The Project Gutenberg eBook, Untersuchungen Ueber Goethes Faust in seiner Aeltesten Gestalt, by Joseph Collin This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org Title: Untersuchungen Ueber Goethes Faust in seiner Aeltesten Gestalt Author: Joseph Collin Release Date: December 1, 2004 [eBook #14223] Language: German Character set encoding: ISO-646-US (US-ASCII) ***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK UNTERSUCHUNGEN UEBER GOETHES FAUST IN SEINER AELTESTEN GESTALT*** E-text prepared by David Starner and the Project Gutenberg Online Distributed Proofreading Team UNTERSUCHUNGEN UEBER GOETHES FAUST IN SEINER AELTESTEN GESTALT. I. Der erste Monolog und die Erdgeistscene. INAUGURAL-DISSERTATION ZUR ERLANGUNG DER DOCTORWUERDE BEI DER HOHEN PHILOSOPHISCHEN FAKULTAET DER GROSSH. LUDEWIGS-UNIVERSITAET GIESSEN EINGEREICHT VON J. COLLIN. Giessen, 1892. VORBEMERKUNG. Zuletzt sind die Verdienste sein und unser sind die Fehler. (Hebbel im Prolog zu Goethes hundertjaehriger Geburtstagsfeier.) Durch die Auffindung der Goechhausenschen Abschrift des Faust ist fuer die Faustforschung ein fester Boden geschaffen worden. Wir haben jetzt einen bestimmten Bestand von Scenen vor uns, von denen wir wissen, dass sie vollendet waren, als Goethe Ende 1775 nach Weimar kam. Nicht ausgeschlossen ist allerdings, dass nicht auch noch anderes, Entworfenes, kurz Angedeutetes, vielleicht gar mehr oder weniger Ausgefuehrtes in jener eigentuemlichen Urhandschrift vorhanden war, die Goethe an der bekannten Stelle seiner Italienischen Reise unter dem 1. Maerz 1788 beschreibt[1]. Man darf wohl als sicher annehmen, dass dieses Manuscript der Abschreiberin nicht zugaenglich war, sondern ihr eben auch nur eine Abschrift vorlag, die der Dichter daraus zum Vorlesen oder zur Verbreitung in Freundeskreisen angefertigt hatte, wobei natuerlich nur ausgefuehrte Scenen aufgenommen wurden. Aber noch einen anderen Gewinn hat Erich Schmidts Fund uns gebracht. Ein gluecklicher Zufall macht es hier einmal moeglich, auf die bis dahin geuebte Faustforschung die Probe zu machen. Dabei hat sich denn fuer jeden, der sich nicht dagegen verblendet, ergeben, dass die Methode dieser Forschung einer gruendlichen Nachpruefung beduerfe. Man hatte ohne weiteres eine anderswo beliebte, schon an und fuer sich bedenkliche Methode auf den Faust angewandt und mit ihr, sehr wenig im Geiste des Dichters, dem ein Zerteilen und Zerstueckeln ganz und gar nicht gemaess war, sein Werk, das ja allerdings mit doppelter Unterbrechung zu verschiedenen Zeiten begonnen, weitergefuehrt und vollendet worden ist, noch ausserdem in verschiedene, angeblich nicht zusammengehoerige Teile zerrissen. Die ganze Einseitigkeit dieses Verfahrens offenbart sich besonders in der Art, wie z.B. Scherer den Eingangsmonolog zerpflueckt. Wir sind nun belehrt, dass wir ein Gedicht noch von anderen Gesichtspunkten aus betrachten muessen als den aeusserlichen des Stils und des Metrums, dass wir tiefer und liebevoller in den Gedankengang des Dichters eindringen muessen und nicht sofort, wenn uns das Verstaendnis einer Stelle oder des Zusammenhangs nicht klar entgegentritt, es dem Dichter zurechnen und Widersprueche, aufgegebene Plaene u.a.m. annehmen duerfen. Erst durch tiefes Eindringen in das Kunstwerk ist aus ihm selbst die Methode seiner Betrachtung und Erklaerung zu gewinnen: es ist verfehlt, irgend eine anderswo zu entnehmen und sie, ohne die Eigenart des Werkes zu beachten, darauf zu uebertragen. Im folgenden soll der Versuch gemacht werden, den aeltesten Faust auf seinen Gedankengehalt zu pruefen, ihn mit den uebrigen Werken des Dichters und sonstigen Aeusserungen seines Geistes aus jenen Jahren in Verbindung zu setzen und so einen Ueberblick ueber die geistige Entwicklung des jungen Goethe zu gewinnen. Von hier aus wird sich denn die Moeglichkeit ergeben, die Entstehungszeit der einzelnen Scenen naeher zu bestimmen, vor allem aber hineinzublicken in das schoepferische Innere des Dichters, um ihn bei dem Schaffen seiner Gestalten zu belauschen. Was soll es dagegen viel helfen, wie man es gethan hat, einen Haufen Parallelstellen aus seinen und seiner Zeitgenossen Werken hinzuschuetten und nur aus dem rohen Gleichklang der Worte, der Aehnlichkeit der Bilder, die Gleichzeitigkeit von einzelnen Scenen mit jenen zu beweisen? Eine Geschichte des Geistes des Dichters, seiner inneren Entwicklung muss versucht, seine Beruehrungen und seine Verwandtschaft mit den Geistern seiner Zeit aufgedeckt, die Gedanken des Dichters in ihrer Zugehoerigkeit zu seinen und seiner Zeit Gedankenkreisen betrachtet werden. Das Gewebe darf nicht zerrissen, vielmehr muss seinem inneren Zusammenhang, dem Verlauf der Faeden eingehend nachgeforscht werden. Der Eingangsmonolog, die Erdgeistscene, die Wagner- und die Schuelerscene, die Scene in Auerbachs Keller, ein grosser Teil der Gretchentragoedie sind jetzt als ein Werk des jungen Goethe erwiesen. Der aelteste Faust tritt also damit als ein wichtiges Glied in die Reihe der Jugendwerke ein. Sein innerer Zusammenhang mit jenen soll daher im folgenden nachgewiesen und so ein fester Boden gewonnen werden zur Erklaerung und zeitlichen Festsetzung der einzelnen Hauptteile des aeltesten Faust, ueber deren Entstehungszeit auch jetzt noch eine grosse Unklarheit herrscht. Auch die zeitgenoessische Litteratur ist dabei heranzuziehen, vor allem der geistesverwandte Herder, dessen Verhaeltnis zu seinem grossen Schueler ebenfalls der Klarstellung bedarf. Endlich wird dann auch die Untersuchung ergeben, welches der Grundgedanke der aeltesten Dichtung sei, und von hier aus zu pruefen sein, ob der Dichter in den spaeteren Fortsetzungen damit eine wesentliche Aenderung vorgenommen, oder ob er in gleichem Geiste weitergebaut und ausgebaut habe. Von der abgeschlossen vorliegenden Untersuchung kann hier nur ein Teil als Probe gegeben werden, der wiederum nur ein Teil der eingereichten Dissertation ist. Das Weitere wird bei naechster Gelegenheit folgen. Goethes Werke u.s.w. sind angefuehrt nach der Weimarischen Ausgabe, soweit sie bis jetzt erschienen ist; (G. Werke herausgeg. im Auftrage der Grossherzogin Sophie von Sachsen; Weimar. Boehlau: 1) Werke. 2) Naturwissenschaftl. Schriften. 3) Tagebuecher. 4) Briefe)--ferner nach Hirzels Sammlung: Der junge Goethe. Seine Briefe und Dichtungen von 1764-1776. Mit einer Einleitung von Michael Bernays. 3. Teile. Leipzig; Hirzel.--(D.j.G.) Die Gespraeche nach Biedermann: Goethes Gespraeche, Bd. 1-9. Leipzig. F.W. v. Biedermann 1889-1891. Die Frankfurter Gelehrten Anzeigen (F.G.A.) nach dem Neudruck Seufferts in den deutschen Litteraturdenkmalen des 18. Jahrhunderts. No. 7 u. 8. Goethes Anteil an Lavaters Physiognomik nach E. von der Hellen, Goethes Anteil an Lavaters Physiognomischen Fragmenten. Frankfurt a. M. Litterarische Anstalt Ruetten und Loening 1888.--(v.d.H.) Im uebrigen Goethes Werke nach der bei Hempel erschienenen Ausgabe (darin in Teil 20-23 v. Loepers Commentar zu Dichtung und Wahrheit.) Herders Werke nach der von Suphan besorgten Ausgabe (Berlin, Weidmannsche Buchhandlung; seit 1877.) Hamanns Schriften nach der Ausgabe von Fr. Roth; Berlin bei G. Reimer 1821 ff. UNTERSUCHUNGEN UEBER GOETHES FAUST IN SEINER AELTESTEN GESTALT. Goethes Faust in seiner aeltesten Gestalt, wie er uns jetzt seit Erich Schmidts gluecklicher Entdeckung der Goechhausenschen Abschrift vorliegt[2], zerfaellt in drei deutlich zu scheidende, unmittelbar auf einander folgende Hauptmassen. Es sind: 1) Der erste Monolog Fausts mit der Erdgeistscene: (V. 1-168 = 354-521). 2) eine Reihe von Scenen, die mit einander gemein haben, dass sie auf akademische Zustaende ein satirisches Licht werfen. Die erste von ihnen zeigt uns den Professor Faust mit seinem Famulus Wagner: sie ist unmittelbar mit der ersten Hauptmasse verbunden. (V. 109-248 = 522-605.) Darauf folgt jedoch ohne anderen als inneren Zusammenhang die Schuelerscene. (V. 249-444 = 1868-2050). Der Teufel in des Professors Maske belehrt den jungen Studenten. Eine dritte Scene (V. 445-452, von da in Prosa. Z. 1-210 mit Liedern untermischt = V. 2073-2336) fuehrt mitten hinein in das rohe, geistlose Treiben akademischer Jugend. Doch gehoert die Scene in Auerbachs Keller im uebrigen in einen neuen Zusammenhang; sie ist die erste Station auf Fausts Welt- und Lebensfahrt. In diese Scenenreihe haette, wenn sie ausgefuehrt worden waere, die Disputationsscene gepasst. (Paralip. 11. 12.)[3] Der Doctorschmaus (V. 1712) haette sich an sie angeschlossen. Jedenfalls hatte also der Dichter urspruenglich dem akademischen Leben und Treiben, auf dessen Boden ja sein Held zunaechst stand, von dem er losgerissen werden sollte, eine ausfuehrlichere Behandlung zugedacht. 3) Die Gretchentragoedie, das im aeltesten Faust am meisten ausgefuehrte und daher auch raeumlich bedeutendste Stueck; sie beginnt mit der ersten Begegnung von Faust und Gretchen und endet mit der Kerkerscene. (V. 458-1435; danach zwei Scenen in Prosa Z. 1-66 und 1-112, unterbrochen durch die Verse 1436-1441; = 2605-3216; 3342-3369; 3374-3659; 3776-3834. Z. 1-81; 4399-4612.) Eine einzige Scene des aeltesten Faust wurde spaeter ganz fallen gelassen; es ist die kleine Uebergangsscene vor der Gretchentragoedie (Landstrasse. 453-456); alle uebrigen finden sich, wenn auch teils veraendert, teils umgedichtet im Fragment von 1790[4] und in der Ausgabe von 1808 wieder. 1. Der erste Monolog und die Erdgeistscene. Die erste Hauptmasse gliedert sich wieder in verschiedene Teile; naemlich V. 1-32 = 354-385; eine Art von Prolog, um uns ueber Vorgeschichte und Sage Fausts aufzuklaeren.--V. 33-65 = 386-418; ein lyrischer Erguss, der Fausts Sehnsucht nach der Natur und seiner Erkenntnis, in welch unnatuerliche Verhaeltnisse er selbst eingeschlossen sei, tief empfundenen Ausdruck verleiht.--V. 66-106 = 419-459: Faust wendet sich dem Zauberbuch zu; die Wirkung des Zeichens des Makrokosmus.--V. 107-160 = 460-513: Die Erdgeistscene. Darauf folgen als Abschluss und Uebergang zu der Wagnerscene die Verse 161-168 = 514-521. In welchem Zusammenhang stehen nun diese vier Teile? Was enthalten sie? Was kann ihr Inhalt uns sagen, um die Zeit ihrer Entstehung naeher zu bestimmen? Der erste Teil haelt sich in der Hauptsache an die Ueberlieferung der Sage von Dr. Faust, wie sie uns im Volksbuch[5] und Volksschauspiel[6] entgegentritt. Faust hat alle Wissenschaften durchstudiert, ohne Befriedigung fuer seinen Erkenntnisdrang zu finden; er hat sich darum der Magie ergeben, um auf diesem Wege zu seinem Ziele zu gelangen. Er haelt im Anfang eine Ueberschau ueber seine Studien, es ist dies ein Motiv, das in der Litteratur durchaus volkstuemlich geworden war. Im aeltesten Volksbuch (1587) ist Faust urspruenglich Theologe, um dann Dr. Medicinae, Astrologus und Mathematicus zu werden; ebenso in dem spaeteren Auszug des christlich Meinenden. Im Volksschauspiel hat er jede Fakultaet und alle nur denkbaren Wissenschaften studiert. Bei Marlowe zuerst, dessen Dr. Faustus Goethe nicht kannte, werden die Wissenschaften einzeln aufgezaehlt, geprueft und verworfen. Aehnlich findet sich das Motiv in dem Spiel von Frau Jutten verwertet, ebenso auch z.B. bei Andrea in dem guten Leben eines rechtschaffenen Diener Gottes (mitgeteilt von Herder in den Briefen das Studium der Theologie betreffend,[7]) S. 103 und mit Fischartischer Wortspielerei Seite 108. Urspruenglich schloss es sich an das Trivium und Quadrivium, spaeter an die vier Fakultaeten an. Dies alte volkstuemliche Motiv zu benutzen, lag dem Dichter um so naeher, da er aehnliches selbst erlebt hatte. Auch er hatte sich in allem Wissen umhergetrieben; in Strassburg hatte er sich neben seinem Fachstudium mit der Medizin beschaeftigt. Seine Dissertation beruehrte sich mit dem Gebiete der Theologie. In Frankfurt nahm er dann unter Hamanns und Herders Einfluss am Bibelstudium wie an theologischen Zeitfragen lebhaften Anteil. Das beweisen eine Reihe Recensionen in den Frankfurter Gelehrten Anzeigen des Jahres 1772, vor allem die beiden theologischen Schriften, die, im J. 1773 erschienen, zugleich den Abschluss einer religioesen Epoche Goethes bedeuten. Nicht ohne Bedeutung aber fuer die Zeitbestimmung--darauf mag schon hier im Zusammenhang hingewiesen werden--ist das "leider" auch die Theologie. Denn erst im Jahre 1773 wandte sich der junge Goethe entschieden von den rechtglaeubigen, durch seine Beziehungen zu der Bruedergemeinde genaehrten Anschauungen ab. Spinoza begann zu wirken (s. den Brief an Hoepfner vom 7. Mai 1773[8]). Das Fragment Mahomet[9] zeigt zuerst den pantheistischen Einfluss. Die satirischen Dramen der lebensfreudigen Jahre 1773 und 1774 beweisen durch ihren Spott die Aenderung, die in seinen Ansichten eingetreten war. Sein lebensfroher Pelagianismus, der mehr und mehr nach der duesteren Leidenszeit der zweiten Haelfte des Jahres 1772 in ihm erstarkt war, schuettelte unwillig die Fesseln des alten Glaubens ab. In prometheischem Uebermut stellte er sich als selbstaendig der Gottheit gegenueber. In einer solchen Zeit kam ihm das "leider" aus vollem Herzen, wenn er auf fruehere Bestrebungen und Meinungen zurueckschaute. Dass Faust ueberhaupt aber seine Studien als einen auf ihm lastenden Druck empfindet, dessen er nur seufzend gedenken mag, passt weniger fuer den Gelehrten des 16. als fuer den Menschen des 18. Jahrhunderts, der sich grade von jener unfruchtbaren, starren, kleinlich polyhistorischen Gelehrsamkeit mehr und mehr zu befreien strebte[10]. Auch er hatte sich, wie der Dichter spaeter erklaert, in allem Wissen herumgetrieben und war frueh genug auf die Eitelkeit desselben hingewiesen worden.[11] Doch bewahrte ihn sein Lebensgang in der Jugend davor, allzusehr mit der Schulweisheit seiner Zeit in Beruehrung zu kommen, sodass er etwa ihren lebenhemmenden Einfluss so empfunden haette, wie z.B. Lessing und Herder. Der junge Lessing musste sich erst durch den Wust der Excerptengelehrsamkeit und Collektaneenweisheit durcharbeiten zu der Erkenntnis, dass ihn die Buecher wohl gelehrt aber nimmermehr zu einem Menschen machen wuerden; und so ward aus dem Theologus ein Weltmensch, wie einst Dr. Faust. Herder aber trieb es gar hinaus aus der engen, eingeschraenkten Sphaere in die Welt, das Leben. Wie beweglich klagt er im Journal seiner Reise vom Jahre 1769 ueber die verlorenen Jahre: "Ich waere nicht ein Tintenfass von gelehrter Schriftstellerei, nicht ein Woerterbuch von Kuensten und Wissenschaften geworden, die ich nicht gesehen habe und nicht verstehe: ich waere nicht ein Repositorium voll Papiere und Buecher geworden, das nur in die Studierstube gehoert."[12] Man sieht, Fausts Unbehagen und Unbefriedigung ueber das Unfruchtbare seiner Studien waren die des Jahrhunderts seines jungen Dichters[13]. Dagegen fehlt der Hinweis auf die wissenschaftlichen Grade (V. 7.-360.) nicht in der Ueberlieferung; bezeichnend hat jedoch der Dichter im aeltesten Faust mit ihr eine kleine Aenderung vorgenommen, waehrend er im Fragment und der Ausgabe von 1808 wieder zu ihr zurueckgekehrt ist. Statt des mittelalterlichen Magistertitels wird urspruenglich der mehr moderne Professortitel gebraucht. Denn offenbar hatte kurz nach den akademischen Jahren der junge Dichter noch mehr, als spaeter ausgefuehrt wurde, die Absicht, auf das akademische Leben und Treiben grade seiner Zeit satirische Streiflichter zu werfen, was ja auch das Thema der zweiten Hauptmasse von Scenen ist. Daher ward von vornherein mehr Gewicht auf Fausts akademische Lehrthaetigkeit gelegt. Das Treiben auf einer Universitaet, an der Faust wirkte, bildete einen Hintergrund, von dem der Held sich mehr und mehr losloesen, zu dem er in Gegensatz treten sollte. Die eigenen Erfahrungen des Dichters aus seinem Universitaetsleben, vor allem aus dem Kampfjahr 1772, da er in den Frankfurter Gelehrten Anzeigen gegen trockene Schulweisheit und tote Buchstabengelehrsamkeit, gegen unhistorische Auffassung und lebenbeengende Spekulation unter Herders Fahnen gefochten, mit einer Scholastik, die wir uns gewoehnt haben, mittelalterlich zu nennen, obwohl sie nie ausstirbt, einen frischen, froehlichen Krieg gefuehrt hatte, verliehen diesem Teil seines Gemaeldes kraeftige, lebenswahre Farben. Fuer Fausts Entschluss endlich, sich der Magie zu ergeben, bot ihm ebenfalls sein frueheres Leben Beziehungen[14]. Hatte doch er, in dessen Geiste sich zwei Zeitalter bekaempften, sich selbst noch einst mit magischen Versuchen befasst und sich ganz im Sinne der Alchemisten eine Weltanschauung gebildet. Wir sehen danach, wie in diesem ersten Teile das vom Dichter Erlebte mit den ueberlieferten Zuegen der Sage wohl in Einklang gebracht werden konnte. Wie gut die Verschmelzung gelungen sei, zeigt auch der ganze Charakter des kurzen Prologs; mehr altertuemlich-kraeftig mutet er uns an, besonders im Gegensatz zu der folgenden ganz modern-weichen Partie, als sollte sich gleich von Anfang der durchgehende grundsaetzliche Unterschied zwischen dem Faust der Sage und dem des Dichters in zwei verschieden angeschlagenen Grundtoenen offenbaren. Keinen Anhalt dagegen gibt die Sage, wenn Faust es empfindet und ausspricht, dass er ueber die grosse Masse der Gelehrten weit hinausrage[15], ihm aber dafuer auch fehle, woran sie sich freuen, naemlich bei aller Beschraenkung der Glaube, sie wuessten etwas Rechtes, vermoechten die Menschen zu bessern und bekehren. Wie Sokrates den Sophisten gegenueber, die da glaubten, etwas zu sein ohne es zu sein, zu der Erkenntnis gekommen war, dass wir nichts wissen koennen, so auch hier Faust. Fuer ihn ist sie zunaechst niederschmetternd, fuer den Philosophen des Altertums ward sie die erste Stufe, von ihr aus zu klaren Begriffen aufzusteigen. Sein Charakter hatte schon den jungen Goethe fruehe zu dichterischer Darstellung gereizt. Die Lektuere von Platons Apologie, Hamanns Sokratischen Denkwuerdigkeiten[16] hatten ihn ihm naeher gebracht. Die Geschichte Gottfriedens von Berlichingen, in der er seinen Helden in mutigem, aber vergeblichem Kampfe gegen eine neue Zeit dargestellt hatte, war eben vollendet worden; da draengte sich ihm am Ende des Jahres 1771 der Plan zu einem Sokrates auf; nach dem Goetz zog ihn das Bild eines Geisteshelden, von welchem Schlage ja auch Faust war, an; der heldenmuetige Kampf gegen die feindlichen Maechte des Unverstands und des Scheins, gegen das "pharisaeische Philistertum" sollte vorgefuehrt werden[17]. Es ward nicht ausgefuehrt. Was dem Dichter daraus lebendig blieb, ward von dem maechtigen Strom des Hauptwerkes aufgenommen, diente dem hierin mit Sokrates geistesverwandten Faust zur Charakteristik. Faust entbehrt aber nicht nur der Freude, die die grosse Menge bei ihren Beschaeftigungen empfindet, auch sonst mangelt seinem Leben jede aeussere Zierde und jeder Glanz, die ihm, da er die Schranken seiner inneren Menschheit fuehlt, eine Art von Ersatz bieten koennten fuer die innere Einschraenkung des Menschen[18]; auch in seinem aeusseren Leben ist ihm eine gewisse Freiheit der Bewegung nicht vergoennt: So empfindet er tief in seinem Inneren die Grenzen der Menschheit, und blickt er nach aussen, so fuehlt er sich auch hier in der Enge. "Es moecht kein Hund so laenger leben!"--Der Vergleich mit Werther draengt sich hier von selbst auf. Was ihn kennzeichnet, ist das Gefuehl, nie Befriedigung finden zu koennen. Ahnungen und Begierden sieht er in seinem Inneren, die in keinem Verhaeltnis stehen zu der Einschraenkung der thaetigen und forschenden Kraefte des Menschen. Als sich aber auch keine Aussicht zeigt, eine maechtige Leidenschaft, die ihn ganz erfuellt, zu befriedigen, vermag er nicht mehr laenger zu leben und gibt sich den Tod. Er hat jedoch ebenfalls bei seinem maechtigen inneren Ringen das deutliche Gefuehl, dass er sich dadurch grade von der grossen Masse der Menschen unterscheide, nicht minder aber sieht er ein, dass jenen dafuer auch die Erkenntnis ihrer Eingeschraenktheit abgehe, und sie sich darum in den engen Grenzen ihres Daseins gluecklich fuehlen und es, so gut es geht, ausschmuecken und verzieren, eine Freude, die ihm nie werden kann. Darum gibt es fuer den kranken Werther von Anfang an fuer all das nur einen Trost, im Herzen das suesse Gefuehl der Freiheit, und dass er diesen Kerker verlassen kann, wann er will[19]. Nicht Befriedigung finden zu koennen und endlich sogar da nicht, wo sie doch anderen gegeben ist, dazu die Enge des buergerlichen Lebens, ein Motiv, das der Dichter noch weiter ausgestattet und verstaerkt hat, um ausdruecklich damit die That seines Helden zu begruenden, treiben Werther in den Tod. Dass fuer beides das Leben des Dichters reichlichen Stoff lieferte, braucht hier nicht weiter ausgefuehrt zu werden. Am schaerfsten ausgepraegt erscheint der Gegensatz zwischen menschlichem Streben und den Kuemmerlichkeiten und Plagen des gewoehnlichen Lebens noch einmal in Kuenstlers Erdenwallen vom Sommer 1774, hier aber, sehr bezeichnend fuer den durch den Werther innerlich befreiten Dichter, ausklingend in kraeftige Trostworte an den klagenden und verzagenden Kuenstler[20]. Ausgangspunkt ist also im Werther wie im Faust das tiefe Problem von der Bedingtheit der menschlichen Natur gegenueber seinem unendlichen Streben, von dem daraus sich ergebenden inneren Freiheitsdrange; im Werther geht dieses Streben jedoch schliesslich in die Form einer endlosen Leidenschaft ueber, die sich ein bestimmtes, einzelnes Ziel gesteckt hat: im Faust bleibt es auf das Hoechste im Leben gerichtet; er findet die Kraft durch eine auf das Gebiet des Erreichbaren sich beschraenkende, immer bedeutender werdende Thaetigkeit Befriedigung zu suchen und das Unerforschliche fuer sich bestehen zu lassen. "Ich hatte nie die Idee, aus dem Sujet ein einzelnes Ganze zu machen," schreibt er an S. Laroche[21], da er Mitte Februar 1774 am Werther arbeitete. Allerdings nicht: denn sie war damals schon in seinem Geiste als der Keim vorhanden, aus dem sich der Faust bilden sollte. So deutet es nicht bloss auf einen aeusseren Zusammenhang, sondern auf einen inneren, dem Dichter noch wohl bewussten, wenn er viel spaeter zu Eckermann sagte: Der Faust entstand mit meinem Werther[22]. Werther toetet sich selbst; Faust sucht zunaechst noch einen Ausweg, um zu seinem Ziele zu gelangen: er ergibt sich der Magie, wie es die Sage vorgezeichnet hatte. Was hofft er durch sie zu erlangen? Erkenntnis dessen, was die Welt in ihrem Innersten zusammenhaelt, d.h. also das geistige Band der Schoepfung, das schoepferisch fortwirkend das Geschaffene zu einem Ganzen vereint, ferner alle wirkende Kraft und, wie er in der Sprache der Alchemisten fortfaehrt, Samen, d.h. die jene hervorbringenden Ursachen. Man vergleiche dazu folgende Stelle in den Aufsaetzen Nach Falkonet und ueber Falkonet[23], wo er von der Gewalt der Zauberei spricht, die den Kuenstler allgegenwaertig fasst, dadurch ihm die Welt ringsumher belebt wird: "Davon fuehlt nun der Kuenstler nicht allein die Wirkungen, er dringt bis in die Ursachen hinein, die sie hervorbringen." Faust will also nicht allein die wirkenden Kraefte der Natur schauen, sondern auch die sie erzeugenden Ursachen[24]. Wozu aber, wenn nicht, um selbst zu schaffen? Ihn verlangt es also nach einer schoepferischen Erkenntnis der Natur, um gleich ihr schaffen zu koennen; dagegen draengt es ihn fort von einer unfruchtbaren Wissenschaft, die sich mit Worten ohne lebendige Kraft und lebendigen Sinn begnuegt. Von dem Drang nach solchem Wissen ist er also von Anfang an geheilt. Ihm kommt es allein auf eine schoepferische Erkenntnis der Natur an, die, wie er einsieht, durch Wissen nicht erlangt werden kann. Wir befinden uns damit in dem Gedankenkreise, in dem sich der junge Goethe besonders in den Jahren 1773 und 1774 bewegte, da er lebhaft nach Erkenntnis der Natur und ihrer schoepferischen Kraefte verlangte, um so in das Geheimnis lebendiger kuenstlerischer Darstellung einzudringen. Vor allem ist es das Jahr 1774, jene herrliche Zeit mit maechtiger Lebenskraft hervorquellender Genialitaet, da er in den Gedichten ueber Kunstnatur und Naturkunst seinem gewaltigen Streben nach kuenstlerischer Thaetigkeit und zugleich dem Zweifel, der Unruhe, den Fragen und Klagen, wie und ob eine der schaffenden Natur aehnliche Schoepfungskraft auch bei ihm lebendig werden koennte, wechselnden Ausdruck gibt. Eine Art von Antwort auf Fausts erste Frage nach dem inneren Zusammenhalt der Welt erteilt dabei eines von ihnen[25], das wohl mit Recht dem Jahr 1774 zugeschrieben werden darf: Und fuehle, wie die ganze Welt Der grosse Himmel zusammenhaelt.[26] Diese Andeutungen moegen hier genuegen, denn wir werden bei Besprechung des 3. Theils des ersten Monologs noch einmal auf des jungen Goethe Natur- und Kunstanschauungen im Zusammenhange zurueckkommen muessen. Nur auf eins sei noch hingewiesen, was wir auch im weiteren Gang der Betrachtung noch oefter bemerken werden; es ist die Art, wie der Dichter ueberlieferten Begriffen und Anschauungen aus seinem eigenen Inneren neuen Lebensgehalt gibt, wie sie ihm erst dadurch lebendig werden, dass sie in Beziehung zu seinem eigenen Fuehlen und Denken treten. So verbuendet sich in ihm der Begriff mittelalterlicher Magie, die ja auch in das schoepferische Geheimnis der Natur eindringen wollte, um selbst, allerdings in anderem Sinne, zu schaffen, mit jener Magie des Kuenstlers, die er als Dichter oft genug gefuehlt hatte und die er als bildender Kuenstler mehr und mehr in ihrer Zaubergewalt zu empfinden hoffte. Der zweite Teil des Monologs (V. 33-65 = 386-418--Scherer in den Betrachtungen ueber Faust[118]) fasst verkehrt V. 33-74 = 386-427 zusammen, obwohl mit der Angabe des Themas: Flieh! Auf! Hinaus ins weite Land! ein deutlicher und bestimmter Abschluss gegeben ist, und mit dem folgenden Verse offenbar ein neuer Gedankengang sich eroeffnet[27] unterscheidet sich von dem ersten zunaechst in der Art des Ausdrucks. Ist der erste Teil mehr episch gehalten, indem er auf Empfindungen zurueckgeht, die Faust nicht zum ersten Mal bewegen, so gibt der zweite solche, die ihn mit aller Gewalt im Augenblick ergreifen. Der Uebergang zu dieser daher lyrisch gehaltenen Partie geschieht anscheinend ganz aeusserlich dadurch, dass das Mondlicht in Fausts Zimmer faellt. Man hat nun bei diesen beiden Teilen von einer Verschiedenheit des Stils und der Metrik gesprochen und nicht nur angenommen, sie seien zu verschiedenen Zeiten gedichtet, sondern sogar, dass der zweite zum vorhergehenden wie zu dem folgenden in unloesbarem Widerspruch stuende.[28] Ehe man jedoch von Stilverschiedenheit reden darf und daraus solche Schluesse zieht, ist die Frage zu stellen, ob sie vielleicht nicht innerlich durch die Verschiedenheit des Inhalts notwendig begruendet sei. Musste nicht etwa der Dichter von selbst fuer seine Empfindung eine andere Ausdrucksweise waehlen, musste nicht wiederum diese das fuer sie geeignete Metrum sich selbst schaffen? Betrachten wir aber die beiden ersten Teile, so ergibt sich deutlich, dass unmoeglich der Eingang, der uns zur Aufklaerung der Lage einen kurzen Bericht von etwas gibt, das Faust nicht zum ersten Mal empfindet, in gleichem Ton gehalten werden konnte als der darauf folgende unmittelbar aus der Seele quellende Erguss. Trotzdem duerfen wir fragen: Warum hat der Dichter nicht unmittelbar an das: "Drum hab ich mich der Magie ergeben" angeknuepft? Wodurch ist diese lyrische Partie begruendet, die anscheinend den Zusammenhang unterbricht? Faust hat sich der Magie ergeben, um auf unnatuerlichem Wege zur Erkenntnis der Natur zu gelangen. Da kuendet sich die Natur draussen selbst an, indem sie auf einmal bei diesen Worten ihr helles Licht in seinen duesteren Kerker wirft. Es ist eine Warnung der Natur; ihr Licht sucht einzudringen in das Dunkel der Beschwoerungsnacht und moechte ihm zurufen: Nicht durch Magie gelangst du zur Erkenntnis meiner; nur durch die Natur fuehrt der Weg zur Natur! Allein Faust versteht die Warnung nicht, und darf sie nicht verstehen. Sie wird ihm zu einer blossen Mahnung an die Natur. Ein ossianisches Nachtbild[29] steht sie vor seinem Auge; sehnsuchtsvoll fuehlt er sich zu ihr hingezogen; bei ihr moechte er, der sich endlich durch beklemmenden Wissensdurst durchgerungen hat, Erfrischung und Heilung der gelaehmten Lebenskraft suchen. Allein die Erscheinung verschwindet, er sieht sich wieder in seinem grabaehnlichen Kerker; aber nun kommt es ihm zum Bewusstsein, in welchem Gegensatz zur Natur er lebt, der doch die lebenschaffende Natur in ihren geheimsten Tiefen ergruenden will; er hat sich selbst in diesen Kerker geschlossen, der ihn an alles andere gemahnt als an das tiefe Leben der Natur. Ist es da noch wunderbar, wenn er in seinem Inneren sich eingeengt fuehlt, wenn in solcher Umgebung alle lebendige Kraft gehemmt wird? Darum fort aus dieser Enge, hinaus ins weite Land! Natur und Wissen als Gegensaetze sind ihm aufgegangen; ebenso die Natur draussen und die fuer den Gelehrten so charakteristische Physiognomie seiner Umgebung[30]. Man stelle sich dagegen den jungen Dichter selbst vor, schaffend in seiner von Werken lebendiger Kunst geschmueckten Kuenstlerwerkstaette! Allein der Gegensatz zwischen Natur und Magie wird ihm noch nicht klar, darf ihm nicht klar werden; hofft er doch bei ihr, wie wir sehen werden, die Natur zu finden und Belehrung von ihr zu erhalten! Warum hat nun der Dichter also hier die Natur warnend und mahnend eingefuehrt? Offenbar, weil er sich im Widerspruch zu der Ueberlieferung der Sage fuehlt. Darum will er uns ahnen lassen und moechte auch seinen Helden ahnen lassen: durch Magie nicht zur Natur, allein durch die Natur! Der Mensch des 18. Jahrhunderts, der Zeitgenosse Rousseaus, dessen ganzes jugendliches Streben nach der Natur gerichtet war, tritt hier in Widerstreit mit dem duesteren Aberglauben einer vergangenen, aber immer noch nachwirkenden Zeit. Daher durchbricht er, nachdem er sich im Eingang im grossen Ganzen an die Sage gehalten hatte, weil sie ihm Beziehungen zu seinem Leben bot, fuer einen Augenblick die den modernen Dichter beengenden Schranken der alten Sage, und um so maechtiger ergiesst sich der Strom seiner eigensten Empfindung dahin. Der Zusammenhang zwischen den beiden ersten Teilen des Monologs ist also voellig klar und widerspruchslos. Ja, der scheinbare Widerspruch ist grade ein Beweis fuer die Einheit im Geiste des Dichters, aus der sie entsprungen sind. Er beruht nicht auf einem Gegensatze zwischen den beiden Teilen, sondern auf dem eigentuemlichen Verhaeltnisse, das der moderne Dichter zu der alten Sage einnimmt; es ist dies gerade beim Faust der wichtigste Grund geworden, weshalb er nach dem Jahre 1775 die Arbeit so lange ruhen liess. Dieser innere Widerspruch zwischen Sage und Dichter muss daher wohl beachtet werden; er ist stets fruchtbar zu machen, wenn wir das Werk eines Dichters betrachten, der eine alte Sage, deren im Lauf der Jahrhunderte fest gewordene Form er nicht voellig zerschlagen darf, ohne damit zugleich ihren eigentlichen Gehalt zu verfluechtigen, zum Stoff seiner Dichtung gewaehlt hat. Unter demselben Gesichtspunkt sind Homers Epen, unter demselben das Nibelungenlied zu betrachten; wer ihn nicht beachtet, wird dazu kommen gerade, was dem neuen Dichter gehoert, im Gegensatz zu den unzerstoerbaren Bestandteilen der Sage als spaetere Zusaetze und Einschiebsel anzusehen.[31] Auch mit dem dritten Teile des Monologs besteht, wie schon angedeutet, durchaus kein unloesbarer Widerspruch. Der Dichter laesst das angeschlagene Motiv fallen; man saehe nicht, warum, meint Scherer.[32] Er muss es fallen lassen. Faust flieht nicht hinaus zur Natur, sondern wendet sich, ganz im Charakter der Sage, dem Zauberbuche zu. Warum laesst der Dichter Faust nicht fliehen? Liess er das geschehen, so zerschlug er damit das Gefaess der Sage, in das er doch seine Empfindungen legen wollte. Welche Fortsetzung war da noch moeglich? Ein Faust, der sich nicht der Magie ergab, der keinen Bund mit dem Teufel schloss, sondern sich unmittelbar an die Natur gewendet haette, war kein Faust mehr. Der Dichter musste seinen subjectiven Standpunkt der Sage gegenueber aufgeben, und nachdem er seiner eigenen Empfindung ein Zugestaendnis gemacht und sie so uns hatte ahnen lassen, mit richtigem Takte zu der Ueberlieferung zurueckkehren. Der klare Blick des Dichters durfte seinem Helden nicht gegeben werden. Erst viel spaeter sollte ihm die Erkenntnis werden: Koennt' ich Magie von meinem Pfad entfernen, Die Zaubersprueche ganz und gar verlernen, Stuend' ich, Natur, vor dir ein Mann allein, Da waer's der Muehe wert, ein Mensch zu sein.[33] Jetzt darf aber Faust diesen Gegensatz zwischen Natur und Magie noch nicht fassen, wie er den zwischen Natur und Wissen nach langer bitterer Erfahrung erkannt hat[34]. Er muss glauben, in der Magie die Natur als Lehrerin zu finden. Faust wendet sich dem Zauberbuch zu, das vor ihm liegt. Sollte es ihm genuegende Fuehrung auf seinem Wege zur Erkenntnis sein? Wird er dann nicht den Lauf der Sterne erkennen? Wird er also nicht auch hier die Natur finden, die ihn unterweise? Mit feinem Geschick fuehrt der Dichter den Begriff der Natur hier ein; Natur kann man ja beides nennen und sind ja auch beide, die alchemistische wie die in der Auffassung und dem Sinn seiner Zeit. Damit ist zugleich die Verbindung zwischen dem zweiten und dem dritten Teile hergestellt. Scherer stellt hier die Frage, warum Faust nicht schon laengst das Zauberbuch aufgeschlagen habe, warum er nur eine Minute laenger in dem qualvollen Zustand des Nichtwissens geblieben sei?[35] Sei es denkbar, dass er es so lange besessen und es nie ordentlich betrachtet habe? Daraus, dass er es jetzt erst betrachte, zieht er den Schluss, dass er es jetzt erst erhalten habe[36]; er glaubt daher, in den Zusammenhang gehoere eine Scene, in der es gebracht werde, wie es im Volksschauspiel der Fall ist. Allein diese Fragen und Bedenken Scherers sind sehr verkehrt und ueberfluessig[37]. Der Dichter musste uns doch einen so wichtigen Schritt in Fausts Leben, wie es der Uebergang zur Magie ist, lebendig darstellen, vor unseren Augen geschehen lassen. Er ist ja das eigentliche Thema des ganzen Monologs. Wir muessen uns doch vorstellen, dass das Stueck eben von diesem Entschlusse seinen Ausgang nimmt. Es ist in feierlichster Nachtstunde. Faust sitzt unruhig auf seinem Sessel am Pult; vor ihm liegt das Zauberbuch; heute Nacht will er den grossen Schritt thun, zum ersten Mal die Geister beschwoeren. Zunaechst wiederholt er uns die Geschehnisse der Vergangenheit, die seine Absicht zur Reife gebracht, seinen Entschluss begruenden. Alles Wissen hat ihn nicht zum Ziele gebracht. Klagend blickt er auf die verlorene Zeit des Lebens zurueck. Ein neues Leben soll beginnen. Jetzt soll die Magie helfen! Das fuer seine Zukunft bestimmende Wort ist ausgesprochen, da kuendet sich ihm die Natur als erste Erscheinung der Beschwoerungsnacht warnend an; aber Faust versteht die Mahnung nur in Beziehung auf die eben abgethane Vergangenheit, in der er sich in grab- und kerkeraehnlicher Umgebung mit allem toten Wissen gequaelt, um das Geheimnis des Lebens und der Schoepfung zu ergruenden; noch nicht darf ihm aber klar werden, was er erst im langen Lebensgange erfahren soll, dass auch Magie ihn niemals so wenig wie das Wissen zu seinem Ziele bringen werde. Faust greift, wie er es von Anfang an beabsichtigt hatte, zu dem Zauberbuche. Was will da noch die kleinliche Frage, woher er das Buch habe, warum er es nicht schon frueher aufgeschlagen habe? Der Dichter musste doch alles nach der Erzaehlung des Eingangs in lebendiger Darstellung aufloesen. Wie er das Buch erhalten habe, das kuemmert den Dichter sehr wenig; das gehoert vor die Scene, nicht in die Scene. Denn wenn auch jetzt erst mit V. 66=419 die Beschwoerung beginnt, so beginnt das Stueck selbst mit der Absicht und dem Entschluss, sie vorzunehmen, was Scherer nicht verstanden hat. Ganz und gar missverstanden hat Scherer den Dichter noch in einem anderen Punkte, und dies ist auch der Grund, weshalb er die zweite Partie mit V. 74 = 427 ansetzt, sie also mitten in einem Satze abschliessen laesst. Obwohl im V. 66 = 419 mit dem: Und dies geheimnisvolle Buch------ein deutlicher Uebergang gemacht wird, und damit das in der zweiten Partie angeschlagene Motiv von der Flucht zur Natur aus den angegebenen Gruenden fallen gelassen wird, glaubt Scherer trotzdem, Faust denke auch hier noch (V. 66-74 = 419-427) daran, fortzugehen. Er hat naemlich im V. 68 = 420 die Worte: "Ist Dir das nicht Geleit genug?" voellig verkehrt aufgefasst, insofern er glaubt, das Buch solle ihm als Begleiter auf seinem Gange dienen, um draussen die Beschwoerung zu beginnen[38]! Aber nicht auf seinem Gange zur Natur draussen soll ihn das Buch begleiten, sondern auf dem Wege, den er jetzt einschlagen will, der ihn mittelbar auch zu ihr geleiten soll. Scherer hat also auch nicht vermocht auseinanderzuhalten, dass die Natur in V. 70 = 423, die er in dem Zauberbuch zu finden hofft, etwas anderes sei, als die Natur draussen, die ihm im 2. Teile in ihrer Herrlichkeit erschienen war, dass aber zugleich der gleiche Begriff dem Dichter eine vortreffliche Bruecke zum Uebergang und zur Rueckkehr zu dem Thema des ersten Monologs schlage. Das gibt natuerlich eine Kette von Missverstaendnissen; so muss er auch annehmen, die Beschwoerung solle im Freien geschehen, daher er sich denn billig verwundern muss, wenn nachher (V. 75 = 428) Faust gar nicht fortgehe, um Geister zu beschwoeren. Doch zurueck zu dem Dichter! Ehe Faust das Zauberbuch aufschlaegt, um die geheimnisvollen Zeichen zu betrachten, die er zur Beschwoerung gebrauchen will, ueberlegt er, wie er sich zu ihnen verhalten solle. Nicht durch trockenes Sinnen will er sie ergruenden, sondern sich unmittelbar an die Geister selbst wenden, deren Zeichen er erblicken wird. Auch hier erkennen wir wieder den modernen Dichter. Das Zauberbuch spielt bei ihm nur eine nebensaechliche Rolle; es bietet die Zeichen dar; an die Geister will sich Faust dann ohne weiteres richten, ohne dazu sich der krausen Beschwoerungsformeln zu bedienen. Denn sie schweben neben ihm; was bedarf es da der Bereitung? Wie nun aber vorher dem Begriff der Natur eine doppelte Geltung geliehen war, weiss Goethe auch hier den Geisterglauben doppelsinnig zu verwerten. Der Alchemist glaubte an Elementargeister, die die ganze Natur erfuellen; der moderne empfindende Dichter fuehlt ebenfalls die Natur ueberall von lebendigem Geisterhauch umweht; ihm ist es zu einer festen, dichterischen Vorstellung geworden, dass allem in der Natur ein Geist einwohne, es umschwebe. Dieser schoene Glaube, der in einem lebendigen Naturgefuehl wurzelte, war damals wieder aufgelebt, da man wieder die Welt mit dem Gefuehl zu erfassen begonnen hatte. Wir finden ihn an vielen Stellen in der Dichtung des jungen Goethe aufs gluecklichste verwertet; auch der wieder lebendig gewordene Glaube an den Genius[39] gehoert hierher. So heisst es in dem Wanderer (1772) von dem Geist der Vergangenheit: Welchen der umschwebt Wird in Goetterselbstgefuehl Jedes Tags geniessen[40]. Im Fragment Mahomet (1773), der Geist Gottes wohne im Stein, schwebe um den Thon[41]. Faust[42] verkuendet:--alles--webt in ewigem Geheimnis unsichtbar sichtbar neben Dir; ueber der Staette des Erschlagenen schweben raechende Geister.