advokat geworden war, hernach aber durch Melancholie (woran freilich der Kastenhochmuth der Nordamerikanischen Weissen mit Schuld war) bis zum Selbstmord getrieben wurde, erzaehlt Waitz b, 71-72. Diese Faelle zu erklaeren, reicht es nicht aus, bloss an die "schiefe Stellung" zu erinnern, in welche solche Individuen gerathen; denn bei jenem Botokuden trifft dies nicht zu, da in Suedamerika das Verhaeltniss der Farbigen zu den Weissen kein unguenstiges ist: wesentlich mitgewirkt hat bei ihnen und aehnlichen, wie wir sie bei Individuen und ganzen Voelkern finden, die ewige Demuethigung auf der einen, die Ueberanstrengung auf der anderen Seite. Sec. 16. Behandlung der Naturvoelker durch die Weissen. Afrika. Amerika. Wir kommen nun zu dem duestersten Punkt in unserer ganzen Schilderung, zu der duestersten Partie vielleicht in der ganzen Geschichte der Menschheit: zu der Art, wie die Weissen die Naturvoelker behandelt haben. Die Laster, die sie ihnen brachten oder bei ihnen befoerderten, brauchen wir hier, da wir sie schon oben an verschiedenen Stellen erwaehnten, nicht noch einmal im Zusammenhang zu besprechen. Beginnen wir mit Suedafrika. Die Hottentotten zeigen sich uns gleich bei ihrem ersten Bekanntwerden als ein Volk, das frueher eine viel groessere Macht und Ausdehnung besessen hatte und damals schon in einer Art Verfall war. Von den umwohnenden afrikanischen Voelkerschaften waren sie ueberall verdraengt, namentlich von Norden nach Sueden geschoben und nicht nur sehr vermindert, sondern wie es scheint, auch in ihrem inneren Wesen gebrochen oder wenigstens, durch die ewigen Kriege und Niederlagen, wesentlich beschaedigt worden (Waitz 2, 323 ff.). Schlimmeres aber brachten ihnen die Hollaender, welche sich seit 1652 am Cap niederliessen und natuerlich den Eingeborenen so viel Land ohne weiteres wegnahmen, als sie brauchten. Sie brauchten aber, da sie aus Faulheit alles brach liegen liessen und stets nur frisches Land bebauten, da sie ferner aus dem gleichen Grund lieber Viehzucht als Ackerbau trieben, sehr viel Land. Die Hottentotten, welche zu Sklaven zu machen das Gesetz verbot, machten sie zu ihren Knechten, die, weil man sie nicht verkaufen konnte, viel schlechter gehalten wurden als Sklaven (Waitz 2, 331). Als freilich die Englaender 1796 in Besitz des Caps kamen, zeigten sie sich aus Nationaleitelkeit anfangs zwar sehr empoert ueber das Benehmen der Hollaender; allein gar bald thaten sie es ihnen in Allem nach (ebd. 332). Wie man mit "dem schwarzen Vieh", den Hottentotten, verfuhr, zeigt sich z.B. in folgendem Fall, den Sparmann erzaehlt. Ein Hollaender hatte einen hottentottischen Knecht, der im Fieber lag und dessen Krankheit durch eine auf des Herrn Bitte von Sparmann unternommene Kur sehr verschlimmert wurde; Sparmann suchte den sehr niedergeschlagenen Boer zu troesten: allein jener fuhr auf: er kuemmere sich den Teufel um den Hottentotten und seine Seele, wenn er nur einen anderen Ochsenfuehrer, um seine Butter zu verkaufen, faende (Sparmann 273). Dies war aber kein vereinzelter Fall, sondern allgemeine Ansicht und so werden wir uns ueber die Einrichtung der sogenannten Commandos gegen die Eingeborenen, welche 1774 etwa zuerst aufkamen, nicht sehr wundern koennen. Der Bericht eines Offiziers ueber solch ein Commando bei Waitz lautet (2, 333-34): "27. Sept. 1792 der erste Kraal angegriffen, 75 Buschmaenner getoedtet, 21 gefangen. 15. Oktober ein anderer Kraal entdeckt, 85 getoedtet, 23 gefangen. 20. Okt. ein dritter entdeckt, 7 getoedtet, 3 gefangen." "Man wird einigermassen, faehrt Waitz fort, die Ausdehnung ermessen koennen, in welcher diese Vertilgung besonders der Buschmaenner betrieben wurde, wenn man bedenkt, dass Coblins (1809) einen sonst respektablen Mann erzaehlen hoerte, er habe binnen 6 Jahren mit seinen Leuten zusammen 3200 Buschmaenner getoedtet und gefangen, wogegen ein anderer mittheilte, dass die Commandos, an denen er sich betheiligte, 2700 Buschmaennern das Leben gekostet haetten. Thompson kannte einen Kolonisten, der in 30 Jahren 32 solcher Raubzuege mitgemacht hatte, auf deren einem 200 Buschmaenner umgebracht seien. Mit dem Eintritt der englischen Herrschaft am Cap hatte zwar das Commandosystem aufhoeren sollen, aber die Boers waren so sehr an dasselbe gewoehnt, dass es unmoeglich war, es auf einmal zu beseitigen. Von 1797-1823, d.h. bis zur Okkupation des Landes der Buschmaenner, werden 53 Commandos offiziell angegeben; es ist unzweifelhaft, dass das System 1823 nach einigen Unterbrechungen wieder in voller Bluethe war und es scheint den Buschmaennern unter der englischen Herrschaft noch trauriger gegangen zu sein, als unter der hollaendischen. Dass die Hottentottenbevoelkerung der Capkolonie unter der englischen Herrschaft bis zum Jahr 1822 um die Haelfte zugenommen habe (Zeitschr. 1, 287) ist wenig glaubhaft und sicherlich nur scheinbar." Die Boers zogen, um den ihnen verhassten englischen Gesetzen nicht gehorchen zu muessen, 5000 an der Zahl, um 1836 nach Port Natal, wo sie ihre scheussliche Willkuerherrschaft, ihre Commandos und Knechtung der Eingeborenen noch jetzt, wie sie es selbst bei Livingstones Anwesenheit thaten, fortsetzen (Waitz 2, 336). Man wird es nicht eben wunderbar finden, wenn die Hottentotten diesem Hauche der Kultur erlagen; wenn jetzt ihr Hass gegen die Weissen so gross ist, dass ein friedliches Einwirken der letzteren, wenn nicht unmoeglich, doch ausserordentlich erschwert ist: wenn endlich die Hottentotten jetzt sehr viel roher, traeger und sittlich schlechter sind als zu der Zeit, da man sie zuerst kennen lernte. Stand doch ueber manchen Kirchen der Hollaender: "kein Hund und kein Hottentotte darf eintreten" (Waitz 2, 333). Haben doch die Boers nach Kraeften die Christianisirung der Eingeborenen zu hindern gesucht, indem sie verboten, dass ihre Sklaven und deren Kinder getauft wurden und bei Lebensstrafe denselben die Missionsstation auch nur zu nennen verboten. Die hollaendische Compagnie selbst war es, welche die maehrischen Brueder aus dem Lande der Hottentotten vertrieb, weil sie auf letztere einen zu grossen Einfluss gewannen. Ja noch 1831, als die Hottentotten am Kat River sich niedergelassen und dort unter Leitung der Missionaere zu einer gewissen Bluethe gelangt waren, gelang es kaum, die Boers von der Zerstoerung dieser Colonie mit Gewalt zurueckzuhalten (Waitz 2, 336). Und in diesem Zustande leben die Hottentotten nun schon ueber 200 Jahr und sind noch nicht ausgerottet! Gehen wir nun nach Amerika. Die Indianer Nordamerikas kamen den Europaeern anfangs freundlich entgegen (Waitz 3, 242), aber die Weissen waren es, welche das Verhaeltniss truebten. Zunaechst vernichteten sie wegen verhaeltnissmaessig geringfuegiger Veranlassung das Volk der Pequots; an 700 wurden bei einem ploetzlichen Ueberfall getoedtet, die uebrigen zerstreut, gefangen und von Staatswegen als Sklaven verkauft (Waitz 3, 244). Sklavenjagden in Nordamerika von Seiten der Englaender und Spanier waren ganz gewoehnlich. Die frommen Puritaner, die Gott dankbar waren fuer jede verheerende Krankheit, welche unter den Indianern wuethete (Waitz 3, 242), sahen in jedem gelingenden Greuel der Christen gegen die Indianer, namentlich wenn diese massenweise zu Grund gingen, ein Zeichen goettlicher Gnade, in jedem Misslingen eines Mordzuges einen goettlichen Zornausbruch gegen sie selber und bekannten dies laut (Waitz 3, 244-45). Man dachte gar bald daran, die Indianer ganz auszurotten: und soll uns das wundern, wenn wir erfahren, dass noch in diesem Jahrhundert der Regierung der Vereinigten Staaten ein foermliches Projekt zur Vertilgung der Indianer vorgelegt wurde? Und wie man sie vertilgte! "Die Englaender, versichert Trumbull bei Waitz 3, 248, hatten damals (im 17. Jahrhundert) und spaeter viel Zweifel darueber, ob es sich mit dem Christenthum und der Menschlichkeit vertrage, die Feinde lebendig zu verbrennen." Die Weissen haben, wie schon hieraus hervorgeht und auch sonst ueberall, oft sogar mit dem groessten Ruehmen, bezeugt wird, den Krieg mit derselben und oft noch viel aergerer Grausamkeit gefuehrt, als die Indianer selbst (ebd. 258. 260); noch 1830 haben sie, wie frueher oefter, unter den Pani das Blattergift verbreitet (ebd. 259). Wie man nun die Voelker um ihr Land geprellt, wie man sie spaeter immer weiter nach Westen und schliesslich ueber den Missisippi hinuebergedraengt hat, ohne Ruecksicht auf die bedeutend aufbluehende Kultur der Cherokees, welche durch diese Verpflanzung einen schweren Stoss erlitt, das mag man bei Waitz 3 bis 299 und b, 26-60 nachlesen: wir wollen nur noch bemerken, dass die Natchez, die Schawanoes, die Delawares, Potowatomies, Seminolen, Kaskaskias und andere einst maechtige Voelker von den Weissen vernichtet oder so gut wie vernichtet sind (Waitz 1, 166). In Suedamerika traten die Europaeer womoeglich noch scheusslicher auf. "Benzoni, sagt Waitz 3, 399-100 in Beziehung auf Guyana, hat als Augenzeuge ein schauerliches Bild davon entworfen, wie die Spanier in diesen Laendern hausten. Das Verbot, Sklaven zu machen, war kein Verbot, Sklaven zu halten. Die gewoehnliche Formel, mit welcher letzteres erlaubt wurde, lautete: ihr sollt als Sklaven halten duerfen die von den eingeborenen Herren des Landes als solche gehalten und euch verkauft werden. Das gewoehnliche Verfahren, welches namentlich in Maracapana oft zur Ausfuehrung gekommen ist, bestand daher darin, dass man einen Haeuptling einfing, der gezwungen wurde, sich durch den Verkauf seiner Leute als Sklaven die Freiheit zu erwerben, und dass man die so gewonnenen Sklaven dann von der Behoerde fuer rechtmaessig erklaeren liess. Unterwarf sich aber ein Haeuptling freiwillig, so fiel man mit ihm ueber seine Feinde her, um diese zu versklaven oder suchte Streit mit ihm selbst. Nasen- und Ohrenabschneiden war eine gewoehnliche und nicht selten ausgefuehrte Drohung der Spanier gegen Indianer, die sich ungefuegig zeigten, und da das Gesetz verbot, die Lastthiere zu ueberbuerden, damit sie sich reichlich vermehren koennten, diente auch dies als Vorwand, die Eingeborenen selbst als Lastthiere zu gebrauchen. Naechst der Minenarbeit und persoenlichen Dienstbarkeit ueberhaupt hat vorzueglich auch die Entfuehrung vieler Weiber ihre Zahl verringert. Natuerlich liessen sich das die streitbaren Indianer nicht ohne Weiteres anthun und man kann denken, welche fuerchterlichen Kaempfe eine solche Behandlung hervorrufen musste und wie diese Kaempfe selbst, obwohl zum Theil gluecklich fuer sie, die Indianer decimiren mussten. In Brasilien wars um nichts besser. Obwohl man anfangs den Eingeborenen die Freiheit zugesprochen hatte, kam man doch sehr bald dahin, dass man Menschenjagden erst duldete und dann (seit 1611) allgemein gestattete und diese entwickelten sich gar bald zu einer solchen Hoehe, dass in den 3 Jahren 1628-1630 in Rio de Janeiro allein 60,000 Indianer, meist aus Paraguay, in die Sklaverei verkauft wurden, wobei es natuerlich auch wieder zu den scheusslichsten Kriegen kam, in welchen Europaeer und Indianer gleichmaessig verwilderten (Waitz 3, 450-51). Allerdings setzten sich die Missionaere (Jesuiten) hiergegen, allein nur, um die Arbeitskraft der Indianer ihrem Orden zukommen zu lassen, und meist mit so geringem Erfolg, dass ihr Widerstand gar nichts bedeutete. Uebrigens ist auch jetzt noch das Loos der unter brasilianischer, also portugiesischer Herrschaft stehenden Indianer kaum besser (ebd. 453), wie die Portugiesen wohl diejenigen Europaeer sind, welche am unmenschlichsten mit den Amerikanern umgingen. Das beweist auch, wie sie mit den Indianern der Pampas verfuhren. Wir wollen hoeren, was hierueber v. Tschudi 2, 261-64 von vergangenen Zeiten und von der Gegenwart sagt: "Das Verhaeltniss zwischen den erobernden Portugiesen und den Indianern war seit dem 16. Jahrhundert im allgemeinen ein getruebtes. Bekanntlich trachteten die Ansiedler so viel als nur moeglich, die Eingeborenen fuer die Feldbestellung und fuer den Bergbau zu benutzen. Diese aber fanden im ganzen wenig Freude an solchen ihren natuerlichen Neigungen mehr oder weniger widerstrebenden Verrichtungen und wollten ebenso wenig in ein Dienstverhaeltniss zu den Eindringlingen treten. Die gebieterische Nothwendigkeit, Arbeitskraefte zu besitzen, fuehrte die Portugiesen allmaehlich dahin, sich der Indianer mit Gewalt zu bemaechtigen und sie zu unentgeltlichen Dienstleistungen zu zwingen. Binnen kurzem bildete sich eine Indianersklaverei und ein schwunghafter Menschenhandel aus. Banden kuehner Abenteurer zogen nach den Urwaeldern auf Menschenjagd und verkauften nach der Rueckkehr ihre Beute an Grossgrundbesitzer, in denen sie stets willige Abnehmer fanden. Koenigliche Verordnungen autorisirten gewissermassen dieses empoerende Verfahren und nur an der Gesellschaft Jesu fanden die hartbedraengten Urbewohner Vertheidiger und Beschuetzer. Durch massenhafte Einfuhr von Sklaven von der afrikanischen Kueste, verbunden mit einer etwas humaneren Gesetzgebung, verminderte sich, besonders im 18. Jahrhundert, die Indianersklaverei, dagegen aber entwickelte sich an vielen Grenzpunkten der Civilisation ein foermlicher Vernichtungskrieg zwischen Portugiesen und Indianern. Ueberlegenheit der Angriffs- und Verteidigungswaffen sicherten den ersten den Erfolg ..... deren weite mit gehacktem Blei geladene Trabucos oft schreckliche Verwuestungen unter den Gegnern anrichteten. Wilde Bluthunde, die ausschliesslich auf Indianerfaehrten abgerichtet waren, halfen den nicht weniger blutduerstigen Menschenjaegern die feindlichen Lager ausfindig machen. Die Offiziere wetteiferten, wer die besten Indianerhunde besitze, und ein gewisser Lieutenant Antonio Pereira liess die seinigen nur Indianerfleisch geniessen, um sie stets bei guter Nase zu erhalten. Als durch die Einfuehrung der weit arbeitsfaehigeren Neger die Indianer fast ganz entwerthet wurden, so handelte es sich bei solchen Expeditionen nicht mehr darum, Menschen zu fangen, sondern nur eine moeglichst grosse Zahl zu morden. Um diesen Zweck, die Vernichtung der Indianer, in ausgedehntem Massstabe zu erreichen, griffen die Portugiesen zu den niedertraechtigsten Mitteln. Sie legten Kleider von Personen, die an Blattern oder Scharlach verstorben waren, in der Absicht in die Waelder, dass Indianer sich diese aneignen und infolge dessen Epidemien unter ihnen ausbrechen und graessliche Verheerungen unter ihnen anrichten sollten." Also ganz wie es die Englaender in Nordamerika machten!--Nachdem nun Tschudi gesagt hat, dass die Spanier zu solchen schaendlichen Mitteln nie gegriffen haetten, faehrt er fort: "trotz der schoenen aber leider so mangelhaft ausgefuehrten Constitution Brasiliens hat der Vernichtungskrieg gegen die Indianer der Provinz Minas bis auf die neueste Zeit noch fortgedauert. Heute noch (1860) leben dort Individuen, denen eine Indianerjagd der hoechste Genuss ist und die noch sorgfaeltig Schweiss- und Spuerhunde zu diesem Zwecke pflegen. Nur eine kurze Zeit ist verflossen, seit ein kaiserlich brasilianischer Militaercommandant als Repressalien fuer einen von den Indianern begangenen Mord ein Indianeraldea (Dorf) ueberfiel und als Siegestrophaee _dreihundert_ Ohren von grausam abgeschlachteten Indianern in den Flecken St. Matheus, suedlich vom Mukury brachte! Selbst der kaiserliche Commissionaer ... neigt sich mehr zu den Vertilgungsmitteln hin, als auf rein menschliche Weise die Indianer der Civilisation unterthan zu machen.... Ottoni fuehrt einige Beispiele an, wie der Vernichtungskrieg gegen die Indianer auch in neuerer Zeit gefuehrt wurde. Der Schauplatz dieser elenden Thaten war das Quellgebiet des Mukury und ein Theil von dem des Jaquitinhonha. Die Hauptleiter der Moerderexpeditionen waren zwei indianische Soldaten Cre und Crahy, denen sich als dritter wuerdiger Genosse ein gewisser Tidoro zugesellte. Sie handelten aber nur auf hoeheren Militaerbefehl. "Eine Aldea umbringen" war ihr Losungswort, der Zauber, der sie fuer ihr Henkerhandwerk fanatisirte. Mit Huelfe kaiserlich brasilianischer Soldaten und "Liebhaber" (oft den besten Staenden angehoerend) umringten sie waehrend der Nacht die dem Untergang geweihte Aldea und stuermten sie mit dem ersten Tagesgrauen, so dass die aufgehende Sonne nur noch blutrauchende graesslich verstuemmelte Leichname beschien. Die arglosen Indianer hatten gewoehnlich keine Idee von dem ihnen drohenden Verhaengniss: sie wurden meistens im tiefen Schlaf ueberrascht. Die Soldaten bemaechtigten sich immer zuerst der in einer Ecke zusammengestellten Bogen und Pfeile, um so weniger gefaehrdet die wehrlosen Indianer abzuschlachten. Nur die Kinder (Kurukas) wurden verschont, sie waren Kriegsbeute! Ein solches Kuruka wurde in der Regel fuer 100 Milreis verkauft. Selbst in neuester Zeit war der Gewinn, der aus dem Verkauf der erbeuteten Kinder gezogen wurde, das einzige Motiv, um eine Aldea umzubringen. Und dieses geschieht im constitutionellen Brasilien gegen die urspruenglichen Bewohner des Landes! Am Rio Jaquitinhonha, am Mukury, am Rio St. Matheus, am Rio Dolce sind zahlreiche Beispiele dieser Menschenschlaechtereien vorgekommen. Vier Jahre vor meinem Besuch am Mukury leiteten die Henkersknechte Cro und Crahy eine solche Metzelei bei Queriba am Jaquitinhonha. Sogar im Jahr 1861 wurde wenige Meilen von Philadelphia eine derartige Menschenschlaechterei ausgefuehrt. Im Jahre 1846 wurde in Marianna, 2 Leguas von St. Jose de Porto Alegre, an der Muendung des Mukury, der Tribus des Haeuptlings Shiporok fast gaenzlich vernichtet. Sechzehn Schaedel der ermordeten Indianer kaufte ein Franzose und schickte sie an ein pariser Museum." Man muss diese Nachrichten, welche jede Vorstellung uebersteigen, bei einem so glaubwuerdigen Schriftsteller wie Tschudi selbst lesen, um sie zu glauben. Uebrigens ging es den Araukanern kaum besser, die in einem fast 200jaehrigen Kampfe (von 1540-1724) mit den Spaniern um ihre Unabhaengigkeit rangen. Auch hier waren es wieder die Europaeer, welche die grauenvollsten Grausamkeiten gegen die tapferen und edeln Amerikaner begingen, welche letztern aber auch, wie es natuerlich war, in einem solchen Krieg verwilderten und