Project Gutenberg's Briefe eines Soldaten, by Eugène Emmanuel Lemercier This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org Title: Briefe eines Soldaten Deutsche Ausgabe der Lettres d'un soldat Author: Eugène Emmanuel Lemercier Commentator: André Chevrillon Translator: Eduard Schneegans Release Date: March 27, 2012 [EBook #39276] Language: German Character set encoding: ISO-8859-1 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK BRIEFE EINES SOLDATEN *** Produced by Jens Sadowski Briefe eines Soldaten Deutsche Ausgabe der Lettres d'un soldat 1918 Max Rascher, Verlag, Zürich 1. bis 5. Tausend Nachdruck verboten Copyright 1917 by Rascher & Cie., Zürich Deutsche Übertragung von Professor Dr. Schneegans, Neuchâtel 1918 Buchdruckerei Züricher Post Vorwort. Die folgenden Briefe sind von einem jungen Maler geschrieben, der an der Front war von September bis Anfang April, wo er in einem der Kämpfe im Argonnerwald verschwunden ist. Soll man von ihm in der Vergangenheit oder in der Gegenwart sprechen? Wir wissen es nicht: seit dem Tage, wo sie die letzte von Schmutz befleckte Karte erreichte, welche den Angriff meldete, in dem er verschwinden sollte, -- welche quälende Stille für diese Frauen, die während acht Monaten nur von den fast täglichen Briefen lebten! Doch für wieviele Mütter und Frauen ist eine solche Qual heute das tägliche Los? In dem Atelier, unter den Bildern, in denen der junge Mann seine Träume, seine Künstlervisionen festgelegt hatte, habe ich, liebevoll auf einem Tische geordnet, alle die weißen Kärtchen gesehen, aus denen dieser Briefwechsel besteht. Schwelgende Gegenwart. . . . Ich wußte damals noch nicht, welche Seele sich hier in ihrer Fülle ausgedrückt hat, um auf diesem Wege an den häuslichen Herd zurückzukehren: eine Seele, die dazu bestimmt war, dessen bin ich überzeugt, sich weit über den kleinen Kreis der Verwandten hinaus zu ergießen und weithin auf die Menschen zu strahlen. Die Seele eines fertigen Künstlers, aber auch eines Dichters, mit der Schüchternheit eines Jünglings, der schon mit dreizehn Jahren die Schule für das Atelier verlassen hat und ganz allein gelernt hat das, was ihn bewegt, in Tönen auszudrücken, deren Schönheit der Leser wird zu würdigen wissen. Herzensgüte, inbrünstige Verehrung der Natur, mystisches Verstehen ihrer Erscheinungsformen und ihrer ewigen Sprache, das ist es, was die Deutschen, die sich die Erben Göthes und Beethovens nennen, allein zu besitzen glauben und was uns in diesen, von einem jungen Franzosen für seine Teuersten und für sich geschriebenen Briefen ergreift. Das Rührendste dabei ist vielleicht, daß wir in dem seelischen, so ernsten, so religiösen Empfinden, das sich hier ausspricht, Züge wiedererkennen, die uns in manchen Briefen von der Front auffielen. In diesen Wochen, diesen endlosen Wintermonaten, die sie im Schlamm oder im Schnee der Schützengräben verbracht, beim täglichen Anblick des Todes, beim Gedanken an den Tod, der vielleicht in demselben Augenblick naht, um ihnen für immer die Augen zu schließen, scheinen diese Kinder angefangen zu haben mit eindringlicherem, empfänglicherem Auge die ewigen Dinge zu betrachten, wie wenn sie alle, in der Fülle ihrer Kraft und ihrer Jugend, glaubten sie zum letzten Male zu betrachten: »Und sterben sollte nun die Welt Mit meinen Augen, den Spiegeln der Welt.« Feierliche Stimmung des Menschen, der eben eine lange Nachtwache verbracht hat, irgendwo auf Vorposten, und der hinter der grauen, schweigenden, nordischen Ebene dort, wo der unsichtbare Feind in der Erde vergraben ist, die rote Sonne noch einmal über diese Welt aufgehen sieht. »O herrliche Sonne, ich möchte dich noch einmal sehen!« schrieb am Abend des Tages, wo er in Frankreich einzog, ein junger schlesischer Soldat, der auf den Gefilden der Marne fiel und dessen Tagebuch veröffentlicht worden ist. Plötzlich entquillt dieser geheimnisvolle Herzenserguß, mitten unter pünktlichen deutschen Aufzeichnungen über Essen und Trinken, Tagemärsche, Fußleiden und der Aufzählung der verbrannten Dörfer. In wievielen französischen Briefen haben wir diese tiefe Erleuchtung getroffen! Sie ist sich immer gleich auf allen Stufen des Ausdrucks: bei jenem Bauern von Seine-et-Marne, den ich mit Namen nennen könnte, der vielleicht zum ersten Male in seinem Leben für die Glut des Sonnenunterganges ein Auge hat, -- bei jenem jungen Pariser, der bis dahin nur in Ausdrücken des Skepticismus und der Ironie schien reden zu können, und bei dem jungen Künstler, der dieses Gefühl in ergreifende Verse umsetzt und es bis zur erhabenen Vorstellung steigert, an der die ganze stoische Philosophie hängt. Durch soviele Unterschiede hindurch, bei allen, dem deutschen Schullehrer, dem Bauern, dem Städter, dem französischen Maler, offenbart sich eine gemeinsame Grundlage und der vergängliche Lebende, im Vorgefühl der ewigen Nacht, sieht den Sinn und die Schönheit der Welt in ihm sich erweitern. O Wunder der Welt! göttlicher Friede dieser Ebene, dieser Bäume, dieser fernen Hügel, -- wie man dieser unendlichen Stille lauscht! Oder es ist die nächtliche Unermeßlichkeit, in der nichts als Feuersbrünste und ein Leuchten verbleibt. Unten ferne Glut von Bränden, oben die Sterne, ihre unwandelbaren Bilder, das Flimmern, die Harmonie und erhabene Ordnung des Weltalls. Bald werden das Geknatter der Maschinengewehre, der Donner der Sprengstoffe, das Geheul des Ansturms wieder anheben; man beginnt wieder zu morden und zu sterben. Welcher Gegensatz der menschlichen Wut und der ewigen heitern Ruhe! Mehr oder weniger dunkel, während eines kurzen Augenblickes, wird eine tiefsinnige Beziehung zwischen den einfachen Erscheinungen am Himmel und auf Erden, deren langsame Entwicklung sich begreifen läßt, und dem Beschauer hergestellt. Fühlt dann der Mensch, daß alles, was er sieht, er selbst ist, daß sein kleines Dasein und das Leben des Baumes, der dort im Schauer des Morgengrauens erbebt und dem Menschen zuzuwinken scheint, sich miteinander verbinden im Flusse des ewigen Lebens? * * * Für den Künstler, von dem hier die Rede ist, waren diese Eingebungen und Visionen der Rausch jener langen, im Schützengraben verlebten Monate. Unter dem weiten Himmel, bei der Berührung mit der Erde, vor der Gefahr und dem täglichen Bilde des Todes, erschien ihm das Leben plötzlich seltsam erweitert: »Wir haben von unserm Aufenthalt im Freien eine Frische der Auffassung, eine Großzügigkeit in den Bewegungen und Gedanken gewonnen, die den Überlebenden den Aufenthalt in den Städten gräßlich wird erscheinen lassen.« Auch der Tod zeigte sich schöner und schlichter; Tod der Soldaten, deren Gestalten er mitleidig betrachtete, während die Natur sie still, mütterlich wieder zu sich nahm und allmählich mit der Erde vereinigte. Von Tag zu Tag lebte er mehr in dem Gefühl des »Ewigen«. Er blieb freilich empfänglich für alle Greuel und jedes Mitleides fähig, -- und man wird sehen wie er seine Pflicht erfüllte. Aber »in gleichem Maße leidend«, flüchtete er »zu einem höheren Troste«. »Man muß,« sagte er zu denen, die ihn lieben und die er -- mit welcher beständigen Fürsorge! -- sich bemüht auf das Schlimmste vorzubereiten, »dazu gelangen, daß kein Unglücksfall aus unserem Leben etwas Trümmerhaftes, Abgebrochenes, Unharmonisches mache . . . Begnüge dich mit der herrlichen Versicherung, daß ich bis heute meine Seele zu einer Höhe gehoben habe, wo die Ereignisse ihr nichts mehr antun können«. Diese Höhe ist die Gegend, in der über die Unterschiede der Bekenntnisse und ihrer äußern Formen hinaus, alle großen religiösen Gemeinschaften sich zusammenfinden, wo der eitle Schein verschwindet, wo der Mensch allen Behauptungen und Forderungen des Ichs ein _Nein_ entgegenstellt und sich an das hält, was »wirklich ist«. »Unsere Leiden kommen daher, daß unsere schwache menschliche Geduld unseren Bedürfnissen, wenn auch den edelsten, zugewandt ist. . . . halte dich dabei nicht auf, den Wert der Persönlichkeit derer, die am Leben bleiben, derer, die gehen zu betrachten; das heißt die Dinge auf der menschlichen Wagschale abwägen. Man muß aber in uns die gewaltige Menge dessen unterscheiden, was besser ist als das Menschliche.« (30. Oktober.) Im Grunde ist der Tod machtlos, weil auch er ein eitler Schein ist und »Nichts vollständig verloren ist.« So findet dieser junge Franzose, der übrigens die Sprache des Christentums nicht vergessen hat, in den Schrecken des Krieges den Stoicismus Mark Aurels wieder, jene Tugend, »die weder Geduld noch allzu großes Selbstvertrauen ist, sondern ein gewisser Glaube an die Ordnung der Dinge, ein gewisses Vermögen, bei jeder Prüfung zu sagen, _daß es so recht ist_.« Und jenseits des Stoicismus ahnt er und erreicht den uralten, erhabenen Gedanken Indiens, der die Erscheinungen und trennenden Unterschiede leugnet, und dem Menschen seine eigene Person und die ganze Welt zeigend, ihn lehrt, daß er von der einen sage: »Das bin ich _nicht_«, von der andern: »_Das bin ich_.« Ergreifende Begegnung: durch alle Entfernungen der Jahrhunderte und Völker hindurch setzen die Betrachtungen dieses französischen Soldaten vor dem Feinde, den er morgen angreifen wird, den seltsamen Zustand der Verzückung fort, in den der Krieger der Bhagavad Gîta[*] zwischen zwei Heeren, die aufeinanderprallen sollten, sich versenkte. Auch er sieht in der menschlichen Unruhe einen Traum, der uns den Anblick der höhern Ordnung und der göttlichen Einheit verschleiern wollte. Auch er hat sein Vertrauen in die Dinge gesetzt, die »weder Geburt noch Tod kennen«, in das was »nicht geboren, unverwüstlich ist, was nicht getötet wird, wenn der Leib getötet wird«. Das ist das ewige Leben, dessen Wirken sich fortpflanzt, stets gleich durch alle Formen hindurch, die es erzeugt, in jeder bestrebt, sich zu mehr Licht, Frieden, Bewußtsein zu erheben. Und dieses Ziel bedingt das Gesetz eines jeden denkenden Wesens, die Aufopferung seiner selbst zum Besten des allgemeinen und endlichen Wohles; daher bei dem Gedanken an das wirksame Opfer, jene tiefe Befriedigung derer, die ihr Leben hingeben, die für die Sache des Lebens fallen: »Sage M. . . ., wenn das Schicksal die Besten trifft, daß das nicht ungerecht ist: diejenigen, die weiterleben, werden dadurch gebessert . . . Ihr wißt nicht, welche Lehre uns der gibt, der fällt. Ich weiß es aber.« Und das Opfer ist noch vollständiger, wenn das Leben geben, wenn auf sich selbst verzichten, zugleich bedeutet auf das verzichten, was man mehr liebte als sich selbst, dem man mit seinem ganzen Leben hatte dienen wollen. »Fahnen der Kunst, der Wissenschaft,« die er als Kind vergötterte, die er zu tragen angefangen hatte, mit welchem stolzen, vertrauensvollen Schauer! Der Mensch lerne ohne Klage zu sterben! »Es genüge ihm zu wissen, daß die Fahne wird getragen werden!« [Fußnote *: »Lied der Gottheit,« Episode des Mahâbhârata. (D. Übers.)] Der schlichte, gewöhnliche Gehorsam der gegenwärtigen Verpflichtung, das ist auch der praktische Abschluß der höchsten Weisheit der Indier, nachdem sie den Wahn des Scheins entschleiert hat. Sich nicht in die Einsamkeit und Untätigkeit zurückziehen, weil man den Wahn erkannt hat, mit seinen Brüdern kämpfen, an seinem Platze und Range, mit offenen Augen, ohne Hoffnung auf Ruhm und Gewinn, einfach weil das Gesetz es so will, das ist der Befehl, den der Gott dem Krieger Arjuna gibt, als dieser zweifelt, ob er von der Betrachtung des Ewigen dem menschlichen Schreckbild der Schlacht sich zuwenden solle. »Für jedes Wesen ist Gesetz, das Werk zu vollführen, das seine eigene Form ihm vorschreibt. Jeder unterziehe sich dem Handeln, da er ein Teil ist dieser Natur, deren Beschaffenheit ihn zum handeln zwingt!« Arjuna spanne einfach seinen Bogen mit den andern Kshettryas! Der junge Franzose hatte keinen Augenblick gezweifelt. Aber in seinen Briefen sehen wir, wie er mitten in den Schrecken des Gemetzels und in den geduldigen und langweiligen Arbeiten des Minenganges oder des Schützengrabens seine Blicke »auf das Ewige« stets zu richten wußte. Ich möchte nicht länger bei diesem Vergleiche verweilen. Vielleicht hat er durch einige Auszüge aus dem Ramayana den erhabenen Gedanken des uralten Asiens vermuten können. Und doch zeigt in der ganz modernen Färbung, in den bestimmten Formen und dem so französischen Fluß der Sprache die Seele, die sich in diesen Briefen offenbart, wie die Amiels, Michelets, Tolstois, Shelleys, eine tiefinnerliche Verwandtschaft mit dem zarten und mystischen Genius Indiens. Seltsame Verwandtschaft, die sich nicht allein in dem tiefen Gefühl und Verlangen nach dem Allgemeinen und Ewigen offenbart, sondern auch in dem unmittelbaren Mitempfinden mit allem, was Leben ist, in den Ergüssen der Liebe zu der großen mütterlichen Seele der Natur und allen ihren Erscheinungen. »Liebe«, das ist eines der Wörter, die am meisten in diesen Briefen wiederkehren. Liebe zu jenen Gefilden, jener Ebene, über die die Morgen und die Abende wie innere Regungen über ein Antlitz ziehen, Liebe zu den Bäumen, deren Bewegungen fast menschlich sind, -- einem gewissen, unter seinen Wunden männlichen, geduldigen Baume, »der einem Soldaten gleicht,« -- Liebe zu den hübschen Tierchen der Felder, die im Schweigen des frühen Morgens am Rande der Schützengräben spielend sich bewegen, -- Liebe zu allen Dingen am Himmel und auf Erden, jenem beseelten Himmel, jener französischen Landschaft mit ihrer so übersichtlichen, so schlichten Linienführung, Liebe zumal zu denen, die er neben sich geduldig leiden und kämpfen sieht, zu den ernsten Bäuerinnen der Champagne, die alle ihre Söhne hingaben, die schweigen, ihre Tränen trocknen und die Arbeit der Vorfahren auf den Ackern, in den Weinbergen weiterführen, zu jenen Kameraden, deren »Scherze oder Lieder« kein Elend entmutigt, »braven Leuten, denen mein schönes Künstlergewand arg hinderlich wäre, ihre Pflicht ehrlich zu tun, wie sie sie tun«, -- zu allen jenen einfachen Menschen, die Frankreich ausmachen, mit denen man sich so gerne vereint fühlt. Liebe zu allen Lebenden (man fühlt wohl, daß er nicht hassen kann, auch nicht den Feind, Fleisch von seinem Fleisch, das, wie er selbst, an diese Erde sich anklammert, das in demselben Maße duldet). Und dann Liebe zu den Toten, deren Anblick er aufsucht, deren stille, von Schweigen und Geheimnis schwere Schönheit, sich in langer Betrachtung diesem eindringlichen Auge offenbart. Durch diese der innerlichen, geistigen Bedeutung der Dinge zugewandte Aufmerksamkeit, erscheint uns dieser Maler in seinen Briefen besonders als ein Dichter, -- ein religiöser Dichter, der in der Welt das Wesen der Dinge erfaßt, alle unaussprechlichen Arten des Seins; auch als ein Musiker, der in den Schützengräben mit Beethoven, Händel, Schumann, Berlioz zusammenlebt, deren Melodien und Gedanken er in sich trägt -- den »die schönsten Symphonien mit ihrer Orchesterbegleitung« berauschen. Innere Reichtümer, geheime Mächte des Trostes und der Freude, die in den trübsten Stunden, in der Nacht und dem Schlamm der langen winterlichen Wachen, so nahe zu der Seele zu reden vermögen oder sie mit einem Male in solche Höhen und solche Fernen forttragen. Schumann, Beethoven: zwischen diesen unsterblichen Geistern, die nur für alle Menschen zu singen wußten, und den unmenschlichen Pedanten, welche die Schönheit des Krieges und das starre Recht der Gewalt predigten, was bleibt noch Gemeinsames übrig? Haben wir sie nicht uns zu eigen gemacht, diese Genien, dadurch, daß wir sie immer tiefer verstanden und in uns eindringen ließen? Sind sie nicht unsere Freunde geworden? Begleiten sie uns nicht in alle gesegneten Einsamkeiten, in denen unser wahres Ich wieder zu leben beginnt, unsere innere Quelle wieder fließt? Den Größten von Allen ruft eine Schar französischer Soldaten wach, drei Tage vor der Schlacht, die sie voraussehen, in der mehrere verschwinden sollten. Sie sind in der Tiefe einer unterirdischen Kasematte: »Dort erwartet man in völliger Dunkelheit die Nacht zum Aufbruch. Plötzlich haben wir, meine Kameraden, die Unteroffiziere und ich, die Schauer der neun Symphonien von Beethoven erweckt! Eine unaussprechliche Begeisterung beseelte uns.« Dieser fast heilige Gesang, diese heroische Begeisterung in einem solchen Augenblick, wie widerlegen sie die immer wiederholten Theorien der Deutschen über die Grenzen des französischen Gefühls! Welcher Dichter eines andern Volkes hat die Natur mit einem brüderlicheren Auge, mit einem tiefern Widerhall im Herzen betrachtet, als der dessen Innerstes sich hier ausspricht? * * * Diese Tag für Tag geschriebenen und aus dem Schützengraben oder dem Quartier geschickten Briefe bilden zusammen eine fortschreitende Folge, gleichsam eine Dichtung oder einen Gesang. Ein tiefes inneres Leben birgt sich darin: das Leben einer Seele, die wir in der Eintönigkeit dieser außerordentlichen Verhältnisse, in denen sehr oft jedes Ereignis fehlt, über den gewöhnlichen Gedankenkreis sich erheben, sich selbst übertreffen und, je näher die schwersten Prüfungen herankamen, in Friede und heitere Ruhe sich hüllen sehen (Februar-April). Man muß diesen seelischen Fortschritt verfolgen, den er mit einem unerschütterlichen Willen leitet. Es gibt keine ergreifendere Geschichte eines inneren Erlebens. Sein ganzes Bemühen ist sich »anzupassen«, und wie fürchterlich es ihm oft wird, das spürt man unter der gewöhnlichen Ruhe und Schlichtheit des Ausdrucks. Er ist Dichter und Künstler; er hat das Leben aufgefaßt, er hat sich entwickelt in einer dem Manne der Tat entgegengesetzten Richtung. Seine ganze Bildung, seine besondern künstlerischen Übungen hatten als Folge die Verfeinerung einer an sich schon angebornen äußersten Zartfühligkeit. Aus innerm Drange und einem selbstgewählten Gesetze folgend, hat er die Einsamkeit und Beschaulichkeit aufgesucht. Er fühlt und weiß wohl, daß er nur lebt, um ein bestimmtes Abbild der Welt zu sein, und hat sich immer, dem innern Triebe gehorchend, bemüht, in sich selbst die reine Form und ursprüngliche Wölbung des Spiegels zu bewahren und zu vervollkommnen, der eine Neigung hat sich unter den Einflüssen der Umgebung zu verzerren und zu trüben. Jetzt heißt es im Gegensatz zu dem eigenen Gesetze leben, und zwar nicht weil die Not dazu zwingt, sondern durch einen freien Willensakt. Es heißt nun dieses Ich, das sich sorgfältig außerhalb der Welt und der Welt gegenüber bewahrt hat, preisgeben, ohne Murren es in das dichteste Gewühl werfen, Tag und Nacht nur noch in dem Atem und dem Gedränge der Soldatenschar leben, und sich dabei einer rein körperlichen Tätigkeit unterziehen für die furchtbaren Aufgaben des Krieges. Und für ein solches Dasein, das er von seinem frühern Standpunkte aus als ein Sklavenleben betrachtet hätte, muß er als den einzig möglichen Ausgang den Tod ansehen, in absehbarer Zeit. Er muß sich daran gewöhnen, in seinem verflossenen Leben, -- jenem Leben, das seine Künstlerträume und Hoffnungen erleuchteten, das wie in einem Rausch allen Regungen und dem Pulsschlag des Lebens des Weltalls entsprach -- nur noch einen Traum zu sehen, einen Traum, der entschwunden ist und nie zurückkehren wird. Das nennt er »sich anpassen«, und wie oft kehrt dieser Ausdruck in seinen Briefen wieder! Denn er bezeichnet die Pflicht, eine Pflicht, deren Schwierigkeit sich an dem Abstand zwischen Gegenwart und Vergangenheit bemessen läßt, zwischen dem angeborenen Trieb einer Seele und der Selbstüberwindung, die sie sich auferlegen will. »In voller Schaffenskraft, in dem Augenblick, wo das Leben für ihn eine Zeit fortwährender Blüte wurde, wird ein junger Mann herausgerissen und auf einen trockenen Boden verpflanzt, wo Alles von seiner gewohnten Nahrung ihm fehlt. Nun denn! von dem Augenblick an, wo nach dem ersten Riß das Leben ihn nicht verlassen hat, bemüht er sich aus den dürftigen Säften seines neuen Bodens zu schöpfen. Die Anstrengung verlangt eine Anspannung aller Kräfte, die keinen Raum läßt für die Erinnerungen und Hoffnungen . . . Ich erreiche es, außer in rasch unterdrückten Stunden der Empörung, wo die Gedanken, die Handlungen meines vergangenen Lebens sich erheben, wie wenn ich sie nicht vergessen hätte. Ich brauche dann meine ganze Kraft, um meine herzzerreißenden Erinnerungen in der Ergebung in den gegenwärtigen Augenblick zu ertränken.« Dazu braucht es eine rastlose Anstrengung. Denn »sich anpassen« bedeutet für ihn nicht sich durchgreifend verwandeln, indem er den Einflüssen der neuen Umgebung nachgibt. Durch die fortgesetzte Tätigkeit seiner Lebenskraft will er, im Sinne seiner eigenen Persönlichkeit, den Stoff umgestalten, den er aus dieser Umgebung zieht; er will darin die Mittel finden trotz Allem in der Richtung seines eigenen Wesens sich zu nähren und weiter zu bestehen. Er will Allem entsagen und das Wesentliche bewahren, weil sein Ich weiter erhalten bleibt, treu dem selbstgeschaffenen Ideal, fähig nicht allein zu leben, sondern noch zu blühen, teilzunehmen an dem allgemeinen Fluß des Lebens, der sich in der Natur in rastlosem Erblühen offenbart, im Menschen in Regungen der Liebe, der Kunst, der Poesie. Um dieses Ziel zu erreichen, gilt es, unter den Drohungen und in den Unruhen des Krieges, sich für jede Erscheinung des Schönen empfänglich zu erhalten. Denn das Schöne ist für diesen frommen Dichter das Göttliche, das mehr oder weniger deutlich in allen Dingen durchleuchtet; daher auch die Kraft, die er in der Betrachtung des Schönen schöpft, die ihn allmählich über die Zufälligkeiten des Einzelwesens hinaushebt. Um den Eindruck voll zu empfangen, um in sich alle Unruhe zu bannen, muß er der Vergangenheit und der Zukunft Lebewohl sagen, nichts beklagen, nichts erhoffen, nur noch im »gegenwärtigen Augenblick« leben, der an diesen Segnungen reich ist. »Ich nehme alles aus der Hand des Schicksals an, ich habe ihm aber Alles genommen, was es in den Falten eines jeden Augenblickes an Glück birgt.« In diesem Zustand der Einfalt, der fast der Zustand der Gnade ist, tritt er mit der lebendigen Wirklichkeit dieser Welt in Berührung. »Laßt uns essen und trinken von Allem was ewig ist; denn morgen sterben wir Allem ab, was menschlich ist«. Diese Befreiung der Seele ist nicht sofort erreicht. Die ersten Briefe sind sehr schön; aber was sie lehren, erfahren wir auch aus fast allen Briefen unserer Soldaten. Er schildert den Seinen die Begeisterung der Soldaten, ihre innige Gemeinschaft in einem einzigen flammenden Gedanken, die gebieterische Pflicht, seinen eigenen Willen, »ein aufrechtes Gewissen soweit zu tragen, als seine Füße es zu führen vermögen« (25. August 1914). Aber schon sieht man, wie er sich bemüht, die Richtung seines inneren Wesens gegen die Einflüsse und Aufreizungen des Haufens zu behaupten. Es gelingt ihm. Indem er sich bewahrt, sich absondert »soviel er vermag«, mitten unter den andern, stellt er fest, daß er in geistiger Beziehung unberührt ist. Aber noch ist er zwischen den Kasernenmauern oder schreibt in Bahnhöfen, an den Haltestellen einer endlosen Eisenbahnfahrt (»vierzig Mann in jedem Wagen«). Um ihn wirklich kennen zu lernen, wartet bis er in der Kriegszone angelangt, im Quartier, dann in der Feuerlinie, während der langen Stunden der Wachen und auf Posten, mit der Erde wieder in Berührung getreten ist. Sobald er den Hauch der weiten Ebene eingeatmet, erwacht sein angeborener Trieb »Schönheit zu gewinnen«, und vor den Schatten, in die die Zukunft sich versenkt, sie »soviel und so schnell wie möglich zu gewinnen«. »Ich habe im Schlamm Blumen gepflückt, bewahrt sie zur Erinnerung an mich auf,« schreibt er an einem Tage dunkler Vorahnung (11. Februar). Bezeichnend für ihn ist, daß er in der Eintönigkeit der Tage im Schützengraben, wenn die Gefahr das Geschwätz nicht aufkommen läßt, sie am häufigsten findet, jene Wunderblumen. Dann kehrt der innere Friede wieder ein, während des Schweigens, das diese Männer befällt, und er kann »seine Seele frei mitschwingen lassen«, und gleich empfindet man den eigentümlichen Widerhall. Diese Seele hatte zunächst nur die Klänge des Mutes und der Brüderlichkeit für uns wiederholt, die sich von unsern Heeren gleichmäßig erheben. Jetzt befindet sie sich mitten im Kriege, den ewigen Dingen wieder gegenüber, und plötzlich glaubt man zum ersten Male den Urklang und die unendliche Feinfühligkeit einer kaum berührten Saite zu vernehmen. Aber diese Klänge bleiben nicht zufällig und unzusammenhängend; bald setzen sie sich zu einer Melodie zusammen, die immer bestimmter, voller, von ergreifender Bedeutung schwerer wird, je mehr er durch eine tägliche Übung es lernt, sich von den drückendsten Umständen besser auszuschließen. Ein ganz unpersönliches Ich scheint sich jetzt von dem körperlichen Ich, das sich abmüht und Gefahren besteht, loszulösen, und die Dinge ohne innere Teilnahme zu betrachten, und auch dieses andere Ich, das an seinem Platze steht in der allgemeinen Ordnung, zu beobachten, eine vergängliche Welle in der Flut, die eine geheimnisvolle Vernunft leitet. Seltsame Fähigkeit, ein Doppel- und Traumleben zu führen! Es gelingt ihm, sie in der Schlacht selbst zu üben, wo seine Tapferkeit und seine militärische Tätigkeit ihm die Glückwünsche seines Vorgesetzten eintragen. In dem Höllenschlund, in dem sein Fleisch sich auflösen könnte, hört er nicht auf zu schauen, und am nächsten Tage kann er schreiben: »Nun, es war interessant!