--Die Musen umschweben den Dichter[43]. Der Geist der Geliebten umschwebt die Staette, da Clavigo stirbt[44]. Werther sucht sich so diese Erscheinung zu erklaeren[45]; "Ich weiss nicht, ob so taeuschende Geister um diese Gegend schweben, oder ob die warme himmlische Phantasie in meinem Herzen ist, die mir alles ringsumher so paradiesisch macht".--Die Gestalt der Mutter schwebt um Lotte, Werthers Seele ueber seinem Sarge[46]. Fernando bittet den Schatten seines ungluecklichen Weibes um Vergebung, wenn er um ihn schwebe[47]. (Vergl. auch Briefe Nr. 239, 6. Nr. 245 S. 119, 15-16.--) u.s.w.---- Der Dichter konnte also seine eigene tief empfundene Anschauung mit der mittelalterlichen recht wohl verbinden, ohne sie dadurch in ihrer Bedeutung voellig aufzuheben. Umgibt ja nach seiner eigenen Erklaerung den grossen Kuenstler bestaendig und innig eine magische Welt, die nicht kuenstlich heraufbeschworen werden muss, fuer die tief im Innern seiner Natur selbst sich der Zauberstab birgt zur dauernden Beschwoerung. Nach der Einleitung der Verse 66-76 = 419-429, mit der zugleich Faust von vornherein die Art, wie er die Geister beschwoeren wolle, bestimmt hat, schlaegt er endlich das Zauberbuch auf. Scherer irrt hier doppelt, wenn er trotz der Angabe des Dichters behauptet, Faust habe schon vorher das Zauberbuch aufgeschlagen und fuehle sich eben dadurch von Geistern umgeben[48]; er versteht demnach nicht, wie Goethe den Geisterglauben der Sage mit seiner eigenen dichterischen Anschauung zu einem ihm gemaessen Ganzen verschmolzen hat; wie er also Sage und eigenes Empfinden, so sehr sie sich widersprechen moegen, aufs gluecklichste vereinigt hat. Ist nicht die Welt ein Geisterall? Umgeben uns nicht ueberall die Geister? Was bedarf es da der Vermittelung, was widerwaertiger Formeln? Antwortet mir, wenn Ihr mich hoert! Mit diesem Beschwoerungsprogramm oeffnet er das Zauberbuch, das die heiligen Zeichen ihm weisen soll, und erblickt das des Makrokosmos, des Weltalls. Es ist also der Weltgeist, wie auch Shaftesbury den Kosmos bezeichnete; ("fuer mich der praechtigste Namen fuer Gott", meint Herder in einem Brief an Merck (Strassburg den 12. September 1770)[49].) Der Faust des Dichters geht also nicht wie der der Sage zuerst den Teufel an; aber wenn auch der Gang der Ueberlieferung geaendert ist, so bleibt der Dichter immerhin noch innerhalb der weiteren Schranken des alchemistischen Geisterglaubens. Zunaechst stellt er die Wirkung dar, die beim ersten Anblick ohne weiteres auf Faust ueberstroemt. Jugendliches Lebensgefuehl, neue Lebenskraft geht von ihm auf den aus, der Jugend, Leben und Kraft geopfert hat in muehseliger, unfruchtbarer Wissensarbeit. In innern Frieden wandelt sich der tobende Drang; Lebensfreude erfuellt ihn wieder; ein geheimnisvoller Trieb ist in ihm erwacht, der ihn zur Enthuellung geheimnisvoller Naturkraft treibt. Ist er ein Gott? So klar liegt die wirkende Natur vor seinem geistigen Auge. "Die Welt liegt vor ihm,--wie vor ihrem Schoepfer, der in dem Augenblick, da er sich des Geschaffenen freut, auch alle die Harmonien geniesst, durch die er sie hervorbrachte, und in denen sie besteht[50]." Wie der Kuenstler die schaffenden Kraefte der Natur erschaut, um gottgleich zu schaffen und solche kuenstlerische Harmonien gleich ihr hervorzubringen, so auch Faust, der ebenfalls nach schoepferischer Erkenntnis verlangt. Jetzt versteht er den Spruch des Weisen, dass die Geisterwelt der Natur uns nicht verschlossen sei; an uns nur liegt es. wenn sie uns verborgen bleibt. Unser Sinn, unser Herz muss dazu geoeffnet werden. Sieh, so ist Natur ein Buch lebendig, Unverstanden, doch nicht unverstaendlich[51]; "Das Gefuehl ist die Harmonie!" ruft Goethe in dem schon mehrfach angezogenen herrlichen Aufsatze "Nach Falkonet und ueber Falkonet" aus[52]. Das Auge des Kuenstlers findet sie ueberall, ueberall sieht er die heiligen Schwingungen und leisen Toene, womit die Natur alle Gegenstaende verbindet. Bei jedem Tritt eroeffnet sich ihm eine magische Welt. Dieser tiefe Einblick in die Natur wird also auch Faust zu teil, da er das Zeichen des Makrokosmos erschaut. Wie aber dies Gefuehl erweckt und wach gehalten werde, sagt auch der Weise, dessen Worte er jetzt erst zu fassen vermag: Auf bade, Schueler, unverdrossen Die irdsche Brust im Morgenrot. Mit anderen Worten: durch vertrauten Umgang mit der Natur wird die tiefe Erkenntnis der Natur, und zwar hier der Weltnatur, errungen. Das kabbalistische Zeichen fordert demnach ebenfalls Faust auf, sich unmittelbar an die Natur zu wenden; zog es ihn aber vorhin bei jener ersten Mahnung nach einer geisterhaft ossianischen Nacht hin, wie sie dem kranken Werther behagen mochte, so erscheint ihm jetzt die Weltnatur lockend in leuchtendem Glanze der Morgenroete. Ein helleres Licht ueber den tieferen Zusammenhang zwischen dem Zeichen des Makrokosmus und jenem Mahnworte des Weisen verbreitet sich noch, wenn wir Herders Schrift: "Aelteste Urkunde des Menschengeschlechts"[53] zur Erklaerung heranziehen. Der erste Band erschien Ostern 1774. Mit begeisternder Anerkennung zeigt sie Goethe am 8. Juni 1774 Schoenborn an[54]. Scherer[55] hat bereits mit Recht auf ihre Bedeutung fuer unsere Stelle hingewiesen; es wird sich jedoch lohnen, noch tiefer als er es gethan hat, auf Herders Ausfuehrungen einzugehen. Die aelteste Urkunde des Menschengeschlechts ist die Schoepfungsgeschichte im ersten Kapitel des ersten Buches Mosis. Herder bekaempft zunaechst die unhistorische Art ihrer Erklaerung. Alle physische und metaphysische Weisheit des 18. Jahrhunderts muss hierbei fern bleiben. Vielmehr hinaus aus den dumpfen Lehrstuben in die freiere Luft des Orients! Er versetzt sich daher ganz in die Natur des Morgenlandes und in die sinnliche Anschauungskraft des Morgenlaenders. Wo offenbart sich aber unserem Auge die Schoepfung besser und immer von neuem als jeden Morgen im werdenden Tage? "Komm hinaus, Juengling, aufs freie Feld und merke. Die uraelteste herrlichste Offenbarung Gottes erscheint Dir jeden Morgen als Thatsache, grosses Werk Gottes in der Natur[56]". Fuer den Menschen ist nun die Schoepfung ein Gewuehl einzelner abgesonderter, ganzer Geschoepfe; jedes fuer sich eine Welt; keins mit dem andern zusammenhaengend, keins dem andren aehnlich. Was soll er da aus dieser bestuermenden Rhapsodie aller Geschoepfe herauslesen? Der moderne Mensch sucht sich durch Zergliedern und Absondern zu helfen. Der Naturmensch aber, der nichts von diesen Abstraktionsgaben weiss, trachtet danach, sich aus diesem Chaos von Wesen, Kraeften, Gestalten, Formen den Kosmos zu bilden. "Fuer den lebenden, wirkenden Naturmenschen--was war nun da fuer ein Bild, Ordnung, Lehrmethode, die ihm die Schoepfung unbetaeubend und doch ganz, nach und nach und doch im Zusammenhange, mit Macht, Einwirkung, Lust fuers Herz und ohne Blendung und Duesterung des Auges gebe--suche Naturkuendiger zwischen Himmel und Erde, andres Bild, bessere Ordnung und Folge, als diese----Lehrmethode Gottes!" d.h. die er jeden Morgen bei dem "Unterricht unter der Morgenroete" anwendet[57]. Gott selbst ist es, der bei jedem Tagesanbruche die Schoepfung in schoener, deutlicher Folge am Auge des Menschen vorueberfuehrt. Er belehrt nicht durch Schluesse und Abstraktionen (trockenes Sinnen!), sondern durch Gegenwart und Kraft[58]! In dieser aeltesten Urkunde liegt aber zugleich auch die aelteste Hieroglyphe verborgen. Die sechs Tagewerke und der Sabbat, nach Entstehung und Folge angeordnet, ergeben das aelteste kabbalistische Zeichen "aus 6 Triangeln, wo sich alles auf einander bezieht,--jenes in allen Magien und Allegorien so beruehmte Sechseck[59]!" Diese Entdeckung, auf die sich Herder viel zu gut that, hatte er schon 1770 in Strassburg gemacht und ihr dort weiter nachgespuert[60]. Diese Hieroglyphe ist also nichts minder, als Schoepfung Himmels und Erden[61]! Sie ist das Zeichen des Makrokosmus; sie ist von Gott selbst geschrieben. "Siehe da, der erste Schriftversuch Gottes mit dem Menschen, diese Hieroglyphe![62]" War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb? ruft darum bei ihrem Anblick Faust aus. Herder verfolgt dann ihre Spuren weiter bei andren Voelkern, so bei den Aegyptern, wo sie in der Gestalt der sieben heiligen Buchstaben die Schoepfung der Welt, den Zusammenklang aller Wiesen, die Leier der Welt ausdrueckt[63]. Sie erscheint weiterhin in verkuerzter Form [Symbol: Diagonales Radkreuz] als Zeichen des Weltalls, des _Weltgeistes_, der Schoepfungskraft, als ein Symbol der Kraefte des Weltalls[64]. Es bedeutet Kneph: "Den unsterblichen Weltgeist, der alles durchgehet und durchhauchet: den guten Daemon, Sinnbild alles Guten[65]." Fassen wir zusammen: Die aelteste Hieroglyphe ist ein Zeichen der Weltschoepfung; es ist entstanden aus dem Schoepfungsbericht, der sich wieder auf die Vorgaenge in der Natur gruendet; es gibt das Bild des Kosmos in harmonischer Verknuepfung der wirkenden Urkraefte: es ist das Zeichen des Weltgeistes, in dem alle Naturkraefte enthalten sind. Offenbar hat in der That alle spaetere Kabbala und Magie hierauf weitergebaut[66]. Die Hieroglyphe kommt aber, insofern sie in dem Schoepfungsbericht verborgen ist, von Gott selbst; sie mahnt uns also, nicht nur die Schoepfung in ihr zu erblicken, sondern sie auch mehr und mehr dadurch zu erkennen, dass wir sie jeden Tag mit der Morgenroete in schoenster Folge immer wieder von neuem schauen. Jetzt erst verstehen wir den tieferen Zusammenhang in den Versen 77-93 = 430-446. Da Faust das Zeichen der Weltschoepfung, des Weltgeistes erblickt, geht zunaechst ein lebendiger Hauch von urspruenglichem Leben auf ihn ueber, wie ihn der Naturmensch einst gefuehlt. Ein Gott hat dies Zeichen geschrieben, das auf einmal das Bild der schaffenden geschaffenen Weltnatur heraufbeschwoert. Die Urkraefte, die in ihm symbolisiert sind, enthuellen sich. Gottgleich erkennt er die Harmonien der wirkenden Natur. Aber die Erscheinung mahnt ihn auch, sie mit lebendigen, nicht durch Abstraktionen abgestumpften Sinnen in sich aufzunehmen, dahin zu gehen, wo die Welt sich werdend und wirkend immer wieder am schoensten offenbart, hinaus in die Morgenroete[67]! Der Dichter hat die Wirkung, die das Zeichen auf Faust ausuebte, zunaechst dargestellt. Wie mit einem Schlage steht die schaffende Weltnatur vor seinem geistigen Auge; ihr Bild hat er gesehen, nicht etwa das Zeichen betrachtet. Sie selbst hat ihm zugerufen, sich unmittelbar mit frischen Sinnen an die Natur zu wenden. Dem darf natuerlich nicht Folge gegeben werden, ebenso wenig wie jener ersten Mahnung der Natur. Faust muss von der Hoehe seiner Empfindung herabsteigen. Die lebendige Erscheinung, zu der das Zeichen nur den aeusseren Anstoss gegeben hatte, ist verschwunden; im folgenden sieht er das All in seinem harmonischen Zusammenhange nur an der Hand der Charaktere des Zeichens. "Er beschaut das Zeichen;"--er deutet es aus. Der Strom der Dichtung bequemt sich wieder den engeren Ufern der Sage. Man darf aber wohl sagen, erst dadurch, dass jene Zeichen auf einen so reinen, ja goettlichen Ursprung zurueckgefuehrt waren, wurden sie dem Dichter verwendbar. Hat Faust vorher die schaffende Weltnatur vor seinem entzueckten Auge gesehen, so erblickt er jetzt durch Vermittlung des Zeichens, was es ihm als solches allein zeigen konnte, nichts anderes als die Harmonie des Kosmos. Bei der nun folgenden Beschreibung konnte sich der Dichter den alchemistischen Anschauungen um so leichter wieder anschliessen, da sie in der That die Natur in schoener Verknuepfung darstellen, so dass sie ohne grosse Aenderung auch dichterisch verwertet werden konnten[68]. Endlich gingen auch sie auf aelteste Vorstellungen oder Versuche kosmischer Weltanschauungen zurueck, wie z.B. der Orphiker und Pythagoraeer, deren Zusammenhang mit der aeltesten Hieroglyphe Herder ebenfalls nachgewiesen hatte. Man vergleiche, was er darueber sagt. Sie dachten sich den Makrokosmos als grosses Weltei, das sie aus verschiedenen Lagen und Kreisen zusammenlegten; "Unten, was erzeugt ward, die sichtbaren Elemente, Erde, Wasser, Luft, Feuer: ueberm Monde die unsichtbaren Kreise, die erzeugten: die _alle zusammentoenend, in einander wirkend_! sie machten die hohe Hermesleier! den Klang der Sphaeren, den der Weltschoepfer oben und nieden. Alles in Eins! _Zusammenklang_. Das Bild ist einfach, anschaulich, schoen, und wenn man die alten Schriftsteller gelesen, ist mehr als alles--wahr[69]!" Die Aehnlichkeit mit Goethes Bildern liegt auf der Hand; nur hat er statt des Bildes von der Leier das durch die Bibel geheiligte und auch anschaulichere von der Himmelsleiter gebraucht, das uebrigens auch die Alchemie sich nicht hatte entgehen lassen. Helmont[70], den Goethe ausdruecklich unter denen nennt, deren Werke er in seiner alchemistischen Epoche kennen gelernt hat, benutzt es in folgender Weise[71]: "dieser Weg ist kein ander, kann auch kein ander seyn, als welcher durch Jacobs Leiter vorgestellt worden: denn gleicherweise wie auff derselben die Engel Gottes auff und niedersteigen, also steigen die wesentlichen lebendigen Kraeffte oder geistlichen Leiber der himmlischen Lichter unablaesslich von oben herab durch die aetherische Lufft zu dieser untern Welt, als von dem Haupt zu den Fuessen; und hernach, wann sie ihre Auswuerkung vollbracht, so steigen sie zu ihrem eigenen Nutz und Verbesserung wieder von unten auffwerts zu dem Haupt, mit demselbigen wieder vereiniget------Und dieses Auff- und Niedersteigen der himmlischen Kraefte, und die stetige Verbesserung und Verherrlichung, die daran hanget, und darvon herkommt, wehret und beharret ohne Unterlass, und muss nothwendig also thun." Aus derartigen Anschauungen und Vorstellungen, die der Dichter zu verschiedenen Zeiten in sich aufgenommen hatte, schuf er aus sich heraus ein neues poetisch empfundenes Ganze[72]. Mit Recht macht Scherer[73] hierbei auf die Kosmogonie in dem, wie wir sehen werden, gleichzeitigen Satyros[74] aufmerksam. Goethe entwirft aber hier nicht bloss ein Bild des Kosmos, sondern auch von den verschiedenen Stufen der Weltschoepfung; er benutzt hier, weil ihm offenbar die biblischen Vorstellungen dazu nicht genuegend poetische Farben lieferten, die der aelteren griechischen Philosophie, deren Zusammenhang mit den ersteren Herder nachgewiesen zu haben glaubte. So sind hier Elemente aus den Lehren von Anaximander, Empedokles, Philolaos, der Eleaten zu einem poetischen Gesamtbild vereinigt. Faust schildert also an unserer Stelle entzueckt die Harmonie des Kosmos, die er durch das Zeichen und in ihm erblickt. Welch Schauspiel! ruft er noch begeistert aus; aber mit diesem Worte wird ihm auf einmal bewusst, woran er sich jetzt entzuecke[75]. Damit aber sinkt er nun voellig von der Hoehe gesteigerter Empfindung herab. Die alten sehnsuechtigen Klagen seiner Nichtbefriedigung ertoenen von neuem. Was er eben gesehen, ist nur ein Schauspiel: er hat nicht an dem Bilde genug. Ihn duerstet nach mehr, nach der lebendigen schaffenden Kraft, die alle diese Harmonien hervorbringt; nach den Quellen, aus denen alles Leben quillt, den Bruesten, aus denen auch Himmel und Erde ihre Lebensnahrung saugen. Diesen muetterlichen Busen moechte er fassen[76]; nach ihm draengt sich seine welke Brust hin; er weiss, er traenkt, und er sollte vergeblich schmachten! Dies maechtige Sehnen Fausts nach schoepferischer Kraft, das wieder aus der inner eigensten Tiefe des Dichterherzens aufstroemt, fuehrt uns zu dem Kuenstler Goethe zurueck. Die Kunstgedichte des Jahres 1774 geben uns ein vollstaendigeres Bild jener Stimmung, als die Verse unserer Stelle, die davon gleichsam ein gedraengter Auszug sind. Wie sehnsuechtig verlangt es ihn dort nach dem Urquell der Natur, daraus er schoepfend Himmel fuehl und Leben In die Fingerspitzen hervor[77]! Seinen Prometheus geleitete Minerva zu dem Quell alles Lebens. Wer fuehrt ihn? Was frommt ihm die gluehende Natur an seinem Busen, was hilft ihm das Gebildete der Kunst, wenn liebevolle Schoepfungskraft nicht seine Seele fuellt und in den Fingerspitzen wieder bildend wird?[78] O dass die innre Schoepfungskraft Durch meinen Sinn erschoelle--[79] fleht er; und Werther moechte einen Augenblick in der eingeschraenkten Kraft seines Busens einen Tropfen der Seligkeit des Wesens fuehlen, das alles in sich und durch sich hervorbringt[80]. Wo fass ich Dich, unendliche Natur? ist der Grundgedanke, der all das kuenstlerische Streben des Dichters durchzieht. Nicht nur auf Erkenntnis der Natur ist es gerichtet; es ist nicht nur sehnsuechtige Liebe zu ihr, wie im Ganymed: Dass ich Dich fassen moecht' In diesen Arm! Ach, an Deinem Busen Lieg ich, schmachte,--[81] Ihr wird die Befriedigung gewaehrt, der Sehnende hinaufgetragen an den Busen des allliebenden Vaters. Nicht dagegen wird sie dem kranken Werther zu teil; denn sein Herz ist tot: er hat verloren, was seines Lebens einzige Wonne war, die heilige belebende Kraft, mit der er Welten um sich schuf; so steht er vor Gottes Angesicht wie ein versiegter Brunn, wie ein verlechter Eimer![82] Ihm ist das Gefuehl der harmonischen Natur entschwunden, vor allem aber die ihm einst einwohnende schoepferische Kraft. Anders der Dichter! Ich fuehl, ich kenne Dich, Natur, Und so muss ich Dich fassen. schreibt er am Ende des Jahres 1774 an Merck; er schaut zurueck und sieht, wie sich sein Sinn schon manches Jahr _erschliesse_. Wie er, wo duerre Haide war, Nun Freudenquell geniesset, Da ahnd ich ganz Natur nach Dir, Dich frei und lieb zu fuehlen--[83] "Ideales Streben nach Einwirken und Einfuehlen in die ganze Natur", bezeichnet in einem spaeteren Schema[84] Goethe den ersten Monolog. Mit Recht. Faust sehnt sich wie sein Dichter nach unmittelbarer, lebendiger Erfassung der Natur durch das Gefuehl, danach er schaffen und wirken koenne gleich der Natur. Das Zeichen des Makrokosmus kann ihm also keine Befriedigung versprechen; die anfangs durch seinen Anblick hochgesteigerte Flut der Empfindung hat mehr und mehr geebbet. Der fruehere Zustand kehrt wieder, mit ihm der Unwille; in solcher Stimmung schlaegt er das Buch um und erblickt das Zeichen des Erdgeistes. Ueberblicken wir noch einmal den ganzen Monolog bis zu der nun beginnenden Erdgeistscene (V. 107 = 460), so zeigt sich in allen Teilen der schoenste Zusammenhang; er ist aus einem Gusse; nirgends ein Widerspruch, der uns berechtigte, spaetere Einschiebungen, Aenderungen des Plans anzunehmen. Der Widerspruch, den man in der Verbindung der einzelnen Teile hat wahrnehmen wollen, liegt wo anders; er liegt in dem Dichter selbst, in dem Ringen des mit der Ueberlieferung der alten Sage so verschieden empfindenden Dichters; aber grade bei diesem Kampfe kommt sein eigenstes Gefuehl in den wunderbarsten Toenen zum Durchbruch; gerade hier zeigt sich die hohe Kunst des jungen Dichters, der immer wieder zu den ueberlieferten Formen zurueckzukehren und zwischen seiner eigenen Empfindung und jenen auf das gluecklichste zu vermitteln weiss, so dass dadurch das wechselnde Bild auf- und absteigender Gefuehle entsteht, wie es uns in dem ersten Monologe entgegentritt. Nach dem Prolog hebt sich die Welle immer hoeher anschwellend, um dann in dem dritten Teile wieder zunaechst zu sinken; aber mit dem Anblick des Zeichens des Makrokosmus beginnt ein neues Aufsteigen; die Worte des Weisen: Auf, bade, u.s.w., bilden hier den Hoehepunkt, wie vorher: Flieh! Auf! hinaus ins weite Land! Beides mahnt denselben Weg zu betreten, den der Natur. Danach senkt sich die Welle wieder mehr und mehr, bis schliesslich mit dem Bewusstsein davon Faust in den alten Zustand der Unbefriedigung zurueckfaellt und sich so Anfang und Ende des Monologs mit einander verbinden. Die ganze Scene in ihrer Einheit ist, wie bemerkt, als Beschwoerungsscene aufzufassen. Faust hat sich der Magie ergeben. Diese Nacht sollen vor unseren Augen zum ersten Mal die Geister beschworen werden. Vor ihm liegt das Zauberbuch. Unruhe erfuellt ihn vor dem entscheidenden Schritte. Noch einmal wiederholt er sich und uns die Gruende zu seinem Entschluss, mit denen sich uns zugleich die Hauptzuege seines frueheren Lebens enthuellen. Was erwartet er nun von der Magie? Nicht unfruchtbares totes Wissen, sondern lebendige, schoepferische Erkenntnis der Natur. Doch ehe er jetzt zur Beschwoerung schreitet, mahnt ihn die Natur leise an sich. Das Mondenlicht ergiesst sich in sein Zimmer; es verdunkelt gleichsam das vor ihm liegende Buch. Warum, Sohn der Natur, vertraust du dich nicht unmittelbar der Mutter? Allein der im Dunklen Wandelnde versteht sie noch nicht voellig; er erkennt nur den Widerspruch seines frueheren Lebens mit der Natur; nicht aber vermag sie ihn von der Magie zurueckzuhalten. Der Dichter hat es also verstanden, hier Toene anzuschlagen, die nicht alle fuer Faust mitklingen, wohl aber uns hoerbar sind. Er vernimmt: Fort aus deinem Kerker zur Natur, um von allem Wissen die Brust rein zu baden!--nicht aber: Bleib fern von der Magie, geh zur Natur, sie wird dich nicht bloss heilen und befreien, sondern auch belehren! Darum wendet er sich wieder dem Zauberbuche zu; auch mit seiner Huelfe wird er zur Natur kommen; sie wird ihn unterweisen, wie er zu ihren Geistern reden koenne, dass sie ihn hoeren. Sollte es ihm also nicht genuegendes Geleit sein auf dem Wege zu ihr? Er bereitet sich, es aufzuschlagen. Er wird darin, die heiligen Zeichen erblicken. Was dann thun? Nicht durch trockenes Sinnen, wie er es frueher, da er sich mit dem Wissen quaelte, sie ergruenden, unmittelbar will er sich an die Geister, die ihn umschweben, wenden. Da er das Buch aufgeschlagen, erblickt er das Zeichen des Makrokosmus; es ist das Zeichen des Weltalls, des Weltgeistes; goettlichen Ursprungs hat es seinen Weg durch alle Voelker und Zeiten genommen und ist der Magie als Eigentum geblieben. Auf diesen Ursprung hat es denn auch Goethe nach Herders Vorgang zurueckgefuehrt[85]. Bei seinem Anblick steht ihm die ganze Weltschoepfung lebendig vor Augen. Neues Leben und Wirkungskraft erfuellt ihn. "Wie vor jedem grossen Gedanken der Schoepfung, wird in der Seele reg, was auch Schoepfungskraft in ihr ist" schreibt der Dichter spaeter in dem Gebete der dritten Wallfahrt nach Erwins Grabe im Juli 1775[86]. Gottgleich schaut Faust tief hinein in die Gruende der schaffenden geschaffenen Natur. Wie einst Werther in gluecklichen Tagen, da ihn das volle warme Gefuehl seines Herzens an der lebendigen Natur mit Wonne ueberstroemte, wird auch Faust von Freude erfuellt. Man vergleiche dazu die herrliche Stelle in Werthers Brief vom 18. August[87].--Ihm erweckt aber nicht ein Zeichen das Bild der ganzen Schoepfung, der gestalteten, wie der wirkenden Weltnatur, sondern der Anblick des Naturlebens selbst; durch es wird sein Auge geoeffnet fuer das innere gluehende heilige Leben der Natur; indem er es erschaut, steht die Welt in ihren Grundzuegen vor ihm. Die herrlichen Gestalten der unendlichen Welt bewegen sich allebend in seiner Seele: "Ungeheure Berge umgaben mich, Abgruende lagen vor mir, und Wetterbaeche stuerzten herunter, die Fluesse stroemten unter mir, und Wald und Gebirg erklang. Und ich sah sie wirken und schaffen in einander in den Tiefen der Erde, all die Kraefte unergruendlich." Gleich Faust sieht er die wirkende Natur vor seiner Seele liegen, ihre Kraefte sich ihm enthuellen[88]. Diese Stelle kann also recht wohl dazu dienen, uns das zu ergaenzen, was auch Faust erblickt. Fuer ihn verbindet sich damit die Mahnung, als Schueler des goettlichen Lehrers in der Natur selbst die Schoepfung da zu betrachten, wo sie sich am deutlichsten und herrlichsten in ihr offenbart. Auch hier geht es also darauf hinaus, dass Faust zur Natur hingewiesen wird; das zweite Mal noch bestimmter als das erste Mal. Sie ist nicht bloss dazu da, dass sich der Mensch in ihrem Thau gesund bade sondern sie fordert aus dem Munde des Weisen auf, bei ihr selbst zu suchen, was Faust erstrebt: Auf, bade, Schueler, unverdrossen, die ird'sche Brust im Morgenrot! Allein der Dichter muss ihn von der Hoehe dieser Erkenntnis wieder herabfuehren. Faust beschaut das Zeichen, was er aber in ihm erblickt, ist nur noch die Harmonie der wirkenden Kraefte des Alls, wie sie sich in ihm vermittelst des Zeichens in schoener Verknuepfung darstellt. Er will aber mehr; er will aus dem Urquell aller Wirkungskraft und alles Lebens selbst schoepfen, um ihrer gottgleich teilhaftig zu werden. So sehnte sich auch Werther, aus dem schaeumenden Becher des Unendlichen jene schwellende Lebenswonne zu trinken, und nur einen Augenblick in der eingeschraenkten Kraft seines Busens einen Tropfen der Seligkeit des Wesens zu fuehlen, das alles in sich und durch sich hervorbringt[89]. Zunaechst allerdings entzueckt Faust der Anblick des kunstvollen Baus des Kosmos; er steht vor ihm mit demselben Gefuehl wie vor einem harmonisch gebildeten Kunstwerk. So stand der junge Goethe vor Erwins Meisterwerk: "Mit welcher unerwarteten Empfindung ueberraschte mich der Anblick, als ich davor trat. Ein ganzer, grosser Eindruck fuellte meine Seele, den, weil er aus tausend harmonierenden Einzelnheiten bestand, ich wohl schmecken und geniessen, keineswegs aber erkennen und erklaeren konnte. Sie sagen, dass es also mit den Freuden des Himmels sei, und wie oft bin ich zurueckgekehrt, diese himmlisch-irdische Freude zu geniessen, den Riesengeist unsrer aeltern Brueder, in ihren Werken zu umfassen.--Schwer ists dem Menschengeist, wenn seines Bruders Werk so hoch erhaben ist, dass er nur beugen und anbeten muss. Wie oft hat die Abenddaemmerung mein durch forschendes Schauen ermattetes Aug mit freundlicher Ruhe geletzt, wenn durch sie die unzaehligen Teile zu ganzen Massen schmolzen, und nun diese, einfach und gross, vor meiner Seele standen, und meine Kraft sich wonnevoll entfaltete, zugleich zu geniessen und zu erkennen. Da offenbarte sich mir in leisen Ahndungen, der Genius des grossen Werkmeisters." Er weiht ihn in seine Geheimnisse ein.--"Wie froh konnt ich ihm meine Arme entgegenstrecken, schauen die grossen, harmonischen Massen, zu unzaehlig kleinen Teilen belebt; wie in Werken der ewigen Natur, bis aufs geringste Zaeserchen, alles Gestalt, und alles zweckend zum Ganzen"[90]. Allein der Genius des Weltalls offenbart sich Faust nicht so, wie er es in seinem ungeduldigen Streben verlangt; es wird ihm nicht gegeben, sich unmittelbar dem Goettlichen zu naehern. In prometheischem Unwillen wendet er sich von ihm ab, schlaegt das Buch um[91] und erblickt das Zeichen des Erdgeistes. Die Erdgeistscene und der Schluss des ersten Monologs. (V. 107-168 = 460-521.) Auch beim Anblick des Zeichens des Erdgeistes aeussert sich zuerst die Wirkung, die von ihm auf Faust ausgeht; aber sie ist anderer Art als die war, die vom Makrokosmus auf ihn ueberging. Nachdem der Rausch des Entzueckens vorueber ist, fuehlt er selbst, dass zwischen dem Weltgeist und ihm keine unmittelbare Beziehung bestehe. Wie sollte er mit ihm so in Verbindung kommen, dass eine dauernde, nachhaltige Wirkung moeglich waere? Was blieb schliesslich uebrig als eine Foerderung seiner Erkenntnis, seines Schauens? Ganz anders beim Erdgeist; er ist ihm naeher; bei seinem Anblick fuehlt er sofort seine thaetigen Kraefte erregt, gesteigert. Sein Geist ist ueber ihn ergossen und von ihm erfuellt, redet er sofort in seiner Sprache. Zu was treibt er ihn mit nicht geheimnisvollen Trieb? Wage dich hinein ins Leben; erlebe diese Erdenwelt mit ihrem Weh und Glueck, Leid und Freud, schlage dich tapfer mit allen Stuermen herum, und wenn dein Schiff im Sturm zerschellt, so moegen den Unerschrockenen die Truemmer zerschlagen! Zum Leben also wird er aufgefordert, er, der uebereilt, ohne je gelebt zu haben, aus dem Quell des Lebens selbst zu schoepfen sich vermass. Maechtig quillt jetzt die Kraft zum Leben in ihm auf, d.h. auf dieser Erde das dem Menschen Beschiedene zu tragen, tapfer zu kaempfen und ebenso unterzugehen. "Es moecht kein Hund so laenger leben" rief er aus beim Rueckblick auf sein eben abgeschlossenes Leben. Wie anders jetzt? Wie anders auch als Werther? Faust hat in dem Erdgeist den Geist des Erdenlebens erkannt; d.h. in ihm selbst schlummert dieser Teil vom Wesen desselben; er ist mit ihm darin verwandt und dadurch zieht er ihn an. Sofort kuendigt sich daher sein Erscheinen an. In gewaltiger Erregung nimmt er die Anzeichen wahr; er fuehlts, dass der erflehte Geist um ihn schwebe; er fordert ihn auf, sich zu enthuellen. Neue, nie gekannte Gefuehle ringen sich von seinem Herzen los, und dieses Herz in seiner ganzen gesteigerten Anziehungskraft gibt sich liebend dem Geiste hin. Vergebens; Er muss ihn beschwoeren; er fasst das Buch und spricht sein Zeichen geheimnisvoll aus; in einer Flamme erscheint der Geist in widerlicher Gestalt. Eine doppelte Beschwoerung also! Einmal durch die Anziehungskraft, die Fausts Geist ausuebt, insofern er dem Erdgeist aehnlich ist. Er erkennt eine Seite seines Wesens, die auch er in sich traegt; damit zieht er ihn an. Allein diese geistige Art der Beschwoerung genuegt nicht; er muss zu den magischen Formeln greifen und ihn so zu sich zwingen[92]. Warum nun diese doppelte Beschwoerung? Offenbar nimmt auch hier wieder der moderne Dichter Stellung zu den Ueberlieferungen der alten Sage. Fuer ihn gibt es nur eine Art der Beschwoerung, eine mit der Zeit mehr und mehr sich steigernde Geistesverwandtschaft, die endlich den lang erflehten Geist uns zu eigen macht, dass er uns alles offenbare, so wie Erwins Geist dem wieder und wieder Betrachtenden erschien, ihm seine Geheimnisse zu enthuellen. Allein das ist keine Beschwoerung, wie sie die Sage von Faust fordert, der sich der Magie ergeben hat. Darum muss er, zugleich wohl wissend, welchen Vorteil die alten Formen der Sage grade dem Dichter bieten, seinen Helden sich ihrer bedienen lassen; aber auch hier fehlt nicht die tiefere Begruendung dafuer, dass der Geist sich nicht enthuellt. Denn wie wir noch sehen werden, hat Faust sein Wesen nur zum Teil erkannt; er ist noch nicht voellig mit ihm eins geworden; sein ganzes Wesen wird von ihm nicht begriffen: er kuendigt sich an, aber er enthuellt sich nicht. So muss denn doch die Zauberformel dran. Der Geist erscheint nun in koerperlicher Gestalt. Scherer[93] hat diesen Zusammenhang nicht erkannt; er bemerkt zu V. 123 = 475: "aber der Geist ist noch gar nicht erfleht. Faust hat ihn noch mit keinem Wort um sein Erscheinen gebeten." Er versteht also nicht, wie in den Versen 111-114 = 464-467 auch eine Beschwoerung enthalten sei; er uebersieht, dass der Geist spaeter selbst erklaert, was ihn im Grunde hergerufen habe, der Seele maechtig Flehen, der Seele Ruf[94]. Die Beschwoerung von innen heraus, aus dem maechtig verlangenden und sich doch hingebenden Herzen ist dem Dichter bedeutungsvoller als die durch Zauberformeln. Scherer kommt durch dies Missverstaendnis zu dem ganz verkehrten Schlusse, die Erdgeistscene, die er erst mit V. 115 = 468 beginnen laesst, sei nicht von Anfang an bestimmt gewesen, sich unmittelbar an das uebrige anzuschliessen. Auch seine Einteilung ist wieder falsch; denn ohne Frage beginnt ein neuer, vierter Teil der ersten Hauptmasse mit V. 107 = 460.--Welch ungeheuerlichen Folgen diese Irrtuemer haben, lese man a.a.O. S. 323 nach, wo er vor der Erdgeistscene ganze Akte hinzudichtet! Der Erdgeist ist Faust in widerlicher Gestalt erschienen; er wendet sich entsetzt von der schrecklichen Erscheinung ab. Der Geist muss ihn daran erinnern, wie er lange an seiner Sphaere (der Kreis, den seine Wirksamkeit erfuellt[95]) gesogen habe; allein er ertraegt den Anblick nicht; er erliegt unter der Gewalt der Erscheinung[96]. Er selbst hat ihn erfleht, gerufen aus der Tiefe seines Wesens heraus; und nun, da er ihm gefolgt, wird der Uebermensch, der sich in titanischem Drang den Geistern gleich zu heben vermass, von erbaermlichem Grauen gefasst, zittert er bis in alle Tiefen seines Lebens hinein, aus denen er sich empor zu ihm drang, dem Wurm gleich, der von dem Tritt des Wanderers sich wegkruemmt. Da rafft sich Faust auf. Nach dem Hoechsten hat er gestrebt, vor dessen Bild er eben noch entzueckt gestanden, und er soll der Flammenbildung weichen! Er findet sich wieder, er ist Faust, ist seinesgleichen. Was hier der Erdgeist ihm zuruft, ist wichtig fuer Fausts Charakteristik. Es ergaenzt das Bild, das er im Eingang von sich selbst gegeben hat, und fuegt den im allgemeinen der Sage entsprechenden Zuegen neue modernerer Art hinzu. Jetzt sehen wir deutlicher sein maechtiges Streben vor uns; jetzt verstehen wir besser, warum ihm alles Wissen nicht genug that. Ein titanischer, uebermenschlicher Drang beseelt ihn, sich den Geistern gleich zu heben. Der Dichter gibt also dem Faust der Sage sein eigenes unendliches Verlangen--fuer ihn muessen wir sagen,--sich zu dem Goettlichen zu erheben, wie es auch einst Werther vor den Tagen seiner Leiden gefuehlt hat. Allein bei ihm wird es abgelenkt auf eine Leidenschaft, und durch sie und in der Enge buergerlicher Beschraenkung aufgerieben. Bei Faust stellt sich dagegen das Problem von vornherein anders. Sein Unendlichkeitsstreben sollte innerhalb der Grenzen der Menschheit das Hoechste leisten und nicht in der Glut einer unbefriedigten Leidenschaft untergehen. Werther war die unglueckliche Bluete dieser Epoche im Leben des Dichters[97], Faust sollte die gluecklichere werden. Die Fuelle seines eigenen reichen Lebens hat also Goethe in die Form der alten Sage gegossen; seine ganze Vergangenheit hat er Faust im voraus mitgegeben. Darum kann sich auch jener dem Erdgeist naeher fuehlen, kann dieser von ihm sagen, er habe an seiner Sphaere lang gesogen. Der Faust, der nach der Sage sich in unfruchtbarem Wissen gequaelt, hat zugleich auch die titanische Seele seines Dichters. Damit erledigt sich auch Scherers Bedenken ueber V. 131 = 484, Faust habe noch nicht lange an der Sphaere des Erdgeists gesogen[98]. Da Faust sich fuer seinesgleichen erklaert hat, enthuellt ihm nun der Geist die ganze Tiefe seines Wesens: In den Fluten des Lebens, im Sturm der Thaten ist er das bewegende und erregende Element. In Geburt und Grab, dem ewigen Wechsel von Vergehen und Entstehen, gleich einem ewig auf- und abwogenden Meere, offenbart er sich belebend und zerstoerend. In dieser Weise schafft er immer wieder von neuem am sausenden Webstuhl der Zeit und wirkt das lebendige Kleid der Gottheit, d.h. die Huelle, in der sie immer wieder in Erscheinung tritt. Was ist danach der Erdgeist? Er ist offenbar der Geist des Lebens der Erde, als welchen ihn auch Faust sogleich erkannt hat; aber nicht bloss in jenem beschraenkten Sinne; auch nicht bloss des Naturlebens, sondern des Lebens in jedem und im weitesten Sinne; er ist also auch der Geist des thaetigen, handelnden Lebens; er ist ueberhaupt der Geist des Lebens, wie es sich auf der Erde von Stufe zu Stufe aufsteigend ueberall im Niedrigsten und im Hoechsten offenbart. Wer ihn ganz begreifen will, muss ihn in der ganzen unendlichen Fuelle dieses Lebens begreifen. In dem spaeteren Schema bezeichnet ihn Goethe mit seinen wesentlichsten Merkmalen als Welt- und Thatengenius[99]. Als solcher offenbart er sich nicht nur als schaffendes Princip, sondern auch als zerstoerendes. Er laesst die Welle des Daseins sich heben und wieder senken. Er schafft so als einwohnende schoepferische Ursache immer wieder von neuem die lebendige Welt der Erscheinung, das sichtbare Kleid der Gottheit.--Wie bildete sich nun der Dichter diese Anschauung? Zunaechst konnte er sich wieder an die alchemistische Ueberlieferung anschliessen. Sie gab allen Planeten, also auch der Erde ihren Geist[100]. Man braucht dazu keine naehere Kenntnis des Giordano Bruno anzunehmen[101]. Es war dies der allgemeine Glaube jener Zeit. Endlich war auch in der eigenen Zeit ein neuer Geisterseher erstanden: Swedenborg. Goethe nennt ihn am Schlusse der schoenen Recension ueber Lavaters Aussichten in die Ewigkeit: "den gewuerdigten Seher unsrer Zeiten, rings um den die Freude des Himmels war, zu dem Geister durch alle Sinnen und Glieder sprachen, in dessen Busen die Engel wohnten[102]." Er glaubte an eine grosse immaterielle Welt, zu der die Intelligenzen, die mit Koerpern verbunden sind, oder nicht, die empfindenden Subjecte in allen Tierarten, und endlich alle Principien des Lebens gehoeren[103]. Der dichterischen Phantasie des jungen Goethe, die alles beseelte und ueberall hinter der Erscheinung das Wehen des schoepferischen Geistes spuerte, musste eine solche alles mit Geist und Leben erfuellende Anschauung besonders zusagen. Fuehlte er nicht in sich selbst den Genius? Sprach nicht aus allem ein Geist? Aus Erwins Meisterwerk hatte einst der Geist des Erbauers zu ihm geredet. Sein Wanderer erschaute auch aus den Truemmern des Tempels den Genius des Meisters: Gluehend webst du Ueber deinem Grabe, Genius![104] Den Genius des Vaterlandes fleht er um den kuenftigen jungen Dichter, den er nach seinem Bilde gezeichnet.[105] Wie leicht konnte sich daher sein Geisterglaube mit dem frueherer Zeiten verbinden und sich so die Vorstellung eines Erdgeistes von neuem daraus entwickeln! Er wird ihm nun zu einem Geist des Lebens in allen seinen Erscheinungen auf der Erde, vom niedrigsten bis zum hoechsten, vom sich unbewussten bis zum bewussten, vom leidenden bis zum im hoechsten Sinne thaetigen Leben; zugleich ruht in ihm das Princip des Lebens, das abwechselnd schafft und zerstoert, um so immer wieder neues Leben zu haben. Dieser Wechsel zwischen Zerstoeren und Schaffen hatte Goethes Teilnahme bei seiner Betrachtung der Natur von Jugend auf erregt. Uralte, die Menschen zu allen Zeiten bewegende Fragen knuepfen sich daran an. Hat der Mensch nur vor allem einen Blick fuer das zerstoerende, uebersieht er das schaffende Princip, so leuchtet es ein, wie verhaengnisvoll ein solcher einseitiger Standpunkt fuer die Auffassung und den Gang seines Lebens werden muss. Die Weltanschauung, die die Vergaenglichkeit und Eitelkeit alles Irdischen auf das staerkste betont, all der duestere, weltfeindliche Pessimismus wurzelt hier. Auch der junge Goethe ist von dieser Seite des Irdischen lebhaft beruehrt worden und hat zu ihr Stellung genommen; am schoensten in dem Gedicht "Der Wandrer", das noch vor dem Wetzlarer Aufenthalt im Fruehling 1772 entstanden ist. Zunaechst sieht der Wanderer auf seinem Gange nur die traurigen Reste der Zerstoerung: Saeulenstuempfe, erloschene Inschriften, Truemmer eines Tempels. So wenig schuetzt also die Natur das Werk ihres Meisters; unempfindlich zertruemmert sie ihr Heiligtum. Da wird der Blick des Klagenden vom Tode abgewendet und an das Leben gemahnt. Die Bewohnerin dieser Truemmer gibt ihm ihren bluehenden Knaben in den Arm,--ein herrliches Uebergangsmotiv!