herunterkamen, so dass man jetzt in ihnen die alten Araukaner nicht mehr zu suchen braucht (Waitz 3, 521 ff.). Wie die Spanier noch in diesem Jahrhundert gegen sie verfuhren, geht aus folgender, von einem Augenzeugen erzaehlten Geschichte hervor, welche den portugiesischen Schandthaten wuerdig zur Seite steht: "von einem Indianerstamme, der sich in seinem Versteck aller Nachforschungen entzog, konnte Major Rodriguez nur ein Weib auffinden mit ihrem Sohn und ihrer Tochter, die noch Kind war. Drohungen und Versprechungen bewirkten nichts ueber sie, um sie zur Verraetherei zu bewegen. Da liess man den Sohn niederknien und erschoss ihn vor den Augen seiner Mutter und Schwester. Dennoch wollte das Weib nichts gestehen. Auch sie musste niederknien, um zu sterben; da erbot sich die Tochter, das Versteck ihres Vaters und ihrer Brueder zu verrathen. Die Mutter stuerzte wuethend ueber sie her und wollte sie erdrosseln, doch man entriss ihr das Kind und schleppte sie fort in der von diesem bezeichneten Richtung, waehrend sie die Tochter mit den haertesten Vorwuerfen wegen ihrer Feigheit und Entartung ueberhaeufte. Ihre ganze Familie musste sie hinschlachten sehen und gab verzweifelnd und mit dem letzten Athemzuge den Moerdern fluchend bei diesem Anblicke ihren Geist auf" (Waitz 3, 526). Solche Beispiele viehischer Unmenschlichkeit stehen keineswegs als einzelne wegen ihrer besonderen Scheusslichkeit merkwuerdige Faelle da: sie sind in diesen Kriegen das ganz Gewoehnliche. v. Tschudi gab an, dass die Botokuden bei den Jesuiten Schutz gefunden haetten; und wenn allerdings die Geistlichen bisweilen ihre Stimmen fuer die Unterdrueckten erhoben, so war das keineswegs ueberall oder immer der Fall; ja die Geistlichen wurden sehr haeufig nur eine neue Plage fuer die Eingeborenen durch die Mittel, wie sie die Indianer fuer die Taufe gewannen: einfach dadurch, dass sie dieselben jagten, fingen und dann tauften oder so lange einsperrten, bis sie sich taufen liessen, was freilich von den spanischen Gesetzen verboten war, aber doch oft genug, mit Huelfe anderer Indianer, ausgefuehrt wurde. Nur allzubekannt ist jene fuerchterliche Geschichte von der Guahibaindianerin, welche mit ihren Kindern gefangen worden war und von der Zu der Guahiba und der Christen Bildniss Erzaehlet jener Stein mit stummem Munde Am Atapabos-Ufer in der Wildniss. Diese Geschichte spielt etwa um 1770: und Humboldt, welcher sie uns aus dem Munde der Geistlichen selbst erzaehlt (b, 5, 81 ff.; vgl. Chamisso Werke 4, 69 ff.), faehrt fort: "Dergleichen Jammer kommt ueberall vor, wo es Herren und Sklaven gibt, wo civilisirte Europaeer unter versunkenen Voelkern leben, wo Priester mit unumschraenkter Gewalt ueber unwissende, wehrlose Voelker gebieten" (Humboldt a.a.O. 85). Und er hat Recht: denselben Jammer finden wir in Californien wieder, wohin die spanische Herrschaft hauptsaechlich durch Missionaere gebracht war, und wo diese letzteren Schlingen legten, um Indianer zu fangen oder zu demselben Behuf bewaffnete Schaaren ausschickten. Widersetzte sich einer der Eingeborenen der neuen Lehre, so sperrte man ihn zunaechst ein und liess ihn hungern, dann zeigte man ihm Fleisch, um ihm von dem guten Leben, das ihn bei den Missionaeren erwarte, einen Begriff zu geben und suchte ihn so zum--Christenthum zu gewinnen (Beechey 1, 356). Wiedereingefangene Deserteure erhielten nach Langsdorff Stockpruegel, die sehr haeufig auch bei Frauen angewendet wurden, und es wurde ihnen ein schwerer Eisenstab angehaengt, um fuerderhin Flucht ihnen unmoeglich zu machen. Da nun die so Bekehrten ganz wie Sklaven den frommen Missionaeren dienen mussten, so ist es einmal kein Wunder, wenn sie, um dieser Religion, dieser Kultur zu entfliehen, kein Mittel scheuten, auf der anderen Seite aber auch nicht, wenn wir sie massenhaft in den Missionen sterben sehen. Krankheiten wuetheten und von Jahr zu Jahr wuchs die Sterblichkeit. 1786 waren 7701 Indianer getauft, von denen 2388 starben; 1813 waren 57,328 getauft, aber gestorben 37,437 (Beechey 1, 370).--Als nun spaeter die Missionen durch die politischen Verhaeltnisse Californiens verfielen, wurde das Loos der Eingeborenen noch schlimmer. Sklavenjagden oder auch geradezu Menschenhetzen begannen, man schoss sie nieder, ohne Unterschied des Alters und Geschlechtes, wo man sie traf. Ein spanischer General hatte (nach Wilkes) Californier zu Soldaten einexercirt; als sie sich aber sehr brauchbar zeigten, bekam er Furcht vor ihnen und liess sie alle niederschiessen (Waitz 2, 244-51). Am alleraergsten aber haben die Weissen in den kultivirten Gegenden Amerikas gehaust, welche sie zuerst vom ganzen Continente kennen lernten. Die Eroberung von Mexiko kostete, wie ein Spanier (Clavigero bei Waitz 1, 189-90) angibt, mehr Menschen, als waehrend der ganzen Dauer des mexikanischen Reiches den Goettern geopfert sind; wenn auch die Behauptung desselben Schriftstellers, die Bevoelkerung des Landes sei durch die Eroberung bis auf ein Zehntel gesunken, von Waitz (4, 190) mit Recht als uebertrieben angesehen werden mag. Aber Gomara selbst, der fuer Cortez schreibt, berichtet, dass weder Weiber noch Kinder von den Spaniern geschont seien (Waitz 4, 186); und doch war Cortez noch derjenige, welcher wenigstens ohne unnoethige Grausamkeit verfuhr, waehrend seine Nachfolger geradezu unmenschlich hausten. Doch auch Cortez vertheilte, trotzdem es ihm hart erschien, die Mexikaner unter die spanischen Eroberer als Knechte und der hoechste Adel sowohl wie gemeines Volk mussten ihren Enkomenderos die haerteste Arbeit thun, unter der sie, ueberhaupt nicht an strenge Arbeit, am allerwenigsten aber an so ganz unmenschliche Ueberbuerdung gewoehnt, massenweis erlagen. Widerspenstige oder wer, gleichviel aus welchem Grunde, den Tribut nicht zahlte, wurden als Sklaven verkauft. Dieser Tribut aber war enorm und wurde mit der groessten Strenge, sehr haeufig auch mit den aergsten Betruegereien und Erpressungen beigetrieben. Viele toedteten sich nun aus Verzweiflung, andere verabredeten sich, keine Kinder mehr zu erzeugen oder kuenstlichen Abortus zu bewirken, um wenigstens ihre Nachkommen von diesem ganz unertraeglichen Elend, das noch durch jene fuerchterlichen eingeschleppten Krankheiten furchtbar erhoeht wurde, zu bewahren. Bei der Eroberung waren die Wasserleitungen mit zerstoert und dadurch erhob sich neues Elend: denn ein grosser Theil des Landes ward dadurch zur Wueste (Waitz 4, 187). Das Christenthum, das uebrigens sobald es sich der Eingeborenen annahm, von den spanischen Machthabern aufs Heftigste angefeindet wurde, kam nun auch und mit ihm die Inquisition, die gar nicht selten 100 Ketzer auf einmal verbrennen liess (4, 189)--kurz, es ergoss sich auf die ungluecklichen Menschen ein so grimmiges Elend, wie vielleicht kein Volk sonst hat aushalten muessen, und es ist kein Wunder, wenn auch hier die Eingeborenen vor dem "Hauche der Kultur" schaarenweis starben; ein Wunder ists nur, dass sie trotz aller dieser Leiden bis auf den heutigen Tag nicht ausgerottet sind. Nicht anders hausten die Spanier in Guatemala (4, 268), in Nikaragua (280) und noch aerger auf den Antillen und Lukayen (Bahamainseln), deren Einwohner, mehrere 100,000 an der Zahl innerhalb weniger Jahrzehnte gaenzlich vernichtet sind, wozu die eingeschleppten Krankheiten, die Minenarbeiten, die nichtswuerdigen Knechtungen und oft ganz zwecklose Menschenmetzeleien das Meiste beitrugen. Massenweise toedteten die Eingeborenen sich selbst. Columbus selbst hatte ganz dieselbe Gesinnung wie seine Landsleute: Menschenraub, Sklaverei, grausame Verstuemmelungen geschahen auf seinen Befehl und die spanische Regierung war, obwohl Isabella diese Behandlung der Eingeborenen im hoechsten Grade missbilligte, viel zu schwach, irgend etwas Bleibendes zu Gunsten der Indianer zu erreichen (Waitz 4, 331. 334). Ebenso ging es in Darien (4, 351) und Neu-Granada (377) und dass es in Peru eher schlimmer als besser war, dafuer buergt schon der Name Pizarro. Das beliebte Mittel der Portugiesen, Bluthunde, die auf Indianer dressirt waren, gegen diese loszuhetzen, wurde hier namentlich angewandt. Wir erinnern hier an die schon erwaehnte Bitte des gefangenen Fuersten, ihn nicht verbrennen, nicht den Hunden vorwerfen, sondern einfach erhaengen zu lassen (1, 478 ff.). Nach Gomara sind in den Kriegen unmittelbar nach der Eroberung etwa anderthalb Millionen Eingeborene aufgerieben; die uebrigen litten unter dem Druck der Encomiendas und Mitas (zwangsweise Vermiethung der Eingeborenen an Privatleute, von der Mestizen, Mulatten, Zambos frei waren) so unertraeglich, dass sie durch das Uebermass von Arbeit schaarenweis aufgerieben wurden. Dazu kam noch der furchtbare Steuerdruck unter den habgierigen Spaniern, an welchem sich uebrigens die Geistlichkeit ohne die geringste Scheu aufs lebhafteste mit betheiligte. Nimmt man dies leibliche Leiden zusammen, und dazu das Bewusstsein der gaenzlichen Ohnmacht gegen diesen Gegner, so wird man sich die psychischen Leiden dieser Menschen denken koennen; diese fallen aber mit dem groessten Gewicht in unsere Wagschale, da ihnen gewiss grosse Mengen erlegen sind, wie vielfach bezeugt ist. Gewiss, wenn man die Amerikaner in Nord und Sued betrachtet, deren Bedrueckung noch nirgends ganz aufgehoert hat, so ist das das allein Wunderbare, dass jetzt, nach 300 oder 200 Jahren eines solchen Druckes, noch irgend etwas von der Urbevoelkerung existirt. Sec. 17. Fortsetzung. Der stille Ozean. Eine aehnliche Behandlung wie die bisher besprochenen Voelker von Hollaendern, Englaendern, Spaniern und Portugiesen erfuhren die Kamtschadalen und Aleuten durch die Russen. Nach King (Cook 3te Reise 4, 171) wuethete der Russe Atlassof, der 1699 Kamtschatka zuerst entdeckt hatte, seit 1706 zum zweiten Male Befehlshaber daselbst, "um die Einwohner mit guter Art und durch friedliche Mittel zu gewinnen", in dem Lande so arg, dass seine eigenen Leute, die Kosaken, welche bis dahin friedlich mit den Kamtschadalen ausgekommen waren, gegen ihn einen Aufstand erhoben und sich in den Besitz der Halbinsel setzten. Dadurch ward es aber nicht besser, denn sie wuetheten, einmal an Mord und Blut gewoehnt, von nun ab unter den Eingeborenen von Kamtschatka selbst. "Die Geschichte dieser Halbinsel von jenem Zeitpunkte an bis in das Jahr 1731 ist eine Reihe von Mordthaten, Empoerungen und wilden blutigen Gefechten kleiner im ganzen Lande streifender Parteien." Damals naemlich erhoben sich die erbitterten Kamtschadalen, um ihr Land nicht immer weiter unterjocht werden zu lassen und um sich an ihren Peinigern zu raechen. Behring war zu jener Zeit da, welcher alle ihm entbehrlichen Truppen, mit Ausnahme kleiner Besatzungen in den Festungen des Landes, gegen die Tschuktschen schickte, denn bei der ausserordentlichen Klugheit, Verschwiegenheit und Energie der Kamtschadalen hatte weder er, noch irgend sonst ein Russe eine Ahndung von einer Verschwoerung, welche ueber die ganze Halbinsel ausgebreitet war. Sie war sehr gut organisirt; von kleinen aufhaltenden Zwischenfaellen z.B. waren in kuerzester Frist alle Oberhaeupter derselben benachrichtigt: und so gelang es denn, nach Behrings Abfahrt den Kamtschadalen, dass sie die Festungen rasch einnahmen, und alles was von Russen noch im Lande war (Weiber und Kinder mit eingeschlossen) niedermachten oder in die Gefangenschaft wegschleppten. Behring aber, durch widrige Winde an der Kueste festgehalten, erfuhr das Geschehene, kehrte zurueck und belagerte das Fort, wohin sich die Kamtschadalen auf Kunde seiner Rueckkehr geworfen hatten; allein nicht eher konnte er es--so tapfer war der Widerstand--einnehmen, als bis es endlich durch einen Zufall in die Luft gesprengt wurde. Da nun die Kamtschadalen auch in einigen offenen Gefechten, die sehr blutig waren und sonst den kuerzeren zogen, so mussten sie sich zum Frieden bequemen. Von da ab blieb alles ruhig, einzelne Aufstaende abgerechnet--welche ein deutliches Bild geben, wie die Russen sich gegen die durch jenen Aufstand gebrochenen Kamtschadalen betrugen. Wenn die Halbinsel, nach King, sich nach 1731 wieder so erholt haben soll (doch King selbst berichtet zweifelnd), dass sie spaeter volkreicher war als frueher, so ist dieser Nachricht kein Glauben zu schenken, oder sie bezieht sich auf die Erhoehung der Bevoelkerung, welche durch Einwanderung erfolgte. Die Russen fuhren fort, wie sie angefangen hatten; waeren die Kamtschadalen noch die alten gewesen, die mit solcher Umsicht und Thatkraft den Aufstand von 1731 ausfuehrten, sie haetten von Neuem gegen das Joch anzukaempfen versucht, was bis auf jene ohnmaechtigen Aufstaende, welche gegen die Peiniger sich oertlich erhoben, nicht weiter geschah. Jener Krieg hatte sie eben gebrochen. Und so erlagen sie denn gaenzlich, als zuerst 1767 jene Epidemien ausbrachen, die wir schon geschildert haben. Abgesehen von Krieg und Seuchen hat ihnen der Pelzhandel unendlich geschadet. Krusenstern (3, 52-53) erzaehlt, dass die Agenten der amerikanischen Compagnie und die russischen Haendler im Lande umherziehen, die einzelnen, mit denen sie handeln wollen, mit Branntwein voellig trunken machen, was ihnen bei der Leidenschaft der Kamtschadalen fuer den Trunk gar nicht schwer wird, und dann den ganzen Vorrath von Pelz, den jene besitzen, den Besinnungslosen abnehmen, um sich fuer "die Menge des getrunkenen Branntweins bezahlt zu machen." So verliert der Unglueckliche, faehrt Krusenstern fort, den Lohn monatelanger Muehe, statt sich zum Leben nuetzliche und noethige Dinge kaufen zu koennen, in einem Rausche. "Groesseres Elend (S. 54) ist auch mit Niederdrueckung seines Geistes verknuepft, welche einen aeusserst schaedlichen Einfluss auf seinen ohnehin schon siechen Koerper haben muss, da dieser zuletzt bei gaenzlichem Mangel an substantieller Nahrung und jeder medizinischen Huelfe beraubt solchen harten Stoessen nicht lange widerstehen kann. Dies scheint mir die wahre Ursache ihrer jaehrlichen Abnahme und allmaehlichen gaenzlichen Ausrottung zu sein, welche durch epidemische Krankheiten, die sie haufenweise wegraffen, befoerdert wird." Auch auf friedlichem Wege wird ihre Zahl verringert: denn hier und auf den Aleuten sind sie mit den Russen vielfach durch Heirathen zusammengeschmolzen. Allein auch auf den Aleuten haben sich die Russen meist nur feindselig gezeigt. Namentlich sind es die russischen Wildjaeger (Promyschlenniks, welche von 1760-90 die Inseln beherrschten, Waitz 3, 313), die sich durch wueste Grausamkeit auszeichnen. "Sie pflegten nicht selten Menschen dicht zusammenzustellen und zu versuchen, durch wie viele die Kugel ihrer gezogenen Buechse hindurchdringen koenne", sagt Sauer (aus dem Tagebuch eines russischen Offiziers, das er in den Anhaengen an seine Reise mittheilt) bei Chamisso 177. Dazu kommt noch die sklavische Knechtung, in welcher Kamtschadalen und Aleuten von den Russen gehalten werden (Chamisso 177 und Langsdorff): wie denn z.B. die Haelfte der gesammten maennlichen Bevoelkerung von 18-50 Jahren das ganze Jahr hindurch unentgeltlich von ihnen in Anspruch genommen wird (Kittlitz 1, 295). Daher hat Waitz ganz Recht, wenn er die Nachrichten ueber das milde Verfahren der Russen nicht eben hoch anschlaegt (3, 313-14). Nach den Schilderungen von Chamisso, der hier mit Kotzebue (1, 167--68) ganz uebereinstimmt, sind sie jetzt ein traeges auch in seiner Freude truebes und theilnahmloses Volk (Cham. 177), wozu sie in Folge des unaufhoerlichen Drucks geworden sind. Einzelne sollen sich, aehnlich wie die "wilden Maenner" von Tahiti, in die Berge gefluechtet haben und dort ein kuemmerliches Leben fristen (Chamisso 177). Von der Inselwelt des stillen Ozeans kamen die Europaeer zuerst in dauernde Beruehrung mit den Marianen, wo die Spanier, als sie 1668 landeten eine sehr bedeutende Bevoelkerung (100,000 ist nicht uebertrieben, wie wir schon sahen) auf der ganzen Kette vertheilt fanden--und um 1710 war nur noch Guaham, die suedlichste und groesste Insel bewohnt, die anderen veroedet. Der Krieg, welchen namentlich Quiroga mit blutiger Tapferkeit fuehrte, und der ueber 30 Jahre dauerte, zahlreiche Epidemien, Verpflanzung der Eingeborenen von einem Distrikt zum anderen (welches Mittel auch in Amerika die verheerendsten Folgen hatte) trugen zu dieser Vernichtung das ihrige bei. Aber wenn auch nach den Berichten, die wir haben und die ganz, wie le Gobien und Freycinet, auf spanischen Quellen beruhen oder Erzaehlungen der bei der spanischen Unterwerfung thaetigen Jesuiten sind wie die Berichte im "neuen Weltbott" (einer Missionzeitung a.d. Anfange des vorigen Jahrhunderts); wenn auch nach diesen Quellen die Spanier nicht mit der empoerenden Grausamkeit verfuhren wie in Amerika: so ist es doch auffallend, dass wir ganz dieselben Erscheinungen hier wie dort nach ihrem Auftreten finden, wildeste Verzweiflung der Eingeborenen--welche hier wie dort anfangs den Spaniern sehr freundlich entgegenkamen--massenhaftes Auswandern derselben, zahllosen Selbstmord, kuenstliche Fehlgeburt oder Ermordung der Kinder bei der Geburt und schliesslich und sehr bald totale Entvoelkerung der Inseln, welche fuer Guaham nur durch zahlreiche Einfuehrung philippinischer Tagalen verhuetet ist. Wahrscheinlich hausten also hier die Spanier mit derselben rohen Bedrueckung und wilden Grausamkeit, welche sie ueberall zum Fluch der neuentdeckten Laender machte, nur dass hier, ganz aehnlich wie ueber das ebenso rasch entvoelkerte Honduras (Waitz 4, 280), unsere Quellen schweigen, oder nur parteiisch und einseitig berichten. Sicher wird man aus dem Aussterben der marianischen Bevoelkerung keinen Schluss ziehen koennen zu Gunsten der Ansicht, dass die Naturvoelker, weil sie von schlechterer Organisation seien, den Weissen erlaegen. Polynesien ist 3 Jahrhunderte spaeter entdeckt worden als Amerika, eins spaeter als die Marianen; so sehen wir denn hier die kultivirte Menschheit anders als bisher. Zwar zeigen die frueheren Durchsegler des Ozeans, die Spanier, Dampier, Roggeween, dieselbe Rohheit den Naturvoelkern gegenueber wie alle ihre Zeitgenossen; allein im Ganzen ist man hier milder aufgetreten als sonst, wozu ausser dem kleineren Terrain