« Und er fügt hinzu: »Was ich Persönliches bewahrt hatte, war eine gewisse Empfänglichkeit des Auges, die mich befähigte gewisse Bilder in mich aufzunehmen, deren ergreifende Wirkung sich unmittelbar in ebenso »künstlerischer Weise« zusammenfügte, wie jede andere menschliche Zusammenstellung. Aber gewöhnlich habe ich in diesen Augenblicken nie die Absicht aufgegeben zu sehen »wie es gemacht ist« (14. März). Dann offenbart sich ihm die Bedeutung der Gewalttätigkeit. Dieser zarten sinnigen Natur flößt sie Grauen ein. Deswegen vielleicht frägt sein Geist nach dem Warum. Durch die Gewalttätigkeit wird eine unvollkommene und vorübergehende Ordnung durchbrochen und die Erscheinungen, die im Begriff waren zu erstarren, kommen wieder in Fluß. Das Leben beginnt wieder und eine höhere Ordnung wird ermöglicht. Auch hier ist Annahme, Unterwerfung unter die Vernunft der Welt, Vertrauen in das, was sich verwirklicht, die Lösung, zu der er immer wieder gelangt. Das sind Augenblicke der eigentlichen Beobachtung, reiner Überlegung, in die sich die Regungen des Künstlers und des Dichters nicht mischen. Solche Augenblicke sind nicht selten bei ihm; aber dann handelt es sich immer um die Welt und menschliche Ereignisse. Sie entstehen vor einem Kriegsbilde, einem Charakterzug, bei einer Lektüre, einer künstlerischen oder geschichtlichen Erinnerung (oft ruft er eine Bibelstelle wach und im ärgsten »Wirrwarr« schöne Bilder aus der griechischen Mythologie). Man bewundert diese heitere Willenskraft eines Geistes, der es verstanden hat, sein früheres rein geistiges Leben wieder aufzunehmen. Das ist sehr schön, ist aber nicht einzigartig: die große geistige Tätigkeit ist nicht selten in Frankreich; andere unter den Soldaten haben unter den Granaten philosophiert. Was diesen Briefen eine besondere Bedeutung zu verleihen scheint, ist der Ausdruck von etwas viel Wesentlicherem, viel Innerlicherem als der Gedanke; das Gefühl, das Unendliche und Unbestimmte seiner Schattierungen, seine Zusammenklänge mit den Bildern der Landschaft, jene Dichtergabe endlich, die mit der musikalischen Begabung zusammenhängt; denn sie geht aus demselben Urgrund des Unbewußten im Menschen hervor und strebt auch ihrerseits allen verschlungenen Linien des Rhythmus und des Gesanges zu. Ich habe schon Shelley aus Anlaß dieses Dichters genannt. Was uns eine Bemerkung wie die folgende offenbart, ist die Vereinigung mit dem Innigsten und Unaussprechlichsten in der Natur, wie wir sie bei Shelley finden: »Namenloser Tag, ohne greifbare Gestalt, in dem trotzdem geheimnisvoll der Frühling zu quellen anfängt. Warme Luft in der Verlängerung der Tage; plötzliches Erschlaffen, wie ein Vergehen der Natur.« (3. Februar.) Aus Anlaß dieses Frühlingshauches, dieser zu plötzlichen Milde, gebraucht er sogar einen der häufigsten Ausdrücke des Wortschatzes von Shelley: »Vergehen«.[*] Was er im Grunde erstrebt, wie der große englische Dichter, den er nicht gekannt zu haben scheint, ist das Selbstvergessen in der lyrischen Stimmung, das unsagbare und selige Gefühl des Ichs, das in dem betrachteten Gegenstand sich selbst auflöst. Was für ihn im Laufe dieser Wochen zählt, was er später ins Gedächtnis zurückruft, was er wiederfinden möchte, um es nie wieder zu verlieren, das sind jene Höhepunkte, da er sich selbst vergessen durfte, weil er das Unaussprechliche empfunden hatte. Der einfachste Gegenstand der Natur kann ihm solche Augenblicke schenken. Zum Beispiel in dieser plötzlichen Erleuchtung: »Ich empfand nicht wie früher den Segen Gottes, als plötzlich ein schöner, so schöner Baum zu meinem Herzen sprach, . . . und ich habe begriffen, daß eine Stunde in dieser Betrachtung das ganze Leben ist.« Und andauernder, stärker schwingend ist manchmal die innere Erregung, wie wenn der Bogen bis an die Spitze auf einer feinfühligen Geige eine langgezogene verzückte Melodie entwickelt: »Welche Lust, dieses stets innige Mitschwingen im Schoße der Natur! Gestern abend sah ich denselben Horizont, den wir erwachen sahen, in rosiges Licht gebadet; dann ist der Vollmond in einem zarten Himmel aufgegangen, auf dem die Bäume, wie Korallen und Safran, in zackigen Linien sich abzeichneten.« (2. November.) Und wahrlich es klingt wie ein Entzücken in jener erstaunlichen Weihnachtsnacht, deren Erinnerung alle, die damals auf der Front waren, bewahren werden, -- einer feierlichen, ganz blauen Nacht, voll Gestirne und Gesänge, in der die Ordnung und göttliche Einheit des Weltalls den Augen der Menschen sich zu offenbaren schien, die einen Augenblick aus ihrem Traum des Hasses und des Blutes erwachten und auf den beiden Schützenlinien zu singen begannen: »_Hymnen, Hymnen überall_« [Fußnote *: Défaillance; vergl. Shelley: faint, »my faint heart«, . . . »I faint, i perish with my love«. (Der Übersetzer.)] Doch, im Februar, Gemetzel, deren zunehmende Greuel einige knappe Aufzeichnungen mit genügender Schärfe ahnen lassen. Dann nehmen die Erzählungen eine raschere Bewegung an; man fühlt die schnellen Rhythmen und raschen Ansätze der Handlung, den herrischen Zwang rascher Pflichterfüllung, da der junge Sergeant die Verantwortung von Menschenleben trägt und furchtbaren, abgegrenzten Aufgaben gegenübersteht. Stets aber, im Getümmel des Gemetzels, und in der Eile des Dienstes, plötzliche und seltsame Augenblicke des Träumens und des Mitleids; und dann abends, welche unendliche Ruhe unter den Toten! In dieser Zeit hören die Aufzeichnungen über das Landschaftliche auf; die Beschreibung wird militärisch, technisch, oder aber der Gedanke verläßt die Erde. Einmal, gegen Ende, ein einziges Mal, ein Rückblick auf die eigene Person, eine kurze ergreifende Klage, beim Gedanken an die frühern Hoffnungen, an sein verlornes Künstlerschaffen und an die unendliche Größe des auferlegten Opfers: »Wie lang ist dieser Krieg für Menschen, die zweifellos eine Aufgabe zu erfüllen hatten! . . . Warum bin ich so aufgeopfert, während so viele, die mir nicht gleichkommen, geschont werden? und doch hatte ich etwas Gutes auf Erden zu tun! . . .« Herzzerreißender Seufzer, der uns noch mehr ergreift als die erhabenen Äußerungen dieser Seele, weil die bis dahin unterdrückte Qual plötzlich hervorbricht, -- die ganze Hülflosigkeit des Menschen, die unsrige, bekennt sich hier, am Vorabend einer Passion -- wie bei dem göttlichen Vorbilde. Mitunter ein Zweifel, der andauernde Anblick des Todes, die Müdigkeit, die ewige Trostlosigkeit des Regens und des Schlammes, die in ihm den Lebensdrang und den sehnsuchtsvollen Aufschwung des Geistes hemmen. Er war die junge Pflanze, von der er einmal spricht, die wuchs, nach dem Duft und der Pracht ihrer Blume sich sehnte, ihres Gottes sicher war, weil sie nur ihn, in sich lebend und wirkend, fühlte. Aber plötzlich spürt sie den Schauer, die Drohung der erbarmungslosen Kräfte. Wenn das Weltall leer, wenn in dem Endlosen dieser äußeren Welt, unter dem glänzenden Schein, nichts als eine gefühllose Notwendigkeit wäre? Wenn auch das Opfer Täuschung wäre? »Ich komme in die dunkeln Tage, wo das Nichts das letzte Ende aller Dinge zu sein scheint, während alles in meinem Leben die reiche Fülle des Weltalls mir bezeugte.« (2. Februar.) Und er stellt sich die qualvolle Frage: »Ist es überhaupt sicher, daß die sittliche Anstrengung ihre Früchte trägt?« Es ist wie wenn Gott ihn verließe. Doch diese Verdunkelung seiner inneren Erleuchtung vergeht rasch. Er findet die lichten stillen Höhen wieder, die er nur verläßt, wenn die Pflicht und der Kampf rufen, jene Höhen, nach denen er sich sehnte, als er schrieb: »Ich möchte, daß, wenn Ihr an mich denkt, Ihr das Bild von denen wachruft, die Alles verlassen hatten, . . . die den nächsten Verwandten nur noch in der Erinnerung bekannt waren, von denen sie sagten: »Wir haben einen Bruder gehabt, der vor langen Jahren von der Welt sich zurückgezogen hat.« (13. Januar) Wie seltsam der heitere Friede dieser Höhen ist, wie sehr von ihm selbst und allem Irdischen seine Betrachtungen losgelöst waren, das lassen zwei kleine Züge beurteilen: Er hat einmal nachts aus einem »mit menschlichen Körperteilen« und weiter in der Ferne mit Feuersbrünsten übersäten Schlachtfelde, unter dem von Sternen funkelnden Himmel, als Lagerstätte eine Aushöhlung gefunden, von der aus seine Augen die Mondsichel beobachten und das Kommen des Tages erspähen. Von Zeit zu Zeit platzt eine Granate, Erdschollen bedecken ihn, dann sinkt wieder Schweigen auf die erstarrte Erde nieder: »Ich habe sie teuer erkauft, ich hatte aber Augenblicke einer Einsamkeit, die von Gott erfüllt war.« (28. Februar.) An einem Abend irrt er nach fünf Schreckenstagen herum (»wir haben keine Offiziere mehr, alle sind als tapfere Soldaten gefallen«) und steht plötzlich vor dem ausgestreckten Leichnam eines Freundes. »Weißer herrlicher Leichnam im Mondlicht . . . Ich habe in seiner Nähe ausgeruht.« (22. Februar) In der Unbeweglichkeit der Natur, neben diesem Toten, hat er die innere Ruhe gefunden; er empfindet nur Friede und Schönheit. * * * Diese Briefe sollen anonym bleiben, wenigstens solange man die Rückkehr des Verschwundenen erhoffen kann. Es genügt zu wissen, daß sie von einem Franzosen geschrieben sind, der mit Liebe und Glauben an den gemeinsamen Mühen und Gefahren teilgenommen hat, und froh war, in den Leiden und der Hingabe Aller die eigene Person zurücktreten zu lassen. Durch eine Gnade, auf die er kaum gefaßt war, als er die unberührte Stille seines Künstlerheimes mit dem Schweiß, dem schweren Dienst und der Unruhe des Soldatenlebens vertauschte, hat er ohne Zweifel hier sein Bestes offenbart, und man kann sich fragen, ob es ihm im regelmäßigen Verlauf eines abgeschlossenen Künstlerdaseins, je vergönnt gewesen wäre, mit dieser Fülle sein Wesen auszudrücken. Die ihn lieben, finden in diesem Gedanken den Trost, der ihnen helfen kann, Alles geduldig hinzunehmen. Seine Seele ist in diesen Briefen vielleicht wesentlicher und schöner, als sie selbst sie je gekannt haben. Auch Mark-Aurel schrieb im Verlauf eines Krieges seine Gedanken nieder. Vielleicht braucht es das Äußerste, um den Seelenadel des Menschen zu zwingen sich zu offenbaren; dann staunt man darüber, was die Seele in sich selbst entdecken kann, um es dem Schmerz und dem Tode entgegenzustellen. So offenbarten sich in den Tagen der Prüfungen so manche unserer Söhne und es erstand, zum Erstaunen seiner selbst und der ganzen Welt, das Wunder jenes Frankreichs, das noch nicht wußte, was es Alles bedeutete. Dadurch berühren uns solche Briefe so tief. Derjenige, der sie schrieb, hatte seine Seele mit dem Grundton der Allgemeinheit in Einklang gebracht. Unter dem mystischen Ausspinnen der Melodie, das sein eigenes Wesen in diesen Grundton hineinbringt, finden wir den erhabenen Gedanken wieder, den mehr oder weniger deutlich ausgedrückt, unsere Söhne und Brüder von der Front zu uns trugen, die hehre Melodie, die heute noch von dem ganzen kämpfenden Frankreich aufsteigt. In allen zur Erfüllung der hohen Pflicht versammelten Kameraden hatte er deutlich erkannt, was er Tiefes und Schönes in sich selbst entdeckte, und deswegen spricht er immer von ihnen, besonders von den einfachsten, mit soviel Liebe und Ehrfurcht. Was ein solches Leben, fern von den gewöhnlichen Sorgen und ehrgeizigen Träumen, so rauh, so kümmerlich mitten unter den ewigen Erscheinungen, ihnen allen bringt, ist eine bis dahin unbekannte »Großzügigkeit in den Bewegungen und Gedanken«, »die heitere Ruhe des Gewissens« und die Frische einer Empfänglichkeit, die sich allen Erscheinungsformen der Natur harmonisch anpaßt. Sie spiegeln nur noch die Natur in sich wieder. Weil sie sich selbst hingegeben und vergessen haben, hat sich für sie Alles in wunderbarer Weise vereinfacht. Sie erlangen die Durchsichtigkeit der Seele und die Erleuchtung der Kindheit wieder. »Wir verleben kindliche Tage, wir sind Kinder geworden«. (24. Dezember.) Diese Verjüngung des Herzens, unter der täglichen Drohung des Todes, diese kindliche Ahnungslosigkeit in der täglichen Erfüllung der heroischen Pflicht, ist das nicht ein Zustand, der an die Gottseligkeit grenzt? André Chevrillon. Briefe eines Soldaten Den 6. August 1914. Teuerste Mutter! Das sind die ersten Tage meines sehr bewegten kriegerischen Daseins; aber die Müdigkeit, die ich empfinde, ist von dem, was ich erwartete, sehr verschieden. Ich lebe in einem Zustand starker nervöser Spannung infolge des Mangels an Schlaf und köperlicher Bewegung. Ich führe hier das Leben eines Beamten. Ich gehöre zu dem, was man Ersatzmannschaft nennt, d. h. die seßhafte Abteilung, welche den regelmäßigen Gang derjenigen Dienstzweige sichert, die nie unterbrochen werden dürfen, auch nicht während der Abwesenheit der Truppen, und die ferner dazu bestimmt ist, die Lücken auszufüllen, die etwa in der Feuerlinie entstehen. Was uns fehlt, ist zu wissen, was vorgeht. C.-T. ist eine Stadt, in der man keine Zeitungen mehr bekommt. Den 13. August. Wir sind ohne Nachrichten; während mehrerer Tage wird es so bleiben, denn die Zensur ist außerordentlich streng. Hier ist das Leben ruhig. Das Wetter ist prächtig und alles atmet Ruhe und Vertrauen. Wir denken an die, welche bei dieser Hitze kämpfen, und dieser Gedanke läßt uns unsere Lage noch zu schön erscheinen. Die Stimmung der Reservisten ist vortrefflich. Sonntag, den 16. August. Heute Spaziergang auf dem Ufer der Marne. Liebliches Wetter nach etwas Regen. Gar angenehmes Zwischenspiel in diesen unruhigen Zeiten. Wir sind immer noch ohne Nachrichten wie Ihr auch, und haben zum Glück einen stattlichen Vorrat an Geduld. Ich hatte einiges Vergnügen daran, die Landschaft zu genießen, trotz der blauen und roten einbrechenden Flut, übrigens machten diese blauen und roten Leute den besten seelischen Eindruck. Unsere Ersatzmannschaft wird starke Einbußen erleiden und nimmt das mit Ruhe auf. Den 19. August (aus einem Tagebuch). Die Eintönigkeit des Soldatenlebens stumpft mich ab, aber ich beklage mich nicht. Nach neun Jahren finde ich dieselben Menschentypen wieder, etwas abgeblaßt, gebessert, ausgeglichen, und besonders auf den großen Gedanken hin gerichtet, den die Nachrichten aus dem Osten dem Geiste vergegenwärtigen. Die gewöhnliche Stubenkameradschaft weicht einem würdigeren Gefühl der Zusammengehörigkeit und einem löblichen Streben, sich einander anzupassen. Einer der Vorzüge unserer gegenwärtigen Lage ist das Gefühl, daß man Soldat spielen kann in dem Bewußtsein, seine Zeit nicht zu vergeuden. Diese Summe von kindlichen und wenig anstrengenden Beschäftigungen, die alle einen unmittelbaren Nutzen und Erfolg haben, stellt das geistige Gleichgewicht wieder her und beruhigt die Nerven. Dazu kommt noch der mächtige Deich, der alle diese Männer in Schranken hält, ein tiefes und unbestimmtes Gefühl der Brüderlichkeit, das alle Herzen denen zuwendet, die kämpfen. Jeder fühlt, daß die kleine Unbequemlichkeit, die man zu ertragen hat, nur ein schwaches Opfer ist im Vergleich zu dem entsetzlichen Aufwand von allen Kräften und aller Hingabe, die der Grenze zustreben. Den 25. August. Dieser Brief wird um wenige Augenblicke unserm Abmarsch vorausgehen. Der furchtbare Zusammenstoß erfordert unsere Gegenwart bei denen, die bereits im Kampfe stehen. Ich verlasse Euch, Großmutter und Dich, in der Hoffnung Euch wiederzusehen und in der Zuversicht, daß Ihr alles gutheißen werdet, was mir als meine Pflicht erscheinen wird. Nichts ist verloren und besonders nichts hat die Einsicht in unsere Bestimmung erschüttert. Sage denen, die mich ein wenig lieben, daß ich an sie denke. Ich habe keine Zeit jemandem zu schreiben. Meine Gesundheit ist vortrefflich. . . . Nach einer solchen Erschütterung kann man sagen, daß unser vergangenes Leben abgestorben ist. Laß uns also, liebe Mutter, unsere ganze Kraft daran setzen, uns einem vollständig verschiedenem Leben anzupassen, Du und ich, wie lange es auch dauern mag. Sei überzeugt, daß ich keine Gelegenheit aufsuchen werde, die unser Glück aufs Spiel setzen könnte, daß ich mich aber bemühen werde, meinem Gewissen und dem Deinen genug zu tun. Bis jetzt habe ich mir nichts vorzuwerfen, und ich habe den Willen auszuharren. Den 25. August (zweiter Brief). Zweiter Brief um Dir mitzuteilen, daß statt des unsrigen Pierres Regiment fortzieht. Ich hatte die Freude ihn vor mir vorbeimarschieren zu sehen, als ich in der Stadt auf Wache war. Ich habe ihn etwa hundert Meter weit begleitet. Dann haben wir uns Lebewohl gesagt. Ich hatte den Eindruck, daß wir uns wieder sehen würden. Die Stunde ist außerordentlich ernst; das Land wird nicht untergehen; aber seine Befreiung wird um den Preis von furchtbaren Anstrengungen errungen werden. Das Regiment von Pierre ist mit Blumen bedeckt und singend ausgezogen. Es war für uns ein inniger Trost, daß wir bis zuletzt zusammen sein konnten. Es ist schön von André,[*] daß er seinen Kameraden vom Ertrinken gerettet hat. Man kennt nicht die Schätze an Heldenmut, die Frankreich und die intellektuelle Jugend von Paris in sich bergen. [Fußnote *: Unterleutnant André Cadoux, ruhmvoll vor dem Feinde gefallen, den 13. April 1915.] Was unsere Verluste betrifft, so kann ich dir sagen, daß ganze Divisionen vernichtet worden sind. Gewisse Regimenter haben keinen Offizier mehr. Wie ich empfinde und was ich für meine Pflicht halte, darüber wird dich mein erster Brief vielleicht besser unterrichten. Wisse, daß es eine Schande wäre auch nur einen Augenblick an die eigene Rettung zu denken, wenn die Rasse unsere volle Hingabe verlangt. Meine einzige Pflicht ist ein aufrechtes Gewissen soweit zu tragen, als meine Beine es zu führen vermögen. Den 26. August. Teuerste Mutter! Ich habe mich sehr über einen schönen Artikel von Barrès gefreut, »Der Adler und die Nachtigall,« der Punkt für Punkt mit dem zusammenstimmt, was ich empfinde.[*] Die Ersatzmannschaften enthalten viel Abfall, aber auch kraftvolle Elemente, zu denen ich mich noch nicht zu zählen wage; aber ich hoffe sehr, daß ich mit diesen ausziehen werde. Der Stabsarzt hatte mich vom Tornistertragen entbunden, aber ich trage ihn doch, um mich zu trainieren, und halte es gut aus. [Fußnote *: Siehe Maurice Barrès: L'âme française et la guerre, I. L'Union sacrée, Paris. Emile-Paul. 1915. XVI. L'aigle survole le rossignol. »Schon unterscheide ich durch welches Aufblühen die junge Literatur, nach den Lehren des Krieges, für den Anteil, den sie an dem gewaltigen Kampf nimmt, wird belohnt werden.« Aus dem Kriege zurückgekehrt, »werdet Ihr, Schriftsteller, Eure Träume übertreffen, wie der Adler über die Nachtigall emporfliegt.« (S. 87.)] Die einzige Versicherung, die ich dir geben kann, betrifft mein körperliches und seelisches Befinden, das vorzüglich ist. Der wahre Tod wäre in einem besiegten Lande leben zu müssen; für mich besonders, dessen Kunst dann vernichtet wäre. Ich suche die Einsamkeit auf, so oft ich es vermag, und in geistiger Hinsicht bin ich wirklich unberührt. Übrigens ist der seelische Stand der Mannschaft viel höher als in gewöhnlichen Zeiten; das Unangenehme ist, daß die ewigen Wechsel und Versetzungen uns von Quartier zu Quartier herumschleppen, und daß das Vertrauen, welches im Erwachen war, vor den stets erneuerten uns bekannten Gesichtern stockt. Den 30. August. Liebes Mütterchen, wenn wir auch nicht schon gestern fortgezogen sind, sicher ist, daß es sich jetzt nur noch um Stunden handeln kann. Ich will Dir nichts schreiben von dem, was ich dir schon sagte; genug für mich, daß du mir zustimmst, wie ich dessen sicher war. . . . Je näher die Entscheidung heranrückt, um so mehr verfliegt alle Schlaffheit. Bei dem gestrigen sehr anstrengenden Marsch ist ein einziger abgefallen und der war wirklich krank. Frankreich wird aus dieser schlimmen Lage herauskommen. Ich kann dir nur wiederholen, wie sehr ich auf jede Wendung der Dinge gefaßt bin, und daß nichts unsere siebenundzwanzig glücklichen Jahre streichen kann. Ich bin entschlossen, mich nicht als ein vorbestimmtes Opfer anzusehen und ich fasse das Glück der Heimkehr ins Auge, bin aber bereit bis zum äußersten meiner Kräfte zu gehen. Wenn du ahnen könntest, welche Scham ich empfinden würde bei dem Gedanken, daß ich etwas mehr hätte leisten können. Inmitten all dieses Jammers erleben wir herrliche Stunden, in denen die Dinge, die uns am Fremdesten waren, eine erhabene Bedeutung erhalten. Den 4. September, 6 Uhr (unterwegs, im Zug). Vierzig Stunden einer Fahrt, in der das »malerische« den äußersten Mangel jeglicher Bequemlichkeit übertrifft. Die große Frage ist der Schlaf und die Lösung ist nicht einfach, wenn man zu vierzig in einem Viehwagen ist. Jeden Augenblick hält der Zug und wir begegnen den unglücklichen Flüchtlingen. Dann die Verwundeten: schöner patriotischer Anblick. Die englischen Truppen. Die Artillerie. Wir wissen nichts mehr, da wir keine Zeitungen mehr haben und wir können uns nur an die Gerüchte halten, die in der geängstigten Bevölkerung umgehen. Herrliches Wetter. Samstag, den 5. September (nach 60 Stunden Fahrt in einem Viehwagen: 40 Mann in jedem Wagen.) Am selben Tage sind wir an den Ufern der Seine, dem Walde von Fontainebleau gegenüber, und an den Ufern der Loire entlang gefahren. Die Schlösser von Blois und von Amboise gesehen. Leider verhinderte uns die Nacht daran, mehr zu sehen. Könnte ich Dir nur sagen, welche süße Erinnerungen jene herrlichen Loireufer in mir wachgerufen haben! Seid Ihr von diesen schrecklichen Fliegern beschossen worden? Ich denke an Euch in solchen Fällen, an die arme Großmutter besonders, die es wahrlich nicht nötig hatte solche Dinge zu erleben. Nun, gute Hoffnung! Wir erfahren durch die evakuierten Verwundeten, daß in den ersten Tagen des Augusts im hohen Kommando Fehler begangen worden sind und daß sie unerbittlich bestraft worden sind. Jetzt müssen wir sie wieder gut machen. Die englischen Truppen kommen in Menge. Wir sind an mehreren vollgestopften Zügen vorbeigefahren. Nun, dieser Krieg wird nicht der militärische Spaziergang sein, wie Viele glaubten, wie ich es nie geglaubt habe; er wird aber das Gute in der ganzen Menschheit aufgerüttelt haben. Ich erzähle Euch nichts von den herrlichen Bildern, die nicht auf den Krieg Bezug haben, doch wird nichts verloren sein. Den. 5. September 1914, 1. Etappe, 66 Stunden Käfig ohne sich ausstrecken zu können. Fortwährend Berührung mit Eisenteilen und Erschütterung -- aber auf die gräßliche Nacht folgt dreimal nacheinander der strahlende Morgen und alle Müdigkeit verschwindet! Wir sind kreuz und quer durch die französische Landschaft gefahren, von der etwas trockenen, aber so andeutungsreichen Heiterkeit der Champagne bis zur üppigen und kraftvollen Seelenruhe der Bretagne. Dazwischen sind wir an den rauschenden und feierlichen Ufern der Loire entlang gefahren, und nun . . . O mein herrliches Vaterland! Herz der Welt, in dem alles Göttliche auf Erden ruht, welch' Ungeheuer zerfleischt Dich? Wesen, dessen Schönheit allein eine Herausforderung war . . . Vorher liebte ich Frankreich in aufrichtiger Liebe, wenn auch etwas nach der Art eines Dilettanten; ich liebte es wie ein Künstler, der stolz ist auf dem schönsten Fleck Erde zu leben, aber im Grunde liebte ich es etwa wie ein Bild seinen Rahmen lieben könnte.