--der, ueber den Resten der Vergangenheit geboren, einem neuen Leben entgegenwaechst. Jetzt ist sein Auge geoeffnet; ringsum sieht er die bluehende und gruenende Natur; die Schwalbe, die am Architrav ihr Nest gebaut, die Huette, die der Mensch zwischen Truemmern erbaut, er geniesst ueber Graebern. Natur, du ewig keimende, ruft er aus, schaffst jeden zum Genuss des Lebens![106] Damit war also alle einseitige Naturbetrachtung verworfen. Nicht dazu sind wir geschaffen, allein die Vergaenglichkeit zu sehen und darueber zu klagen; denn ueberall erwaechst wieder aus dem Tod neues Leben, das zu geniessen wir da sind. Denselben Standpunkt vertritt Goethe in der Recension ueber Sulzers schoene Kuenste vom 18. Dezember 1772[107]. "Sind die wuetenden Stuerme, Wasserfluten, Feuerregen, unterirdische Glut und Tod in allen Elementen nicht ebenso wahre Zeugen ihres (der Natur) ewigen Lebens als die herrlich aufgehende Sonne ueber volle Weinberge und duftende Orangenhaine? Was wuerde Herr Sulzer zu der liebreichen Mutter Natur sagen, wenn sie ihm eine Metropolis, die er mit allen schoenen Kuensten als Handlangerinnen erbaut und bevoelkert haette, in ihren Bauch hinunterschlaenge?" Man weiss, welch maechtigen Eindruck das Erdbeben von Lissabon (1. Nov. 1755) auf alle Zeitgenossen und auch auf den fruehreifen Knaben Goethe gemacht hat[108]. Man benutzte es damals als graessliches Argument gegen den Optimismus und seinen Grundsatz, alles sei gut[109]. Vergebens suchte sich sein junges Gemuet gegen diese Eindruecke herzustellen. Nach und nach vergisst er aber die Zornesaeusserungen ueber die Schoenheit der Welt und die mannigfache Guete, die uns darin zu teil wird[110]. So gelang es ihm allmaehlich einen Standpunkt einzunehmen, von dem aus er zwischen Pessimismus und Leibnitz-Popischem Optimismus einen gluecklichen Ausweg fand: "Was wir von Natur sehen, ist Kraft, die Kraft verschlingt; nichts gegenwaertig, alles voruebergehend; tausend Keime zertreten, jeden Augenblick tausend geboren; gross und bedeutend, mannigfaltig ins Unendliche, schoen und haesslich, gut und boes, alles mit gleichem Rechte nebeneinander existierend"[111]. In humoristischer Weise findet sich diese Naturanschauung als Kampf ums Dasein behandelt im Monolog des Einsiedlers im Satyros[112]. Sehr bezeichnend aber hat der kranke Werther allein ein Auge fuer die zerstoerende Seite der Natur; er, der frueher ueberall mit vollem warmen Gefuehl die schaffende Natur gesehen, sieht jetzt nur noch die zerstoerende Kraft in der Natur. Der Schauplatz des unendlichen Lebens wandelt sich vor ihm in den Abgrund des ewig offenen Grabs.--"Ha! Nicht die grosse seltene Not der Welt, diese Fluten, die eure Doerfer wegspuelen, diese Erdbeben, die eure Staedte verschlingen, ruehren mich; mir untergraebt das Herz die verzehrende Kraft, die in dem All der Natur verborgen liegt, die nichts gebildet hat, das nicht seinen Nachbarn, nicht sich selbst zerstoerte. Und so taumle ich beaengstet! Himmel und die Erde und all die webenden Kraefte um mich her! Ich sehe nichts als ein ewig verschlingendes, ewig wiederkaeuendes Ungeheuer![113]" Aus fruehesten Anregungen ist demnach diese Betrachtung der Natur auf ein in ihr waltendes zerstoerendes und schaffendes Princip herausgewachsen und die gluecklich gewonnene Anschauung ist dann auch zur naeheren Bestimmung des Wesens des Erdgeistes benutzt worden; uebrigens begegnete sich Goethe auch hier wieder mit alchemistischen Vorstellungen. Nach Agrippa[114] herrscht auf der Erde das Gesetz des Entstehens und Vergehens, (lex generationis et corruptionis[115]), so dass also von dieser Seite aus des Dichters Auffassung vom Erdgeiste nicht beziehungslos war. Noch spaeter aber beim Rueckblick auf die Frankfurter Zeit hebt er als besonders kennzeichnend hervor, den ersten Drang, das ungeheuere Geheimnis, das sich in stetigem Erschaffen und Zerstoeren an den Tag legt, zu erkennen[116]. Der Erdgeist ist nun nicht bloss ein Geist der irdischen Lebenskraft, die hervorbringt und zerstoert, die Woge des Daseins steigen und sinken laesst, er wallt nicht nur in den Fluten des Lebens auf und ab, sondern ist auch der Geist der That im Leben, des thaetigen, mit Bewusstsein wirkenden Lebens. Die Natur hat den Menschen nicht allein zum Genuss des Lebens, zu Leid und Freud, Glueck und Weh geschaffen, sondern auch zur Thaetigkeit und Wirksamkeit. "Er haette mir nur sagen sollen, dass es im Leben bloss auf das Thun ankomme, das Geniessen und Leiden findet sich von selbst", bemerkt Goethe spaeter in der Geschichte seines Lebens[117]. Waehrend "alle die andern Armen Geschlechter der kinderreichen lebendigen Erde Wandeln und weiden In dunkelm Genuss Und trueben Schmerzen des augenblicklichen Beschraenkten Lebens, Gebeugt vom Joche der Notdurft[119]", galt es fuer ihn zum Thun zu kommen. Diese Erkenntnis ward dem jungen Goethe immer klarer und lebendiger. Denn fuer ihn wie fuer seinen Helden Faust war es eine Lebensfrage, sich im Leben durchzuringen zu den Sphaeren hoechster Thaetigkeit. Hamanns herrliche, aber schwer zu befolgende Maxime konnte ihm dabei den Weg weisen: "Alles, was der Mensch zu leisten unternimmt, es werde nun durch That oder Wort oder sonst hervorgebracht, muss aus saemtlichen vereinigten Kraeften entspringen; alles Vereinzelte ist verwerflich[120]." Denn er hatte es zwar nicht noetig, sich vom Banne der Schulwissenschaft und der Spekulation zu befreien und eine lebendige, fruchtbare Thaetigkeit an ihre Stelle zu setzen; fuer ihn galt es einer allzugrossen Nachgiebigkeit gegen die Eindruecke der Aussenwelt, einer allzu gesteigerten Empfindungsfaehigkeit ein Gegengewicht zu schaffen. Er fand es in der dichterischen Produktion, suchte es auch in der Thaetigkeit des bildenden Kuenstlers. Zu einer Zeit, wo die Empfindsamkeit ueberwog, erkannte er denn auch das Gegenmittel. Die Beruehrung mit der heroischen Staerke des Altertums machte es ihm bewusst, was ihm fehle. Ueber Pindars Worten [Griechisch: epikratein dynasthai] ging es ihm auf; und was Thaetiges an ihm war, lebte auf[121]. Unter [Griechisch: epikratein] versteht er aber Meisterschaft, Virtuositaet, d.h. also hoechste Thaetigkeit. Die ganze Jugendpoesie der Frankfurter Jahre seit 1771 durchzieht dieser Gegensatz. Weisslingen ist der erste Vertreter der krankhaften Empfindlichkeit; ihm gegenueber steht Adelheid; sie ist nicht von Anfang an die Teufelin, die ihn verdirbt, sondern sie vermeint zunaechst noch den titanischen Funken in ihm erwecken zu koennen, ihn zu dem "activen" Manne zu machen, den sie in ihm erwartete[122]. Und in der That scheint die lebendige Kraft, die von ihr ausgeht, "die Atmosphaere von Leben, Mut, thaetigem Glueck," die um sie ist[123], auf ihn zu wirken, wie das Zeichen des Erdgeistes auf Faust: "Und nun gleich entfesselten Winden ueber das ruhende Meer! Du sollst an den Felsen, Schiff! und von da in Abgrund! und wenn ich mir die Backen drueber zersprengen sollte"[124]. Allein die Wirkung haelt bei ihm nicht an; Adelheid aber, da sie seine Unfaehigkeit durchschaut, verlaesst und verdirbt ihn. Dasselbe Verhaeltnis liegt zwischen Clavigo und Carlos vor, nur dass der letztere nicht mehr der Feind, sondern der Freund des Schwachen ist. Auf der hoechsten Hohe erscheint diese Krankheit im Werther. Bei ihm wird durch seine wunderbare Empfind- und Denkensart, der er sich ganz ueberliess, und die endlose Leidenschaft, alles, was thaetige Kraft an ihm war, ausgeloescht[125]; und er, der sich nicht, wie Weisslingen und Clavigo, in schwerer Schuld verstrickt hatte, faellt durch eigene Hand. Ganz im Sinne Fausts hatte der Dichter, da er im Mai 1772 gen Wetzlar zog, zwar nicht dem Erdgeist, wohl aber der Gottheit zugesungen, von ihr erfuellt: Allgegenwaert'ge Liebe! Durchgluehst mich, Beutst dem Wetter die Stirn, Gefahren die Brust, Hast mir gegossen Ins frueh welkende Herz Doppeltes Leben Freude zu leben. Und Mut[126]. Von diesem gewonnenen Lebensmute aus war dann zu dem dritten, hoechsten Leben vorzudringen, dem der That, auf dass das Herz nicht welke, sondern noch koestliche Fruechte trage![127] Wir sehen danach, wie tief diese Auffassung des Erdgeistes als eines Geistes des Lebens und der That im Leben des Dichters begruendet liegt. Bemerkenswert fuer die Art, wie bei der verschiedensten Gelegenheit gewonnene Erkenntnis, liebgewordene Motive sich bei dem jungen Goethe hervordraengen, ist die physiognomische Charakteristik des Brutus als des Mannes der That[128], die am Ende der Frankfurter Zeit (1775) geschrieben ist[129]: Zuerst wird wieder die Wirkung des Bildes geschildert: "Welche Kraft ergreift dich mit diesem Anblicke! u.s.w.--Eherner Sinn ist hinter der steilen Stirne befestigt, er packt sich zusammen und arbeitet vorwaerts in ihren Hoeckern, jeder wie die Buckeln auf Fingals Schild von heischendem Schlacht- und Thatengeiste schwanger. Nur Erinnerung von Verhaeltnissen grosser Thaten ruht in den Augenknochen, wo sie durch die Naturgestalt der Woelbungen zu anhaltendem, maechtig wirksamen Anteil zusammengestrengt wird.----Mann verschlossener That! langsam reifender, aus tausend Eindruecken zusammen auf einen Punkt gedraengter That! In dieser Stirne ist nichts Gedaechtnis, nichts Urteil, es ist ewig gegenwaertiges, ewig wirkendes, nie ruhendes Leben, Drang und Weben!"--Sogar etwas verderbendes findet er in ihm[130]. Das Verhaeltnis des Erdgeistes endlich zu seiner Schoepfung, dem lebendigen Kleid der Gottheit, der sichtbaren Erdenwelt ist offenbar im Geiste Spinozas gedacht. Seine Philosophie hatte Goethe spaetestens seit dem Fruehling 1773 kennen gelernt[131]. Auf der Rheinreise im Sommer 1774 war sie ein wichtiger Gespraechsstoff zwischen ihm und Fr. Jacobi. Es fuegte sich dabei wieder vortrefflich, dass ja auch seine Anschauungen in manchem mit den alchemistischen seiner Zeit zusammentrafen. Hatten sie allem einen Geist gegeben, so liess auch Spinoza alles, wenn auch in verschiedenem Grade beseelt sein[132]. Gott ist ihm die immanente, bewirkende Ursache der Schoepfung. Die Welt ist eben nur die sichtbar gewordene Wirkung der goettlichen Schoepferkraft; die einzelnen Dinge sind die Modi, die Erscheinungsformen der unendlichen goettlichen Substanz (natura naturans = wirkende, n. naturata = bewirkte Natur). Bei Goethe erscheint nun der Erdgeist im Auftrage Gottes handelnd; er setzt gleichsam in hoeherem Befehle das irdische Schaffen fort. Denn der Dichter ist eben genoetigt, da er sich einmal im Rahmen des alchemistischen Geisterglaubens bewegt und zwischen dem Geist des Alls, der Gottheit, und dem der Erde geschieden hatte, die rein spinozistische Auffassung entsprechend abzuaendern. Der Erdgeist hat Faust sein Wesen enthuellt. Jetzt redet er ihn an; er will ihm zeigen, dass er sein Wesen erkenne, ihm sagen, wie nah er sich ihm fuehle; er nennt ihn dabei einen geschaeftigen Geist, der die weite Welt umschweife. Da ist der Bann der Beschwoerung gebrochen, er hoert die niederschmetternde Kunde: Du gleichst dem Geist, den du begreifst, Nicht mir! Dann verschwindet der Geist. Faust stuerzt zusammen: er, das Ebenbild Gottes, der dem Geist des Alls zu gleichen sich vermass, gleicht nicht einmal dem Geist der Erde! Die Scene bricht ab. Wagner erscheint. Hier erhebt sich die Frage: Wodurch wird der Bann der Beschwoerung gebrochen? Warum verschwindet der Erdgeist grade jetzt? Woraus schliesst er, dass Fausts Geist dem seinen nicht gleiche? Jedenfalls muss er dies Fausts letzten Worten entnommen haben. Was enthalten sie? Er nennt den Erdgeist einen geschaeftigen Geist. Er hat sich ihm als der Geist hoechster Thaetigkeit offenbart, und nun setzt Faust diese der Geschaeftigkeit gleich. Geschaeftigkeit ist aber eine Thaetigkeit ohne Zweck, ohne Folge, ohne Frucht, ohne Ziel. So nennt sich der junge Goethe selbst einmal geschaeftig ohne fleissig[133]. Faust kennzeichnet sein eigenes Wesen, indem er dem Erdgeist diese Eigenschaft gibt. Aber auch der Dichter hatte sie in seinem Wesen als einen Mangel in seiner Entwicklung entdeckt, den er zu einer Tugend umbilden musste. Denn er fuehlte Adel und kannte Zweck[134]. "Auch hat mir endlich", schreibt er in den bereits angezogenen Wetzlarer Brief an Herder, "der gute Geist den Grund meines spechtischen Wesens entdeckt. Ueber den Worten Pindars [Griechisch: epikratein dynasthai] ist mirs aufgegangen[135]." Das spechtische Wesen Goethes, wie es Herders Spott genannt hatte, war dessen ewiger Tadel gewesen. Nun sieht er selbst ein, dass es eine Schwaeche sei, die er ueberwinden muesse. "Wenn ich nun ueberall herumspaziert bin, ueberall nur dreingeguckt habe, nirgends zugegriffen. Dreingreifen. packen ist das Wesen jeder Meisterschaft[136]". Die Geschaeftigkeit muss zu der zielbewussten Thaetigkeit des Meisters werden. Mit diesem Mangel seines Wesens, ueber den der Dichter sich laengst klar geworden war, ueber den er aber seinen Helden erst aus seinem dunklen Zustande zur Klarheit auffuehren musste, haengt es auch zusammen, wenn Faust den Geist als einen, der die weite Welt umschweife, auffasst und wiederum dadurch sich selbst verraet. Denn was ist dies Schweifende anders als was der Dichter eben mit dem Herumspazieren und Dreingucken an sich getadelt hatte, was ihm aus Pindars Worten: [Griechisch: Eidos phua, psephaenos anaer myrian aretan atelei noo geuetai, oupot' atrekei kateba podi, mathontes] usw. wie Schwerter durch die Seele gegangen war[137]? In demselben Sinne tadelt er an Lavater, ein schweifender Geist habe ihm die kollektive Kraft entzogen und so der besten Freude, des Wohnens in sich selbst beraubt[138]; ebenso wieder an sich selbst, da zu Zeit seiner Liebe zu Lili all die Gegensaetze seiner Natur aufgewuehlt wurden, mit den klagenden Worten: Entweder auf einem Punkt, fassend, festklammernd, oder schweifen gegen alle vier Winde[139]! Ueber Lenz bemerkt er spaeter, er habe bei ihm darauf gedrungen, dass er aus dem formlosen Schweifen sich zusammenziehen und die Bildungsgabe, die ihm angeboren war, mit kunstgemaesser Fassung benutzen moechte[140]. Er setzt also dem schweifenden Geist die kollektive Kraft, eine Art innerer Konzentration, das Wohnen in sich selbst, wie er es gerne nannte, entgegen. Dies Wohnen in sich selbst erzeugt, indem er sie auf einen Punkt sammelt, die schoepferische Kraft; es gehoert darum zum Wesen der Gottheit, also auch zu dem des Erdgeistes. "O, ich wuerde an deinem Busen der ewigen Goetter einer sein, die in bruetender Liebeswaerme in sich selbst wohnten und in einem Punkte die Keime von tausend Welten gebaren und die Glut der Seligkeit von tausend Welten auf einen Punkt fuehlten",--ruft Franz im Goetz aus[141]. Es ist daher fuer den im hoechsten Sinne thaetigen und schoepferischen Menschen zu erstreben; so begegnet er uns auch in der Charakteristik des Brutus als des Mannes der That: "Sieh das ewige Bleiben und Ruhen auf sich selbst"[142]. Faust hat also in dem Wesen des Erdgeistes nicht erkannt, dass er auch der Geist der hoechsten Thaetigkeit ist, dass er nicht die Welt umschweife, sondern in ihr wohne als das schoepferische Princip, das durch Zusammenziehung aller zerstreuten Kraefte sie immer wieder hervorbringe[143]. Damit hat er ausgesprochen, was ihm selbst noch fehle, trotzdem aber sich ueberhebend, ohne dass eine innere Kraft ihn dazu berechtige, sich dem Geiste nahe, ja gleich gefuehlt. Auch dies traegt dazu bei, dass er verschmaeht wird[144]. Dagegen wird der Bescheidenheit des Juengers vor dem Bilde der Venus in Kuenstlers Vergoetterung die Antwort: Du wirst Meister sein. Das starke Gefuehl, wie groesser dieser ist, Zeigt, dass dein Geist seinesgleichen ist[145]. Ebenso wie Faust wird aber in den Parabeln die Eiche von der Ceder zurueckgewiesen: "Die Eiche sprach: Ich gleiche dir, Ceder! Thor! sagte die Ceder: als wollt' ich sagen, ich gleiche dir"[146]. Fassen wir noch einmal das Wesentliche der Erdgeistscene zusammen! Faust erblickt das Zeichen des Erdgeistes; er fuehlt sich ihm naeher als dem Geist des Alls. Was er in ihm erkennt, was also auch in ihm selbst verborgen liegt, ist das dem Geist einwohnende rastlose Leben. Von diesem Hauch getroffen, fuehlt er in sich den Mut entstehen, sich in das Leben hinaus zu wagen und alles, was es zuteilt, Freud und Leid, Kampf und Untergang, tapfer auf sich zu nehmen. Durch dieses Gefuehl ist er in einer Beziehung dem Geiste gleich. Dadurch zieht er ihn an; er kuendigt sich an, aber da die Erkenntnis und die Wesensverwandtschaft nicht vollstaendig ist, erscheint er nicht. Da beschwoert ihn Faust mit magischer Formel. Nun erscheint er, aber in widerlicher Gestalt. Faust wendet sich ab. Sein ganzes uebermenschliches Streben war darauf gerichtet, sich den Geistern gleich zu heben; er hat sich ihnen zu naehern gesucht und war durch dies Verlangen in ihre Sphaere eingedrungen; hatte sich dadurch die Kraft der Anziehung erworben; so hat er endlich den Erdgeist erfleht, beschworen. Er ist ihm erschienen, und nun liegt er im Staub, windet sich gleich den Wuermern. "Das erbaermliche Liegen im Staube--und des Winden der Wuermer"--damit vergleicht der Dichter dieses Gefuehl in einem Augenblicke, da ihm gewaehrt ward, was seinem Helden versagt blieb: "schwebend im herrlich unendlich heiligen Ocean unsers Vaters des ungreiflichen, aber des beruehrlichen.--Nennbare, aber unendliche Gefuehle durchwuehlen mich--"[147]. Faust gewinnt die Kraft der Erhebung wieder. Der Geist enthuellt ihm sein Wesen, aber er erkennt darin nicht, weil er an ihr nicht Teil hat, die hoechste Thaetigkeit und das, was sie erzeugt. Er hat wohl erkannt, dass er der Geist rastlosen Lebens sei, allein nicht, dass dieses Leben, wie es das Wesen des Geistes offenbart, zu dauernder, zielbewusster Thaetigkeit zu steigern sei. Sein Streben ist titanisch, aber seine Kraft nicht die des Prometheus! Sein Geist hat sich noch nicht, wie Goethe es spaeter nannte, zur Entelechie entwickelt. Er gleicht nur seinem Geiste, nicht dem Erdgeiste. Denn um ihn zu erkennen, muesste er er selbst sein[148]. Der Erdgeist verschwindet, sobald Faust ihre Verschiedenheit ausgesprochen hat. Es bleiben nur noch eine Reihe wichtiger Fragen zu beantworten, die in sich zusammenhaengen: Worin liegt es begruendet, dass Faust sich zunaechst an die Geister des Makrokosmos und der Erde wendet? Bietet uns das innere Leben des Dichters dafuer einen Anhalt? In welchem Verhaeltnis steht der Geist des Alls zu dem der Erde? Der Faust der Sage uebergibt sich dem Teufel, der des Dichters erhebt sich zu den Geistern, dem Goettlichen. Diese Erhebung, die Sehnsucht, sich dem Goettlichen unmittelbar zu naehern, ist einer der bemerkenswertesten Zuege in der Entwickelung des jungen Goethe. Er bedeutet in dem Gesamtbilde seines Lebens eben nichts anderes als den Drang, die innewohnende Faehigkeit, die er in dunklen Ahnungen in sich fuehlte, auf das Hoechste zu steigern und auszubilden[149]. Schon fruehe finden wir ihn in dem jungen Goethe ausgepraegt. Bekannt ist die Erzaehlung am Ende des ersten Buches von Dichtung und Wahrheit, wie der Knabe sich der Gottheit unmittelbar zu naehern gesucht. Die ueblen Folgen dieses Versuches konnten ihm damals schon andeuten, wie gefaehrlich es ueberhaupt sei, sich Gott auf dergleichen Wegen naehern zu wollen. In der seltsamen Weltanschauung, die er sich in seiner alchemistischen Epoche bildete, ist es Lucifer, der durch seinen Abfall von Gott den Geistern die suesse Erhebung zu ihrem Ursprung verkuemmert. Dieses Streben, sich zu Gott zu erheben, offenbart sich in dem Dichter in der verschiedensten Weise, als titanischer Drang, Gott gleich zu schaffen und Schaffenslust zu geniessen, aus dem schaeumenden Becher des Unendlichen zu trinken, dann wieder als sehnsuechtige Liebe zu dem allliebenden Vater. Es ist die Religion des Dichters. "In unsers Busens Reine wogt ein Streben, Sich einem Hoehern, Reinem, Unbekannten Aus Dankbarkeit freiwillig hin zu geben, Entraetselnd sich den ewig Ungenannten; Wir heissens: fromm sein"[150]. dichtet er spaeter. In diesem Unendlichkeitsstreben macht sich aber das Gefuehl der Beschraenkung geltend. Dazwischen wogt es im Innern des Dichters auf und ab, bis er endlich wie Lucifer und Prometheus im Hochgefuehl der inneren Schoepfungskraft von Gott undankbar abfaellt und in sich selbst den hoeheren Ursprung zu finden glaubt, um aber bald wieder die trotzige Erhebung gegen die Gottheit aufzugeben und sich wieder seinem Ursprung zuzuwenden[151]. Dieser Grundzug seines Lebens tritt uns in der Dichtung des jungen Goethe mannigfach entgegen. In Wanderers Sturmlied[152], das in der Zeit nach dem Wetzlarer Aufenthalt gedichtet ist, zuerst und besonders bemerkenswert, weil wir hier hinein blicken koennen in den inneren Kampf des Dichterherzens zwischen dem Trieb der Erhebung und dem Gefuehl seiner Schwaeche. Klagend empfindet er den Mangel innerer Waerme; er muss sein Herz anfeuern, der Gottheit (Phoebus Apollo als Weltgenius) entgegen zu gluehen, damit nicht ihr Blick unbeachtend an ihr voruebergleite. Es liegt darin also zugleich der Gedanke, dass die Erhebung fuer den Menschen noetig sei, wenn er Gottes Mitwirkung erhalten solle[153]. In dem Fragment Mahomet[154] von 1773 sucht der Held des Stueckes den einen Gott, dem er ungeteilt sein ganzes Gefuehl weihen koenne, in dem alles enthalten sei. Sein liebendes Herz hebt sich dem Erschaffenden, und siehe, der Herr, sein Gott, naht sich, freundlich zu ihm. In Mahomets Gesang[155] endlich preist der Dichter in erhabenem Schwung den Menschen, der sich durch nichts abhalten laesst, seinem Ursprung unaufhaltsam zuzueilen, der auf seinem Siegeslaufe auch noch andere, deren gleichem Verlangen ihre Kraft nicht entspricht, mit sich fortreisst und dem erwartenden Erzeuger freudebrausend an das Herz traegt. Im Ganymed[156] (1773) ist es mehr die sehnsuechtige Liebe des Unendlichen, wie sie auch die schoene Seele in ihren Bekenntnissen zu ihrem Heilande fuehlt, als kraeftiges Hinstreben; aber auch sie findet ihr Erhoeren; auch der Sehnende wird emporgetragen zu dem Busen des allliebenden Vaters. Allein mit dem Verlangen nach Erhebung verbindet sich leicht der vermessene Glaube, Gott gleich zu werden, gleich ihm zu schaffen, gleich ihm die Wonne des Geschaffenen zu fuehlen. Du wirst sein, fluestert die Stimme des Versuchers im Inneren, wie Gott. Der Kampf zwischen dem unendlichen Streben und dem Gefuehl der Einschraenkung steigert sich, bis eine Art feindseliger Ruhe im Kampfe eintritt. Der Mensch zieht sich in stolzer Kraft ganz auf sich zurueck und verschmaeht trotzig alle goettliche Hilfe. Allein diese Aufwallung legt sich bald; er beginnt sich zu resignieren, um den inneren Frieden wieder zu gewinnen. "Denn auch der einzelne", so bemerkt er spaeter in seiner Lebensgeschichte, "vermag seine Verwandtschaft mit der Gottheit nur dadurch zu bethaetigen, dass er sich unterwirft und anbetet"[157]. Die spinozistische Gesinnung jedoch, die der junge Goethe in sich aufgenommen hatte, war zu beidem angethan, einen ruecksichtslosen Individualismus zu schaffen und dann wieder unter Anerkennung der Schranken der Endlichkeit sich in Liebe zur Gottheit zu erheben[158]. Kehren wir zu Faust zurueck! Auch er hat das Streben, sich dem Goettlichen, "den Geistern" gleich zu heben. Dazu sucht er sie zu beschwoeren. Das erste, was er in dem Zauberbuche erblickt, ist das wichtigste aller Zeichen, das des Makrokosmus. Der Geist des Makrokosmus ist, wenn wir die Geisterterminologie, zu der den Dichter sein Stoff noetigte, bei Seite lassen, die Gottheit des Weltenalls. Hier scheint nun Faust Gelegenheit gegeben zu sein, sich ihr unmittelbar zu naehern. Macht er, der sich ja als Ebenbild Gottes fuehlt, und da er das Goettliche in dem Zeichen erkannt hat, den Versuch, es zu thun? In welchem Verhaeltnis steht er zur Gottheit? Es ist weniger die sehnende Liebe, wie sie im Ganymed ihren Ausdruck findet, es ist, wenn auch nur verhuellt, angedeutet, der Drang nach schoepferischer Kraft, die er aus dem Urquell alles Seins zu schoepfen begehrt; aber gleich seinem Dichter fuehlt Faust bereits, dass ihm hier durch unmittelbare Annaeherung an das Goettliche keine Befriedigung winkt. Daher gibt er, zunaechst sehnsuechtig klagend, dann unwillig werdend, den Versuch auf. Faust vor dem Bilde des Makrokosmus bietet uns also in kurzer Zusammenfassung den Gang einer Entwicklung, die in seinem Dichter selbst vorgegangen war. Der erste Monolog ist danach bereits auf einer Stufe gedichtet, da Goethe erkannt hatte, sich unmittelbar dem Goettlichen zu naehern, sei ein vergebliches Verlangen. Deshalb wendet sich sein Held unwillig gleich Prometheus von ihm ab; er gibt es auf, mit dem Weltgeist selbst zu ringen[159]. Dem Geist des Irdischen wendet er sich zu; aus seinem Wesen schoepft er sofort die Begeisterung, sich in das Leben zu wagen; mit anderen Worten, wenn auch Faust noch nicht die deutliche Erkenntnis hat, grade auf diesem Wege innerhalb der Grenzen der Menschheit zu seinem Ziele gelangen zu koennen, so hat er doch das dunkle Gefuehl, der Mensch sei zunaechst auf das Leben dieser Erde angewiesen. In dieser fuer Faust in ihren wichtigen Folgen noch dunklen, dem Dichter schon klareren Empfindung liegt das tiefe Problem[160],--es ist das Problem der ganzen Dichtung--dass sich der Mensch eben dadurch, dass er im vollsten und hoechsten Sinne das Irdische erlebe, das Recht auf ein Fortleben auf einer hoeheren Stufe, auf ein hoeheres Leben erwerbe. Dann braucht nur die Gnade von oben die auf Erden im Leben begangene Schuld zu tilgen, und gereinigt steigt er hinauf zu den Sphaeren der Liebe und reiner Thaetigkeit. Hier wurzelt also der edle Realismus des Dichters in Leben und Kunst, der immer reiner und schoener predigt: Gedenke zu leben, lass das Leben, wenn es durch deinen Busen hindurchgegangen ist, wieder rein und treu entstehen; es wird nie des hoeheren Sinnes entbehren, stets nach dem Hoechsten weisen, zu ihm fuehren! Dieser tiefe Grundgedanke, der sich durch seine ganze Dichtung zieht, wird in ihr aufs mannigfaltigste zum Ausdruck gebracht; zum ersten Mal wohl am Schluss des schoenen Aufsatzes von deutscher Baukunst (1772). Wenn der Kuenstler das irdische Leben in Arbeit und Genuss, in Begehren und Leiden genossen hat und irdischer Schoenheit satt, goettlicher aber wert geworden ist, dann erhebe er sich zu ihr und mehr als Prometheus leit' er die Seligkeit der Goetter auf die Erde[161]! "Trachtet ihr, dass ihr Lebenskenntnis erlanget, euch und eure Brueder aufzubauen", ruft er in den biblischen Fragen aus[162]. Frei wie Wolken, fuehlt, was Leben sei! Stehn auf seinen Fuessen, Der Erde geniessen--verkuendet ganz in des Dichters Sinne Satyros[163], um jedoch mit einem laecherlichen Mittel nach dem Ziele hinzuweisen. "Rasch ins Leben hinein!" feuert er sich selbst an in der schoenen Allegorie an Schwager Kronos[164] (gedichtet am 10. October 1774). "Weit hoch, herrlich der Blick Rings ins Leben hinein! Vom Gebirg zum Gebirg Schwebet der ewige Geist. Ewiges Lebens ahndevoll". Also auch hier erscheint der Geist des Lebens. In diesem Leben, auf dieser Erde, muss dem Menschen sein hoechstes Ziel, die Ausbildung des Reinmenschlichen, wodurch er einer hoeheren Stufe wuerdig wird, zu erreichen moeglich sein. Humanus scheidet erst, nachdem er ein Beispiel des Lebens gegeben und so dafuer gesorgt hat, dass sein Geist sich in allen verkoerpert hat und keines besonderen irdischen Gewandes mehr bedarf[165]. Das Beispiel des Menschen lehre uns darum das Goettliche glauben[166]! Nicht mit den Goettern solle sich der Mensch messen; denn hebt er sich aufwaerts, dann haften nirgends die unsicheren Sohlen; auf der wohlgegruendeten, dauernden Erde stehe er mit festen markigen Knochen, ohne sich indes auch hier zu ueberheben[167]. Halber Trotz spricht dagegen noch aus dem Gedichte Menschengefuehl[168] und in noch herberen Worten drueckt sich endlich Faust selbst aus: Das Drueben kann mich wenig kuemmern; * * * Aus dieser Erde quillen meine Freuden, Und diese Sonne scheinet meinen Leiden[169]; und vor allem am Ende des zweiten Teils: Nach drueben ist die Aussicht uns verrannt; Thor, wer dorthin die Augen blinzend richtet, Sich ueber Wolken seinesgleichen dichtet! Er stehe fest und sehe hier sich um; Dem Tuechtigen ist diese Welt nicht stumm. Was braucht er in die Ewigkeit zu schweifen![170] Man sieht, wie mannigfach dasselbe Thema angeschlagen wird; aber ueberall hoeren wir hindurch: Halte dich zunaechst an das irdische Leben; hier ist der Boden, auf dem der Mensch wurzelt; nicht aber verlange er mit Ueberspringung dieses Lebens nach einem, das ihm hier noch nicht gegeben ist. Diese Erkenntnis praegt sich auch im aeltesten Faust aus, wenn sich Faust unwillig vom Zeichen des Weltgeistes ab und dem Geist der Erde zuwendet. Aber er wird von ihm verschmaeht, da er sich ihm zu einer Zeit gleichsetzt, wo er sein Wesen noch nicht voellig d.h. innerhalb den Grenzen seiner menschlichen Natur erlebt hatte. Von hier aus haben wir zum ersten Mal einen Ausblick, in welcher Weise sich das Faustproblem weiter bilden musste. Faust musste hinaus in das Leben, um es in jedem, also auch im hoechsten Sinne zu erleben. Dazu sollte und musste dann der Teufel selbst schliesslich sehr gegen seinen Willen beitragen. Er war es grade, der ihn mit sich fortriss auf den ihm noch fremden Boden des Lebens, im Wahne, ihn dort verderben und in seine Gewalt bringen zu koennen: Ich macht ihm deutlich, dass das Leben Zum Leben eigentlich gegeben. * * * So lang man lebt, sei man lebendig![171] Allein wenn auch Faust sich zunaechst in schwerer Schuld verstrickte, so gewann er doch wieder im Leben, wo er sie allein gewinnen konnte, die Kraft zu einem hoeheren Leben. Aus der kummervollen Sphaere des ersten Teils, aehnlich der, die der junge Dichter selbst durchlebt, erhob er sich zu hoeheren Regionen in wuerdigere Verhaeltnisse[172]: Goethe wusste daher wohl, was er sagte, wenn er kurz vor seinem Tode an Humboldt schrieb (am 17. Maerz 1832): Es sind ueber sechzig Jahre her, dass die Conception des Faust bei mir jugendlich von vornherein klar, die ganze Reihenfolge der Scenen hingegen weniger ausfuehrlich vorlag.[173] Es bleibt nun noch eine Frage zu beantworten: Weshalb erscheint der Erdgeist in widerlicher Gestalt? Im Fragment ist zwar bereits diese scenarische Bezeichnung getilgt, aber nicht Fausts Entsetzen. "Schreckliches Gesicht" ruft er auch hier sich abwendend aus, nicht minder das: "Weh, ich ertrag dich nicht." Knuepfen wir zunaechst an das letztere an, so ist es klar, dass das Ungeheuere der Erscheinung auf Faust einen niederdrueckenden Einfluss ausueben musste. Goethe selbst erklaert, wie in seiner Jugend das Erhabene, das sein Gefuehl formlos oder zu unfasslichen Formen gebildet hervorbrachte, ihn mit einer Groesse umgeben musste, der er nicht gewachsen war[174]. Ueberhaupt lag es in seiner Natur, dass er alle Eindruecke zu stark empfand, daher er sich bemuehen musste, sich von dem Drang und Druck des Allzuernsten und Maechtigen zu befreien, das in ihm fortwaltete[175]. In diesem gesteigerten Empfindungsvermoegen lag eben die Staerke und Schwaeche seiner dichterischen wie menschlichen Natur. Werther erliegt aus diesem Grunde unter der Gewalt der Herrlichkeit der Natur, die ihm erschienen ist[176]. Aehnliches konnte er auf der Sommerreise 1774 von Fritz Jacobi erfahren, was er gewiss damals als etwas, das ihn auf das heftigste erschuettert hatte, dem neuen Freunde nicht vorenthielt. Er schreibt darueber spaeter: "Es war naemlich jenes Sonderbare, eine von allen religioesen Begriffen ganz unabhaengige Vorstellung endloser Fortdauer, welche mich in dem angezeigten Alter, (im achten oder neunten Jahre) bei dem Nachgruebeln ueber die Ewigkeit a parte ante, unversehens mit einer Klarheit anwandelte, und mit einer Gewalt ergriff, dass ich mit einem lauten Schrei auffuhr und in eine Art von Ohnmacht versank.------" "Der Gedanke der Vernichtigung, der mir immer graesslich gewesen war, wurde mir nun noch graesslicher; und ebensowenig konnte ich die Aussicht einer ewig dauernden Fortdauer ertragen.------Ohngefaehr von meinem siebenzehnten bis in mein dreiundzwanzigstes hatte ich mich in diesem letzteren Zustande befunden, (er glaubte, die Erscheinung habe fuer ihn das Fuerchterliche verloren) als auf einmal die alte Erscheinung wieder vor mich trat. Ich erkannte ihre eigene graessliche Gestalt, war aber standhaft genug, sie festzuhalten fuer einen zweiten Blick, und wusste nun mit Gewissheit, sie war! Sie war, und hatte ein in dem Masse objectives Wesen, dass sie jede menschliche Seele, in welcher sie Dasein erhielt, gerade so wie die meinige afficieren muesste.------Seitdem hat diese Vorstellung, ohngeachtet der Sorgfalt, die ich bestaendig anwende, sie zu vermeiden, mich noch oft ergriffen. Ich habe Grund zu vermuten, dass ich sie zu jeder Zeit willkuerlich in mir erregen koennte, und glaube, es staende in meiner Macht, wenn ich sie einige Male hinter einander wiederholte, mir in wenig Minuten dadurch das Leben zu nehmen[177]". Es ist also einmal das Ungeheuere der Erscheinung, das Faust niederdrueckt und ihm dabei das Gefuehl der eigenen Kleinheit gibt[178]. Damit aber verbindet sich, insofern dem Menschen enthuellt wird, was ihm verborgen bleiben soll, das Schreckliche, Graessliche. Es ist ein uralter Glaube, dass die Erkenntnis des dem Menschen Verbotenen ihn mit Abscheu, Schrecken, Widerwillen erfuellt. Der erste Mensch, der gegen Gottes Gebot von dem Baum der Erkenntnis gekostet, scheut sich vor seiner eigenen Bloesse. Der Juengling von Sais bleibt von Entsetzen gepackt, da er den Schleier der Gottheit gelueftet[179]. Darum warnt Goethe selbst in dem Gedichte "Genius die Bueste der Natur enthuellend." Bleibe das Geheimnis teuer! Lass' den Augen nicht geluesten! Sphynxnatur, ein Ungeheuer, Schreckt sie dich mit hundert Bruesten. Dazu der gute Rat, der auch Faust gilt: Suche nicht verborgene Weihe! Unterm Schleier lass das Starre! Willst Du leben, guter Narre, Sieh nur hinter dich ins Freie![180] Dazu kommt endlich noch, dass fuer den Kuenstler Goethe des Ungeheuere auch ein aesthetisches Unbehagen erzeugt. "Soll das Ungeheure"--meint er spaeter--nicht erschrecken; so muss es eine unnatuerliche, scheinbar unmoegliche Verbindung eingehen, es muss sich das Angenehme zugesellen[181]. Aus diesen Gruenden also erscheint der Erdgeist, da ihn Faust mit unnatuerlichen, verbotenen Mitteln Gestalt anzunehmen gezwungen hat, um ungeduldig eine Erkenntnis vorweg zu nehmen, die ihm erst im Lebensgange erwachsen sollte, in schrecklicher, widerlicher Gestalt[182]. Sobald aber der Geist verschwunden ist und Faust nicht mehr unmittelbar unter dem Banne des Schrecklichen steht, endlich gar sich sein Famulus Wagner angekuendigt, denkt er nur noch daran, dass er gewuerdigt worden ist, den Geist zu schauen, dass bei der Erscheinung, wenn er sie auch nicht voellig fassen konnte, ihm doch eine Fuelle von Erschautem zu Teil geworden ist. Daher fuehlt er sich auch, da Wagner sich naht, noch tiefer niedergedrueckt wie durch des Geists Erscheinen[183]. Keineswegs ergreift ihn das Gefuehl der Ueberlegenheit ueber ihn, sondern nur das, dass er durch ihn wieder zum Kleinlichsten und Beschraenktesten der Menschennatur herabgezogen werde in einem Augenblicke da er sich in der Fuelle dessen, was er gesehen hatte, zu verlieren sehnte. Mit Recht konnte daher auch Faust die Erscheinung des Erdgeistes als sein hoechstes Glueck bezeichnen[184], vor allem aber wegen des danach erfolgenden Bundes mit dem Teufel. Der Widerwille des Dichters gegen diese ihm von der Sage gebotene Weiterfuehrung des Dramas drueckt sich aufs deutlichste in dieser bereits im Fragment mit V. 166 = 519 vorgenommenen Aenderung aus[185]. Die Wendung des Motivs dahin, dass sich Faust an Wagners Kleinheit[186] aufrichtet, gehoert der Ausgabe von 1808 an. Der Uebergang aber von der alten zur neuen Fassung dieses Motivs ist noch deutlich. Das urspruengliche Gefuehl bricht durch in den Versen (606 f.): Darf eine solche Menschenstimme hier. Wo Geisterfuelle mich umgab, ertoenen? Danach folgt der Uebergang zu dem neuen, worauf sich dann das weitere aufbaut: Doch ach fuer diesmal dank ich dir, Dem Aermlichsten von allen Erdensoehnen. Die Entstehungszeit des ersten Monologs und der Erdgeistscene. Wann sind nun der erste Monolog und die Erdgeistscene gedichtet? Diese Frage darf jetzt, da ihre Einheit erwiesen ist, fuer die ganze erste Hauptmasse gestellt werden. Denn gerade das, was man als sich widersprechend nachweisen wollte, deutet auf die innere Einheit im Geiste des Dichters hin. "In der Poesie gibt es keine Widersprueche"[187]. Wie sich fuer den Schoepfer in der von ihm geschaffenen Welt nichts widerspricht, so auch im Geiste des Dichters. In ihn sich zu versetzen, ihn zu erkennen, ist die Aufgabe des, der seine Werke verstehen will. In dem Dichter, in dem, was er gelebt, empfunden, erschaut, geahnt, ersehnt hat, liegt auch der Schluessel fuer das Verstaendnis seiner Dichtung. In dem ersten Monolog und der Erdgeistscene ist keine Zeile, die der junge Goethe nicht erlebt haette, die nicht aus seinem lebendigen Gefuehle geflossen waere, natuerlich auch keine so, wie er sie erlebt hatte[188]. Wenn auch dem Sohne des aufgeklaerten Zeitalters, dessen Auswuechse er selbst bekaempft hatte, und dem er dennoch angehoerte, auf Schritt und Tritt die alte Sage widerstrebte, so kehrt doch der Dichter immer wieder zu ihr zurueck, und er ist so gluecklich, aus seinem eigenen Leben den Stoff nehmen zu koennen, womit er die alte Form erfuelle, wie es scheinen moechte, in dem Geiste der Ueberlieferung, in der That aber, indem er mit seinem Geiste das Alte neu belebte. War das nicht mehr moeglich, dann brach die Dichtung ab. Denn Charakter und Thaten seiner Helden mussten sich mit Charakter und Thaten in ihm amalgamieren, wenn ein Werk sich voellig ausgestalten sollte[189]. Daher fragt es sich bei einem Werke Goethes immer: Wann waren diese Gefuehle bei dem Dichter in dieser Weise lebendig, dass sie zu Motiven seiner Dichtung werden konnten? Wann rang er sich aus dem "Wirrwarr des Gefuehls" mehr und mehr zur Klarheit durch, um endlich durch die Darstellung sich von allem Druck zu befreien und zu vollstaendiger Gewissheit ueber das, was ihn bewegte, zu gelangen. Aeusserliche, zufaellig ueberlieferte Entstehungsangaben foerdern uns hier nicht viel; den Spuren seiner Motive muss nachgegangen werden[190]. Dabei hilft uns, was wir vom Leben des Dichters sicher und verbuergt wissen, vor allem aber seine gleichzeitige Dichtung. Sie muss herangezogen werden, dass wir durch sie einen sicheren Boden gewinnen; sie gibt uns die Entstehung, Entwicklung und Ausbildung der Motive, die der Dichter immer wieder von neuem aus seinem Inneren holt, um sie fuer seine Dichtung fruchtbar zu machen. Dann koennen wir mit Bestimmtheit erklaeren: Um diese Zeit hat der Dichter diese Anschauung in sich in dieser Weise ausgebildet. Die Stelle ist also damals geschrieben. Das, was er geschaffen, ist das lebendige Kleid des dichterischen Geistes, das er sich selbst immer von neuem wirkt. Aus dem wechselnden Gewand muessen wir auf den Geist des Dichters schliessen und in die Tiefen seiner Entwicklung eindringen. Da nun im vorigen Schritt fuer Schritt die Entstehungsmotive aufgedeckt sind und sich aus dem von selbst sich aufdraengenden Vergleich mit der uebrigen Dichtung des jungen Goethe, zumal