wie der geringeren Zahl, in welcher die Europaeer demgemaess auftreten, der Hauptgrund das Jahrhundert ist, in welchem man die meisten dieser Inseln entdeckte. War es doch die Zeit des Philanthropismus und glaubte man doch die ertraeumten Ideale von menschlicher Glueckseligkeit, wie z.B. Rousseau sie in Europa entwarf, hier im Leben der Suedseeinsulaner verwirklicht zu finden; ein Umstand, der fuer die Art, wie man den Polynesiern entgegentrat, von grosser Bedeutung war. Und noch, wichtiger war es, dass gleich nach der Entdeckung zu ihnen Missionaere der protestantischen Kirche, denen es nicht auf Ausbreitung des christlichen Namens und der aeusseren Gebraeuche, sondern da sie selbst im tiefsten Herzen wahre Christen waren, auf die Emporhebung und Foerderung der Eingeborenen ankam. So steht der treffliche Wilson, der erste Missionaer der Suedsee (1795), an der Spitze einer Reihe von Ehrenmaennern, die, wenn auch hin und wieder selbst nicht frei von menschlichen Schwaechen, auf das Wohlgemeinteste fuer diese Voelker sorgten. Allein weder sie noch der fortgeschrittene Geist der Jahrhunderte konnten auch hier die boesen Wirkungen der Kultur und ihrer Traeger abwehren. Eine Reihe einzelner Brutalitaeten, deren Helden meist Schiffskapitaene und ihre Matrosen sind, kamen auch hier vor, welche allerdings bei der geringen Anzahl der Einwohner fuer die einzelnen Inseln gefaehrlich genug sein konnten und z.B. fuer Waihu verderblich gewesen sind (Moerenhout 2, 278-79, der Genaueres und die Quellen gibt). Aber auf die Dauer gefaehrlich wurden die Europaeer durch die Verbrecherkolonien, welche sie in der Suedsee (Neuholland, Tasmanien und sonst) anlegten. Denn eine Menge der deportirten Verbrecher entwichen und indem sie sich auf verschiedenen Inseln des Ozeans umhertrieben oder auf einzelnen festsetzten, schleppten sie ausser Krankheiten eine Menge Laster ein oder reizten, was oft genug vorgekommen ist, die Eingeborenen zum Krieg gegen die ankommenden Weissen, der meist den Eingeborenen verderblich wurde; oder zum Widerstand gegen die Missionaere, der ihnen nach anderer Seite hin schadete. Ausserdem wird die Suedsee durchkreuzt von einer Menge von Walern, welche oft ziemlich lange Rast auf den einzelnen Inseln halten und deren Mannschaft sehr oft aus dem Abschaum aller Voelker zusammenfliesst. Auch sie wirkten auf gleiche Weise ausserordentlich unheilvoll. Fuer Hawaii allein schlaegt Virgin (1, 269) die Zahl derselben auf jaehrlich 15-20,000 an und er erwaehnt auch, wie die Syphilis durch sie fortwaehrend neue Nahrung bekommt. Diesen Walern und ihrem entsittlichenden Einfluss schreibt auch Gulick die Abnahme der Bevoelkerung von Kusaie, von der oben die Rede war, zu. Ferner hat hier die Feindseligkeit, mit welcher die nicht geistlichen Europaeer den Missionaeren, meist aus Gewinn- oder Genusssucht, entgegentraten (genauere Belege bei Meinicke b und Lutteroth) ganz besonders nachtheiligen Einfluss ausgeuebt; und nicht minder der Streit, welchen die katholische Kirche in der Suedsee mit den evangelischen Missionaeren anfing. Frankreich war es, welches als "Werkzeug der Propaganda" (Lutteroth 164) in diesem Theil der Welt auftrat und die Art und Weise, wie es das gethan hat, war keineswegs im Interesse der Polynesier. Erstaunt man schon ueber die Orgien, welche seine Vertreter veruebten--so Dumont d'Urville auf Nukuhiva (4, 5, ff.), Laplace und die Mannschaft der Artemise auf Tahiti (Lutteroth 167), so erstaunt man noch mehr ueber die Unbefangenheit, mit welcher die franzoesischen Schriftsteller ueber diese schmachvollen Vorgaenge als etwas ganz Selbstverstaendliches reden. Will man die Eingeborenen dieser Inseln heben, so muss man ihr Selbstgefuehl zu foerdern suchen, man muss, indem man die Laster, die ihnen so viel geschadet haben, unterdrueckt, auf ihre guten Seiten belebend und kraeftigend einwirken: von allem aber hat die franzoesische Okkupation der Insel Tahiti nur das Gegentheil bewirkt und wie man aus der brutalen Art schliessen kann, mit der sie verfuhr, auch gewollt. Wenigstens geht aus allem hervor, dass die Einwanderer die Eingeborenen hier nicht hoeher schaetzten, als einst die Spanier oder Englaender die Amerikaner. In Neuseeland, wo die Englaender fest sich niedergelassen und denselben Racenhochmuth gegen die Eingeborenen gezeigt haben, hat ausser diesem letzteren und anderem schon erwaehnten namentlich der massenhafte Landverkauf schaedlich gewirkt, auf welchen die Neuseelaender, ohne recht zu wissen, warum es sich handele, eingingen und wobei sie oft genug--so namentlich von der Neuseelandcompagnie--sich betrogen sahen. Sie geriethen durch den Mangel an Land in grosse Noth, durch den Betrug aber in grosse Wuth und die Kriege, welche noch bis vor kurzem gefuehrt wurden, beruhen wesentlich auf diesen Gruenden (Hochstetter 483-97). Durch alles dies, die Kriege nicht in letzter Reihe, ist natuerlich das Emporkommen der Eingeborenen sehr gehindert. In Melanesien haben namentlich die Sandelholzhaendler, meist englische oder amerikanische Capitaene, der Bevoelkerung geschadet, da sie, um zu ihrer Waare zu kommen, oft die gewaltsamsten und scheusslichsten Mittel anwenden. Sie schlagen das Sandelholz nieder, wo sie es finden: daher sie haeufig in Streit mit den Eingeborenen gerathen. Und in einem solchen Kampfe auf Tanna kam es vor, dass, als die Eingeborenen in eine Hoehle im Gebirge flohen, die nachfolgenden Matrosen vor derselben ein Feuer anzuendeten und durch den Rauch alle in der Hoehle befindlichen umbrachten! Auch rauben sie zu ihren Arbeiten Eingeborene der Inseln und schleppen sie mit sich fort, welche dann haeufig dem Heimweh und der Ueberbuerdung mit Arbeit erliegen (Turner 493 vergl. 464). Auf allen Inseln Melanesiens sind sie gleichmaessig gefuerchtet (Cheyne). Meinicke (a 2, 217) haelt die Neuhollaender fuer einen der Kultur absolut unzugaenglichen Menschenstamm. Andere Schriftsteller haben auch behauptet, ein friedliches Auskommen mit ihnen sei ganz unmoeglich. Allein die Englaender haben sich nie die Muehe gegeben, auch nur in ein ertraegliches Verhaeltniss mit ihnen zu kommen: und dass dies sehr leicht gewesen waere, beweisen zunaechst einzelne Beispiele (Waitz 1 184 ff.), wie vor allen das Greys, der ueberall friedlich mit ihnen fertig geworden ist, dann aber geht es aus dem ganzen Betragen der Eingebornen hervor, die eher scheu als kriegerisch, im Anfang den Weissen freundlich entgegen kamen, ja sogar ihre Niederlassung im eignen Gebiet wuenschten (Grey 2, 234-35). Auch Meinicke, der wahrlich nicht fuer die Neuhollaender Partei nimmt, gibt das zu (a 2, 214). Ihre vielfach behauptete wilde Blutgier ist nichts als Fabel--wohl aus dem naheliegenden Grund erfunden, um nun gegen sie desto ruecksichtsloser zu verfahren. Und das ist reichlich geschehen. Zunaechst machte man ihr Land vornehmlich zum Deportationsort von Verbrechern; Neu-Sued-Wales war Verbrecherkolonie bis 1843: Westaustralien, das nach Grey's Zeugniss 2, 364 hoeher stand als der Osten des Continents, weil es keine Verbrecherkolonie war, ist es neuerdings geworden (Waitz 1, 185) und dass die Ureinwohner die hoehere Kultur, welche durch diese Straeflinge und ihre Frevelthaten sich zunaechst bei ihnen ankuendigte, "strenge von sich abwiesen" (Meinicke 2, 217): sollte ihnen das nicht eher zum Lobe gereichen? Sodann hat die englische Krone die Rechte der Eingeborenen an ihr Land nie anerkannt; sie hat genommen was sie wollte, und als dann die Eingeborenen in Folge von Nahrungs-und Landmangel zu Bettlern und Raeubern geworden waren, hat man hierin ein Zeichen ihrer Unverbesserlichkeit durch die Kultur gesehen und sie mit allen Mitteln verfolgt. Spaeter freilich, und auch dies erst in Folge der schreiendsten Misshandlungen durch die Weissen, hat man sie unter die englischen Gesetze gestellt, allein diese wirken wenig zu ihren Gunsten (Grey 2, 368). Denn abgesehen davon, dass die Eingeborenen so gut wie gar nicht zeugnissfaehig vor Gericht sind, so werden auch die Gesetze meist nur da angewandt, wo sie gegen dieselben, nicht wo sie zu ihren Gunsten sprechen; ihre Verbrechen an den Weissen werden gestraft, nicht aber umgekehrt die der Weissen an ihnen, und letztere Verbrechen sind viel zahlreicher. 1838 weigerten sich die Geschworenen eine Anzahl Weisser zu verurtheilen, welche 28 Eingeborene ganz ohne Grund abgeschlachtet hatten (Waitz 1, 184). Man schiesst (Breton 200) die Eingeborenen oefters zum Vergnuegen nieder, da sie in den Augen der Kolonisten nicht hoeher stehen, wie etwa der Orang Utang. Ja man hat sie an verschiedenen Orten schaarenweise vergiftet (Eyre Journal of expedd. into Central-Austral. 1845 2, 176 Note: Waitz 186); nach Byrne (12 years wanderings in the british colonies 1848 1, 275, Waitz eb.) ist das an vielen Gegenden von Neu-Sued-Wales durch Arsenik geschehen und man hat sich laut und oeffentlich dieser That geruehmt. Natuerlich ist fuer ihre Emporhebung so gut wie nichts geschehen; denn was wollen die edeln Bemuehungen einzelner Maenner, wie der Missionaere, sagen, wenn das ganze Volk der Kolonisten anders handelt? Grey (2, 364 ff.) stellt zusammen, worin man an ihnen gefehlt hat: man betrachtet sie als niedere Race und behandelt sie deshalb mit dem groessten Vorurtheil und der groessten Willkuehr. Werden sie zur Arbeit gedungen, so zahlt man ihnen oft fast nichts, immer aber weit geringeren Lohn als den Europaeern. Natuerlich schweifen sie lieber bettelnd umher. Sie unter englischen Rechtsschutz zu stellen war wohlgemeint: allein man haette die englischen Gesetze auch auf das Unrecht, was sie einander selbst thun, anwenden sollen, waehrend jetzt (Grey gibt Beispiele aus Perth) die Europaeer ruhig zusehen, wenn Eingeborene von Eingeborenen ermordet werden; man hat durch diese Art der Einfuehrung des englischen Rechts nichts erreicht, als dass die aelteren Eingeborenen die juengeren durch grausame Behandlung von der Annahme neuer Sitten abschrecken (Grey 2, 376). Es ist nach alledem kein Wunder, wenn sie sich von der Kultur, die sie so namenlos elend gemacht hat und fortfaehrt, sie als wilde Thiere zu behandeln, streng abwenden, obwohl sie geschickt genug sind, sie unter sich aufzunehmen und sich hoeher zu entwickeln (Grey 2, 374). Grey selbst erzaehlt einen Fall (2, 369), dass ein europaeisch unterrichteter Eingeborener, der manche Faehigkeiten sich erworben hatte, wieder zurueckkehrte zu den uncivilisirten Seinen, in die wilden Waelder. Wollen wir ihn tadeln, dass er nicht lieber, wie es in Prutzs geistreichem-Lustspiel von aehnlichen Verhaeltnissen heisst, Ein Lump auf Griechisch ist, als ein honetter Tektosage? Bei den Seinen hatte er Familie, Ehre, Vermoegen; in der Kolonie war er verachtet, ehrlos, arm. "Ich haette ebenso gehandelt", sagt Grey. Aus allem Angefuehrten geht hervor, dass es sehr unrecht ist, wenn man aus der Feindseligkeit der Neuhollaender gegen die Kultur schliesst, sie seien ueberhaupt jeglicher hoeheren Bildung unfaehig. Nicht sie haben die Kultur, die Kultur hat sie von sich gestossen. Die Eingeborenen Tasmaniens, welche noch friedfertiger waren als die Neuhollaender, sind schon vernichtet. Auch hier war eine Verbrecherkolonie und was fuer Fruechte sie den Eingeborenen trug, zeigt folgende Geschichte: ein Straefling ueberredete einen Eingeborenen, dem er eine geladene Flinte gab, wenn er dieselbe in sein Ohr losdruecke, so wuerde er eine sehr angenehme Empfindung haben. Er machte ihm, was er zu thun habe, mit einer ungeladenen Flinte vor; worauf natuerlich der Eingeborene sich erschoss (Holman a voyage round the world [1827-1832] 4, 403). Auch sonst wurden sie, wie offiziell festgestellt ist, aufs schmaehlichste, wie wilde Thiere behandelt. Gleich bei der ersten Ansiedelung schoss ein Offizier zum Vergnuegen mit Kartaetschen unter die friedlichen Eingeborenen (Bischof, Sketch of the hist. of V. Diemensl. 204); andere Schandthaten gleicher Art kamen haeufig vor und erst seit 1810, sieben Jahre nach der Kolonisation ward festgestellt, dass die Ermordung eines Eingeborenen als Mord gelten und bestraft werden sollte (Hobarttown Almanak for the year 1830, 201). So erhoben sich endlich (1826) die erbitterten Eingeborenen zu einem Krieg auf Leben und Tod, in welchem sie gefaehrlich genug wurden, schliesslich aber--war doch auf das Einfangen eines Erwachsenen 5 Pfund, auf das eines Kindes 2 Pfund als Preis gesetzt (Van Diemensland Almanak for the year 1831 p. 161)--schliesslich unterlagen sie. Darwin, welcher auch der Meinung ist, dass ihre Vernichtung in dem "schaendlichen Betragen" der Englaender ihren Grund hatte, vergleicht den Krieg gegen sie mit einer der grossen ostindischen Jagden (2, 226). Besiegt wurden sie nach Flinders Insel deportirt (Darwin a.a.O.); 1848 verpflanzte man sie nach Oyster Cove im Canal d'Entrecasteaux und jetzt werden sie wohl, vor dem Hauche einer solchen Kultur, ganz ausgestorben sein (Melville the present state of Australia 1851 370, Nixon 18). 1815 betrug ihre Zahl noch 5000, 1835 (nach dem Kriege) noch 111, 1847 waren noch 13 Maenner, 22 Weiber und 10 Kinder uebrig; 1854 waren, nachdem 29 gestorben und kein Kind weiter geboren war, noch 16 uebrig (Petermann 1856, 441 nach dem Blaubuch). Nirgends fand Darwin die Vermehrung eines civilisirten ueber ein uncivilisirtes Volk auffallender wie hier: nirgends aber ist auch die Vernichtung der Eingeborenen roher und ruecksichtsloser betrieben, als in Tasmanien (Bischof, Sketch of the hist. of V. Diemensland 1832, appendix); wobei wohl in Anschlag zu bringen ist, dass alle diese Scheusslichkeiten im 19. Jahrhundert ausgeuebt sind. Sec. 18. Geographische Vertheilung der einzelnen Gruende fuer das Aussterben der Naturvoelker. Vergleichung dieser Gruende in Bezug auf ihr Gewicht. Sorglosigkeit der Voelker also gegen sich, in leiblicher und geistiger Beziehung: ihre Ausschweifungen, so wie der geringe Werth, welchen sie dem Menschenleben geben; Druck der einheimischen Fuersten; dann ihr leibliches und geistiges Verkommen durch die nothwendigen Einwirkungen einer uebermaechtigen und von ihnen nur theilweise angenommenen Kultur, so wie endlich die Mittel, welche die Kulturvoelker theils aus Rohheit, theils mit der Absicht gegen sie anwandten, sie auszurotten: diese Gruende waren es, welche wir bisher als Schuld an ihrem Aussterben bezeichneten. Natuerlich haben diese Gruende, wie wir schon sahen, nicht alle ueberall Geltung und es wird noethig sein, dass wir sie, inwiefern sie bei den einzelnen Voelkern wirksam waren, hier kurz zusammenstellen. In Tasmanien ist die Bevoelkerung lediglich in Folge des englischen Vernichtungskrieges gegen sie zu Grunde gegangen. Gleichfalls nur dem Einfluss der Europaeer und zwar der Spanier erlegen sind die Bewohner der Marianen und der Antillen: allerdings haben hier die Seuchen, welche im Gefolge der Europaeer ausbrachen, den Weissen die Blutarbeit wesentlich erleichtert: allerdings hat die tiefe Niedergeschlagenheit, welche sich der Eingeborenen bemaechtigte, wesentlich diese Krankheiten und das Aussterben befoerdert. Aber beides, Krankheiten und Melancholie, waren erst durch das Auftreten der Europaeer hervorgerufen; und gesetzt auch, die Seuchen haetten diese Voelker ohne die Europaeer ueberfallen, so wuerden sie dieselben wohl ueberwunden haben, wie ja auch die Bevoelkerung Mexikos das schwarze Erbrechen, welches schon vor Ankunft der Spanier in verheerender Weise wuethete, siegreich ohne bleibenden Nachtheil ueberstanden hat. Den Europaeern allein ist ferner das Verderben der Mexikaner und Peruaner zuzuschreiben: nur dass sie am Anfang unterstuetzt wurden von verschiedenen eingeborenen Staemmen und Voelkern, welche mit dem Hauptland in Feindschaft waren, bis auch diese nach und nach der europaeischen Bedrueckung erlagen. Der schlimme Einfluss der Weissen und die Seuchen, welche sie brachten, war es denn auch vornehmlich, welcher die Neuhollaender aufrieb, aber keineswegs dieser allein. Bei ihnen ist zweitens die schlechte Lebensweise, die dadurch veranlasste Unfruchtbarkeit der Weiber und Sterblichkeit der Kinder von sehr bedeutendem Einfluss, so wie drittens der Kindermord und viertens die mannigfachen Kriege und Feindseligkeiten der Staemme untereinander mit in Anschlag zu bringen sind. Die Ausschweifungen, die sich bei ihnen finden--den Trunk haben erst die Weissen gebracht--sind zu wenig verbreitet, als dass sie ins Gewicht fallen koennten. Auch die roheren Voelker Nord- und Suedamerikas wuerden wir wohl noch in derselben Anzahl jetzt vorfinden, wie vor 300 Jahren, wenn der Einfluss der Europaeer, der als Hauptgrund auch fuer ihr Aussterben anzusehen ist, nicht gewesen waere. Neben der Wirkung der europaeischen Waffen und Getraenke waren von schlimmstem Einfluss die Seuchen, welche von den Weissen (wie wir sahen oft mit der schaendlichsten Bosheit) eingeschleppt wurden, dann aber auch, ausser den direkten Vernichtungskriegen, das geistige und leibliche Verkommen der Eingeborenen in Folge der ploetzlich eingefuehrten Kultur und vor allen die tiefe Niedergeschlagenheit, welche sich der Indianer, als sie ihre Ohnmacht sahen und sahen, wie sie rechtlos zertreten wurden, bemaechtigte und die bei ihrer schon vorzugsweise melancholischen Natur doppelt gefaehrlich wirkte. Dazu kommen nun noch als gleichfalls sehr wichtige Faktoren zweitens die heftigen Kriege, die sie untereinander fuehrten, drittens die in Folge der Lebensweise geringere Fruchtbarkeit der Weiber und viertens in Suedamerika (in Nordamerika war beides zu wenig verbreitet) der Kindermord, die Ausschweifungen, namentlich der Trunk. Und hier muessen wir auf jene schon oben (S. 11) erwaehnte Beobachtung Tschudis zurueckkommen, dass amerikanische Voelker, nach einem sehr verheerenden Krieg, nach einer sehr schlimmen Epidemie sich nie wieder zu ihrer frueheren Kraft erhoeben, sondern hoechstens in diesem reducirten Zustand ein elendes Leben weiter fristeten. Diese betruebende Erscheinung ist leider nur allzunatuerlich. Denn wie ein menschlicher Organismus, der sich von einer furchtbaren Krankheit erholt, nur durch lange und sorgsame Pflege seine fruehere Kraft wieder zu gewinnen im Stande ist: eben so ist es der Fall bei ganzen Voelkern. Durch das von uns geschilderte mannigfache Elend aber, in welchem diese Staemme sich auch sonst noch befinden, werden alle ihre Kraefte schon auf die Erhaltung des Lebens, wie es nun einmal ist, absorbirt und es bleibt kein Ueberschuss uebrig fuer Wiederherstellung des Verlorenen oder Verletzten. Auch wird durch solche furchtbare Schicksale die Lebenskraft selbst schwer verletzt, indem bei so massenhaftem Elend nothwendig laehmende Melancholie oder Apathie eintritt. Die Fruchtbarkeit der Weiber, ja auch der Zeugungstrieb der Maenner wird durch den steten Druck der Sorge und Noth, der fast noch schwerer auf der Seele ruht als auf dem Leib, wesentlich beeintraechtigt; und ein Schlag, den diese Voelker, wenn sie sich in besserer, hoffnungsvollerer Lage befaenden, mehr oder minder leicht ueberwinden wuerden, muss jetzt nothwendig hoechst gefaehrlich, ja toedtlich auf sie wirken. Schaffte man das Elend, das leiblich und geistig auf ihnen lastet, weg--wozu indess ebenso viel Umsicht und Energie als Ausdauer und Zeit gehoerte--so wuerden auch solche reducirten Voelker sich heben und mit den Jahren, die man nicht allzu kaerglich bemessen duerfte, das werden, woran die suedamerikanischen Staaten denn doch keinen allzugrossen Ueberfluss haben: brauchbare und zuverlaessige Buerger. Die Indianerstaemme, welche man jetzt in den Waeldern verkommen laesst oder gar absichtlich mordet und ausrottet, sind ein Capital, was bei vernuenftiger Behandlung fuer die Zukunft reichlich Zinsen tragen wuerde und was man jetzt muthwillig und absichtlich vergeudet. Die Hottentotten sind gleichfalls hauptsaechlich der feindseligen Ausrottung durch Hollaender und Englaender erlegen: allein ihre Macht war, wie es scheint, schon durch fruehere Kriege mit den umwohnenden Voelkern gebrochen. Ihre elende Lebensart, Seuchen u.s.w. foerdern ihr Aussterben maechtig. Die Kamtschadalen und Aleuten sind den Vernichtungskriegen oder der muthwilligen Ausrottung durch die Russen, sowie den von ihnen eingeschleppten Seuchen erlegen: zweitens aber wirkten gleichfalls sehr die Ausschweifungen (in geschlechtlicher Hinsicht und durch den Trunk), denen sie ergeben waren. Sie waren durch dieselben entnervt und deshalb zum Widerstand nicht mehr stark genug. Die Polynesier dagegen haben sich wesentlich selbst zu Grunde gerichtet, zunaechst durch ihre unsinnigen geschlechtlichen Ausschweifungen (Tahiti, Hawaii); sodann durch den bei ihnen so furchtbar verbreiteten Kindermord, drittens durch die blutigen und verheerenden Kriege, die sie untereinander fuehrten, viertens durch die sinnlose Bedrueckung, welche die Herrschenden ueber die Beherrschten ausuebten und endlich fuenftens durch den geringen Werth, in welchem bei ihnen das Menschenleben stand. Sie waren schon im Aussterben begriffen, als die Kultur zu ihnen kam, und diese hat nur--einzelne Voelker, wo ihre Traeger groessere Schuld auf sich luden, abgerechnet--durch die physische und psychische Erregung, die sie bringen musste und wodurch ein sechster Grund fuer ihr Hinschwinden dazu kommt, das Uebel, welches diese Voelker wie ein schleichendes Gift durchdrungen hatte, zum rascheren Ausbruch und schnelleren Verlauf gebracht. Fragen wir nun, welche von allen diesen Ursachen war die verderblichste, so liegt gleich auf der Hand, dass dies das feindselige Auftreten der Weissen war, wie es ja auch bei fast allen Naturvoelkern gleichmaessig gewirkt hat und moechten wir die Angriffe auf das psychische Leben der Naturvoelker fast fuer verderblicher halten, als das Losstuermen auf ihre physische Existenz. Letzteres hat akuter gewirkt und laesst sich mit der Verwundung eines Organismus vergleichen: jene brachten, wie eine totale Vergiftung, ein zwar langsameres, aber viel tieferes, schwerer zu heilendes und weit allgemeineres Unheil hervor. Aber auch die Europaeer, trotz der Mittel, die sie anwandten, trotz der grossen Uebermacht ihrer Kultur, haben eine totale Ausrottung nur auf eng abgegrenzten Bezirken bewirkt, auf kleinen Inseln, auf Tasmanien, den Marianen, den Antillen: auf groesseren Gebieten reicht ihre Wirksamkeit nicht so weit, trotzdem sie hier noch manches andere unterstuetzt hat. Die leichte Empfaenglichkeit der Naturvoelker muessen wir, sowohl was Kraft der Wirkung, als auch was weite Ausdehnung derselben angeht, an zweiter Stelle erwaehnen. Die Krankheiten, welche scheinbar spontan bei der Beruehrung der Naturvoelker und der Weissen entstanden, so wie die, welche von letzteren zu ersteren eingeschleppt wurden, haben im Durchschnitt gewiss ein Drittel, wenn nicht mehr, der Eingeborenen Amerikas, Afrikas und des stillen Ozeans dahingerafft. Die dritte Stufe in dieser Reihenfolge der Verderblichkeit geben wir den Ausschweifungen. Allerdings haben sie minder allgemein geschadet als jenes Niedergeschmettert- oder Inficirtwerden von aussen her; aber fuer die menschliche Natur sind sie noch gefaehrlicher, weil sie die innersten Lebensnerven zerstoeren und wo sie wirksam sind, keine Rettung durch Flucht oder durch Besiegung des Feindes moeglich ist. Wir sahen die Polynesier, ein so glaenzend begabtes Volk, verkommen, trotzdem dass ihrer sich die Kultur im Wesentlichen freundlich angenommen hat: sie waren im Innersten angefressen durch die Ausschweifungen, denen sie sich hingegeben hatten und sie waeren auch ohne Beruehrung mit den Weissen und nach und nach immer rascher durch ihre eigenen Laster zu Grunde gegangen. Die Betrachtung der Polynesier lehrt uns die Gefahr der Ausschweifungen fuer ganze Voelker erst richtig ermessen. Viertens muss der Kindermord genannt werden, welcher vor allen Dingen in Polynesien und in Suedamerika heimisch war, so wie ueberhaupt der geringe Werth, welchen man dem Menschenleben beimisst. Dass aber letzteres allein ein Volk nicht wesentlich zurueckbringt, beweist das Beispiel des Fidschiarchipels. Nirgends wird durch Menschenopfer, Krieg, Kannibalismus u. dergl. mehr Blut vergossen und Leben verschwendet als hier; und dennoch gehoeren diese Inseln zu den bevoelkertsten der Suedsee und ein Aussterben wird auf ihnen nicht bemerkt. Die Kriege haben zwar mancherlei Schwankungen unter den Naturvoelkern herbeigefuehrt, auch wohl einzelne Staemme ganz aufgerieben, aber doch nirgends so gewirkt, dass wir sie in erster Reihe aufzufuehren haetten. Ebenso ist es mit der elenden Lebensweise der meisten dieser Voelker, welche zwar ihr froehliches und kraeftiges Gedeihen hindern konnte, nirgends aber, so weit unser Material der Beobachtung reicht, eine voellige Vernichtung herbeigefuehrt haben. Bei alle den roheren Nationen fanden wir auch vor der Beruehrung mit den Europaeern die Kopfzahl nie sehr hoch und hierfuer war eben ihre wandernde und kaergliche Lebensart der Grund. Beides nun, das schlechte Leben und die verhaeltnissmaessig geringe Volksmenge unterstuetzen jedes andere ueber ein Volk hereinbrechende Uebel immer in so fern, als sie das Volk um so rueckhaltsloser und rascher unterliegen lassen. Und aehnlich ist es mit allen den uebrigen von uns angefuehrten Gruenden, die alle erst dann wirksam werden, wenn sie mit anderen verbunden auftreten. Hierher gehoeren auch die unvermeidlichen Folgen der zu rasch herein brechenden und nur halb angenommenen Kultur, welche wir in so mancher Beziehung fuer die Naturvoelker schaedlich fanden. Allein wohl nimmermehr waeren diesen Folgen, den Veraenderungen im leiblichen und geistigen Leben, der gewaltigen geistigen Anstrengung, welche die Kultur verlangte, diese Voelker erlegen, wenn nicht andere Ursachen hierfuer wirksam waren, zu denen dann freilich sich auch jene Folgen der Kultur als wirksamer sekundaerer Grund hinzugesellten. Haette sich die Annaeherung der Kultur, wenn auch rasch, aber friedlich vollzogen; haette sie gesunde Voelker getroffen, so wuerde bei diesen, aehnlich wie bei den alten Germanen, eine Zeit des Stillstandes eingetreten, dann aber ein neues kraeftiges Leben erblueht sein. Wo die Verhaeltnisse nur annaehernd normal waren, finden wir diesen Gang der Ereignisse, wie wir im Folgenden naeher betrachten werden. Aus dem Vorstehenden folgt ein wichtiges Gesetz: nie ist es eine Ursache allein, welche ein Volk vernichtet, sondern stets mehrere zusammen, von denen allerdings eine im Vordergrund stehen kann. Auch die Ausrottung der Marianer, Tasmanier und der antillischen Bevoelkerung bildet keine Ausnahme, da man hier die Begrenztheit des Terrains als zweiten Grund, in Tasmanien Charakter und Lebensart der Bewohner als dritten in Anschlag bringen muss. Wo nur eine der genannten Ursachen wirkt, oder auch mehrere der untergeordneten, da tritt, soweit jetzt menschliche Geschichte und Beobachtung reicht, kein Aussterben ein; so halten sich die Feuerlaender trotz ihres elenden Lebens: so bestehen die Fidschis weiter trotz der auch zu ihnen maechtig eingedrungenen Kultur, trotz der massenhaften Menschentoedtung; und so kann man dies weiter verfolgen. Diese Erscheinung ist anthropologisch bedeutsam, weil sie wie keine zweite die zaehe Lebensfaehigkeit der Menschheit und zugleich beweist, dass diese Lebenskraft in allen Zweigen des Menschengeschlechtes gleichmaessig vertheilt ist, ja bei den Naturvoelkern eher staerker, wie bei den kultivirten Nationen auftritt, welche letzteren, weil sie feiner organisirt sind als die unkultivirten Menschen, auch bei weitem weniger zu ertragen im Stande sind. Denn wenn wir fragen: sind die angefuehrten Ursachen stark genug, um das Hinschwinden ganzer Voelker zu veranlassen? so muessen wir antworten: sie sind es reichlich und im Uebermass, jede einzelne schon und nun gar mehrere vereint. Ist es nicht ein wahres Wunder, dass der Naturmensch in einem Lande wie Neuholland sich hielt, wo Europaeer trotz aller Ausruestungen meist so rettungslos verloren sind? Und noch dazu sich hielt in den ewigen Kriegen mit seines Gleichen, unter den unguenstigen Einfluessen der eigenen mangelhaften Kultur? oder der Polynesier auf seinen kleinen oft so unfruchtbaren Inseln inmitten des ungeheuersten aller Ozeane, und auch er ewigem Krieg und Kindermord und den entnervendsten Ausschweifungen unterworfen? Nicht ein Wunder, dass nach den furchtbaren Vernichtungskriegen durch die Weissen nicht eines dieser Voelker vollkommen vertilgt ist, ausser kleinen Staemmen? Gewiss, wenn wir dies alles ueberdenken, werden wir nicht von der Lebensunfaehigkeit der Naturvoelker, sondern vielmehr von ihrer ausserordentlichen Lebenskraft und Unverwuestlichkeit uns ueberzeugen muessen. Und so ist hier der Ort, auf die Frage zurueckzukommen, zu welcher wir durch Waitz veranlasst waren: sind wir wirklich zu dem Gestaendniss genoethigt, dass uns das Aussterben der Naturvoelker vollstaendig zu erklaeren noch nicht gelingt? Wir sind es nicht. Wenn man der Geschichte jedes einzelnen Volkes folgend fragt, wie kommt es, dass es dahin siecht und schwindet, wir werden immer vollkommen erschoepfend die Gruende erkennen, welche stets dem von uns zusammengestellten Kreis angehoeren werden. Diese erklaeren das Aussterben der Bevoelkerung so vollstaendig, dass zu irgend welchem Raethselhaften nicht der mindeste Platz bleibt, sobald man nur die einzelnen Gruende in ihrer physischen und psychischen Wirksamkeit sich mit genuegender Consequenz vor Augen fuehrt. Doch ist wohl zu beachten, dass auch die Unverwuestlichkeit dieser haerteren Voelker ihre Grenze hat. Wir sahen in Neuholland einen Menschenstamm, der von frueher besserem Zustand herabgesunken scheint; dasselbe ist der Fall mit Mikronesien und dem eigentlichen Polynesien, sowie mit den Hottentotten. Am weitesten vorgeschritten war der Verfall bei den Polynesiern: daher sie denn bei verhaeltnissmaessig leichtem Anstoss von aussen her rasch und viel unaufhaltsamer zusammenbrechen, als z.B. die Melanesier oder Hottentotten und andere Voelker. Dieser Verfall musste, wenn seine Ursachen, die Ausschweifungen, Kriege und Vergeudung der Menschenleben, wirksam blieb, immer rascher weiter gehen und so waren sie jedenfalls verloren--wenn sie nicht von aussen her gerettet wurden und das hat, so weit es noch moeglich war, die Kultur im Grossen und Ganzen gethan. Und moegen wir auch noch so sehr beklagen, wie die Europaeer sich den meisten Naturvoelkern gegenueber benommen haben: das muessen wir anerkennen, dass alle diese unkultivirten Voelker, wenn sie in ihrem Naturzustande noch Jahrhunderte weiterlebten, einem zwar sehr langsamen, aber sicheren Untergang, dessen Keime sie in sich selbst trugen, entgegengingen. Sie hatten sich keine Herrschaft ueber die sie umgebende Natur errungen: sie lebten ausschweifend, nur ihren Geluesten hingegeben, unregelmaessig, ohne Gedanken in die Zukunft, in gewaltigster Traegheit; Kriege, Rache u.s.w. waren bei ihnen feste Sitten; der Aberglaube, der so haeufig Menschenopfer verlangte, beherrschte sie ganz; ihr psychisches Leben war wenig, die intellektuelle Thaetigkeit nur nach praktischer Seite hin entwickelt. Diese Zuege ihres Wesens mussten aber im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende immer starrer und unueberwindlicher werden: und es ist keine Frage, dass sie ihnen einst, frueher oder spaeter, denn wer mag das Ende dieser Zeit bestimmen, erliegen mussten. Die Natur, in welcher sie lebten, bot kein erziehendes Moment von durchgreifender Macht; und haette sie es durch irgend welche Veraenderungen ihnen noch geboten, sie waren nicht mehr im Stande, es sich zu nutze zu machen, da sie durch und in Jahrtausende langer Gewoehnung erstarrt waren. Sollten diese Voelker also gerettet werden, so war ein ploetzlicher Anstoss, es war das Eingreifen der Kultur nothwendig; und obwohl dieselbe ihre Aufgabe so blutig geloest hat; so ist diese Nothwendigkeit doch ein Gedanke, der ueber das viele Blut und Elend, das sie oder vielmehr ihre Traeger schufen, einigermassen troestet. Sec. 19. Vergleichung der Natur- und Kulturvoelker in Bezug auf ihre Lebenskraft. Da sich nun aus allen diesen angefuehrten Gruenden das Aussterben der Naturvoelker vollkommen erklaert, ja da die Art ihrer Wirksamkeit uns erst recht die Lebenskraft des Menschengeschlechtes beweist: so faellt damit schon von selbst die Annahme, als ob die Naturvoelker "von der Natur zum Untergange bestimmt" geringer organisirt seien als die Kulturvoelker. Dies wird sich ganz klar und unwiderleglich zeigen, wenn wir die Wirksamkeit derselben Gruende auf die europaeischen Nationen betrachten. Wir werden dort ganz genau denselben, ja einen noch weit schlimmeren Erfolg derselben sehen. Alles, was Caesar den Galliern zufuegte, die Verwuestung des Landes, die grossen Verluste an Menschenleben, das Zertreten des Nationalgefuehls, alles das ist doch wahrlich nicht zu vergleichen mit dem, was Mexiko z.B. oder die Nordamerikaner litten: und dennoch war durch Caesar in nicht 10 Jahren das gallische Volk, das er freilich schon herabgesunken vorfand, so sehr gebrochen, dass es seine Selbstaendigkeit bis auf die Sprache verlor. Allerdings hatten die italischen Buergerkriege Italien etwa 70 Jahre auf das grauenvollste verwuestet; aber nach ihnen finden wir auch das Land im Innersten gebrochen und die Macht des roemischen Staates auf Heeren von Fremdlingen beruhend; erst massenhaft versetzt mit frischen germanischen Elementen und auch da erst nach langer Ruhe hebt sich die italische Bevoelkerung, nun ein ganz neues Volk, wieder empor. Und doch waren auch seine Leiden viel geringer als die der Amerikaner. Und die Griechen! Warum haben sie aufgehoert ein historisch bedeutendes Volk zu sein? weil sie entnervt waren von den scheusslichsten Ausschweifungen und ihre letzte Kraft zertreten wurde zuerst durch die Stuerme der Voelkerwanderung und dann durch das tuerkische Joch. Aber welche Hoehe hatten die Griechen einst inne--und es ist nicht zu viel gesagt, wenn man jetzt die Durchschnittsbildung der Griechen gleichstellt mit der etwa der uebriggebliebenen Mexikaner. Der 30jaehrige Krieg, welcher doch im Anfang nur lokal und nie ohne Unterbrechungen wuethete und mit allen seinen Greueln und seiner Dauer durchaus nicht das, was die Naturvoelker zu leiden hatten, erreicht, welche grenzenlose Verwuestung hat er in der Bevoelkerung unseres Vaterlandes angerichtet! Ernstlich war durch ihn die deutsche Nation in ihrer Existenz gefaehrdet und es ist ja eine vielfach ausgesprochene Wahrheit, dass einmal unser Nationalcharakter durch diesen furchtbaren Krieg mannigfach veraendert und herabgedrueckt ist, andererseits wir noch bis auf den heutigen Tag mit der Heilung der Wunden, welche er unserem socialen und politischen Leben geschlagen hat, zu thun haben. Sehen wir so an diesen wenigen historischen Beispielen dieselben Ursachen bei den kultivirten Nationen noch staerker wirken, als bei den Naturvoelkern: so wird eine kurze psychologische Betrachtung uns dasselbe lehren. Obwohl wir eine Religion haben, welche den Glaeubigen Trost gewaehrt auch im schlimmsten Unglueck, obwohl wir durch die Kultur so manches Huelfsmittel auch fuer bedraengte Lagen haben: so wirken doch auf uns eine Menge Dinge, welche auf die Naturvoelker noch gar keinen und eine Menge anderer, welche auf sie weit geringern Einfluss haben. Wir sind in unserm leiblichen Leben verzaertelt, an eine Menge Bequemlichkeit gewoehnt, die wir nicht entbehren koennen; wir sind geistig viel empfindlicher und ein Niederwerfen dessen, was uns heilig ist, drueckt uns mit zu Boden. Liebe zu den Verwandten, Scham, kurz eine ganze Reihe maechtiger geistiger Faktoren haben bei den Kulturvoelkern eine solche Herrschaft uebers Leben, dass, wenn sie ernstlich verletzt werden, das Leben mit bedroht ist, und man kann wohl sagen, je gebildeter ein Volk ist, um so rascher muss es in fortwaehrendem Unheil sich verzehren. Wenn wir z.B. nur bedenken, welche Wirkungen das Gefuehl eines ohnmaechtigen Ingrimms, das laengere Zeit immer in uns erneut wuerde, auf uns haben muesste, wie jeder Einzelne an sich abnehmen kann, so werden wir einmal ermessen koennen, wie dasselbe Gefuehl auf die Naturvoelker eingewirkt haben muss, bei welchen es durch so furchtbare Misshandlungen fortwaehrend erneut wurde und es sehr begreiflich finden, wenn sie schon durch dieses allein zu Grunde gegangen waeren; wir werden einsehen, was die gebildeten Mexikaner und Peruaner gelitten haben und warum gerade sie so rasch mit dem Sturze ihrer Bildung zu Grunde gingen; wir werden aber andererseits zugestehen muessen, dass wir unter aehnlichen Verhaeltnissen wohl viel weniger Widerstandskraft haben wuerden, als jene Voelker, und gewiss jetzt erst recht aufhoeren von einer besonderen Lebensunfaehigkeit der Naturvoelker zu sprechen, da wir dem Unheil, welchem jene unterliegen, viel rascher unterliegen wuerden. Ja, wir wuerden nach Gruenden suchen muessen, wie es kommt, dass jene Voelker eine groessere Widerstandsfaehigkeit haben wie wir; und finden dieselben in ihrer groesseren leiblichen Abhaertung, sowie in ihrer geringen geistigen Empfindlichkeit, welche immer mit geringer Geistesentwickelung Hand in Hand geht.