-- Es brauchte dieses Entsetzen, um mich das Kindliche, das Innige in den Banden, die mich mit meinem Lande verknüpfen, fühlen zu lassen . . . Den 7. September (aus einem Tagebuch). . . . Wir haben die Fahrt in das Unbekannte angetreten, ohne irgend ein vorherrschendes Gefühl, außer etwa einer leidlich schönen Annahme des Unvermeidlichen. Doch die weicheren Regungen werden durch den Anblick der Opfer des Krieges wachgehalten. Wir sehen besonders Flüchtlinge. Arme Menschen! wahrhaft dem Boden Entwurzelte, oder vielmehr welkes Laub im Sturm, kleine Seelen in gewaltigen Ereignissen. Ganze Züge von Viehwagen, die kaum ihre Bestimmung gewechselt haben. Züge, in denen der Jammer dieser Entrissenen sich anhäuft, die, o wie bald, zur Herde werden! Das Elend hat sie aller menschlichen Errungenschaften entblößt. Wir bringen ihnen zu essen und zu trinken und dabei lernen wir sie kennen: der Mann trinkt, ohne an seine Frau, an seine Kinder zu denken. Die Frau erinnert sich ihres Säuglings, einige Weiber aber nehmen sich Zeit, ohne um die Hast der andern sich zu kümmern. Unter diesen Schiffbrüchigen berührt mich eine wie ein Stich mitten ins Herz. Eine siebenundachtzigjährige Greisin, in allen diesen Stößen herumgeschüttelt und herumgeschleppt, wird abwechselnd heraufgeladen und aus den rollenden Käfigen heruntergeschafft, so zitternd, so hülflos, so verloren . . . Den 10. September (aus einem Tagebuch). Wir kommen in eine von guten Nachrichten durchkreuzte Gegend: sehr deutlich bekomme ich den Eindruck, daß nunmehr das Schicksal Frankreichs gesichert ist. Vom amtlichen Bericht, der bündig und bestimmt einen durchgreifenden Erfolg versichert, bis zu dem Bündel phantastische Gerüchte, alles trägt dazu bei, dieses Vorgefühl zu verstärken. Den 13. September (aus einem Tagebuch). Hier ist Krieg; hier betreten wir den Ort des Entsetzens. Wir haben die Dörfer Frankreichs, in denen der Friede schlummerte, verlassen. Jetzt ist alles nur noch gewaltsame Bewegung, hier sieht man die ersten unmittelbaren Opfer des Krieges. Die Soldaten: Blut, Schmutz und Schlamm. Verwundete. Diejenigen, denen wir zuerst begegnen, sind am leichtesten verwundet: Wunden an den Armen, den Händen. Bei den meisten bemerkt man deutlich neben der Müdigkeit und den Schmerzen ein Gefühl wahrer Erleichterung, weil sie noch leidlich gut davon gekommen sind. Weiter in der Gegend der Verbandstellen, Verscharren von Toten; sechs sind es, auf zwei Karren ausgestreckt. Flach daliegend, in zerrissenen Kleidern verloren, führt man sie in eine am Fuß eines Kruzifixes offene Gruft. Priester tun eher Kriegsdienst als Gottesdienst, denn auch sie sind als Soldaten eingezogen. Etwas Stroh und Weihwasser darüber und wir ziehen weiter. Im Grunde sind diese Toten noch zu beneiden. Sie sind gepflegt gestorben. Was soll man von denen sagen, die weiter vorn liegen und verschieden sind nach Nächten von Todeskampf und Verlassenheit! . . . . Von diesem Sturme wird uns ein endloses Verlangen nach Mitleid, Brüderlichkeit und Güte verbleiben. Mittwoch, den 16. September 1914. In dem Kreise des Entsetzens. Die regnerische Dämmerung läßt die Straße erbleichen; plötzlich, in einem Graben, -- die Toten! Sie haben sich vom Schlachtfeld bis hierher geschleppt. Wie sie gefallen, so liegen sie da -- jetzt schon stinkend. Die einbrechende Nacht läßt uns nur mit Mühe ihre Landeszugehörigkeit unterscheiden, aber dasselbe große Mitleid umfängt sie. Es gibt nur ein Wort für alle: armer Junge! Die ganze Nacht unter diesen Greueln, dann den Morgen wieder. Der Tag bricht an über angeschwollene Pferdeleiber! An einer Waldecke ein erkaltetes Gemetzel. Sie liegen da ausgestreckt und starr, schon schwarz von Verwesung -- und ausgeplündert: überall sieht man offene Taschen, aufgerissene Brotsäcke. Nichts von dem, was ihre Persönlichkeit ausmachte, ist ihnen verblieben. Unter ihnen Zivilisten, deren Gegenwart sich aus dem deutschen Verfahren erklärt, französische Geiseln unter unserm Feuer marschieren zu lassen. Wenn diese Aufzeichnungen jemandem in die Hände fallen, mögen sie in einem ehrlichen Herzen Schauer erwecken vor der scheußlichen Missetat derer, die an diesem Kriege verantwortlich sind. Nie wird es Ruhm genug geben, um all diesen Schmutz, all dieses Blut zu verdecken. Den 21. September 1914. Der Regen im Krieg: Eine Qual, von der man sich keine Vorstellung machen kann. Drei Tage und drei Nächte, ohne etwas anderes tun zu können als zittern und jammern und trotzdem muß man den Dienst versehen. In einem mit Wasser gefüllten Graben schlafen, das sucht seinesgleichen bei Dante; was soll man aber erst vom Erwachen sagen, wenn man auf den Augenblick lauern muß, wo man mordet oder ermordet wird! Darüber das Brummen der Granaten, welches das Pfeifen des Windes übertönt. Mitunter Knattern der Gewehre. Dann kauert man in den Schmutz nieder und läßt die Verzweiflung einen durchdringen. Als diese Qualen ein Ende nahmen, hatte ich eine solche Entspannung der Nerven, daß ich geweint habe, ohne zu wissen warum. Das nennt man auf Vorposten ziehen nach einem Kampfe. Den 25. September. Eine Hölle in der friedlichsten, ländlichsten Gegend. Eine Herbstlandschaft, in welche die Kanone Löcher reißt! Den 27. September. Wenn es außer der herrlichen Lehre, die aus diesem Kriege hervorgehen wird, greifbare Gewinne gibt, so bin ich besonders für einen empfänglich, die Betrachtung des nächtlichen Himmels. Niemals brachte mir die Majestät der Nacht so vielen Trost wie in diesen sich häufenden Prüfungen. Der strahlende Abendstern ist mir ein Freund geworden. . . Jetzt bin ich mit den Formen der Sternbilder vertraut. Einige ziehen durch den Himmel weite Bogen, als wollten sie den Thron Gottes umkreisen. Welche Pracht! Wie denkt man dabei an den chaldäischen Hirten! O Sternbilder! erstes Alphabet! . . . . Den 1. Oktober. Ich kann Dich versichern, daß ich in geistiger Beziehung soeben herrliche Tage erlebt habe, in deren Verlauf alles, was eitle Sorge war, durch einen neuen Geist weggefegt wurde. Wenn Du je eine trübe Stunde hast und ein einziger meiner Briefe Dich erreicht, so soll er Dir sagen, wie erhebend und kostbar diese Qualen waren. 1. Oktober (aus einem Tagebuch). . . . Aus alledem muß man folgern, daß unsere Leiden in jedem einzelnen ihrer Momente als die wunderbarste Quelle seelischer Bewegung und der Bildung für unser Gewissen zu betrachten sind. . . . Jetzt weiß ich, welchem Gebiet mein Schicksal mich zuführt. Nicht mehr in das stolze, künstliche Land abstrakten Denkens, sondern auf den Weg der täglichen kleinlichen Sorgen und in ihren Dienst muß ich eine stets wachsame Feinfühligkeit stellen. Ich sehe, wie leicht eine gerade Natur alles Künstliche im Ausdruck aufgibt, um tätig zu sein und einen heilsamen Einfluß auszuüben. Eine kostbare Belehrung, die mir im Falle der Rückkehr erlauben würde, weniger darunter zu leiden, wenn das Schicksal mir zu malen nicht mehr erlauben sollte. Den 9. Oktober. . . . Wie es scheint haben wir den Befehl, anzugreifen. So will ich denn dieses schwere Wagnis nicht unternehmen, ohne Dir meine Gedanken zuzuwenden in den wenigen Augenblicken der Sammlung, die wir haben. . . Alles trägt hier dazu bei, den Frieden des Herzens zu bewahren: die Schönheit der Wälder, in denen wir leben, das Fehlen geistig komplizierter Aufgaben . . . Es ist widersinnig, wie Du sagst, -- und doch sind soeben die schönsten Stunden meines seelischen Daseins verflossen . . . Wisse daß es auf Erden immer Schönheit geben wird und daß der Mensch niemals Bosheit genug haben wird, um sie zu zerstören. Ich habe genug gesammelt, um damit mein ganzes Leben zu schmücken. Möge das Schicksal mir Gelegenheit geben, daß ich alles was ich heute sammle, später seine Früchte tragen lasse. Es gibt ein Ding, das niemand uns wird entreißen können, das ist der Seelenschatz, den wir angehäuft haben. Den 12. Oktober. Bis jetzt verlassen mich deine Liebe und die Vorsehung nicht. Wir sind immer noch in herrlichen, verwüsteten Wäldern, mitten im schönsten Herbst. Die Natur bringt uns manche Freuden, welche diese Greuel übertönen. Tiefe, mächtige Hoffnung, welche Leiden uns auch erwarten mögen. Den 14. Oktober. Ohne Zweifel, liebe Mutter, gibt es Opfer, die schwere Kämpfe kosten; doch wisse, daß wir beide die nötige Kraft der Seele besitzen, um diese schweren Stunden zu durchleben, ohne vor Angst zu beben bei dem Gedanken an das Wiedersehn, das wir beide erhoffen. Das Wichtige ist, den Wert der gegenwärtigen Stunde zu erkennen und sie alles uns schenken zu lassen, was sie Schönes, Gutes, Erbauliches enthalten mag. Im übrigen vermag niemand die Zukunft zu verpfänden und es wäre eine sehr unnötige und zwecklose Quälerei, in dem Gedanken daran zu leben, was uns wohl künftig geschehen könnte. Findest Du nicht, daß das Leben uns viele Freude gespendet hat und es eine der letzten und die größte war, daß wir uns endlich schreiben konnten? Hier gibt es viele arme Menschen, die nicht wissen, wo ihre Frauen, ihre Kinder sind, die seit Monaten von allen getrennt sind. Wie du siehst, gehören wir noch zu den Bevorzugten. Liebe Mutter, weniger denn je dürfen wir verzweifeln; denn niemals werden wir deutlicher den Eindruck haben, daß alle diese Unruhe und diese Verirrungen nichts sind im Vergleich zu dem Anteil Ewigkeit, das jeder in sich trägt, und daß alle diese Ungeheuerlichkeiten in einer besseren Zukunft ihren Abschluß finden werden. Dieser Krieg ist wie eine Welterschütterung, die auf frühere Umwälzungen unseres Erdballs folgt; sahst du aber je, daß bei alledem ein Teilchen Seele verloren ging und das Gefühl einer höheren Ordnung abgeschwächt wurde? Unsere Leiden kommen daher, daß unsere kleine menschliche Geduld unseren Bedürfnissen, wenn auch den edelsten, zugewandt ist. Sobald sie die Dinge prüft mit der Absicht, darin Harmonie zu entdecken, findet sie die vollkommene Ruhe der Seele. Wir wissen nicht, ob diese Gewalt und diese Unordnung unser allgemeines Geschick nicht dem endgültig Guten zuführt. Liebe Mutter, indem ich die festeste und menschlichste Hoffnung bewahre, sende ich Dir sowie der geliebten Großmutter meine innigste Liebe. Wende auch unsern Freunden, die im Unglück sind, mein ganzes Herz zu. Hilf ihnen alles ertragen: zwei Kreuze sind weniger schwer zu tragen als eines. Hab' Vertrauen in unsere ewige Freude. Den 15. Oktober, 7 Uhr. Ich habe eine Karte von Dir erhalten, vom ersten. Wie froh bin ich, uns endlich mit einander verbunden zu sehen! In Wahrheit hatten sich unsere Gedanken nie verlassen. Du teilst mir das Unglück von Martha mit und ich freue mich, daß Du ihr behülflich sein kannst. Liebe Mutter, das ist unser beider Aufgabe: im gegenwärtigen Augenblick nützlich zu sein, ohne etwas von der folgenden Minute vorwegzunehmen. Ja, ich fühle wirklich so innig wie Du, daß ich im Leben eine Aufgabe zu erfüllen habe. Aber man muß stündlich so handeln, wie wenn diese Aufgabe augenblicklich zu erfüllen wäre. Behalten wir kein Winkelchen unseres Herzens für unsere kleinen Hoffnungen. Wir müssen notwendig dazu kommen, daß kein Unglücksfall aus unserm Leben etwas Trümmerhaftes, Abgebrochenes, Unharmonisches mache. Das ist die schönste Aufgabe, die Aufgabe des Augenblickes. Das übrige, jene Zukunft, welche man nicht befragen darf, liebste Mutter, Du sollst sehen, was sie uns Schönes, Gutes, Gerechtes vorbehält. Keine unserer Kräfte darf sich ins Leere betätigen; jede eitle Ängstlichkeit ist eine schädliche Kraftvergeudung. Begnüge Dich mit der herrlichen Versicherung, daß ich bis heute meine Seele zu einer Höhe gehoben habe, wo die Ereignisse ihr nichts mehr antun können und ich verspreche Dir, daß mein Streben dahin geht, sie fernerhin vorzubereiten, so gut ich es kann. Sage M. . ., wenn das Schicksal die Besten trifft, daß es nicht ungerecht ist: die Schlechten, die weiterleben, werden dadurch gebessert. Möge sie das Opfer annehmen in dem Bewußtsein, daß es nicht zwecklos ist. Ihr wißt nicht, welche Lehre uns der gibt, der fällt. Ich aber weiß es. Für den, der das Leben zu lesen vermag, haben die gegenwärtigen Ereignisse alle gewohnte Denkweise zerrissen, sie lassen aber besser denn je die ewige Schönheit und Ordnung durchschauen. Laßt uns uns erholen von der durch diesen Riß verursachten Überraschung, und uns sofort den neuen Verhältnissen anpassen, die aus uns Bevorzugte machen im Vergleich mit Sokrates, den christlichen Märtyrern und den Männern der Revolution. Wir verschmähen im Leben das nur Vergängliche und erfreuen uns dessen, was es so selten bietet, des Gefühls des Ewigen. Den 16. Oktober. Wir verleben einige Tage in annähernder Ruhe; zwischen zwei Stürmen hat meine Kompagnie eine besondere Ruhezeit verdient; so kann ich den Oktober voll genießen. Dein guter Brief vom 2. Oktober ist angekommen, jetzt bin ich voll Freude und der Friede ist innig . . . . Fahren wir fort, uns mit Mut zu wappnen, reden wir nicht einmal von Geduld. Nur noch Annahme des gegenwärtigen Augenblickes mit allen Schätzen, die er uns bringt: es gibt nichts anderes mehr, und gerade in diesen einzigen Punkt vereinigt sich alles, was es Schönes in der Welt gibt. Die Schönheit lebt, liebe Mutter, sie lebt außerhalb von allem, was wir sonst gewohnt waren zu fühlen. Setze Deinen Mut, Deine Liebe zu mir darein, sie zu entdecken, sie andere entdecken zu lassen. Diese neue Schönheit hat nichts zu tun mit den Vorstellungen, welche die Worte: Gesundheit, Familie, Vaterland ausdrücken; man erkennt sie, wenn man das Stück Ewigkeit, das in jedem Dinge enthalten ist, entdeckt. Aber bewahren wir die wunderbare Zuversicht, daß wir _uns wiedersehen_, sie wird uns nicht hindern alles zu tun, was unsere Pflicht uns vorschreibt. Sage M . . . wie sehr ich an sie denke. Leider ist ihr Fall nicht eine Ausnahme. Dieser Krieg hat manche Hoffnungen zertrümmert; so wollen wir, liebe Mutter, unsere Hoffnung dorthin verlegen, wo der Krieg sie nicht erreichen kann, in die Tiefe unseres Herzens, in die Höhen unserer Seele. . . . Den 17. Oktober, um 15 Uhr. Dir schreiben, das Bewußtsein, daß meine Briefe Dich erreichen, das ist mir ein tägliches Paradies. Ich lauere auf die Stunde, wo mir das möglich wird. Ja, geliebte Mutter, Du mußt fühlen, wie Dein Mut und Deine Lebensfreude wiedererwachen; nie darf man als Lebensgrund eine einzige Zuneigung nehmen, so berechtigt sie auch sein mag. Kein Unglücksfall darf uns vergessen lassen, wozu wir leben. Freilich können wir diese oder jene Aufgabe im Leben vorziehen, laß uns jedoch die annehmen, welche sich uns darbietet, so unerwartet und kurz sie auch sein mag. Du fühlst wie ich selbst, daß eine glückliche Zukunft uns beschieden ist, doch denken wir nicht daran. Denken wir an die Arbeit des heutigen Tages, an alle Opfer, die sie uns auferlegt. Den 22. Oktober. . . . . Ich nehme alles aus der Hand des Schicksals an; ich habe ihm aber alles genommen, was es an Glück in den Falten eines jeden Augenblickes birgt. Ach! wenn die Menschen ahnten, wieviel Friede sie vergeuden und was eine Minute in sich fassen kann, wie würden sie doch weniger unter der scheinbaren Gewalttätigkeit leiden! Freilich gibt es äußerste Qualen, die ich noch nicht kenne und welche die Seele vielleicht in einer Weise prüfen, die ich nicht ahne; aber ich spanne alle Kräfte meiner Seele dem Ziele entgegen, alle Augenblicke und alle Prüfungen anzunehmen. . . . Was notwendig ist, ist die Erkenntnis des Sieges der Liebe und der Schönheit über die Gewalt. Einige Zeiten des Hasses und der Lüge werden nicht die ewige Schönheit zu zerstören vermögen, und von dieser Schönheit hat jeder von uns einen unsterblichen Schatz. Den 23. Oktober. Liebste Mutter! Ich habe den Artikel von Barrès, »Der Adler und die Nachtigall« noch einmal gelesen. Er ist immer noch so schön, aber schon nicht mehr im Ton. Heute besteht nichts außer dem unmittelbar Gegenwärtigem; alles übrige erscheint wie ein Schmuck, den man beiseite legt für Festtage, ferne, problematische Feste. Aber gleichwohl, man schließt diesen Schmuck sorgfältig in eine Schublade ein. So tue ich mit den Schätzen der Freundschaft, dem berechtigten Ehrgeiz, dem lobenswerten Streben. Ich habe alles zugedeckt und lebe allein dem Genuß des gegenwärtigen Augenblickes. Diesen Morgen, im Anblick des blauen Himmels, denke ich an die Musik, die ich gestern gespielt: ich war vollkommen glücklich. Verzeih mir, daß ich nicht in der angstvollen, fieberhaften Erwartung des Wiedersehens lebe. Ich glaube, daß Du mir zustimmst, wenn ich unsere teuerste Hoffnung in andere Hände lege als die unsrigen. Den 27. Oktober. Wenn ich die Freude habe, wie ich es inständig hoffe, Dich wiederzusehen, sollst Du erfahren, in wie wunderbarer Weise ich durch die Vorsehung geleitet worden bin. Ich habe nur vor einer Macht und einer Güte mich zu neigen brauchen, die alle meine stolzesten Vorstellungen überbot. Ich kann sagen, daß Gott in mir war, wie ich in Gottes Hand bin und ich habe nur den einen bestimmten Wunsch, daß ich stets eine solche Gemeinschaft empfinden möge. Siehst Du, darauf kommt es an, das Leben auszunützen, nicht, wie man es verstehen kann, selbst nicht in unseren edelsten Neigungen, sondern indem man sich sagt: Laßt uns essen und trinken von allem, was ewig ist; denn morgen sterben wir allem ab, was menschlich ist. Es kommt der Augenblick, wo man seine Liebe wachsen sieht, während man zugleich allem ängstlichen, kleinlichen Hoffen entsagt. Den 28. Oktober. Nun naht das Ende des dritten Monats einer schrecklichen Prüfung, deren Lehren mannigfaltig und heilsam sein werden, nicht allein für den, der sie zu hören weiß, sondern für die ganze Welt; und das ist der große Trost, wenn man von diesem Sturm erfaßt worden ist. Möge es der Trost für die sein, die ihre Hoffnung an die Hoffnungen der Kämpfenden geknüpft haben. Dieser Trost ist besonders in dem übermenschlich klaren Bewußtsein, daß alle göttliche und ewige Kraft, die in unserer Gattung wirkt, statt geschwächt zu sein, vielmehr gesteigert und mächtig angeregt aus diesen Stürmen hervorgehen wird. Glücklich, wer den Friedensgesang hören wird, wie in der Pastoralsymphonie, glücklich aber auch derjenige, der ihn im Sturme vorausahnt! Was tuts nachher, wenn dieses herrliche Vorgefühl in Abwesenheit des Propheten zur Tat wird! Wer das geahnt hat, hat auf Erden viele Freuden aufgelesen. Ein höherer wird sagen, ob seine Aufgabe vollendet ist. Den 28. Oktober (zweiter Brief, fast zur selben Stunde). Teure geliebte Mutter! Noch kann ich eine traute Stunde mit Dir verbringen. Wir können nur uns immer wieder dasselbe sagen; doch es ist so herrlich, daß man stets neuen Ausdruck dafür finden könnte. Heute leben wir unter einem Himmel mit großen stürmenden kalten Wolken, wie bei den holländischen Landschaftsmalern. . . . Teuerste, ich wage nicht einen Wunsch auszusprechen, ich darf es nicht, man darf nicht einmal eine Zeit teilweiser Entspannung ins Auge fassen. Ich versichere Dich, daß andauernde Kraftanstrengung weniger ermüdend ist als gewisse Zeiten rastloser, fieberhafter Arbeit, die wir durchgemacht haben. Nur können wir dabei unsere Seelenkräfte in einer Art Widerstand gegen alles Böse in uns anspannen und die Tore allem Guten, was von außen kommt, offen lassen. . . . Ich bin froh, daß Du Tolstoi gelesen hast: er war auch im Krieg. Er hat ihn verurteilt, er hat seine Lehren in sich aufgenommen. Wenn Du einen Blick in das herrliche Buch »Krieg und Frieden« einwerfen kannst, wirst Du darin Bilder finden, die an unsere Lage erinnern. Was es Dir begreiflich machen wird, ist die Möglichkeit ruhigen Betrachtens, die dem Soldaten gelassen ist, der sie erstrebt. Was den Zwang betrifft, den der Mangel an jeglichem körperlichen Wohlbehagen der Seele auferlegen könnte, so glaube ja nicht daran. Wir führen zwar das Dasein von Kaninchen am ersten Jagdtage; trotzdem können wir in herrlicher Weise unsere Seele bereichern. Den 30. Oktober. Ich schreibe Dir in einer herrlichen Herbstlandschaft, grau, vom Wind durchfegt. Für mich aber war der Wind nie verstimmend, weil er mir die Seele des Landes jenseits des Hügels zuweht. . . . Der grauenhafte Krieg vermag uns nicht aus unserer geistigen Heimstätte herauszureißen. Trotz Stunden betäubenden Lärmes findet man sich ungefähr selbst wieder. Ich möchte sogar behaupten, daß unser heutiges gewöhnliches Dasein uns eine Feinfühligkeit verleiht, die fähig ist, die leiseste Berührung zu verzeichnen, wie wenn alle unsere Nerven bloß lägen. Vielleicht wird sich, nachdem die Hülle unserer Seele sich abgeschält, eine Kruste bilden und die Zurückkehrenden eine Zeitlang abgestumpft sein. Was schadets: dieser Zustand seelischer Erschütterung kann nicht ohne Nutzen vorübergehen. Gestern waren wir in einem hübschen Dorfe der Maasgegend, dessen Reiz durch den Gegensatz der umgebenden Ruinen noch erhöht wurde. Ich konnte mir ein Hemd waschen lassen und, während es trocknete, unterhielt ich mich mit der trefflichen Frau, die täglich dem Tode trotzt, um ihr Heim zu schützen. Sie hat drei Söhne, alle sind Soldaten, und die Nachrichten, die sie von ihnen hat, sind schon alt; einer von ihnen ist wenige Kilometer von ihr vorbeimarschiert. Seine Mutter wußte es und hat ihn nicht sehen können. Eine andere von diesen französischen Frauen bewacht das Haus ihres Schwiegersohnes, der sechs Kinder hat. -- --- -- Deine Aufgabe ist es, alles ruhig aufzunehmen und zugleich volles Vertrauen in die ewige Gerechtigkeit zu haben. Halte Dich dabei nicht auf, den Wert der Persönlichkeit derer, die am Leben bleiben, derer die gehen, zu betrachten; das heißt die Dinge auf der menschlichen Wagschale abwägen. Man muß aber in uns die gewaltige Summe dessen unterscheiden, was besser ist als das Menschliche. Liebe Mutter, unbedingtes Vertrauen! Worin? Wir ahnen es beide. Den 31. Oktober, 10 Uhr. . . . Bis jetzt hatte ich die Weisheit des Entsagens, jetzt aber erstrebe ich eine Weisheit, die alles willig hinnimmt und auf das künftige Handeln hingerichtet ist. Was tut's, wenn die Wolfsgrube sich unter den Füßen des Läufers öffnet? Freilich erreicht er sein Ziel nicht; ist der aber klüger, der am Rande verkommt unter dem Vorwand, daß er hineinfallen könnte? Den 1. November, Allerheiligen, 8 Uhr. Gestern erhielt ich Deine Karte vom 24.