da wir ueber ihre Entstehung besser unterrichtet sind, ein bestimmter Anhalt gewinnen liess, so ist die Frage ueber die Entstehung der ersten Hauptmasse schon beantwortet. Vor allem sprang uns der charakteristische Zusammenhang mit Werthers Leiden in die Augen. Wir wissen, dass dieser Roman schon Ende 1773 geplant war, dass er aber erst Anfang 1774, als die eigentuemlichen Lebensumstaende des Dichters selbst dafuer sorgten, zur Ausfuehrung kam[191]. Auch bei Werther erscheint der Unendlichkeitsdrang, aber nur als ein ungeheurer Hintergrund; auch er will sich Gott gleich heben, um Schaffenslust zu geniessen; aber fuer ihn ist dies Streben eine Zeit, die hinter ihm liegt. Ihm ist von vornherein nicht die Kraft gegeben, es zu verwirklichen. Er fuehlt den titanischen Drang des Uebermenschen in sich, aber nicht seine Staerke. Er, dessen Geist nach dem Unendlichen griff, wird von einer Leidenschaft gepackt, die ihn ganz ausfuellt, die ebenso endlos werden muss, wie sein frueheres Streben. Und auch jetzt wird ihm keine Befriedigung. Ein Versuch, sich durch Thaetigkeit zu befreien, misslingt in der Enge des buergerlichen Lebens, schneidet ihm dies Rettungsmittel ab und vermehrt noch den Druck der Einschraenkung. Er befreit sich durch den Tod. Der geniale, nach dem Hoechsten ringende Mensch stellt sich hier im buergerlichen Kleide des 18. Jahrhunderts dar; allein er sollte nicht einmal in dem kleinen Leben die Befriedigung finden, die es sonst seinen Angehoerigen, so seinem gluecklichen Nebenbuhler, gab. Zugleich wird ihm die Enge dieses Lebens beschaemend dargethan;--auch ein buergerliches Drama. Vielleicht hat auch Goethe urspruenglich die Absicht gehabt, eines daraus zu machen[192]. Zunaechst hatte er aber ueberhaupt nicht die Idee aus dem Sujet ein einzelnes Ganze zu machen. Seine Absicht war also den Grundgedanken des Werther, unendliches Streben im Kampfe mit menschlicher Einschraenkung und seine Folgen, im Faust darzustellen, der ihn ja, wie wir aus Gotters Versen wissen, in jener kritischen Zeit beschaeftigte. Das Leben brachte es anders; es schuf den ungluecklichen Bruder Fausts, der fruehe zu Grunde ging. Es war das ein grosser Vorteil fuer den Dichter; was er im Werther weitlaeufig dargestellt hatte, brauchte hier nur, insofern sie wesensgleich waren, angedeutet zu werden. Allein Fausts Lebensgang sollte weitergefuehrt werden. Sein unendlicher Drang, der nach Befriedigung verlangte, durfte nicht nur als Hintergrund seines Lebens erscheinen: er durfte nicht voellig etwa in einer Leidenschaft aufgehen; er musste der Faden der Handlung bleiben, selbst da, wo er verloren gegangen zu sein schien. Faust durfte nicht im kleinen Leben untergehen, er musste hinaus in die Welt, ins Leben! Auch ihn fasst das Gefuehl der Unbefriedigung und der klaeglichen Enge seines Lebens; er verwuenscht sein Leben, aber nicht das Leben ueberhaupt; er ist von gesuenderer Konstitution als sein ungluecklicher Bruder. Ihm schwindet nie die innere Kraft, wenn er sie auch nicht immer, im dunklen tappend, anzuwenden weiss. Er fuehlt den Mut zum Leben! Aus alledem darf der Schluss gezogen werden, dass die erste Hauptmasse des Faust nach dem Werther gedichtet ist, dass gerade der Werther die innere Arbeit am Faust unterbrach, die erst nach seiner Vollendung wieder aufgenommen ward. Die erste Hauptmasse ist also fruehestens im Jahr 1774 gedichtet. Dazu stimmt auch voellig, was, wie wir gesehen haben, von religioeser und kuenstlerischer Anschauung und ueberhaupt von seiner Lebensanschauung hier dichterischen Ausdruck gefunden hat. In seinem Verhaeltnis zu dem Goettlichen offenbart sich die Erkenntnis, dass eine unmittelbare Annaeherung unmoeglich, dem Schmachtenden nicht vergoennt sei, aus dem Urquell des Lebens selbst sich schoepferische Kraft zu holen. Darum wendet er sich unwillig von der Gottheit ab. Der Zusammenhang mit der Gefuehlswelt, der der Prometheus entsprungen ist, ist hier deutlich. Auch er wendet sich im heftigen Unwillen von den Goettern ab, da er sieht, dass sie ihm nichts geben koennen; aber er sucht alsdann in seinem Stolz alles in sich. Das thut Faust nicht. Der prometheische Trotz erscheint also hier schon ueberwunden. Auch in dem Drama Prometheus, das Ende 1773 gedichtet ist[193], ist der schliessliche Sieg der Gottheit ueber den Empoerer im voraus angedeutet. Mag sich daher auch Faust in prometheischem Unwillen abwenden, so erhebt er sich doch nicht in prometheischem Trotz gegen das Goettliche. Dass sich aber diese uebermuetige Aufwallung, die sich in stolzer Konzentration in sich gegen die Gottheit verschloss, so bald gelegt hatte, dazu trug nicht zum geringsten bei, dass der junge Goethe von neuem an die Grenzen menschlichen Vermoegens erinnert worden war, bei seinen Versuchen auf dem Gebiete der bildenden Kunst, mit der er sich ernstlicher in den Jahren 1773/74 beschaeftigte, einer Zeit, da das Dichten und Bilden unaufhaltsam mit einander ging[194]. Wir wissen, wie er in eigentuemlicher Verkennung seiner Faehigkeiten daran glaubte, zum bildenden Kuenstler geschaffen zu sein. Damals schlaegt ihm das Herz, da er zum ersten Mal in Oel zu malen beginnt: "Mit welcher Beugung, Andacht und Hoffnung, drueck ich nicht aus, das Schicksal meines Lebens haengt sehr an dem Augenblick[195]." Die nach Schoepfungskraft verlangenden Kunstgedichte dieser Zeit druecken dieselbe Sehnsucht im besondren Fall aus, die im Faust ins allgemeine gezogen ist; im einzelnen haben wir eine innere Uebereinstimmung gefunden mit der wohl erst 1775 niedergeschriebenen kleinen Abhandlung: Nach Falkonet und ueber Falkonet. Endlich weist uns die Weltanschauung, wie sie der Dichter in dem Verhaeltnis des Erdgeistes zum Weltgeist und im Wesen des ersteren selbst geoffenbart hat, auf eine Zeit reiferer, nach und nach im Lebensgange gewonnener Erkenntnis hin. Es ist der Gedanke, dass das unbedingte Streben des Menschen innerhalb des Lebens auf dieser Erde in zielbewusster Thaetigkeit das Hoechste zu leisten versuche und nicht etwa in thoerichtem Ansturm gegen die Schranken menschlicher Bedingtheit seine Kraefte unnuetz verbrauche, womit sich denn fuer das Gedicht eine unendliche Perspektive eroeffnete. Ferner ist wohl nicht an der Thatsache zu zweifeln, dass Goethe das Zeichen des Makrokosmus Herdersche Gedanken der aeltesten Urkunde an die Hand gaben und es ihm ermoeglichten, alchemistische Anschauungen seinem Denken gemaess darzustellen. Das Buch Herders, fuer das Goethe wie Merck die groesste Teilnahme zeigten, ist Ostern 1774 erschienen[196]. An eine spaetere Einschiebung der Verse 86-93 = 439-446 darf natuerlich nicht mit Scherer bei dem gerade hier ganz eigentuemlichen Zusammenhang in den Versen 77-93 = 430-446 gedacht werden. Von einem Sichwiederholen in der schoenen Gedankenfolge ist ebenfalls keine Rede[197]. Scherer ist uebrigens nur zu dieser Annahme gekommen, weil er eine spaetre Mitteilung Goethes zu stark gepresst hat. Er schreibt am 11. Mai 1820 an Zelter ueber Satyros: "Er faellt mir ein, da er eben ganz gleichzeitig mit diesem Prometheus in der Erinnerung vor mir aufersteht, wie du gleich fuehlen wirst, sobald du ihn mit Intention betrachtest. Ich enthalte mich aller Vergleichung; nur bemerke, dass auch ein wichtiger Teil des Faust in diese Zeit faellt". Dass zu diesem wichtigen Teil des Faust vor allem die erste Hauptmasse zu rechnen sei, hat man mit Recht angenommen. Prometheus ist nun allerdings im Jahre 1773 gedichtet, aber Satyros gehoert in seiner endgueltigen Fassung, wie er in Goethes Werken steht, sicher erst in den Sommer 1774. Denn der Satyros oder der vergoetterte Waldteufel, diese Satire auf die Geniefrechheit, ist zugleich auch ein Spott auf die prometheische Ueberhebung. Er steht also zeitlich dem Faust naeher als Prometheus, wofuer sich auch im weitren noch Anzeichen finden werden. Goethe selbst behauptete zwar in einem Gespraeche mit der Fahlmer, er sei schon vor ihrer Abreise fertig gewesen[198]; es ist aber offenbar auch hier der Fall, was ein guenstiges Geschick so oft bei seinen Schoepfungen eintreten liess, dass im Fortgang des Lebens seinen dichterischen Plaenen immer reicherer Stoff dargebracht wurde. So hat unbedingt die Bekanntschaft mit Basedow im Sommer 1774, auf den und nicht etwa gar auf Herder Satyros gedeutet werden muss, den Anlass zu einem lebenswahreren Bilde des Helden und damit zur eigentlichen Vollendung des Werkes gegeben. Prometheus war der tiefernste Erguss eines sich maechtig erhebenden Gefuehls nach Zeiten schweren Drucks. Auf demselben Boden wurzelt auch Faust. Satyros dagegen ist der Spott ueber genialische Anmassung ueberhaupt, die aus der Tendenz nach unmittelbarer Natur entstehen musste, ein Spott, der um so staerker in ihm rege ward, wenn er sich umschaute und sah, wie sein eignes Streben sich in andren ihm verzerrt entgegenstellte. Das Drama ist also aufzufassen als die Satire ueber das Genietreiben der Zeit, das sich auf verschiedene Weise in verschiedenen offenbarte. Individuelle Zuege bot ihm das Leben dazu in Fuelle, die er jedoch nie so benutzte, dass etwa seine Gestalten gar portraitartige Abbilder derer geworden waeren, die ihm dazu gestanden hatten. Genie kaempft hier mit sich selbst[199]. Daher bricht auch durch das Zerrbild das reine Bild wahrer Genialitaet oefters in ergreifender Weise durch; denn das Genie selbst hat die Satire geschrieben, nicht Nicolai. Nach alledem darf also angenommen werden, dass der erste Monolog und die Erdgeistscene im Jahre 1774 gedichtet sind, nach dem Werther, nach dem Erscheinen der aeltesten Urkunde, nach der Rheinreise und der Bekanntschaft mit Jacobi. Am 13. August war Goethe wieder heimgekehrt. Die Stimmung der dieser Reise folgenden Zeit, in der auf die Tage toller, ueberschaeumender Lebenslust wieder ein Rueckschlag eintrat, passt vortrefflich zu dem eigentuemlichen wehmuetigen Tone jener ersten Scenen. Selbst aus den satirischen Hervorbringungen dieser Zeit weht ein andrer Hauch als aus den Keckheiten der Fastnachtspiele von 1773. Die empfindsame Grundstimmung kommt wieder mehr zum Vorschein, denn auch mit Werther war sie nicht ganz beseitigt; nur ihre schlimmsten Folgen waren zu eigener Warnung geschildert. Sie kehrte periodisch wieder; gehoerte sie ja doch zu der inner eigensten Natur des Dichters[200]. Ebenso zeigt sich damals das Zurueckkommen vom Ueberschwang des Titanismus. Auf beides weisen uns die Briefe jener Tage. Am Tage der Heimkehr schon schreibt er an Jacobi: "Ich schwebe im Rauschtaumel, nicht im Wogensturm, doch ists nicht eins, welcher uns an Stein schmettert? Wohl denen, die Thraenen haben[201]." In einer solchen Stimmung haette auch ihn der Erdgeist verschmaeht. Dass der prometheische Trotz der Konzentration auf sich allein gewichen ist, zeigen die folgenden Worte aus einem Briefe an Jacobi vom 21. August: "dass zwar herrlich ist selbststaendig Gefuehl, dass aber antwortend Gefuehl wirkender macht, ist ewig wahr, und so dank deinem guten Geist und so wohl unsern Geistern, dass sie sich gleichen[202]." In diesem Gefuehle zog sich sein Faust nicht auf sich selbst zurueck, sondern wandte sich dem Erdgeist zu, im Glauben, ihm zu gleichen. Am 24. August schreibt er an Sophie La Roche: "Was ist das Herz des Menschen? sind der wirklichen Uebel nicht genug? Muss es sich auch noch aus sich selbst phantastische schaffen! Doch was klag ich! Die Unruhe und Ungewissheit sind unser Teil und lassen Sie uns die tragen mit Mut, wie ein braver Sohn, der die Schulden seines Vaters uebernommen hat[203]." Am 31. August richtet er an Jacobi die schoenen Worte, wie der Mensch sich nicht schweifenden Geistes an den Schoepfungen anderer genuegen lassen duerfe, sondern selbst fuer seinen Teil thaetig sein muesse "in herzlich wirkender Beschraenkung[204]". Am 15.(?) September klagt er wieder der Freundin: "ich muss die Welt lassen, wie sie ist, und dem heiligen Sebastian gleich, an meinen Baum gebunden, die Pfeile in den Nerven, Gott loben und preisen[205]. Was wird aus mir werden?" ruft er aus[206]. "Ich bin stuermisch, verworren, und hafte doch nur auf wenig Ideen." schreibt er am Anfang des October[207]. Am 10. October ist nach seiner Angabe die schoene Allegorie an Schwager Kronos gedichtet. Die Zeit, die im Prometheus als allmaechtige Gottheit, als Herr der Goetter und Menschen erscheint, wie sie auch Pindar den Herrn aller nennt, die seinem Erdgeist der sausende Webstuhl ist, an dem er das Kleid der Schoepfung wirkt, ist ihm hier Fuehrer des Lebenswagens. Rasch ins Leben hinein! ruft er ihm zu; aber der Gedanke an den Untergang draengt sich ihm auch hier auf. Er fuehlt Mut zum Leben und zum Sterben, wie sein Faust. Am 15. Oktober aber berichtet bereits Boie: "Sein Dr. Faust ist fast fertig und scheint mir das Groesste und Eigentuemlichste von allem." Bald danach haelt er wieder Einkehr in sich, wie spaeter seine Iphigenie in der hoechsten Gefahr[208]: "Ich lag zeither stumm in mich gekehrt und ahndete in meiner Seele auf und nieder, ob eine Kraft in mir laege, all das zu tragen, was das eherne Schicksal kuenftig noch mir und den meinigen zugedacht hat; ob ich einen Fels faende, wohin ich im letzten Notfall mich mit meiner Habe fluechtete[209]." Das Schicksal kam ihm am Ende des Jahres von selbst zu Huelfe. Seit dem 11. Dezember 1774 richtete sich sein Blick mehr und mehr nach Weimar. Sollte es ihm gelingen, aus seiner kleinen Welt hinauszukommen in eine groessere? Ueber die Sprache der ersten Hauptmasse kann hier im einzelnen nicht abgehandelt werden; im allgemeinen ist es, da sie grossenteils ein unmittelbarer lyrischer Erguss gegenwaertiger Gefuehle Fausts ist, auch die Sprache lebendiger Empfindung, wie sie sich besonders in der Frankfurter Zeit unter dem Einfluss von Klopstocks und Herders Empfindungssprache entwickelte und ihren Hoehepunkt in Werthers Leiden erreichte: Sie ist reich an bestimmten Wendungen, Lieblingsausdruecken, Attributen, durch deren Gebrauch sie ihr eigentuemliches, selbst formelhaftes Gepraege erhaelt. Hier sei nur auf einzelne Eigentuemlichkeiten hingewiesen, die grade fuer die Entstehungszeit der ersten Scenen bemerkenswert sind. Es ist dies die Anwendung des Woertchens "all" in unflektierter Form, das grade in Werthers Leiden in ueberreichem Masse angebracht ist. Goethe hat es hier wie dort bei der ersten Herausgabe seiner Werke teils getilgt, teils durch die flektierte Form oder anderswie ersetzt. Sechsmal hat es der Dichter im Anfang des Faust verwertet: V. 17 = 370 "all Freud", spaeter "alle Freud'"--V. 43 = 396 "von all dem Wissensqualm" (von allem).--V. 49 = 402 "von all dem Buecherhauf" (mit [von] diesem Buecherhauf). V. 61 = 414 besonders charakteristisch: "statt all der lebenden Natur" (statt der lebendigen Natur).--V. 82 = 435 "all das innere Toben" (das i. T.)--V. 112 = 462 "All Erden Weh und all ihr Glueck" (der Erde Weh, der Erde Glueck). Erwaehnenswert ist auch das Zeitwort "erwuehlen" in V. 127 = 479. Das zusammengesetzte Wort kommt in uebertragener Bedeutung nur hier beim jungen Goethe vor[210]. Das einfache ist dagegen ein Lieblingswort des Dichters auch noch in spaeterer Zeit; aber vor dem Jahre 1774 laesst es sich bei ihm nicht nachweisen, waehrend das Substantivum Gewuehl sich schon in den Mitschuldigen findet[211]. In den Briefen erscheint es erst seit 1775: Br. 2. N. 286 an Graefin Stolberg vom Januar 1775. S. 230: "wenn das Bild des Unendlichen in uns wuehlt;" und in Nr. 363 vom 26. October an dieselbe das Compositum durchwuehlen; dagegen lesen wir es oefters in den Gedichten von 1774: "hingewuehlt" d.j.G. 3. 161. wuehlen 3. 162. durchwuehlend. 3. 170.--in Erwin (1775) wuehlenden. 3. 512.--ebenda: Wuehlen 3. 521. in Stella (1775) durchwuehlen. 3. 640.--Zu "eratmend" V. 134 = 186 vergl. d.j.G. 3. 159. (3. 180. wohler atmend?)--zur Erklaerung: Br. 2. Nr. 83. S. 8. 20 ff.-- Leben. Der Verfasser dieser Abhandlung, Josef Collin, ist am 2. Februar 1864 zu Mainz geboren; er besuchte in den Jahren 1873-1881 das Gymnasium seiner Vaterstadt und bezog alsdann die Universitaet Giessen, um sich dem Studium der alten Sprachen, des Deutschen und der Geschichte zu widmen. Seine Giessener Studienzeit, die nur durch einen Aufenthalt an der Berliner Hochschule im Sommersemester 1883 unterbrochen wurde, schloss Anfang 1886 mit bestandener Lehramtspruefung ab. Nachdem er hierauf am Gymnasium zu Mainz sein Probejahr beendet und danach seiner militaerischen Dienstpflicht genuegt hatte, fand er an dem Gymnasium zu Darmstadt und spaeter fuer laengere Zeit an dem zu Laubach Verwendung. Herbst 1891 ward ihm auf sein Nachsuchen ein halbjaehriger Urlaub zur Fortsetzung seiner Studien in der deutschen Sprache und Litteraturgeschichte auf der Landesuniversitaet gewaehrt, nach dessen Ablauf er am Realgymnasium zu Giessen verwendet ward. Daselbst ward er Dez. 1892 fest angestellt. Gern benutzt er die Gelegenheit, da er zum ersten Mal mit einer wissenschaftlichen Arbeit vor die Oeffentlichkeit tritt, seiner verehrten Lehrer, der Herren Professoren Bratuscheck, Braune, Clemm, Kirchhoff, Oncken, Paulsen, Philippi, Roediger, Schiller, Schmidt, Siebeck dankbaren Sinns zu gedenken und zuletzt Herrn Prof. Behaghel fuer die ihm waehrend seines Urlaubs erwiesene Teilnahme und Foerderung seinen Dank auszusprechen. Collin. * * * * * FUSSNOTEN: [1] Vergl. Duentzer. Neue Beitraege zur Goetheforschung 1891. S. 153 ff. [2] Werke Bd. 14.--G. F. in urspruenglicher Gestalt nach der Goechhausenschen Abschrift herausgegeben von E. Schmidt. Zweiter Abdruck. Weimar, Boehlau 1888. [3] W. Bd. 14. S. 290 ff. [4] F. ein Fragment von Goethe, herausgegeben von W.L. Holland. Freiburg. 2. Aufl. 1882, und v. B. Seuffert, D. Litteraturdenkmale des 18. u. 19. Jahrh. N. 5.--W. Bd. 14. [5] Das Volksbuch von Dr. Faust (1587). Neudrucke deutscher Litteraturwerke des 16. und 17. Jahrh. N. 7 u. 8.--Das Faustbuch des christl. Meinenden. D. Litteraturdenkmale. N. 39. [6] Herausgeg. von Engel. [7] W. Bd. 11. [8] Br. 2. N. 148. S. 85. [9] D.j.G. 2. S. 28 ff. [10] Vergl. z.B. Sauer in der Einleitung zu "Stuermer und Draenger" (Deutsche Nationallitteratur, herausgegeben von J. Kuerschner, Bd. 79 1. S. 29 f.) [11] D.W. T. 2. B. 10. W. Bd. 27 S. 321. [12] W. Bd. 4 S. 347. [13] Vergl. auch Minor u. Sauer, Studien zur Goethephilologie S. 77. [14] D.W. T. 2. B. 8. W. Bd. 27. S. 203 ff. und Ende des 8. Buches. [15] Noch kraeftiger drueckt sich der gleichzeitige Satyros aus: Kein Mensch ist so weis' und klug als ich. (D.j.G. III. 477.) [16] W. Bd. 2. S. 1. ff. [17] Br. 2. N. 85. an Herder. Ende 1771. (S. 11.) [18] Vorzueglich auf das Motiv der aeusseren Beschraenkung gruendet sich die zur Zeit der dritten Faustbeschaeftigung gedichtete Ballade "Der Schatzgraeber". Es ist ueberhaupt zu beachten, wie sich auch damals die Arbeit am F. in der uebrigen Poesie abspiegelt. [19] D.j.G. 3. S. 242 f. [20] a.a.O. 3. S. 198 ff. [21] Br. 2. X. 208. S. 147 f. [22] Gespr. Bd. 7. S. 10. [23] D.j.G. 3. 690. [24] Vergl. auch Goethe in Lavaters Physiognomik: Und so begierig der Mensch zu sein scheint, die wahre Beschaffenheit eines Dings und die Ursachen seiner Wirkungen zu erkennen, so selten wirds doch bei ihm unueberwindliches Beduerfnis. (V.d.H. S. 40.) [25] D.j.G. 3. 157. In eine Zeichenmappe. An Merck. [26] Dazu das spaetere Epigramm: Problem. W. 2. 272. [27] Aufsaetze ueber Goethe S. 315. G. I. 6. (1885.) [28] Scherer a.a.O. S. 315. [29] D.j.G. 3. 327. [30] Man vergl. Goethe in Lavaters Phys. 1. Zugabe: (v.d.H. S. 83.) Was den Menschen umgibt, wirkt nicht allein auf ihn, er wirkt auch wieder zurueck auf selbiges, und indem er sich modificieren laesst, modificiert er wieder rings um sich her. So lassen Kleider und Hausrat eines Mannes sicher auf dessen Charakter schliessen. Die Natur bildet den Menschen, er bildet sich um, und diese Umbildung ist doch wieder natuerlich; er, der sich in die grosse, weite Welt gesetzt sieht, umzaeunt, ummauert sich eine kleine drein und staffiert sie aus nach seinem Bilde.--(Das ist deine Welt, das heisst eine Welt!)--Herder W. 1. 249. von dem Kritiker: als ein zweiter Pluto bewacht er altes angeerbtes Geraet und ehrwuerdigen Auskehricht der Litteratur: u.s.w.--vergl. auch noch D.j.G. 3. 690.-- [31] Durchaus nicht beachtet hat ihn z.B. Gwinner, Goethes Faustidee u.s.w. Frankfurt a.M. 1892. Er haelt gerade das fuer die Grundidee des Goethischen Faust, was viel eher die des F. der Sage zu nennen waere! [32] Neue Faustkommentare; in d. Aufs. ueber G. S. 278. [33] F. 2. Teil. V. 11404 ff. (Bd. 15. 1. S. 307.) [34] Dies uebersieht z.B. K. Fischer. (Goethes Faust nach seiner Entstehung, Idee und Komposition; 2. Aufl. Stuttg. 1887.) Er laesst die Sage zu wenig zu ihrem Recht kommen und betont allzu stark und zu formelhaft den Grundgedanken dieser doch episodischen zweiten Partie. (S. 430 ff.) Von hier aus allein darf aber Fausts Charakter nicht aufgefasst werden, wenn sie auch zur Charakteristik des Dichters besonders wertvoll ist. [35] Betrachtungen ueber Faust a.a.O. S. 311 ff. [36] A.a.O. S. 323. [37] Die neue Ausgabe des Faust von Calvin Thomas, (Boston, 1892) der sich in seiner Einleitung ebenfalls gegen Scherer wendet, konnte hier noch nicht benutzt werden. (Vergl. Geigers Anzeige in der Beilage zur Allgem. Zeitg. 1892. N. 253.) [38] So fasst es auch z.B. noch Graffunder, Preuss. Jahrb. 68. S. 717. [39] Vergl. Minor u. Sauer, Studien zur Goethephilologie S. 77 ff. [40] D.j.G. 2. 11. [41] a.a.O. 2. 29. [42] F. V. 1141 f. = 3449 f.--S. 82. Z. 55 f.--S. 227. Z. 68. [43] D.j.G. 2. 4. [44] a.a.O. 3. 434. [45] a.a.O. 3. 237. [46] a.a.O. 3. 298. 373. [47] a.a.O. 3. 629. [48] a.a.O. S. 310 f. [49] Wagner. 2. 9. [50] D.j.G. 3. 690., man vergleiche auch die sinnverwandte Stelle in Stella 3. 665.--es ist so licht, so offen um mich her, und ich freue mich des!--Er ist wieder da! Und in einem Wink steht rings um mich die Schoepfung lebevoll und ich bin ganz Leben-- [51] D.j.G. 3. 169.--Br. 2. 266 a vom 4. Dez. 1774.-- [52] D.j.G. 3. 689. [53] W. 6. 193 ff. [54] Br. 2. 231. S. 172 f. vergl. auch 2. 228. S. 169 vom 16. Juni 1774. [55] Aus Goethes Fruehzeit; Q. F. 34. S. 71 ff. [56] W. 6. S. 258. [57] a.a.O. S. 267. [58] a.a.O. S. 269. [59] a.a.O. S. 293. [60] Wagner. 1. S. 10. vom Oktober 1770. [61] W. 6. 298. [62] a.a.O. S. 298. [63] a.a.O. S. 339. [64] a.a.O. S. 340 f. [65] a.a.O. S. 351. [66] a.a.O. S. 471. 484. [67] Man vergl. hierzu aus Kuenstlers Erdewallen die Verse: Aurora, wie neukraeftig liegt die Erd um Dich, Und dieses Herz fuehlt wieder jugendlich, Und mein Auge, wie selig Dir entgegen zu weinen. D.j.G. 3. 198. Jacobi in seinem Allwill macht diese zur Mode gewordene Verehrung der Morgenroete auch mit. Br. vom 8. Maerz; Ausg. v. 1812. Bd. 1. S. 25 f.--Was den Weisen betrifft, so ist natuerlich an keine bestimmte Person zu denken, nicht etwa an Herder, wie Scherer thut. Was bei Goethe der Weise ist, ist bei Herder Gott selbst. Es ist nur eine Wendung, wie sie auch Goethe sonst gebraucht; vergl. d.j.G. 3. 487. Der Weise sagt:--Der Weise war nicht klein--Nichts scheinen, aber alles sein. [68] Vergl. D.u.W. 2. T. B. 8. (Werke 27. 204 f.): Mir wollte besonders die Aurea Catena Homori gefallen, wodurch die Natur, wenn auch vielleicht auf phantastische Weise, in einer schoenen Verknuepfung dargestellt wird;---- [69] W. 6. 380. [70] W. 27. 204. [71] Graffunder: Der Erdgeist und Mephistopheles in Goethes Faust. (Preuss. Jahrb. 68. S. 705.) [72] Mit Unrecht wirft ihm Scherer Mangel an malerischer Anschaulichkeit vor; er hat uebersehen, dass hier nicht, wie in den vorhergehenden Versen, von dem Weltall selbst, sondern nur von einer bildlichen Darstellung seiner Harmonien die Rede ist. (Herder im Faust. Aus G. Fruehzeit S. 74.) [73] a.a.O. S. 73. [74] D.j.G. 3. 483 f. [75] Den Gegensatz, dessen sich Faust hier bewusst wird, bezeichnet der Goethe geistesverwandte Herder so:--aber das ist doch alles nur totes Bild. Witz einer schoenen Vergleichung--wenns Leben, Anschauen, unmittelbares Gefuehl der allwirkenden Gottheit sein konnte. W. 6. S. 221. [76] Das Bild hat also durchaus nichts Widerwaertiges. [77] D.j.G. 3. 168.--Vergl. zu diesen Ausfuehrungen auch Gwinner a.a.O. S. 182 f.-- [78] D.j.G. 3. 173. [79] Br. 2. N. 266. vom 5. Dez. 1774. [80] D.j.G. 3. 291. [81] D.j.G. 3. 181. [82] D.j.G. 3. 331. [83] Br. 2. S. 266. [84] Paralipomena 1 (W. 14. 287.)--Vergl. Harnack, Vj.-schr. f. Littgesch. 4. 169.--Pniower, ebenda 5. 408 ff. [85] Hier ist die Grundlage des M. zu suchen, nicht wie Graffunder meint, in den alchemistischen Werken; (a.a.O. S. 704 f.) ihre Vorstellungen verbinden sich mit denen Goethes dann weiterhin um so besser, da sie ja auch dieselbe Quelle hatten. [86] D.j.G. 3. 695. [87] A.a.O. 3. 290 f. [88] Sehr bezeichnend ist fuer V. 438 die spaetere Einschaltung: rings um mich her, waehrend Faust urspruenglich so wenig wie Werther sich auf die rings umgebende Natur beschraenkte, sondern ihr Blick von da aus weiterschweifte ueber das All der Schoepfung. [89] D.j.G. 3. 291. [90] Von deutscher Baukunst. D.j.G. 2. 209 f. Man vergl. auch in Kuenstlers Erdewallen den Kuenstler vor dem Bild der Venus Urania: Meine Goettin, deiner Gegenwart Blick Ueberdraengt mich wie erstes Jugendglueck, Die ich in Seel und Sinn, himmlische Gestalt, Dich umfasse mit Braeutigams Gewalt. Bewerkenswert ist auch hier eine Stelle aus Jacobis Allwill, (Br. Nr. 16. vom 30. Maerz. S. 147 f.) die offenbar nach Herderisch-Goethischer Vorlage geschaffen ist. Allwill begeistert sich hier am Anblick einer Linde: Erquickendes Gruen, die lieblichste Farbe im schoensten Wechsel, tanzend und spielend mit dem Lichte.--Das ist es--ja das, und weiter nichts, was deinen Blick an diese leise wehende Lindenkrone heftet; was mit sanftem Entzuecken deinen Busen fuellt; in dir alle Regungen der Liebe weckt, und dich begeistert! Das und weiter nichts?... Jener Leben und Liebe erweckende Schein, eine Schrift ohne Sinn und Sprache? Davon klopfte mir so das Herz, draengte mich so mein Geist, heiterte sich mein ganzes Wesen, dass ich leere Zuege ohne Bedeutung anschaute?------du winkest mir aus deiner Herrlichkeit auf jene Blaetter im Erstreben ihres hoechsten Daseins, wie sie laengs den saftvollen Aesten in jugendlicher, kraftvollster Gestalt sich bruesten--du winkest... O, hoeher schlaegt mir das Herz, froehlicher schwingt mein Geist seine Fluegel. Ich sehe!--die ganze Fuelle, die ganze Kraft des Wesens da; das war es, was mich ergriff, mich durchdrang, sich mir darstellte, als ich erkannte und nicht wusste vor Entzuecken! Wohl uns! So bringt die Natur ihren gesamten Inhalt dem Menschen ans Herz und unterrichtet ihn auf die lieblichste Weise unmittelbar u.s.w. [91] Aber nicht: Weg mit dem Buche! wie Kuno Fischer, Goethes Faust u.s.w. S. 427 meint; denn Fausts Unwille gilt nicht ihm, sondern seiner Unfaehigkeit, das Weltall zu umfassen. [92] Diese Beschwoerung uebersieht wieder Fischer a.a.O. S. 427 und 429 voellig und nimmt nur die erstere, die natuerliche Magie des Geistes an. "Die Beschwoerung geschieht nach keiner Vorschrift aus einem Buche der Magie, nach keiner kabbalistischen Formel, sie enthaelt nichts von Zauberkram;" damit ist jedoch die scenarische Zwischenbemerkung nach V. 129 = 481 voellig ausser Acht gelassen. Allzu grossen Wert legt Fischer ferner darauf, dass F. nicht die Hoelle und ihre Geister, sondern die Erde anrufe. Allein damit macht der moderne Dichter nur voruebergehend seiner Empfindungsart ein Zugestaendnis. Schliesslich beschwoert Faust doch den Teufel. Hierin liegt auch der Grund fuer Fischers verkehrte Ansicht. Mephistopheles sei urspruenglich nicht als Teufel gedacht.--Einen aehnlichen Fehler macht auch Gwinner a.a.O. S. 201, wenn er behauptet, F. bringe den E. durch die anhaltend gesteuerte Energie zur Erscheinung. [93] Betrachtungen ueber F. a.a.O. S. 322. [94] V. 136 = 488; 138 = 490. [95] D.j.G. 3. 450. [96] A.a.O. 3. 236. [97] D.W.T. 3. B. 12. W. 28. S. 149. [98] A.a.O. S. 322. [99] Paralip. 1. W. 14. S. 287.--Der Erdgeist wirkt also nicht etwa auf Fausts Wissensdrang ein; sondern ruft in ihm den Lebensdrang hervor. Mit jenes Erscheinen wird grade der Uebergang zum eigentlichen Thema des F. gemacht: durch Lebenskenntnis zur schoepferischen That. Vergl. Vischer, Goethes Faust, Neue Beitraege zur Kritik des Gedichts S. 15. [100] Graffunder a.a.O. S. 706 f. [101] G. I. 7. (1886) S. 242. [102] F.G.A. N. 88. vom 3. Nov. 1772. (S. 582.) [103] Man vergl. Herders Recension ueber Kants Traeume eines Geistersehers. (W. 1. S 125 f.) [104] D.j.G. 2. 10. [105] F.G.A. N. 70 vom 1. Sept. 1772.--S. 463. [106] D.j.G. 2. 7. ff.--vergl. auch W. Tischbeins Idyllen. W. 3. S. 122 N. 1. [107] F.G.A. N. 101. v. 1772. S. 666. [108] D.W. 1. Teil. B. 1. W. 26. S. 43. [109] Loepers Anmerkg. N. 36 zu dieser Stelle; S. 257. [110] D.W. a.a.O. S. 63.--vergl. auch den Schluss des 4. B. S. 255. [111] F.G.A. a.a.O. S. 667. [112] D.j.G. 3. 469 f. [113] D.j.G. 3. 292. [114] W. 26. s. 255. [115] de occulta philosophia, s. Graffunder a.a.O. S. 707. [116] Vergl. auch den Aufsatz "Die Natur" von 1782: Leben ist ihre schoenste Erfindung, und der Tod ist ihr Kunstgriff viel Leben zu haben. (Im Journal von Tiefurt; Schriften der Goethe-Gesellschaft Bd. 7. S. 260.)----Darueber auch Gwinner a.a.O. S. 128. [117] Auch das spaetere Schema (Paralip. 1. W. 14. S. 287.) macht diesen Unterschied zwischen Lebensgenuss und dem Thatengenuss, dem bewussten wie dem unbewussten. Denn das "von aussen gesehen" oder "nach aussen" bezeichnet dort eben den unbewussten G. im Zustand der Dumpfheit, indem der Mensch noch nicht zu klaren Ideen durchgedrungen ist.--Falsch verstanden von Pniower, Vj. f. Littgesch. V. S. 409. [118] W. 27. S. 12. [119] Meine Goettin (W. 2. S. 59 f.). [120] D.W. T. 3. B. 12. W. 28. 108. [121] Br. 2, N. 88, Mitte Juli 1772 an Herder; S. 16. [122] D.j.G. 2. 101. [123] A.a.O. 2. 84. [124] A.a.O. 2. 103. [125] A.a.O. 3. 346. [126] A.a.O. 2. 26. [127] In diesem Sinne erhaelt spaeter der Schatzgraeber die Mahnung: Trinke Mut des reinen Lebens!----Darauf baut sich ein thaetiges und froehliches Leben auf: Tagesarbeit! Abends Gaeste! Saure Wochen! Frohe Feste!--W. 1. 182.--Ein dreifaches Leben nimmt G. auch in den Spruechen an: Das Hoechste, was wir von Gott empfangen haben, ist das Leben, die rotierende Bewegung der Monas um sich selbst, welche weder Rast noch Ruhe kennt; der Trieb, das Leben zu hegen und zu pflegen, ist einem jedem unverwuestlich eingeboren, die Eigentuemlichkeit desselben jedoch bleibt uns und anderen ein Geheimnis. Die zweite Gunst der von oben wirkenden Wesen ist das Erlebte, das Gewahrwerden, das Eingreifen der lebendig bewegten Monas in die Umgebungen der Aussenwelt, wodurch sie sich selbst erst als innerlich Grenzenloses, als aeusserlich Begrenztes gewahr wird... Als drittes entwickelt sich nun dasjenige, was wir als Handlung und That, als Wort und Schrift gegen die Aussenwelt richten. (N. 1028-30.)--Danach waere also der Erdgeist der Geist des Lebens an sich, des bewussten Lebens und des thaetigen Lebens. Zu einseitig fasst ihn darum z.B. F.A. Mayer Ztschr. f. oestr. Gymnas. XL. S. 298, als Geist der That, ebenso H. Schmidt als den der Geschichte (Preuss. Jahrb. 39. S. 375)--voellig verkehrt aber Rieger (G. Faust nach s. religioesen Gehalte), wenn er gar behauptet, er habe keinen Teil, an dem, was wirklich Leben heisst! [128] v. d. Hellen. S. 199 ff. [129] A.a.O. S. 186. [130] A.a.O. S. 201. [131] Br. 2. N. 148 vom 7. Mai 1773. S. 85. [132] Ethik. II. Zusatz zum 13. Lehrsatze. [133] Br. 2. N. 249, vom 15. September 1774. S. 196. [134] Br. 2. N. 88 aus Mitte Juli 1772. S. 16 mit Beziehung auf Herders Worte in seiner Recension ueber Denina vom 7. Juli 1772 in den F.G.A. S. 355. Z. 10. G. hatte also die Rec. schon gelesen, da er den Brief schrieb. Vergl. den Schluss des Briefes. S. 19. Dies hat Steig, Vj.-schr. V. S. 232. uebersehen. [135] Br. 2. N. 88. S. 16. [136] A.a.O. S. 17. [137] Diese Pindarstelle ist aus Teilen zweier Oden zusammengesetzt. Olymp. 2. 94 ff. u. besonders Nem. 3. 41. ff. Vor allem in der letzteren ist das Schweifende in den verschiedensten Wendungen seinen Symptomen entsprechend ausgedrueckt:----[Griechisch: psephennos anaer allot' alla pneon oupot' atreke kateba podi, myrian d'aretan atelei noo geuetai] (ein dunkler Mann, wandelt er dahin dorthin keuchend, unsicheren Schrittes, kostet von tausenderlei Gutem halben Sinnes). [138] Br. 2. N. 231 an Schoenborn vom 8. Juni 1774. S. 174. [139] Br. 2. Nr. 843. v. 3. Aug. 1775 an G. Stolberg. S. 275. [140] D.W. Teil 3. B. 14. W. 28. S. 250. [141] D.j.G. 2. 184. [142] v.d.H. S. 199. [143] Man vergleiche fuer diese Auffassung Goethes spaetere Aeusserung in dem Aufsatze Shakespeare u. kein Ende: Shakespeare gesellt sich zum Weltgeist, er durchdringt die Welt wie jener (H. 28. S. 731). [144] Auch K. Fischer a.a.O. S. 431 hat nicht richtig erkannt, weshalb der Erdgeist Faust verschmaehe, wenn er bemerkt: "Der Erdgeist sieht nur die Ohnmacht des Phantasierausches, der das Leben und dessen Maechte nicht kennt; u.s.w.------" [145] Briefe Goethes an S. v. La Roche u.s.w. herausgegeben von Loeper S. 56 (geschr. am 18. Juli 1774). [146] D.j.G. 3. 501 N. 7; vergl. auch 3. 489: O Freund, der Mensch ist nur ein Thor, Stellt er sich Gott als seinesgleichen vor. [147] Br. 2. Nr. 363 v. 26. Oktober 1775. (S. 303.) [148] Vergl. Gespr. 2. S. 180 mit Riemer am 2. August 1807: "Alle Philosophie ueber die Natur bleibt doch nur Anthropomorphismus, d.h. der Mensch, eins mit sich selbst, teilt allem, was er nicht ist, diese Einheit mit, zieht es in die seinige herein, macht es mit sich selbst eins. Um die Natur zu erkennen, muesste er sie selbst sein. Was er von der Natur ausspricht, das ist etwas, d.h. es ist etwas Reales, es ist ein Wirkliches, naemlich in Bezug auf ihn. Aber was er ausspricht, das ist nicht alles, es ist nicht die ganze Natur, er spricht nicht die Totalitaet derselben aus." So auch Faust nicht die Totalitaet des Erdgeistes. Er ist ihm also nicht wesensgleich, wie z.B. Vischer, Goethes Faust, Neue Beitraege zur Kritik des Gedichts S. 263, glaubt, sondern nur ein Teil von jenes Kraft; er haelt sich auch keineswegs fuer gleich gross, worin Vischer die Ursache seiner Verschmaehung sucht, sondern grade fuer wesensgleich oder doch wesensaehnlich. [149] D.W. T. 2. B. G. W. 27. S. 276. Unsere Wuensche sind Vorgefuehle der Faehigkeiten, die in uns liegen, Vorboten desjenigen, was wir zu leisten imstande sein werden, u.s.w.; vergl. a.a.O. T. 3. B. 11. W. 28. S. 50.-- [150] W. 3. S. 24. [151] D.W. T. 4. Bd. 20. S. 173. [152] D.j.G. 2. 3 ff. [153] Vergl. dazu Elisabets Ansicht ueber das Gebet in dem aeltesten Goetz; (D.j.G. 2. 99.) ueber Goethes Pelagianismus D.W. T. 3. B. 15. W. 28. S. 305. [154] D.j.G. 2. 28. [155] a.a.O. 2. 30. [156] a.a.O. 3. 181.--Auf diese Ode bezieht sich wohl die Stelle in dem Briefe an die Fahlmer vom 9. April 1773. (Br. 2. N. 74.)------konnt ich Ihnen----laenger nicht vorenthalten, warmer Jugend gute Fruehlingsempfindungen, daran Sie sich denn erbauen werden, an dem heiligen Leben mehr als am heiligen Grabe, hoff ich. [157] D.W. T. 1. B. 5. W. 26. S. 320. [158] Ueber Goethe u. Spinoza vergl. z.B. Roessler, die Entstehung des F. Grenzboten. 1883. IV. S. 494. [159] Eins u. Alles. W. 3. 81. Vergl. auch, was er ueber das Gedicht "Weltseele" am 20. Mai 1826 an Zelter schrieb: "Das Gedicht stammt aus der Zeit her, wo ein reicher jugendlicher Mut sich noch mit dem Universum identificierte, es auszufuellen, ja, es in seinen Teilen wieder hervorzubringen glaubte." Es gehoert der Zeit der zweiten Jugend, der dritten Beschaeftigung mit Faust an. [160] Die wahre Bedeutung der Erdgeistscene liegt also darin, dass der im Dunkeln wandelnde F. auf das Leben hingewiesen wird, nicht etwa in dem, worin sie Gwinner sucht S. 215, in der Veranschaulichung der mit der falschen Richtung und mit dem Missbrauche des Erkenntnistriebes verbundenen Hochgefahr!! Die Scene steht also mit der Idee des F. in keiner Incongruenz (S. 214).--Die Mission des Erdgeists ist mit jenem Hinweis erfuellt; daher ist auch nicht mit Fischer S. 431 an eine nochmalige Erscheinung zu denken. Eine absteigende Linie ist es, die vom Makrokosmus zum Erdgeist zum Teufel fuehrt, um aus der Hoelle durch die Welt zum Himmel wieder aufzusteigen. [161] D. j. G. 2. 213 f. [162] A.a.O. 2. 241. [163] A.a.O. 3. 481 f. [164] A.a.O. 3. 159. [165] W. 2. S. 94 ff. (Hempel.) [166] W. 2. 83. [167] W. 2. 81 f. [168] W. 2. 86. [169] W. 14. V. 1660 ff. [170] W. 15. V. 11442 ff. [171] Maskenzug von 1818. Der junge Dichter hat bekanntlich vor dem Teufels-Buendnis Halt gemacht; erst spaeter ist die die angedeutete Verknuepfung gelungen. Die aelteste Dichtung fuehrt uns bezeichnender Weise nur Faust vor und nach dem Bunde vor; und gerade dieser erste Teil, der uns Faust auf einer Hoehe zeigt, die fast der gleichkommt, auf der sein Dichter stand, ist mit besonderer Liebe ausgemalt. Faust und die Natur, der Makrokosmus, der Erdgeist, und endlich auch Faust und Wagner, lauter glaenzende Bilder; aber nun Faust und der Teufel! Dazu konnte sich der junge Goethe noch nicht verstehen, obwohl er ja jene hellen Bilder gemalt hatte, um seinem eigenen Empfinden ein Zugestaendnis zu machen und nicht sofort mit dem Dunkel beginnen zu muessen. [172] W. 15. 2. S. 199. Ankuendigung des Zwischenspiels zu Faust [173] Bemerkenswerth fuer die Entstehung des Faust ist, wie G. sich die des Hamlet dachte: So kam Shakespearen der erste Gedanke zu seinem H., wo sich ihm der Geist des Ganzen als unerwarteter Eindruck vor die Seele stellte, und er die einzelnen Situationen, Charaktere und Ausgang des Ganzen in erhoehter Stimmung uebersah, als ein reines Geschenk von oben, worauf er keinen unmittelbaren Einfluss gehabt hatte, obgleich die Moeglichkeit, ein solches Apercu zu haben, immer einen Geist wie den seinigen voraussetzte u.s.w. Gespr. 6. S. 283. [174] D.W. T. 2. B. 6. W. 27. S. 14. [175] A.a.O. T. 2. B. 9. W. 27. S. 258. [176] D.j.G. 3. 236. [177] Werke, Leipzig bei G. Fleischer 1819. IV. B. Beilage 3. S. 67 ff. [178] Vergl. in der zusammenfassenden und rueckblickenden Stelle der ausgefuellten grossen Luecke V. 612 f. u. 627. [179] Herder W. Bd. 6. S. 353 u. Schillers bekanntes Gedicht: Das verschleierte Bild zu Sais. [180] W. (Hempel) 3. 136.--Interessant zur Vergleichung mit der Erdgeistscene ist eine Stelle aus einem Gedicht Gisekes, das die Spinozistische Gottheit schildert: "Die dem Bernis in seiner einsamen Grotte Schrecklich erschien, als sie schnell ein blasses Feuer erfuellte Und vor seinem bestuerzten Auge die Welt zu vergehen schien. * * * "Gott, Du schenktest ihm Mut, die schreckliche Nacht zu ertragen! Ploetzlich gab ihm den Tag ein Donnerschlag wieder und mit ihm Stieg aus den Truemmern der Erd' ein unermesslicher Riese, Eine Welt an Groesse, hervor; an Gestalt ein Kolossus, Schrecklich dem Aug und doch nach Ebenmassen gebauet. Sein gewaltiges Haupt war ein Gebirge, die Haare Waelder, sein schreckendes Aug' ein entzuendeter Feuerofen Oder ein flammender Abgrund. In einen Koerper verwandelt Stand vor dem Dichter die Welt. In seinen kleinsten Gefaessen Flossen die Baeche gemaechlich, und durch die schwellenden Adern Brauste das Weltmeer dahin. Sein Kleid war der Schleier der Luefte. Also traeumte Spinoza sich Gott." (bei Herder in einer Rec. ueber G.