--Wenn wir nun dennoch die Kulturvoelker wohl ohnmaechtig und geschichtlich unbedeutend werden, aber nicht eigentlich verschwinden sehen, so kommt dies daher, dass sie gerade in solchen Zeiten der Gefahr mit neuen Menschenschaaren durchsetzt werden. Die Verwuester Italiens, die Germanen, liessen sich massenhaft in den bluehenden Fluren des besiegten Landes nieder; ebenso die Bulgaren in Griechenland u.s.w. Oder die schon bestehende Kultur bietet neue Huelfsmittel, wohin man auch das Einwandern zahlreicher Franzosen in unser Vaterland nach dem 30jaehrigen Krieg rechnen mag. Beispiele von Kulturvoelkern, die voellig vernichtet sind, wie ihre Kultur, bietet die Geschichte von Kleinasien. Es faellt von hier aus noch einmal ein Blick auf die Eintheilung, nach welcher Carus die Menschen betrachtet; man sieht auch hier, wie wenig stichhaltig sie ist, denn seine Tagmenschen haben keine groessere Widerstandsfaehigkeit, als seine Nacht- oder Daemmerungsmenschen; und waehrend er behauptet (17), dass die westlichen Daemmerungsvoelker, die Amerikaner, "wirklich dem Untergange zugewendet" seien, so sehen wir die Tagvoelker noch rascher ihrem Untergange zueilen, schon wenn sie durch weit mildere Schicksale heimgesucht werden.--Auch die Eintheilung der Menschheit in aktive und passive Voelker, wie sie Klemm und Wuttke geben (Waitz 1, 344) hat ihr sehr Bedenkliches; sie ist falsch, wenn man in groesserer Aktivitaet zugleich nach jeder Richtung hin groessere Kraftentwickelung sieht, denn die "aktiven" Voelker (die Kulturvoelker) zerbrechen im Unglueck viel leichter, als die zaeheren und haerteren Naturvoelker; sie ist ferner falsch, wenn man sie als in der urspruenglichen Natur der Menschheit begruendet, wenn man also Aktivitaet oder Passivitaet als verschiedenen Voelkern angeboren ansieht: denn von Haus aus gleich organisirt hat sich die Menschheit durch verschiedene Naturumgebung, verschiedene Schicksale u.s.w. im Lauf der Jahrtausende so verschieden entwickelt, wie wir sie in geschichtlicher Zeit vorfinden. Sec. 20. Aussterbende und ausdauernde Naturvoelker. Wenn die Annahme einer minderen Lebensfaehigkeit ganzer Voelker richtig waere, so muesste doch bei allen diesen Voelkern sich jenes Hinschwinden gleichmaessig zeigen. Wie kommt es aber, dass eins ausstirbt und das andere dicht daneben nicht? ja, dass von ein und demselben Volke der eine Zweig abstirbt, der andere ungefaehrdet weiter lebt? Und auch das findet sich oft. Die Tonganer sterben nicht aus und sind Polynesier wie die Tahitier, Maoris oder Kanakas; die meisten mikronesischen Inseln (so namentlich der Gilbertarchipel) haben eine dichte Bevoelkerung, die Kusaier sterben aus; und beide, Mikro- und Polynesier, sind nur ein Zweig des grossen malaiischen Stammes, bei welchem ein solches Hinschwinden, die kleine Insel Engano und einige elende in die Gebirge gedraengte Staemme ausgenommen, sonst doch nirgends bemerkt wird. Die Kamtschadalen sterben aus, die uebrigen Nordasiaten, ihre nahen Verwandten, nicht. Doch vielleicht waren hier jene von uns besprochenen Gruende des Aussterbens nicht in Thaetigkeit? Allein waehrend die uebrigen Melanesier an vielen Punkten sich vermindern, bleiben die Fidschis, trotz des europaeischen Einflusses, trotz ihrer Kriege und Menschenopfer, kraeftig und bei voller Zahl. Noch aerger fast als alle anderen Voelker sind die Neger bedrueckt von einheimischen und fremden Tyrannen; und waehrend sie fuer einen der fruchtbarsten Staemme gelten, der gar nicht zu vermindern ist, sterben die Neuhollaender, nach dem Kaertchen bei Carus Nachtmenschen wie sie, aus--welchem Fall freilich der ethnologische Unsinn, afrikanische und melanesische Neger zu einer Race zu vereinigen, der sich indess nicht bei Carus allein findet, die Beweiskraft nimmt. Aber die anderen Beispiele zeigen vollkommen schlagend, wie irrig die Ansicht ist, dass die hinschwindenden Voelker in Folge der Inferioritaet ihrer Race ausstuerben; daher wir dabei nicht zu verweilen brauchen. Wenn unsere Ansicht aber stichhaltig ist, so muss sich nachweisen lassen, dass da, wo die Gruende, aus denen wir das Aussterben der Naturvoelker erklaeren, nicht eintreten oder beseitigt werden, dass da die Voelker gedeihen, sich weiter entwickeln oder sich wieder erholen, ja selbst die so gefaehrliche Kultur ueberwinden und sich zu ihr, wenn auch nur sehr allmaehlich, emporheben koennen. Und der Nachweis ist leicht. In Afrika beweisen es die Hottentotten der herrnhutischen Kolonie Baavianskloof, welche Lichtenstein schildert. 1799 betrug die Zahl ihrer Lehrlinge (Licht. 1, 247) 100; das Dorf, worin sie wohnten, glich mit seinen 200 Haeusern, seinen Gaerten, seinen geraden Strassen ganz einem deutschen Dorfe; die Hottentotten waren tuechtig im Feld- und Hausbau und zu allem dem gebracht ganz ohne andere Strafe als Ausschliessung vom Gottesdienst (251). Die Taufe erhielt man freilich nur als hoechste Belohnung fuer Thaetigkeit, Rechtschaffenheit und Froemmigkeit und allerdings fand Lichtenstein noch keine Hottentotten unvermischten Blutes, sondern nur Mischlinge getauft; aber da sich die Herrnhuter bemuehten, sie "erst zu Menschen und dann zu Christen" zu machen (eb. 253), so hob sich die Colonie immer mehr, so dass von der Zeit nach 1828 der Bericht lautet: "Die frei gewordenen Hottentotten fingen an mehr fuer die Zukunft zu sorgen, der Landbau wurde eifrig betrieben und durch kuenstliche Bewaesserung verbessert, Maessigkeit und Sittlichkeit, die Zahl der regelmaessigen Ehen, der Besuch und die Sorge der Eltern fuer die Erziehung der Kinder war im Steigen begriffen und es bedurfte dazu keiner Unterstuetzung von aussen" (Waitz 2, 337). Dies ist allerdings nur von einem kleinen Distrikt gesagt; aber wo hat man sich sonst auch mit demselben Verstand und derselben Ausdauer der Hottentotten so redlich angenommen? Wo man das thut, da gedeihen sie und werden brauchbare Menschen (vergl. W. 2, 341). In Amerika haben die Cherokees, die Algonkins, die Irokesen und andere Voelker deutlich genug bewiesen, dass auch die Indianer der Erhebung und Kultivirung faehig sind. Die Irokesen sind seit 1820 "bedeutend fortgeschritten im Ackerbau, Hausbau und den mechanischen Kuensten ueberhaupt; sie besuchten die Kirche regelmaessig, viele von ihnen waren im Lesen, Schreiben und Rechnen so weit gekommen, dass sie Schullehrer werden konnten, einige andere sogar respektable Geistliche" (Waitz 3, 291 mit d. Quellen). Sie hatten das Mohawk zur allgemeinen Verkehrssprache im Gebrauch und nach Schoolcrafts Bericht fuer 1845 war ihre Volkszahl im Wachsen (a.a.O.). Ebenso hatten die Ottawa, ein heidnischer Algonkinstamm, sowie die Sauk und noch mehr die Delaware grosse Fortschritte gemacht; sie leben ganz von dem Ackerbau, den sie sehr eifrig und tuechtig betreiben, sowie vom Handel mit den Produkten ihrer Felder (292-93): ihre Zahl ist im Wachsen (294). Noch mehr war dies Alles der Fall bei den Cherokees, deren Volkszahl in den Jahren 1819 bis 1825 von 10,000 auf 13,500 nebst 200 Weissen und 1300 Negersklaven anwuchs. Schon vor 1820 waren sie sehr tuechtige Ackerbauer, welche im Laufe von 8 Jahren (M'Kennay bei Waitz 3, 294) die Wildniss in einen Garten umschufen. Schon um 1773 hatten sie 43 Staedte und ihre Bildung war schon damals nicht unbedeutend (Bartram 353-60); seit 1796 waren Baumwollenmanufakturen bei ihnen errichtet, Luxusgegenstaende traf man hin und wieder und Einzelne hatten ein nicht unbedeutendes Privatvermoegen. Die Polygamie wurde abgeschafft; ihre Kinder zeigten sich "sehr lenksam, anhaenglich und bildungsfaehig" (Waitz 3, 295). 1820 fuehrten sie geschriebene Gesetze und eine Repraesentativverfassung ein. Der oberste Haeuptling, dem nebst einem hohen Rath die Exekutive zusteht, soll alle zwei Jahre das Land bereisen, um dessen Zustand kennen zu lernen. Die richterliche Gewalt wird vom obersten Gerichtshofe, dem wandernden Gericht und von Friedensrichtern ausgeuebt. Geschworenengerichte und drei Instanzen sind eingefuehrt, die Richter nur durch den Willen beider Haeuser absetzbar. Es herrscht allgemeine Religionsfreiheit, doch kann Niemand ein Amt bekleiden, der nicht an Gott und an Vergeltung in einem kuenftigen Leben glaubt" (Waitz 3, 295-96). Es wurde dann ein Alphabet von 85 Zeichen 1821 von einem Cherokee erfunden und bald war die Kunst des Lesens und Schreibens unter ihnen allgemein; seit 1828 erschien eine periodische Zeitschrift in ihrer Sprache. Auch diese aufbluehende Kultur hat man nicht geschont; man hat auch die Cherokees, trotz ihres heftigen Widerstrebens, ueber den Missisippi vertrieben. Allein obwohl ihre Kultur dadurch im hohen Grade gefaehrdet wurde, so unterlag sie nicht; sie erhob sich bald wieder und seit 1841 allgemeiner wie frueher (296). Ebenso verhaelt es sich mit den Choktaw, den Creek und einigen anderen Voelkern, ueber die Waitz (296-99) ausfuehrlichere Nachrichten gibt. Ebenso in Suedamerika: die Volkszahl der Abiponer nahm nach Dobrizhofer bedeutend zu, als das Verstossen der Weiber, der Kindermord und die Polygamie abgeschafft wurde (Waitz 1, 164); in Guatemala (nach einem Bericht von 1771) vermehrten sich die Eingeborenen trotz des schweren Drucks der Spanier so sehr, dass diese sie zu fuerchten anfingen (eb. 163). In Mexiko bilden nach Humboldt die Eingeborenen noch immer fast die Haelfte der Einwohner (b, 3, 9) and in dieser Zahl haben sich die Indianer ueberall erhalten, wo die Spanier organisirte Reiche vorfanden (eb. 3, 8); die einheimische Bevoelkerung ist im Steigen (derselbe a 1, 83 und 107) und zwar in Folge eigenes Wohlstands, nicht fremden Zuwachses (eb. 105) und diese "fuer die Menschheit sehr troestliche" Zunahme der indianischen Bevoelkerung beweist Humboldt durch speciellere Angaben a, 5, 6; 4/7 der gesammten Volkszahl sind Indianer (Waitz 4, 195). Auch in Polynesien finden wir sehr wichtige Erscheinungen der Art. Von Hawaii sagt Jarves 371-72: die Kultur zerstoert im Anfang; nachher wirkt sie segensreich; so war auch auf den Sandwichinseln die Entvoelkerung unter Tamehameha I. und Liholiho groesser als in spaeterer Zeit. "In dem Verhaeltniss, in welchem Christenthum und Civilisation waechst, vermindert sich die Sterblichkeit. Allerdings sind ihre Wirkungen jetzt noch zu neu, um ihre Endresultate vorherzusagen, aber man kann sicher hoffen, dass, wenn die boesen Einfluesse aufhoeren und anderen Platz machen, gute Ergebnisse folgen werden. Der Despotismus der Fuersten ist voellig abgeschafft und Gesetze wirken fuer das Anwachsen der Bevoelkerung. Familien mit 3 Kindern sind von den Abgaben befreit; die, welche mehr haben, bekommen Land und andere Geschenke, um sie zu heben. Die Abgaben, obwohl immer noch hoch, sind gleich vertheilt und fuer das Volk erleichtert. Ein Nationalgeist ist erwacht, Schulen und Kirchen gegruendet, regelmaessige Handelsverbindungen und Gewerbe haben sich gebildet: kurz das gerade Gegentheil der moralischen Versunkenheit, in welcher noch vor Kurzem das Volk sich befand, faengt an sich zu entwickeln; medizinische Kenntnisse und aerztliche Huelfe verbreitet sich; Kleidung, Wohnung bessern sich allmaehlich. Freilich ist dies nur die Morgenroethe eines besseren Tages: aber schon zeigt sich deutlich genug, dass Christenthum und Bildung durch die Einwirkung der amerikanischen Mission und die Intelligenz der Fremden diese segensreichen Folgen haben. Noch schlagender zeigt sich das daraus, dass Kinder und Erwachsene, welche die Schulen besuchen und unter der unmittelbaren Leitung der Missionaere stehen, sich einer ausgezeichneten Gesundheit erfreuen und rasche Fortschritte machen. Dasselbe gilt von den Eingeborenen, welche unter dem Einfluss europaeischer Familien stehen." Nach Virgin (1, 300) freilich scheint die Entwickelung nicht allzurasch weiter gegangen zu sein; doch auch er gibt an, dass vor 1820 die Abnahme der Bevoelkerung staerker gewesen sei, als nachher, und dass die Missionen an verschiedenen Punkten die Abnahme ins Stocken gebracht haben durch moeglichstes Hinwegraeumen der boesen Ursachen, welche sie veranlassen. Auch Waitz 1, 177 erwaehnt einige Inseln und Distrikte dieser Gruppe, wo die Bevoelkerung nicht nur nicht abnimmt, sondern in nicht ganz unbedeutendem Anwachsen begriffen ist. Ganz ebenso ist es in Tahiti. Auch hier hat die Volkszahl gleich nach dem ersten Zusammenstoss mit den Europaeern sehr abgenommen, von 16,000 (Wilson) bis auf 8000 (Ellis) oder 9000 (Wilkes), denn Turnballs 5000 ist eine uebertrieben niedrige Angabe. Nachher aber ist die Zahl gleich geblieben oder eher gewachsen; Virgin wenigstens gibt sie fuer 1852 auf 10,000 an (2, 41). Auf Raiatea dagegen nimmt die Bevoelkerung stark zu (Waitz 2, 167 nach Journ. R. geogr. soc. III, 179). Auch Ellis (um 1830) sagt 1, 169, dass vor 1819 das Abnehmen der tahitischen Eingeborenen noch stark gewesen sei: 1819-20 seien Todesfaelle und Geburten einander gleich gewesen und von da ab habe die Volkszahl stark zugenommen. Mag Ellis auch, der so eifrig fuer das Wohl der Insel thaetig war, seine Hoffnungen auf jene Angabe vielleicht etwas mit haben einwirken lassen: bloss auf Uebertreibung beruht eine so sichere Behauptung eines so zuverlaessigen Beobachters nicht. Allerdings klagt der franzoesische Commandant der Insel, de la Ronciere, in seinem Bericht vom Dezember 1866 (Globus 12, 60-61) ueber die Traegheit, Indolenz und Flatterhaftigkeit der Bewohner; allein wenn man die Vorgaenge waehrend und nach der franzoesischen Okkupation der Insel und die ganze Haltung der Franzosen wenigstens in der ersten Zeit ihres Aufenthalts bedenkt, so ist es nur allzu begreiflich, dass die Entwickelung der Insel durch sie nicht eben gefoerdert ist. Doch sind wir, wenn man sich wirklich ernsthaft und ausdauernd der Eingeborenen annimmt, auch fuer sie zu guten Hoffnungen berechtigt. Was wir von Neuseeland zu berichten haben (nach Hochstetter 482-497) ist noch merkwuerdiger. Gegen den Einfluss der Fremden bildete sich eine Nationalpartei unter den Eingeborenen, welche, da sie Gott ebenso nah staenden als die Weissen, mit diesen gleiche soziale und politische Rechte verlangten. 1857 erwaehlten die Maoris, von diesen Gesichtspunkten ausgehend, einen Koenig, den als Krieger und Redner beruehmten Potatau, der sich den zweiten Friedenskoenig nach Melchisedek nannte, sich thatkraeftige Haeuptlinge, so vor allen den Maori William Thompson aus dem Stamm der Ngatihua, als Minister auswaehlte, und seinen Herrschersitz zu Ngaruawahia, an der Hauptwasserstrasse ins Innere, an den Thoren von Aukland in vortrefflich ausgesuchter Lage nahm. Die Grundprinzipien des Koenigthums sollten Glaube, Liebe und Gesetzlichkeit sein. Man beschwerte sich bitter ueber die englische Regierung, welche sich gar nicht um die Maoris kuemmere, die Haeuptlinge nicht standesgemaess behandele, zwar Protokolle ueber ihr Aussterben fuehre, aber nichts dagegen thue; man habe die eingefuehrten Waaren mit ungerechten Abgaben gedrueckt, indem z.B. wollene Decken nach dem Gewicht wie Seide und Spitzen versteuert wuerden; Munition und Waffen verkaufe man ihnen gar nicht, um so lieber aber Spirituosen. Und zu dem Allen benaehmen sich die Europaeer so hochmuethig und grob! Diese Nationalpartei, welche sehr beredte Agenten im Lande umherschickte, fand ueberall rasch Anhaenger; auch die Weiber und Maedchen theilten ihre Gesinnungen. Freiwillige Abgaben fuer den Koenig floessen regelmaessig und reichlich und dieser schlichtete zu Ngaruawahia alle Streitigkeiten der Eingeborenen, trieb auch von den unter ihnen lebenden Europaeern Abgaben ein und legte einen Zoll auf die an seiner Stadt vorbeipassirenden europaeischen Schiffe; sein Einfluss war bald so gross, dass sich auch die Missionaere, wenn sie etwas gegen einen Maori vorzubringen hatten, an ihn wandten. Aehnliche Ziele hatte die Landligue, eine Vereinigung der Maorifuersten, um den Landverkauf zu verhueten, welchen die einheimische Regierung aeusserst ungern sah. Es war klar, dass die Kolonialverwaltung durch diese selbstaendige Entwickelung, namentlich aber durch die Beschraenkung der Landkaeufe, welche, um gueltig zu sein, erst die Bestaetigung des Maorikoenigs nach der Auffassung der Eingeborenen bedurften, in arge Verlegenheit kommen musste. Daher erkannte denn England diese Beschraenkung des Landverkaufs durch die Maorigesetze nicht an und so musste es zum gewaltsamen Zusammenstoss kommen. Dies geschah unter Potatau II., dem Sohne Potataus I.; den 17. Maerz 1860 begann der Krieg, in welchem die Maoris sich nicht nur ausserordentlich tapfer, sondern auch so umsichtig bewiesen, dass sie den Englaendern empfindliche Niederlagen beibrachten. Der Nationalpartei schlossen sich jetzt alle Maoris, auch die frueher laessigen, an; es ist besser, hiess es, fuers Vaterland zu sterben, als unterjocht von Fremden zu leben. Auch im englischen Parlament erhoben sich Stimmen fuer sie, so vor allen die Martins, des Bischofs von Aukland. William Thompson war alleiniger Anfuehrer dieses Krieges und seiner Stelle sehr gewachsen; denn der Kampf, der von den Maoris hauptsaechlich als Guerillakrieg gefuehrt wurde, konnte nur durch die englischen Kanonen und die englische Uebermacht (1861 hatten die Englaender 12,000 Mann zusammen) mehr und mehr zu Gunsten der Englaender gewendet werden. Indess kam es durch Einfluss der Missionaere und