--25. Während Du den für uns verhüllten Mond betrachtetest, fühltest Du Dich, sehr mit Unrecht, ohnmächtig; wie sehr hattest Du aber Recht, daß Du hofftest! In demselben Augenblick wurde ich durch die Vorsehung beschützt in einer Weise, die allen Hochmut über den Haufen wirft. Am nächsten Tage hatten wir das wundervollste Morgenrot über dem Purpur der Herbstwälder in dieser Gegend, wo ich vor drei Jahren meine Skizzen malte. Wir sind aber an der Stelle, wo die Landschaft Charakter annimmt, sich erweitert und von ergreifender Majestät wird. Wie Dir die Schönheit des Horizontes schildern! Wir bleiben in dieser herrlichen Gegend und heute ist Allerheiligen! Zur Stunde schreibe ich Dir im Silberglanz der Sonne, die über den Nebeln des Tales aufgeht; wir ahnen das schlafende Land vierzig Kilometer weit in der Runde und die Schlacht stört kaum den weihevollen Ernst des Landschaftsbildes. Liebe innig mein geplantes Gemälde. Es verknüpft mich mit meinem Schicksal. Wenn ich die Gnade habe, heimzukehren, wird die äußere Anlage des Bildes eine andere sein, das Wesen ist aber in der Skizze schon enthalten. Mittag. -- Herrlicher Allerheiligentag, den die Gewalttätigkeit entweiht. Herrliche Pracht des Tages. Den 2. November, Allerseelen. Strahlendes Fest der Sonne und der Freude in der prächtigen Natur einer Maaslandschaft. Im Herzen preßt sich die Hoffnung zusammen, die dem Schmerze derer nicht spotten will, für welche dieser Tag der erste Schritt auf dem Wege der Trauer ist. Teure inniggeliebte Mutter, vor achtundzwanzig Jahren warst Du in Trauer und Hoffen: heute auch ist die Angst des Hoffens voll. Diese Prüfungen kommen über Dich nicht in demselben Alter, aber ein ganzes Leben des geduldigen Sichfügens bereitet Dich auf die letzte Weisheit vor. Welche Lust, dieses stete innige Mitschwingen im Schoße der Natur! Gestern abend sah ich denselben Horizont, den wir erwachen sahen, in rosiges Licht gebadet; dann ist der Vollmond in einem zarten Himmel aufgegangen, auf den die Bäume, wie Korallen und Safran, in zackigen Linien sich abzeichneten. O Teure, das entsetzliche Martyrologium der besten französischen Jugend kann nicht ins Endlose sich ausdehnen. Es ist undenkbar, daß die Auserlesenen eines ganzen Volkes zu Grunde gehen. Es gibt als Aufgabe für das Genie eines Volkes etwas besseres als den Krieg: eine tiefe Ahnung zeigt mir in naher Zukunft eine Besserung. Möge unser Mut und unsere Einigkeit uns diesem Bessern zuführen. Hoffnung, immer neue Hoffnung! Ich habe den lieben Brief von Großmutter und die Karte von Herrn R. erhalten, gut und freundlich. O Teure, habt ihr auch heute diese schöne Sonne? Wie schön ist die Landschaft, wie gut die Natur! Sie sagt dem, der ihre Stimme hört, daß nichts wird verloren sein. Den 4. November, 1 Uhr. Ich lebe nur durch den Gedanken an Dich und in der Güte der Natur. Diesen Morgen haben unsere Vorgesetzten mit einem Marsche von zwanzig Kilometern gedroht und die Drohung ist zur Tat geworden als ein reizender Spaziergang in der Landschaft, die ich so innig liebe. Ein entzückend feiner Dunst, den wir von Stunde zu Stunde steigen sehen, der Lockung einer mäßig warmen Sonne folgend; und dort Hügelketten, die ein ausgedehntes Landschaftsbild beherrschen, in welches alles in seinen Linien sich einzeichnet oder im Nebel angedeutet ist. Man sieht Hügel mit kahlen Bäumen, die liebliche Umrisse zeigen. Ich denke an die alten Maler, an ihre zartempfundenen und gewissenhaften Landschaftsbilder. Welche peinlich durchgeführte Majestät, deren erster Anblick durch die Größe der Auffassung Bewunderung einflößt und deren Einzelheiten tief bewegen! Du siehst, liebe Mutter, wie Gottes Gnade uns Gaben austeilt, weit über die Beschwerden, die wir auf uns nehmen. Es ist nicht einmal die Rede mehr von Geduld, da die Zeit für uns kein Maß mehr hat, da von keiner meßbaren Dauer mehr die Rede ist. Welchen Reichtum an Eindrücken birgt aber dafür der Augenblick in sich, der sich uns darbietet! Das ist unser Leben, von dem ich Dir geschrieben habe, daß kein Ereignis daraus etwas Unfertiges, Abgebrochenes machen darf; diese Weisheit will ich mir bewahren. Zugleich aber will ich sie mit einer andern Weisheit verbinden, die der Zukunft zugewandt ist, selbst wenn die Zukunft für uns eine verschlossene Gegend ist. Ja, nehmen wir von der Gegenwart alles an (und die Gegenwart bringt uns so viele Schätze!); aber laß uns auch die Zukunft vorbereiten. Den 5. November, 8 Uhr. Liebe Mutter! Verhehle mir nichts von Paris, von Deinen Sorgen, von Deinen Beschäftigungen. Alles was Du beschließt, ist recht. Mein Glück ist gerade dieses Gefühl der Sicherheit, wenn ich in alledem an Deine Seele denke. Das Wetter ist immer entzückend und sehr mild. Ohne die schöne Gegend zu verlassen, in die wir am 20. September gekommen sind, sind wir heute in die Wälder zurückgekehrt. Das liebe ich weniger als die freie weite Aussicht; aber es gibt doch auch hier gar hübsches zu sehen. Dann ist auch der Himmel, jetzt wo die Blätter abgefallen sind, so schön, so zart. Ich habe an C. geschrieben und werde an Frau C. schreiben. Ich erwarte einen Brief von Dir. Wüßtest Du wie viel länger ein Tag ohne Nachrichten ist! Ich habe zwar Deine früheren Briefe, aber der frische Brief hat einen Duft, den ich jetzt nicht mehr entbehren kann. Den 6. November. Gestern war ich, ohne zu wissen warum, ein wenig verstimmt: was die Soldaten »cafard« nennen. Das kam daher, daß ich tags vorher mich von einem Tagebuch getrennt hatte, das ich Dir in einem Packet zu schicken mich entschlossen hatte. Die Ereignisse von vorgestern, obgleich friedlich, hatten mich derart umhergestoßen, daß ich mich dieser Unglückssendung nicht so annehmen konnte, wie ich es gewollt hätte. So war ich geteilt zwischen einer doppelten Angst: einmal, daß das Paket Dich nicht erreichen möchte und diese Aufzeichnungen, die mein Leben vom 1. bis zum 20. Oktober darstellen, verloren sein könnten; und dann, daß vielmehr dieses Paket zu Dir gelangen möchte vor dem erklärenden Briefe, was dir sonderbar erscheinen könnte, da die Sendung unter anderm Namen geschehen ist und der Umschlag meines Heftes Anweisungen gibt, damit man Dir gegebenenfalls diese Aufzeichnungen zuschicke. . . . . Wir leben heute in der stimmungsvollsten und zartesten Landschaft Corots. Von der Scheune aus, in die wir unsern Vorposten untergebracht haben, sehe ich zunächst die Straße mit den Wasserlachen, die der Regen zurückgelassen hat. Dann Baumstumpfe, weiterhin hinter einer Wiese eine Reihe Weidenbäume am Rande eines eilenden und lieblichen Bächleins. Im Hintergrunde hüllen sich einige Häuser in einen leichten Dunst und halten jene zarten schwarzen Töne fest, für die unser teurer Landschaftsmaler ein so edles Empfinden hatte. So friedlich ist es heute morgen. Wer könnte glauben, daß hinter uns nichts ist als Feuersbrunst und Trümmer! . . . . Den 7. November, 8 Uhr morgens. Eben erhalte ich Deine Karte vom 30., die mir die Sendung eines Pakets ankündigt. Wie nett! wie man an uns denkt! Alle Süßigkeiten werden gebührend gewürdigt. Gestern entzückender Novembertag. Diesen Morgen zuviel Nebel, um die Freude an der Natur zu genießen. Aber gestern nachmittag! Ein duftiges, ausgesucht zartes Wetter, wo alles sich einzeichnet wie auf eine angehauchte Glasscheibe eingeritzt. Die entlaubten Büsche in der Nähe unseres Wachpostens sind von einer Schar von Vögeln ausgesucht worden, grün, weiß am Rande der Flügel, die Männchen mit schwarzem, weiß getupftem Kopf. Wie Dir ausdrücken, was das bloße Rauschen ihres Fluges in dieser Stille für mich war! -- Denn auch das ist ein Segen in diesen Kämpfen: in der Welt kann es nur eine bestimmte Menge Bosheit geben. Da nun der Mensch alles dem Menschen zuwendet, haben die Tiere ihren Vorteil davon, wenigstens die Tiere des Waldes, unsere gewöhnlichen Opfer. Könntest Du nur die Sorglosigkeit der Tierchen des Waldes sehen, Mäuse, Feldmäuse! Letzthin folgte ich in unserm Laubversteck den Bewegungen dieser Tierchen. Sie waren hübsch wie japanische Holzschnitte, das Innere ihrer Ohren rosa wie eine Muschel. Wir haben dann noch dem Ausflug der Kraniche beigewohnt: ihr Schrei in der Dämmerung ist erschütternd. -- --- -- Wie freue ich mich zu erfahren, daß Du zeichnest. Tu's für uns beide. Wüßtest Du wie es mich juckt, alles was uns hier in der Seele bewegt zu malen! Wenn Du meine Briefe aus letzter Zeit gelesen hast, wirst Du gemerkt haben, wie vieles ich entbehre, aber auch wie vieles mich beglückt. Den 9. November, Montag 7 Uhr. . . . Wir haben wieder die freie, weite Ebene erreicht, die ich so sehr liebe. Leider sehen wir sie nur undeutlich durch Mäuselöcher hindurch. Nun, es ist wenigstens so viel! . . . . . . . . . Alle diese Tage hindurch habe ich den Reiz einer Landschaft genossen, die im süßen Frieden des Herbstes ruht. Dieser Friede wurde gestern durch den erschütternden Anblick eines brennenden Dorfes gestört. Es war nicht das erste, das wir sehen; aber wahrlich wir waren nicht mehr daran gewöhnt. Wir haben unsern Beobachtungsposten bezogen; es war noch Nacht. Von den Höhen, die wir besetzten, sahen wir die gewaltige Glut und, als der Tag aufging, war das liebliche im Tal versteckte Dorf nur noch eine Rauchwolke. All das in der Silberglorie eines strahlenden Morgens. Von unserm Mauseloch aus blickten wir in die Talmulde mit den lieblichen Windungen ihrer Straße, ihrem von Weidenbäumen umrahmten Bach, ihrem Kalvarienberg, und all diese Harmonie sollte in dem Grausen der Zerstörung enden. Die Deutschen haben es in der Nacht mit der Hand in Brand gesteckt; nach zwei Tagen wütender Kämpfe waren sie daraus vertrieben worden: ihre Handlung kann als ein Zeichen eines auf diesem Punkte beabsichtigen Rückzuges aufgefaßt werden. Dieses von unseren Soldaten gehaßte Verfahren ist, glaube ich, durch eine strategische Forderung vorgeschrieben. Wenn ein Dorf zerstört ist, wird seine Benutzung für unseren Dienst hinter der Front sehr erschwert. So haben wir denn den ganzen Tag dieser Verwüstung zugeschaut, während über unseren Köpfen die kleinen Feldmäuse das Stroh ausnutzen, in dem wir schlafen werden. Unser Infanteristendasein gleicht ein wenig dem der Kaninchen während der Jagdzeit. Wir sind dadurch, wenigstens die schlimmsten Angstpeter unter uns, in einen Zustand immerwährender Spannung gekommen, auf der Suche nach einem Schlupfwinkel. Sobald wir darin vergraben sind, schreibt man uns vor, nicht daraus zu weichen. Diese klugen Vorschriften werden leider nicht immer mit der nötigen Einsicht gehandhabt; so waren wir gestern zu Vieren in einem vorgeschobenen Schützengraben, der in einer herrlichen Gegend lag und unter Laubwerk vollständig versteckt war. Wir hätten also nach Herzenslust die Landschaft genießen können, hätte nicht der Gefreite, ein braver Junge, davor gezittert uns ein bischen leben zu lassen. Glücklicherweise sind die Artilleristen und Maschinengewehre dazwischen gekommen, haben an unserem Standort einen entsetzlichen Höllenlärm vollführt und uns gezeigt, wie wenig man auf überflüssige Vorsicht halten muß. Durch dieses Beispiel ermutigt, habe ich also in aller Freiheit die Landschaft genießen können, gestern leider raucherfüllt, ein erschütternder Anblick. Merke Dir wohl, geliebte Mutter, daß ich keine Unvorsichtigkeit begehen will; aber wahrlich, dieser Krieg ist der Triumpf des Verhängnisses, der Vorsehung und des Schicksals. Mein sehnlichster Wunsch ist, die Gnade der Rückkehr zu verdienen; aber abgesehen von kurzen Augenblicken einer sehr menschlichen Ungeduld, kann ich sagen, daß der größte Teil meines Ichs der ruhigen Annahme des gegenwärtigen Augenblicks geweiht ist. -- --- -- Den 10. November, 11 Uhr. Teuerste Mutter! Was soll ich Dir vom heutigen Tag erzählen! eintönig im Nebel. Beschäftigungen, die nicht stumpfsinnig an sich sind, es aber durch die geistlose Umgebung werden. Ich ziehe mich in mein Innerstes zurück. Gestern schrieb ich Dir einen langen Brief, in dem ich Dir unter anderem sagte, wie teuer mir Deine Briefe sind. Du siehst also, daß ich mich etwas langweilte als ich das Papier zur Hand nahm; nun aber, da ich mit Dir bin, bin ich froh und denke sofort an die Freuden, die dieser Tag mir gebracht hat. Heute morgen hat mich der Leutnant beim Kommandoposten Eisendraht holen lassen, in einem verwüsteten Dorfe, um das herum wir seit Wochen liegen. Ich bin durch die Obstgärten hinabgestiegen, die voll waren von den letzten abgefallenen Pflaumen. Einige Soldaten lasen sie sorglos auf und sammelten sie in Körben. Liebliches Bild, ganz ländlich und idyllisch, trotz der roten Hosen, die übrigens sehr abgeschossen sind nach drei Monaten Felddienst. Ich freue mich der Freundschaft von Ch. R. . . Er ist ein Mensch, der in allen Teilen mit mir übereinstimmt. Ich bin daher überzeugt, daß er es mir nicht übelnehmen wird, wenn ich nicht schreibe, besonders wenn Du seine Frau meiner Freundschaft versicherst. Der kleine Dienst, der mir anvertraut worden ist, zwingt mich von Anbruch der Nacht bis 9 Uhr zu gehen, dann aber habe ich mitunter Gelegenheit in einer Deckung oder einer Scheune zu schlafen, statt nachts in den Schützengraben zurückzukehren. Ich habe nicht mehr die angenehmen Leseabende zu Hause; wenn wir aber manchmal im Schützengraben, S. . . . und ich, nebeneinander liegen, kannst Du Dir nicht vorstellen, welche Traumbilder wir wachrufen und welche Freude uns die alten Erinnerungen bringen, die wir aufrühren. O! unter welchen Märchenhimmel reißen uns die Naturwissenschaften und die Neugierde des Intellektes und welches Vergnügen bereiten mir die wunderbaren Geschichten von diesem Metall oder jener Säure! Für mich scheinen Tausend und eine Nacht sich zu wiederholen. Und dann beim Erwachen manchmal die Anmut einer Morgenröte. Das ist das Leben, das ich seit dem 13. oder 14. Oktober führe. Ohne mehr zu verlangen, begnüge ich mich damit zu staunen, daß wir in einem solchen Kriege verhältnismäßig viel ruhige Stunden haben. Du kannst dir nicht vorstellen, welche Genugtuung es für mich ist, zu wissen, daß Du meinen Sachen Deine Seele zuwendest. Wie freut es mich mir vorzustellen, daß meine Bücher Dich beschäftigen, Du meine Stiche betrachtest! . . . . Vom 12. November, 15 Uhr. . . . Heute haben wir einen Übungsmarsch gemacht, so angenehm wie der erste, in einem Wetter von wunderbarer Schönheit. Wir sahen in Blau und Rosa die fernen Ketten der Hügel von Metz, die weite, von Dörfern besäte Ebene, von denen einige einen morgendlichen Sonnenstrahl auffingen, während man die andern mehr ahnte als sah. Wir führen ein Dasein, das in großen Zügen so aussieht: drei Tage bleiben wir in der Nähe des Feindes und leben in ganz gut gebauten Verdecken, die wir täglich verbessern, dann bleiben wir wieder drei Tage weiter hinten und schließlich drei Tage im Quartier in einem nahen Dorfe, gewöhnlich in demselben. So kommen wir dazu, Gewohnheiten anzunehmen, zwar recht vorübergehende, aber immerhin kommen wir in Berührung mit der übrigens schwer geprüften Zivilbevölkerung. -- Die Wollkleider sind unschätzbar und unübertrefflich. . . . . . . Wir haben es mit guten Seelen zu tun. Besonders die liebe Frau, bei der ich Dir schreibe und zu der ich schon das letzte Mal gekommen bin, plagt und müht sich zu Tod ab, um uns etwas von dem zu geben, was an das Heim erinnert. Aber, liebe Mutter, was mich an das Heim erinnert, das trage ich im Herzen. Aus Tellern essen und auf einem Stuhle sitzen, das ist nichts, was zählt. Deine Liebe ist's, die ich so nahe fühle. . . . Den 14. November. Seit dem 12., um acht und ein halb Uhr abends wurden wir herumgeschleppt mit der Aussicht, an einem gewaltsamen Vorgehen teilzunehmen. Wir sind nachts fort, und in diesem Frieden der Natur klärten sich meine Gedanken ein wenig ab nach zwei Tagen Einquartierung, während welcher das Körperliche immer etwas überhand nimmt. Wir gingen zur Verstärkung vor, voll in das Unbekannte hinein. Wir haben die Anordnungen, die zu treffen waren, in einer Scheune abgewartet, wo wir von elf bis vier Uhr auf dem Holzboden lagen. Dann gings in die Wälder, die Felder, die der Tag durch graue, rote, violette Wolken hindurch allmählich beleuchtete in der romantischsten und ergreifendsten Stimmung, die man sich denken kann. Im vollen lieblichen Morgen erfuhren wir, daß die Truppen, die uns vorausmarschierten, dem Feinde außerordentliche Verluste zugefügt hatten und sogar einen sehr leichten Vorteil erreicht hatten. Wir haben also unsern gewohnten Standort wieder bezogen und ich bin wieder hier und genieße die Pracht der französischen Landschaft, die so ergreifend schön ist in dem grauen, stürmischen, leidenschaftlichen November, mit Sonnenstrahlen, die in farbigen Flecken über den endlosen Horizont wie hingeworfen sind. Liebe Mutter, wie schön ist das, diese weite, ernste Landschaft, in der alles edel und wohl abgewogen ist und Einzelheiten sich fein abheben! -- Eine mit Bäumen eingefaßte Straße, die bis zur Grenze sich schnurgerade hinzieht, Hügel, die vor den duftigen Linien liegen, in denen man die deutschen Vogesen zu erkennen glaubt. Das ist der Rahmen und dazu kommt etwas Besseres als der Rahmen: es gibt eine Melodie von Beethoven und ein Stück von Liszt, die lauten: »Segnung Gottes in der Einsamkeit«.[*] Wir haben allerdings keine Einsamkeit, wenn Du aber die Gedichte von Albert Samain[**] durchblätterst, wirst Du ein Motto aus Villiers de l'Isle-Adam finden: »Wisse, daß es auf Erden immer eine Einsamkeit gibt für diejenigen, die ihrer würdig sind.« Jene Einsamkeit der Seele, die alles vergessen kann, was nicht mit ihr mitschwingt. . . . Ich habe zwei Briefe von Dir erhalten vom 6. und 7. Vielleicht werde ich diesen Abend noch einen haben. Ja, wir wollen unsern Mut nicht darin setzen, daß wir von einander keine Briefe erwarten. Die Briefe sind unser Leben, sie teilen uns unsere Freuden mit, unser Glück, die Fülle des Genusses, den uns in reichem Maße das Schauspiel der Natur und dieser Zeit schenkt. Wenn Deine Augen nicht wollen, ist das ein zwingender Grund; aber, abgesehen von Deiner Gesundheit, versage mir nicht Dein Herz, dessen Liebe Deine Briefe mir bringen. Den 14. November, zweiter Brief. Treue, geliebte Mutter! Jetzt sind wir wieder in unserm gewohnten Quartier und mein Herz ist ganz erfüllt von Gedanken, die Dir zustreben. Ich kann Dir nicht alles sagen, woran ich stündlich denke in dem Wunsche, mit Dir die mannigfaltigen Freuden zu teilen, die inmitten unseres eintönigen Daseins uns durch die Finger gleiten, wie Perlen von einem zerrissenen Faden auf den Sand fallen. [Fußnote *: Beethoven: sechs Lieder von Gellert, Op. 48. Nr. 6. »Die Ehre Gottes in der Natur.«] [Fußnote **: Albert Samain: Au Jardin de l'Infante (L'allée Solitaire).] Ich möchte mit Dir aussprechen können, wie schön diese Wolke ist, welchen ernsten Eindruck diese Ebene auf uns macht, der Poesie des Windes lauschen, der über die Berge uns zuweht, wie während unseres Spazierganges in Boulogne. Und wenn wir dann hier sind, erlauben mir so manche prosaische Beschäftigungen nicht, mit Dir zu reden, wie ich fühle. Deswegen habe ich Dir auch mein Paket geschickt mit meinem Tagebuch vom 18. August bis zum 20. Oktober.[*] Diese Aufzeichnungen wurden zu einer Zeit gemacht, wo unsere Tornister weniger beladen waren und leichter sich öffneten, wo ich in der Seelenruhe der Tage im Schützengraben, wenn die Gefahr das Geschwätz aufhob, meine Seele ungehindert schwingen ließ. Seitdem habe ich die viel stärkere, weite, volle Freude entdeckt, Dir zu schreiben. Für mich wurde diese neue Zeit ein Paradies. Aber ich liebe das Leben im Quartier nicht, weil die Bequemlichkeit und die Sicherheit die Seelenkräfte entspannen und einen Wirrwar erzeugen, unter dem ich leide. [Fußnote *: Ein Teil dieses Heftes ist oben mitgeteilt worden.] Du kennst das Bedürfnis, mich zu sammeln und allein zu sein, das ich immer hatte. Übrigens habe ich sehr gute Freunde und die Offiziere sind sehr freundlich. Und dann braucht es nur etwas Geduld, einige Augenblicke, in denen mein Gedanke Dir zugewandt ist, um mich glücklich zu machen. Wie war diese erste Hälfte November gnädig! Ich habe nicht ein einziges Mal unter der Kälte gelitten. Und wie viel Schönheiten! Der Allerheiligentag war ein langer Lobgesang, von der klaren Mondnacht über dem dunkeln Bernstein der herbstlichen Bäume an bis zur zarten Melodie der Dämmerung. Der endlose, rosige Traum der verschleierten Ebene, die sich an die fernen Hügel anlehnt. . . . Welch feierlicher Lobgesang! Und manche Tage seitdem singen den Ruhm Gottes! Coeli enarrant. . . . Das war das Geschenk dieser Zeiten. Den 15. November, 7 Uhr. Gestern gab mir das stürmische und aus der Sicherheit des Quartiers beobachtete prächtige Wetter zu Befürchtungen Anlaß für unsern Abmarsch heute nacht; doch als ich erwachte, war der klarste, funkelndste Himmel, den man sich vorstellen kann! Wie dankbar war ich! Was wir am meisten fürchten, ist der Regen, der alles durchdringt, ohne daß man Feuer und Obdach findet. -- Die Kälte bedeutet nichts -- gegen die sind wir gewappnet. . . . . . Und doch, wie sehr habe ich das Bild dieser weiten Ebene bewundert, in die wir hinabgestiegen sind, von dem mächtigen Winde gepeitscht. Der niedrige Horizont löste den weiten grauen Himmel ab, an dem wenige fahle Ausblicke an das verschwundene Blau gemahnten. -- Ein Kalvarienberg, tragisch, schwarz in grau -- dann skelettartige Bäume! Welch ein Bild! hier kann ich an Dich denken, an meine liebe Musik! heute habe ich die Umgebung, die ich brauche. . . . . Ich möchte die Gestalt schärfer bestimmen, die mein fester Glaube an eine bessere durch diesen Krieg geforderte Zukunft annehmen wird. Diese Ereignisse bereiten die Entfaltung eines neuen Lebens vor, der vereinigten Staaten Europas. Nach diesem Zusammenstoß werden diejenigen, die voll und mit kindlicher Liebe ihre Pflichten dem Vaterland gegenüber erfüllt haben, vor viel ernstere Aufgaben gestellt werden, deren Erfüllung zur Stunde unmöglich wäre. Aber das wird gerade unsere Pflicht sein, daß wir unsere Kräfte der Zukunft zuwenden. -- Sie werden mit angespannter Energie dahin streben müssen, die Spuren der verletzenden Berührung zwischen den Völkern zu tilgen. Trotz mancher Fehler, trotz einiger Rückschritte in praktischer Hinsicht, mancher Schwächen im Wiederaufbau, hat die französische Revolution nichts desto weniger in der menschlichen Seele die herrliche Forderung der nationalen Einheit festgelegt. Wohlan, die Greuel des Krieges von 1914 führen zur europäischen Einheit, zur Rasseneinheit. Dieser neue Zustand wird nicht ohne Erschütterungen, Vergewaltigungen, Kämpfe auf unabsehbare Zeit sich festsetzen, aber ohne Zweifel hat sich heute die Türe zu diesem neuen Horizont geöffnet. Den 16. November an Frau C . . . Sehr verehrte gnädige Frau und beste Freundin! Welche Freude und welchen Trost bringt mir Ihr Brief und wie stärkt Ihre warme Freundschaft meinen Mut! Was Sie mir von meiner Mutter erzählen, verknüpft mich innig mit dem Leben. Dank für Ihre treue prächtige Freundschaft. . . . Was soll ich von meinem Leben erzählen? Durch Mühen und Wechselfälle hindurch hält mich die Betrachtung der herrlichen Gegend aufrecht, die seit zwei Monaten die Schwermut und die Tragik dieser leidenschaftlichen Jahreszeit anhäuft. Einer meiner gewohnten Standorte liegt auf den Höhen, welche die endlose Ebene der Woëvre beherrschen. Wie herrlich! Welcher Segen ist es, stündlich bei Tag und bei Nacht die glühenden Farben des Laubes zu beobachten, an jedem Herbsttage! Die schreckliche Zerfahrenheit der Menschen vermag die erhabene heitere Ruhe der Natur nicht zu stören. Freilich gibt es Augenblicke, wo der Mensch alle vorstellbaren Maße zu übersteigen scheint; aber eine aufmerksame Seele unterscheidet bald die Harmonie, die alle diese Mißklänge beherrscht und ausgleicht. Glauben Sie nicht, daß ich der Trostlosigkeit der Bilder, von denen wir übersättigt sind, gefühllos gegenüberstehe: vernichtete Dörfer, in welche die Artillerie weiter wütet; Rauchwolken am Tag, Feuerschein in der Nacht; Elend der Bevölkerung, die unter den Granaten flüchtet. Jeden Augenblick erhält man einen Stich ins volle Herz. Gerade deswegen aber rette ich mich in diese höhern tröstenden Gedanken; denn in demselben Maße leidend, könnte ich, ohne diese Disziplin des Herzens, unsere Lage nicht ohne innere Zerrissenheit ertragen. Den 17. November, morgens. Liebe Mutter! . . . Ich schreibe Dir im vollen Glück der Morgenröte über meinem lieben Dorfe. Die Nacht, die uns im Regen gelassen hatte, hat uns ein klares, strahlendes Wetter zurückgegeben. Ich finde meinen ungeheuer weiten Horizont wieder, die zarten Umrisse der Hügel, die edelgeschwungenen Linien meiner Täler. Wer glaubte, von der Höhe, wo ich bin, daß dieses ländliche und friedliche Dorf in Wirklichkeit nur noch ein Trümmerhaufen ist, daß kein Haus verschont geblieben ist, daß seit zwei Monaten niemand darin verweilen kann im Höllenlärm der Artillerie? Während ich Dir schreibe, trifft die Sonne den Kirchturm, den ein noch dunkler Baum in meiner Nähe umrahmt, während in der Ferne, über den letzten Hügeln, den letzten Erhöhungen des Bodens, die Ebene im Rosagold ihre köstlichen Einzelheiten zu offenbaren beginnt. Den 17. November, 11 Uhr. Das herrliche Wetter ist mein großer Trost. Ich lebe fast wie wenn ich ein Kranker wäre, den man in eine herrliche Gegend schickt, den aber die Kur zu unerfreulichen und ermüdenden Beschäftigungen zwingt. Im Grunde liegt zwischen Leysin und meinem jetzigen Schützengraben nur die Entwicklung des großen Fragezeichens. Immer nichts neues in unserer Kompagnie seit dem 13. Oktober. Die Art des gegenwärtigen Krieges ist sonderbar. Es ist die Art von Nachbarn, die sich nicht vertragen. Bedenke, daß gewisse Schützengräben vom Feinde kaum durch 100 Meter getrennt sind und daß die Kämpfenden sich Handgranaten zuwerfen können: wie Du siehst, bedienen sich die Nachbarn gewaltsamer Mittel. Ein eigenes Leben führe ich nur im Augenblick, wo ich bei Dir verweile, und wo ich die Pracht der Natur genieße. Mitten unter dem Geschwätz gelingt es mir, das Gefühl der Einsamkeit der Seele, die ich brauche, mir zu bewahren. Den 18. November. Diesen Morgen zeigte uns der Tag die Ebene mit Reif bedeckt, eine gleichmäßige Weiße über den Hügeln und dem Walde. Mein Dörfchen sieht dadurch ganz eingefroren aus. Ich hatte den größten Teil der Nacht in einem geheizten Unterstand zugebracht und hätte, dank der Freundlichkeit meiner Vorgesetzten darin bleiben können; ich bin aber dumm und schüchtern und bin von ein Uhr bis vier und ein halb Uhr wieder bei den Kameraden gewesen. Es ist merkwürdig, wie prachtvoll wir die Kälte ertragen: wir besitzen fast alle ein herrliches Kleidungsstück, einen Mehlsack, den man je nach den Umständen als kurzen Radmantel und als Fußsack gebrauchen kann. In beiden Fällen ein vortrefflicher Wärmeerhälter. 