--W. 4. S. 275 f.) [181] D.W. T. 2. B. 9. W. 27. S. 270. [182] Zum Sprachgebrauch von widerlich vergl. Herder erstes kritisches Waeldchen: (W. Bd. 3. S. 181.) "Nun gibts eine andere Widrigkeit, das Gefuehl einer heterogenen Nervenanschauung, durch das zu Heftige, zu Gewaltsame". (Vergl. auch S. 183, wo widrig und widerlich als gleichbedeutend gebraucht werden.) [183] Zu der Wendung: "O Tod" vergl. D.j.G. 1. 185, damit man nicht so toerichte Schluesse daraus ziehe, wie das Marbach in seiner Erklaerung des Faust S. 49 thut. [184] Vergl. auch gegen Scherers Einwand Weltrich im Magazin fuer die Litt. des In- und Auslandes S. 219. [185] Vergl. V. 1577 f. O war ich vor des hohen Geistes Kraft Entzueckt, entseelt dahin gesunken! [186] Zu bemerken ist auch die Aenderung des trockenen Schwaermers in den trockenen Schleicher. (V. 169 = 521.) Der Grund liegt wohl darin, dass das Wort in dem hier gebrauchten Sinne dem Dichter selbst nicht mehr gelaeufig war. Aufschluss gibt Herders im Novemberheft 1776 des Merkur erschienener Aufsatz Philosophei und Schwaermerei. Danach ist der Schwaermer der geistig unselbstaendige Mensch, der sich fuer Dinge und Ideen, die grade Mode sind, in eine Art kalter Begeisterung versetzen laesst. "Ein Mensch, der von gesundem Verstande ohne gesunden Verstand, von richtigen Begriffen ohne richtigen Begriff, von ewiger Toleranz mit moeglichster Intoleranz spricht, welchen gelinderen Namen kann er sich versprechen als--Schwaermer?" (W. Hempel Bd. 17 S. 302.--)----Vor einigen Jahren redete man von Winckelmanns, Hagedorns, Lipperts Ideen, von Sachen, die man nie gesehen, von Abstractionen des Gefuehls, die man nie empfunden;--(S. 103.)--In aehnlicher Weise beginnt nun auch Wagner zu reden.-- [187] Gespr. 2. 71. mit Luden am 19. August 1806.--Vergl. auch E. Schmidt Aufgaben und Wege der Faustphilologie. (Beil. zur allgem. Zeitg. 1891. 119. 2.) [188] Gespr. 7. 218. [189] 2. N. 243. S. 157. [190] Vergl. Roessler, die Entstehung des F. Grenzboten 1883. IV. S. 439. [191] Br. 2. N. 167. vom 15. Sept. 1773.--S. 106.--N. 208 Mitte Febr. 1774.--S. 147. [192] Br. 2. N. 162. vom Juli 1773. S. 97. [193] Schoenborn an Gerstenberg am 12. Oktober 1773 berichtet ueber die Vorlesung der zwei ersten Akte; vergl. G.J. 1, 290 ff. [194] Br. 2. N. 180. Herbst 1773. S. 120. [195] A.a.O. 2. 261. v. 20. Nov. 1774. S. 205. [196] Br. 2. N. 228 u. 231. S. 172 ff.--Wagner 3. S. 110. [197] Aus Goethes Fruehzeit S. 75. [198] Gespraeche 1. N. 15. S. 25 ff; ueber die Satyrosfrage bei anderer Gelegenheit mehr; vergl. Scherer, aus Goethes Fruehzeit S. 43 ff; eine Deutung auf Bahrdt von Spengler in der Zeitschr. f. oestr. Gymnas. XII. S. 393.--Biedermann in seinen Goetheforschungen S. 9 f. 456 N.F. S. 13 ff. [199] D.W. T. 4. B. 18. W. 29. S. 84. [200] W. Bd. 28. S. 370. Taedium vitae. Wertherianism. Duestre Lebenslast. Periodisch wiederkehrend. [201] Br. 2. N. 238. S. 182. [202] Br. 2. N. 243. S. 188. [203] Br. 2. N. 244. S. 189. [204] Br. 2. N. 247. S. 194 [205] N. 250. S. 197. [206] N. 252. S. 198. [207] N. 256. S. 201. [208] Ist keine Kraft in meiner Seele Tiefen? W. 10. V 1885. [209] Br. 2. N. 258 an S. La Roche vom 21. Oktober 1774. S. 212 [210] in eigentlicher: D.j.G. 3. 584. [211] a.a.O. 1. 186.--auch 2. 36.--vergl. W. Bd. 9. S. 482. * * * * * UNTERSUCHUNGEN UEBER GOETHES FAUST IN SEINER AELTESTEN GESTALT. II. DIE SATIRISCHEN SCENEN. 1. DIE WAGNERSCENE. 2. DIE SCHUELERSCENE. 3. DIE SCENE IN AUERBACHS KELLER. HABILITATIONSSCHRIFT DER PHILOSOPHISCHEN FAKULTAET DER GROSSH. LUDEWIGS-UNIVERSITAET GIESSEN ZUR ERLANGUNG DER VENIA LEGENDI VORGELEGT VON Dr. J. COLLIN. GIESSEN, 1893. II. DIE SATIRISCHEN SCENEN.[212] Die akademisch-satirischen Scenen des aeltesten Faust folgen unmittelbar auf einander und bilden, drei an der Zahl, eine deutlich von der ersten wie der dritten unterschiedene Hauptmasse.[213] Sie stehen keineswegs unter sich in unmittelbarem Zusammenhang, aber sie haben gemeinsam, dass sie deutsches Universitaetsleben und -treiben des 18. Jahrhunderts in seinen verschiedenen Beziehungen darstellen. Die beiden ersten von ihnen stehen sich nach Form und Inhalt naeher, die dritte, in ihrem groesseren Teil in Prosa geschrieben, gehoert in einen anderen Zusammenhang; sie ist die erste Station auf Fausts Weltreise. Alle drei aber geben uns ein Bild der Welt, in der sich Faust bis dahin bewegt oder mit der er sich beruehrt hatte. Sie bilden den Hintergrund, von dem sich Faust mit seinem hohen Streben scharf und deutlich abhebt, von dem er sich dann auch mehr und mehr entfernt. Auch in der Sage steht Faust auf diesem Boden; sein hauptsaechlicher Verkehr ist dort mit Studenten. Ganz in dieser studentischen Sphaere hat z.B. der Maler Mueller seinen Faust belassen. 1. Die Wagner-Scene. (V. 169-248 = 522-605 mit Ausschluss der V. 598-601.) Die Wagnerscene ist bereits im aeltesten Faust unmittelbar an die erste Hauptmasse angeschlossen. Der Erdgeist ist verschwunden. Faust will sich seinen Empfindungen ueber die Erscheinung ueberlassen, da wird er durch Wagners Klopfen unterbrochen. Er tritt herein in hoechst burleskem Gegensatz zu der ungeheueren Erscheinung des Erdgeists. Damit ist von vornherein der Ton dieser ganzen zweiten Scenenreihe angegeben; wir befinden uns besonders bei den beiden ersten auf dem Boden der kecken Fastnachtspiele von 1773/74; der Kampf, den der junge Goethe im Jahre 1772 in den Frankfurter Gelehrten Anzeigen begonnen hatte, ward in ihnen weiter fortgesetzt. Hans Sachsischer Rythmus bot sich dafuer willig dar, und es gilt besonders fuer jene beide Faustscenen, was der Dichter spaeter in seiner Lebensgeschichte bemerkt, bedeutende Werke, die eine jahrelange, ja eine lebenslaengliche Aufmerksamkeit und Arbeit erforderten, seien auf so verwegenem Grunde bei leichtsinnigen Anlaessen mehr oder weniger aufgebaut worden[214].--Die Verbindung zwischen der ersten und zweiten Scenenreihe ist nur wenig eng; sie beruht auf dem Motiv der Stoerung. Aus der Fuelle der Empfindungen gerissen und an das Unbedeutende und Kleinliche seiner Umgebung erinnert zu werden, mochte dem jungen Dichter oft genug begegnet sein. So erzaehlt er in Dichtung und Wahrheit[215], wie er in den Tagen, da ihm seine erste Liebe entrissen worden war, in Waeldern sich ergangen und sich in ihm im Wechselgespraech mit der Natur das Gefuehl des Erhabenen erzeugt habe. "Die kurzen Augenblicke solcher Genuesse verkuerzte mir noch mein denkender Freund; aber ganz umsonst versuchte ich, wenn ich heraus an die Welt trat in der lichten und mageren Umgebung ein solches Gefuehl bei mir wieder zu erregen; ja kaum die Erinnerung davon vermochte ich zu erhalten." So unterbricht hier Wagner Faust in dem Wechselgespraech, das er mit dem Erdgeist in seinem Busen begonnen hatte. Dies Motiv findet sich, wie man richtig gesehen hat[216], noch oefter bei dem jungen Goethe; in dem Mahometfragment wird aehnlich Mahomet in seiner Erhebung zum Goettlichen durch seine Pflegemutter gestoert;[217] im Prometheus wird durch Merkur Prometheus aus der Gesellschaft seiner Geschoepfe gerissen[218]; in Werthers Leiden heisst es einmal: "Ein unertraeglicher Mensch hat mich unterbrochen. Meine Thraenen sind getrocknet. Ich bin zerstreut"[219]. Faust wendet sich unwillig ab, als Wagner eintritt; dieser bittet um Verzeihung und erklaert zugleich den Grund seines Kommens. Die Gefuehlsausbrueche seines Herrn hat er fuer Deklamation gehalten![220] Um ja nichts zu versaeumen, wo er etwas bei seinem Professor profitieren koennte, kommt er sogar in tiefer Nacht zu ihm. Handelt es sich doch auch um eine Kunst, die gerade jetzt, wie er behauptet, an der Tagesordnung und darum von besonderer Wirkung sei. Damit ist das Thema des ersten Teils dieser Scene angeschlagen. Es ist der Streit gegen die aeussere Form und zwar insbesondere auf dem Gebiet der Rede. Wie soll man, so fragt sich Wagner, zumal wenn man der Welt fast ganz entfremdet ist, sie zu dem Guten ueberreden? Er glaubt, das durch die aeussere Form des Vortrags erreichen zu koennen. Da bricht denn Faust gewaltig los. Auch die Form muss gefuehlt sein; das Gefuehl des Redners muss ihn mit seinem Zuhoerer verbinden; er muss ein Gefuehl dafuer haben, was er ihm zu sagen hat. "Deswegen gibts doch eine Form", schreibt Goethe im Anhang zu Wagners Mercier[221], "die sich von jener--es war dort die Rede von der aeusseren theatralischen Form--unterscheidet, wie der innere Sinn vom aeussern, die nicht mit Haenden gegriffen, die gefuehlt sein will. Unser Kopf muss uebersehen, was ein anderer Kopf fassen kann, unser Herz muss empfinden, was ein anderes fuellen mag." Innere Form[222] nennt er sie im Gegensatz zu jener aeusserlichen, nach der Wagner verlangt. Nicht nur der Gehalt, auch Form muss aus dem Innern geholt werden; um auf den Menschen zu wirken, muss gerade der Inhalt der Gefuehle schon im Innern so geformt werden, dass er dem Gefuehl derer entspreche, auf die eingewirkt werden soll. "_Gehalt bringt die Form mit_"[223]. Weil aber bereits im Inneren mit den Gefuehlen, um ihnen wirkende Kraft zu verleihen, eine Art kuenstlerischer Umformung vorgehen muss, darum erklaert er a.a.O. S. 687: "Jede Form, auch die gefuehlteste, hat etwas Unwahres, allein sie ist ein fuer allemal das Glas, wodurch wir die heiligen Strahlen der verbreiteten Natur an das Herz des Menschen zum Feuerblick sammeln. Aber das Glas! _Wems nicht gegeben wird, wirds nicht erjagen_, es ist wie der geheimnisvolle Stein der Alchimisten Gefaess und Materie Feuer und Kuehlbad." Aus dem Herzen muss also mit dem Gehalt auch die Form kommen, um die Herzen der Hoerer zu bezwingen. Was kann es dagegen bedeuten, muehsam erst die Teile zu einem Ganzen zusammenzuleimen, aus dem von anderen bereits Geschaffenen einzelnes zusammenzutragen, und es dann mit dem Feuer eines fast erloschenen Herzens kuemmerlich zu beleben? Was kann das anderes eintragen, als Bewunderung von denen, die selbst nur aeusserlich nachzuahmen verstehen und darum auch vom Aeusserlichen noch ergriffen werden? Wagner wagt noch eine Einwendung, mit der er das anfangs Geaeusserte (V. 173 = 525.) in veraenderter Form nochmals vorbringt: "Allein der Vortrag nuetzt dem Redner viel." Abermals erregt er seines Herrn heftigen Unwillen. Nicht nur jede andere Form als die der Inhalt selbst mit aus dem Innern bringt, ist zu verschmaehen, auch jede aeussere Kunst des Vortrags ist abzuweisen. Auch er muss von der im Inneren wohnenden Kraft unmittelbar hervorgebracht werden. Alle Kuenstelei dabei gehoert ins Puppenspiel, auf die Buehne[224]. Was soll es heissen, gleich den Narren mit den Schellen zu laeuten und so die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen[225]? Was brauchts der Kunst, um die Gefuehle der Freundschaft und Liebe auszudruecken? Was ist es noetig auf die Wortjagd zu gehen, wenn man im Ernst etwas sagen will? Alle diese glaenzenden Worte, mit denen jene die Abfaelle des Menschenlebens kuenstlich aufstutzen, was erzeugen sie anders, als leeres Geraeusch so unerquicklich, wie wenn im Herbst der Nebelwind durch die abgestorbenen, duerren Blaetter saeuselt?--Der Dichter bekaempft also in diesem ersten Teile der Scene (V. 169-204 = 522-557) das Aeusserliche der Form und das Kuenstliche des Vortrags[226], mit denen zugleich Kuemmerlichkeit des Inhalts Hand in Hand geht, und verweist dagegen auf das Gefuehl. Das Gefuehl! Unter diesem Zeichen kaempfte die neue Richtung gegen den Rationalismus der Zeit; es war die Quelle, aus der alles geschoepft werden sollte; also auch Inhalt und Form in Kunst und Dichtung, ueberhaupt in allem, was der Mensch hervorbringen wollte[227]. Nur das sollte ausgesprochen, dargestellt, gebildet werden, was im Inneren lebendig empfunden war; der Inhalt, der sich sonst so von selbst verstand, ward die Hauptsache[228]. Dabei durfte er am wenigsten durch die kuenstlichen Schranken einer aeusserlichen Form behindert werden, auf deren Ausbildung die vorhergehende Epoche ausschliesslich Wert gelegt hatte. Die Kerkerwaende der drei Einheiten im Drama wurden gesprengt[229]. "Besser ein verworrenes Stueck machen als ein kaltes[230]." Alle Regeln wurden abgethan, die man mit Muehe aufgestellt hatte, da sie das wahre Gefuehl von Natur und den wahren Ausdruck desselben zerstoerten[231]. Auch der Ausdruck, die Form muss gefuehlt sein. "Die characteristische Kunst", schreibt der junge Goethe[232], "ist nun die einzig wahre. Wenn sie aus inniger, einiger, eigener, selbststaendiger Empfindung um sich wirkt, unbekuemmert, ja unwissend alles Fremden, da mag sie aus rauher Wildheit oder aus gebildeter Empfindsamkeit geboren werden, sie ist ganz und lebendig." Bei solchen Anschauungen galt Unform und Formlosigkeit mehr als Form, wenn nur der Gehalt aus der Tiefe des Busens kam. "Mir ist alles lieb und wert, was treu und stark aus dem Herzen kommt, mags uebrigens aussehen, wie ein Igel oder wie ein Amor," schrieb Goethe am 17. August an die Karschin[233]. "Der Freiheits- und Naturgeist der Zeit," bemerkt er spaeter, "der jedem sehr schmeichlerisch in die Ohren raunte, man habe ohne viele aeussere Hilfsmittel Stoff und Gehalt genug in sich selbst, alles komme nur darauf an, dass man ihn gehoerig entfalte", weht uns aus solchen Anschauungen entgegen. Darum kennzeichnet er in dem spaeteren Schema[234] die Scene folgendermassen: "_Streit zwischen Form und Formlosem. Vorzug dem formlosen Gehalt vor der leeren Form. Gehalt bringt die Form mit. (Die innere Form.) Die Widersprueche, statt sie zu vereinigen, disparater zu machen._"--Mit ihrer Vereinigung begann fuer den Dichter selbst eine neue Epoche; er suchte nun bloss den Gehalt in seinem Busen allein, die Form in seinem Geist.[235] In unserer Fauststelle ist der Kampf gegen leere, aeussere Form besonders auf das Gebiet der Rede hinuebergespielt. Vor allem ist wohl an die Predigt und den akademischen Vortrag gedacht. Deklamation nannte man damals die Kunst des Vortrags und die Kunst schoene Worte zu machen. Seit Sturms Tagen war dieser leere Formalismus, die Kunst, die Rede mit glaenzenden Federn zu schmuecken, herrschend geworden. Der Einfluss franzoesischer Rhetorik verlieh ihr im 18. Jahrhundert einen neuen glaenzenden Anstrich. Dagegen erhob sich denn auch die neue Gefuehlsrichtung, voran ihr Meister, Herder[236]. Die Frankfurter Gelehrten Anzeigen, die voruebergehend 1772 ihr Organ geworden waren, kaempften, wie gegen allen Formalismus und Rationalismus, auch gegen diese Aeusserlichkeit. So schreibt Herder[237] daselbst in seiner Beurteilung von Schloezers Vorstellung seiner Universalhistorie[238]: "Vorstellung, und gewiss viel Theatralisches und Mimisches geht das ganze Buechlein durch. Die ersten Kapitel: 'Begriff der allgemeinen Weltgeschichte! Zusammenhang der Begebenheiten! Synchronistische Anordnung,' und im ganzen Verfolg alle Stellen, die es nur einigermassen werden konnten, sind blosse Deklamation geworden, und in so lautem, gestikulierendem Ton, dass man sich wundern sollte, wie das 'der Grundriss zu einem akademischen Kollegio, und Grundriss zur strengsten Wissenschaft, der Historie' sein solle. "Wir bitten sie, dass sie ihn nirgends zu stark anfassen moegen; er ist ein schoenes Krausgewinde aus so mancherlei neuern Schriften aufgewunden, und daher auch so perlend, aber auch so unsicher und schwach, als dergleichen Aufgewinde aus einer andern fremden Textur, wo es eigentlich seinen Sitz hatte, zu sein pflegt.--Ist die franzoesische Deklamation nach diesem Schnitte eine nuetzliche Neuigkeit? Gewinnen oder verlieren unsere Lehrstuehle, wenn sie statt Vorlesungen, Reden, und statt Lehrbuecher zierliche Feuerwerke von Luftschwaermern bekommen?" u.s.w.[239] Herder scheint zu reden, wenn es S. 343. 19 ff. heisst: "allein, ueberall herrscht nichts als ein schwueler Deklamationshimmel, der das Leere der Thomasischen[240] Schoepfung bedenkt. Statt einzelner psychologischer Schritte, und langsamer Schlaege des psychologischen Ahndungsstabes, das krauseste Labyrinth eines franzoesischen Ballets." Wie der Meister, so auch der Schueler. In der unbezweifelt Goethischen Beurteilung von Sulzers schoenen Kuensten lesen wir: "Wir erstaunen, wie Herr S., wenn er auch nicht drueber nachgedacht haette, in der Ausfuehrung die grosse Unbequemlichkeit nicht fuehlen musste, dass, so lange man in generalioribus sich aufhaelt, man nichts sagt, und hoechstens durch Deklamation den Mangel des Stoffes vor Unerfahrenen verbergen kann"[241]. Vielleicht, spricht auch S. 552 Goethe: "Das ganze Werk schwimmt in Deklamation." Mit deutlicher Beziehung auf die Predigtart erklaert dann wieder Herder in den Provinzialblaettern von 1774: "Akteurs sollen Prediger und koennen _nie_ sein."[242] Herderscher Geist ist es also, der sich hier im Kampf gegen alles leere Wortgepraenge und jede kuenstliche Vortragsweise mit dem gleichgestimmten des jungen Goethe verbindet.[243] Selbst die Bezeichnung der urteillos bewundernden Menge ist in Herders Ton. Kinder und Affen nennt sie Faust, so wie sie im Jahrmarktsfest der Zigeunerhauptmann, unter dessen Maske bekanntlich Herder verborgen ist, Kinder und Fratzen, Affen und Katzen, schilt[244]. In dem zweiten Teile der Scene schlaegt Wagner ein neues Thema an. Auch hier zeigt sich sein Gegensatz zu Faust aufs schaerfste. Er beginnt von seinem Streben zu reden, das aber nur wissenschaftlich ist. Auch er faengt gleich Faust im ersten Monolog mit einem Seufzer an. Hat Faust alle Wissensgebiete durchforscht und ist unbefriedigt, des Lebens ueberdruessig zurueckgekommen, so scheint Wagner das Leben zu kurz im Verhaeltnis zur Wissenschaft. Nach ihren Quellen sehnt er sich, wie Faust nach dem Quell des Lebens; bang fragt sich jener, wie er zu ihnen gelange. Wir sehen also, wie der Dichter die beiden Strebenden scharf und deutlich kontrastiert hat. Gegen solche kuemmerliche Anschauung erhebt sich Faust wieder: das Pergament sollte die heilige Quelle sein, daraus dauernde Befriedigung zu schoepfen waere? Auch Erquickung ist nicht draussen zu suchen, nicht etwa in Buechern zu finden; wiederum verweist er ihn auf sein eigenes Gefuehl; nur aus eigener Seele vermag sie zu quillen. In diesem Sinne schreibt der Dichter an Merck: Nicht in Rom, in Magna Graecia, Dir im Herzen ist die Wonne da![245] Allein Wagner kennt gar nicht diesen Drang nach Befriedigung und Erquickung. Ihm genuegt es schon, worin sich der Duenkel des Gelehrten herrlich offenbart, sich, wie er es stolz nennt und es seit Montesquieu Mode geworden war, in den Geist der Zeiten zu versetzen, das Wissen vergangener Zeiten kennen zu lernen und dann im Hochgefuehle des gewonnenen Fortschritts auf sie von der Hoehe der eigenen erleuchteten Zeit herabzublicken[246]. Beides fordert Fausts Spott heraus. Indem er an seine duenkelhafte Ueberhebung anknuepft, weist er ihn auf das Unzugaengliche seines Strebens hin. Die Zeiten der Vergangenheit sind uns ein verschlossenes Buch. Was da die Forscher den Geist der Zeiten heissen, ist im Grunde nur der Herren eigener Geist; jenachdem er ist, spiegelt sich die Geschichte ab. Was kommt aber dabei zum Vorschein? Man hat nur Sinn fuer den Kehricht und das Geruempel einer Zeit, um darin zu wuehlen und Nachlese zu halten; wenns hoch kommt, ergibt sich die Darstellung eines aeusserlich glaenzenden Ereignisses mit der Zugabe von trefflichen pragmatischen Maximen, wie sie ins Puppenspiel gehoeren. Mit dieser spoettischen Polemik betreten wir wieder den Kampfplatz der neuen Richtung. Hier gilt die Fehde dem unhistorischen Verfahren der Wissenschaften, dem armseligen Kleingeist, der in der Vergangenheit nur einen grossen Truemmerhaufen sieht, in dessen Wust er Scherben und Auskehricht sammelt; sie gilt dem Pragmatismus in der Geschichtschreibung, der Sucht, sofort aus allem allgemeingueltige Maximen, die nun so ohne weiteres fuer uns brauchbar sein sollen, aufzuklauben;--und bei all der Klaeglichkeit noch die laecherliche Ueberhebung des aufgeklaerten Zeitalters! Herder, der Schueler Hamanns, ist auch hier der Fuehrer im Streit. Mit den schaerfsten Waffen hat er vor allem gegen unhistorische Auffassung der Vergangenheit auf allen Gebieten in Wissenschaft und Kunst angekaempft. Er hat das Beispiel gegeben, wie man sich in der That voellig in die Zeiten der Vergangenheit versetzen, den modernen Menschen abstreifen, liebevoll die Schwingungen des menschlichen Geistes auf jedem Boden, im Morgen- und Abendland, in jeder Zeit, im Altertum und Mittelalter, erkennen und sie aus sich begreifen muesse. Damit waren die verschuetteten Quellen der Vergangenheit wieder eroeffnet, neu und lebendig stroemten sie wieder hervor, frische Kraft konnte wieder aus ihnen geschoepft werden, um das ganze geistige Leben zu erneuern. In den Fragmenten ueber die neuere deutsche Litteratur wird dieser Standpunkt zum ersten Mal auf diesem Gebiete in seinem vollen Umfang und seiner maechtigen Bedeutung fuer sie geltend gemacht. In den Frankfurter Gelehrten Anzeigen ist der Kampf mit einzelnen Vertretern der unhistorischen Auffassung auch auf anderen Gebieten im vollen Gange. Gegen das Mosaische Recht von Michaelis, wobei sich uns zugleich ein dem Wagnertypus in manchem aehnliches Gelehrtenbild zeigt, begruendet er z.B. seinen Tadel so: "denn nichts ist eigentlich aus dem orientalischen Geist der Zeit, des Volkes, der Sitte erklaert, sondern nur ueberall Blumen eines halb orientalischen, gut europaeischen common-sense heruebergestreut, der weder den tiefen Forscher noch den wahren Zweifler und den Morgenlaender, der Ader seines Stammes fuehlet, am wenigsten befriedigen werden. Gewisse Dinge von diesen liessen sich auch selbst mit der zuversichtlichen Miene des Herrn M. gewiss nicht ganz geben; wer aber mit der Geschichte nur buhlet, nur die Gabe hat aufzustutzen und einzukleiden, wo man die Wahrheit eben nackt sehen will------Phyllida meam non habeto! Hier ist alles nur immer im Geiste unsres Jahrhunderts behandelt, dem guten Moses politische Maximen geliehen, die selbst bei uns doch nur oft loci communes sind, und jenem Volk, jener Zeit, jenem Gesetzgeber wahrhaftig fremde waren.[247]" Im gleichen Sinne kaempft auch der junge Goethe, schon ganz im Sinne unserer Stelle schreibt er ueber eine Schrift von Sonnenfels: "Von Geheimnissen (denn welche grosse historische Data sind fuer uns nicht Geheimnisse?), an welche nur der tieffuehlendste Geist mit Ahndungen zu reichen vermag, in den Tag hinein zu raisonnieren!------Durchaus werden die Gesetze en gros behandelt; alle Nationen und Zeiten durch einander geworfen; unsrer Zeit solche Gesetze gewuenscht und gehofft, die nur einem erst zusammengetretenen Volk gegeben werden konnten"[248]. Man vergleiche auch vorher die bekannte Aeusserung ueber Roemerpatriotismus![249] Vielleicht redet auch er am Schlusse einer in der Hauptsache Schlosserschen Rezension;[250] er (oder Herder?) in der Beurteilung von Bahrdts Eden, dem vorgeworfen wird, in Moses Bestandteile deutscher Universitaetsbegriffe des 18. Jahrhunderts aufgedeckt zu haben[251]. Diesen Kampf haben beide auch spaeter noch fortgesetzt. Herder hat immer und immer wieder diesen Grundgedanken verfochten, besonders in der Aeltesten Urkunde, in Auch eine Philosophie der Geschichte u.s.w. Der junge Goethe in der Baukunst gegen den Abbe Laugier[252], ebenso in seinen Satiren, die noch von der im Jahre 1772 erweckten Fehdelust eingegeben sind. Wieland wird wegen seiner unhistorischen Auffassung griechischen Heldentums, Bahrdt wegen der der Evangelisten derb verspottet.[253] Mit dieser verfehlten Anschauung verband sich nun meist der kuemmerliche Sinn fuer allen Wust und Kram der Vergangenheit, von dem nicht genug auf einen Haufen zusammengetragen werden konnte. Die Ausdruecke, die Goethe dafuer gebraucht, gehoeren wieder ganz der Coteriesprache der neuen Richtung an; "ein Haufen von Scherbengeraet"--so bezeichnet Herder ein Werk, das statt auf den Boden und in den Geist des Orients zu versetzen, allen moeglichen Kram vom Wege aufliest;[254] von demselben: ein Haufen Totenbeine ohne Geist und Leben![255] Troedelkram nennt Herder alle wissenschaftliche Beschaeftigung seiner Zeit kurzweg in seiner Beurteilung von Deninas Staatsveraenderungen[256]. Archaeologischer Troedelkram! urteilt der junge Goethe in seiner Rezension von Seybolds Schreiben ueber Homer.[257] Nicht minder eifern beide gegen den Pragmatismus und die Lust, sogleich Maximen aufzustellen, die nicht besser sind als die Gemeinplaetze im Puppenspiel.[258] Herder lobt Denina, "da er nicht so sehr malet und raffiniert, und Maximen von Staatsveraenderungen sucht als die Franzosen, die jetzt fast aller Welt den Geschichtton angegeben haben: sondern auch dem Wurf der Begebenheiten, dem Schicksal, was die Welt leitet, viel, und vielleicht nur manchmal zu viel einraeumet[259]."--Weiterhin ruft er aus: Wer da weiss, was es fuer eine Schaumblase sei, was man Maxime nennt? wie schwer und selten ein Mensch ihr immer und deutlich und als Hauptfuehrerin folget; wie unmoeglich, dass ihr Menschen Jahrhunderte folgen?----[260] Von Maximen aber, die in der That fuer den Menschen etwas bedeuten, spricht offenbar der junge Goethe das schoene Wort: "Doch diese Maximen verwebt die Natur selbst in grosse Seelen; bei ihnen hoeren sie auf Maximen zu sein und werden bloss Gefuehl[261]." Bei all dieser Kuemmerlichkeit und Kleinlichkeit auch noch der duenkelhafte Stolz auf das erleuchtete Zeitalter! So nannte es sich selbst, so spottete die gegnerische Richtung; z.B. Herder in der zuletzt angefuehrten Rezension;[262] Goethe ueber einen ungeschickten Angriff auf die erleuchteten Zeiten;[263] "aberweises Jahrhundert von Litteratoren" nennt er es in der Satire auf Wieland[264]. Am schaerfsten ist wieder Herder in den Schriften jener Zeit, so in der Aeltesten Urkunde: Celten und Scythen, Aethiopier und Indier, Araber und Perser, Chaldaeer und Griechen--hier laesst sich ein Berg Pflaumfedergelehrsamkeit zusammenblasen: "wie unwissend alle ueber den philosophischen Ursprung der Dinge! Zerduscht und Hermes, Orpheus und Pythagoras, Plato und summus Aristoteles, Zeno und Thales--wie elend sie erbauet"--aber Wir! Wir![265] Besonders ist es die kleine Schrift: "Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit," die das Thema, wie wirs denn so herrlich weit gebracht, in mannigfachster Weise anschlaegt[266]. Eine Stelle sei hervorgehoben, weil sie auch sonst an Faust anklingt: Warum endlich traegt man den Roman einseitiger Hohnluege denn in alle Jahrhunderte, verspottet und verunziert, damit die Sitten aller Voelker und Zeitlaeufte, dass ein gesunder, bescheidener, uneingenommener Mensch ja fast in allen sogenannt pragmatischen Geschichten aller Welt nichts endlich mehr als den ekelhaften Wust des Preisideals seiner Zeit zu lesen bekommt? Der ganze Erdboden wird Misthaufe, auf dem wir Koerner suchen und kraehen! Philosophie des Jahrhunderts[267]. Goethischer Geist hat sich also in diesem zweiten Teile der Wagnerscene mit dem verwandten Herderischen zu einer scharfen Kritik des kleinlichen, dabei sich ueberhebenden Geistes der Wissenschaft am Ende des 18. Jahrhunderts verbunden. Angeregt in dieser Weise Stellung zu nehmen im Widerspruch mit einer Epoche, in der common-sense und verwaesserte franzoesische Aufklaerung sich ungebuehrlich breit machten, ward der junge Goethe zuerst durch die Bekanntschaft mit Herder in Strassburg, vor allem aber durch seine thaetige Teilnahme an dem frischen, froehlichen Feldzuge der Frankf. Gel. Anzeigen vom Jahre 1772. Auf diesem Boden erwuchsen die satirischen Ausfaelle der Jahre 1773 und 1774, alle, wie er selbst zugesteht, aus der durch Herders scharfen Humor veranlassten Unart entsprungen;[268] in ihre Reihe gehoeren auch die satirischen Scenen im Faust. Wagner versucht nun, wie am Schluss des ersten Teils der Scene, noch einen Einwand zu machen. Wagt er es auch nicht etwas auf Fausts Skepticismus ueber menschliche Erkenntnisfaehigkeit auf dem Gebiet der Geschichte zu erwidern, so lenkt er doch seinen Blick auf ein anderes, auf die Kenntnis der Welt und des inneren Menschen; "Kenntnis des menschlichen Herzens, wie man es damals nannte[269]." Auch danach verlangte ja das Jahrhundert. Statt des Wissens suchte man nach Erfahrung. Aus Dichtung und Wahrheit ist bekannt, wie der junge Goethe ebenfalls danach Verlangen trug und wie er von Behrisch beschieden ward[270]. Das eigentliche Studium des Menschen sei der Mensch selbst, hiess es; Pope schreibt seinen Versuch vom Menschen; andre folgten, wie Hartley, Hemsterhuis. Es schob sich damit ein Keil hinein in die trockene Schulweisheit der Zeit. Der trockene Schwaermer Wagner macht also auch diese Mode mit. Die am Anfang des neunten Buches von Dichtung und Wahrheit angefuehrte Stelle der Allgem. deutschen Bibliothek[271] zeigt uns diese Gegensaetze. "Die Philosophie", fuegt Goethe dort hinzu, "mit ihren abstrusen Forderungen war beseitigt, die alten Sprachen, deren Erlangung mit so viel Muehseligkeit verknuepft ist, sah man in den Hintergrund gerueckt, die Compendien, ueber deren Zulaenglichkeit uns Hamlet schon ein bedenkliches Wort ins Ohr geraunt hatte, wurden immer verdaechtiger, man wies uns auf die Betrachtung eines bewegten Lebens hin, das wir so gerne fuehrten, und auf die Kenntnis der Leidenschaften, die wir in unserem Busen teils empfanden, teils ahneten, und die, wenn man sie sonst gescholten hatte, uns nunmehr als etwas Wichtiges und Wuerdiges vorkommen mussten, weil sie der Hauptgegenstand unserer Studien sein sollten, und die Kenntnis derselben als das vorzueglichste Bildungsmittel unserer Geisteskraefte angeruehmt ward. Ueberdies war eine solche Denkweise meiner eigenen Ueberzeugung, ja meinem poetischen Thun und Treiben ganz angemessen"[272]. So scheint es auch Goethe zu sein, der ein Werk, das sich mit diesen Fragen beschaeftigte, in den Frankf. Gel. Anzeigen beurteilte[273]. Allein Wagner wird auch von der Pforte dieser Erkenntnis zurueckgewiesen; ist sie auch nicht unmoeglich, so ist doch die wahre Erkenntnis auf wenige beschraenkt; fuer sie bringt sie aber nur, falls sie ausgesprochen wird und nicht im Innern bewahrt bleibt, schwere Gefahr. Denn trotz aller geruehmten Toleranz, fuer die der junge Goethe selbst in seinem Schreiben des Pastors eingetreten war, wo er gefordert hatte, sie duerfe nicht aus Gleichgueltigkeit entspringen, sondern muesse auch aus dem Herzen kommen, war es auch im 18. Jahrhundert noch gefaehrlich dem Poebel sein Gefuehl und Schauen zu offenbaren. Der Verfasser der oben erwaehnten Schrift z. B. befuerchtet ueble Folgen fuer sein Buch aus dem Verfolgungsgeist dieser Zeiten. Der Rezensent fuegt hinzu: "Wir koennen ihm dafuer nicht buergen, ob es gleich sehr unrecht waere, eine Untersuchung, die den Menschen nur auf einer Seite betrachtet, zu verdammen, die Betrachtung der anderen Seite kann alles wieder gut machen. Doch wenn man verdammen will, wer denkt daran!"[274] In seinem Traktat ueber die Toleranz aber schreibt der junge Goethe: "Genung, die Wahrheit sei uns lieb, wo wir sie finden.------Und wem darum zu thun ist, die Wahrheit dieses Satzes noch bei seinem Leben zu erfahren, der wage, ein Nachfolger Christi oeffentlich zu sein, der wage sichs merken zu lassen, dass ihm um seine Seligkeit zu thun ist! Er wird einen Unnamen am Halse haben, ehe er sichs versieht, und eine christliche Gemeine macht ein Kreuz vor ihm"[275]. Faust bricht die Unterredung, fuer die Wagner keine bessere Bezeichnung als gelehrt weiss, ab; Wagner entfernt sich. Der Gegensatz ihres Wesens tritt Faust noch einmal lebhaft vor die Seele. Er selbst greift nach dem Hoechsten; da es ihm nicht wird, schwindet ihm alle Hoffnung--und Wagner verliert sie nie, der bei seinem Streben am Kleinlichsten haften bleibt und mit dem Niedrigsten sich begnuegt. Der kranke Adler, dessen Schwingen gelaehmt sind, und die selbstgenuegsame Taube![276] Mit wenigen, aber kraeftigen Strichen hat der Dichter das Bild des kleinen Gelehrten hingeworfen, dem gegenueber das Fausts um so heller strahlt. Er scheint uns der Typus des kleinen Gelehrten ueberhaupt zu sein, obwohl er ganz mit den Farben des 18., keines Falls des 16. Jahrhunderts gemalt ist. Einzelne Zuege boten sich Goethe allenthalben da, selbst bei den Angesehensten der Zeit. Er vereinigte sie zu einem Bilde. So entstand Wagner, der trockene Schwaermer, der sich ohne Begeisterung fuer alles, was in der Wissenschaft Mode geworden ist, begeistert[277], "ein Typus von der Fruchtteuerung und dem Kleingeist des Jahrhunderts[278]", einer von denen, "quibus peiore ex luto finxit praecordia Titan[279]," einer jener unselbstaendigen, dabei eingebildeten Koepfe, die ueberall stoppelnd und Nachlese haltend, ihr Unwesen trieben, vom Schlage jenes Giesser Professors Chr. H. Schmid, den einst Herder in einer Rezension zusammengehauen[280], den Goethe bei seinem Besuche in Giessen so ergoetzlich verspottet[281] und auch im Jahrmarktsfest mitgenommen hatte[282]. Doch fehlen bei Goethe alle individuellen Beziehungen; er hat ein allgemeines Zeitbild geschaffen, waehrend Maler Mueller in dem Zerrbild des Magister Knellius mehr einzelne, allerdings niedrigste und gemeinste Zuege verwendet und vielleicht in der That auch dabei an Schmid gedacht hat[283]. Goethes Freunde aber, die den Faust schon in Frankfurt kennen gelernt hatten, haben wohl, besonders da Goethe ueber die Freuden des jungen Werthers sehr ungehalten war, bei Wagner auch an Nicolai gedacht. Entstehungszeit der Wagnerscene. Die Frage nach der Entstehung dieser Scene ist im allgemeinen schon durch die vorhergegangene Eroerterung beantwortet. Es kann danach kein Zweifel sein, dass die in dem Kampfesjahre von 1772 gewonnene lebendige Erfahrung die Farbe zu dem Bilde geliefert hat, was der Dichter, auch hier noch streitend, von der Gelehrsamkeit der Zeit entworfen hat[284]. Damit ist diese Scene in eine Reihe gestellt mit den ausgefuehrten Satiren, die meist in der Nachwirkung des Kampfes von 1772 noch aus jener Streitlaune heraus und unter dem Einfluss Herderischen Humors entstanden sind. Wir sind demnach von selbst auf die Jahre 1773 und 1774 hingewiesen. Es fragt sich also, ob in der Scene bestimmte Beziehungen enthalten seien, die den Ausschlag fuer das eine oder das andere Jahr geben koennten. Im grossen und ganzen konnte der Ideenkreis, in dem die Scene sich bewegt, als schon in den Rezensionen der Frankf. Gel. Anzeigen vorhanden nachgewiesen werden. Im ersten Teile der Scene ergaben sich Beziehungen und Anklaenge zu dem 1775 entstandenen Anhang zu Mercier[285]. Allein was Goethe damals niederschrieb, konnte er sich recht wohl schon viel frueher in seinem Geiste als bestimmte Ansicht gebildet haben, um so mehr als offenbar Herders persoenliche Anregung beim Strassburger Aufenthalte dazu bei mitgewirkt hatte. Im uebrigen fanden sich Beziehungen mit Schriften Herders, die erst im Jahre 1774 erschienen, so den Provinzialblaettern und Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit; aber bei diesen Parallelen ist von vorn herein Vorsicht geboten[286]. Es ist ja derselbe Geist, der hier kaempft, in Herder wie in dem jungen Goethe. Dieser Geist aeussert sich leicht in gleichen Wendungen und Bildern. Dazu kommt noch, dass sich die neue Richtung auch ihre Sprache geschaffen hatte; es hatte sich mit der Zeit ein fester Bestand von Worten und Wendungen gebildet, die sich mit geringen Veraenderungen immer wieder benutzen liessen. So entstand leicht eine gewisse Gleichmaessigkeit im Ausdruck und im Gebrauch von Lieblingsworten und Bildern, die dazu nicht bloss von schriftlicher, sondern auch muendlicher Ueberlieferung herruehren konnten. Suphan[287] hatte auf die Aehnlichkeit des merkwuerdigen Ausdrucks: Schnitzel kraeuseln in V. 202 = 555 mit dem von Herder in den Provinzialblaettern[288] gebrauchten: gekraeuseltem Schnitzwerke hingewiesen. Ein aehnliches Bild findet sich jedoch schon frueher bei Herder; es ist bereits auf die Stelle hingewiesen worden, wo er Schloezers Leitfaden ein schoenes Krausgewinde aus mancherlei neuen Schriften aufgewunden nennt. Hier sind es also Faeden, die aus einem andren Gewebe aufgezogen und gekraeuselt sind; auch jenes Bild vom krausen Labyrinth ist aus aehnlicher Vorstellung hervorgegangen. Ferner meint auch Herder mit seinem Schnitzwerk wohl etwas anderes als Goethe mit seinen Schnitzeln. Schnitzwerk ist Schnitzerei; gekraeuseltes Schnitzwerk also eine krause Schnitzerei, die dem kuenstlerischen Geschmack als unnatuerlich, kuenstlich, ueberladen, verworren und verwirrend erscheint. Herder denkt an die geschnitzte Handhabe eines Gefaesses, die beim Gebrauch zerbricht, wie der Bogen in Lessings Fabel[289]. Ueber sie uebersieht der des Einfachen und Natuerlichen entwoehnte Blick die andere Handhabe, die "einfaeltig, stark, unzerbrechlich, wahre Handhabe" ist. Schnitzel dagegen sind Abfaelle, das, was beim Schneiden oder Schnitzeln als unbrauchbar weggeworfen wird; sie sind wertlos wie die duerren Blaetter des Baumes, unlebendig[290]. Solche Abfaelle werden aber gerade von jenen Nachlesern zusammengesucht. Es ist dasselbe kuemmerliche Interesse, wie es nachher am Historiker verspottet wird, ueberall den Schutt und das Geruempel zu sammeln. Das Zeitwort schnitzeln gebraucht Herder sonst fuer eine kleinliche, geistlose und kuenstliche Beschaeftigung. So schreibt er in den Fragmenten: Die lateinische Litteratur erstickte den Geist und schnitzelte den Geschmack an Spekulationen und Unsinn--[291]. Am Spane schnitzeln gebraucht er in der Bedeutung von kleinlichen Herumtadeln und -bessern in Zusammenhang mit am Farbenkluempchen klauben[292]. Das Substantivum Schnitzel gebraucht dagegen Goethe sonst oft; ebenso Merck. An ihn schreibt er ueber Lenz: "Er hat Sublimiora gefertigt; kleine Schnitzel, die Du auch haben sollst"[293]. (Man beachte den Gegensatz zwischen Sublimiora und Schnitzel!); ein andermal: "so schnitzelweis geniesst kein Mensch was"[294]. Wieland an Merck am Allerheiligentag 1779:[295] Rezensionsschnitzel; dafuer auch Schnitzen; einmal: Die neuerlich uebersandten Schnitzen, wie du es nennst[296], (also als ein Merckischer Ausdruck!) Der Ausdruck "Kraeuseln" findet sich beim jungen Goethe oefters, in gebundener Rede immer im Reim auf "saeuseln"; so schon in der Laune des Verliebten: "indem er sich mit dir im Reihen kraeuselt,"[297] also hier gleich sich kunstvoll drehen. Dann im Faust ausser an unserer Stelle noch V. 558 = 2706. Den Sand--kraeuseln = im Sand kuenstliche Figuren hervorbringen; am 26. Dezember 1774 schreibt er an Schlosser: "Denn der Wirbel kraeuselt mir schon bei fruehem Morgen das Koepfchen;"[298] in Caesars Charakteristik bei Lavater spricht er von dessen gekraeuselter, unbestimmter und fatal zurueckgehender Stirne[299]. Bekannt ist endlich die Stelle in Claudine von Villa Bella: "Das ist doch einmal ein gescheuter Einfall von ihnen; etwas unglaubliches, dass sie wieder zur Natur kehren; denn sonst pflegen sie immer das Gekaemmte zu frisieren; das Frisierte zu kraeuseln; und das Gekraeuselte am Ende zu verwirren, und bilden sich Wunderstreiche darauf ein"[300]. Also auch hier: im Gegensatz zur Natur etwas Kuenstliches noch mehr verkuensteln. Das Eigenschaftswort kraus gebraucht der junge Goethe ebenfalls haeufiger; so in seiner Rezension ueber Sandrart, wo er vom ueppigen Auswuchs krauser Diction spricht;[301] im Faust V. 329 (in der alten Fassung der Schuelerscene): Aber sieht drin so bunt und kraus------das Compositum krausborstig in der Baukunst: und so graute mirs--vom Anblick eines missgeformten kr. Ungeheuers;[302] vorher ist die Rede von dem gedrechselten Puppen- und Bilderwerk, von abenteuerlichen Schnoerkeln und erdrueckenden Zierart, was er dann alles in jenen Worten zusammenfasst. Kraeuseln bedeutet also etwas schnoerkelhaft, kuenstlich aufputzen und verzieren; es ist dem Klaren, Einfachen entgegengesetzt, wie etwa die Kunst der Gothik oder des Rokkoko der stillen Einfalt des Altertums. "Und es ist doch nichts wahr als was einfaeltig ist;" schreibt Goethe schon am 13. Februar 1769 an Fr. Oeser[303]. Bei der Wendung Schnitzel kraeuseln haben wir also die Vorstellung, die den ganzen ersten Teil der Scene durchzieht, dass etwas Inhaltleeres aeusserlich kuenstlich aufgeputzt werde, um damit die Augen der Menschen zu bestechen[304]. Das Goethische Bild ist also denn doch von dem Herders verschieden; die Aehnlichkeit kommt nur daher, dass es aus dem gleichen Gedankenkreise hervorgegangen ist, der sich bei seinem geistigen Zusammengehoeren auch aehnlicher Wendungen und Bilder bediente. So findet sich z.B. in dem Entwurfe zu den Provinzialblaettern, den Goethe gewiss nicht gelesen hat, eine Stelle, die an V. 175 ff. = 528 ff. deutlich anklingt: "Akteurs sollen Prediger und koennen nie sein; oder sie sind das schlechteste, laecherlichste Ding unter der Sonne, und unter keiner Sonne, wenn in die Kirche und auf das Theater keine Sonne scheint. Theaterillusion ist so etwas ganz anderes--doch was gehoert das hierher, fuer den der die Sache etwas naeher erwogen?"