durch den an Brownes Stelle gesandten Lord Grey zur friedlichen Vermittlung. Wir sehen also auch hier Anfaenge, bedeutend genug, um in kurzer Zeit die Gruende, auf welchen wir das Aussterben der neuseelaendischen Eingeborenen beruhend fanden, zu beseitigen. Es ist sehr traurig, dass diese nationale Erhebung von englischer Seite gleich im Anfang geknickt oder wenigstens gehemmt ist: doch ist die Hoffnung nicht aufzugeben, dass sie abermals auch diesen Stoss ueberwinden wird. Die Hauptsache wird sein, dass sie selber Muth und Zuversicht gewinnen, dann werden sie die Kultur sich nicht bloss aeusserlich und auf eine Weise, die ihnen nur schadet, aneignen, sondern sie werden sich, da sie stets sich sehr faehig gezeigt haben, an ihr emporheben und ein neues Leben zu fuehren im Stande sein. Zu dieser Hoffnung berechtigt auch die innige Religiositaet, welche die meisten der neu und wahrhaft Bekehrten zeigen. Ob sie aber auch in diesem Falle spaeter nicht einmal durch Vermischung mit den Weissen aufhoeren als Nationalitaet zu existiren? Ein solches Aufgehen wuerde indess nur erfreulich sein, denn es bewiese zugleich, dass auch die Englaender der Kolonie von ihrem starren Racenhochmuth nachgelassen haetten. In Tonga nun, wo von jeher die Sitten strenger waren und namentlich nie diese Luederlichkeit herrschte, welche in Polynesien an anderen Punkten so gefaehrlich wirkte; wo man mit dem Menschenleben, wenigstens jetzt und schon seit laengerer Zeit, nicht so verschwenderisch umging, ist ein Sinken der Volkszahl nicht eingetreten. Das Christenthum hat die Monogamie durchgesetzt und so ist denn trotz der vielen Kriege, welche die Einfuehrung des Christenthums und die Befestigung der Koenigsherrschaft mit sich brachte, die Bevoelkerung, die sich im Allgemeinen einer sehr guten Gesundheit erfreut, im Wachsen (Erskine 160-61). Die Bevoelkerung von Samoa schaetzt Erskine (104) auf etwa 37,000 Seelen, doch glaubt er, dass sie abnehme (a.a.O. u. 60). Auch Turner erwaehnt die grosse Sterblichkeit der Kinder daselbst, welche durch thoerichte Behandlung derselben vor und bei der ersten Nahrung veranlasst wird. Seitdem aber jetzt die Missionaere guenstig wirken, die Polygamie abgeschafft und ausschweifende Lebensweise durch strenge Ueberwachung sehr erschwert ist, nimmt die Bevoelkerung wieder zu (Turner 176). Doch waren die Samoaner ueberhaupt weit weniger ausschweifend gewesen als die uebrigen Polynesier und hatten den Werth des Menschenlebens hoeher geachtet. Also auch hier dieselbe Erscheinung: der erste Zusammenstoss mit den Weissen bringt durch Seuchen u. dergl. (doch fand Wilkes in Samoa keine Syphilis 2, 73, 126, 138) eine arge Erschuetterung in der Wohlfahrt des Volkes, ein Zurueckgehen der Kopfzahl hervor; allein sobald diese ersten Folgen ueberwunden sind, hebt sich die Ziffer wieder. Gerade die Samoaner sind besonders innige Christen (Turner 106-109, 166 ff.) Zu den bestbevoelkerten Gegenden Polynesiens gehoeren die kleinen Inseln noerdlich und westlich von Samoa und Tonga, die Uniongruppe, Tikopia, Rotuma u.s.w., wo die Sitten unverderbt und die Bevoelkerung in bester Wohlfahrt ist. Trotz des zahlreichen Kindermords auf Tikopia ist dort die Kinderzahl in einer Familie meist drei bis acht (Gaimard bei Dumont D'Urville b, 5, 309; vergl. ders. in Zoologie 23; u. 5, 306). Nur von dem gleichfalls hierher gehoerigen Sikayana wird eine Abnahme der Eingeborenen berichtet, welche durch eine sehr heftige Blatternepidemie auf 171 Seelen zusammengeschmolzen sind (Nov. 2, 438-441). Alle diese Beispiele beweisen schlagend, dass ein Hinschwinden dieser Voelker aus mangelnder Lebenskraft, "weil sie von Natur dem Untergange bestimmt seien", nicht stattfindet; wo es also eintritt, kann es nur durch die besprochenen Gruende veranlasst sein. Sobald die Kultur nicht feindselig, sondern friedfertig naht und diese Voelker zu sich emporzieht, statt sie zu vernichten, so ist von den Naturvoelkern keins, das nicht fuer sie gewonnen werden koennte, ja einzelne haben sich trotz der feindseligsten Haltung der Weissen dennoch zur Kultur, wenigstens zu guten Anfaengen, emporgeschwungen: eine That, deren Groesse man aus dem Vorstehenden ermessen kann und die eine so ausserordentlich gute Begabung und sichere Kraft beweist, dass sie ebenso sehr unser Staunen als unsere Bewunderung erwecken muss. Allerdings wird aus einem neuhollaendischen Stamm nicht sofort ein europaeisch civilisirter Staat, aber es ist handgreiflich verkehrt, zu behaupten, wie noch Meinicke thut, die Neuhollaender seien ueberhaupt der Kultur unfaehig. Denn wo sich wirklich die Kultur ihrer angenommen (es ist selten genug geschehen), da haben sie sich auch als friedfertige und bildsame Menschen gezeigt. Dass sie sich und so noch manche andere Naturvoelker jetzt so viel als moeglich von der Kultur zurueckziehen, das ist nach dem, was ihnen von ihren Traegern zugefuegt ist, nur allzubegreiflich. Halten doch manche Nordindianer auch das Christenthum nur fuer eine neue Art, sie zu betruegen (Waitz 3, 289) "und, sagten sie, was sollen wir Christen werden, da diese aergere Luegner, Diebe und Trinker sind, als die Indianer" (eb. 287). "Die Christen wollen nicht arbeiten, sie sind Spieler, Boesewichter und Gotteslaesterer," sagte ein Indianer von Nikaragua; auf die Antwort, so handelten nur die schlechten, erwiderte er: "wo sind denn die guten? ich wenigstens kenne nur schlechte" (Waitz 4, 280-81). Ein zweiter Grund, weshalb viele Naturvoelker so schwer die Kultur, auch wenn sie ihnen friedlich naht, annehmen, liegt in ihren Gewoehnungen. Es muss hier nochmals auf die Kraft der Vererbung erinnert werden. Durch Jahrtausende langes Leben an ein unstaetes Umherschweifen u. dergl. gewoehnt, wird es ihnen sehr schwer, so ploetzlich die althergebrachte, tief in ihr leibliches und geistiges Wesen eingewachsene Lebensart zu aendern. Sec. 21. Die afrikanischen Neger. Wir muessen, um einem moeglichen Einwand zu begegnen, noch einmal auf einen Umstand zurueckkommen, den wir schon vorhin wenigstens beruehrten. Wie ist es zu erklaeren, dass die Neger nicht aussterben? Sie sind doch geplagt, gedrueckt, gemisshandelt wie kein zweites Volk, der Heimath entrissen, oft ganz zum Lastthier herabgewuerdigt--und sie gedeihen doch. Der Hang der Neger zu Ausschweifungen ist bekannt; wie gefaehrlich ihre Kriege, die sie untereinander fuehren, fuer die Besiegten sind, wird nur zu deutlich durch die massenhaft fortgeschleppten Sklaven bewiesen: Menschenleben vergeuden auch sie ganz ruecksichtslos, wofuer schon der eine Name Dahomey als Beweis genuegt. Und doch waren das dieselben Gruende, welche wir als das Aussterben der Naturvoelker veranlassend annahmen. Wie kommt es, dass sie dort wirken und hier nicht? Muss man nicht doch also zu jenen Gruenden noch einen hinzufuegen und welcher koennte das sein, als mangelnde Lebenskraft oder sonst irgend etwas Geheimnissvolles? Aber trotzdem sind die Neger, nach einstimmigem Urtheil aller Forscher, die leiblich am wenigsten vollkommen organisirten Menschen, und es waere doch seltsam, wenn hoeher stehende Voelker mindere Lebenskraft haetten als sie. Allein diese Annahme ist auch durchaus unnoethig. Die groessere Ausdauer des Negers beruht auf seinem anders gearteten Naturell, was wir zunaechst nach der psychischen Seite hin verfolgen wollen. Vom Charakter des Negers ist jeder melancholische Zug ausgeschlossen. Jeder momentane Eindruck ist bei ihrer derb sinnlichen Natur so maechtig, dass der folgende den vorhergehenden sofort ausloescht, und so vergessen sie dadurch auch im tiefsten Elend ihre schlimme Lage rasch und gaenzlich, wenn irgend eine ploetzliche Anregung zur Lust ueber sie kommt. So zwingen sie die Sklavenhaendler, um sie ueber ihr oft toedtliches Heimweh hinwegzubringen, bisweilen mit der Peitsche zum Tanz, der sie dann in seiner sie nun ganz beherrschenden Ausgelassenheit alles Unglueck vergessen laesst (Waitz 2, 203). Diese rasch wechselnde Gemuethslage hilft ihnen ueber vieles Schwere hinweg und ist klar, wie sehr sie im Gegensatz steht ebenso zu dem zaehen Festhalten eines Gedankens, wie wir es beim Amerikaner und Polynesier so vorherrschend finden, als zu der Melancholie dieser Voelker. Auch die sinnlichen Genuesse wirken auf den Neger viel befriedigender, als auf die anderen Voelker; seine grosse geschlechtliche Sinnlichkeit ist wiederum fuer die Fruchtbarkeit seiner Race von grosser Bedeutung und so massenhafte und uebertriebene Ausschweifungen wie bei den Polynesiern finden sich bei ihnen nicht. Auch sein Hang zum Phantastischen muss erwaehnt werden, denn auch er dient sehr dazu, ihm seine Lage oft in ganz anderem Lichte erscheinen zu lassen, als sie ist. Hiermit vereinigt sich eine gewisse Stumpfheit und Traegheit des geistigen Lebens sehr wohl, die vor Vielem und gerade dem Schmerzlichsten den Neger beschuetzt: er wird sich fast nie moralisch vernichtet und dadurch in seiner innersten Persoenlichkeit verwundet fuehlen. Auch ist seine grosse Gutmuethigkeit und seine innige Religiositaet hierbei nicht ausser Acht zu lassen. Zweitens aber scheint auch die physische Natur weit minder empfaenglich und empfindlich zu sein, als die der meisten anderen Voelker. Sei es, dass er durch allmaehliche Gewoehnung, durch das Klima seines Landes oder durch urspruengliche Anlage haerter ist: er vertraegt es, in ganz andere Himmelsstriche verpflanzt zu werden; er haelt sogar die Luft der Malariagegenden und noch dazu bei taeglicher oft sehr grosser Anstrengung ohne Schaden aus, welchem allen die meisten anderen Voelker regelmaessig erliegen. Er ist also schon durch seinen Koerper gesicherter. Drittens ist nicht zu uebersehen, dass der Neger schon seit einer Reihe von Jahrtausenden, seit der ersten Entwickelung der Kulturvoelker, mit diesen in Beruehrung und oft in sehr enger steht und gestanden hat: so ist er an die Einfluesse der Kultur ganz anders gewoehnt als Amerikaner und Ozeanier, als Hottentotten und Kamtschadalen, und hat daher ihre unguenstigen Folgen weit weniger zu fuerchten. Hiermit ist der Einwand, welchen man von den Negern aus erheben koennte, als beseitigt zu betrachten; wir muessen indess noch einen Blick auf das Aussterben der freigewordenen Neger in den vereinigten Staaten werfen, wie wir es im Ausland (1867, 1404) geschildert sehen nach Henry Lathams black and white. Nach ihm sind seit der Emancipation von 4,000,000 Negern 1,000,000 zu Grunde gegangen, durch Unwissenheit, Huelflosigkeit, Laster und Mangel. Unfruchtbarkeit trat ein, Kindermord nahm ueberhand, "die Sterblichkeit war so gross, dass es Leute gab, welche eine Loesung der schwierigen Negerfrage in dem Verschwinden der farbigen Race in den naechsten 50 Jahren voraussagten". "In den Gebieten, wo sie waehrend des Krieges in groesster Sicherheit lebten, wo man annehmen kann, dass sie massenhaft vorhanden sind, und wo die groessten Beitraege zusammengebracht wurden, um sie vor Hungersnoth zu schuetzen, sind sie in Abnahme begriffen. In dem kaeltern Klima der Nordstaaten starben die farbigen Familien nach einer oder zwei Generationen aus." Die Schilderung ist, wie wir sie hier vor uns haben, entschieden parteiisch gefaerbt. Wir betrachten daher nur die Thatsache, dass die emancipirten Neger moralisch und physisch sich verschlechtern, ja geradezu verkommen. Diese Erscheinung ist allemal da beobachtet, wo Neger emancipirt wurden, und sie machte auch der Republik Liberia anfangs viel zu schaffen; allein sie tritt bei jeder Sklavenemancipation naturgemaess jedesmal ein, moegen die Sklaven nun Neger oder nicht sein. Sie haben nicht gelernt, selbstaendig zu leben, fuer sich zu sorgen, fuer sich zu arbeiten; jede Arbeit ist ihnen, in Erinnerung an ihr frueheres Loos, eine Last zugleich und eine Entwuerdigung. Durch den langen Zustand der Unfreiheit haben sie die Faehigkeit, der Natur gegenueber sich zu behaupten, welche sie in ihrer Heimath besassen, verlernt; sie sind auch geistig herabgedrueckt und dass sie lasterhaft werden, ist die Folge des Beispiels, was ihnen allzuoft ihre eigenen Herren gaben, sowie des Mangels an Selbstachtung, zu dem sie als Sklaven verurtheilt waren. In Nordamerika ist ihnen ferner jede Emancipation noch durch die entschiedene und ruecksichtslose Feindseligkeit unendlich erschwert, mit der die "gute Gesellschaft", die Weissen, sich vor jedem Farbigen strenge verschliesst, fuer den sie nichts als die bitterste Verachtung hat. Klimatisches mag sich gleichfalls geltend machen; jedenfalls ist hier nichts, was unserer Betrachtung irgend ein neues Moment zufuegen oder eine naehere Erklaerung noch erheischen koennte. Sec. 22. Folgerungen aus der Art, wie die Naturvoelker von den Kulturvoelkern behandelt sind. Ehe wir unsere Betrachtungen schliessen, ist es noethig, auch einen Blick auf die Kulturvoelker zu thun, welche mit den Naturvoelkern in Beruehrung kamen; denn ein solcher wird ethnologisch nicht ohne Ausbeute sein. Zunaechst ist zu constatiren, dass alle Kulturvoelker sich ganz auf dieselbe Weise grausam, ruecksichtslos und unmenschlich gegen die Naturvoelker betragen haben, die mit ihnen in Beruehrung kamen: die Spanier, die Portugiesen, die Hollaender, die Englaender und die Franzosen. Die Englaender und Hollaender zeichnen sich durch unaussprechlichen Hochmuth und Hass gegen jede farbige Bevoelkerung aus, durch welchen sie den Naturvoelkern fast nicht mindern Schaden gethan haben, als durch offene Feindseligkeiten. Wir Deutsche haben Eroberungen nicht gemacht, aber trotzdem sind einzelne unserer Landsleute mit den Naturvoelkern in Beruehrung gekommen. Diejenigen, welche zur Zeit der ersten Entdeckung Amerikas mit den Spaniern dorthin kamen--so die Abgesandten der Welser, welchen dort Laenderstrecken von Karl V. verpfaendet waren--wuetheten nicht geringer als die Spanier selbst. Das westliche Venezuela wurde um 1527 von Georg v. Speier und Ambrosius Dalfinger verwuestet (Waitz 3, 398). Allein das sind vereinzelte Faelle; im Ganzen haben die Deutschen den Naturvoelkern Segen gebracht, denn gerade die einflussreichsten Missionen sind zum Theil in ihren Haenden gewesen, wobei vor allen Dingen an die Wirksamkeit der Herrnhuter in Afrika und Nordamerika (z.B. Heckewelder) erinnert werden muss. Auch unter den Jesuiten waren viele Deutsche, z. B. Dobrizhofer unter den Abiponen, Strohbach auf den Marianen. Die Missionsthaetigkeit ist auch jetzt noch nicht vermindert und traegt ihre segensreichen Fruechte fuer die Eingeborenen und fuer die Wissenschaft, denn eine Menge der bedeutendsten Missionsschriften sind, freilich meist in englischer Sprache, von Deutschen verfasst--Namen wie Koelle, Doehne, Teichelmann, Schuermann, Dieffenbach (freilich kein Missionaer) u.a. sind bekannt genug. Die fast immer ganz unmenschliche und mordgierige Art, mit welcher der Europaeer die Naturvoelker bekriegte und meist deren Rohheit bei weitem uebertraf, zwingt uns zu einem anthropologischen Schluss von nicht geringer Bedeutung; denn wir sehen daraus klar, "dass die Kluft, die den civilisirten Menschen vom sogen. Wilden trennt, bei weitem nicht so gross ist, als man sich oft einbildet" (Waitz, 3, 259). Man hat ja gerade die wilde Blutgier der Naturvoelker so wie ihr beharrliches Fernbleiben von aller Kultur so besonders hervorgehoben, ja mit darauf hin den Schluss gezogen, dass sie von geringerer Organisation und Befaehigung, dass sie von Haus aus eine niedrigere Race waeren (Carus 28, 22 ff.). Wie will man das aber aufrecht halten, wenn die civilisirten Voelker von einer viel wilderen und grauenvolleren Blutgier besessen sind, die um so schrecklicher wird, als sie unvermittelt neben so hoch entwickelten intellektuellen Faehigkeiten steht? Wenn die groessten und bedeutendsten Maenner dieser civilisirten Voelker dieselbe Blutgier theilen, wie Columbus, welcher die auf Menschen dressirten Hunde einfuehrte, der Koenigin Isabella rieth, die Kosten seiner Fahrten durch Menschenraub zu decken, Diebstaehle mit grausamen Verstuemmelungen strafte und Hinterlist und gemeinen Verrath gegen die Indianer fuer erlaubt hielt? (Waitz 4, 331). Wenn die blutgierig-rohesten wohl noch wegen ihrer grauenvollen Bestialitaet als besonders hervorragend gepriesen werden, wie die "Pioniere des Westens", die "Helden von Old-Kentucky" (Waitz 3, 260), die nebenbei auch der intellektuellen Vorzuege der Kultur sich begebend genau ebenso aberglaeubisch als die Indianer wurden, deren Lebensweise, Vergnuegungen und Skalpirungen bald sich nur noch durch groessere Rohheit von den Indianern unterschied? Ja d'Ewes (China, Australia and the Pacif. Islands in 1855-56. London 1857, p. 150) erzaehlt, dass einzelne Weisse auf den Fidschi-und Tonga-Inseln, neben den graesslichsten Verbrechen aller Art, sogar den Kannibalismus der Eingeborenen mitgemacht haben! Beispiele von Spaniern und Portugiesen, welche unter die Bildungsstufe der Eingeborenen Suedamerikas herabgesunken sind, findet man reichlich bei Waitz 1, 370 und bei v. Tschudi an verschiedenen Stellen. Ehrlichkeit, Treue, Vertrauen, Anstand, Gastfreundschaft, Menschlichkeit, reine Religiositaet, die besseren moralischen Eigenschaften findet man meist nicht auf Seiten der Europaeer, sondern der so tief verachteten Naturvoelker, und Seume's "Wir Wilden sind doch bessre Menschen" hat seinen tiefen Grund. Man sage nicht, dass die von den Europaeern veruebten Schlechtigkeiten nur von einzelnen ausgegangen und also auch nur den einzelnen Individuen zur Last zu legen seien; sie sind so ziemlich gleichmaessig von der gesammten Kolonistenbevoelkerung ausgefuehrt und jedenfalls von ihr hoechlich gebilligt worden; ja es fehlt noch viel, dass sie auch jetzt ueberall getadelt wuerden. Es zeigt sich aus diesen Betrachtungen ferner, wie ungeheuer langsam die Menschheit moralisch fortschreitet und wie wenig durch intellektuelle Entwickelung ein Fortschritt nach jener Seite bedingt wird. Das eben von Columbus Erwaehnte mag als Beleg dienen, er, der geistig so hoch ueber seiner Zeit stand, hatte sittlich ganz dieselbe Stufe inne. Seine ganze Zeit aber stand trotz des Christenthums, trotz der aeusseren Kultur noch auf einem Standpunkt der geistigen Rohheit, die sich noch kaum von dem Wesen des Naturmenschen unterscheidet, ja durch reicher entwickelte und ganz zuegellose Leidenschaften noch tiefer als jenes erscheint. Wie gewaltig nun die Entwickelung der Intelligenz in den letzten drei Jahrhunderten zugenommen hat, weiss Jeder; blickt man aber auf die Kulturvoelker des 19. Jahrhunderts--man denke an die Englaender in Tasmanien, Neuholland, Nordamerika, die Portugiesen und Spanier in Suedamerika--so wird man von einem moralischen Fortschritt noch gar wenig bemerken, denn sie benehmen sich, allerdings nicht mehr in solcher Allgemeinheit, gerade ebenso brutal und unmenschlich, als die Spanier im 16. Jahrhundert. Auch kann man nicht behaupten, dass die heutige Propaganda und ihr Verfahren in der Suedsee sich sehr zu ihrem Vortheil von den Missionaeren des 16. und 17. Jahrhunderts unterschied; was sie etwa an Gewaltthaetigkeit verloren hat, das hat sie an Unwahrheit gewonnen. Und wenn man im 19. Jahrhundert mit demselben Leichtsinn wie im 16. nur um zu taufen, tauft: so ist das in unseren Zeiten bei weitem schlimmer, als in jenen frueheren. Bis jetzt also hat die Hoehe der intellektuellen Entwickelung noch keineswegs durchgreifend und in dem Maasse, als man denken sollte, auf die moralische Seite des menschlichen Charakters gewirkt--aus Gruenden, deren tiefere psychologische Motivirung hier uns zu weit fuehren wuerde. Und doch laesst es sich nicht laeugnen, dass alles wirkliche Fortschreiten der gesammten Menschheit, wodurch sie immer reiner und wirklich menschlicher sich entwickelt, nicht sowohl auf intellektuellen als auf moralischen Geistesthaten beruht. Die europaeische Gesellschaft ist zu ihrer heutigen Hoehestufe emporgehoben erstens durch die Gleichstellung der Frauen bei den Germanen, zweitens die rein moralische Macht des Christenthums, drittens die Reinigung des Christenthums und die Anerkennung der individuellen Geistesfreiheit durch die Reformation und die Reinigung der sozialen Verhaeltnisse durch die Revolution des vorigen Jahrhunderts. Letztere trug auch gleich den Naturvoelkern die besten Fruechte: denn dass Polynesien wesentlich anders behandelt ist, als Amerika, dazu trugen nicht wenig bei die Lehren von Maennern wie Rousseau, der Gedanke, dass alle Menschen, mochten sie nun durch Staende oder Hautfarbe und Sprache verschieden scheinen, in ihrem Wesen gleiche Menschen seien; ja die Ansicht, welche man von diesen Voelkern lange Zeit in Europa hegte, beruhte gleichfalls auf diesen Gedanken, da sie hauptsaechlich durch die Werke der Forster hervorgerufen wurden, diese aber eifrige Anhaenger Rousseau's waren.