11 Uhr. Für den Augenblick habe ich eine hübsche, so rührende Melodie von Händel im Sinn und auch ein Allegro aus unsern vierhändigen Orgelsonaten: eine fröhliche, glänzende, von Tatendrang übersprudelnde Musik. Lieber Händel! Oft tröstet er mich. Beethoven kommt mir selten in die Erinnerung; wenn aber seine Musik in mir erwacht, rührt sie an etwas so Grundlegendes, daß es jedesmal ist, wie wenn eine Hand Schleier vor der Schöpfung wegrückte. Arme liebe große Meister! Wird man ihnen daraus ein Verbrechen machen, daß sie Deutsche sind? Schumann, wie kann man ihn einem Barbaren zugesellen? Gestern gemahnte unsere Ebene an die Stelle, die Du mir vor zehn Jahren aus »_Rheingold_« vorspieltest: »Freie Gegend aus Bergeshöhen.«[*] Worin aber unser französisches Bild die schöne Musik dieses häßlichen Mannes übertraf, das war die feste Grundlage, die Klarheit, die Aufrichtigkeit. Ja, unsere französische Ebene hatte nichts Verschwommenes. Was Wagner betrifft und, so schön auch seine Musik, so unbestritten und verführerisch sein Genie auch ist, ich glaube doch, daß, wenn man ihn nicht mehr hören sollte, man etwas für das französische Genie weniger Wesentliches entbehren würde, als wenn die großen Klassiker, seine Landsleute, in Frage kämen. -- --- -- Ich darf es Dir aufrichtig sagen, in den Augenblicken, wo mir der Gedanke an die Möglichkeit der Heimkehr kommt, kümmere ich mich niemals um die Frage der kleinlichen Bequemlichkeit, des kleinlichen Wohlbehagens. Etwas Höheres und Edleres wendet mich dieser Art Hoffnung zu. Darf ich sagen, daß es sogar etwas anderes ist als die unendliche Freude des Wiedersehens? Es ist vielmehr die Hoffnung auf eine Wiederaufnahme unserer gemeinsamen Bestrebungen, unseres Zusammenarbeitens, dessen Ziel die Entwicklung unserer Seele und ihre nützlichere Betätigung auf Erden ist. [Fußnote *: »Libre étendue sur la Montagne.« Rheingold zweite und vierte Szene. »Allmählich gehen die Wogen in Gewölke über . . . und . . . wird »_eine freie Gegend auf Bergeshöhen_« sichtbar.« (D. Übers.)] Den 19. November, morgens. Teuerste Mutter! Heute wurde ich bei der Morgenröte durch ein gewaltiges und zu dieser Tageszeit ungewohntes Geschützfeuer geweckt. In dem Augenblick kamen Kameraden, starr von einer Nacht im Schützengraben zurück. Ich bin aufgestanden, um ihnen Holz zu holen, während auf dem andern Abhang des Tales das Schützenfeuer sehr kräftig ertönte. Ich stieg so hoch hinauf wie ich konnte und sah in dem sehr klaren Himmel die Sonne sich ankündigen. Plötzlich hörte ich von der Erhöhung gegenüber, einem jener Hügel, die ich so sehr liebe, Geschrei, Geheul kommen: Marsch! Marsch! Es war ein Bajonettansturm. Es ist der erste, dem beizuwohnen mir gegeben ist; nicht daß ich etwas gesehen hätte; die noch andauernde Dunkelheit und vielleicht auch die Beschaffenheit des Bodens verhinderten es. Was ich hörte genügte, um den Eindruck des Sturmangriffs zu geben. Bis jetzt konnte ich mir nur von dem unpersönlichen Krieg ein Bild machen, der eine von jenem kriegerischen Mut, wie ihn der Zivilist von Alters her sich vorstellt, sehr verschiedene Form der Tapferkeit verlangt. Und plötzlich erinnert mich der furchtbare Lärm von heute morgen, mitten in meiner Ruhe daran, daß junge Männer, ohne persönlichen Grund des Hasses, auf Leute, die sie erwarten, sich stürzen können und müssen, um sie zu morden. Aber die Sonne ging über dem Boden meines Vaterlandes auf. Sie beschien für mich das Tal, und von meiner Anhöhe aus unterschied ich zwei Dörfer, zwei Trümmerhaufen, von denen ich einen drei Nächte lang hatte brennen sehen. In meiner Nähe zwei Kreuze von weißem Holze . . . . Das französische Blut fließt im Jahre 1914 . . . . Den 20. November. Augenblicklich sehe ich vom Fenster aus, in dessen Nähe ich schreibe, die Sonne aufgehen. Sie durchdringt den Reif und ich ahne die schöne Ebene, die soviel Greuel erträgt. Wie ich höre, hat dieser Bajonettangriff, den ich gestern gehört habe, viele Opfer gekostet. Unter andern ist man ohne Nachrichten von zwei Halbzügen des Regimentes, das mit uns die Brigade bildet. Während andere ihr Geschick erfüllten, stand ich auf der Höhe des schönsten, übrigens in andern Augenblicken höchst ausgesetzten Hügels. Ich sah dem Sonnenaufgang zu; ich war tief bewegt im Anblick des Friedens der Natur und maß das Verhältnis zwischen der Kleinlichkeit menschlicher Gewalttaten und der umgebenden erhabenen Schönheit. Diese für Dich schwere Zeit, die sich vom 9. bis zum 13. September erstreckt, entspricht genau dem ersten Abschnitt des Krieges für mich. Den 9. September kam ich an, entstieg dem Zug vor der furchtbaren Schlacht an der Marne, die sich in einer Entfernung von 35 Kilometern entrollte. Den 12. erreichte ich das Regiment 106 und seitdem teile ich das Leben der Kämpfenden. Wie ich es Dir geschrieben, verließen wir also am 13. Oktober herrliche Wälder, in denen die feindliche Artillerie und Infanterie uns große Verluste zugefügt haben, besonders am 3. Unsere engere Gemeinschaft hat an diesem Tage einen prächtigen Menschen verloren, einen herzensguten Jungen, der für's Leben zu gut geworden war. Am 4. wurde ein trefflicher Kamerad, ein Architekt von der Kunstakademie, ziemlich ernstlich am Arm verwundet, seitdem sind aber die Nachrichten, die er gegeben, gut. So haben wir bis zum 13., einem furchtbaren Tag, sehr schwere Zeiten durchgemacht, um so mehr als die sehr wirkliche Gefahr verschlimmert wurde durch den Eindruck des Erstickens und des Unbekannten, der uns in diesen, in andern Zeiten herrlichen Wäldern, erdrückte. Die Hauptsache ist, den Ernst des gegenwärtigen Augenblickes nicht aus den Augen zu verlieren. Das Problem stellt sich uns in ganz besonderer Form dar. Auf der einen Seite die himmlische Gnade einer bis auf den heutigen Tag vollständigen Unversehrtheit. Andererseits das vollständige Weiterbestehen der zufälligen Gefahr für die Zukunft. Hier muß unser Wunsch, das Beste zu tun, sich auf den gegenwärtigen Zeitpunkt richten. Keine Erforschung der Zukunft kann uns befriedigen, ich glaube aber, daß jedes kraftvolle Streben, das die Gegenwart trifft, seine Wirkung nicht verfehlt. Es gilt, einen heldenhaften Kampf zu bestehen; aber wir wollen nicht auf uns allein bauen und nicht vergessen, daß es eine andere Macht gibt und wieviel wirksamer als unsere menschlichen Mittel! Den 21. November. Heute bürgerliches und fast zu bequemes Dasein. Die Kälte läßt uns bei der außerordentlichen Frau bleiben, die uns bei jedem Aufenthalt in dem Dorfe beherbergt, in dem wir drei Tage von neun einquartiert sind. Ich werde Dir nicht von der hübschen Aussicht erzählen, die ich von dem Fenster aus habe, an dem ich Dir schreibe, kann Dir aber das Heim beschreiben, welches Teile unseres Daseins in sich faßt. Am Tag leben wir in zwei, durch einen Glasverschluß getrennten Zimmern und von einem Zimmer ins andere können wir bald das schöne Feuer und den weiten Kamin bewundern, bald den prächtigen Schrank und die Betten, wie man sie in der Maasgegend hat, mit schönen alten Kupferbeschlägen. Das gemütliche Dasein von zwei alten Frauen (die Mutter, 87 Jahre alt, und ihre Tochter) ist in Unordnung gebracht durch die Rauheit, die Derbheit, die Gutherzigkeit und Freigebigkeit des Soldaten. Sie ertragen alles und opfern sich auf. Was Spinoza betrifft, dessen Seele Du bereits in Dir besitzest, so glaube ich, daß Du gleich zu den letzten Lehrsätzen übergehen kannst. Du wirst ihn sicherlich unmittelbar begreifen, wenn er von der Ruhe der Seele spricht. Ja es gibt Augenblicke, für uns schwache Menschen leider zu selten, die doch genügen, und in denen wir durch die Erschütterungen und Stöße unserer armen menschlichen Natur hindurch eine gewisse Neigung zum Fortdauernden und Abschließenden unterscheiden, und wir das wunderbare göttliche Erbteil erkennen, das uns anvertraut ist. -- --- -- Liebe Mutter, einen wie guten Tag habe ich eben mit Dir erlebt. Wir waren zu dreien: wir zwei und die liebliche Landschaft, die ich von meinem Fenster aus sehe. Von hier aus gesehen, gibt der Winter von den Dingen ein abgedämpftes, abgetöntes Bild. Zwei Wolken oder vielmehr dichter Nebel, hüllen die mir benachbarte Anhöhe ein, ohne die Zeichnung der Sträucher auf dem Kamm zu vergröbern; der Himmel ist leicht grünlich gefärbt. Alles ist gedämpft. Alles schlummert ein. Jetzt ist die Zeit der nächtlichen Angriffe, des Sturmgebrülls, der Wachen in den Schützengräben. Wie verlangen, jeden Augenblick, unsere Wünsche das Ende dieses Zustandes! Wie sehr wünschen wir die Ruhe für Alle, eine ungeheure Entschädigung, einen Ersatz für so viele Schmerzen, Leiden, so viele Trennungen. Dein Sohn. Sonntag, den 22. November, 9 1/2 Uhr. Von meinem Lieblingsplatz schreibe ich Dir diesen Morgen, ohne daß seit gestern irgend ein Ereignis Erwähnung verdiente, außer vielleicht den tausend wechselnden Einzelheiten der Landschaft. Ich bin mit Sonnenaufgang aufgestanden, ihr Silber überflutet den weiten Raum. Die Kälte ist immer heftig, aber das Zusammenwirken verschiedener Wollkleider wird in den Quartiernächten mit ihr fertig. Das Einzige, was ich erzählen kann, ist: morgen ziehen wir in die Schützengräben der zweiten Linie aus, in die jetzt skelettartigen, eintönigen Wälder. Von unseren drei Standorten ist das vielleicht derjenige, den ich am wenigsten liebe, denn der Himmel ist hinter hohe Äste verbannt. Das ist eher eine Landschaft für R. . ., aber reizlos und durch das Leben, das man darin führt, verdorben. In unserer Gegend scheinen die Kämpfe mit einiger Heftigkeit wieder beginnen zu wollen. Heute morgen hören wir ein heftiges Gewehrfeuer, was sehr selten in der Kriegführung von heute ist, die vornehmlich in nächtlichen Angriffen besteht, während der Tag fast ausschließlich zur Beschießung durch die Artillerie benutzt wird. Liebe Mutter, setzen wir unsere Hoffnung in die Seelenstärke, die jede Stunde, jeder Augenblick verlangt. . . . . . . . Ja, es freut mich Dir von dem Leben, das ich führe, zu erzählen; es ist in mancher Beziehung schön. Oft wenn ich abends auf der Straße bin, wohin mein kleiner Dienst mich führt und die ich allein durchwandere, bin ich vollkommen glücklich in der Gemeinschaft mit dieser edlen Landschaft, mit den harmonischen Zeichnungen der Gestirne an diesem Himmel, den groß und lieblich geschwungenen Linien dieser Hügel; und wenn auch in diesem Augenblick die Gefahr immer gegenwärtig ist, so denke ich doch, daß nicht allein Dein Mut, Dein Ewigkeitsbewußtsein, sondern auch Deine Liebe mir beistimmen werden, wenn ich nicht immer wieder bei der Erforschung des Rätsels stehen bleibe. Mein gegenwärtiges Leben bietet also einige Höhepunkte der Empfindungen, die jeder Beziehung auf Fortdauer und Verharren sich entziehen, so z. B. schönes Laub, eine Morgenröte, eine liebliche Landschaft, einen ergreifenden Mondschein. Lauter Dinge, deren Vergänglichkeit und zugleich ewige Wiederholung das Menschenherz absondern und all den Sorgen entreißen, die in solchen Zeiten uns einer verzweiflungsvollen Unruhe, einem scheußlichen Materialismus, oder einem Optimismus zuführen würden, den ich durch eine sehr erhabene Hoffnung ersehen will, die uns gemeinsam ist und nicht auf menschlichen Dingen beruht. Meine zärtliche Liebe und treue Anhänglichkeit für Großmutter, für Euch Mut, inneren Frieden, völlige Hingabe, jedoch ohne irgendwelche Entsagung. Den 23. November. Liebe Mutter! Wir sind wieder in unsern Unterständen der zweiten Linie. Wir wohnen in Erdhütten, in denen das Feuer uns ebenso einräuchert als es uns wärmt. Das Wetter, das während der Nacht sich verfinstert hatte, hat uns einen wunderschönen rosa und blauen Morgen geschenkt. Leider sprechen mich die Wälder weniger an als die wundervollen Ausdehnungen der Feuerlinie. Und doch ist auch hier alles schön. Mein gestriger Tag hat in der Freude bestanden, Dir zu schreiben; ich bin in die Dorfkirche gegangen, ohne irgend eine Anwandlung von Schwärmerei, auch nicht in dem Verlangen nach äußerlicher Tröstung. Meine Vorstellung von der göttlichen Harmonie brauchte durch keine äußeren Formen, keine volkstümliche Symbolik gestützt zu werden. Später habe ich das große Glück gehabt, einen Wagen in der nächsten Umgebung zu begleiten. Ach! welch' wundervolle Landschaft von saftiger Farbenpracht stets in rosa und blauen, durch den Nebel abgeschwächten Tönen. Diese leuchtenden, prächtigen und doch duftigen Farben fanden Stützpunkte in den kräftigen Flecken, welche die in den Raum zerstreuten Gestalten bildeten. Meine gewöhnlich durch ihre Bestimmtheit an die alten Meister gemahnende Landschaft nahm eine durchaus moderne Subtilität der Farbengebung und reiche Nuancierung an. Ich dachte einen Augenblick an unsere durchgeistigte Pariser Umgebung mit ihren unendlich zarten Farben und gedämpften Tönen, hier ist mehr Einfalt und Aufrichtigkeit, hier war alles einfach rosa und blau auf der Grundlage eines schönen grauen Bodens. Mein Fuhrmann, der mit seinem Pferde nicht fertig wurde, hat mir eine Gerte überreicht, um damit auf das Tier zu schlagen: ich mußte wie eine Gliederpuppe aussehen. Wir fuhren an den Kalvarien vorüber, welche die Dörfer der Maasgegend beschirmen, einige Bäume, die ein Kreuz umgeben. Den 24. Nov., 15 1/2 Uhr, auf einem Rückmarsche. Ich habe soeben einen Brief vom 16. und eine Karte erhalten und einen lieben Brief vom 18. Die beiden letzteren melden, daß meine Sendung angekommen ist. Wie froh bin ich darüber! Einen Augenblick fragte ich mich, ob ich Dir diese Eindrücke schicken sollte, aber unser Leben war nie und wird nie etwas anderes sein als ein stetes Forschen in der Gegend der ewigen Wahrheiten, ein inbrünstiges Betrachten von dem, was jeder Anblick auf Erden davon bietet. Daher bereue ich es nicht, Dir diese kurzen Bemerkungen geschickt zu haben. Die heftigsten Leiden für mich waren die der Regentage im September. Sie haben übrigens für alle eine schmerzliche Erinnerung zurückgelassen. Wir schliefen umklammert, Gesicht an Gesicht, die Hände übereinandergeschlagen, in einer Überschwemmung von Wasser und Schlamm. Nie hätte man sich von unserer trostlosen Lage eine Vorstellung machen können. Um das Maß unserer Leiden voll zu machen, nach diesen entsetzlichen Stunden, meldet man, daß der Feind seine Maschinengewehre auf uns richtet und daß wir ihn angreifen sollen. Mittlerweile sind wir abgelöst worden und die Entspannung war stark. Mein unvollendetes Gedicht: »Soleil si pâle« . . . bezieht sich auf die Tage des 11., 12. und 13. Oktobers, und überhaupt auf die Zeit der Kämpfe in den Wäldern, die für unser Regiment vom 22. September bis zum 13. Oktober dauerten. Gewisse Sonnenaufgänge über den Opfern des Kampfes haben mich innerlich bewegt. Seitdem habe ich nichts mehr geschrieben, außer einem Gebet, das ich Dir vor fünf oder sechs Tagen geschickt habe. Ich habe es auf jener Straße verfaßt, die ich durchwandern mußte. Den 25. November, morgens. . . . . Gestern, während dieses Marsches habe ich in einer Landschaft meiner geliebten alten Meister gelebt. Als wir aus den Wäldern heraustraten, da wir, einer Straße entlang, herabstiegen, hatten wir in unserer Nähe einen weiten, schloßartigen Hof, von einer entlaubten Baumgruppe gekrönt, neben einem zugefrorenen Teich. Fernerhin, in der verkürzten Perspektive, die meine lieben Maler trotz ihrer scheinbaren Einfalt so geschickt anwandten, stellte eine Straße, die ihre Windungen, ihre Senkungen und Steigungen entrollte, die Verbindung zwischen Büschen, einzelnen Bäumen her: alles scharf, feingegliedert, wie radiert, und doch rührend. Eine kleine Brücke führte über einen Bach, ein Reiter ritt in der Nähe der kleinen Brücke vorbei, bis ins Einzelnste scharf umrissen, dann ein kleiner Wagen: abgetönte und doch bestimmte Farben in seiner Harmonie, -- all das vor einem Horizont von majestätischen Wäldern. Ein grauer Himmel, der die ganz moderne Farbensymphonie von vorigem Sonntag aufhob und mich zu jener eindringlichen Peinlichkeit der Wiedergabe zurückführte, die uns bei einem Breughel und andern Meistern, deren Namen mir entfallen, bewegen. Derart ist auch die wohlgeordnete, durchsichtige, reiche Anordnung der Hintergründe von Albrecht Dürer. Den 26. November. Geliebte Mutter, ich bin nicht dazu gekommen den gestrigen Brief zu vollenden. Wir waren sehr beschäftigt. Heute ist es noch Nacht. Aus meiner Höhle, die ich in der Feuerlinie erreicht habe, schicke ich Dir meine innige Liebe und den Ausdruck des großen Glückes, das ich habe. Ich fühle, wie mein Werk in mir reift. Was ist daran gelegen, wenn die Vorsehung mir nicht gewährt es zu verwirklichen? Ich habe die feste Hoffnung, vor allem vertraue ich in die ewige Gerechtigkeit, welche Überraschung sie auch der menschlichen Vorstellung, die wir uns von ihr machen, bereiten mag. . . . . Den 28. November. Die Stellung, die wir einnehmen, nähert uns dem Feinde auf 45 Meter. Der Anblick der Laufgräben ist seltsam und wirkt sogar malerisch durch eine Herbheit der Linien, die der graue Himmel noch verstärkt. Wenn unsere Truppen, nachdem sie nächtlicher Weile die Wachsamkeit des Feindes getäuscht haben, von dem Tale herkommend, die halbe Höhe, deren Abhang uns vor dem Gewehrfeuer schützt, erreichen, treffen sie in den Hügel eingegrabene Unterschlüpfe, Höhlen, wo die Abteilungen, die nicht auf Wache sind, Schlaf und die Wärme eines rasch gebauten Heims finden. Weiter draußen, gerade an der Stelle, wo die freiliegende Landschaft herrlich wird durch Weite und Beleuchtung, beginnt der gewundene Einschnitt, den man Verbindungsgraben[*] nennt und in den man eindringt. So gelangt man unbemerkt in den Schützengraben, wo sich ein wahrhaft kriegerisches, ernstes Bild, dem es an Größe nicht fehlt, darbietet, ein tiefer schmaler Gang, dessen Decke der graue Himmel ist, und dessen Erdverkleidungen von frischem Schnee bedeckt sind. Hier stehen die letzten Einheiten der Infanterie; Einheiten von gewöhnlich schwachem Bestand. Der Feind ist hier schon weniger als hundert Meter entfernt. Von hier aus geht der Verbindungsgang weiter, immer gewundener und tiefer; in ihm empfinde ich das, was ich stets bei der Berührung mit frischaufgerührter Erde fühle. Der durch Erdarbeiten aufgewühlte Boden erweckt in mir etwas, wie wenn die Kräfte der aufgerissenen Erde in mich drängen und mir die Geschichte des Lebens erzählten. In diesen Klüften arbeiten zwei oder drei Schanzengräber des Geniekorps, verlängern sie, graben sie tiefer, von den Deutschen beobachtet, die bisweilen ungenügend geschützte Stellen erreichen können. Auf diesem äußersten Punkt steht der letzte Infanterieposten (etwa vierzig Meter vom Feind). [Fußnote *: »boyau de communication.«] Du kannst Dir den Gegensatz dieser militärischen Einrichtung und des Friedens denken, der an dieser Stelle zu herrschen pflegte. Stelle Dir mein Erstaunen vor, wenn ich mich erinnere, daß in dem Bereich meines Blickes der Landmann seinen Pflug lenkte und diese Sonne, deren Glorie ich erspähe, wie der Gefangene die Freiheit, ihm auf dieser Anhöhe gespendet wurde. Wenn ich dann in der Dämmerung in die Ebene hinaustrete, welche Wonne! Ich will Dir nicht davon sprechen, denn ich verschweige noch mein Glück. Ich darf es nicht offenbaren: es ist ein Vöglein, das die Stille liebt. . . . Begnügen wir uns damit, was das Wesentlichste ist, von dem Glück zu sprechen, das sich nicht aufscheuchen läßt: uns in gleichem Maße auf alles vorbereitet zu fühlen. Den 29. Nov., morgens, im Quartier. Teuerste Mutter! Gestern habe ich die Feuerlinie bei schlechtem Wetter verlassen, das in der Nacht nach meiner Ankunft in Regen überging. Ich sehe ihn von meinem Lieblingsfenster aus als Nebel fallen. Wenn Du willst, erzähle ich Dir von den gestern flüchtig gesehenen Wundern. Von der in meinem gestrigen Brief beschriebenen Stellung aus sieht man, wie ich es Dir oft schon geschrieben, den herrlichsten Horizont. Gestern nun zerfetzte ein fürchterlicher Wind einen Schleier von sehr niedrigen Wolken, die an den Höhen hängen blieben. Vielleicht wird Dir der Hintergrund meines Haheyna eine schwache Vorstellung von dem geben, was ich gesehen habe. Doch um wie viel erhabener und stürmischer war mein gestriges Fühlen! Die Hügel und Täler gingen abwechselnd von Schatten in Licht über, bald scharf umgrenzt, bald verschleiert, je nachdem die Nebel sie enthüllten. Am Himmel große hellblaue lichtumflossene Lücken. Das war die Pracht des gestrigen Tages. Soll ich Dir von den letzten Abenden erzählen, wo der Mond auf die Landstraße mir die zierliche Verästelung der Bäume abzeichnete, die Tragik der Kalvarien, das rührende Bild der Häuser, von denen man weiß, daß sie Ruinen sind und welche die Nacht wie ein Bild des Friedens erstehen läßt. Ich freue mich zu sehen, daß Du Verlaine liebst. Lies das schöne Vorwort von Coppée, welches die Sammlung der ausgewählten Werke eröffnet, die Du in meiner Bibliothek finden wirst. Seine Frömmigkeit ist von einer Unmittelbarkeit, ich möchte beinahe sagen von einer Sinnlichkeit, die mich immer etwas irre macht, gerade weil sie der katholischen Frömmigkeit eigen ist, deren bildliche Erscheinung mir immer fremd bleiben wird. Aber was für ein Dichter! Er ist meine fast tägliche Wonne in Paris und hier kommen mir oft die Weisen seiner »Paysages Tristes«[*] in den Sinn; denn sie geben genau die Stimmung mancher Stunden wieder. Sein Leben ist rührend wie das eines kranken Tieres und man staunt darüber, daß eine solche Verkommenheit die köstlichen Blumen seiner Poesie nicht verwelken ließ. Seine Belehrung, eher die eines Künstlers als die eines Denkers, kam infolge einer Umwälzung in seinem Leben nach schweren Vergehungen. (Er war im Gefängnis.) In »Le Lys Rouge« hat Anatole France unter dem Namen Choulette ein lebensvolles Bild von ihm entworfen; vielleicht findet sich dieses Buch bei uns. Die Poesie in »Sagesse« wirkt wunderbar und erbaulich durch den Schwung, die Leidenschaft der künstlerischen Absicht, der Neue. Es ist etwa wie wenn der Aufschrei der »Mainacht« durch sein ganzes Werk hindurch erklänge. Unsere beiden stärksten poetischen Begabungen im vergangenen Jahrhundert, Müsset und Verlaine, waren zwei Unglückliche, deren doch so herrliche und berauschende Blumenpracht keine innere Stütze aufrecht hält. Ich langweile Dich vielleicht, indem ich Dir von gleichgültigen Dingen erzähle, aber es versenkt mich wieder ein wenig in mein vergangenes Leben. Seitdem ich das Glück habe Deine Briefe zu empfangen, habe ich nichts mehr aufgezeichnet. Glaube ja nicht, daß die Nebensachen mich das, was wir ersehnen und erhoffen, vergessen lassen; doch ich glaube, daß was den Schmuck des Lebens ausmacht, gerade das ist, was es für uns beide kostbar macht. [Fußnote *: In der Sammlung Poèmes Saturniens. (D. Übers.)] Ich erwarte Briefe von Dir seit dem letzten vom 22.; doch ich werde sicher einen hier im Quartier vorfinden. Ich danke Dir für das angekündigte Packet. Arme Mütter, wie sie alle sich quälen! Den 1. Dezember, morgens, im Quartier. Ich erinnere mich, wie ich mich freute, wenn ich als dienstfrei mich von meinen militärischen Obliegenheiten entbunden sah. Es schien mir, als wären mein Leben und meine Laufbahn unwiderruflich verloren, wenn ich mit sieben und zwanzig Jahren wieder zum Regiment müßte. Und nun bin ich mit acht und zwanzig Jahren tief im Soldatenleben drin, fern von meinen Arbeiten, meinen Sorgen, meinen ehrgeizigen Plänen, und nie hat mir das Leben eine solche Fülle von erhabenen Eindrücken gebracht: niemals vielleicht fand ich, um sie aufzuzeichnen, eine solche Fülle der Empfänglichkeit, eine solche Ruhe des Bewußtseins. Das sind also die Gnadengaben einer Lage, die meine vernünftigen menschlichen Voraussichten mir als ein Verhängnis erscheinen ließen. Hier wirkt die von der Vorsehung mir beschiedene Lehre weiter, die allen meinen Befürchtungen zum Trotze, Segen in jede Veränderung meiner Lage hineinlegt. Die beiden letzten Sonnenaufgänge gestern und heute waren wundervoll. . . . Ich habe Lust für Dich eine kleine Skizze von der Aussicht meines Fensters zu machen. . . . . . . . Ich mache es aus dem Gedächtnis, aber darüber stelle Dir die ergreifendsten Purpurstreifen vor und rechts und links noch endlose Ausdehnungen. Das zu betrachten war mir in der letzten Zeit