[305] Solche grundsaetzliche Anschauungen hatte aber Goethe von Herder oft genug ausgesprochen und auch durch die That bestaetigt gehoert[306]. Auch Beziehungen zu der kleinen, mit den Provinzialblaettern gleichzeitig erschienenen, Schrift: Auch eine Philosophie u.s.w. sind nicht so ueberzeugend, dass sie viel beweisen koennten. Der Geist, der in ihr weht, ist auch schon in frueheren Schriften Herders zu erkennen und war auch wohl im muendlichen Austausch der Gedanken zum Ausdruck gekommen. Suphan[307] hat aus der erwaehnten Schrift zu V. 222 f. = 575 f. die Stelle angezogen: "Philosoph, wilt Du den Stand deines Jahrhunderts ehren und nuetzen: das Buch der Vorgeschichte liegt vor Dir! Mit sieben Siegeln verschlossen, ein Buch voll Weissagung". Aber aehnliches hatte Goethe selbst schon von der Geschichte der Vergangenheit gesagt;[308] und vor beiden ihr gemeinsamer Prophet Hamann in den Sokratischen Denkwuerdigkeiten: "Doch vielleicht ist die ganze Historie mehr Mythologie als es dieser Philosoph meint, und gleich der Natur ein versiegelt Buch, ein verdecktes Zeugnis. ein Raetsel, das sich nicht aufloesen laesst, ohne mit einem anderem Kalbe als unserer Vernunft zu pfluegen[309]." Aus allen spricht der gleiche Geist der neuen Gefuehlsrichtung, der sich gegen die herrschende rationalistische erhebt. Ebenso wenig darf auch aus der von uns angezogenen Stelle[310] ein Schluss auf die Abfassungszeit der Scene gezogen werden. Es sind Aeusserungen gleichgestimmter Geister, die gegen dieselben Verkehrtheiten der Zeit ankaempfen[311]. Ein sicherer Anhalt zur genaueren Zeitbestimmung laesst sich also aus derlei Anklaengen nicht gewinnen. Die Frage steht demnach noch offen, ob die Scene 1773 oder 1774 gedichtet sei. Sie erscheint nun in einem gewissen Zusammenhange mit der ersten Hauptmasse; sie ist mit ihr durch ein Uebergangsmotiv verbunden, das der junge Goethe auch sonst benutzt hat. Darf man also vielleicht daraus schliessen, dass sie nach und im Zusammenhang mit der ersten Hauptmasse entstanden sei? Ist dies nicht das Natuerlichste? Noetig ist jedoch diese Annahme von vornherein nicht. Denn da der Stoff der Dichtung seit Jahren in dem Dichter schon lebendig war und sich mehr und mehr ausbildete, konnte ja nach einem aeusserm Anstoss und je nach der Stimmung des Dichters sich bald diese, bald jene Scene aus dem in seinem Geiste bestehenden Zusammenhange losloesen und ausgestalten; ja es konnte sich sogar, wie es bei Werthers Leiden eintrat, ein besonderes kleines Werk abzweigen, an das er zunaechst noch gar nicht gedacht hatte, worauf er mit um so groesserer Klarheit und Bestimmtheit zu seinem Hauptwerk zurueckkehrte. Wie er es spaeter that, konnte er auch damals die Absicht sachte neben sich hergehen lassen und die gerade interessantesten Stellen ausarbeiten[312]. Daher kommt auch, wie bei dem Volksliede das Sprunghafte in der Komposition. Dem Dichter war sein Stoff so lebendig, dass er manche Mittelglieder in der Ausfuehrung von selbst ueberging. Deshalb konnte er recht wohl auch die Wagnerscene ausfuehren, von Anfang an in der Absicht, die erste Hauptmasse damit abzubrechen und sie unmittelbar daran anzuschliessen. So hat er ja auch die Schuelerscene ausser allem Zusammenhang gedichtet. Der erste Monolog und die Erdgeistscene schwebten ihm dann dabei bereits im allgemeinen vor der Seele. In der unbezweifelt Goethischen Beurteilung von Lavaters Aussichten in die Ewigkeit finden wir schon eine Stelle, die sich in manchem mit dem Grundgedanken des ersten Monologs vergleichen laesst: "Wie deutlich sieht man nicht------eine Seele, die von Spekulation ueber Keim und Organisation ermuedet, sich mit der Hoffnung letzt, die Abgruende des Keims dereinst zu durchschauen, die Geheimnisse der Organisation zu erkennen, und vielleicht einmal da als Meister, Hand mit anzulegen, wovon ihr jetzt die ersten Erkenntnislinien nur schwebend vordaemmern; eine Seele, die in dem grossen Traum von Weltall, Sonnendonnern und Planetenrollen, sich ueber das Irdische hinauf entzueckt, Erden mit dem Fuss auf die Seite stoesst, tausend Welten mit einem Finger leitet und dann wieder in den Leib versetzt, fuer die mikromegischen Gesichte, Analogie in unseren Kraeften, Beweisstellen in der Bibel aufklaubt"[313]. Man sieht, wie das in dem Dichter bereits vorhandene Bild von Faust zur Charakteristik Lavaters mit beigetragen hat. Kann er nicht also von Anfang an beabsichtigt haben, mit der Wagnerscene ein Gegenstueck zu der Erdgeistscene zu schaffen, um den niedergedrueckten Faust vor unseren Augen wieder zu erheben? Kann er nicht etwa dann sie schon in jener satirisch gestimmten Zeit des Jahres 1773 nicht lange nach den kecken Vorstoessen der Fr. Gel. Anzeigen, mit denen sie in so engem Zusammenhang steht, ausgefuehrt haben? Man sieht also aus diesen Erwaegungen, dass eine ganz bestimmte Entstehungszeit, wie es bei der ersten Hauptmasse moeglich war,[314] aus der Scene selbst nicht zu ermitteln ist. Sie kann vor wie nach jener gedichtet sein; sie kann eben so wohl im Jahre 1773 wie 1774 gedichtet sein. Auch die Sprache bietet nicht viel Besonderes: V. 201 = 554. "Und all die Reden," wofuer die spaeteren Fassungen: "Ja, eure Reden" bieten. Zu der wenig gluecklichen Ausdrucksweise und Versform in V. 179. 180 = 532. 533 vergleiche man aus der ersten Hauptmasse V. 144 = 496. 2. Die Schuelerscene. (V. 249-444 = 1868-2050.) Die Schuelerscene ist zunaechst darum von Bedeutung, weil hier Mephistopheles zum ersten Mal auftritt. Mit der Wagnerscene, die ihr im aeltesten Faust unmittelbar vorhergeht, steht sie in keiner Verbindung; sie ist vielmehr der beste Beweis, wie der Dichter auch ausserhalb des Zusammenhangs das ausfuehrte, wozu ihm das Leben den noetigen Stoff und die Anregung gegeben hatte. Die grosse Luecke zwischen den beiden Scenen blieb lange unausgefuellt. Das Fragment von 1790 gab nur das Endstueck der Vertragsscene und den sich anschliessenden kurzen Monolog des Teufels zu[315]. Die wesentliche Arbeit bei der Vollendung des ersten Teils bestand eben in der Ausfuellung der Luecke, vor der einst der junge Goethe Halt gemacht hatte, weil es ihm damals wie auch noch spaeter an erlebtem Stoffe und der Stimmung mangelte. Dass jedoch trotzdem zwischen der Wagner- und der Schuelerscene ein innerer Zusammenhang besteht, der es begreiflich macht, weshalb der Dichter gerade diese Scene ausgefuehrt hat, ist bereits angedeutet worden und wird aus dem folgendem noch klarer werden. Mephistopheles erscheint hier in der Maske des Professors; er ist im Schlafrock und hat eine grosse Perruecke auf. Der Dichter denkt also dabei wieder an den Professor des 18., nicht des 16. Jahrhunderts. Ein Student tritt auf, nicht ein Schueler; diese mehr dem Mittelalter angemessene Bezeichnung weist erst das Fragment auf, wie es auch die Maske des Teufels jener Zeit entsprechend geaendert hat. Ueberhaupt hat von allen Scenen diese die durchgreifendsten Aenderungen erfahren und ist darum im aeltesten Faust die am meisten von der spaeteren Fassung verschiedene Scene. Sie besteht hier aus zwei deutlich geschiedenen Teilen; zuerst werden nach der Einleitung, die auch spaeter nur unwesentlich abgeaendert worden ist, aeusserliche studentische Angelegenheiten, wie Wohnung und Tisch, verhandelt, dann erst geht Mephistopheles auf das Studium selbst ein. Die Ueberschau ueber die vier Fakultaeten fehlt; denn der Student hat sich von vornherein fuer die Medizin entschieden. Mephistopheles weist ihn aber ebenfalls auf Logik und Metaphysik hin und aeussert sich danach, den Professorton aufgebend, in der bekannten Weise ueber die Medizin. Den ersten dieser beiden Teile hat Goethe begreiflicher Weise spaeter gestrichen, dagegen den zweiten mit der angegebenen Erweiterung verwertet. Die Einleitung[316] ist, wie gesagt, im grossen Ganzen unveraendert geblieben. Der Student tritt auf, um den beruehmten Professor kennen zu lernen und seinen Rat zu erbitten. Es gefaellt dem Neuangekommenen gar nicht und er moechte schon wieder fort. Sein Grund dafuer ist,--dies ist die erste Abweichung von der spaeteren Fassung--dass es ihm in der heisshungrigen Luft des Ortes nicht behagt, der den Studenten als seine Beute betrachtet. Damit ist der Uebergang zu dem der aeltesten Fassung eigentuemlichen ersten Teile gegeben. Der Professor aber, dem des Studenten Bedenklichkeit wenig gefallen will, entschuldigt in laessiger Weise das, woran jener Anstoss genommen, und dann beginnt er, nicht etwa vom Gang und von der Einrichtung des Studiums, sondern--vom Logis als einer Hauptsache zu sprechen. Allein dem Studenten liegen ganz andre Dinge am Herzen: er moechte gern alles Gute zusammen haben, das Boese sich vom Leibe halten, Freiheit und auch Zeitvertreib und endlich auch dabei studieren. Mit beweglichen Worten bittet er ihn schliesslich, ihm bei der Sorge um das Heil seiner Seele zu helfen. Das ist nun nichts fuer den Teufel. In komischer Verlegenheit kratzt er sich und bringt ohne weiteres das Gespraech wieder auf das Logis. Er verweist ihm das Wirtshausleben, gibt ihm einige Winke fuer sein Verhalten gegen die Professoren und schliesst mit der Empfehlung einer Wohnung. Dem Studenten ists bei dem Gerede immer unbehaglicher geworden; als nun der Professor aber auch von dem studentischen Tisch beginnen will, unterbricht er ihn und deutet auf das hin, was ihm die Hauptsache ist, des "Geists Erweiterung!" Mephistopheles weist ihn spottend ab; der Student kennt noch nicht den Geist der Akademien, wenn er erwartet, er koenne auf ihnen seinen Geist erweitern. Ohne Umstaende springt darum der Professor zu dem neu angeschlagenen wichtigen Thema ueber und laesst sich nun nicht mehr in der Schilderung des studentischen Tisches stoeren, wobei denn auch sonst noch mancher gute Rat abfaellt. Danach kommt erst wieder der andre mit dem, was ihn bewegt, zum Wort. Es erfolgt statt einer Antwort die Frage nach der Fakultaet. Von hier an geht endlich Mephistopheles auf das Studium selbst ein. (Zweiter Teil der Scene.) Was will nun der Dichter mit der niedrig derben Komik des ersten Teils? Klar ist es, dass der Teufel in der Maske des Professors den Professor verspotten will; es ist auch verstaendlich, dass er aus diesem Grunde mehr sagen muss als der Professor selbst gesagt haette. Seine Denkart sollte vollstaendig dargestellt werden und dazu haette das nicht genuegt, was er sich sonst selbst auszusprechen erlaubte. Daraus erklaeren sich die anscheinenden Uebertreibungen in den Versen 285 ff. und 324; ebenso wenig darf es befremden, dass Mephistopheles manchmal aus seiner Rolle faellt, so z.B. wenn er V. 309. 310 allzu offenherzig ueber den Geist der Akademien spricht. Nach alledem ist offenbar schon in dem ersten Teil der Scene eine Satire auf das Professorentum beabsichtigt. Auch hier spricht Mephistopheles im Professorton[317]. Wir muessen daraus unbedingt den Schluss ziehen, dass es in der That Professoren gegeben habe, die in solch gemein-frivoler Weise zu ihren Studenten sprachen und Logis und Mittagstisch fuer wichtiger hielten als das Studium. Dass eine Satire in diesem Sinne beabsichtigt ist, zeigt uns deutlich des Studenten Benehmen. Er will etwas ganz anderes hoeren als Belehrungen ueber jene Dinge, auf die der Professor ein solches Gewicht legt. So geht er V. 268 ueberhaupt nicht auf die Frage nach dem Logis ein, sondern bringt vor, was ihm am Herzen liegt, seine sittliche und geistige Ausbildung. Allein mit Gewalt kommt der Professor, ohne auch nur im geringsten jenes bewegliche Bitten zu beachten, auf sein Thema zurueck. Der Student unterdrueckt auch sein Unbehagen ueber das, was er wider Willen anhoeren muss, nicht (vergl. V. 291 u. 303 f.). Als nun aber der Professor zu einem aehnlichen Thema, zur Bestellung des Mittagtisches uebergehen will, wird er abermals von ihm an das Wichtigere, des Geists Erweiterung, gemahnt. Allein er laesst sich nicht beirren und fuehrt auch dieses Hauptstueck in derselben Weise zu Ende. Jedoch ist es hier _Mephistopheles_, der mit feinerem, ueberlegenem Spotte den immer dringender werdenden Neuling abwehrt. Zum dritten Male endlich erinnert ihn der Schueler darauf an das, was ihm Herzensbeduerfnis ist, eine Anleitung zu erhalten auf den verworrenen Pfaden der Wissenschaft. Jetzt erst stellt der Professor, indem er sich bezeichnender Weise das Ansehen gibt als habe er sich ueber das Wesentliche nun ausgesprochen und halte die Unterhaltung fuer beendet[318], die Frage nach der Fakultaet. Eine satirische Absicht ist also jedenfalls vorhanden. Der Dichter traegt nicht etwa aus jugendlich naiver Freude an solchen Scherzen diese Derbheiten vor, sondern verbindet damit einen bestimmten Zweck. E. Schmidt nimmt daher einen verkehrten Standpunkt ein, wenn er sich abfaellig ueber diesen Teil aeussert, von unreifem Geplauder spricht und anzudeuten scheint, dass es fuer die Leipziger Zeit des Dichters gerade gut genug sei[319]. Allein wie er sich selbst dazu verhaelt, hat der junge Goethe im Bilde des Studenten, der, wie wir sehen werden, keineswegs der Leipziger Fuchs[320] ist, klar genug angedeutet. Des Dichters Spott muss sich gegen damals im Professorentum vorhandene Auswuechse richten, die ihm bekannt waren, und er wurde auch jedenfalls sofort von dem kleinen Kreise, fuer den seine Satiren vor allem gedichtet waren, verstanden und auf bestimmte Verhaeltnisse und Personen bezogen. Wir koennen heute nur noch vermuten, wen er etwa gemeint habe. Denn dass er hier eine Satire ohne bestimmte Spitze geschrieben habe, ist bei einem Dichter, der stets aus dem vollen Leben geschoepft und fuer das Leben gedichtet hat, nicht anzunehmen. Wenn auch die persoenlichen Beziehungen in den satirischen Dichtungen des jungen Goethe noch so versteckt oder ins allgemeine gezogen sind, vorhanden sind sie. Es muss daher unsere Aufgabe sein, Umschau zu halten im akademischen Leben des 18. Jahrhunderts und zu pruefen, ob sich damals im Professorentum wirklich Auswuechse der Art bemerkbar machten, wie sie hier der Witz des Dichters vorauszusetzen scheint. Gab es in der That Professoren, die sich nicht scheuten, im Verkehr mit ihren Schuelern den rohesten und seicht-frivolsten Studententon anzuschlagen, die es nicht verschmaehten, sich mit den ungebildetesten unter ihnen auf eine gleichniedrige Stufe zu stellen und ihren kuemmerlichsten Interessen durch die platteste Unterhaltung entgegenzukommen? Nun wissen wir allerdings, dass etwa seit der zweiten Haelfte des vorigen Jahrhunderts auch im akademischen Leben die alle freien Regungen hemmende Strenge und Pedanterie eine Gegenbewegung hervorrief, die zum Teil um so zuegelloser auftrat, je enger grade hier die Schranken gezogen waren. Also auch hier Sturm und Drang; auch hier und fast ausschliesslich die Erscheinung, dass sich innerlich haltlose, aeusserlich gewandte, mit einer gewissen Leichtigkeit der Auffassung und Darstellung begabte Menschen den neuen Bestrebungen zuwandten, die jedoch, nachdem sie kurze Zeit geglaenzt hatten, im Dunkel verschwanden, oft mit Schmach und Schande von ihrer Hoehe gestuerzt wurden und fruehe ein verfehltes Leben beschlossen. Gerade das Gelehrtentum trug am meisten dazu bei, dem Namen des Genies einen schlimmen Klang zu verleihen. Denn es trug, wie Kawerau treffend bemerkt, das Fratzenhafte des Genietums an sich, aber ohne die idealen Zuege jener bewegten Strebezeit[321]. Einer der Fuehrer dieser Bewegung, der zugleich Schule zu machen verstand, war Klotz, jener Hallische Professor, dessen Namen durch Lessings und Herders Gegnerschaft bekannt geblieben ist. Mit einer gewissen formalen Gewandtheit ausgeruestet, hatte er zugleich eine gute Witterung fuer das Neue, das er sofort mitzumachen begann. Er verspottet nicht nur die herrschende Pedanterie in Wissenschaft und Leben, sondern redet auch zu einer Zeit, wo abermals das klassische Altertum eine Auferstehung feierte, ihm das Wort und vertritt dabei eine aesthetisierende Auffassung, die jedoch nie in die Tiefe zu dringen vermag. Er schreibt dazu--denn Satire ist diesen Neuerern allen mehr oder weniger eigen--eine Reihe akademischer Satiren, wie Mores Eruditorum, Genius Saeculi (1760), die im Tone der Dunkelmaennerbriefe gehalten sind, einer Form, die sich von selbst darbot, da wieder um aehnliches gestritten ward wie zur Zeit des Humanismus. In den Ridicula litteraria (1762) verspottet er unter anderem ganz im Geschmack der neuen Richtung die Metaphysik[322]. Klotz haengt also mit ihr zusammen, weshalb es auch nicht wunderbar ist, dass Lessing und Herder zunaechst mit Anerkennung von ihm sprachen. Aber lange konnten sie sich nicht taeuschen; bald musste ihnen die Hohlheit und Oberflaechlichkeit des angeblichen Mitstreiters klar werden. Klotz war auch einer jener trockenen Schwaermer, die sich ohne inneres Feuer kuenstlich fuer Ideen und Gegenstaende begeisterten, die Mode geworden waren[323]. Dazu kam noch, dass er auch sittlich jedes festen Haltes entbehrte; er war der erste, der die sittliche Zerfallenheit in die eigentliche Gelehrsamkeit verpflanzte[324]. Darum war es auch eine Handlung der Notwehr, solche gefaehrliche Freunde oeffentlich abzuschuetteln, was denn auch Lessing Klotz gegenueber mit der ganzen Wucht seiner Persoenlichkeit that. Denn es galt mehr als nur diesen Gegner niederzuschmettern. Klotz starb frueh. Hausen errichtete ihm durch seine Biographie eine Schandsaeule auf seinem Grabe. Goethe bezeigte sein Interesse, das er an Klotz nahm, dadurch, dass er Hausens Schrift in den Frankfurter Gelehrten Anzeigen besprach[325] und spaeter im Anschluss daran ebenda Jacobis aengstliche Protestationen wegen seiner Beziehungen zu Klotz mit verdientem Hohne zurueckwies[326]. Zur Zeit seiner Bluete hatte es Klotz trefflich verstanden, einen Kreis von Anhaengern zu sammeln und geistesverwandte Naturen an sich zu ziehen, mit deren sittlicher Haltung es womoeglich noch schlimmer bestellt war als mit der ihres Beschuetzers; zu ihnen gehoeren unter anderen Riedel und Bahrdt. Auch gegen Riedel, der fast Lessing selbst bestochen haette, gedachte Herder aufzutreten; er schrieb ueber seine Theorie der schoenen Kuenste sein viertes Waeldchen, das er jedoch nicht veroeffentlichte[327]. Riedel ward 1768, als der Kurfuerst Emmerich Joseph die Universitaet Erfurt neubegruendete, dorthin berufen. Auch ihm fehlte nicht die satirische Ader; eine seiner Satiren: Launen an meinen Satyr ist in den F.G.A. besprochen, vielleicht von Goethe[328]. Riedel fand von allen diesen Genies das traurigste Ende; er starb, nachdem er sich seine Stellung in Wien verscherzt hatte, im Irrenhause[329]. Der beruechtigste dieser Schwarmgeister, der uns hier am meisten interessiert, da er sich auch mit Goethe verschiedentlich beruehrte, war K. Fr. Bahrdt. Auch er gehoert zu den falschen Propheten, die ueber Nacht wie Pilze aufschiessen, sobald sich eine neue Zeit angekuendigt hat. Sie haben anscheinend das gleiche Streben, mitzuarbeiten an der Verwirklichung neuer und grosser Ideen, die sie mit beredten Worten zu verkuenden wissen; allein die Mittel, die sie anwenden, sind oft gewoehnlich, ja verwerflich und gemein. Der junge Goethe erkannte mit klarem Auge das Wesen dieser eigentuemlichen Erscheinung; so kam ihm der Gedanke, sie im Bilde des Mahomet darzustellen[330]. Allein der Plan wurde, trotzdem die naehere Bekanntschaft mit Lavater und Basedow ihm neuen Stoff geliefert hatte, nicht weiter ausgefuehrt; wohl aber ein scherzhaftes Seitenstueck dazu, der Satyros, in dem er einen der tuechtigeren dieser Propheten, obwohl er in sein Bild mit dem Rechte des Dichters noch anderer Zuege aufgenommen hat, verspottet[331]. Satyros; denn satyrgleich folgten jene, viele das Evangelium der Natur mit Behagen missbrauchend, die eigene rohe Natur unverhuellt zu zeigen, dem Dionysoszuge der neuen Kulturbewegung. Im Pater Brey hatte der Dichter schon vorher einen der weniger bedeutenden dieser Propheten abgethan. Bahrdt war es nun, der den Genieton auch in die Theologie trug[332]. In Leipzig konnte Goethe schon von ihm hoeren; denn als er dort noch Student war, war Bahrdt bereits Dozent. Als jener Leipzig verliess, musste es dieser verlassen, dort unhaltbar geworden durch Vorkommnisse, die das Unsittliche seines Wesens aller Augen blossgelegt hatten. Bezeichnender Weise wurde danach sofort Klotzens Teilnahme fuer den frueheren Gegner wach, als habe der ploetzlich entdeckte sittliche Mangel ihm die Befaehigung zur Aufnahme in den Klotzischen Kreis verschafft[333] Bahrdt reiste nach Halle und Klotz empfahl ihn fuer eine Professur an der Universitaet Erfurt, wohin er auch berufen ward. Ueber den Ton, der dort herrschte, gibt Bahrdt in seiner Lebensgeschichte zum Teil Aufschluss. Riedel gab ihn an; Bahrdt ward bald sein gelehriger Schueler, obwohl er sich zwar anfangs unfaehig fuehlte, "diese Vollkommenheit der Genies-Sitten sogleich zu erreichen"[334]. Riedel glich dem wildesten Jenaischen Studenten; der roheste Burschenton war bei ihm ueblich, in dem er die groessten Albernheiten und Possen trieb. Bahrdt gelang es bald, ihm darin gleich zu kommen. Beide liessen sich in Gesellschaft mit Studenten ein, in der Lustigkeit und Spoetterei der herrschende Ton waren[335]. Und nun das Tollste von allem! Obwohl unverheiratet, begann Bahrdt Kostgaenger zu halten und selbst fuer den Tisch seiner Studenten zu sorgen. Der Professor als Koch! der sich, wie er selbst ruehmt, besonders darauf verstand, den Speisen die letzte Wuerze zu geben[336]. Dieser Mann, der zugleich seit jenem Skandal von der Rechtglaeubigkeit zur Aufklaerung abgeschwenkt war, der seine Redegewandheit auf das schaendlichste missbrauchte, um seine Zuhoerer ueber seine wahre Gesinnung zu taeuschen, wurde 1771 an die Universitaet Giessen berufen und trat damit Goethes Gesichtskreis wieder naeher. In Darmstadt wurde er mit Merck bekannt, und pflegte auch, wie er angibt, im Hause des Herrn von Hesse, des Schwagers von Herder zu verkehren. Auch die Landgraefin Karoline schenkte ihm Beachtung[337]. Als Merck 1772 Direktor der Frankfurter Gelehrten Anzeigen geworden war, lud er durch einen Brief vom 18. Januar auch Bahrdt zur Theilnahme ein;[338] es ist jedoch sehr wohl moeglich, dass er sich schon vorher unaufgefordert an das neue Unternehmen herangedraengt hat. Die Rezension vom 17. Januar[339] erinnert allerdings, wie Scherer meint,[340] stark an die Art Bahrdts. Man bemerke nur die Polemik gegen den Teufelsglauben (S. 32. Z. 17 ff.), das rationalistische Geschwaetz auf S. 31. Z. 26 ff. und die S. 33. Z. 28 f. ausgesprochene Ansicht, die den Verfasser der Neuesten Offenbarungen im voraus verkuendet. Bahrdt hat sich noch weiter an diesem Jahrgang beteiligt, obgleich er dem Herausgeber von Anfang an Ungelegenheiten bereitete[341]. Eine Rezension ist aber gegen Bahrdt gerichtet; es ist die auf S. 319 ff., in der seine 1772 erschienene Schrift Eden besprochen wird[342]. Goethe hat sie bekanntlich spaeter als sein Eigentum erkannt und in die Ausgabe seiner Werke aufgenommen. Es scheint auch an seiner Urheberschaft nicht zu zweifeln zu sein[343]. Bemerkenswert ist, wie er auch hier schon das falsche Prophetentum scharf kennzeichnet und abweist: "Wenn diese Herren so viele oder so wenige Philosophie haben, sich das Menschenlehren zu erlauben, so sollte ihnen ihr Herz sagen, wie viel unzweideutiger Genius, unzweideutiger Wandel, und nicht gemeine Talente zum Beruf des neuen Propheten gehoeren[344]." Im Jahre 1773 ist aber Bahrdt der Direktor der Zeitung und ruehmt sich noch spaeter, dass er Deinets Zeitungsbude fast ganz allein furniert habe[345]. In demselben Jahre machte er auch den Versuch Hofprediger in Darmstadt zu werden. Aus Mosers Gutachten ueber ihn sei hier einstweilen schon auf folgende charakteristische Stelle aufmerksam gemacht: "Seine Kanzelgaben sind ausnehmend und er besitzt eine hinreissende Beredsamkeit; man darf aber ohne alle Medisance sagen, dass ein vortrefflicher _Komoediant_ an ihm verdorben sei,"------.[346] Der Versuch misslang; ebenso der unmittelbar darauf unternommene, Nachfolger des Seniors Plitt in Frankfurt zu werden, obwohl sich Deinet sehr fuer ihn bemuehte[347]. 1773 erschien ferner seine Homiletik, aus der uns hier nur eine Stelle angeht, die geeignet ist, das beste Schlaglicht auf die Oberflaechlichkeit und gemeine Gesinnungsart dieses Menschen zu werfen; sie lautet: "Ich meinesteils halte so viel auf eine schoene Deklamation und Aktion, dass ich laengst gewuenscht habe, man moechte in jedem Lande ein paar gute Schauspieler halten, welche die Kandidaten darin uebten[348]." Wem fallen hier nicht Wagners Worte ein: Ich hab es oefter ruehmen hoeren, Ein Komoediant koennt einen Pfarrer lehren. und Fausts treffende Entgegnung: Ja wenn der Pfarrer ein Komoediant ist. Wie das denn wohl zu Zeiten kommen mag. Einen offenen Angriff auf Bahrdt machte der junge Dichter nach dem Erscheinen der Neuesten Offenbarungen Gottes in Briefen und Erzaehlungen (seit 1772) mit seinem kleinen Prolog, in dem er ihn, wie es schon in jener Rezension geschehen war, wegen der ungeschichtlichen, modernisierenden Auffassung (hier der Evangelien) spottend zurecht wies[349], Auch im Jahrmarktsfest zu Plundersweilen darf man wohl, wie Scherer vermutet hat, hinter dem Hanswurst (Lichtputzer) Bahrdt suchen[350]. Auf einen gewissen Zusammenhang zwischen ihm und Goethe deutet auch der Scherz, den man sich mit Lavater erlaubte, ihm statt Goethes Bild das von Bahrdt zu schicken[351]. Bekannt ist schliesslich aus Dichtung und Wahrheit sein Besuch bei Goethe, bei dem er ueber den Prolog scherzte und ein freundliches Verhaeltnis wuenschte[352] (1775). Nachdem nun Bahrdts Persoenlichkeit, seine Bedeutung in seiner Zeit geschildert, seine Beruehrung mit dem jungen Goethe eroertert sind, duerfen wir wohl fragen: Ist nicht vielleicht jenes satirische Zerrbild in der Schuelerscene nach Bahrdt gezeichnet? Ist es nicht am ehesten von ihm anzunehmen, dass er, der Genosse Riedels, seinen Studenten gegenueber solchen Ton angeschlagen[353] und er, der Erfurter Kuechenmeister, mit solcher Dringlichkeit ueber Logis und Mittagstisch gesprochen habe? Wie er im Prolog sein wissenschaftliches Treiben verspottete, so haette der Dichter hier seine fragwuerdige Persoenlichkeit zum Gegenstand seiner Satire gemacht und damit auf eine der wundesten Stellen im akademischen Leben der Zeit den Finger gelegt. Wir duerfen darum schon hier im Zusammenhang darauf hinweisen, wie ganz und gar die satirischen Scenen des aeltesten Faust aus der eignen Zeit des jungen Dichters geschoepft sind, wie uns durch sie eine Reihe von Erscheinungen aus dem Leben des 18. Jahrhunderts wieder lebendig werden und umgekehrt auch jene Zeit den besten Kommentar zu ihnen liefern kann. Wagner, der trockene Schwaermer, eine ganz neue Art der Schulgelehrsamkeit, und hier das liederliche Genie, als passende Maske des Teufels![354] Und nun noch eins! Es betrifft die eigentuemliche Maske, in der Mephistopheles auftritt, "im Schlafrock eine grosse Perruecke auf". Denn auch sie scheint ein aeusseres Kennzeichen Bahrdts gewesen zu sein. Im Prolog zwar sitzt er ganz angezogen am Pult und schreibt;[355] aber da ist er auch zum Ausgang bereit. Dagegen haben wir den Doktor Bahrdt in Schlafrock und Perruecke in zwei Briefen Deinets. Am 20. Juli 1773 bittet der letztere ihn um sein Portrait fuer Lavater, aber ohne Perruecke; am 27. September 1773 berichtet Deinet von dem Bilde, das damals in Arbeit war, und es stellt Bahrdt im Schlafrock dar, allerdings, wie gewuenscht, ohne die Perruecke[356]. Mit diesem Bilde, das am 15. Oktober in Deinets Haenden war, wurde bekanntlich Lavater mystifiziert, so wie ja auch in unserer Scene der Student vom Teufel in der Maske des Professors zum besten gehalten wird. Wenn daher Mephistopheles in Schlafrock und Perruecke auftrat, so mochte schon von vornherein Goethes Frankfurter und Darmstaedter Kreis darauf gefasst sein, auch in weitren Eigenheiten jenes verspottet zu sehen und zu hoeren. Diesem Zerrbilde des Professors gegenueber ist der Student aufs liebevollste gezeichnet; dass der Dichter hierbei viel von seinem eigenem Wesen und von seinen eigenen Erfahrungen verwerthet hat, ist nicht zu bezweifeln. In aehnlicher Weise kam auch Goethe nach Leipzig, wenn auch wohl nicht mit den hohen Absichten, wie sie der Student in unserer Scene ausspricht; umgekehrt war er auch nicht in einer so hilflosen Unklarheit ueber sein Studium, sondern trat mit einem ganz bestimmten Plane auf[357]. Schwere Enttaeuschungen blieben allerdings auch ihm nicht erspart. Keinswegs erschien ihm jedoch der Professor in einer solchen Karrikatur. Vielmehr erschien ihm, sich zu einer akademischen Lehrstelle faehig zu machen, das Wuenschenswerteste fuer sich[358]. Er schreibt an seinen Vater: "Noch eins! Sie koennen nicht glauben, was es eine schoene Sache um einen Professor ist. Ich bin ganz entzueckt gewesen, da ich einige von diesen Leuten in ihrer Herrlichkeit sah. Nil istis splendidius, gravius ac honoratius. Oculorum animique aciem ita mihi perstrinxit, autoritas gloriaque eorum, ut nullos praeter honores Professurae alios sitiam[359]." Selbst Gottsched, den er in den Leipziger Briefen ob seiner Gestalt und seiner Familienverhaeltnisse verhoehnt,[360] dessen Verdienste er aber sonst anerkennt, bot ihm keine Veranlassung zu solchem Spott, wie er aus dem ersten Teile der Schuelerscene spricht. Was der Student begehrt, entspricht auch nicht etwa Wuenschen und Hoffnungen, mit denen der junge Goethe nach Leipzig kam; er will nicht bloss studieren, es handelt sich fuer ihn besonders um das Heil seines inneren Menschen, und zwar in ganz bestimmter Richtung: er moechte gern alles Gute zusammen haben, sich dagegen das Boese vom Leibe halten. Damit ist ein Grundzug im Wesen des jungen Goethe bezeichnet. Er hat ihn selbst frueh erkannt und an seiner Umbildung gearbeitet. "Der Mensch"--schreibt er in der Rezension ueber Sulzers schoene Kuenste--"durch alle Zustaende befestigt sich gegen die Natur, ihre tausendfache Uebel zu vermeiden, und nur das Mass von Gutem zu geniessen; bis es ihm endlich gelingt, die Circulation aller seiner wahr- und gemachten Beduerfnisse in einen Palast einzuschliessen, so fern es moeglich ist, alle zerstreute Schoenheit und Glueckseligkeit in seine glaeserne Mauern zu bannen, wo er denn immer weicher und weicher wird, den Freuden des Koerpers Freuden der Seele substituiert, und seine Kraefte von keiner Widerwaertigkeit zum Naturgebrauche aufgespannt, in Tugend, Wohlthaetigkeit, Empfindsamkeit zerfliessen[361]." Mit diesen Worten ist das Charakteristische der empfindsamen Epoche vortrefflich ausgedrueckt. Denn sie war es, die da glaubte, der Mensch sei nur da, um das Gute zu geniessen, das Boese sich dagegen vom Leibe zu halten, kurz sich schon auf Erden ein Elysium zu gruenden[362]. Diese Anschauung wird von dem Dichter ueberwunden durch die andre, die sich in ihm in der duesteren Leidenszeit nach dem Wetzlarer Aufenthalt mehr und mehr befestigt hatte, der Mensch sei zu Genuss und Leiden, Freud und Leid geschaffen, habe der Erde Glueck und Weh zu tragen[363]. "Genuss, dieses unerklaerbare Herumdrehen, Schweben, Aufgeloestliegen in einer Empfindung, das ist, wie wir glauben, der Zweck oder vielmehr der Endpunkt alles dessen, was in dem Menschen ist[364]." Es ist offenbar Goethe, der so spricht; aber am Ende des Jahres 1772 erklaerte er Genuss und Leiden fuer den Mittelpunkt des Lebens[365]. Die Lebensanschauung seiner empfindsamen Zeit, die er selbst schon hinter sich gelassen hatte, hat also der Dichter dem Studenten gegeben. Ausserdem begehrt er Freiheit und Zeitvertreib; auch ein Wunsch, den ein Wagner nicht gethan haette. Er, der der Enge des Collegiums nun gluecklich entronnen ist, hat nicht Lust, sich koerperlich und geistig in neue Fesseln schlagen zu lassen. Sich die noetige Heiterkeit und Geistesfreiheit fuer die Studien durch freie Bewegung zu schaffen, dazu war auch einst der Student Goethe in Strassburg von seinem Lehrer ermahnt worden[366]. Unser Student will endlich auch tief studieren. Des Geists Erweiterung ist sein Schlagwort. Eine Fakultaet genuegt ihm darum nicht; das Hoechste und Tiefste moechte er fassen, Himmel und Erde, die ganze Natur! Eine stattliche Reihe von Forderungen; man vernimmt den echten Sohn der fordernden Epoche[367]. Wer denkt nicht zugleich an Faust? Sind sie nicht beide geistesverwandt? Stehen sie nicht zu einander wie Juengling und Mann?[368] Wer wird nicht durch die Forderungen des einen an die des anderen erinnert? Was hier der in Dumpfheit noch Befangene, naiv begehrlich, und doch bescheiden von dem teuflischen Professor verlangt, das klingt ganz aehnlich dem, was am Schluss der bereits im Fragment enthaltenen Vertragsscene, wenn auch im andren Tone und dem Denken und Fuehlen des Mannes entsprechend umgebildet, vom Teufel Faust selbst fordert. Die beiden Scenen: Der Teufel und der fordernde Faust und der Teufel und der fordernde Schueler folgen als passende Gegenstuecke im Fragment wie in der Ausgabe von 1808 unmittelbar auf einander. Offenbar hat also der Dichter von Anfang an das Beduerfnis gehabt, uns in dem Bilde des Studenten zugleich ein Bild von Fausts eigener Jugend zu geben und es dem des Mannes zur Seite zu stellen. Faust verlangt allerdings nicht nur alles Gute, sondern, wie er schon vom Hauche des Erdgeistes beruehrt, ausgerufen, der Menschheit Wohl und Weh auf seinen Busen zu haeufen. Aber die Universalitaet des Wollens ist beiden noch gemeinsam. Was der Student mit der Naivitaet und Unbeholfenheit seiner Jugend "das Gute so allzusamm" nennt, das heisst ins Maennliche Fausts uebertragen: Und was der ganzen Menschheit zugeteilt ist, Will ich in meinem innren Selbst geniessen, Wuenscht der Student seinen Geist zu erweitern, von Himmel und Erden und der ganzen Natur mit ihm, so viel er vermoechte, zu fassen, so will Faust mit seinem Geist das Hoechst' und Tiefste greifen und sein eigen Selbst zu dem der Menschheit erweitern.