--Neben jenen Hauptfoerderungen der Menschheit darf man einige andere zwar nicht in erster Linie anfuehren, aber auch ebensowenig ganz uebersehen, und dahin gehoert die Erweckung des reinen Schoenheitssinnes, der wahren Kunst durch die Griechen. Waehrend nun im Leben der Voelker und der Einzelnen es sich nur allzuhaeufig zeigt, dass die groesste Ausbildung der Intelligenz auf die sittliche Vollendung eines Menschen gar keinen Einfluss hat, so foerdert umgekehrt jeder sittliche Fortschritt der menschlichen Gesellschaft ihre intellektuellen Leistungen und ist ohne eine solche Foerderung gar nicht zu denken, da ja jeder wirklich bedeutende sittliche Fortschritt die Menschheit in ihrem ganzen Wesen hebt und weiter entwickelt, und nur wo dieser Doppelfortschritt geschieht, kann von einem wirklichen Hoehersteigen die Rede sein. Man hebt nie ein Volk nur durch Industrie und Lehranstalten, wenn man es dadurch auch reich und wohl unterrichtet machen kann; man hebt es nur, wenn man seine idealen Anschauungen laeutert und foerdert. Dass aber eine Foerderung nicht etwa dadurch eintritt, dass man der Gegenwart das Ideal vergangener Jahrhunderte als das einzig heilvolle aufzwingen will, das liegt auf der Hand. Sec. 23. Zukunft der Naturvoelker. Mittel, sie zu heben. Was wird nun die Zukunft der Naturvoelker sein? Geradezu vernichtet sind nur wenige bis jetzt und noch koennen wir, und da wir Unfaehigkeit zur Entwickelung, leibliche oder geistige, nirgends bei ihnen finden, noch muessen wir hoffen. Freilich ist viel verdorben; und die Leichtigkeit der Annaeherung, das Vertrauen, mit dem sie der Kultur entgegenkamen, ist bei den meisten unwiederbringlich verloren. Wie bisher die Missionaere die groessten Verdienste um diese Voelker haben, so fallen auch, wenn wir nach der Zukunft fragen, unsere Augen zunaechst auf die Missionaere. Wenn wir bedenken, dass die Polynesier man kann wohl sagen ihre Rettung bisher ihnen verdanken, dass, die Hottentotten und so mancher amerikanische Stamm nur und allein durch sie Gelegenheit hatten, auch die guten Seiten der Kultur an sich zu erfahren; so koennen wir nicht dringend genug wuenschen, dass ihr Werk sich segensreich immer weiter ausbreiten moege. Dazu gehoert zunaechst Unterstuetzung durch die weltlichen Maechte, freilich anders als sie von Frankreich den katholischen Missionaeren zu Theil wurde: denn die Staaten muessten, im Interesse der jedesmaligen Eingeborenen, jede segensreiche Wirksamkeit gleichviel von welcher Confession gleichmaessig schuetzen. Und so hat sich, um gar nicht vom Christenthum zu reden, auch vom anthropologischen Standpunkt aus die katholische Kirche und Frankreich in ihrem Dienst in der Suedsee schwer vergangen. Die Maechte, welche unter den Naturvoelkern Kolonien haben, England besonders, haben den groessten Vortheil von einer tuechtigen Wirksamkeit der Missionaere; denn einmal werden durch sie unnuetze Kriege, die doch auch den Weissen oft schaedlich genug sind, vermieden, und ferner die Eingeborenen selbst der Kolonie gewonnen. Man sollte also von Staatswegen die Missionen mit allen Mitteln stuetzen (nicht gewaltsam einfuehren, nur stuetzen), aber auch zugleich ein wachsames Auge auf sie haben und sie noethigen Falles zur Rechenschaft ziehen. Denn Menschlichkeiten koennen vorkommen und sind auch unter den protestantischen Missionaeren der Suedsee vorgekommen, welche z.B. in Neuseeland durch ihre Landankaeufe und Spekulationen sich und ihrer Sache und den Eingeborenen gleichviel geschadet haben. Aber auch die Missionaere muessen auf sich selbst das strengste Augenmerk haben. Sie muessen immer mehr und mehr zu der richtigen und wichtigen Einsicht gelangen, dass es nichts hilft, Voelker zu taufen oder sie auf abstrakte und fuer jene Menschen ebenso unverstaendliche wie unbrauchbare Lehrbegriffe hinzuweisen, wenn man nicht alle ihre Geisteskraefte weckt, die Wahrheiten dieser Lehre sich anzueignen. Nach dieser Seite--wer wollte es laeugnen? uebersteigt es doch auch hier ganz fehlerlos zu handeln bei weitem menschliche Kraft--nach dieser Seite haben beide Kirchen viel verfehlt; die katholische durch oft ganz beispiellos leichtsinniges Taufen, wobei sie das Heidenthum ruhig bestehen liess (Beispiele fuer diese harte Behauptung liefern die Annales de la propagation de la foi, Michelis und Lutteroth genug; wir fuehren einzelnes der Kuerze halber nicht an), die protestantische durch allzustrengen Ernst und eigensinniges Steifen auf die abstrakten Lehrsaetze. Doch wird jeder Unbefangene die bei weitem bessere Wirksamkeit auf protestantischer Seite sehen muessen, wenn wir auch fern sind, zu verkennen, was die katholische Kirche grosses geleistet hat. Maenner wie Las Casas und so viele seiner Glaubensgenossen, welche fast der einzige Schutz der unterdrueckten Amerikaner waren, so viele Jesuiten, die mit dem groessten Glaubenseifer sich jeglicher Gefahr fuer das Christenthum unterzogen, wie z.B. der gewaltige San Vitores auf den blutgetraenkten Marianen: alle diese Maenner muessen in erster Reihe genannt werden, wenn es sich um Darstellung der Verdienste der Mission handelt. Man mache die Naturvoelker erst zu Menschen, dann zu Christen; man bilde sie langsam zu der und durch die Kultur vor, deren hoechste Bluethe das Christenthum ja eben sein will. Nicht Wissen und Erkennen, und waere es der hoechsten Weisheit, Thaetigkeit vielmehr und selbstaendiges Bauen des eigenen Lebens gibt dem Menschen erst sittlichen Halt und sittliche Kraft: diese wecke, gestalte, befoerdere man und man wird das Christenthum foerdern. Ist es doch wahr, dass jene Verbrecher, welche aus den Deportationsorten entsprangen und sich an verschiedenen Stellen Ozeaniens niederliessen, durch die Bruchstuecke von Kultur, welche sie den Eingeborenen mittheilten, dem Christenthum und den Missionaeren den Weg gebahnt und sehr erleichtert haben, ohne dass sie es selbst wollten und obwohl sie oft mit der Kultur zugleich manches Verbrechen lehrten. Will man aber ohne genuegende Vorbereitung rasch Erfolge sehen, so wird man nichts wirken; die Missionsberichte (beider Confessionen) beweisen zur Genuege, wie thoericht ein solches Streben ist und wie es oft zu den allergroebsten Selbsttaeuschungen fuehrt. Nur die liebevollste Arbeit und aufopferndste Hingebung vieler Generationen kann hier wirklichen und bleibenden Erfolg erringen. Man muthe doch nicht den Naturvoelkern zu, die Hoehe der Bildung im Fluge zu ersteigen, welche die begabtesten Kulturvoelker im Laufe von Jahrtausenden und mit so haeufigem Rueckfall, so heissem Kampfe, so stetiger Arbeit sich errungen haben. Aber auch die weltliche Macht muss Huelfe bringen; zunaechst negativ, indem sie nicht duldet, dass andere, was die Missionaere bauen, untergraben und einreissen; und ferner positiv, indem sie das von jenen begonnene weiterfuehrt. Sie muss die Eingeborenen in ihren natuerlichen Rechten schuetzen, das Eigenthumsrecht an den von ihnen bewohnten Boden anerkennen und aufs Strengste darauf halten, dass ihnen von Seiten der Kolonisten kein Unrecht geschieht. Freilich werden solche Maenner wie Lord Grey, die mit der groessten Umsicht und Energie die reinste Menschenliebe besitzen, nicht haeufig gefunden werden; aber man kann auch in der Wahl einer obersten Kolonialverwaltung nicht zu viel thun. Specielle Vorschlaege haben Grey fuer Australien, Dieffenbach fuer Neuseeland, Andere fuer andere Voelker gemacht; und es liesse sich, bei allen Schwierigkeiten, wenn die Maechte, welche Kolonien besitzen, also vor allen Dingen England ernsthaft wollten, gewiss viel Elend verhueten, viel Gutes stiften und viel Verdorbenes herstellen. Bis jetzt freilich haben die englischen und ueberhaupt die europaeischen Matrosen meist nur das eine Recht der Gewalt; die Frevel, die sie an jenen Voelkern begehen, bleiben ungestraft, waehrend es mit den aergsten Strafen heimgesucht wird, wenn die Eingeborenen irgend an Weissen freveln. Zum Theil ist diese Ungerechtigkeit noethig, um die fernen Weissen zu schuetzen; theils aber liegt sie auch in der selbst noch sehr mangelhaften moralischen Entwickelung der Weissen, welche an solchen Gewalttaten im grossen Ganzen kaum einen Frevel. sehen. Was soll man dazu sagen, wenn Schandgeschichten wie die folgende unter Englands offiziellem Schutz geschehen und in den Zeitungen, auch in deutschen, fast als Scherz erzaehlt werden? Nach der Ermordung eines Kaufmanns[O] erschien das englische Kriegsschiff Perseus, Capitaen Stevens, 1867 im Fruehjahr vor der Palaus (Pelewsinseln, westliches Mikronesien), um Genugthuung zu fordern: es zeigte sich, das der Kaufmann auf Befehl des Koenigs, auf dessen Insel Koror er lebte und Grundeigentum besass, ermordet sei, weil er an die Feinde desselben Feuerwaffen verkauft hatte. "Obwohl nun Stevens einsah, heisst es, dass jener besser gethan haette, keine Mordwaffen zu verkaufen", so glaubte er doch streng verfahren zu muessen und verlangte Hinrichtung des Koenigs. Die Insulaner, von dem Kriegsschiff bedraengt, beschlossen, sich nicht zu widersetzen--aber sie baten, dass die Hinrichtung von Matrosen des Schiffes ausgefuehrt wuerde, was Stevens nicht zuliess. "Insulaner sollten das Werk thun". So geschah es denn. Und es geschah noch mehr. Die so behandelten Insulaner riefen den Schiffscapitaen zu ihrem Koenig aus. "Er nahm auch sofort die Krone an und bewies, dass er die koenigliche Praerogative in erspriesslicher Weise zu nuetzen verstehe. Er befahl seinen Unterthanen, Huehner, Eier, Fruechte und sonst noch mancherlei an Bord des Dampfers zu bringen und diesem Befehl wurde willig Folge gegeben. Eine Verguetung fuer die gelieferten Sachen blieb ausser Frage, doch war seine improvisirte Majestaet so guetig, einige Geschenke, als da sind: Messer, Scheeren u. dergl. verabfolgen zu lassen. Als dies geschehen war, dankte er ab und ueberliess den Paleuinsulanern, sich nun einen anderen Koenig nach ihrem Geschmack zu suchen" (Globus 12, 59, nach der Overland China Mail v. 30. Mai 1867 und der "Presse" zu Manila). Heisst das nicht, jede Selbstachtung eines Volkes mit Fuessen treten? nicht, der Gerechtigkeit und Menschlichkeit ins Gesicht schlagen? Und das that ein Vertreter des englischen Staates im Namen der Gerechtigkeit! Und eine solche Geschichte erheitert als Anekdote ein europaeisches Publikum! Die Insulaner mussten, trotz ihrer Bitten, ihren eigenen Koenig erschiessen, weil er sich eines gegen ihn entschieden feindlich handelnden Englaenders, allerdings auf frevelhaftem Wege, entledigt hatte! So lange solche Geschichten noch moeglich sind, so lange ist allerdings fuer die Naturvoelker noch nicht allzuviel zu hoffen. Und sie werden, wir befuerchten es, noch lange moeglich sein; so lange wenigstens sicher als die Kulturvoelker sich von ganz anderem Stoff duenken, als jene "Wilden", denen man wohl die Gestalt, aber keineswegs die Rechte eines Menschen zugesteht. Gegen diese gaenzliche Ausschliessung von allem europaeischen Leben, wie es die Eingeborenen in den Koloniallaendern fast immer zu dulden haben, muesste der Staat, was in seinen Kraeften steht, thun, wenn er jene wirklich heben wollte: denn das ist es, was sie jetzt am meisten von der Kultur ab und im Elend zurueckhaelt. Aber das wird schwer, wo nicht unmoeglich sein; und die Menschheit, so scheint es, wird erst noch manchen Schritt vorwaerts thun muessen, ehe diese Gleichstellung (wenn sie dann noch moeglich ist) auch nur annaehernd sich verwirklichen lassen wird; so dass man in diesem Sinne wohl sagen kann, alles, was in Europa zur Hebung der weissen Bevoelkerung und ihres sittlichen Lebens geschieht, das kommt auch mittelbar den Naturvoelkern zu gut. Sec. 24. Werth der Naturvoelker fuer die Menschheit und ihre Entwickelung. Schluss. Aber, so muessen wir noch fragen, kann man ueberhaupt einem Staat, den civilisirten Voelkern zumuthen, so viel Mueh und Arbeit an die Naturvoelker zu verwenden, die sie doch anderen Zwecken und vielleicht besseren oder doch nuetzlicheren entziehen muessen? Kann man nicht mit Fug und Recht von dem werthlosen Leben dieser rohen Nationen Talleyrands beruechtigtes je n'en vois pas la necessite sagen? Wie man vom Standpunkte des Christenthums hierauf antworten muss, welches lehrt, dass alle Menschen Brueder und vor Gott gleich sind, liegt auf der Hand: und wo wird denn ein strenges Christenthum mehr zur Schau getragen, als im oeffentlichen Leben Englands und Amerikas? Aber auch vom Standpunkt der Philosophie aus wird man die Erhaltung der minder entwickelten Voelker fuer eine wesentliche Aufgabe der Kultur ansehen muessen. Der empirische Forscher wird nach genauer historischer und naturwissenschaftlicher Betrachtung der Welt sehen, dass die Gesammtheit der Natur als solche dem Entwickelungsgesetze folgt, wie die einzelnen grossen Abtheilungen der Natur, wie die Gattungen, Arten und Individuen. Das Gesetz dieser Entwickelung besteht aber darin, dass Alles, Gesammtheit und Einzelnwesen, eine groessere Vollkommenheit, Festigkeit und Sicherheit der Existenz anstreben. In diesem Entwickelungsgange hat die Natur selbst die Werthbestimmungen gesetzt, dass sie das Individuum der Art, die Art der Gattung, die Gattung der Familie, kurz das Beschraenktere dem Groesseren unterordnet, ja wenn es im Interesse des Groesseren noth thut, aufopfert. Es wuerde spiritualistische Verkennung unseres Standpunktes sein, welchen wir in der Stufenfolge des Ganzen einnehmen, wenn wir Menschen fuer uns andere Gesetze beanspruchen wollten, als sie fuer die gesammte Natur gelten; zeigt doch auch alle historische Entwickelung, dass wir unter ganz denselben stehen, wie die uebrigen Organismen alle, nur dass unsere Stellung verschieden ist. Wie nun also der Natur Erhaltung und Foerderung des Ganzen Hauptzweck ist, so muss er es auch uns Menschen sein, und zwar zunaechst Erhaltung und Foerderung der menschlichen Gesellschaft, da unsere Thaetigkeit zunaechst unserer eigenen Gattung naturmaessig gehoert. Das aber heisst schlecht dem Ganzen dienen, wenn man lebensfaehige Keime desselben, bloss weil sie nicht im gleichen Lenz und nach gleicher Art mit uns sich entwickelt haben, zertreten wollte. Wer weiss, zu welchem Endzweck auch sie der Natur dienen koennen! Und Niemand wird doch behaupten wollen, dass sie zu zertreten den Voelkern von hoeherer Kultur Nutzen braechte. Wenn wir von diesem philosophischen Standpunkt aus nach dem Zweck menschlicher Entwickelung forschen, so werden wir die Civilisation als solchen bestimmen muessen (Waitz 1, 478 f.). Denn einmal sichert sie erst durch engen Zusammenschluss der Individuen, welche sich im Naturzustande selbstsuechtig, also feindlich gegenueber stehen, die menschliche Gesellschaft dauernd und fest, andererseits bringt sie erst, indem sie auf diese Weise eine Menge ueberschuessiger Kraft frei macht, die Menschheit zu hoeherer Entwickelung. Sie allein ist es, welche die wichtigste Seite des menschlichen Lebens, die Thaetigkeit des Geistes ueberhaupt erst ermoeglicht. Zu diesem Endzweck menschlicher Entwickelung ist aber jedes Volk berufen und die einzige Aufgabe schon civilisirter Nationen uncivilisirten gegenueber kann nur die sein, die Civilisation auch zu jenen hinzutragen, nicht aber durch die reichlicheren und wirksameren Mittel derselben jene zu vertilgen. Auch darf hierbei nicht uebersehen werden, wie nichts der Civilisation selbst gefaehrlicher ist, als Zuruecksinken in Rohheit, weil ein solches mit stets zunehmender Geschwindigkeit, gleichsam nach den Fallgesetzen vor sich geht. Das wueste Verfahren gegen die Naturvoelker ist