mehrmals gegönnt. Augenblicklich bringt ein lieblicher Himmel Harmonie in die Obstgärten, in denen wir arbeiten. Mein kleines Amt befreit mich für einige Zeit von der Hacke. Das sind die Freuden, die von ferne mir als Katastrophen erschienen. Den 1. Dezember, 2. Brief. Ich habe soeben Deine Briefe vom 25., 26. und 27. erhalten, sowie einen lieben Brief von Großmutter, die so tapfer, so seelenvoll, so geistig frisch ist. Er machte mir viel Freude und bringt mir eine köstliche Hoffnung, deren glückliches Omen ich mit Freude annehme. Jeder Deiner lieben Briefe gibt mir auch, was das Leben für mich Schönstes hat. Mein heutiger erster Brief antwortet auf das, was Du mir von der Annahme der Prüfungen und Zerstörung der Götzenbilder sagst. Du siehst, daß ich ganz wie Du denke und ich hoffe, daß ich zur Stunde kein allzu hemmendes Götzenbild im Herzen trage. . . . Ich glaube, daß mein letztes Gebet in der Tat sehr einfach ist. Die Eingebung des Ortes hätte ein Gewand von zu überladener Kunst nicht geduldet. Gott war überall und überall Harmonie: die nächtliche Straße, von der ich Dir oft erzähle, der Himmel voll Sterne, das Tal voll Murmeln der Gewässer, die Bäume, die Kalvarien, die nahen oder fernen Hügel. Für etwas Künstliches wäre kein Platz gewesen. Ich brauche nicht darauf zu verzichten, Künstler zu sein; denn ich hoffe immer aufrichtig zu sein und meiner Kunst mich nur zu bedienen, um damit eine Überzeugung zu schmücken. Den 5. Dezember, morgens. . . . . Wir treten aus unsern Höhlen heraus, und auf die drei Tage klösterlicher Einschließung folgt der Morgen auf der weiten Ebene. Man kann sich keine Vorstellung von dem Durcheinander machen. -- Dein hübsches Viertelchen aus Aluminium entzückt jedermann. Ist's schlimm mit der Wunde von André? Die Mütter stehen furchtbare Angst aus in diesem Krieg; doch immer mutig, nichts wird verloren sein! Ich für mein Teil befinde mich wohl und bin so glücklich als es die Umstände ermöglichen. Heute furchtbarer Wind, der wundervolle Wolken treibt. Kräftige Luft, mit der die Baumäste sich gut abfinden. Alle vergangenen Abende herrlicher Mondschein, den wir umsomehr zu schätzen wußten, als das Tageslicht uns entzogen war. Teure Mutter, ich schreibe heute schlecht, weil wir durch das Tageslicht wie betäubt sind, nach den Stunden in der Finsternis, aber mein Herz eilt Dir zu und findet in Dir seine Stütze. . . . Laß uns an alles mit mutigem Sinn herantreten: laß uns immer und in allen Dingen auf Gott vertrauen. Wie fühle ich mit Dir, daß man Ihn nur im Geiste anbeten kann! Und mit Dir denke ich, daß man allen Hochmut meiden muß, der ein Hohn auf die frommen Gebräuche der andern wäre. Unsere Liebe soll ein der allgemeinen Vorsehung zugewandter Bund sein. Übergeben wir ihr unser Los in einem beständigen Gebet. Gestehen wir ihr demütig unser irdisches Hoffen und versuchen wir jeden Augenblick mit der göttlichen Weisheit es zu vereinigen. Das ist eine Aufgabe, deren Schwierigkeit sich jetzt offenbart, die aber auch unter den gewöhnlichen Lebensbedingungen besteht. Sonntag, den 6. Dezember. Ich freue mich, Dich so standhaft dem Mute zugerichtet zu sehen. Wir brauchen ihn oder vielmehr wir brauchen etwas, was schwer zu erlangen ist, was weder Geduld noch allzustarke Zuversicht ist, sondern ein gewisses Vertrauen in die Ordnung der Dinge, -- ein gewisses Vermögen, von jeder Prüfung zu sagen, daß es so recht, ist. Unser Lebenstrieb bringt uns dazu, uns von den gegenwärtigen Verpflichtungen frei zu machen, wenn sie zu grausam und häufig sind; aber Du hast sehen können, wie auch ich die große Freude hatte es zu erfahren, was Spinoza unter der menschlichen Freiheit verstand. Ein unerreichbares Ideal, dem man trotzdem zustreben muß. . . . . . . Liebe Mutter, die Prüfungen, die wir annehmen müssen, sind lang; man kann nicht sagen, daß sie eintönig sind; denn sie verlangen, trotz ihrer gleichmäßigen Gestalt, einen stets erneuten Mut, halten wir zusammen, damit Gott uns die Kraft und die Möglichkeit gibt, alles hinzunehmen! . . . Du weißt, was ich Religion nenne: was im Menschen alle seine Vorstellungen vom Universellen und Ewigen, diesen beiden Formen des Göttlichen, vereinigt. Die Religion, im gangbaren Sinne des Wortes, ist weiter nichts als die Verbindung gewisser sittlicher und erzieherischer Formeln mit der wunderbaren poetischen Gestaltung der kraftvollen biblischen und christlichen Philosophien. Wir wollen niemanden verletzen. Bei richtiger Betrachtung erscheinen mir die religiösen Formeln, so fremd sie auch den Forderungen meines Intellektes sind, lobenswert und sympathisch, insoweit sie ein Streben nach Schönheit und Form ausdrücken. Teure geliebte Mutter, hoffen wir immer; die Prüfungen sind mannigfaltig, aber alles Schöne verbleibt. Flehen wir darum, es noch lange betrachten zu dürfen. . . . Montag, den 7. Dezember. Vielgeliebte teure Mutter! Ich schreibe Dir in der Nacht . . ., übrigens ist um 6 Uhr morgens das Soldatenleben in vollem Gang. Meine Kerze ist auf ein Bajonnett aufgepflanzt und von Zeit zu Zeit bekomme ich einen Wassertropfen auf die Nasenspitze. Meine Leidensgefährten versuchen ein trügerisches Feuer anzuzünden. Der Aufenthalt in den Schützengräben verwandelt uns in Haufen von Schlamm. Die allgemeine gute Laune ist wunderbar. So sehr sich die Kameraden nach Hause zurücksehnen, sie ertragen nicht weniger heldenhaft die Wechselfälle des Waffenhandwerks. Ihr Mut, unendlich weniger durchgeistigt als der meinige, ist umso werktätiger und den Verhältnissen angepaßter; aber jeder Vogel hat seinen Schrei, der meinige hat nichts von dem eines Kriegsvogels. Ich bin froh, daß ich bei allen Stößen von außen innerlich mitgeschwungen habe und setze meine Hoffnung darein, daß sie meine Seele gestählt haben. So lege ich auch in Gott mein Vertrauen für alles, was er mir vorbehalten will. Ich glaube mein künftiges Lebenswerk zu ahnen. Doch ich will aus dieser Vorahnung keinen Schluß ziehen; denn ein jeder Künstler trug ein Werk in sich, das das Tageslicht nicht gesehen hat. Mozart dachte daran, seinen Aufflug zu nehmen, als er dem Tode nahe war, und Beethoven hat die zehnte Symphonie entworfen, ohne sich um die Kürze der Zeit zu kümmern, die das Schicksal ihm übrig ließ. Die Pflicht des Künstlers ist, seine Knospen aufblühen zu lassen, ohne den Frost zu fürchten, und vielleicht erlaubt es Gott, daß mein Bemühen in die Zukunft weiterwirkt. Meine Versuche und Proben meiner Arbeit zeigen, obgleich sie sehr einheitlich sind, noch etwas Kindliches, Stammelndes in der Ausführung, das zu der wirklichen Höhe der Auffassung wenig paßt. Wie mir scheint, wird meine Kunst erst in der Reifezeit meines Lebens sich voll entfalten. Beten wir zu Gott, daß er mich dahin gelangen lasse. . . . Was Dein Herz anbelangt, so habe ich ein solches Vertrauen in Deinen Mut, daß diese Zuversicht in dieser Stunde mein größter Trost ist. Ich weiß, daß meine Mutter zu der Freiheit der Seele gelangt ist, welche das Wirken des Weltalls zu betrachten uns erlaubt. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie diese Weisheit nur Stückwerk ist, aber es heißt schon Gott besitzen, wenn man ihn ahnt.[*] Die Zuversicht, die mir Deine Seele und Deine Liebe verleihen, erlaubt mir an die Zukunft zu denken, unter welcher Gestalt es auch sein mag. Den 9. Dezember. Liebe Mutter, in seinem reizenden Brief sagt mir P. L., daß er gerne seine Philosophen gegen ein Gewehr vertauschen würde. Er hat sehr Unrecht. Einmal ist Spinoza, der ihm zuwider ist, ein wertvoller Helfer in den Schützengräben, und dann müssen diejenigen, die in der Lage sind, jede Kultur und jeden Fortschritt auszunutzen, den Fortbestand des französischen Geisteslebens sichern. Sie haben eine erdrückende Aufgabe, die viel mehr Tatkraft verlangt als die unsrige. Wir sind von allem Zwang befreit. Ich denke mir unser Leben wie das der ersten Mönche: eine harte, gleichmäßige, von jeder äußeren Obliegenheit freie Regel. . . . Den 10. Dezember, in der wunderschönen Morgenstunde. Unser dritter Tag im Quartier bringt uns die liebliche Gabe eines versöhnten Wetters. Die entfesselte Sintflut unseres Aufenthaltes in der Feuerlinie beruhigt sich etwas und die Sonne zeigt sich schüchtern. [Fußnote *: Vergleiche Pascal in Le Mystère de Jésus: »Tröste Dich, Du würdest, mich nicht suchen wenn Du mich nicht schon gefunden hattest.« (Der Übers.)] Unsere seit zwei Monaten angenehme Lage muß sich notwendigerweise ändern. Da die Festigkeit der Stellungen den Krieg ins Endlose zu verlängern drohen, wird der Angriff des einen der beiden Gegner die Bewegung in Fluß bringen und die Ereignisse beschleunigen müssen. Ich glaube, daß die Kriegsleitung diese Wendung der Dinge ins Auge faßt, und ich für mein Teil wage es kaum, Dir zu sagen, daß ich mich über nichts beklage, was die Gelegenheiten, Erfahrungen zu sammeln, vermehrt. Unser Leben, das zu einem Drittel plattbürgerlich ist, zu zwei Dritteln die Gefahren einer chemischen Fabrik bietet, würde schließlich jede Empfindung abstumpfen. Sicherlich werden wir nur ungern unsere Gewohnheiten aufgeben, aber vielleicht waren wir eben zu sehr an eine gewisse Bequemlichkeit gewöhnt, die auf die Dauer unmöglich wurde. Was mich betrifft, wird meine Stellung sich vielleicht verändern. Ich werde wahrscheinlich meinen gewohnten Gang[*] aufgeben müssen, da ich als Gefreiter vorgeschlagen bin, was mir einen ständigen Platz im Schützengraben und andere Verwendung in der Feuerlinie anweisen wird. Ich hoffe, daß Gott mich hierbei ebenso segnen wird wie bis jetzt. [Fußnote *: S. Brief vom 10. November, 11 Uhr. (D. Übers.)] . . . . Ich fühle, daß wir um nichts zu bitten brauchen. Wenn in uns etwas Ewiges ist, was wir noch auf Erden betätigen sollen, so dürfen wir sicher sein, daß Gott uns hier lassen wird, um es zu tun. Den 10. Dezember, 2. Brief. Glücklicherweise haben wir ein Gebiet, auf dem alles uns vereinigt, ohne daß ein geschriebenes Wort nötig wäre. . . . Der Himmel wird wieder grau und kündigt einen feuchten Aufenthalt für unsere zweiten und ersten Linien an. Der Tag geht zur Neige und die große Schwermut senkt sich auf alle Dinge. Es ist die graue Stunde für alle, die in der Ferne sind, für alle Soldatenherzen, die an das Heim zurückdenken und die Nacht über die Erde kommen sehen. Ich gehe zu Dir und schon erwarmt mein Herz. Ich fühle Deine aufmerksame Zärtlichkeit und die Weisheit, welche Deinen Mut beseelt. Manchmal scheue ich mich, Dir immer dasselbe zu wiederholen; aber wie soll ich neue Worte finden für meine arme, durch immer dieselben Wechselfälle hin und her geworfene Liebe? Da wir bald von hier fortkommen, werden wir vielleicht manche Andenken, die wir aufbewahrten, verlassen müssen; aber die Seele darf sich nicht an Fetische festklammern. Unser Herz mag manchmal gewisse Dinge benutzen, aber unsere Liebe kann ohne Amulett bestehen. Den 12. Dez., 10 Uhr (Postkarte). Lieblicher Tag im Regen. Alles steht gut in unsern Wäldern. In der Nähe hat es furchtbaren Kanonendonner auf beiden Seiten gegeben. Deine Briefe vom 4. und 6. empfangen. Ich freue mich darüber. Es ist das wahre Glück meines Lebens. Ich bin froh, daß Du C. . . . besucht hast. Ich hoffe Dir ausführlicher zu schreiben. Nicht als ob es mir mehr als sonst an der Zeit fehlte, aber ich durchlebe Tage, wo ich für die Schönheit der Dinge weniger empfänglich bin. Ich strebe der wahren Weisheit zu. . . . Den 12. Dez., 7 Uhr nachmittags. Trotz der wechselnden Schönheit der Sonne und des Regens war ich heute für das Schauspiel der Natur nicht empfänglich. Und doch war nie soviel Anmut und Güte am Himmel. Die Landschaft mit dem Brücklein und seinem Reiter, von der ich Dir erzählte, wurde von weicher Anmut unter der Pracht der Wolken durchdrungen. Aber ich empfand nicht wie früher den Segen Gottes, als plötzlich ein schöner, so schöner Baum zu meinem Herzen gesprochen hat. Er hat zu mir von der stets lächelnden Schönheit, der Frische des Epheus, geredet, von der herbstlichen Röte, von der winterlichen Schärfe der Zeichnung in den Baumästen; da habe ich begriffen, daß eine Stunde in solcher Betrachtung das ganze Leben ist, dem Dasein seinen Wert verleiht, neben dem alles menschliche Erwarten nichts ist als ein böser Traum. Sonntag, den 13. Dezember. . . . . Ich ging heute nach einer erquickenden Nacht in diesen Wäldern spazieren, wo vor nunmehr drei Monaten die Toten den Boden bedeckten, heute breitete der Spätherbst seine Schätze aus und dieselbe Schönheit der bemoosten Stämme redete zu mir, wie gestern, von ewiger heiterer Anmut. Es bedarf allerdings einer ungeheuren aber unerläßlichen Selbstüberwindung, um zu begreifen, wie wenig die allgemeine Harmonie gestört wird durch die Ereignisse, deren Anblick unser Empfinden gewaltsam erschüttern. Man muß durch Erfahrung erkennen, daß ein körperlicher Riß wenig bedeutet und daß unser wahres Ich in dem Aufschwung der Seele liegt. Den 14. Dezember (bei herrlichem Wetter und wiedergewonnener Seelenruhe). Wir sind jetzt wieder in unserem Abschnitt der Feuerlinie, aber an einer Stelle, wo man den Kopf heben und die Anmut meiner teuern Maashügel genießen kann, die eine zarte Beleuchtung aufheitert. Ich sehe über den Dörfern und den Obstgärten die Birken- und Tannenreihen. Die einen färben ihr Baumskelett mit duftigem, weißgeädertem Violett, die andern unterstreichen die Horizontlinie mit ihren satten Farben. Ich wurde innerlich gestärkt durch die wunderbare Lehre, die mir während eines Marsches ein schöner Baum gegeben. Ach, liebe Mutter, alles an uns kann untergehen, die Natur besteht darum nicht weniger herrlich und, was sie mir in Augenblicken von ihren Gaben geschenkt, genügt, um ein ganzes Leben zu rechtfertigen. Dieser Baum war wie ein Soldat! Du kannst Dir nicht vorstellen, wie viel die Wälder in dieser Gegend gelitten haben: nicht sowohl durch Beschießung als durch das furchtbare, für den Bau von Unterständen und unsere Heizung notwendige Abholzen. Und doch mitten in dieser Verwüstung erzählte mir dieser Baum, daß für den Baum und den Menschen Schönheit immer bestehen wird. Auch der Mensch gibt dieselbe Lehre: Sie ist schwerer in ihm zu entziffern, ist aber schön, wenn man die wundervolle Lebenskraft dieser Jugend sieht, deren Tatkraft durch die Ernte des Todes nicht vermindert wird. Den 15. Dezember, in der Frühe. Teure geliebte Mutter! Ich habe Deinen lieben Brief vom 9. erhalten, in dem Du von unserm Heim erzählst. Ich bin glücklich zu fühlen, wie schön die Lebenskraft ist, die rasch nach jeder Trennung, jedem Riß sich wieder einzurichten weiß. Ich bin glücklich zu fühlen, daß meine Briefe in Deinem Herzen einen Wiederhall finden. Oft fürchtete ich Dich zu ermüden; denn unser Leben, das in mancher Hinsicht herrlich ist, ist das denkbar einfachste und bietet wenige hervorstechende Ereignisse. Wenn ich mein Malerhandwerk ausüben könnte, hätte ich die schönsten Gelegenheiten zum Sehen vor mir und würde über den umfassendsten Vorrat an malerischen Eindrücken, den es geben kann, verfügen. Wenn ich aber versuche Himmel, Bäume, Hügel und Horizont zu erzählen, gebrauche ich die Worte nicht so feinfühlig wie die Farben und die unendliche Mannigfaltigkeit der Bilder beschränkt sich in der Wiedergabe auf einige Grundformen, die, wie ich fürchte, sich wiederholen . . . . Den 15. Dezember. . . . Man muß sich diesem eigentümlichen Dasein anpassen, das zugleich arm an geistiger Tätigkeit und wunderbar reich an plötzlichen seelischen Erregungen ist. Ich stelle mir vor, daß in unruhigen Zeiten, vor Jahrhunderten, Männer, des überfeinerten Lebens überdrüssig, im Frieden des Klosters die Betrachtung der ewigen Fragen aufsuchen und, wenn auch durch die Drohung feindlicher Horden belästigt, dort eine Zufluchtsstätte finden mochten. Ich stelle mir vor, daß unser Leben dem Leben dieser alten Mönche gleicht, deren Dasein sehr kriegerisch war, die mehr als ich für den Kampf geeignet waren. Unter ihnen konnten empfängliche Seelen Freuden genießen, die ich heute wiederfinde. -- Ich erhalte heute einen rührenden Brief von Frau M. . . ., deren Herzlichkeit ich liebe. Wechselndes, doch ergreifend schönes Wetter. Es ist unmöglich, mehr als wir getan, über die Haltung zu sagen, die wir den Ereignissen gegenüber einnehmen müssen. Worauf es ankommt, das ist die Ausführung. Sie ist nicht leicht; ich habe es dieser Tage erfahren, obgleich keine neue Schwierigkeit meinem Bemühen, die Weisheit zu erreichen, in den Weg trat. . . . Manchmal faßt man eine gewisse innere Unruhe, die an einem nagt, als die Stimme eines wachsamen Gewissens auf. Den 16. Dezember. Hier in unsern Unterständen habe ich Dein kleines, leider arg zerknittertes Skizzenbuch hervorgeholt und habe versucht, einige Linien des Landschaftsbildes zu zeichnen. Die Kälte ließ mich aufhören und ich kehrte unbefriedigt zurück; da hatte ich den Einfall einen Kameraden Modell stehen zu lassen. Ich kann Dir nicht meine Freude schildern, als etwas dabei herauskam! Ich glaube, daß meine kleine Bleistiftzeichnung mir geglückt ist. Sie ist in einem Briefe fort für irgend einen »Schatz«. Es war mir ein wahrer Genuß zu fühlen, daß ich meine Fähigkeiten nicht eingebüßt habe. Den 17. Dezember in einem neuen Quartier. . . . Gestern wurden wir von unsern Gewohnheiten herausgerissen, im Augenblick, wo ich, nach drei Tagen vollkommener Ruhe, die Schützengräben erster Linie verließ. Man hat uns einen Standort angewiesen, wo wir den 6. und 7. Oktober zugebracht hatten. Man spürt in der Luft, daß Neues im Anzug ist. Ich weiß nicht was daraus wird; doch die heitere Ruhe des heutigen Tages gilt mir als eine gute Vorbedeutung für alles Kommende. Es gab die letzten Tage wunderbare Anblicke, die ich jetzt besser inne werde, als in jenen wenigen Tagen der Niedergeschlagenheit. Es kam daher, daß ich mich kleinlichen menschlichen Berechnungen hingegeben hatte. Ich schreibe Dir an einem Fenster, von dem aus ich die Sonne untergehen sehe. Du siehst, daß es für uns immer Gutes gibt. 3 Uhr nachmittags. . . . . Ich schreibe an diesem Brief weiter in der Dämmerung eines einzigartigen Winters; der Tag schläft ebenso friedlich ein wie er erwachte. Ich sehe die Wäscherinnen unter der Baumreihe, die sich an einem Fluß entlang zieht; der Friede ist überall, ich glaube selbst in den Herzen. Die Nacht bricht herein. . . . Den 19. Dezember, im Quartier. Lieblicher Tag, der um den Tisch herum seinen Abschluß findet. Stille. Zeichnen. Musik. Ich denke mit Ruhe an die Länge der kommenden Tage, indem ich sehe, wie rasch die vergangenen Tage verflogen sind. Die Hälfte dieses Monates ist nun vorüber, das Weihnachtsfest kommt, während des Krieges. Für mich heißt es nur noch, mich unsern Lebensbedingungen wirklich anzupassen, dann mit Hülfe unserer Gemeinschaft zu einer Annahme der Dinge zu gelangen, die einer höhern Ordnung angehört als die menschliche Tapferkeit. Den 21. Dez., morgens früh. Teuerste Mutter! Ich habe in meinen Briefen mit Offenheit von meinen Freuden gesprochen, aber die Klippe des Glückes ist, daß unsere arme menschliche Natur stets in Angst ist, es zu verlieren, ohne zu erkennen, daß erfahrungsgemäß die ewige Ordnung immer ein neues Glück neben das alte Glück stellt. Ich für mein Teil brauche kein neues zu suchen. Ich muß versuchen, beide Weisheiten zu vereinigen. Die eine, die menschlich ist, treibt mich dazu an, für mein Glück zu sorgen, die andere aber lehrt mich, daß dieses menschliche Glück eine gar zarte Blume ist. Man könnte sagen: Genießen wir die Freuden des Lebens, die ein unerbittlich strenges Gewissen ausgewählt hat, aber erkennen wir, was sie alle Vergängliches in sich haben. Ja, die heilige Schrift enthält die schönste und poetischste Philosophie. Ich glaube, sie verdankt sie ihrem Zusammenhang mit den viel älteren Philosophien. Bei Edouard Schuré[*] ist manches anfechtbar, was man aber behalten muß, ist seine Deutungsgabe, die ihn durch alle Lehren hindurch zu der unendlich fernen Quelle der menschlichen Weisheit zurückgehen läßt. Weißt Du, daß die so rührenden mythischen Bilder von einem »guten Hirten« und der »Mutter Gottes«, welche in unsern Religionen so glückliche Anwendung gefunden haben, alte Schöpfungen der menschlichen Symbolik sind? Die Griechen hatten sie von geistigen Vorfahren erhalten und bei ihnen hieß der gute Hirte Hermes Psychopompos, Hermes der Seelenführer. Ebenso ist die Ahnfrau unserer Muttergottes, die große Demeter, die Mutter, die ein Kind auf ihren Armen trägt. Man fühlt, daß alle Religionen, in dem Maße, wie sie sich ablösten, die eine auf die andere immer denselben Schatz von Symbolen übertragen haben, welche die ewig jugendliche, menschliche Poesie jedesmal neu gestaltete. [Fußnote *: E. Schuré, Les grands initiés.] Den 23. Dez. (in der Dunkelheit). Welche Ironie! Ich hatte gestern diesen Brief angefangen, den ich unterbrechen mußte. Das Wetter war herrlich, ist es übrigens ungefähr geblieben. Aber wir haben unsere Feuerlinie wieder bezogen. Diesmal halten wir das Dorf selbst besetzt, -- die hübsche Corotlandschaft, wie vor zwei Monaten. Aber die Stellung unseres Vorpostens befindet sich in einem Hause, an dem man jede Ritze verschließen muß, um seine Gegenwart dem Feinde zu verbergen. So sind wir in einem Zimmer, in dem wir um neun Uhr morgens uns der Illusion hingeben können, als feierten wir den heiligen Weihnachtsabend. Dein lieber Brief, den ich kürzlich erhielt, hat mir viel Freude bereitet. Es ist wahr, die Anmut und die göttliche Begeisterung sind zwei Ausdrücke für denselben Begriff. Wenn Du einen Gang im Museum des großen Dichters Moreau[*] machst, wirst Du ein Gemälde sehen, »das Leben der Menschheit«,[**] glaube ich benannt. Es besteht aus neun Abschnitten, welche drei Reihen bilden, die heißen: _das goldene Zeitalter, das silberne Zeitalter, das eiserne Zeitalter_. Darüber ist ein Giebelfeld, von dem aus Christus diese Darstellung der Menschheit beherrscht. Darin aber hat dieser große Künstler dieselbe Vorstellung wie Du: jede der drei Reihen trägt den Namen eines Helden, Adam, Orpheus, Kain und jede von ihnen umfaßt drei Stunden. Die Stunden des goldenen Zeitalters heißen: _die Entzückung, das Gebet, der Schlaf_, während die Stunden des _silbernen Zeitalters_ heißen: _die Begeisterung, der Gesang, die Tränen_. [Fußnote *: Das Musée Gustave Moreau in Paris, Rue La Rochefoucauld.] [Fußnote **: S. L'Art de Notre Temps: Gustave Moreau par Léon Desbairs (Abbildung s. 101, L'Age d'Airain) Paris. La Renaissance du Livre. (D. Übers.)] Die _Entzückung_ ist auch die _Anmut_; denn das Gemälde stellt Adam und Eva dar, in der Reinheit ihrer Seelen, inmitten einer herrlichen Blütenpracht in die Betrachtung der Gottheit versenkt. Nichts außer einer harmonischen Natur hilft ihnen in ihrem Anflug zu Gott. Die _Begeisterung_, in seinem _silbernen Zeitalter_ ist wieder die_ Anmut_, aber schon, durch menschliche Künstlichkeit gestört. Der Dichter Orpheus sieht immer noch Gott, aber die Muse steht ihm zur Seite, das Symbol der menschlichen Kunst ist schon geschaffen; und die Offenbarung der Gottheit im Menschen, der _Gesang_ ist von Tränen, dem Schmerze begleitet. Den Kreislauf weiter verfolgend und die Entweihung des Menschen erreichend, schildert Gustave Moreau das _eiserne Zeitalter_: Kain zur Arbeit und zum Verbrechen verurteilt. Dieses Werk erzählt, daß die göttliche Stunde greifbar, aber flüchtig ist und daß sie der gewöhnliche Zustand des Menschen nicht sein kann. Es entschuldigt unsere Niederlagen. Die malerische Wiedergabe dieses Gedankens ist zu buchmäßig, könnte mancher sagen; doch sie berührt die Seele derer, die durch die Eishülle hindurch lesen wollen, unter der in der menschlichen Wiedergabe jeder Gedanke erstarrt. Freilich war ein Rembrandt der vollkommene geniale Dichter und zugleich der reine »Maler«. Geben wir zu, daß unsere Zeit weniger Reichtum, eine seltenere Vielseitigkeit der künstlerischen Begabung aufweist; erkennen wir aber zugleich die Schönheit der Dichtung von Gustave Moreau an, deren Sinn Du in zwei Worten geahnt hast. Dein Sohn. Den 24. Dez., in der Frühe. Unsern ersten Tag auf Vorposten haben wir in der ländlichen Ruhe einer Landschaft verbracht, die den Schnee erwartete. Er ist im Laufe der Nacht gekommen. In Hintergärten, dem Auge der Deutschen entzogen, habe ich mir den Schnee angesehen, der die kleinsten Gegenstände zeichnet und adelt. Dann kehre ich zum Talglicht zurück und nun