[369] Wir kehren zur Schuelerscene zurueck. Fuer sein Begehren hat der Student noch keine Befriedigung finden koennen. Er ist schnell enttaeuscht worden. Die Bahn der Weisheit ist ihm eroeffnet worden; aber wirres Gestruepp blickt ihm entgegen, und seitwaerts, wo ihm die Ferne ein schoenes Thal mit frischen Quellen vorgespiegelt hatte, trockne Wueste. Der Juengling verzweifelt aber noch nicht und wendet sich etwa vom Wissen ueberhaupt ab, sondern geht den beruehmten Professor an, ihm guten Rat zu geben[370]. Sein Geschick fuehrt ihn jetzt schon zum Teufel, ohne dass er ihn gerufen haette. Nachdem jener eine Zeit lang sein possenhaftes Spiel mit ihm getrieben, geht er endlich auf seine Fragen ein. Ein zweiter Teil der Scene beginnt, der nicht mehr mit derber Komik, sondern mit feiner Ironie den Spott gegen die Wissenschaft und ihre Vertreter fortsetzt. Der Student will Mediziner werden, ohne sich jedoch, wie wir schon gesehen haben, damit auf ein Fachstudium beschraenken zu wollen. Wenn auch noch unklar, so schwebt ihm doch als hoechstes Ziel seines Studiums die Natur vor; noch klingt es, wie Stammeln, da er seinen Wunsch bekennt[371]. Der junge Goethe war einst ebenso zu einem Fachstudium bestimmt auf die Universitaet gekommen; auch sein Sinn war von vornherein mehr auf anderes gerichtet, allerdings noch nicht auf das Studium der Natur. Nachdem er sich ihr in den Tagen seiner Krankheit in Frankfurt auf mystisch-alchemistischem Wege zu naehern versucht hatte, trat er ihr erst in Strassburg auf dem der Wissenschaft nahe. Er wandte sich neben seinem Fachstudium der Medizin zu; "das Medizinische reizte mich, weil es mir die Natur nach allen Seiten, wo nicht aufschloss, doch gewahr werden liess"[372]. Darum ist auch wohl der Student im Faust sofort zur Medizin entschlossen. "Fortsetzung der uebrigen Natur und medizinischen Studien. Unendliche Zerstreuungen. _Vorbild zum Schueler im Faust_." So lautet ein bemerkenswertes, neu aufgefundenes Schema zu der obigen Stelle im 11. Buch von Dichtung und Wahrheit[373]. Mephistopheles lobt zwar den Studenten, aber da er ihn auf den alten, ausgetretenen Weg der Wissenschaft weisen will, um Gelegenheit zu haben, seinen Spott fortzusetzen, warnt er ihn vor der Gefahr der Zerstreuung, wie sie ja auch Goethe selbst bei aehnlichem Streben zur Genuege erprobt hatte. Darum zuerst Collegium Logicum! Durch diese Eingangspforte hatte auch einst der junge Goethe in Leipzig das Feld der Wissenschaft betreten muessen[374]. Die Vorzuege der Logik werden nun mit feiner Ironie auseinandergesetzt. An Geists Erweiterung ist bei ihr nicht zu denken; sie schnuert ihn gewaltsam ein, dass er bedaechtig den vorgeschriebenen Weg schleiche; sie zerreisst, was in uns so fest verbunden ist, dass wir es als eins empfinden, in mehrere Teile. "Also wie der Mensch isst und trinkt, und verdaut, ohne zu denken, dass er einen Magen hat, also sieht er, vernimmt er, handelt und verbindet seine Erfahrungen, ohne sich dessen eigentlich bewusst zu sein[375]." Dies natuerliche Band hebt die Logik auf. "In der Logik"--so erklaert Goethe spaeter, offenbar in Erinnerung an unsere Fauststelle--"kam es mir wunderlich vor, dass ich diejenigen Geistesoperationen, die ich von Jugend auf mit der groessten Bequemlichkeit verrichtete, so auseinanderzerren, vereinzeln und gleichsam zerstoeren sollte, um den rechten Gebrauch derselben einzusehen[376]." Das Trennen und Zergliedern war und blieb Goethes Natur zuwider[377]. Obwohl es--so spottet Mephistopheles weiter--bei der Erzeugung der Gedanken offenbar auf ein Verbinden ankommt und es dabei aehnlich zugeht wie beim Weben, da unzaehlige Faeden, einmal durch einen Schlag in Bewegung gesetzt, sich zum Gewebe vereinigen, so kommt nun der Philosoph und beweist, was ihm hier das Hauptstueck zu sein scheint, die Notwendigkeit des Vorganges und wie notwendig eins aus dem andern folgt. Was hilft uns aber diese Weisheit? Keiner denkt daran, wie wenig damit gewonnen ist. Keiner wird dadurch ein Weber, dass er die Faeden des Gewebes auftrennt und sie im einzelnen nachweist. Gerade die Hauptsache, die Kraft, die ein Ganzes in allen seinen Teilen hervorbringt, wird ausser Acht gelassen. "Schaedlicher als Beispiele sind dem Genius Principien. Vor ihm moegen einzelne Menschen einzelne Teile bearbeitet haben. Er ist der erste, aus dessen Seele die Teile, in ein ewiges Ganze zusammengewachsen, hervortreten." So Goethe in der Baukunst;[378] bei der dritten Wallfahrt nach Erwins Grabe im Juli 1775 ruft er ueber dessen Meisterstueck aus: "Du bist eins und lebendig, gezeugt und entfaltet, nicht zusammengetragen und geflickt[379]." Waehrend daher das Genie schoepfergleich ein Ganzes, zu dem sich die Teile eben durch die zeugende Kraft von selbst zusammenfuegen, hervorbringt, treibt die Philosophie gerade dem Lebendigen, das sie erkennen und darstellen moechte, den Geist aus; die Teile haelt sie zwar in der Hand; aber das geistige Band, das sie zum Ganzen verflocht, ist zerrissen[380]. Ebenso macht es auch die Chemie; sie sucht die Teile der schaffenden Natur in die Hand zu bekommen, im Glauben, daraus koenne sie ein Ganzes bilden. Mit unbewusstem Spotte nennt sie diesen rohen Versuch treffend _Encheiresis_ naturae, als vermoechten ihre Handgriffe den schaffenden Geist der Natur zu ersetzen[381]. Im aehnlichen Sinne aeussert sich auch Herder in den Fragmenten: "Allein zur Erweckung des Genies traegt dies Zergliedern nichts bei; bei aller Muehe bleibt die vivida vis animi so unangetastet als der rector Archaeus bei den Scheidekuenstlern: Erde und Wasser bleibt ihnen; die Flamme verflog, und der Geist blieb unsichtbar; allen ihren chymischen Zusammensetzungen koennen sie nach dem, was sie bei der Scheidekunst gewahr wurden, zwar Farbe, Geruch und Geschmack, nie aber die Kraft der Natur geben[382]." Die gemeine Encheiresis der Natur, wodurch sie Leben schafft und foerdert, wie sich Goethe einmal am Ende seines Lebens ausdrueckt, wird durch solche Bemuehungen nicht enthuellt[383]. Ein Unerforschliches, wie er es zu nennen pflegte, bleibt bestehen; ein Geheimnis, in das allerdings der Faust des jungen Goethe noch einzudringen begehrte[384]. Die Logik schlaegt also den Geist in unnatuerliche Fesseln; sie hemmt die freie Entwicklung der Gedanken; sie fuehrt, statt den schoepferischen Genius zu wecken, zu einem unproduktiven Trennen und Sondern; sie toetet, statt dass sie belebe. Das Genie in seinem Schaffensdrang, das nach dem geistigen Band sucht, das die Welt im Innersten zusammenhaelt, kaempft gegen den starren Mechanismus in der Wissenschaft. Dem Studenten ist es selbstverstaendlich nicht klar, was der Professor eigentlich meint. Mephistopheles troestet ihn, das Verstaendnis werde schon kommen, sobald er nur alles zu reduzieren und klassifizieren gelernt habe. "Was heisst das anders"--hoeren wir Goethe mit aehnlichem Spott auf jene Schulausdruecke in der Lavaterrezension reden--"als durch gelehrtes Nachdenken sich eine Fertigkeit erworben zu haben, auf wissenschaftliche Klassifikation eine Menschenseele zu reduzieren". Und aehnlich in der Beurteilung von Sulzers schoenen Kuensten: "dass einer, der ziemlich schlecht raisonnierte, sich einfallen liess, gewisse Beschaeftigungen und Freuden der Menschen, die bei ungenialischen gezwungenen Nachahmern Arbeit und Muehseligkeit wurden, liessen sich unter die Rubrik Kuenste, schoene Kuenste klassifizieren, zum Behuf theoretischer Gaukelei, das ist denn der Bequemlichkeit wegen Leitfaden geblieben zur Philosophie darueber, da sie doch nicht verwandter sind als septem artes liberales der alten Pfaffenschulen[385]." "Meine Wissensbegierde wurde reg"--scherzt er in den biblischen Fragen--"und ich bat ihn mich in die Schule zu nehmen. Das that er gerne, denn er sticht gewaltig auf einen Professor, konsultierte hier und da seine Hefte, und das Dozieren stund ihm gar gravitaetisch an. Nur bemerkt ich bald, dass die ganze Kunst auf eine kalte Reduktion hinauslief."[386]------Der Spott richtet sich also gegen den philosophischen Hang, alles in bestimmte Klassen gebracht, auf einzelne Begriffe reduziert, in ein System zu zerren, wogegen wiederum sich die Gefuehlsrichtung als gegen etwas, das alles wahre Leben ersticke, erhoben hatte[387].--Dem Studenten wirds bei dem betaeubenden Klang der Schulausdruecke ganz schwindlich im Kopf[388]. Mephistopheles faehrt weiter: Nach der Logik die Metaphysik! Sie sucht mit dem Verstand zu begreifen und fasslich zu machen, was zu seinem Gebiete gar nicht gehoert; dann muessen eben Worte aushelfen. Wieder einer der vielen Angriffspunkte, die sich der neuen Bewegung darboten. Mit ihren schaerfsten Waffen wenden sich Hamann und Herder gegen die Unfehlbarkeit der Metaphysik, die alles beweisen zu koennen meinte und doch so oft nur taube Worte gab. Mephistopheles schliesst seine Belehrung mit einigen guten, natuerlich wieder ironisch gemeinten Ratschlaegen, die den aeusseren Gang des Studiums betreffen. Der Student bittet ihn darauf, ihm auch fuer sein Fachstudium, die Medizin, einen Fingerzeig zu geben, Mephistopheles ist aber nun des Professortons satt;[389] er legt die Maske ab und ist wieder Teufel. Jetzt empfiehlt er dem Studenten nicht mehr wie vorher, wo es ja auch nur versteckter Hohn war, den engen Pfad der Schulwissenschaft zu wandeln. Was nuetzt das Studium? Der Mensch kann doch nicht mehr fassen als ihm gegeben ist. Darum weist er ihn auf das wirkliche Leben hin. Bei diesem guten Rate offenbart sich aber der Teufel, er sucht den Menschen bei seiner niedrigen und gemeinen Seite zu fassen und ihn anzureizen, den Vorteil des ueberlegenen Verstandes zum Schaden oder zur Beherrschung anderer auszubeuten. Der Teufel lockt zum Leben, aber um den Menschen zu verderben. In aehnlicher Weise haette Mephistopheles auch zu Faust sprechen muessen, wenn der Dichter schon im aeltesten Faust eine solche Scene ausgefuehrt haette, um ihn von der Wissenschaft weg zu einem Leben, wie es in des Teufels Sinne ist, zu fuehren[390]. Dem Studenten gefaellt das Bild praktischen Lebens, das der Teufel entworfen, schon besser als der philosophische Lehrgang, den ihm der Professor zuerst vorgezeichnet hat. Mephistopheles schliesst darauf mit den denkwuerdigen Worten ab, die, vom Teufel ausgesprochen, zugleich im hoechsten Sinne gelten: Grau, teurer Freund, ist alle Theorie Und gruen des Lebens goldner Baum. Klar und scharf ist damit wiederum der Gegensatz zwischen der alten und neuen Richtung ausgesprochen: Fort mit dem spekulativ-theoretischen Erkenntnisgang; nur aus dem Leben selbst erblueht eine wahre, lebendige Weisheit. Vom Baum der Erkenntnis weg zum Baum des Lebens! "Noch immer steht der Baum der Erkenntnis mitten unter uns; je weniger man davon isset, desto besser; und wehe denen, die sonst keine Nahrung haben!" So in einer Rezension der F.G.A., die vielleicht Goethe gehoert;[391] jedenfalls ist die Bemerkung ganz in seinem Geiste. "Der Mensch ist nicht zum Methaphysicieren da"--ruft Herder in der schon mehrfach angezogenen Beurteilung eines Werkes von J. Beattie aus--"und trennet er einmal Vernunft vom gesunden Verstande, Spekulation von Gefuehl und Erfahrung--der Daedalus und Ikarus hat den festen Boden der Mutter Erde verlassen; wohin kann er sich mit seinen waechsernen pennis homini non datis hin verlieren? wohin kann er sinken?--Spekulation als Hauptgeschaefte des Lebens--welch elendes Geschaefte! _Sie gewoehnt endlich alles als Spekulation anzusehen!_ ein Opium, was alle Lebenskraft toetet und mit suessen Traeumen saettigt, u.s.w.--Spekulation loeset das eiserne Band der Natur, Trieb und Nerven in Zwirnsfaeden" u.s.w.[392] Goethe selbst scheint wieder zu reden in einer kurzen Mitteilung ueber Lavaters Geheimes Tagebuch: "Das wahre Leben verdraengt gewiss das Spekulieren, so wie Gefuehl das Raisonnement;"[393]--Mit voller Bestimmtheit ist Goethe in folgenden Worten der Rezension ueber Sulzers schoene Kuenste zu erkennen: "Er bedenke, dass er sich durch alle Theorie den Weg zum wahren Genusse versperrt, denn ein schaedlicheres Nichts, als sie, ist nicht erfunden worden[394]." Ueberall also im Widerspruch zu dem starren Formalismus der Zeit der Hinweis auf Lebenskraft und Lebensgehalt; aus den Geisteskaempfen dieser Zeit sind auch vor allem die satirischen Scenen des aeltesten Faust erwachsen. Dies ist der Boden, in dem sie wurzeln. Fuer den Studenten freilich sind die widerspruchsvollen Lehren des Professors ebenso viele Raetsel, ihm ists als wie ein Traum. Zum Abschied ueberreicht er sein Stammbuch. Der Teufel schreibt sich mit den Worten ein, mit denen einst die Schlange im Paradies die ersten Menschen lockte[395]. Die symbolische Bedeutung der Scene ist dadurch zum Schlusse deutlich ausgedrueckt und zugleich in die Form gebracht, die bereits die aelteste Urkunde des Menschengeschlechts gebraucht hatte.[396] Mephistopheles weist wieder auf den Baum der Erkenntnis hin; er will den Schueler auf denselben Pfad verlocken, auf dem einst auch Faust wandelte, ehe er sich dem Teufel uebergab. Aber der Erfahrene sieht voraus, welch schwere Pein auch jenem aus der erstrebten Gottaehnlichkeit erwachsen wuerde. Dann wird es auch ihm nach dem Baume des Lebens verlangen; Er wird verstehen lernen, was ihm einst in des Teufels Worten noch unverstaendlich geblieben war. Die Geistesverwandtschaft zwischen Faust und dem Schueler ist schon betont[397]. Darum bildet auch der letztere von selbst einen Gegensatz zu Wagner, wodurch die beiden satirischen Scenen des aeltesten Faust in noch hoeherem Grade einen gewissen Zusammenhang in ihrer Entstehung und Bedeutung erkennen lassen. Goethe stellt sie spaeter selbst in dem Schema so gegenueber: _Helles kaltes wissenschaftliches Streben: Wagner. Dumpfes warmes wissenschaftliches Streben: Schueler_[398]. Was endlich die Anlage der ganzen Scene betrifft, so ist sie in einer ganz und gar volkstuemlichen und in der Litteratur eingebuergerten Form gehalten. Solche Belehrungsdialoge entsprachen durchaus dem lehrhaften Charakter der Litteratur, besonders seitdem sie durch die Reformation zu einer wichtigen Waffe fuer Aufklaerung, Anfeindung, Verspottung geworden waren. Auch die besondere Form, dass der Schueler vom Lehrer oder ueberhaupt der Juengere vom Vorgeschritteneren belehrt wird, fehlt nicht; vor allem findet sie sich gerade in der poetischen Litteratur. Schroeder hat in der Vierteljahrschrift auf das Spiel von Frau Jutten hingewiesen[399]. Daraus zu folgern, dass es Goethe gekannt habe, ist zu voreilig. Denn diese Form war ein ueberliefertes Element der Volksdichtung. Besonders eigentuemlich ist jedoch die Aehnlichkeit mit J.V. Andreas gutem Leben eines rechtschaffenen Diener Gottes, das Herder in den Briefen das Studium der Theologie betreffend mitgeteilt hat[400]. Ein Kandidat der Theologie wird hier durch die praktische Lebensweisheit eines alten Pfarrers belehrt. Nachdem jener das Studium der Logik, Rhetorik, Physik, Ethik beendet und sich auch fuer sein Fachstudium vorbereitet hat, geht er auf die Suche nach dem Amt. Unterwegs trifft er einen alten Pfarrer an, den er ganz in der Art anmasslicher Jugend anredet, wie spaeter der Schueler im zweiten Teile des Faust. Der alte Herr sprach: mein Herr Studios, Mich duenkt, Eur' Kunst, die mach sich los. Die Logik wird sich in euch regen, Dass Ihr mit mir redt so verwegen. Mit einem kraeftigen Wort Luthers wird er weiterhin abgewiesen. Als ihn aber danach der Pfarrer ueber den Unterschied zwischen der wissenschaftlichen Theorie und der Amtspraxis belehren will, bricht seine anmassliche Schulweisheit noch einmal durch[401]. Er spricht: Ihr gabt aufs Geistlich' Acht, Und der Philosophie nichts acht, Daher moecht es wohl kommen sein, Dass Euch die Welt nit wollt ein. Der Pfarrer macht ihn aber mit fischartischem Humor darauf aufmerksam, wie auch er durch die Schule der freien Kuenste gegangen sei, bis endlich "die Praktik kommt zu Haus, die all Theorik treibet aus." Der Kandidat, der das ganze Gespraech erzaehlt, bemerkt dazu: "Die Ding' mir spanische Doerfer waren,"-- Darauf beginnt die eigentliche Belehrung ueber die Schwierigkeiten des Predigtamtes; alsdann wird auf dessen Verlangen: Doch bitt ich, wollt mich weiter lehren, Wo ich mich nun hinaus soll kehren? der hohe Wert des Predigerstandes gepriesen. Beschaemt und erfreut geht der Juengling mit dem Pfarrer in sein Haus, mit dem Wunsche, dass allen seinen Gesellen so die Schellen abgetrennt wuerden. Es ist nicht unmoeglich, dass bereits der junge Goethe diese Pastoraltheologie, vielleicht durch Herders Vermittlung, gekannt habe. Einzelne Anklaenge an die Schuelerscene wird man heraus gehoert haben; jedenfalls beweist das im Hans Sachsischen Mass gehaltene Gedicht, dass die ganze Anlage der Faustscene im Boden der volkstuemlichen Litteratur wurzelt. Dagegen ist es ihr eigentuemlich, dass sie zugleich eine Mystifikation der Art ist, wie sie Goethe im Leben und in seiner Dichtung liebte;[402] sie bringt ihm hier den Vorteil, den Professor in der Maske des Professors ohne besondere Verletzung der Wahrscheinlichkeit verspotten zu koennen. Es ist uns nun noch uebrig, die Einheit der ganzen Scene zu betonen und gegen gewisse Angriffe in Schutz zu nehmen.--Dass die Scene aus zwei verschiedenen Teilen bestehe, wird niemand bezweifeln; dagegen darf man nicht mit Anwendung einer Methode, die auch mehr ihre Freude daran hat, zu zerstueckeln und auseinander zu zerren als kuenstlerische Einheit zu empfinden, den von Anfang an vorhandenen inneren Zusammenhang bestreiten und gar die Scene in zwei Teile zerlegen, die zu verschiedenen Zeiten entstanden und spaeter notduerftig zusammengeflickt worden seien. Wie Scherer diese Kunst am ersten Monolog geuebt, so Pniower an der Schuelerscene[403]. Er geht von der Erscheinung der Wiederholung aus d.h. von der Thatsache, dass ein Dichter sich innerhalb desselben Werkes wiederhole, einzelne Gedanken und Motive wieder aufgreife, um sich von neuem in alte Stimmungen zu versetzen. Man wird davon mit Recht bei einem groesseren Werke sprechen koennen, das im Laufe vieler Jahre entstanden, eine Zeit lang unterbrochen, schliesslich die redigierende Hand noetig machte, also etwa bei dem Fragment von 1790 und ganz besonders bei der Ausgabe von 1808. Misstrauisch wird man aber dem bei einem Werk gegenueberstehen, wo von einer Redaktion keine Rede sein kann, wie beim aeltesten Faust, dessen einzelne Teile, nachdem sie im Geist des Dichters ausgetragen waren, durch einen bestimmten Anstoss in einem ununterbrochenen Strom, des Entstehens hervorgebracht wurden, von denen, wie er selbst erklaert, nichts nieder geschrieben ward, was nicht bestehen konnte[404]. Pniower haelt nun die Verse 339. 340 fuer eine solche Wiederholung und zwar aus V. 386 = 1955 ("Nehmt euch der besten Ordnung wahr."); er schliesst daraus, dass die beiden zusammengehoerigen Verse 339. 340: Ihr seid da auf der rechten Spur, Doch muesst ihr euch nicht zerstreuen lassen[405]. Flickverse seien und bei einer spaeteren Zusammenfuegung der urspruenglich getrennten Teile der Scene eingeschoben worden seien. Diese Annahme findet er dadurch bestaetigt, dass sie weder zum Vorhergehenden noch zum Folgenden recht passten; darauf baut er weiter und sucht die voellige Verschiedenheit der beiden Teile im Ton, Stil, Metrik nachzuweisen und auch damit seine Ansicht zu stuetzen. Der erste und der Grundirrtum ist in der Annahme enthalten. V. 340 sei nur eine Wiederholung des spaeteren Verses 386. Im ersten Falle aber--und damit ist auch der richtige Zusammenhang nach vor- und rueckwaerts gegeben--warnt doch Mephistopheles den Studenten, der das ganze Universum mit seinem Geiste umfassen moechte, vor der Gefahr der Zerstreuung bei der ungeheuren Ausdehnung des Wissensgebietes. Dagegen empfiehlt er nun als gutes Mittel die Logik, die den Geist, der ringsum wissenschaftlich schweifen moechte, in enge Schranken draengt und den vorgeschriebenen Weg zu wandeln zwingt; sie bringt ihm, der sich sonst zerstreuen koennte, die wahre Konzentration. Denn an diese Gegensaetze ist hier zu denken, nicht etwa wie Pniower mit voelliger Verkennung des bestehenden Zusammenhanges meint, an andre als wissenschaftliche Zerstreuung[406]. Zugleich gewinnt Mephistopheles mit dem "Doch" die erwuenschte Gelegenheit, sich dem Thema, das ihm am Herzen liegt, zuzuwenden, wie er aehnlich auch in V. 277 und V. 409 dazu uebergeht. Darum gehoert auch die Anrede an die Spitze von V. 341 und nicht von 339; denn jetzt erst ist er wieder in seinem Fahrwasser und beginnt die eigentliche Belehrung[407]. V. 339. 340. sind also beim Vortrag herablassend anerkennend und rasch abbrechend zu sprechen, waehrend dann mit V. 341 der lehrhafte Ton in seiner ganzen professoralen Wuerde einsetzt. V. 376 bezieht sich dagegen auf den aeusseren Gang des Studiums ueberhaupt; hier ist nicht mehr die Rede von einer inneren Zucht des Geistes durch die verschiedenen Disziplinen der Wissenschaft, sondern von Regelmaessigkeit im Besuch der Vorlesung, im Nachschreiben u.s.w. Pniower hat demnach das "Zerstreuen" falsch verstanden; er ist dazu wohl durch die Aenderung verfuehrt worden, die Goethe spaeter an unsrer Stelle vorgenommen, und mit der er dem Zerstreuen einen ganz andren Sinn gegeben hat, V. 1902 spricht Mephistopheles dieselben Worte; darauf folgt aber nicht sogleich seine Spottrede auf die Logik, sondern zunaechst schliesst sich eine Bemerkung des Schuelers an, in der er allerdings das Zerstreuen im anderen Sinne fasst, in dem von Freiheit und Zeitvertreib, die er im aeltesten Faust V. 272 bereits in seinem langen Wunschzettel fuer sich verlangt hatte[408]. Danach warnt ihn der Teufel vor Zeitverlust und gibt ihm als Mittel dagegen die Ordnung an: "Doch Ordnung lehrt euch Zeit gewinnen."[409] Aber auch hier ist Ordnung von der in V. 386 = 1955 gemeinten ganz und gar verschieden; im Grunde ist es dasselbe, wenn hier die Ordnung empfohlen, dort vor der Gefahr der Zerstreuung gewarnt wird; denn auch sie bezieht sich auf den inneren Gang des Studiums, darauf, dass der Schueler huebsch ordentlich den alten Weg trete und mit dem propaedeutischem Studium der Logik den Anfang mache. In V. 1955 ist nach wie vor die aeussere Ordnung, fleissiger Kollegienbesuch u.s.w. gemeint. Hervorgebracht wurde diese ganze Verschiebung eben dadurch, dass der Dichter alten Bestand (V. 272.) in erweiterter Form hier einfuegte, weil es sich so am leichtesten, mit leiser Umdeutung des Sinns von "zerstreuen" machen liess. Den charakteristischen Zug, das Verlangen nach Freiheit und Zeitvertreib, wodurch der Schueler in Gegensatz zu Wagner tritt, wollte Goethe offenbar bei der spaeteren Redaktion nicht verwischen. Nachdem dem "Zerstreuen" einmal ein anderer Sinn gegeben war, war nun natuerlich am Anfang der Rede des M. (V. 1909 f.) Wechsel im Ausdruck noetig; er setzte daher eine mit der alten Wendung ungefaehr gleichbedeutende ein, wobei es ihm im Augenblick gewiss nicht gegenwaertig war, dass er an der spaeteren Stelle das gleiche Wort schon einmal--allerdings in anderm Sinn--gebraucht habe.--Mit der Annahme von Flickversen ist es also nichts. Nun ist es allerdings unzweifelhaft, dass die beiden Teile der Scene in Inhalt, Sprache, Metrik verschieden sind; d.h. also, dass mit der Verschiedenheit des Gehalts auch die der Form verbunden ist. Zu dem burlesken Inhalt gehoert auch die derbere, volksmaessige Sprache; diese kleidet sich dann von selbst in das Gewand des fuer sie geeigneten, hier des kurzen, gedrungenen vierhebigen Verses. Dunkel scheint sie nur, wo man sie nicht versteht:[410] fuer Sentenzen war natuerlich kein Raum[411]. Wie wenig mit derartigen sprachlichen und metrischen Kriterien ohne Zuziehung des gesamten sprachlichen und metrischen Materials zu machen ist, zeigt sich bei Pniowers Untersuchung, wenn er z.B. das Fehlen des pronomen personale beim Zeitwort als Zeitmesser annimmt, der eine fruehere Stufe Goethischer Sprache anzeige; aber diese Auslassung findet sich im aelteren Goetz (1771) gerade seltener wie in dem von 1773[412]. Der vierhebige Vers ist schliesslich ebenso wenig ausschlaggebend; er kommt z.B. wie Pniower selbst angibt, in den 76 ersten Versen des Monologs vor, die offenbar ins Jahr 1774 gehoeren; ebenso in der ersten Scene der Gretchentragoedie, im Monolog Valentins, auch noch meist in der Brunnenscene, ueber deren Entstehungszeit wir noch naeheres ermitteln werden; auch Pater Brey wird angefuehrt, der ja aber auch in die Jahre 1773/74 gehoert und nicht so frueh zu setzen ist, wie es Pniower thut[413]. Der Brief an Merck, den die Weimarische Ausgabe in den Dez. 1771 setzt, gehoert natuerlich nicht in diese Zeit[414]. Es bleibt die wichtigste Frage: Ist es moeglich, dass der Dichter zwei an Inhalt so grundverschiedene Teile gleichzeitig gedichtet habe? Darauf ist nur zu sagen, was schon wiederholt betont worden ist, dass der Dichter die derben Scherze des ersten Teiles nicht aus blosser Freude daran vorbringe, sondern eine bestimmte satirische Absicht habe und auf thatsaechlich vorhandene und bekannte Missstaende im Professorentum ziele, der Ton also auch hier professoral sei[415]. Sein eigenes Herz ist nicht bei den Spaessen des Professors, sondern bei dem Studenten, der sie mit Entsetzen und Widerwillen vernimmt und immer wieder von dem zu hoeren verlangt, was ihm das Hoechste ist, des Geists Erweitrung. Man koennte noch einwenden, ob sich nicht der Dichter auf einer spaeteren Entwicklungsstufe vor derartigen derben Scherzen gescheut haette. Aber das wissen wir ja vom jungen Goethe, dass er seinem Uebermut zu jeder Zeit die Zuegel schiessen liess, diese Possen aber gerade seit 1773 erst recht in dem kleinen Kreise von Goethes Freunden im Schwange waren. 1775 hat er das derbe Gedicht auf Nikolai geschrieben,[416] ebenso das derbste, was er wohl je gedichtet hat, Hanswursts Hochzeit[417]. Derartige unkuenstlerische Auswuechse gehoeren mit zu der Natur des jungen Goethe; sie zeigen sich in milderer Art auch in seinen groesseren Werken neben den herrlichsten Stellen edler Kunst, im Goetz und Werther[418]. Es war dies eben eine Folge von der Anschauung der Sturm- und Drangperiode, die wir auch in der Wagnerscene gefunden haben, alles, was aus der Empfindung komme mit der von ihr selbst mitgebrachten Form, sei anzuerkennen. "Die charakteristische Kunst ist nun die einzig wahre[419]." Man denke auch an das bezeichnende Wort aus einem Briefe an die Karschin vom Jahre 1775: "Mir ist alles lieb, was treu und stark aus dem Herzen kommt, mags uebrigens aussehen wie ein Igel oder wie ein Amor[420]." Im ersten Teil der Schuelerscene siehts nun mehr aus wie ein Igel; aber daraus ist noch kein Schluss auf eine verschiedene Entstehungszeit zu ziehen. Die Einheit der Scene darf nicht bezweifelt werden. Die Frage, wann sie entstanden sei, kann jetzt beantwortet werden. Entstehungszeit der Schuelerscene. Auch fuer die Schuelerscene bildet das Jahr 1772, die Beteiligung an den Frankfurter Gelehrten Anzeigen, die breite Grundlage. Sie gehoert also zugleich mit der Wagnerscene in engeren Zusammenhang mit den satirischen Dichtungen der Jahre 1773 und 1774. Man ist bei keiner Scene in groesserer Unklarheit ueber die Zeit der Entstehung gewesen als bei ihr. Schon Luden, in dem bekannten Gespraech mit Goethe,[421] glaubt, sie sei wegen ihrer unmittelbaren Anschauung des akademischen Lebens und Treibens in Goethes Universitaetsjahre zu setzen. Neuerdings hat Seuffert sie gar, besonders durch den Charakter ihres ersten Teiles verfuehrt, der Leipziger Zeit des Dichters zugewiesen[422]. Was zu dieser Annahme nicht recht passen will, wird dann nach bekannter Methode fuer spaeter an- und eingeflickt erklaert. Die Scene bietet aber gerade fuer die Leipziger Zeit den geringsten Anhalt. Der Student, wie er hier auftritt, geht in seinem wissenschaftlichen Streben, neben der Medizin vor allem die Natur des Alls zu erfassen, auf die Strassburger Zeit zurueck. Der Dichter sagt es zum Ueberfluss auch selbst. Fuer den derben Angriff auf das Professorentum und fuer den feinen, ironischen Spott auf die Universitaetsweisheit boten ihm aber das Kampfjahr 1772 und die daraus erwachsenen neuen Beziehungen eine reichere Fuelle von Stoff als ihm zugleich auf einer weniger hohen Entwicklungsstufe seine Studentenjahre haetten bieten koennen. Darum stehen auch Wagner- und Schuelerscene innerlich in engstem Zusammenhang. In beiden wird gegen die beschraenkte Schulweisheit und ihre starre Methode, die allem wahren Leben feind sind,[423] angekaempft; in der einen ist es Faust selbst, der mit heftigem, aber edlem Unwillen gegen jene geistlose Auffassung der Wissenschaft loszieht; in der andren der Teufel. Da herrscht natuerlich ein andrer Ton; der Schalk ists, der in lustiger Maskerade, erst mit derbem, dann mit feinem Scherze, den Professor des 18. Jahrhunderts durch den Ton und Inhalt seiner Worte aufs ergoetzlichste verhoehnt. Erst zuletzt wird auch dem Teufel sein Recht. Die Maske faellt, der Versucher steht da. Natuerlich ist nicht an eine Verhoehnung Fausts zu denken, weil er ja auch Professor ist[424]. Denn ueber seinen Standpunkt sind wir ja durch die unmittelbar vorhergehende Wagnerscene voellig im klaren. Die beiden Scenen sind also die wichtigsten Bruchstuecke der akademischen Satire, der urspruenglich, da durch sie der Hintergrund zu Fausts Streben gegeben war, ein breiterer Raum und eine groessere Bedeutung zugedacht war wie in der spaeteren Ausfuehrung. Endlich haette schon die Thatsache, dass Mephistopheles in unserer Scene auftritt, davor warnen muessen, sie einer allzufruehen Zeit zuzuweisen. Wie ausgezeichnet ist er gleich hier bei seinem ersten Auftreten charakterisiert! Scherz und Ironie sind seine Waffen; ueberlegener Verstand ist ihm gegeben, mit dem er die menschlichen Verkehrtheiten durchschaut und von Verachtung des Menschen erfuellt, nur das Schlechte in ihm aufregt, um ihn zu seinen Zwecken zu benutzen. Wie ganz und gar haelt sich dabei der Weltkluge in der Sphaere der Wirklichkeit! Welch ein Gegensatz zu Fausts maechtigem Gefuehl, das alle menschliche Beschraenkung zu durchbrechen sucht. Voellig klar ist ausserdem schon hier ausgesprochen, was der Teufel will. Der Schluss der Schuelerscene, wo er die Maske fuer uns ablegt, gibt uns einen Anhalt dafuer, wie er zu Faust gesprochen haette, wenn eine solche Scene im aeltesten Faust ausgefuehrt worden waere. Seine Forderung heisst: hinaus ins Leben! allerdings zu einem Leben in des Teufels Sinne, das den Menschen ins Verderben bringe; allein der Boden, auf den ihn der Teufel weist, ist doch derselbe, auf dem dem Menschen allein auch hoechstes Glueck und schliessliche Erloesung beschieden sind. Damit ist uns zugleich ein Ausblick eroeffnet auf die urspruengliche Art der Verbindung zwischen Teufel und Erdgeist. Dass sie in Verbindung standen, ist bekannt, geht aus der Dichtung selbst hervor. So wie spaeter Gott und Teufel einander gegenueber stehen und mit einander zusammenhaengen, so anfangs Erdgeist und Teufel. Der erstere war von dem Dichter als Geist des Lebens der Erde in jedem Sinne, auch im hoechsten des thaetigen Lebens gedacht. Faust hatte aber den ganzen ungeheuren Umfang seines Wesens noch nicht zu fassen vermocht. Mephistopheles ist nun auch ein Geist des Lebens, also auch im Erdgeist mit einbegriffen, wie Gutes und Boeses, Tod und Leben, Zerstoeren und Erschaffen in seinem Wesen sind, wie ja auch der Teufel in der Schoepfung Gottes enthalten ist. Das Leben aber, zu dem der Teufel verfuehrt, gruendet sich allein auf das Ausleben des Schlechten und Gemeinen, das in jedem Menschen wohnt, auf diesem Weg sucht er ihn zu verderben; er ist darum natuerlich der Feind jeder Erhebung, jedes Aufschwungs und jeder Begeisterung und hat gerade seine Freude, dem gestuerzten Titanen seine ganze Schwaeche und Ohnmacht zu zeigen, jede Erhebung zu verkuemmern und das Schlechte im Menschen zu staerken. Der kalte, gefuehllose Verstand ist ihm gegeben, dessen Hauch das warme Gefuehl im Herzen erstarren macht;[425] er ist also mit andren Worten der Widersacher, der im Innern des Menschen wohnt, sein Gefuehl erstickt, dem Trieb der Erhebung entgegenwirkt, indem er hoehnend auf das Unmoegliche weist, und ihn endlich dahin bringt, sich trotzig beim Gemeinen, Niedrigen, Schlechten zu beruhigen, es allein in sich zu naehren. Alles das glaubt der Teufel eben am besten im Strudel des Lebens erreichen zu koennen. Innerhalb des Wirklichen herrscht der Teufel, im Reich der Idee hat er keine Macht. Bei Faust war fuer ihn der Augenblick gekommen, da er vom Erdgeist verschmaeht war, an seiner Kraft, der Gottheit sich zu naehern verzweifelte, sein Geist, der nur noch die Ohnmacht und Schwaeche des menschlichen Geistes empfand, dem teuflischen glich und so ihn von selbst anzog. Den Versuch, Erdgeist und Teufel in dieser Weise mit einander in Verbindung zu bringen,[426] hat der Dichter bekanntlich spaeter--aber erst zur Zeit der dritten Beschaeftigung mit Faust--aufgegeben, offenbar weil sich keine allgemein fassliche Form dafuer bot, und er ist mit richtigem Gefuehl auf die uralte, zum Allgemeingut gewordene Anschauung zurueckgegangen, nach der Gott und Teufel es sind, die mit einander und gegen einander auf das Leben des Menschen einwirken. Die Scene ist also jedenfalls nicht ausser allem Zusammenhang gedichtet, sondern laesst uns ueberall die Faeden erkennen, die sie mit den uebrigen Teilen des Gedichtes verbindet; sie kann nur zu einer Zeit entstanden sein, wo dem Dichter bereits das Wesen des Erdgeistes und sein Verhaeltnis zum Teufel klar vor der Seele stand. Man wird darum schon aus diesem Grunde von allzufruehen Ansaetzen absehen muessen. Vor 1773 ist die Schuelerscene in keinem Falle gedichtet; es entsteht nun auch hier wieder die Frage, wie bei der Wagnerscene, ob 1773 oder 1774. Denn ueber 1774 hinauszugehen, haben wir keine Veranlassung. Eine bestimmte Entscheidung wird sich aber auch hier nicht treffen lassen. Wenn die Vermutung richtig ist, Bahrdt habe im ersten Teil der Scene zum Bilde des Professors gestanden, so wird dadurch ebenfalls nur bestaetigt, was aus dem uebrigen hervorgeht, sie sei 1773 oder 1774 entstanden. Eine scharf begrenzte Zeit wie beim ersten Monolog hebt sich also nicht heraus. Auch die Sprache gibt keinen sicheren Anhalt; Nachlaessigkeiten beweisen, dass auch hier die Feile fehlte; Vergl. noch V. 263: Sieht all so trocken ringsum aus. V. 336 f. von _aller_ Erden, von _allem_ Himmel und _all_ Natur,----V. 316 bekleiben; auch in den Biblischen Fragen d.j.G. 2. 232 unten und im Satyros a.a.O. 3. 493. 3. Die Scene in Auerbachs Keller. Die Scene in Auerbachs Keller muss ebenfalls in den Zusammenhang der akademisch-satirischen Scenen mit einbezogen werden; sie unterscheidet sich jedoch von den beiden im aeltesten Faust unmittelbar vorhergehenden, die, wie wir gesehen, den gleichen Zweck haben, Verkehrtheiten der Wissenschaft und ihrer Vertreter zu verspotten. Ein Bild studentischen Lebens und Treibens, wie es sich auf dem Boden der Kneipe abspielt, entrollt sie vor unseren Augen. Die Satire ist aber hier nicht feindselig; keinem Gegner ist sie in den Mund gelegt; sie ergibt sich hier ganz von selbst aus dem dramatisch bewegten Gemaelde, das von dem Dichter entworfen ist. Das Leben und Treiben dieser Gesellen spielt sich vor unseren Augen ab. Unsere Scene ist also durchaus dramatisch gehalten und ganz anderer Art als die beiden Kampfdialoge, in denen immer der eine der Unterredner eine sehr untergeordnete Rolle spielte. Ein weiterer Unterschied ist: wir bewegen uns hier wieder voellig auf dem Boden der Sage, aber der Dichter hat es dabei nicht noetig gehabt, seinem modernen Empfinden Zugestaendnisse zu machen. Faust mit seinen teuflischen Kunststuecken, der Ort der Handlung, der Verkehr mit Studenten, der Fassritt, alles zusammen gehoert der Ueberlieferung an. Aus diesen ueberlieferten Elementen hat der Dichter eine ganz eigenartige Scene geschaffen; vielleicht hat auch eine Fassung des Volksschauspiels bereits eine Auerbachscene erhalten,[427] die dann den unmittelbaren Anstoss zu der unseren gegeben haette. Sie gewaehrt also ein in jeder Beziehung von den uebrigen verschiedenes Bild; die erste Hauptmasse ist mehr lyrisch gehalten; die beiden folgenden Scenen sind polemisch-didaktisch, diese ist dramatisch, wie die Scenen des Goetz, im Geiste Shakespeares. Der Anfang ist in Versen; aber eigentuemlicher Weise, sobald es nicht mehr die Empfindung ist, die sich im wechselnden Rythmus zum Ausdruck bringt, nicht mehr satirische Polemik, die das Mass der Fastnachtsspiele annimmt, sobald das dramatische Element zum Durchbruch kommt, da tritt nach den ersten wenigen Versen wie von selbst die Prosa hervor, in die sich im Anfang der Frankfurter Zeit der Goetz gekleidet hatte, an ihrem Ende der Egmont kleiden sollte. Dieser Uebergang aus dem Reimvers in die Prosa ist auch deshalb von Bedeutung, weil wir wohl daraus den Schluss ziehen duerfen, die Auerbachscene sei die erste der Prosascenen im Faust. Denn waere schon eine solche niedergeschrieben gewesen, so haette Goethe wohl nicht erst den Versuch gemacht, eine dramatisch so bewegte Scene in Verse zu fassen. Wir treten mit ihr zugleich in eine neue Sphaere des Dramas; denn wir treffen hier Faust auf der ersten Station seiner Weltfahrt, die er mit Mephistopheles unternimmt. Der Faden der Handlung ist also auch hier weitergesponnen. Mephistopheles hat, wie wir es schon in der Schuelerscene aus seinem Verhalten zu dem Studenten entnehmen duerfen, Faust nach dem Scheitern aller seiner hohen Plaene aufgefordert, sich mit ihm in die Welt, in das Leben zu begeben. Die Welt, in die er ihn zuerst fuehrt, ist die, die der junge Dichter aus eigener Erfahrung kannte: zunaechst die kleine des studentischen Treibens. Von seinem spaeteren Standpunkt aus hat er darum nicht mit Unrecht, jene Sphaere, in die er seinen Helden versetzt hatte, eine kuemmerliche genannt. Nach dem ganzen Inhalt der Scene werden wir bei der Frage nach den Entstehungsmotiven mehr auf die Suche nach aeusserer als innerer Erfahrung gewiesen, die sich dann mit dem Ueberlieferten zu einem Ganzen verband; indes selbst hier, wo man es doch am wenigsten erwarten sollte, hat auch das innere Leben des Dichters mitgearbeitet. Im ersten Teil, bis zum Auftreten von Faust und Mephistopheles, will das rohe Treiben der Studenten anfangs nicht recht in Gang kommen; endlich versuchen sies mit Singen: verschiedene Lieder werden angestimmt, keines findet Beifall, bis Frosch das Lied von der Ratte singt, dessen Rundreim vom Chor mitgesungen wird. Hierbei hat nun offenbar der Dichter in der Person Siebels, der, von seiner Geliebten verschmaeht und in seinem Ehrgeiz gekraenkt, seinem Unmut in Wendungen Shakespearischer Art Luft macht, mit dem Rattenliede, das den ungluecklich Liebenden im Bilde der vergifteten Ratte darstellt, deren Schmerzen die Vergifterin lachend zusieht, und in der Art, wie Siebel seine Teilnahme mit jener zu erkennen gibt, seine eigene unglueckliche Stimmung in der Zeit seiner Liebe zu Lili verspottet. Diese Annahme wird durch eine Stelle aus einem Briefe an die Graefin Auguste Stolberg vom 17. September 1775 bestaetigt, wo er, wie man schon laengst gesehen,[428] das peinigende Gefuehl seiner ungluecklichen Liebe in aehnlicher Weise vergleicht: "Mir wars in all dem, wie einer Ratte, die Gift gefressen hat, sie laeuft in alle Loecher, schluerft alle Feuchtigkeit, verschlingt alles Essbare, das ihr in Weg kommt, und ihr Inneres glueht vor unausloeschlich verderblichem Feuer[429].", Wie hier und im Liede unter dem Bild der Ratte der ungluecklich Liebende verborgen ist, so in dem Gedichte Lilis Park, das aehnlicher Stimmung entsprungen ist, unter dem des Baeren, der allerdings seine menschliche Natur nicht verleugnen kann. Er ist wirklich vom Zauber der Liebe ergriffen, der aber aehnlich wie Gift auf ihn einwirkt: Ich arbeite mich ab, und bin ich matt genung, Dann lieg ich an gekuenstelten Kaskaden, Und kau und wein und waelze halb mich tot,----[430] Die Geliebte hat aber ihren Scherz mit ihm: So treibt sies fort mit Spiel und Lachen;[431] * * * Ha! manchmal laesst sie mir die Thuer halboffen stehn, Seitblickt mich spottend an, ob ich nicht fliehen will[432]. Das Spottlied ist verklungen, Siebel, der die Beziehung zu seinem Zustand wohl herausgefuehlt hat, darob verspottet, da treten Faust und Mephistopheles ein. Die Burschen stellen ihre Vermutungen ueber sie an; dann versuchen sie es, die neu Angekommenen aufzuziehen, und laden sie schliesslich zu ihrem Trinkgelage ein. Auch dieser zweite Teil gipfelt in einem Liede, zu dem Mephistopheles aufgefordert wird. Der Teufel, der, wie er vorgibt, aus dem Lande Krugantinos kommt, ist dazu gleich bereit. Er singt das Lied vom Floh, der Guenstling am Hofe geworden; alle Hoeflinge muessen darum seine Eigenheit ertragen, keiner darf sich, was doch sonst jedem erlaubt ist, seiner erwehren. Wir duerfen nun selbst hierbei nach der Beziehung zu dem Leben des Dichters fragen. Am 11. Dezember 1774 hatte ihn Knebel, der Erzieher des Prinzen Konstantin von Weimar besucht und ihn dazu vermocht, sich den beiden Weimarischen Prinzen, die in Frankfurt angekommen waren, vorzustellen; am 13. Dez. folgte er ihnen mit Knebel nach Mainz nach[433]. Seit dieser Zeit sind Goethes Blicke nach Weimar gerichtet; Knebel ist es, durch den er mit dem dortigen Hofe Fuehlung zu behalten sucht[434]. In Goethes Vaterhause entspinnt sich aber seit diesem Besuche ein eigentuemlicher Streit. Dem Sohn war die Aussicht auf den Hofdienst eroeffnet, der Vater wollte davon nichts wissen und gab seine Abneigung durch volkstuemliche Redensarten kund; der Sohn blieb ihm aber die Entgegnung nicht schuldig. Daraus entsprangen dem Dichter kleine Dialoge, die diesen Gegensatz behandeln, und von denen er einige in seiner Lebensgeschichte mitgeteilt hat. Zu ihnen gehoert z.B. der Reim: Willst du die Not des Hofes schauen! Da wo dichs juckt, darfst du nicht krauen![435] Der Zusammenhang mit dem Flohlied tritt deutlich zu Tage; es ist offenbar nur ein Niederschlag der kleinen Streitigkeiten, die damals in Goethes Vaterhause an der Tagesordnung waren, da der fuerstliche Besuch dem Sohn auf Bahnen, die den Wuenschen des Vaters nicht entsprachen, eine lockende Aussicht eroeffnete. Das Flohlied ist