aber ein solches Zuruecksinken in Rohheit und wie beim laengeren Vernichtungskampf gegen sie jene Rohheit schrecklich waechst, das haben wir schon gesehen. Ganze Staemme civilisirter Nationen sind durch sie, zu der sich dann noch Faulheit und Genusssucht gesellten, in die aeusserste Barbarei zurueckgesunken oder doch wenigstens merklich in ihrer Entwickelung aufgehalten: so die Hollaender am Cap, die Spanier und Portugiesen und zum Theil die Englaender in Amerika. Das ewige Blutvergiessen und Morden musste sie immer gleichgueltiger, immer roher machen und dadurch schwanden selbstverstaendlich gar manche andere Interessen; Faulheit und so manches andere, obwohl gar manche Kolonisten auch davon einen reichlichen Vorrath mitbrachten, war die natuerliche Folge der fortgesetzten Grausamkeit. Fuehrt uns dieser letztere Punkt schon aus dem theoretischen und moralischen mehr ins praktische Gebiet, so gibt es auch noch andere praktische Gruende, welche fuer Schonung und Hebung der Naturvoelker, keinen aber, der dagegen spricht. Waitz (1, 484) setzt auseinander, dass bei den grossen Unterschieden in der Naturumgebung der Menschen, bei den mannigfaltigen Faehigkeiten und Eigenschaften, welche die verschiedenen Voelker im und durch den Lauf der Zeiten entwickeln, die Civilisation der gesammten Menschheit auch in hoechster Vollendung keine ganz gleiche zu sein braucht, ja auch nur sein kann. "Ohne dass ein Volk dem anderen die materielle oder die geistige Arbeit ganz abnehmen koennte, wuerde sich doch das Verhaeltniss so gestalten, dass bei einigen die eine, bei anderen die andere Art der Arbeit in ein entschiedenes Uebergewicht traete, dass einige in der einen, andere in der anderen Richtung sich produktiver zeigten und dem entsprechend auf die uebrigen wirkten und ihnen mittheilten. Den Tropenlaendern wuerde alsdann mehr oder weniger allgemein die ueberwiegende Produktion der materiellen, den gemaessigten Klimaten die der geistigen Gueter zufallen. Eine hohe Stufe intellektueller Bildung, tiefes Denken und eine durchgebildete, auf feiner und vielseitiger Ueberlegung ruhende Sittlichkeit, scheint bei der geistigen Erschlaffung kaum erreichbar zu sein, welche das Leben in der heissen Zone fuer den Europaeer wie fuer den Eingeborenen mit sich bringt" (1, 185). Gerade weil aber das Leben unter den Tropen erschlaffend wirkt und auf den weissen Einwanderer noch mehr als auf den Eingeborenen, so ist es fuer ersteren der groesste Vortheil, wenn ihm Unterstuetzung von letzteren zu Theil wuerde. Von wie grossem Segen waere es fuer alle Kolonien, statt wie jetzt in oft so blutiger Feindschaft mit den Eingeborenen zu leben, in ihnen Helfer und freundliche und intelligente Arbeiter zu finden und so empfiehlt sich schon von rein praktischer Seite fuer den Europaeer die Schonung und Hebung der Naturvoelker durchaus. Auch haben diese letzteren manches und wenn es bloss die Kenntniss der sie umgebenden Natur waere, was sie als nuetzliche Dankesgabe fuer eine ihnen gewidmete treue Sorgfalt geben koennten. Hatten doch einige von ihnen reiche und originelle Kulturen entwickelt, deren Zerstoerung ein unersetzlicher Verlust fuer die Menschheit ist. Zunaechst ist es die Hoehe und Reinheit der mexikanischen Moral, wovon Waitz (4, 125 ff.) Proben gibt und die auch hinter den Lehren des Christenthums keineswegs weit zurueckbleiben, was jene Behauptung rechtfertigt. Zugleich aber war in Mexiko wie in Peru auch die intellektuelle Faehigkeit hoch entwickelt, und was sie in industrieller Beziehung leisteten (Bauwerke, Goldarbeiten u.s.w.) ist bekannt genug. Sicher ist uns vieles von dem, was sie leisteten, durch die Art der Eroberung verloren; und was eine solche Kultur geleistet haben wuerde, wenn sie durch freundliches und allmaehliches Bekanntwerden mit der europaeischen erhoeht worden waere, darueber haben wir kein Urtheil. Jedenfalls sind verschiedene Brennpunkte der Kultur fuer die Menschheit nur ein Vortheil und zwar ein ganz unschaetzbarer, wenn man bedenkt wie langsam im allgemeinen die Entwickelung der Voelker ist. Auch ist kein geringer Werth auf die originale Verschiedenheit solcher selbstaendiger Kulturen zu legen; durch ihr Zusammentreffen, Wetteifern, selbstaendiges Schaffen wird mehr und allseitiges ins Leben gerufen und der menschliche Geist mehr und allseitiger entwickelt, als durch eine einzige in sich wesentlich gleiche Kultur. Moege denn von diesen Voelkern wenigstens gerettet werden, was noch zu retten moeglich ist. Bis jetzt steht die Entwickelung der Menschheit auch nach dieser Seite hin ganz unter naturalistischem Gesetz. Der "Kampf ums Dasein", in welchem es der Staerkere ist, welcher siegt, zeigt sich im vollsten Maasse; die erstarkten Racen breiten sich aus, gewaltsam und zum Unterschied von der unvernuenftigen Natur mit Lust und ohne Beduerfniss zerstoerend, und ihnen erliegen die schwaecheren. Allein der Mensch ist der Vernunft und der Liebe faehig und gerade darin sollte der staerkere des vernunftbegabten Geschlechtes seine Kraft zeigen, dass er schwaecheres liebend zu sich emporhebt, statt es zu vernichten; dann wuerde der Geist, die sittliche Wahl des Menschen herrschen und die Gesamtheit haette einen grossen Schritt weiter gethan auf der Bahn, die sie gehen muss, in der Befreiung des Geistes von den rohen Fesseln der aeusseren Natur. Fussnoten: [A] Hale sagt ausdruecklich, dass sie ihm nicht zu hoch schiene; er hatte die Angabe von Punchard, einem Englaender, der mehrere Jahre auf der Insel gelebt hatte. [B] Auch die Beispiele, welche Darwin a.a.O. zur Erhaertung seiner Hypothese von dem schaedlichen Effluvium lang eingeschlossener Menschen mittheilt, lassen sich aus Obigem, wie es scheint, erklaeren, ebenso das Erkranken der Shropshirer Schafe. Jenes Effluvium ist weiter nichts, als eben solche unbewusst mitgeschleppten Miasmen, an welche der, welcher sie mitbringt, seine Natur nach und nach accommodirt hat. [C] Diese Fruehreife der Weiber ist wohl nicht, wie Humboldt b 2, 190 will, Racencharakter. Einmal widerspricht dieser Behauptung, dass sich mancherlei Beispiele von spaeter Entwicklung auch unter den Amerikanerinnen findet; und sodann, dass fast bei allen Naturvoelkern die Mannbarkeit so frueh eintritt. Wenn nun auch das Klima mannigfachen Einfluss hierauf hat (Waitz 1, 45), so doch keineswegs einen ueberall gleich bleibenden und sicher nachzuweisenden. Denn bei den Eskimos, bei den Kamtschadalen und anderen Voelkern in so hohen Breitengraden finden wir dieselbe Erscheinung und die Fidschis z.B. in der heissen Zone zeigen sie nicht. Waitz 1, 125 fuehrt die animalische Nahrung und die hohe Temperatur in den Huetten vieler dieser Voelker als Grund an. Allein auch dies trifft nicht bei allen zu. Sollte nicht der Grund der fruehen Mannbarkeit der sein, dass einmal bei der gaenzlichen Schrankenlosigkeit der Naturvoelker die Wuensche frueher erregt und ferner die Maedchen zu fruehe begehrt werden? Das konnte und musste im Laufe der Generationen seine Wirkung zeigen. Die Gewoehnung vererbte sich immer mehr, setzte sich durch Vererbung immer fester, und so entwickeln sich die Geschlechtsfunktionen wirklich frueher, als es der menschlichen Natur eigentlich normal ist. So wuerde sich diese Erscheinung bei allen Naturvoelkern gleich gut erklaeren: und man lernt taeglich Gewoehnung und Vererbung mehr in ihrer Bedeutung fuer die Geschichte der Menschheit schaetzen. Dass Klima und sonstige Lebensweise mit gewirkt haben, soll damit nicht abgelaeugnet werden; nur sind sie bei den Naturvoelkern von untergeordnetem Einfluss, und die Einwirkung von Gewoehnung und Vererbung ist gewiss die Hauptsache. Nirgends ist der Einfluss des Willens, der Wuensche und Gedanken so gross, als gerade im geschlechtlichen Verhaeltniss. [D] Spuren von ihr finden sich auch in Suedamerika, so bei Azara 248, der von den Mbayas erzaehlt, dass ihre Weiber nie Fleisch von Kuehen und Affen essen; doch, da ihre Maedchen ueberhaupt kein Fleisch, nicht einmal grosse Fische und zur Zeit der Periode nur Gemuese und Obst geniessen, so koennte man diese Enthaltsamkeit auch einfacher erklaeren. Dagegen ist es gewiss eine dem nordamerikanischen Totem urspruenglich verwandte jetzt nicht mehr verstandene Sitte, wenn die Cariben z.B. nie Affen essen, dagegen die Ameisenbaeren als Delikatesse aufsuchen, welche wiederum die Makusis nur nothgedrungen essen wuerden (Schomburgk 2, 434). Thiere gelten auch in Suedamerika als die Stammvaeter und Schutzgeister mancher Voelker. Und nicht anders ist es in Afrika bei den Betschuanen, deren einzelne Staemme unveraenderliche, ihre Abstammung von gewissen Thieren bezeichnende Namen besitzen. "Diese Thiere werden von den Voelkern, die sich nach ihnen nennen, heilig gehalten, weder gejagt noch gegessen und man pflegt durch die Frage "was tanzt ihr" nach dem Namen desselben sich zu erkundigen." So gibts Maenner des Loewen, Krokodils, Stachelschweins, Fischs, Affen, doch auch des Eisens, Waitz 1, 352. 413. Die Frage "was tanzt ihr"? ist merkwuerdig. Sie erinnert an manchen Thiere darstellenden Tanz amerikanischer und australischer Voelker, und es liegt nahe anzunehmen, dass die heiligen Taenze zuerst das Leben der Schutzgeister versinnbildlichten, wie die Griechen die Geschichte ihrer Goetter tanzten. Spaeter erblasste die Bedeutung solcher Taenze vielfach. [E] Aehnliches findet sich auch bei indogermanischen Voelkern. Heilige Thiere als Wappen und in Eigennamen waren sehr gebraeuchlich, vergl. Grimm D.M. 633. Toedtete man sie auf der Jagd, oder beschnitt man einen heiligen Baum, so waren auch dabei bestimmte versoehnende und abbittende Gebetsformeln ueblich, eb. 618. [F] Wenn hier Kadu nicht irrthuemlich einen rohen melanesischen Stamm meint; oder, um etwas recht Entsetzliches zu erzaehlen, absichtlich oder selbst getaeuscht aufbindet. Denn wahrscheinlich ist die Angabe fuer die Palaus nicht. [G] Zwillinge werden fast von allen Naturvoelkern getoedtet: auch von den Negern (Waitz 2, 124). [H] Obwohl auch Jarves 83 manche der Zahlen anzuzweifeln scheint. [I] Dass uebrigens auch bei Indogermanen und Semiten die Kinder vielfach getoedtet sind, ist ja bekannt genug. In Griechenland wurden die Kinder umgebracht, welche der Vater, wenn sie die Hebamme ihm vor die Fuesse legte, nicht aufhob; eine Sitte, die bei Plautus und Terenz, d.h. also der spaeteren attischen Komoedie so vielfach erwaehnt wird. Namentlich Toechter wurden umgebracht. Diese Toedtung geschah durch Aussetzung zumeist (Schoemann griech. Alterthuemer 1, 562). Bei den alten Deutschen herrschte durchaus derselbe Gebrauch. Aus semitischem Gebiet sei zunaechst an Abrahams Opferung Isaaks erinnert, sodann an den Molochdienst der Phoenicier, der so vielfach von den Juden nachgeahmt wurde (Winer, bibl. Realwoerterbuch unter Moloch) so wie an die der Astarte geschlachteten Kinder (Movers Phoen. 2, 2, 69). Allerdings ist der semitische Gebrauch ein religioeser, also zum Kinderopfern gehoerig. Doch liesse sich auch fuer blosses Aussetzen der Kinder manches Semitische beibringen. [J] Auch was Humboldt b5, 110-111 von den "Mysterien des Botuto", einer Trompete von Thon mit mehreren kugelartigen Anschwellungen, die zu allen feierlichen Ceremonien gebraucht wird, erzaehlt, gehoert hierher: "um in die Mysterien des Botuto eingeweiht zu werden, muss man rein von Sitten und unbeweibt sein. Die Eingeweihten unterziehen sich der Geiselung, dem Fasten und anderen angreifenden Andachtsuebungen." Durch die Trompete theilt der grosse Geist den Eingeweihten seinen Willen mit; sie stehen also mit den Goettern in naeherem Verkehr als andere Menschen und das war auch der Grundgedanke der Areois. Ganz aehnlich wird von Haiti berichtet. "Die Caziken naemlich standen", erzaehlt Waitz 4, 329 nach Herrera, Torquemada und Petr. Martyr, "ohne selbst Priester zu sein, doch an der Spitze des Cultus: die Tempel und Opferplaetze, wo die Gottesverehrung stattfand, waren entweder ihre Haeuser selbst oder Huetten, die als ihnen gehoerig betrachtet wurden; dort waren die Bilder der Ahnen aufgestellt, die von Holz, inwendig hohl und mit einem Rohre versehen nur von ihnen um Orakel befragt werden konnten und nur aussprachen was sie ihnen eingaben. Sie berauschten sich zu diesem Zwecke mit einer Art von Schnupftabak und fuehrten die heilige Handlung allein aus, von der natuerlich das Volk ausgeschlossen blieb." Auch Taenze gehoerten zu diesen religioesen Mysterien, die sie allein kannten, auch dies wieder wie bei den Areois. [K] Jak. Grimm, Gesch. d. d. Sprache 1. Aufl. (1848) S. 143 ff. stellt eine Menge Voelker zusammen, bei welchen derselbe Gebrauch vorkam: Scythen (Issedonen, nach Mela 3. Auflage 1868), Kelten (3. Auflage), Germanen verschiedener Staemme (Deutsche, Schweden) Romanen und Slaven. Merkwuerdig ist, dass auch bei Heiligen-Schaedeln der Gebrauch vorkommt, so zu Trier, zu Neuss, und nach Aventin (Ausg. v. 1566 fol. 33, a) zu Ebersberg und Regensburg. Der Gebrauch ist also derselbe; man sieht, es war wohl zunaechst eine Art von Kannibalismus, dann aber auch ein Zeichen der Freundschaft, der Liebe, dankbarer Erinnerung. Zu beachten ist noch, dass Aventin sagt, Niemand haette aus einem solchen Schaedel trinken duerfen, wer nicht einen Feind erschlagen haette, da auch dieser Zug an manches Aehnliche unter den Naturvoelkern erinnert. Doch koennen wir diese hoechst merkwuerdigen Uebereinstimmungen hier nicht weiter verfolgen. [L] Herod. 4, 26 (nach Grimm a.a.O.) sagt von den Issedonen [Griechisch: epean andri apothane pater, hoi prosechontes pantes prosagousi probata chai epeiten tauta thysantes chai chatatamontes ta chrea chatatamnousi chai ton tou dechomenou tethneota gonea, anamixantes de panta ta chrea daita protitheatai]. Auch die Wilzen und Skythen assen ihre verstorbenen Eltern. Die Wenden toedteten noch im 16. Jahrhundert ihre arbeitsuntuechtigen Vaeter unter besonderen Ceremonien (Kuehn, maerkische Sagen und Maehrchen 335). Auch hier stehen wir vor einer uralten und weit verbreiteten Sitte, die wir hier ebenfalls nur beruehren, nicht abhandeln koennen. Vgl. was etwas weiter unten ueber Mare und Neuguinea gesagt wird. Ueber dieselbe Sitte bei Roemern, Griechen, Phoeniziern (Sardinien), spanischen, deutschen u.a. Voelkern siehe Merklin in den Memoires de l'academie de Petersbourg 1852 S. 119 und Osenbrueggen in der Vorrede zu Cicero pro S. Roscio p. 51 ff. Auch das litauische Sprichwort (Schleicher lit. Maehrchen 179) "wie das Soehnchen heranwaechst, hat es auch den Vater erwuergt", koennte auf eine aehnliche, jetzt laengst abgekommene Sitte hinweisen. [M] Bei Bechst. bekommen Knaben nach Genuss einer Zauberspeise die Faehigkeit zu fliegen. In einem sehr aehnlichen indischen Maehrchen bei Somadeva (Brockhaus 104) ist diese Speise Menschenfleisch. Ein Zusammenhang beider Erzaehlungen waere nicht undenkbar. [N] Die Menschenschaedel, welche am Eingange des Palastes, an den Stadtthoren und allen wichtigen Plaetzen Dahomeys angebracht sind (Waitz 2, 130), kann man gewiss nicht anders deuten. Auch unter den Semiten war der Gebrauch verbreitet: die phoenicischen Staedte wurden dadurch fest gemacht, dass man an ihren Thoren und sonst Menschen eingrub (Movers Phoenizien 2, 46). Bei den Indogermanen kommt er vielfach vor; er war bei den Germanen sehr verbreitet, wie Ueberreste dieser Sitte noch heute beweisen; so wird z.B. am Suedharz das kleinste Kind des Hauses barfuss in den frischen Estrich hineingestellt, damit er halte u.s.w. Bei den Slaven kommt er vor, wie sich in vielen ihrer Maehrchen und Sagen zeigt (z.B. Talvj Volkslieder d. Serben 1, 117, die Erbauung Skodras); von den Kelten wird er gleichfalls erwaehnt und Hahn albanesische Studien 1, 160 erzaehlt dasselbe von Albanien. Die Thiere, die man jetzt dort schlachtet und ganz oder theilweise einmauert (wie auch in Deutschland viel geschah), vertreten nur die frueheren geopferten Menschen. In Albanien herrscht auch, um das zu Sec. 4 nachzutragen, ein ganz aehnliches Heilverfahren, wie bei Hottentotten, Amerikanern und Australiern. Jedes Uebel, das auch hier nur auf Bezauberung beruht, wird in Gestalt von etwas Festem aus dem Koerper entfernt und dieses letztere dann eingewickelt fortgeworfen. Wer auf das Eingewickelte tritt, auf den geht die Krankheit ueber (ebend, 159). [O] Der getoedtete Englaender hiess Cheyne und ist derselbe, welcher das auch von uns vielfach benutzte Buch a description of islands in the Western Pacific Ocean, north and south of the Equator geschrieben hat (Petermann, Mittheil. 1868, 28). Obwohl nun dies und seine anderen Schriften sehr werthvoll sind zur Kenntniss des sonst noch so wenig gekannten westlichen Theiles des stillen Ozeans; so hat man doch bei der Benutzung Vorsicht anzuwenden, da Cheyne, selbst Sandelholzhaendler (und Trepangfischer) sich bei der moralischen Beurtheilung der geschilderten Voelker sehr haeufig von seinen Handelsinteressen beeinflussen laesst. So schildert er die Melanesier ohne Ausnahme (Fichteninsel, Lifu, Mare, Uea, Tanna, Erromango u.s.w.) als wild und "hoechst verraetherisch" und war selbst haeufig mit ihnen im Streit. Ebenso erzaehlt er von _allen_ Karoliniern, dass man ihnen nicht trauen duerfe. Er steht also selbst auf dem Standpunkt der Sandelholzhaendler und beachtet nicht, was die Eingeborenen von diesen an Ungerechtigkeit, Raub und roher Gewalt zu leiden hatten. Nach der Lektuere seines Buches wundert man sich nicht, dass er ein solches Ende genommen hat; das ganz einseitige Betonen seiner Handelsinteressen liess vielmehr nichts anderes erwarten. Es faellt daher von hier aus erst das wahre Licht auf die Vorgaenge in Koror, sowohl auf sein Auftreten als auf den Racheakt des englischen Kriegsschiffes. End of the Project Gutenberg EBook of Ueber das Aussterben der Naturvoelker by Georg Gerland *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK NATURVOELKER *** ***** This file should be named 14028.txt or 14028.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: https://www.gutenberg.org/1/4/0/2/14028/ Produced by PG Distributed Proofreaders Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. 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