schreibe ich Dir auf dem Tische, auf dem ein Nachbar Schokolade schabt. Das ist der Krieg. Das Soldatenleben bietet lustige Überraschungen. Wir mußten in die Feuerlinie kommen, damit zwei Unteroffiziere eine Badewanne finden und ein Bad nehmen können. Ich für mein Teil begnügte mich mit der Hülse einer 75ger Granate als Wasserkrug. . . . . Ich will nicht von Geduld sprechen, denn ein großer Vorrat von Geduld kann vor dem uns bekannten X versagen. Ich sage Dir aber, daß die Zeit außerordentlich rasch vergeht. Wir verleben kindliche Tage, übrigens sind wir Kinder solchen Ereignissen gegenüber, und die Wohltat dieses Krieges wird sein, daß er denen, die zurückkehren, die Jugend des Herzens zurückgeben wird. . . . Liebe Mutter, unser Dorf hat wieder den Besuch von zwei Granaten erhalten. Werden sie in Begleitung kommen? Gott behüte uns! Letzthin hatten sie uns hundert und fünfzehn geschickt, um einen Mann am Handgelenk zu verwunden. Ein Haus, in dem ein Halbzug unserer Kompagnie wohnt, steht in Flammen. Wir sehen niemand sich regen. Wünschen wir, daß für unsere Kameraden alles gut verläuft. Ich bin herzlich froh, diese paar Monate verlebt zu haben. Sie haben mich gelehrt, was man aus dem Leben machen kann, in welcher Form es sich uns auch zeigen möge. Meine Kameraden sind wunderbar in ihren Offenbarungen französischer Eigenart. . . . Sie scherzen, aber ihr Scherz ist die äußere Hülle eines herrlichen seelischen Mutes. Mein großer Fehler als Künstler ist, die Seele meines Volkes stets mit einem schönen, mit meinen eigenen Farben bemalten Gewande kleiden zu wollen. Diese Menschen gehen mir manchmal auf die Nerven, wenn sie mein schönes Kleid beschmutzen; in Wahrheit würde es sie arg daran hindern, ihre Pflicht zu erfüllen, wie sie es tun. Weihnachten in der Frühe. Welche einzige Nacht! -- Nacht ohne Gleichen, in der die Schönheit siegte, in der trotz ihrer blutigen Verirrungen, die Menschheit die Wahrheit ihres Bewußtseins bewiesen hat. Wisse, daß bei gelegentlichem Gewehrfeuer, ein Gesang ohne Unterbrechung auf der ganzen Schützenlinie sich erhob! Uns gegenüber sang eine wundervolle Tenorstimme das Weihnachtslied des Feindes. Viel weiter zurück, hinter dem Höhenzug, dort wo unsere Linien wieder anfangen, antwortete die Marseillaise. Die wundervolle Nacht verschwendete ihre Sterne und Meteore. Hymnen, Hymnen überall. Es war die ewige Sehnsucht nach Harmonie, der unbezwingliche Aufschrei nach Ordnung in Schönheit und Eintracht. Ich für mein Teil habe meine Erinnerungen eingewiegt, indem ich die köstlichen Melodien der _Kindheit Jesu_[*] wachrief. Die jugendliche Schönheit, die Taufrische dieser französischen Musik rührten mich. Ich dachte an den berühmten _Schlaf der Wanderer_ und den Chor der Hirten. Ein Satz, den die Jungfrau Maria singt: »Der Herr hat für meinen Sohn diese Stätte gesegnet«, ließ mein Herz erzittern. Die Melodie sang in mir, während ich in diesem Häuschen saß, dessen Nachbar in Flammen steht und das selbst einem recht kümmerlichen Schicksal geweiht ist. Ich dachte an alle mir gewährten Freuden, ich dachte, daß vielleicht in dieser Stunde Du für mich um Segen flehst über meine Zufluchtsstätte. Der Himmel war so schön, daß er mir eine günstige Antwort zu gewähren schien; ich wünschte aber ganz besonders die Kraft zu besitzen, um eines fortwährend zu flehen, um Weisheit zu jeder Zeit, eine Weisheit, die zwar menschlich ist, aber trotzdem vor jeder Überraschung sicher ist. Jetzt überflutet die herrliche Sonne die Ebene, und ich schreibe Dir beim Kerzenlicht, von Zeit zu Zeit gehe ich aber und betrachte sie von den Hintergärten aus. Alles ist licht, und die verlassene Ebene empfängt den Frieden von oben. [Fußnote *: »L'Enfance du Christ«, von Hector Berlioz.] Ich gehe in unser Zimmer zurück, wo im Dämmerlicht die Kupferbeschläge der wundervollen Betten der Maasgegend und das geschnitzte Holz der Schränke schimmern. Alles hat durch den schlechten Gebrauch, den die Soldaten davon machen, gelitten, verschafft uns aber eine wirkliche Behaglichkeit. Wir haben Bestecke gefunden, Tafelgeschirr und haben zwei Tage nacheinander Schokolade in einer Suppenschüssel bereitet. Üppigkeit! O liebe Mutter, wenn mir Gott die Freude der Rückkehr gewährt, welche Jugend hat mir diese außerordentliche Zeit wieder geschenkt! Wie ich meinem lieben P. schrieb, führe ich hier das Leben eines Kindes unter so schlichten Menschen, daß wenn auch sehr vereinfacht, meine Lebensart für meine Umgebung noch recht umständlich ist. Teuerste Mutter, dieser sehr lange Krieg entwickelt unsere Fähigkeit im Dulden auszuharren; ich habe aber das Gefühl, daß sich alles so verwirklicht, wie es mir vorauszuahnen vergönnt war. Ich glaube, daß diese langen Zwischenzeiten der Untätigkeit das geistige Werkzeug in mir werden ruhen lassen. Wenn ich das Glück habe, es wieder benutzen zu dürfen, wird es zwar einige Zeit brauchen, um sich wieder in Bewegung zu setzen, aber welche neue Triebkraft wird es besitzen! Mein letztes Werk war reine Gedankenarbeit und mein Ehrgeiz, den alles rechtfertigen kann, ist meinem Gedanken mehr greifbare Form zu verleihen, je mehr er sich entwickeln wird. Sonntag, den 27. Dezember, 9 Uhr. 5. Tag in der Schützenlinie. Es scheint, daß die fürchterliche Stellung, die wir am 14. Oktober mutig behauptet haben und die unmittelbar darauf durch unsere Nachfolger verloren ging, wieder genommen wurde, mehr als 200 Meter, aber um den Preis von 100 Mann, die kampfunfähig sind. Liebe Mutter, der Mangel an Schlaf nimmt mir den Verstand. Man bedarf zwar wenig davon für den täglichen Gebrauch in diesem Dasein, aber ich hätte gerne mit Dir geplaudert. Mein Trost ist, daß unsere gegenseitige Liebe keinen Ausdruck braucht. Weniges mitzuteilen. Ich bin arg abgestumpft durch den gestrigen Tag, den ich ganz im Dunkeln zugebracht habe. Dabei sah ich noch von meinem Platz aus einen hübschen Baum am Himmel. Diesen Morgen sah ich in der lieblichen Dämmerung einen schönen außerordentlich leuchtenden Stern. Ich hatte Kohlen und Wasser geholt und auf dem Rückweg war dieser außerordentliche Stern immer noch sichtbar, obgleich der Tag schon hell war. Mein Gefreiter, der mit mir von Strauch zu Strauch unserm Hause zustrebte, sagte mir: »Weißt du, was das ist, dieser Stern? Nun! es ist das Erkennungszeichen für die feindlichen Patrouillen.« Es war so, und zunächst war ich über die Entweihung des Himmels empört; dann aber, abgesehen von der sinnreichen Erfindung dieses Verfahrens, sagte ich mir, daß dieser Stern für die armen Leute auf der andern Seite die Richtung der Rettung bedeutete. Ich habe ihm weniger gezürnt. Er hatte mir so viel Freude gemacht, daß ich mich entschloß, bei meinem ersten Eindruck zu verbleiben. Den 30. Dezember. Gestern abend empfing ich Deinen Weihnachtsbrief. Vielleicht hast Du zur Stunde, wo ich Dir schreibe, den meinigen vom selben Tag erhalten. Damals genoß ich trotz der Gefahr die Schönheit der Landschaft, heute aber muß ich Dir gestehen, daß sie mir einigermaßen vergiftet ist durch das, was man von dem letzten Gemetzel erzählt. Den 26. hat man uns in unseren Kampfstellungen gelassen, die wir zu gewöhnlichen Zeiten nur nachts besetzen. Wir wurden an diesem Tage in unserer rein defensiven Stellung bevorzugt, nur daß wir der feindlichen Beschießung ausgesetzt waren; aber zu unserer Rechten erhielt ein Regiment unserer Division, das eine unserer schrecklichen Stellungen vom 14. Oktober einnahm, einen furchtbaren Auftrag, dessen unglücklicher Ausgang mehrere hundert Menschenleben gekostet hat. Hier in unserm großen Dorf, wo unsere gute Wirtin, wie wir auch, die Opfer kannten, ist alles in Trauer. Am selben Tage. . . . . Nichts greift die Seele an. Die Angst mag freilich manchmal groß sein, besonders die Vorahnung; aber die Fragen der Zukunft ordnen sich der willigen Annahme des Gegenwärtigen unter. Das Wetter ist mild und die Natur gleichgültig. Die Toten werden den Frühling nicht stören . . . . Und wenn einmal die Schrecken des Augenblicks vorüber sind, wenn man dann sieht, welchen Platz die Erinnerungen an die Dahingeschwundenen einnimmt, empfindet man ein fast süßes Gefühl bei dem Gedanken an das, was _wirklich_ _besteht_. In diesen düstern Wäldern erkennt man, wie nichtig die Gräber- und Leichenfeiern sind. Die Seele dieser armen braven Menschen braucht das alles nicht. . . . 4 Uhr. -- Ich vollende das vierte Bild; ein Leutnant meiner Kompagnie. Entzückt! Der Tag geht zur Neige. Ich sende Dir mein stets mutiges Gedenken, Hoffnung und Weisheit. Vom 3. Januar 1915. . . . . Gestern, nach der ersten Befriedigung, die ich empfand, als ich mich von den groben Arbeiten befreit sah, habe ich meine Stückchen Tressen betrachtet und fühlte mich zunächst erniedrigt; denn statt der gewaltigen an keinen Titel geknüpften Überlegenheit, die mich aus jeder militärischen Bewertung ausschloß, war ich eine untere Nummer in der Rangordnung geworden. Aber sofort fühlte ich, daß, so oft ich meine roten Tressen ansah, ich meiner sozialen Pflicht mich erinnern müsse, die mein Individualismus zu oft vergißt. Ich fühlte, daß ich meine Seele auszubilden immer in der Lage bin, von ihr nur eine unbedingtere Anspannung werde verlangen müssen. Den 4. Januar (abgeschickt den 7. Januar) in einem Minengang Ich schreibe Dir am Eingang eines unterirdischen Ganges, der unter die feindliche Stellung führt. Mein kleiner Posten hat den Auftrag, für die Sicherheit der Pioniere des Geniekorps zu sorgen, die einen schon ein Dutzend Meter vorgedrungenen Gang graben, mit Balken stützen und festigen. Um dorthin zu gelangen, stampfen wir im Schlamm bis zu den Schenkeln; aber unsere acht Stunden Wache sind durch eine Erdschicht von mehreren Metern geschützt. Ich habe sechs Posten, mit denen ich drei Tage lang ein Dasein von Schlaflosigkeit und Entbehrungen teile. Das ist das Einweihungsfest meiner neuen Stellung, aber ich bin froh, mich wieder ein wenig in den Prüfungen vergangener Tage zu stählen. . . . Es könnte übrigens geschehen, daß mir das Amt, das ich in Vertretung versah, in einigen Tagen nunmehr wirklich übertragen wird. Scheußliches Wetter: und um das Unglück voll zu machen, habe ich einen ganz neuen Schuh verbrannt und bin, wie die andern übrigens auch, in einem wahren Bad, aber in vortrefflicher Gesundheit. Teuerste, ich will etwas schlafen gehen. Den 6. Januar, abends. Teure Mutter, wir sind jetzt wieder im Quartier nach zweiundsiebzig Stunden ohne Unterbrechung und Schlaf, in einem namenlosen Sirup von Regen und Schlamm. Ich habe verschiedene Briefe von Dir erhalten. Liebe, teuerste Mutter, der letzte ist vom ersten. Wie ich sie liebe! Doch um Dir von allem erzählen zu können, will ich zuerst ein wenig schlafen. Den 7. Januar, gegen mittag. Diesen abgebrochenen Brief vollende ich im Polizeiraum, von wo mein Halbzug auf Wache zieht. Das Wetter ist immer scheußlich. Diese Verschiebung des ganzen Daseins ist unerhört. Wir sind im Wasser, die Wände sind voll Schlamm, der Boden und die Decke auch. Den 9. Januar. . . . . Mancher Trost fehlt mir in diesen Tagen wegen des Wetters. Dieser entsetzliche Schlamm erlaubt nicht das Geringste zu schauen. Ich schließe, indem ich innig unsere Liebe, den festen Glauben an eine Gerechtigkeit anrufe, die höher ist als unsere menschliche. Liebe Mutter, Sendungen brauche ich tatsächlich nicht. Die Entbehrungen sind augenblicklich anderer Art, doch immer Mut. Wenn man nur sicher wüßte, daß die seelische Anstrengung Früchte tragen wird! Den 13. Januar, im Schützengraben, in der Frühe. Ich möchte, wenn Ihr an mich denkt, daß Ihr das Bild von solchen Menschen wachruft, die alles verlassen hatten, Familie, Bekannte, Stellung in der Gesellschaft, von Leuten, welche die nächsten Verwandten nur noch in der Erinnerung kannten, von denen sie sagten: »Wir haben einen Bruder, der vor langen Jahren sich von der Welt zurückgezogen hat, wir wissen nicht, was aus ihm geworden ist.« Dann werde ich das Gefühl haben, daß auch Ihr jede menschliche Form der Anhänglichkeit aufgegeben habt und werde mich frei diesem Leben hingeben, das allen gewohnten menschlichen Beziehungen verschlossen ist. Ich beklage mich nicht über meine neue Stellung, sie versenkt mich wieder in Prüfungen, aber mit mehr Erfahrung und einigen Verbesserungen. Ich will also fortfahren, so vollständig, wie es mir möglich ist, für den Augenblick selbst zu leben; und das wird mir leichter werden, wenn ich fühle, daß Ihr selbst Euch an den Gedanken gewöhnt habt, daß das Leben, welches ich gegenwärtig führe, nicht vorübergehend zu sein braucht. Ich habe Dir nicht genug geschrieben, wie ich mich über die _Revue Hebdomadaire_ gefreut habe. Ich habe darin Auszüge von Reden über Lamartine wiedergefunden, die mich entzückt haben. Die Umstände führten ihn, den Dichter, dazu, seiner Kunst nur noch einen winzigen Platz einzuräumen. Das allgemeine Leben hat ihn umkreist und legte seiner großen Seele eine unmittelbarere und stärkere Aufgabe auf, als sein Genie es erwartete. Den 15. Januar, im neuen Quartier, 12 Uhr 30 mittags. Wir haben keine Ahnung mehr von irgend einem Ausgang. Für mich ist die einzige Richtschnur mein Gewissen. Wir müssen unser Vertrauen in eine unpersönliche, von jedem menschlichen Vermittler unabhängige Gerechtigkeit setzen, in eine trotz aller äußeren Schrecken nützliche und harmonische Bestimmung. Den 17. Januar, nachmittags, im Quartier. Was soll ich Dir schreiben, an diesem Nachmittag eines seltsamen Januars, wo der Schnee auf den Donner folgt? Unser Quartier bietet uns nennenswerte Bequemlichkeiten, besonders aber eine berauschende Poesie. Stelle Dir einen See vor in einem von hohen Hügeln beschützten Park, dann ein Schloß oder vielmehr ein vornehmes Landhaus. Wir wohnen in den Nebengebäuden, aber ich brauche weder Tafelwerk noch äußerste Bequemlichkeit, um das Traumleben, das ich seit drei Tagen führe, zu vervollständigen. Gestern erhielt unsere liebenswürdige Gesellschaft den Besuch von Sängern. Wir waren sehr weit entfernt von der Musik, die ich liebe; aber die sentimentale und volkstümliche Romanze ersetzte die edle Kunst durch das Feuer der Überzeugung bei dem Sänger. Dieser Arbeiter, der ehrbare, ja moralische Lieder sang -- eine etwas unreine Moral, aber immerhin eine Moral -- legte soviel Seele hinein, daß der Klang seiner Stimme unsere Hauswirtinnen rührte. Das ist das volkstümliche Ideal, ein wesenloses, rein negatives Ideal, das aber schmerzvolle Monate mich gelehrt haben, mit Wohlwollen zu beurteilen. Ich lese eben, daß Charles Péguy am Anfang des Krieges gefallen ist.[*] Wie viel Lücken hat der Tod in den Reihen der französischen Geisteswelt gerissen! Was uns unfaßbar ist (was aber ganz natürlich ist), ist, daß die bürgerliche Gesellschaft ihr gewohntes Leben weiterführen kann, während wir in diesem Unwetter sind. Ich sah in einem Cri de Paris, der hierher getrieben wurde, Programme von Konzerten. Welcher Gegensatz! Nun, liebe Mutter, die Hauptsache ist, daß wir in einigen Stunden der Gnade Schönes erkannt haben. Das Wetter ist entsetzlich, aber man fühlt das Kommen des Frühlings. Nichts spricht augenblicklich von Hoffnung für den Einzelnen, sondern von fester Zuversicht für die Allgemeinheit. [Fußnote *: Den 21. September 1914 bei Villeroy, zwischen Meaux und Dammartin, während der Schlacht an der Ourcq. (D. Übers.)] Den 19. Januar. Seit gestern sind wir in unsern Stellungen zweiter Linie; wir sind hierher gekommen bei herrlichem Schnee- und Frostwetter. Ein stürmischer Himmel, rosa und entzückend, schwebte über einem traumhaften schneeweißen Wald, die Bäume unten durchsichtig blau, oben braun in zarten Verästelungen, die Erde weiß. Ich habe zwei Packete erhalten, in denen das _Rolandslied_ mir unendliche Freude bereitet. Die Einleitung, die von dem Volksepos handelt, spricht gerade von dem Mahâbhârata, das, wie es scheint, die Kämpfe der guten mit den bösen Geistern erzählt. Ich freue mich über Deine so lieben Briefe. Was die Leiden betrifft, die Du vermutest, in Wirklichkeit sind sie sehr erträglich. Was man aber bekennen muß, übrigens ohne Scham, ist, daß wir ein bürgerliches Volk sind. Wir haben den Honig der Kultur genossen, einen ohne Zweifel vergifteten Honig! Doch nein! Sicherlich ist dieses bequeme Dasein harmonisch und der gewöhnliche Verlauf unseres Lebens soll nicht eine Vorbereitung auf die Gewalttätigkeit sein, eine Gewalttätigkeit, die vielleicht heilsam ist, in deren Mitte wir aber die in Friedenszeit geahnte Ordnung nicht aus den Augen verlieren dürfen. Die Ordnung führt zum ewigen Frieden. Die Gewalttätigkeit bringt das Leben in Umlauf. Unsere Zielpunkte sind Ordnung und ewiger Friede; aber ohne die Gewalttätigkeit, welche den Vorrat an verwendbarer Energie entfesselt, wären wir geneigt, die Ordnung als schon erreicht zu betrachten, eine verfrühte Ordnung, die nichts weiter als Scheinleben wäre und das Kommen der letzten Ordnung nur hemmen würde. Unsere Qualen kommen nur von der Enttäuschung, die uns diese Verzögerung bereitet; aber die menschliche Geduld ist immer zu schwach, um das Kommen der wahren Ordnung zu erwarten. Auf alle Fälle und trotz unserer Leiden, wollen wir lieber nicht die Werkzeuge der Gewalttätigkeit sein. Es ist ungefähr, wie wenn eine geschmolzene Masse zu schnell und in unrichtiger Weise erkaltet; man muß einen neuen Guß vornehmen und die Masse nochmals dem Feuer aussetzen. Das ist die Aufgabe der Gewalttätigkeit in der menschlichen Entwicklung; aber diese nützliche Gewalttätigkeit darf uns nicht vergessen lassen, was unser ästhetisches Bürgerleben an dauerhafter Ordnung in Frieden und Harmonie errungen hatte. Unsere Qualen kommen gerade daher, daß wir das nicht vergessen können. Den 20. Januar, früh morgens. Glaube nicht, daß ich mir den Schlaf rauben lasse. In dieser Beziehung ist unsere Hygiene sehr unregelmäßig; bald schlafen wir drei Tage und drei Nächte, bald ist es umgekehrt. Augenblicklich fängt die Natur wieder an, mir ihren Trost zu bringen. Die fürchterliche Regenzeit wird durch schöne Kältetage unterbrochen. Wir leben in einem schönen Frost- und Schneewetter, der harte Boden festigt unsere Schritte. Mein bescheidener Rang bringt mir die Möglichkeit ein, mich etwas abzusondern. Ich habe nicht mehr meinen schönen nächtlichen Gang, aber am Tag erlaubt mir die Befreiung von dem Arbeitsdienst die Schönheit der Dinge zu genießen. Gestern unvergeßlicher Sonnenuntergang. Ein Himmel wie Schaum, in dem zarte, farbige Streifen sich zerfasern; unten die kalte Bläue des Schnees. Liebe Mutter, es war ein Heimwehabend. Diese Verse, die mir so vertraut sind, klangen friedlich an mein Ohr: Mein Kind, meine Schwester, Denke, wie süß es wäre, Dorthin zu gehen, mit Dir zu leben . . . In dem Lande, daß Dir gleicht. Ja, die »_Aufforderung zur Reise_« von Baudelaire[*] zog durch den entzückenden Himmel. Ach! ich war weit weg vom Kriege. Doch Rückschlag des Irdischen; als ich zurückkam, wäre ich beinahe um mein Mittagessen gekommen . . . Den 20. Januar, abends. Stete Ergebenheit. Anpassung an das Leben, das nicht rastet und sich um unsere kleinlichen Forderungen nicht kümmert. Den 21. Januar. Jetzt sind wir wieder in unseren Stellungen in erster Linie. Der Schnee folgte uns nach, leider aber auch das Tauwetter. Zum Glück verlangt unsere jetzige Stellung nicht den schrecklichen Aufenthalt im Wasser der Schützengräben. Wer wird die Anmut der Bäume im Winter schildern? Habe ich Dir gesagt, was Anatole France darüber im Mannequin d'Osier[**] schreibt? Er liebt ihr feingegliedertes Skelett und ihre innerliche Schönheit, die der Winter vollkommener offenbart. Auch ich liebe den wundervollen Kontrapunkt ihres Geästes mit den tausendfach verschlungenen Linien auf dem Grundton des Himmels. [Fußnote *: Fleurs du Mal (Spleen et Idéal LIV. L'Invitation au Voyage).] [Fußnote **: Les arbres, pensa-t-il, prennent l'hiver une beauté intime qu'ils n'ont pas dans la gloire du feuillage et des fleurs. Ils découvrent la délicatesse de leur structure. L'abondance de leur fin corail noir est charmante; ce ne sont point des squelettes, c'est une multitude de jolis petits membres où la vie sommeille. (Le Mannequin d'Osier, S. 77.)] Von unserm Unterstand aus sehe ich unser Dorf; das Unglückliche zerfällt und zerbröckelt immer mehr. Jeden Tag geben ihm die Granaten mehr den Rest. Die Kirche ist auseinandergerissen, doch ihre zerstückelte Schönheit verharrt trotz Allem. Das Dorf ist so hübsch zwischen seinen zwei zierlich gezeichneten, köstlichen Hügeln versteckt! Wir hatten viel Glück in zweiter Linie. Das Schneewetter war wirklich schön und gnädig. Gestern beschrieb ich Dir den Sonnenuntergang von neulich und wie wir vorher in diese herrlichen Wälder gekommen sind . . . Den 22. Januar. . . . Ich habe Dir einige Verse geschickt; ich weiß nicht was sie wert sind, sie haben mich mit dem Leben versöhnt. Dann war unser letztes Quartier auch wirklich wundervoll reich an Gaben der Schönheit, über Gestein fließendes Gewässer . . . Weite und klare Wasserspiegel in Parkhintergründen, stehende Teiche, träumerische Alleen; das vermag die rohe Gewalt nicht zu entweihen, heute Sonnenschein auf dem Schnee. Die Schönheit des Schnees war tief erschütternd, wir hatten aber auch häßliche Tage gehabt; Tage, wo man nichts als unerfreulichen Schlamm sieht. Es scheint, daß wir nicht in unser hübsches Quartier zurückkehren werden. Offenbar ist etwas in Vorbereitung; denn der regelmäßige Verlauf unseres Winterlebens hat ein Ende genommen. 