der Hoehepunkt des zweiten Teils der Scene, in der Mephistopheles eine Hauptrolle spielt, waehrend Faust, der keine Stimme hat, ganz zuruecktritt. In dem folgendem Teil tritt dagegen Faust hervor und zwar als der Zauberer der Sage, der unter hoellischer Mitwirkung zum ersten Mal seine Zauberkuenste versucht. Der Teufel hat mit dem Liede seinen Beitrag zu der Gesellschaft geliefert, Faust thuts, indem er den Wein herbeischafft[436]. Alle Wuensche sind befriedigt, da verraet sich durch Siebels Unvorsichtigkeit der hoellische Spuk. Alle wollen ueber den Zauberer her; allein der verblendet sie so, dass sie sich in ihrem Wahn mit komischen Gebaerden einander zuwenden[437]. Faust bricht endlich den Zauber und entfernt sich mit Mephistopheles; einer hat ihn sogar auf einem Fass hinausreiten sehen[438]. In komischer Angst brechen dann auch die Gesellen auf, nicht ohne dass Siebel noch einmal nachsieht, ob nicht doch der Wein noch laufe. Entstehungszeit der Scene in Auerbachs Keller. Die Frage, wann diese Scene gedichtet sei, laesst sich leicht und sicher beantworten. Zunaechst gibt uns das das Flohlied einen deutlichen Fingerzeig; es kann nicht vor dem 11. Dezember 1774 entstanden sein; denn erst seit dieser Zeit war dem Dichter die Aussicht auf den Hofdienst eroeffnet worden, hatte der Gedanke daran fuer ihn Bedeutung gewonnen. P. Hoffmann hat nachgewiesen, dass das Goethische Lied mit Schubarts Fabel ohne Moral: Der Hahn und der Adler in Zusammenhang steht[439]. Die Rolle, die bei Goethe der Floh spielt, hat bei Schubart weniger geeignet der Hahn ein. Goethe hat sich nicht gescheut, hier mit volkstuemlichen Scherze in Fischarts Geiste zu aendern. Schubarts Fabel erschien im 7. Stueck der Deutschen Chronik Bd. 1. S. 55 f. vom 21. April 1774. Jedenfalls ist also nach diesem Zeitpunkt und auch nicht eher als bis das Thema fuer den Dichter eine Beziehung erhalten hatte, das Flohlied gedichtet. Einen weiteren Anhalt geben das Rattenlied und die ihm unmittelbar folgenden und vorausgehenden Auslassungen; sie fuehren uns mitten hinein in die Lilische Epoche, wie Fritz Jacobi einmal die Zeit von Goethes Liebe zu Lili Schoenemann genannt hat[440]. Wann er aber solcher Stimmung war, dass er sich durch bittere Selbstverspottung von der Qual seines Zustandes zu befreien suchte, das zeigt die angefuehrte Briefstelle vom 17. September 1775. Es sind die letzten Wochen vor seiner Flucht nach Weimar, in denen seine Pein auf das hoechste gestiegen war. Vergebens war er im Sommer in die Schweiz geflohen[441]. Mit der Rueckkehr begann auch der jaehe Wechsel in der Stimmung, das Zweifeln und Quaelen, die schwebende Pein wieder. Die Briefe an die Graefin Stolberg geben davon beredtes Zeugnis[442]. Ihren Hoehepunkt erreichten die qualvollen Kaempfe im Herzen des Dichters mit der Herbstmesse[443]. Damals ist das mit dem Rattenlied stimmungsverwandte Gedicht Lilis Park entstanden, das "mit genialer Heftigkeit das Widerwaertige erhoeht und durch komisch-aergerliche Bilder das Entsagen in Verzweiflung umzuwandeln trachtet"[444]. Es ist uns nur in seiner spaeteren Fassung erhalten; von der frueheren duerfen wir wohl annehmen, dass sie den Scherz noch derber aufgetragen habe und auch dadurch dem Rattenlied verwandt gewesen sei. Alles draengt uns so zu der Annahme, unsere Scene sei im September 1775 geschrieben. Nun enthaelt Goethes Brief vom 17. September die Angabe: "Ist der Tag leidlich und stumpf herumgegangen; da ich aufstund, war mir gut, ich machte eine Scene an meinem Faust". Nachdem er dann berichtet, was er weiterhin getrieben habe, folgt die angefuehrte Umschreibung des Rattenliedes. Man hat daher allgemein sich zu der Ansicht erklaert, die Scene in Auerbachs Keller sei in der Morgenfruehe des 17. September 1775 gedichtet[445]. Neuerdings wird diese Vermutung bezweifelt, so von E. Schmidt,[446] weil Goethes Improvisation auf dem Zuerchersee am 15. Juni 1775. Ohne Wein kanns uns auf Erden Nimmer wie dreihundert werden[447]... nur aus dem Rundreim: Uns ist gar kannibalisch wohl Als wie fuenfhundert Saeuen! zu verstehen sei. Allein jener Scherz, der doch gewiss nicht darauf berechnet war, mit unserer Scene in der Hand aufgenommen zu werden, beruht hier wie dort auf einer volkstuemlichen Wendung, die dem Dichter jederzeit gelaeufig war. Die Auslassung in jener ersten Fassung ist selbst ein Scherz; die Ergaenzung selbstverstaendlich[448]. Ausserdem ist nicht zu verkennen, dass wir es an beiden Stellen mit weiter nichts zu thun haben als mit einer Umschreibung des ebenso volksbeliebten Ausdrucks "sauwohl", den Goethe gerade in dem Tagebuch der Schweizerreise verschiedentlich anwendet[449]. Eine uebermuetig lustige Stimmung, nur selten gemischt mit der Erinnerung an sein Weh, spricht uns aus den wenigen abgerissenen Blaettern dieses Tagebuchs an; noch spaeter konnte er mit ihnen seiner Schilderung der Reise frische Unmittelbarkeit und Lebendigkeit geben[450]. Doch mag eine andere Beziehung zwischen jenen Reiseaufzeichnungen und der Scene in Auerbachs Keller obwalten. Ist es nicht moeglich, dass die noch frische Erinnerung an die tollen laermenden Stunden, die er mit seinen Reisegesellen erlebt, so dass es denn einmal heisst: "Gejauchzt bis 12"[451] mit dazu beigetragen habe, dem laermenden, albernen Treiben der Studenten in Auerbachs Keller die Farbe des Lebens zu verleihen? Man denke auch an die Wirtshausscene in Mannheim, die sich gleich beim Antritt der Reise zwischen Goethe und den beiden Grafen Stolberg abspielte[452]. Einer von ihnen, Fritz Stolberg, war dazu in aehnlicher Lage wie Goethe;[453] auch er konnte also zu dem komischen Bilde Siebels beisteuern. Der burschikose Ton, der unter ihnen geherrscht haben muss, ist uns noch heute vernehmbar, wenn wir den Brief vom 4. Oktober 1775 lesen, den Goethe nach der Reise an Fr. L. von Stolberg und Genossen geschrieben hat[454]. Merck hatte ihn vorher gewarnt und gar manchmal bildete er sich ein, der Darmstaedter Freund zupfe ihn am Kragen[455]. Der Dichter brauchte also nur den Ton ihres gemeinsamen Treibens etwas niedriger zu stimmen, die Farbe etwas derber aufzutragen; auch Erinnerungen an studentisches Unwesen, wie er es selbst, zuletzt noch im Sommer 1772 in Giessen, gesehen hatte, moegen Anteil an unserer Scene haben; auch darueber hatte Merck bekanntlich seinen groessten Abscheu bezeugt[457]. Ueber die Entstehungszeit der Scene besteht demnach kein Zweifel. Sie gehoert in die zweite dramatische Epoche des jungen Goethe der Frankfurter Jahre. Shakespeares Geist schwebt ueber ihr; wir spueren die Naehe des Egmont, der sich damals ebenfalls bildete. Sie zeigt uns den Uebergang von dem Vers der satirischen Dialoge zu der Prosa dramatisch bewegter Handlung, fuer die der Dichter erst spaeter die entsprechende metrische Form fand. Die Scene ist jedenfalls nach der Schweizerreise gedichtet mit grosser Wahrscheinlichkeit im September 1775. Es ist darum ganz entsprechend, den 17. September als den Tag ihrer Entstehung anzunehmen, obwohl der Beweis dafuer nicht mit voelliger Sicherheit erbracht werden kann. Man koennte vielleicht einwenden, die Lieder auf die sich die Zeitberechnung vor allem stuetzt, seien vor der Ausbildung der Scene selbst gedichtet; aber dann waere das Rattenlied im September verfasst, und die Scene koennte dann nicht viel spaeter entstanden sein. Voellig verkehrt waere aber anzunehmen, die Lieder seien etwa nachtraeglich in die Scene eingetragen worden; denn die beiden ersten Teile derselben verlangen von Anfang an durchaus die Lieder und verloeren ohne sie ihren inneren Zusammenhang[458]. Nach alledem sind wir zu der Annahme berechtigt, dass die Scene in Auerbachs Keller im September 1775, vielleicht in der Morgenfruehe des 17. September vom Dichter mit rascher, gluecklicher Hand hingeworfen sei. * * * * * FUSSNOTEN: [212] Vergl. meine Doktordissertation: Untersuchungen ueber Goethes Faust I. Der erste Monolog und die Erdgeistscene. Giessen 1892. [213] S. a.a.O. S. 7. [214] D.W. T. 4. B. 18. W. Bd. 29. S. 83 f. [215] a.a.O. T. 2. B. 6. Bd. 27. S. 15. [216] Scherer. Aus Goethes Fruehzeit. S. 74. [217] D.j.G. 2. 28. [218] a.a.O. 3. 449. [219] a.a.O. 3. 322. [220] Ein fuer Wagner hoechst charakteristischer Zug, der ihn sofort im Gegensatz zu Faust erscheinen laesst. W. kennt keine andere Begeisterung als am fremden Feuer; und auch sie ist ihm nichts weiter als eine nuetzliche Schuluebung. Dasselbe setzt er auch ohne weiteres bei seinem Herrn voraus. [221] D.j.G. 3. 686. [222] a.a.O. S. 687. [223] Paralip. 1 zu Faust. (W. 14. S. 287.) [224] Von gleicher Verachtung fuer eine Dichtung, die eigens fuer die Buehne schreibt, um durch ihre aeusserlichen Mittel zu wirken, schreibt Goethe im Anhang zu Mercier a.a.O. S. 687: "Wer uebrigens eigentlich fuer die Buehne arbeiten will, studiere die Buehne, Wirkung der Fernemalerei, der Lichter, der Schminke, Glanzleinewand und Flittern, lasse die Natur an ihrem Ort, und bedenke ja fleissig, nichts anzulegen, als was sich auf Brettern zwischen Latten, Pappendeckel und Leinwand, _durch Puppen_, vor Kindern ausfuehren laesst." [225] Vergl. Andreae bei Herder W. 11, S. 118: Drum wuensch ich, dass all meine G'sellen Ihn'n auch abtrennen lan die Schellen. [226] Ganz anders dachte bezeichnender Weise z.B. Bahrdt ueber Deklamation und Aktion; Leben. 2, S. 148.--Ueber die beruechtigte Stelle seiner Homiletik (1773) und die Beziehung, die unsere Stelle offenbar darauf haben muss. [227] Vergl. auch Sauers Einleitung zu den Stuermern und Draengern, Kuerschner, Deutsche Nationallitt. Bd. 79 I. S. 33 f. [228] D.j.G. 3. 686. [229] a.a.O. 2. 40. [230] a.a.O. 3. 686. [231] a.a.O. 3. 245. [232] a.a.O. 2. 212. [233] Br. 2. Nr. 338. S. 282. [234] Paralip. 1. W. 14. S. 287. [235] Vergl. Dauer im Wechsel. (W. 1. S. 120.) zur Zeit der dritten Beschaeftigung mit Faust gedichtet. [236] Schon im Journal der Reise von 1769: Sich vor einer Gewohnheits- und Kanzelsprache in Acht zu nehmen, immer auf die Zuhoerer sehen, fuer die man redet, sich immer in die Situation einpassen, in der man die Religion sehen will, immer fuer den Geist und das Herz reden: Das muss Gewalt ueber die Seelen geben! oder nichts gibts! Hier ist die vornehmste Stelle, wo sich ein Prediger wuerdig zeigt. Hier ruhen die Staebe seiner Macht.--W. Bd. 4. S. 370. [237] Herders Ansichten in dieser Sache hatte Goethe bereits in Strassburg erfahren, wo er auch Gelegenheit hatte, die Art seines Vortrages kennen zu lernen. Er schreibt darueber: Seine Art zu lesen war ganz eigen; wer ihn predigen gehoert hat, wird sich davon einen Begriff machen koennen. Er trug alles ernst und schlicht vor; voellig entfernt von aller dramatisch-mimischen Darstellung, vermied er sogar jene Mannigfaltigkeit, die bei einem epischen Vortrag nicht allein erlaubt ist, sondern wohl gefordert wird: eine geringe Abwechselung des Tons u.s.w. (D.W. T. 2. Bd. 10. W. 27. S. 341.)--Ueber den Geist, der in dieser Hinsicht im Strassburger Kreise herrschte, berichtet er mit Anfuehrung der alten Lesart aus der Wagnerscene: "Schon frueher und wiederholt auf die Natur gewiesen wollten wir daher nichts gelten lassen als Wahrheit und Aufrichtigkeit des Gefuehls, und der rasche derbe Ausdruck desselben, "Freundschaft, Liebe, Bruederschaft, Traegt die sich nicht von selber vor? "war Losung und Feldgeschrei, woran sich die Glieder unserer kleinen akademischen Horde zu erkennen und zu erquicken pflegten." (a.a.O. T. 3. B. 11. W.B. 28. S. 57.) Herders Fragmente las er in Wetzlar zum ersten Mal und nichts genoss er daraus inniger, "als das wie Gedank und Empfindung den Ausdruck bildet." (Br. 2. N. 88. an Herder Mitte Juli 1772. S. 18.) [238] F.G.A. N. 60. den 28. Juli 1872--S. 392. Z. 25 ff.--393. 3. ff. 22 ff.--Vergl. Haym, Herder Bd. 1. S. 601 ff. [239] Vergl. noch a.a.O. S. 393. 26 f. 35 f. 395. 15. [240] Thomas, essais sur le caractere etc.--Die Rezension wird von R. Steig, Vierteljahrschr. f. Litt.-Gesch. 5, 223 ff. fuer Herder nicht in Anspruch genommen. [241] a.a.O. S. 666. [242] W. Bd. 7. S. 219. [243] Vergl. noch D.j.G. 2. 216. v. d. Hellen, S. 49. Br. 2. N. 216. S. 155. [244] D.j.G. 3. 207. vergl. auch 2. 202 f. [245] Br. 2. 266 a. S. 327. [246] Ein Ton, den besonders Voltaire angeschlagen hatte; vergl. z.B. 15. Haym, Herder Bd. 1. S. 544. [247] F.G.A. S. 222. 18 ff. (Vergl. auch 223. 36 ff. N. 24. den 28. April 1772.) [248] a.a.O. S. 271. 6 ff. (N. 41. den 22. Mai 1872.) Die Abneigung, in diesen Geheimnissen zu lesen, ist Goethe zeitlebens geblieben; vergl. das Gespraech mit Luden vom 19. August 1806. (Gespr. 2. S. 82.) [249] a.a.O. S. 270. 7 ff. [250] a.a.O. S. 295. 5 ff. [251] a.a.O. S. 321. 6 f. (Nr. 49. den 19. Juni 1772.) [252] D.j.G. 2. 206 ff. [253] Noch 1776 klingt dies Thema nach und an die Fauststelle an in dem Schreiben an Herder, da es sich um seine Berufung nach Weimar handelte: Und im Grund weder Luther noch Christ Im mindesten hier gemeinet ist, Sondern was in dem Schoepsen-Geist Eben lutherisch und christlich heisst. Br. 3. N. 404 vor 20. Februar 1776? S. 33. 5 ff. [254] F.G.A. S. 453. 35 ff. (N. 69. den 23. August 1772.) [255] a.a. O. S. 455. 36.--Vergl. auch Hamann 2. S. 289. [256] a.a.O. S. 356. 2. (N. 54. den 7. Juli 1772.) [257] a.a.O. S. 482. 36. (N. 73. den 11. September 1772.) [258] Vergl. die oben angefuehrte Stelle. (F.G.A. S. 222. 32 f.) [259] a.a.O. S. 553. 20 ff. (N. 54 den 7. Juli 1772.) [260] a.a.O. S. 354 35 ff. [261] a.a.O. S. 230. 28 ff. (N. 35. den 1. Mai 1772.) [262] a.a.O. N. 355. 37 f. [263] a.a.O. S. 490. (N. 74. den 15. September 1872.)--vielleicht auch S. 477. 4 f. (N. 72. den 8. Sept. 1772.) [264] D.j.G. 2. S. 391.--Noch spaeter nennt er in der Farbenlehre bei der Charakteristik des 18. Jahrhunderts es das selbstkluge. [265] W. Bd. 6. S. 203 f. [266] Vergl. Suphan in der Vierteljahrschr. f. Litt.-Gesch. Bd. 1. S. 527. [267] In den Zusaetzen zum dritten Abschnitte;--vergl. Haym, Herder, Bd. 1. S. 538 ff. [268] W. Bd. 28. S. 281. [269] D. W. am Anfange des 17. B. W. Bd. 29. S. 37. [270] B. 7. W. Bd. 27. S. 146. [271] Von 1765. S. 128-131.--Die "bedeutende" Stelle ist von Heyne. [272] W. Bd. 27. S. 226 f. [273] a.a.O. S. 682 ff. (N. 103. den 25. Dez. 1772 u. 104 den 29. Dez.). Das Werk heisst: Erfahrungen und Untersuchungen ueber den Menschen.--(Vergl. auch Scherer in der Einl. S. XC.) [274] a.a.O. S. 688. 4 ff. [275] D.j.G. 2. S. 226. Vergl. auch 3. S. 439. die Verse im ewigen Juden: Es waren, die den Vater auch gekannt. Wo sind sie denn? Eh, man hat sie verbrannt. --und Br. 2. N. 270. vom 23. Dez. 1774. S. 218. 7 ff.--Der junge G. hat also doch "thoericht" geschrieben, (V. 238 = 591.) und nicht "kuehn", wie Vischer, G. Faust, N. Beitraege u.s.w. N. 272 annahm. Es ist aber ja gar nicht so boes gemeint, dass er Vischers Strafrede verdient haette. [276] D.j.G. 2. S. 16 ff. [277] Vergl. Rosenkranz, G. u. seine Werke, Koenigsberg 1847. S. 406.--Der nuechterne Verstand, der doch fuer die Aermlichkeiten seiner Forschung schwaermen kann, u.s.w. [278] So Herder in den F.G.A. S. 456. 34. [279] Herder W. 1. S. 256. [280] Goethe Br. 2. Nr. 85. (Ende 1771.) S. 12. 14 ff. [281] W. Bd. 28. S. 161. (D. W. 37. B. 12.) [282] Vergl. auch Br. 2. N. 116. vom 25. Dez. 1772. S. 51. 4 ff. [283] Neudruck S. 63. 24 ff.: solch ein Bursch, den die lungensuechtigste Imagination nicht krueppelhafter zusammenstoppeln kann das non plus ultra von Armseligkeit, der Plauderer, Nichtswisser; die Nachlese des menschlichen Verstandes!--s. G. J. 1. 181.--Noch schaerfer nimmt ihn Mueller von Itzehoe in seinem Roman Siegfried von Lindenberg (Kuerschner Bd. 57. S. 360 f.) vor:----Der Lumpensammler am Parnass, der ohne Unterlass vor den Thueren der Gelehrten herumschleicht, und hinter ihren Gaerten, dort das Kehricht, und hier den Misthaufen durchwuehlet, ob er irgend einen kassierten Brouillon oder sonst einen verworfenen Lumpen von einem Gedicht aufstoebern kann u.s.w. [284] Das hat im Grunde Weisse, Kritik und Erklaerung des G.F. Leipzig 1837. S. 85 schon richtig erkannt, wenn er in unserer Scene bei aller schlagenden Kraft und epigrammatischen Schaerfe im Grunde nur die Gemeinplaetze der sogenannten Genieperiode findet. [285] Man darf auch die erste Scene von Erwin und Elmire zum Vergleiche herbeiziehen, in der Olympia mit unmutigem Eifer die moderne Erziehung bekaempft und alle Einwendungen ihrer Tochter zurueckweist; (z.B. die Art des Einwands d.j.G. 3. 508. Unsre Kenntnisse, unsre Talente!). Erwin reicht in seinen Anfaengen bekanntlich bis 1773 zurueck. [286] Gegen die aeusserliche Verwendung der Parallelstellen wendet sich mit Recht z.B. Braitmaier Goethekult. u. Goethephilologie, Tuebingen 1892. S. 23. [287] G. J. 6. S. 309. u. V. J. Schr. f. Litt.-gesch. 1. S. 525 ff. [288] W. Bd. 7. S. 304 unten.--Vergl. auch Huther, Herder im Faust, (Z. f. d. Ph. Bd. 21. S. 329 f.) der ganz irrig von gekraeuseltem _Schnitzel_werke spricht und in Folge dessen den Ausdruck voellig falsch erklaert. [289] Noch deutlicher ist das Bild in den Entwuerfen von 1773. Bd. 7. S. 189: Moeglich? ich glaube vielmehr, es waere die einzige wahre, wenn sie uns nicht gerade abgekehrt und das gekreiselte, schwache Schnitzwerk der Philosophie, an dem uns aber das rechte Gefaess gerade vor der Hand abbricht, uns vorstuende. [290] Vergl. auch Koegel in der Viertelj.-schr. f. Litt.-gesch. 1. S. 60. [291] W. 1. S. 365. [292] Auch eine Phil. d. Gesch. u.s.w. Hempel. W. B. 21. S. 159. [293] Br. 3, N. 514. vom 16. Sept. 1776. S. 111. [294] Br. 3. N. 729 vom 5. Aug. 1778.--S. 238.-- [295] Wagner 1. S. 188. 290. 339. [296] Wieland an Merck am 3. Aug. 1872. [297] D.j.G. 1. S. 116 u. W. Bd. 9. V. 53. S. 5. [298] Br. 2. N. 272. S. 221. [299] v.d.H. S. 207. [300] D.j.G. 3. S. 580. [301] F.G.A. S. 540. 9. (N. 82. den 13. Okt. 1772.) [302] D.j.G. 2. S. 209. [303] Br. 1. N. 51. S. 200. [304] Vergl. auch die wohl auch Goethische Wendung: den Sand aufgeraffter Formeln und Floskeln gaffenden Juenglingen vom Katheder ins Gesicht werfen. (F.G.A. S. 426. 34 ff. N. 65. den 14. Aug. 1772.) [305] W. Bd. 7. S. 219. [306] D. W. T. 2. Bd. 10. (W. Bd. 27. S. 541.) [307] V.-j.-schr. f. Litt.-gesch. Bd. 1. S. 528. [308] F.G.A. S. 271. 6 ff. [309] W. 2. S. 19. [310] S. 18. [311] Ein abschreckendes Beispiel jener Sucht, ueberall angebliche Parallelstellen aufzuspueren, die dem Dichter natuerlich bei seinem Werke vorgeschwebt haben, auf die man hin kecklich die Entstehungszeit ganzer Scenen festsetzt, gibt Huther in dem oben angefuehrten Aufsatze. Er versteigt sich zu der Behauptung: der Dichter dramatisiert von hier an bis zum Ende der ganzen Scene die von Herder in den Provinzialblaettern gefuehrte Polemik gegen den von Spalding in dessen Buch von der Nutzbarkeit des Predigtamtes vertretenen theologischen Rationalismus u.s.w. (a.a.O. S. 330.). Aehnlich macht es z.B. auch Biedermann mit dem Satyros; Stellen Basedowscher Schriften sind nach ihm die Vorlage fuer einzelne und darunter gerade die schoensten und empfundensten Stellen jener Dichtung. Geht das so fort mit dieser klaeglichen, ganz undichterischen Auffassung der Werke unseres Dichters, so ist er bald nur noch als der zu betrachten, der eine Reihe Prosaschriften der Zeit in schoene Verse gebracht! [312] an W. v. Humboldt d. 17. Maerz 1832. [313] F.G.A. S. 579 unten u. 580. 1 ff. (N. 88 d. 3. Nov. 1772.) [314] Vergl. meine Dissertation S. 76 ff. [315] V. 1770-1867. [316] V. 249-266 = 1868-1895. [317] Vergl. V. 403. [318] Darum hat auch spaeter, nachdem der erste Teil gestrichen war, diese Frage (V. 196 f.), die dadurch am Ende der Einleitung steht, dort keine rechte Stelle mehr und ihre alte Bedeutung damit eingebuesst. [319] Goethes F. in urspruenglicher Gestalt u.s.w. S. XXV.--Aehnlich auch Weltrich, wenn er den Witz hier studentisch gruen nennt (Magazin fuer d. Litt. d. In- u. Ausl. Jahrg. 57. (1888.) S. 254). Vergl. ferner Seuffert Vj.-schr. f. Litt.-gesch. 4. 340. [320] E. Schmidt: ebenda. [321] Grenzboten, Jahrg. 46 (1887) 4. S. 16 (K. Fr. Bahrdt). [322] Laus Metaphysices in consessu Metaphysicorum recitanda; ebenfalls in einer Form abgefasst, die in den Kaempfen des Humanismus und der Reformation viel gebraucht worden war. Ueber Klotz vergl. z.B. Ebeling, Geschichte der Komischen Litteratur in Deutschland seit der Mitte des 18. Jahrhunderts Bd. 1. S. 210 ff. [323] Ein bezeichnendes Beispiel dazu ist seine "laecherliche Nachahmung des Winckelmannischen Enthusiasmus bei der Bewunderung der Venus Kallipygos!" (Lessing, Entwuerfe zur Fortsetzung der Briefe antiquarischen Inhalts Nr. XCV; W. Bd. 13. Hempel.) [324] Prutz in Raumers Historischen Taschenbuch 1850. S. 662. [325] S. 284 f. Nr. 43. den 29. Mai 1772. [326] S. 670 f. Nr. 101. den 18. Dezember 1772. [327] W. Bd. 4. S. 3 ff. vergl. Haym, Herder u.s.w. Berlin 1880. Bd. 1. S. 248 ff. [328] S. 297 f. N. 45. den 5. Juni 1772; vergl. Scherer S. LXXXI. [329] Ebeling a.a.O. S. 402.--E. Schmidt in d. Allgem. Deutschen Biographie. [330] D.W. T. 3. B. 14. W. Bd. 28. S. 294 ff. [331] D.W. T. 3. B. 13. W. Bd. 28. S. 186. [332] Vergl. Kawerau a.a.O. S. 17. [333] K. Fr. Bahrdt, Geschichte seines Lebens u.s.w. 1. 387. [334] a.a.O. 2. 7. [335] Vergl. v. Gehrens Artikel bei Ersch und Gruber u. besonders Erhards Anmerkung ueber die Erfurter Zeit. [336] Bahrdt, Gesch. s. Lebens u.s.w. Bd. 2. S. 32. [337] a.a.O. S. 182 f. [338] Br. an Bahrdt. 1. 168 f. Vergl. Scherers Einl. zu Seufferts Neudruck der F.G.A. S. XLVIII ff. [339] S. 29 ff. N. 5 d. 17. Januar 1772. [340] a.a.O. S. XLIX. [341] a. a. O. S. XVII. [342] N. 49 den 19. Juni 1772. [343] Scherer S. LXXXII denkt an Herder; vergl. Minor Studien 110 f. Steig in der Vjschr. f. Litteraturgesch. 5. 223 weist sie dagegen Herder nicht zu. [344] a.a.O. S. 319. Z. 32 ff. [345] Leben 2. S. 244; ueber den Jahrgang 1773 der F.G.A. vergl. Scherer a.a.O. S. LXXIV. [346] Frank in Raumers Histor. Taschenbuche 1866. S. 232. [347] Briefe an B. 2. 157 f. 172. [348] Vergl. auch Lebensgesch. 2. S. 149. [349] D.j.G. 2. 380 ff.; vergl. D.W. T. 3. B. 13. W. 28. S. 236. [350] Aus Goethes Fruehzeit, S. 34 f.; dazu F.G.A. S. XXX. Der Marktschreier ist dann aber Deinet, nicht aber der Giessener Schmid, der nur unter der Maske des Wagenschmiermanns zu suchen ist. [351] D.W. T. 3. B. 14. W. 28. S 258. [352] a.a.O. B. 13. Dass ihn Goethes Angriff empfindlich getroffen und er ihn auch so bald nicht vergass, beweisen die Bemerkung in seiner Allgem. Theolog. Bibliothek II. 323 und die spaeter entworfene Charakteristik Goethes im Kirchen- u. Ketzeralmanach aufs Jahr 1781; vergl. Frank a.a.O. S. 238. 287. [353] Dass er ihn nicht so bald verlernt habe, bezeugt er selbst in seiner Lebensgeschichte 2 S, 12 f. [354] Vergl. die V. 1232 f. = 3540 f. der Gretchentragoedie: Sie fuehlt, dass ich ganz sicher ein Genie, Vielleicht wohl gar ein Teufel bin. [355] Man beachte ueberhaupt die Aehnlichkeit des Prologs mit der Schuelerscene in der aeusseren Anlage: Besuch bei einem Professor. [356] Br. an Bahrdt 2, S. 167. 169. [357] D.W. T. 2. B. 6. W. 29. S. 41 f. [358] a.a.O. S. 42. [359] Br. 1. No. 4; den 13. Oktober 1765. Nachschrift. S. 11. Z. 5 ff. [360] a.a.O. N. 6. S. 14. Z. 17 ff. und No. 7. S. 17. Z. 14 ff. [361] F.G.A.N. 101, den 18. Dezember 1772. S. 667. Z. 31 ff. [362] Vergl. das Gedicht Elysium an Uranien: (D.j.G. 2. 22 ff.) Uns gaben die Goetter Auf Erden Elysium. Dazu seinen Schluss: Ach, warum nur Elysium!--Dass die Poesie des j.G. nicht allzusehr in Empfindsamkeit zerfloss, dafuer sorgte schon Shakespeares gewaltige Erscheinung. Man lese nur den Schluss der Shakespeare-Rede! (a.a.O. 2. 43.) [363] Vergl. Haym, Herder 1. 577. Mit dem ganzen Menschen zu wirken, zu leiden, zu geniessen--dieser Drang war in tieferen Geistern wie Hamann, erwacht. Er machte sich in der Dichtung des jungen Goethe in ergreifenden Offenbarungen Luft. [364] F.G.A. N. 78 vom 29. September 1772. S. 517. Z. 15 ff. vergl. Scherer S. LXXXIX. [365] a.a.O. N. 104 vom 29. Dez. S. 688 oben. Vergl. Scherer S. XC. [366] D.W. T. 3. B. 11. W. 28. S. 9. f. [367] a.a.O. B 15. W. 28. S. 338 f. [368] Vergl. z.B. Schubarth, Ueber Goethes F. Berlin 1830. S. 228. [369] Erweitern ist ein charakteristischer Lieblingsausdruck des jungen Goethe der Jahre 1771-1775; z.B. d.j.G. 2. 40. (zum Shakespearetag): "ich fuehlte aufs lebhafteste meine Existenz um eine Unendlichkeit erweitert;" a.a.O. 3. 419 (Klavigo). Moege deine Seele sich erweitern--aehnlich ebenda 377 oben; 3. 305 (Werther) s. Geist zu erweitern; 3. 449 (Prometheus): "Vermoegt ihr mich auszudehnen, erweitern zu einer Welt." (Vergl. dazu F. G. A. S. 518. Z. 2. in einer offenbar Goethischen Rezension: Das Ausdehnen der eignen Existenz--)--Br. 2. N. 266. S. 212 unten (v. 5. Dez. 1774.): "und dieses enge Dasein hier zur Ewigkeit erweitern". (Vergl. auch die aehnlichen Wendungen Br. 2. N. 88. S. 173. 15 f. d.j.G. 3. 162. Koennt ich doch ausgefuellt einmal u.s.w.) [370] So wandte man sich in jener fordernden Epoche schliesslich an das Genie, "das durch seine magische Gabe den Streit schlichten und die Forderungen leisten wuerde". (D.W. T. 3. B. 15. W. 28. S. 340.) [371] Vergl. Br. 2. N. 266 v. 5. Dez. 1774 S. 212: Ich zittre nur, ich stottre nur, Ich kann es doch nicht lassen, Ich fuehl, ich kenne dich, Natur, Und so muss ich dich fassen. [372] D.W. T. 3. B. 11. W. 28. S. 7. [373] a.a.O. S. 360. [374] Br. 1. No. 6 den 21. Oktober 1765. S. 14 Z. 15. D.W. T. 2. B. 6. W. 27. S. 53. [375] v.d.H. S. 40 (Lavater I. 21. 17-19.). Dieser Satz steht in einer der Zugaben, die Goethe nach v.d. Hellen am 23. Januar 1775 abschickte, (a.a.O. S. 28.) [376] D.W. a.a.O. S. 53. [377] S. schon das Leipziger Gedicht: Die Freuden (d.j.G. 1. 103), dazu Br. 1. N. 63 v. 14. Juli 1770. S. 239. 33 ff.--D.W. T. 1. B. 4 W. 26. S. 187. Da ja selbst Naturforscher oefter durch Trennen und Sondern als durch Vereinigen und Verknuepfen, mehr durch Toeten als Beleben sich zu unterrichten glauben. [378] D.j.G. 2. 206. [379] a.a.O. 3. 694. (Gebet.) [380] In der lebendigen Natur geschieht nichts, was nicht in einer Verbindung mit dem Ganzen steht,------es ist nur die Frage: Wie finden wir die Verbindung dieser Phaenomene, dieser Begebenheiten? (Der Versuch als Vermittler von Objekt und Subjekt. 1773. Hempel, W. 34. S. 70.) [381] Mit schliesslicher Beziehung auf die alte Lesart im F. an unserer Stelle sprach sich G. spaeter also aus: Unsre Naturforscher lieben ein wenig das Ausfuehrliche. Sie zaehlen uns den ganzen Bestand der Natur in lauter besonderen Teilen zu und haben gluecklich fuer jeden besonderen Teil auch einen besonderen Namen. Das ist Thonerde, das ist Kieselerde! Das ist dies und das ist das! Was bin ich aber nun dadurch gebessert, wenn ich auch alle Benennungen innehabe? Mir faellt immer, wenn ich dergleichen hoere, die alte Lesart aus F. ein: Encheiresin u.s.w. Was helfen mir denn die Teile? was die Namen? Wissen will ich, was jeden einzelnen Teil so hoch begeistigt, dass er den andren aufsucht, ihm entweder dient oder ihn beherrscht, je nachdem das allem ein- und aufgeborene Vernunftgesetz den zu dieser, den zu jener Rolle befaehigt. Aber gerade in diesem Punkte herrscht ueberall das tiefste Stillschweigen. [382] W. 1. 255. [383] Br. vom 21. Januar 1832 an Wackenroder. (Mueller, Goethes letzte litterarische Thaetigkeit. S. VIII.) [384] Vergl. Hamann W. 4. 27: Ja wisst ihr endlich nicht, Philosophen, dass es kein physisches Band zwischen Ursache und Wirkung, Mittel und Absicht gibt, sondern nur ein geistiges, naemlich des Koehlerglaubens?--(S. auch Herder W. 6. 202 f. 266 f.) [385] F.G.A. S. 580. Z. 25 ff. u. S. 666 oben. [386] D.j.G. 2. 231. [387] Den verfluchten Mechanismus unsrer mit aller Macht neuen Philosophie, wie es Hamann nennt. (W. 1. 413.)--"Allein--heisst es in einer gewiss Goethischen Rezension, die wir schon oben anziehen konnten--man muss nicht durch das System, und haette mans auch selbst gemacht, sondern mit blossen, leiblichen Augen in den Menschen sehen." (F.G.S. 517. Z. 9. ff.--"Systemateley" bildet er weiter unten dafuer; vergl. Scherer S. LXXXIX.) Ebenso spricht auch wohl Goethe S. 521. Z. 21 f.: Er muesste wissen, dass die Natur zu allen Systemen zum Voraus Nein gesagt------(s. Scherer S. LXXXIX). In der Baukunst (D.j.G. 2. 297.) spottet er ueber die Atmosphaere des Systems; vergl. auch a.a.O. S. 124. Z. 3 f.-- [388] Zu dem vom Dichter gebrauchten Bilde, vergl. a.a.O. S. 224:--es mag den Juengern dabei der Kopf gedreht haben, wie selbigen ganzen Abend, denn sie verstunden nicht eine Silbe von dem, was der Herr sagte. [389] Das Fragment hat hier bereits bezeichnender Weise geaendert, da damals die Satire auf akademische Verhaeltnisse fuer den Dichter in den Hintergrund getreten war.--In den F.G.A. S. 482 (Schreiben ueber den Homer N. 73) spricht G. von dem unbedeutendem Tone Professorlicher Tugendlichkeit. Man beachte auch, wie in dieser Rezension der Professortitel spottend wiederholt wird. (S. 481. Z. 8. 28, 482. Z. 5, 10, 16. 483. Z. 6.) [390] Zu V. 415. 416 = 2021. 2022 vergl. den aehnlichen Rat fuer Faust: (V. 2062; zuerst im Fragment V. 541.) Sobald du dir vertraust, sobald weisst du zu leben; s. auch Paralip. 9. W. 14. 289.--Zu V. 411. 412 = 2017. 2018: "Doch der den Augenblick ergreift, dass ist der rechte Mann." Vergl. v.d.H. S. 188. Lavater II. 254. 12 ueber Scipio: Unbeweglich in seinen Verhaeltnissen ist der Mann, stets den Augenblick ergreifend, u.s.w. (Dazu v. d. Hellen S. 186 und Br. 2. N. 354 an Lavater vom 8. September 1775. S. 286. Z. 19.) [391] a.a.O. S. 614. Z. 34 ff. vergl. Scherer XC.--S. auch Herder zu Dalbergs Betrachtungen ueber das Universum: Eben die Kontrarietaet im Menschen ist das Siegel Gottes in unserer Natur, der Baum der Erkenntnis Gutes und Boeses in einen ewigen Baum des Lebens verwandelt. (Hempel W. Bd. 17. S. 462.) [392] a.a.O. S. 554. Z. 24 ff. 555. Z. 2 ff. [393] a.a.O. S. 672. Z. 8 ff.; vergl. Scherer S. LXXXVII. [394] a.a.O. S. 665. Z. 25 ff.; vergl. auch Br. 2. N. 180 an Ruederer, Herbst 1773. S. 120. Z. 15 f.--Dazu Haym, Herder, Bd. 1. 499 f. [395] Vergl. Herder zu Dalbergs Betrachtungen ueber das Universum: (Hempel Bd. 17. S. 460) alle Philosophie also, die von sich anfaengt und mit sich aufhoert, ist von ihrer Muhme, der Schlange. [396] Das verkennt z.B. Duentzer, Deutsche Nationallitteratur Bd. 93. Goethes Werke XII. S. 83. [397] Auch in seinem Goetz hat z.B. der junge Dichter dem Jugendlichen in sich selbst Ausdruck verliehen, indem er den Haupthelden jugendliche Nebenpersonen zur Seite gab. (Georg u. Franz.) [398] W. Bd. 14. S. 287. (Paralip. 1.) [399] Vjschr. f. Litt.-gesch. 4. 336 f. [400] W. Bd. 11. 103 ff. [401] Man vergleiche auch, wie in den Biblischen Fragen Vater und Sohn einander gegenueberstehen, und wie der erstere den sehr selbstbewussten Sohn, der eben von der Universitaet zurueckgekommen ist, in aehnlicher Weise zu belehren sucht. (D.j.G. 2. 231.) [402] Man vergl. Erwins Verkleidung als Eremit in Erwin u. Elmire, den Krugantino in Klaudine von Villa Bella und die Vermummung des Hauptmanns im Pater Brey. [403] Vjschr. f. Litt.-gesch. 4. 317 ff. [404] Gespr. Bd. 7. S. 10. [405] 339. 340 = 1902. 1903, aber seit dem Fragment an andrer Stelle. [406] a.a.O. S. 322. [407] Vergl. Pniowers Einwand a.a.O. S. 323. [408] V. 1904 ff.: Ich bin dabei mit Seel und Leib Doch freilich wuerde mir behagen Ein wenig Freiheit und Zeitvertreib An schoenen Sommerfeiertagen. [409] V. 1909. [410] Pniower a.a.O. S. 326 meint V. 317 ff. sei die Ausdrucksweise so unklar, dass die Interpretation der Worte auf nicht geringe Schwierigkeiten stosse. M. aber, der den studentischen Tisch im Gegensatz zu der Mutter Tisch spottend beschreibt, will mit den Versen "Hammel und Kalb kueren ohne End, als wie unsers Herr Gotts Firmament", doch nur sagen, der Student muesse sich Hammel- und Kalbfleisch so endlos waehlen, wie auch das Himmelsgewoelbe es sei. [411] a.a.O. S. 327. [412] In Goetz (A.) ist es in 16 Faellen, in G. (B.) aber ueber 40 mal ausgelassen; denn gerade seit 1773 schoepft G. mehr als je aus der Sprache des Volks und des 16. Jahrhunderts. [413] a.a.O. S. 332 f.--Es geschieht seiner offenbar Erwaehnung in dem Br. an B. Jakobi v. 29. Nov. 1773 (2 N. 187. S. 128. Z. 4 ff.) "Auf Fassnacht koennts anmarschieren"--meint der Dichter; dasselbe in dem Sylvesterbrief an B. Jacobi (2. N. 197. S. 138. Z. 9). Im Maerz 1774 ist aber das versprochene Fastnachtstueck immer noch nicht fertig (Br. 2. N. 213 an J. Fahlmer S. 153. Z. 5 ff.); auch schliesslich auf Ostern noch nicht; s. Br. 2. N. 215. S. 154. Z. 13 ff. u. N. 217. S. 158. Z. 16 ff. So erhielt das Stueck schliesslich die Bezeichnung: Ein Fastnachtsspiel auch wohl zu tragieren nach Ostern u.s.w.. G. ueberliess es bekanntlich Klinger mit den uebrigen Farcen des Neueroeffneten moralisch-politischen Puppenspiels zur Veroeffentlichung. [414] Was auch Pniower S. 333 annimmt; s. dagegen Duentzer, Neue Beitraege z. Goetheforschung. 1891. S. 199 ff. [415] Gegen Pniower a.a.O. S. 225. [416] D.j.G. 3. 180. [417] a.a.O. 3. 494 ff. [418] S. Abeken, Goethe in den Jahren 1771-1775. S. 270 f. [419] D.j.G. 2. 212. [420] Br. 2. N. 348. S. 282. Z. 12 ff. [421] Gespr. 2. 76. [422] Vjschr. f. Litt.-gesch. 4. 339. [423] Aber nicht nur stehen diese beiden mit einander in innerem Zusammenhang, sondern sie spinnen auch den Faden, weiter, der sich bereits durch die erste Hauptmasse zieht. Faust d.h. der geniale, hochstrebende Mensch geraet mit seinem _Lebens- und Schaffensdrang_ in Widerstreit mit den Schranken seiner Natur; er begehrt von jenem erfuellt das Unmoegliche und wird ueberall abgewiesen. In den beiden folgenden Scenen kaempft nun der schoepferische Geist des Dichters, den er nicht nur Faust, sondern sogar dem _Teufel_ gegeben hat, gegen das Unschoepferische, Unfruchthare, Leblose an. Dem gleichen Geiste sind demnach die erste Hauptmasse und die Wagner- und Schuelerscene entsprungen. Wir druecken den Kern ihres Inhalts so aus: Das Schoepferische im Menschen d.h. das Goettliche im Widerstreit mit den Grenzen seiner menschlichen Natur (1. Monolog u. Erdgeistscene; vergl. auch Werther.)--Das Schoepferische im Kampf mit dem Unschoepferischen, das, insofern es anmasslich alles erfuellt, dem Genialen auch eine Art Schranke errichtet, die es zwar mit leichter Muehe niederreisst, die aber ebenso rasch wieder hergestellt wird. (Wagner- u. Schuelerscene.) [424] Seuffert a.a.O. S. 342. [425] Treffend bemerkt Schiller in dem Br. vom 26. Juni 1797: "Der Teufel behaelt durch seinen Realism vor dem Verstand, und der Faust vor dem Herzen recht." Darauf Goethe am naechsten Tage: "So werden wohl Verstand und Vernunft, wie zwei Klopffechter, sich grimmig herumschlagen, um abends zusammen freundschaftlich auszuruhen."--Man vergl. auch Hebbels Wort: Gott teilt sich nur dem Gefuehl, nicht dem Verstande mit; dieser ist sein Widersacher, weil er ihn nicht erfassen kann. Das weist dem Verstande den Rang an. (Tagebuecher 1. S. 109.) [426] Auf eine urspruengliche Verbindung zwischen Erdgeist und Teufel hat bekanntlich zuerst Ch. H. Weisse, Kritik und Erlaeuterung des Goetheschen Faust, Leipzig 1837. S. 86 ff. aufmerksam gemacht; er zog aber bereits den falschen Schluss, dem Erdgeist sei eine wiederholte Erscheinung und ueberhaupt eine wesentlichere Rolle zugedacht gewesen. [427] Vergl. G. J. 3. 341. [428] Vergl. z.B. K. Fischer, Goethes Faust (3. Aufl.) Bd. 2. S. 28. [429] Br. 2. N. 335. S. 292. Z. 23 ff. [430] D.j.G. 3. 189. [431] a.a.O. S. 190. [432] S. 191.--Vergl. auch Pniower, Zwei Probleme des Urfaust, Vjschr. f. Littgesch. 3. 149. [433] D.W. T. 3. 15. W. 28. S. 315 ff. [434] Vergl. Br. 2, N. 273 vom 28. Dez. 1774; N. 278 vom 13. Jan. 1775; N. 320 vom 14. April; auch N. 328 vom 3. Mai; N. 334 vom 4. Juni; N. 342 vom 1. Aug. und schliesslich N. 361 Mitte Oktober 1775 mit der Meldung seiner Ankunft. [435] D.W. T. 3. B. 15, W. 28. S. 322 oben. [436] Vergl. das Volksbuch von 1587 Neudruck S. 185.--Diese Rolle ist ihm uebrigens bereits im Fragment als seiner nicht wuerdig wieder genommen. [437] Vergl. den Weinrebenzauber Vjschr. f. Littgesch. 1. 470. u. Schroeer in seiner Ausgabe 1. 143. [438] Volksbuch von 1587. Neudruck S. 130; V. des christl. Meinenden Neudr. S. 15. [439] Vjschr. f. Littgesch. 2. 160. [440] Briefe an u. von Merck (Wagner 2. 123.) [441] Br. 2. N. 343 vom 3. August 1775. S. 273. Z. 16 ff. [442] Vergl. Br. 2. N. 340 vom 25. Juli; N. 343 vom 3. August; N. 355 vom 14.-19. Sept. 1775. [443] D.W. T. 4. B. 19. W. Bd. 29. S. 158. Sie begann am 10. September. [444] D.W. T. 4. B. 19. W. Bd. 29. S. 159 unten.--Vergl. auch das Schema zu B. 17. a.a.O. S. 213, in dem G. das Gedicht in die Zeit der Michaelismesse setzt; dagegen frueher v. Loeper Anm. 730 zu D.W. und in der Ausgabe der Gedichte 2. 335, der sich, ehe aber noch jenes Schema bekannt geworden war, fuer die Zeit der Ostermesse entschieden hatte. [445] Vergl. z.B. K. Fischer, Goethes Faust nach seiner Entstehung u.s.w. 2. Aufl. 1887. S. 241 ff. [446] In seiner Ausgabe des aeltesten F. S. XXIII; ebenso Pniower Vjschr. f. Littgesch. 2. 147. [447] Tageb. Bd. 1. S. 1. [448] Duentzers Erklaerung der Stelle, es sei an die Steigerung zu dreihundertfaltiger Kraft des Trinkers zu denken, wird wohl niemand beitreten wollen. (Ztschr. f. d. Phil. Bd. 21. 1889. S 374.) [449] a.a.O. S. 4. Z. 17. Dass es der Erde so sauwohl und so weh ist zugleich; (wozu man die edlere Fassung dieses Gedankens in dem zweiten, Ende 1775 geschriebenen, Teil des ewigen Judens d.j.G. 3. 411. vergleiche: Fuehlt, wie das reinste Glueck der Welt Schon eine Ahnung von Weh enthaelt.) S. 6. Z. 23. Sauwohl u. Projekte. [450] D.W. T. 4. B. 18. W. Bd. 29. S. 103 ff. [451] Tageb. 1. S. 5. Z. 10 u. D.W. a.a.O. S. 117. [452] D.W. a.a.O. S. 95. [453] a.a.O. S. 94;--auch in den Br. 2. N. 340. S. 270. Z. 12 ff. N. 343. S. 273. Z. 13 ff. 274. Z. 14 ff. [454] a.a.O. N. 358. S. 298. [455] D.W. a.a.O. S. 95. [456] Bezieht sich vielleicht darauf, die Stelle in dem Brief v. 4. Okt. a.a.O. S. 398. S. 4 ff.: Ich hab euch drei dramatisiert. Gr. Christian Truchsess, Gr. Leopold und Junker Kurt. Wo ihr auf dem grossen Kroenungssaal zu Frankfurt in naturalibus hingestellt sind. (?!) [457] Vergl. D.W. T. 3. B. 12. W. Bd. 28. S. 170: "Denn wie es angeborene Antipathien gibt, so wie gewisse Menschen die Katzen nicht leiden koennen, anderen dieses oder jenes in der Seele zuwider ist, so war Merck ein Todfeind aller akademischen Buerger, die sich nun freilich zu jener Zeit in Giessen in der tiefsten Rohheit gefielen. Mir waren sie ganz recht: ich haette sie wohl auch als Masken in einem meiner Fastnachtsspiele brauchen koennen, aber ihm verdarb ihr Anblick bei Tage und des Nachts ihr Gebruell jede Art von gutem Humor." [458] S. Pniower. Vjschr. f. Littgesch. 2. S. 146 ff.--K. Fischer. Goethes Faust (3. Aufl.) Bd. 2. S. 48. ***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK UNTERSUCHUNGEN UEBER GOETHES FAUST IN SEINER AELTESTEN GESTALT*** ******* This file should be named 14223.txt or 14223.zip ******* This and all associated files of various formats will be found in: https://www.gutenberg.org/dirs/1/4/2/2/14223 Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. 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