2 Uhr nachmittags. Herrliches Wetter, Vorbote des Lenzes; wir können es ausnutzen, da unser jetziger Standort erlaubt, die Nase herauszustecken. Ich kann Dir heute nur schlecht schreiben, Dir nur den Ausdruck meiner Liebe schicken. Dieser Krieg ist lang und ich kann nicht einmal von Geduld sprechen. Meine einzige Freude ist, daß ich Dir oft, während fünf ein halb Monaten, sagen konnte, daß nicht alles häßlich war. Den 23. Januar. -- --- -- . . . Ich für mein Teil habe keine Wünsche mehr. Wenn die Prüfungen wirklich hart werden, begnüge ich mich damit, recht unglücklich zu sein, ohne etwas anderes ins Auge zu fassen. Wenn sie nachlassen, dann fange ich an zu denken, zu träumen, und meine teure Vergangenheit erscheint mir mit derselben fernen Poesie, die in glücklichen Zeiten meine Träumereien fremden Ländern zuführte. Eine liebgewonnene Straße, gewisse oft besuchte Gegenden tauchen plötzlich auf, wie früher gewisse Melodien, gewisse Verse plötzlich traumhafte Inseln, Märchenländer in mir erstehen ließen. Jetzt braucht es keine Verse oder Melodien; die Lebendigkeit unserer lieben Erinnerungen genügt. Ich kann mir nicht einmal mehr vorstellen, wie ein neues Leben aussehen könnte; ich habe nur die Zuversicht, daß wir Lebendiges schaffen. Für wen, für wann? darauf kommt es nicht an. Was ich weiß, was in meinem tiefsten Innern feststeht, ist, daß die Saat französischen Denkens aufgehen wird und das Geistesleben unseres Volkes unter den tiefen Wunden, die ihm geschlagen sind, nicht leiden wird. Wer sagt uns, daß der Bauernbursche, der Kamerad des gefallenen Denkers, nicht der Erbe seines Gedankens wird? Keine Erfahrung vermochte uns diese herrliche Erleuchtung einzugeben. Der Sohn des Bauern, der einen jungen Gelehrten, einen jungen Künstler hat fallen sehen, wird vielleicht das unterbrochene Werk wieder aufnehmen; er wird vielleicht das Glied in der Kette der einen Augenblick gehemmten Entwicklung sein. Das ist das wahre Opfer: auf die Hoffnung verzichten zu müssen, Fackelträger zu sein. Für das spielende Kind ist es schön, die Fahne zu tragen; dem Manne muß es genügen zu wissen, daß die Fahne getragen wird, trotz Allem! Darin bestärkt mich jeder Augenblick der erhabenen Natur. Jede Minute beruhigt mein Herz; die Natur macht Fahnen aus dem ersten Besten. Sie sind schöner als diejenigen, an die unsere kleinen Gewohnheiten sich anklammern. Fahnen der Wissenschaft, Fahnen der Kunst, welche Flocke in der Luft käme euch nicht gleich? Und immer wird es Augen geben, um die Lehren des Himmels und der Erde aufzunehmen. Den 26. Januar. Dein lieber Brief vom 20. hat mich gestern abend erreicht. Du darfst es mir nicht übel nehmen, wenn mir manchmal, wie in meinem Briefe vom 13., das fehlt, was ich mich doch stets bemüht habe zu erwerben. Doch ich bitte Dich zu bedenken, was ein junger Mensch in voller Schaffenskraft, empfinden muß, in dem Augenblick, wo das Leben für ihn eine Zeit fortwährender Blüte sein müßte, wenn man ihn entwurzelt und auf einen trockenen Boden verpflanzt, auf dem ihm fast alles seiner gewohnten Nahrung fehlt. Nun denn! von dem Augenblick, wo nach dem ersten Riß das Leben ihn nicht verlassen hat, bemüht er sich aus den dürftigen Säften seiner neuen Lage zu schöpfen. Die Anstrengung ist groß und verlangt mitunter eine Anspannung aller Kräfte, die für Erinnerungen und Hoffnungen keinen Raum läßt. Es ist ein fortwährendes Streben nach Anpassung und ich erreiche sie, außer in den Stunden der rasch unterdrückten Empörung, wo die Gedanken, die Handlungen meines vergangenen Lebens, sich erheben, wie wenn ich sie nicht vergessen hätte. Ich brauche dann meine ganze Kraft, um meine herzzerreißenden Erinnerungen in der Ergebung in den gegenwärtigen Augenblick zu ertränken. Ich dachte an die schlimmen Stunden, die auch Ihr habt, und die Vernunft war es, die mich Euch zu einer sehr unpersönlichen Auffassung unseres Verhältnisses ermuntern ließ. Ich weiß, wie stark und auf diese Auffassung vorbereitet Du bist. Doch Du hast recht, nehmen wir den Schmerz nicht vorweg. Aber manchmal unterscheidet man nicht mehr deutlich wirklichen Schmerz, der uns quält, von jenem, der kommen könnte. Merket wohl, _daß ich alle Hoffnung_ habe und daß ich auf einen Sieg der Gnade zähle; aber vor allem bestrebt ein Künstler zu sein, bemühe ich mich so viel Schönheit wie möglich zu gewinnen und so schnell wie möglich, da ich die Frist, die uns vergönnt ist, nicht kenne. Den 27. Januar, nachmittags. Nach zwei -- wegen des Mangels an Stroh -- schlechten Nächten im Quartier ist die dritte durch unsern plötzlichen Abmarsch in unsere Stellung zweiter Linie unterbrochen worden. Dort habe ich endlich schlafen können. Herrliches Wetter, Frost und Sonne. Die weite Natur beginnt mich wieder zu umfangen und ihre jetzt mächtigere Stimme stärkt mich. -- Aber, Teuerste, was für ein Riß im Leben! Seit meiner Beförderung habe ich soeben Augenblicke erlebt, die in weniger fürchterlicher Form an die Anfänge des Septembers erinnern, mit viel Schönem dazu. Ich nehme dieses neue Leben an; aber kein Ausblick in die Zukunft! . . . . . Den 28. Januar, in der Morgensonne. Das eiskalte strahlende Wetter hat das wundervolle an sich, daß es in seinem weiten, klaren Himmel eine Pforte für die Poesie offen läßt. Was ich Dir über dieses schöne Schneewetter sagen konnte, das kam aus einem durch die siegreiche Schönheit gestärkten Herzen. Ich habe mit Freuden in den Zeitschriften, die Du mir geschickt hast, die Abhandlungen über Molière, über das englische Parlament, über Martainville, über die religiösen Fragen im Jahre 1830 gelesen. . . . . Habe ich Dir gesagt, daß ich durch die Zeitungen den Tod von Hillemacher[*] erfahren habe. Dieser liebenswürdige Kamerad ist im Verlauf dieses schrecklichen Krieges gefallen. [Fußnote *: Bewerber um den Rompreis der Ecole des Beaux-Arts im vorigen Jahre.] Den 1. Februar. Teuerste Mutter, ich habe Deine lieben Briefe vom 26. und 27. erhalten: sie geben mir neues Leben, wahrhaftig. Bis jetzt ist unsere Stellung erster Linie -- diesmal in einem Dorfe -- durch eine völlige Ruhe begünstigt worden, und ich habe wieder die beglückenden Stunden gekannt, wo die Natur mich tröstete. Meine Stellung hat das Besondere, daß die Dienstarbeiten, die ich verrichte, jetzt durch die Gefühle der Verpflichtung dem Ganzen gegenüber nicht mehr durch die gefühllose Bestimmung der Dienstordnung befohlen sind. Den 2. Februar. Liebe Mutter, ich schreibe an diesem Briefe im Quartier weiter, während die außerordentliche Inanspruchnahme durch die sich häufenden Dienstarbeiten die leeren Stunden füllt, welche die Schwermut trüben möchte. Ich komme in die dunkeln Tage, wo das Nichts das letzte Ende aller Dinge zu sein scheint, während alles in meinem Leben die reiche Fülle des Weltalls mir bezeugte. Die Hingabe nicht an Einzelne, sondern an das gesellschaftliche Ideal brüderlicher Zusammengehörigkeit, die ist es, die mich noch aufrecht hält. Ach, welch herrliches Vorbild geben uns Christus und die Armen! Dieser Gerechte, ein Aristokrat, hat durch den herben Ernst seiner Lebensaufgabe das Grenzenlose der Pflicht der Nächstenliebe bewiesen und vor allem gelehrt, daß man dafür keinen Dank verlangen soll . . . Ich verdanke meinem Verkehr mit den Dingen und den Menschen die Beruhigung, daß ich nichts vom Nächsten erwarte. So nimmt die Pflicht eine abstrakte, von menschlichen Rücksichten befreite Form an, die das Gräßliche dieser Lage verhüllt. Heute ein unerhört schöner Sonnenaufgang! Wieder ein Frühling, der naht . . . Ich will Dir unsere drei Tage in der Feuerlinie erzählen. Schnee und Frost. Wir sind die Abhänge herunter, die zu unserer Stellung im Dorfe führen. In diesem Augenblicke war die Nacht so schön, daß die Soldaten davon gerührt waren. Ich werde Dir nie die feinen und doch bestimmten Linien dieser Landschaft schildern können. Wie ließe sich diese zarte, wie mit dem Grabstichel ausgeführte Zeichnung deutlich machen, die sich mit den traumhaften Nebeln verbindet, über denen der Mond schwebt? Während drei Tagen führte mich mein Nachtdienst in diese keusche Schönheit, in diese Weiße hinein. Dunkle Verästelung der Bäume, zart wie Goldschmiedearbeit. Und trotz der Einfarbigkeit, Halbtöne, rotbraune und blaue Halbtöne. Es gibt Stunden von solcher Schönheit, daß der nicht sterben sollte, der sie umfängt. Ich war weit vor den ersten Linien und niemals fühlte ich mich geschützter. Diesen Morgen, auf dem Rückweg, Sonnenaufgang, rosa und grün, auf dem rosa und blauen Schnee; freie Aussicht auf ein Mosaik von Wäldern und schneebedeckten Feldern; in der Ferne Hintergründe, in denen die Silbertöne der Maas ersterben. O Schönheit, allem zum Trotz! Den 2. Februar. Nach endlos traurigen Tagen, plötzliche und flüchtige Ausblicke philosophischen Gleichmutes. Pflicht, herbe, doch stärkende Trösterin. Unerhörte Schönheit mancher Landschaftsbilder. Den 3. Februar. Teure geliebte Mutter, Soeben empfange ich im Quartier Deinen Brief vom 29. Namenloser Tag, ohne greifbare Gestalt, Tag, in dem trotzdem der Frühling geheimnisvoll zu quellen anfängt. Warme Luft in der Verlängerung der Tage; plötzliches Erschlaffen, wie ein Vergehen in der Natur. Ach! wie süß wäre dieser Schauer der Dinge losgelöst von diesem Sklavenleben; doch hier läßt die Erschlaffung, die gewöhnlich den Frühling begleitet, die Last nur schwerer empfinden. Liebe Mutter, wie glücklich bin ich, die Teilnahme aller in der Ferne zu verspüren. Ach! es gibt doch noch zarte Regungen. Ich bin über die Zeitschriften entzückt, in denen ich in einem herrlichen Artikel über Louis Veuillot[*] diesen Satz mir merkte: »O mein Gott, nimm von mir die Verzweiflung und laß mir den Schmerz!« Ja wir dürfen die fruchtbare Lehre des Schmerzes nicht verkennen und, wenn ich aus diesem Kriege zurückkomme, werde ich eine ohne Zweifel bereicherte und veredelte Seele zurückbringen. So habe ich denn mit Freuden Vorträge über Moliere gelesen und in seinem Leben wie anderswo die Einsamkeit erkannt, in der die erhabenen Seelen umherirren. Aber ich verdanke meinen alten Herzenswunden, daß ich nie mehr durch die Schuld anderer leiden werde. Geliebte Mutter, morgen schreibe ich Dir besser. Den 4. Februar. Gestern abend, als ich in meine Scheune zurückkehrte. Trunkenheit, Streitereien, Geschrei, Singen und Geheul. So ist das Leben! . . . Heute morgen aber, da mir das Erwachen nur diese Erinnerung zuführte, bin ich vor der Zeit aufgestanden und habe meinen Freund den Mond wieder getroffen, die große Nacht, die verflog und die Morgenröte, die sich meiner erbarmte! Der gesegnete Frühlingstag vergoldet Alles und teilt seine Versprechungen und Hoffnungen aus. -- Teuerste, ich denke über den Titel nach, den Tolstoi gewählt hat: _Krieg und Frieden_. Früher glaubte ich, er wolle den Gegensatz zwischen diesen zwei Zuständen wachrufen; heute aber frage ich mich, ob er nicht diese zwei Gegensätze in dem Gefühl ihrer Nichtigkeit vereinigt hat, ob nicht die Menschheit, sei es im Krieg oder im Frieden, ihm in gleichem Maße zur Last war. Wir müssen freilich dem Bemühen gut zu sein treu bleiben; aber unwillkürlich fassen wir diese Mahnung ähnlich wie jene Maueranschläge auf: »Schonet die Tiere«. -- Wie wird inmitten der täglichen Arbeit die Selbstprüfung hart! [Fußnote *: Der bekannte katholische Schriftsteller (1813--1883). (D. Übers.)] Den 5. Februar. Schlaflose Nacht. Abscheuliche Rückkehr in die Scheune. Derartiger Höllenlärm, daß die Gefreiten Klage führen mußten. Strafen. Am Morgen, Marsch, und zur Erholung in dieser Nacht, Arbeit. Teure, geliebte Mutter, Den 6. Februar. Nach der schlaflosen,[*] vielmehr weinroten Nacht im Quartier mußten wir eine ganze Nacht Dienstarbeit leisten. Daher schlief ich bis zum Augenblick, wo ich Dir schreibe. Der Schlaf und die Nacht sind die zwei Zufluchtsstätten, wo das Leben noch einen Reiz bietet. [Fußnote *: Wortspiel »nuit blanche«, »rouge vinass«.] Liebe Mutter, ich durchlebe wieder die herrliche Legende von Sarpedon und diese köstliche Blüte der griechischen Mythologie ist mir noch ein Trost. Lies diese Episode der Ilias in meiner schönen Übersetzung von Lecomte de l'Isle und Du wirst sehen, daß Zeus dem Schicksal gegenüber Worte ausspricht, in denen das Gefühl des Unendlichen und Göttlichen so herrlich erstrahlt wie in der christlichen Passion. Er leidet und sein väterliches Herz kämpft lange; dann ergibt er sich in den Tod seines Sohnes. Aber Hypnos und Thanatos werden ausgesandt, um den geliebten Leichnam zu empfangen.[*] Hypnos, der Schlaf. Daß es soweit mit mir gekommen ist, dem jede Stunde des Tages eine Lust war, den jeder Augenblick tätiger Arbeit von Stolz erbeben ließ. Ich überrasche mich selbst bei dem Wunsche, weit weg von den mich umgebenden Stürmen zu fliehen. Aber der schöne hellenische Optimismus erstrahlt immer noch auf den Schalen des Louvre. Die beiden Genien geben Sarpedon die Unsterblichkeit nach seinem körperlichen Tode und wahrlich, Schlaf und Tod steigern und erweitern unsere menschliche Beschränktheit ins Unendliche. Thanatos: ein Geheimnis, dessen Grauen wir dem Mißverständnis verdanken, welches der Genuß des Augenblickes uns im allgemeinen zu beseitigen verhindert. Aber lies die feierlichen, friedlichen und ewigen Sätze Maeterlincks in seinem Buche über den Tod und sieh, wie sie harmonisch zusammenklingen mit unserer seelischen Erregung über die fürchterliche Tragödie. [Fußnote *: Ilias XVI. Gesang. -- (D. Übers. )] Den 7. Februar. Teuerste vielgeliebte Mutter, Gestern Deinen herrlichen Brief vom 1. erhalten. Fürchte Dich nicht das zu schicken, was Du für Plaudereien halten könntest. Deine Liebe, die Gleichheit unserer Herzen zeigen sich deutlich in Deinen Briefen. Das ist das einzige, was für mich gilt. Übrigens bringen sie mir tausend andere Dinge von Bedeutung, Lebensfragen. Wir verleben Stunden erdrückender Arbeit, vor der mich meine Stellung einigermaßen sichert. Aber für die Mannschaften gibt es Reihen von fünf schlaflosen Nächten, von ähnlichen Reihen gefolgt. Den 9. Februar. Noch eine Oase, in der ich, dem Verschmachten nahe, wieder einmal den Augenblick der Tröstung erreiche. Der leichte erfrischende Windhauch weht noch einmal. Ich hatte das Glück, zum wachhabenden Gefreiten in einer reizenden Gegend ernannt zu werden, wo ich Höchstkommandierender bin. Entzückendes Frühlingswetter. Was soll ich Dir von dieser Landschaft erzählen, deren mächtigen Pulsschlag ich nie so deutlich empfunden? Die Stunden und Jahreszeiten folgen aufeinander mit einer solchen Sicherheit -- unabwendbar -- einer solchen erhabenen Ruhe des Ganzen, daß derjenige, der ihr Kommen erspäht, das Ungeheure der Urkraft ahnt. Oft schon hatte ich die Freude gekannt, den Frühling oder eine andere Jahreszeit zu schauen, nie war es mir aber vergönnt, jeden ihrer Augenblicke zu erleben. Wie erlangt man doch dadurch ohne Hilfe irgend einer Wissenschaft eine zwar unbestimmte, aber doch unleugbare Anschauung eines Unbedingten! Ein armer Mann, vielleicht ein genialer Gelehrter, erklärte, daß er unter seinem Seziermesser Gott nicht gefunden habe. Wie ist doch dieses Mißverständnis in einer so hochstehenden Seele verletzend! Was braucht man ein Seziermesser, wenn das Entzücken und der Schauer unserer Sinne genügen, um uns die ewige, alle Entwicklung bestimmende Ordnung begreifen zu lassen. Der Dichter sieht die Jahreszeiten wie große Schiffe kommen, deren Rückkehr er vorausberechnet. Mitunter verzögert sie der Sturm, bald aber kommen sie trotzdem an und bringen die Düfte unbekannter Länder mit. Eine wiederkehrende Jahreszeit scheint wonnige Gefühle mit sich zu führen, die sie auf langer Fahrt gesammelt hat. Ach, liebe Mutter, könnten wir doch noch einmal die Einsamkeit erleben! O Einsamkeit für die, die ihrer würdig sind! Wie wird sie mitunter entweiht! Den 11. Februar. . . . Vielleicht ist es die herrliche Bestimmung und das Vorrecht unserer Generation, Zeuge dieser entsetzlichen Ereignisse zu sein, aber um welchen fürchterlichen Preis müssen wir es erkaufen . . . Dennoch: ewiger Glaube, der alles beherrscht! Glaube an eine Entwickelung, eine unsere menschliche Geduld übersteigende Ordnung. Den 11. Februar, 2. Tag in der vordersten Stellung. In diesen Augenblicken muß man in einer außerhalb des Menschlichen liegenden Opferfreudigkeit seine Zuflucht suchen; denn es ist unmöglich, über den Punkt, den wir erreicht haben, hinauszugehen. Gebt alles menschliche Hoffen auf. Sucht etwas anderes, vielleicht habt Ihr es gefunden. Ich für mein Teil fühle mich nicht würdig, etwas anderes zu sein als eine Erinnerung. Ich habe versucht, im Schlamm einige Blumen zu pflücken. Behaltet sie zum Andenken an mich. 5 Uhr nachmittags. Trotz Allem Mut, Mut trotz Allem. Den 13. Februar, 4. Tag in der vordersten Stellung. Teuerste, nach der tränenreichen Empörung, die mich während dieser ganzen Zeit erschüttert hat, vermag ich wieder zu sagen: »Dein Wille geschehe.« Und in dem Maße und der Ausdehnung meiner Fähigkeiten möchte ich derjenige sein, der an der Möglichkeit seines Mitwirkens am Ausbau des Tempels nicht verzweifelt. Ich möchte der Arbeiter sein, der weiß, daß sein Gerüst ohne Hoffnung auf Rettung zusammenbrechen wird und der doch rastlos an dem Schmucke der Kathedrale weiter meißelt. An dem Schmuck. Denn niemals werde ich große Steinblöcke in die Höhe ziehen können. Es gibt übrigens Handlanger dafür. Ja, es gelingt mir noch, die innere Ruhe wiederzufinden. Jene gleichmäßige Ruhe, die ich erflehte, habe ich zwar nicht; aber manchmal erschaue ich den Schein jenes ruhigen Lichtes, in dem Alles, selbst unsere Liebe, in neuer Gestalt erscheint und verklärt. Ich bin am Fuß eines steilen Hügels, dessen Linien die Natur harmonisch gezeichnet hatte. Der Mensch hetzt den Menschen und bald werden sie auf einander stürzen. Unterdessen schwingt sich dort die Lerche auf. Während ich Dir schreibe, erfüllt mich allmählich eine seltsame heitere Ruhe, etwas außerordentlich Tröstendes, sei es menschliche Zuversicht, oder eine höhere Offenbarung. Um mich herum schläft man. Den 14. Februar, 5. Tag in der vordersten Stellung. Um mich herum regt sich alles, wir übrigens auch. Je mehr das Unabweisbare eine Form annimmt, lebt die Ruhe wieder in mir auf. Meine teure Landschaft wird durch die scheußlichen Vorbereitungen geschändet: die Stille wird durch die einleitende Beschießung zerrissen; dem Menschen gelingt es, für einen Augenblick jede Schönheit zu verhüllen. Ich glaube, daß sie doch eine Zufluchtsstätte finden wird. Seit vierundzwanzig Stunden fasse ich mich allmählich wieder. Teure Mutter, meine Sehnsucht nach meinem Elfenbeinturm ist strafbar; was man, nur zu oft, für einen Elfenbeinturm hält, ist ganz einfach der Käse der Ratte, die Einsiedler wurde.[*] Möchte doch eine bessere Einsicht mich dazu führen, daß ich die Wohltat der Erschütterung erkenne, die mich aus einer zu bequemen Freistätte herausgerissen hat, und danken wir dem Verhängnis, das während einiger seltenen aber unvergeßlichen Stunden aus mir einen Mann gemacht hat . . . Nein, ich führe keine Klage wegen dieser toten Jugend. Sie hat mich über verschiedene Abhänge zu den Höhen geführt, wo manchmal die Nebel der Erkenntnis zerreißen. [Fußnote *: Tour d'ivoire, von Sainte-Beuve auf A. de Vignys Weltflucht angewandter Ausdruck. -- Vergl. La Fontaine. Fables VII, 3. Le rat qui s'est retiré du monde. (Der Übers.)] Den 16. Februar. Ich habe soeben in den letzten Tagen Stunden erlebt, welche die großen, allgemeinen, jetzt sichtbarer gewordenen Fragen zu entscheidenden Schicksalsfragen für mich machten. Wir sind fünf Tage lang in der Feuerlinie gehalten worden und wurden in einen sehr harten, durch den fürchterlichen Schlamm noch erschwerten Dienst gezwungen. In dem Maße als der Aufenthalt dauerte und ich den Kampf gegen die schreckliche Traurigkeit meiner Seele fortsetzte, fühlten wir, wie die Lage sich verschärfte und die Vorbereitungen sich häuften. Endlich teilte man uns mit, daß der Augenblick gekommen, das heißt, daß der Befehl zum Angriff gegeben sei. Wir hatten nur noch einen oder zwei Tage vor uns. Da habe ich Dir zwei Briefe geschrieben, den 13. und 14. glaube ich, und wirklich, während ich schrieb, fühlte ich in mir ein solches Vollgefühl, eine solche Seligkeit, daß sich daraus nur die Tatsächlichkeit des Guten und des Schönen folgern ließ. Die Beschießung unserer Stellung war äußerst heftig, aber nichts, was vom Menschen kommt, kann so oder anders jenes ersticken, was die Natur zur Seele spricht. In der Nacht vom 14. zum 15. besetzten wir die Schützengräben, welche die Maschinengewehre bestrichen. Die Erschöpfung der Mannschaften war derart, daß der Angriff von einem andern Bataillon ausgeführt werden sollte. Wir warteten also im nächtlichen Wasser und in der Kälte, als plötzlich die Nachricht sich verbreitete, daß wir abgelöst würden. Aus welchem Grunde? Ein Geheimnis. Kurz, da sind wir wieder in dem Dorfe, wo die Mannschaften ihr armes Herz im Wein ertränken. Arm bin ich wieder in diesem Haufen . . . Liebe Mutter, wenn es etwas Unbedingtes in dem Gebiet des menschlichen Gefühls gibt, so ist es der Schmerz. Bis jetzt hatte ich nur in einer angenehmen Bedingtheit verschiedener Empfindungen gelebt, zwischen denen der Wert des Lebens, seine wesentliche Bedeutung verschwanden. Jetzt fühle ich, was das Leben ist. Es ist das Werkzeug, welches den Weg der Seele dem Unbedingten zu ausrodet. Aber ich habe weniger in dieser Zeit des Wartens gelitten als durch gewisse Berührungen. Den 16. Februar, 9 Uhr abends. Teuerste, geliebte Mutter, Ich war bei Tisch, als man uns mitteilte, daß wir um Mitternacht aufbrechen sollten. Ich war gewiß, daß es so kommen würde und die Gegenbefehle, die den Angriff verzögert haben, hatten die Folge, uns einen Tagesmarsch von vierzig Kilometern machen zu lassen, der zu den Anstrengungen der Feuerlinie hinzukam. Als wir unsern Abschnitt in der Kampflinie verließen, sah ich so viel Artillerie ankommen, daß ich wohl dachte, es gebe keine Ruhe mehr. Hier aber erlangt man die Ruhe der Seele wieder. Man friert unter einem sternenhellen Himmel. Den 19. Februar. Postkarte, mitten in der Schlacht geschrieben. Ein Wort nur. Wir sind in den Händen Gottes. Niemals, niemals haben wir mehr vertrauensvolle Weisheit gebraucht. Der Tod wütet, aber er beherrscht uns nicht. Das Leben bleibt schön. Tote oder verwundete Freunde gestern und vorgestern. Teuerste, die Post wird wahrscheinlich große Verspätung haben . . . Den 22. Februar. Wir sind im Quartier nach der großen Schlacht. Diesmal habe ich alles gesehen. Ich habe meine Pflicht erfüllt und die Teilnahme aller hat es mir bewiesen. Aber die Besten sind gefallen. Grausame Verluste. Heroisches Regiment. Ziel erreicht. Werde besser schreiben. Den 22. Februar, erster Tag im Quartier. Teure, vielgeliebte Mutter, ich will Dir die Güte Gottes und das Entsetzen auf Erden erzählen. Die Seelenlast, welche ich seit ein und ein halb Monaten mit mir schleppte, war der qualvolle Gedanke an das, was uns in diesen letzten zwanzig Tagen erwartete. Wir sind den 17. auf den Kampfplatz gekommen; die umgebende Landschaft hatte keinen Reiz mehr für mich; ich war ganz in der Erwartung des Ereignisses. Um drei Uhr wurde der Sturm entfesselt: Sprengen von sieben Minengängen unter den Schützengräben des Feindes; es war wie ein fernes Donnern. Dann machten die fünfhundert Geschütze einen Höllenlärm, während dessen wir losgestürmt sind . . . Die Nacht brach an, als wir uns in den eroberten Stellungen festsetzten. Die ganze Nacht war ich tätig, um für die Sicherheit unserer Truppen, die bis dahin wenig gelitten hatten, Vorkehrungen zu treffen. Ich mußte weite nächtliche Strecken zurücklegen, auf denen ich die Toten und Verwundeten beider Parteien antraf. Mein Herz neigte sich über alle, ich hatte aber nur Worte für ihren Jammer. Morgens wurden wir mit ernstlichen Verlusten bis zu unseren früheren Stellungen zurückgetrieben; aber am Abend haben wir wieder angefangen: wir haben von unseren eroberten Stellungen wieder Alles zurückgewonnen und auch hierbei habe ich meine Pflicht getan. Ich bin vorgedrungen und habe den Säbel eines Offiziers, der sich ergab, in Empfang genommen; dann habe ich die zu besetzenden Stellungen befestigt. Der Hauptmann hat mich bei sich behalten und ich habe ihm den Plan unserer Stellung entworfen. Er teilte mir mit, daß er entschlossen sei, mich im Armeebefehl nennen zu lassen,[*] als er vor meinen Augen fiel. Dann habe ich während der dreitägigen fürchterlichen Beschießung auch den Dienst der Versorgung mit Patronen eingerichtet und aufrechterhalten, wobei ich fünf Mann verloren habe. Unsere Verluste sind entsetzlich, die des Feindes noch schlimmer. Du kannst Dir nicht vorstellen, geliebte Mutter, was der Mensch dem Menschen anzutun vermag. Seit fünf Tagen sind meine Schuhe von Menschengehirn fettig, zertrete ich Leichen, stoße auf Eingeweide. Die Soldaten verzehren ihr kümmerliches Essen an Leichname angelehnt. Das Regiment hat sich heldenhaft benommen, wir haben keine Offiziere mehr. Alle sind als tapfere Soldaten gefallen. Zwei gute Freunde, von denen der eine für eines meiner letzten Porträts ein liebenswürdiges Modell war, sind tot. Das war eine meiner fürchterlichsten nächtlichen Begegnungen. Weißer, herrlicher Leichnam im Mondschein: ich habe in seiner Nähe ausgeruht. Schönheit der Natur, die wieder in mir erwachte . . . Endlich nach fünf Tagen des Entsetzens, die uns zwölfhundert Opfer gekostet haben, sind wir aus diesem Ort der Greuel zurückgezogen worden. [Fußnote *: »Citation à l'ordre de l'armée.«] Das Regiment ist im Armeebefehl genannt. Liebe Mutter, wer wird das Unerhörte der Dinge, die ich gesehen habe, erzählen, wer wird aber von den sicheren Wahrheiten reden, die ein solcher Sturm entdecken läßt? Pflichterfüllung, Selbstüberwindung. Den 23. Februar. Teuerste, geliebte Mutter, Zweiter Tag im Quartier, dann gehen wir wieder morgen an die Front. Teuerste, ich kann Dir jetzt nicht schreiben. Nähern wir uns dem, was unsterblich ist und halten wir uns Beide an das, was Pflicht ist. Ich weiß, daß Euer Gedanke stets dem meinigen zueilt, und ich richte mein Auge nach dem, was in Weisheit unser Glück ist. Seien wir mutig, ich unter allen diesen jugendlichen Toten, Du in der Erwartung. Aber Gott ist über uns. Den 26. Februar, während eines herrlichen Nachmittags. Liebe Mutter, jetzt sind wir wieder auf dem Schlachtfeld. Wir haben die Höhen bestiegen, auf denen es sich eher geziemen würde die Herrlichkeit Gottes zu betrachten, als die Greuel der Menschen zu verdammen. Die Leichen, die anfangs zahllos waren, verschwinden allmählich und seltene, erdfarbene Unglückliche erregen von Zeit zu Zeit eine peinliche Begegnung. Die Verluste sind das, was man in den Tagesberichten »ernste« nennt. Ich kann Dir wenigstens sagen, daß unsere Soldaten durch ihre heldenhafte Ergebung Bewunderung erregen. Alle beklagen diesen schändlichen Krieg, aber die meisten haben die Empfindung, daß die Annahme einer schrecklichen Pflicht das Einzige ist, was in diesem Augenblick die fürchterliche Notwendigkeit Mensch zu sein rechtfertigen kann. Liebe Mutter, ich kann nicht zu Ende schreiben. Jetzt schläft die Ebene in Malven- und Rosatönen ein. Wie ist es möglich, daß es Greuel gibt in dem Maße! Den 28. Februar, im Quartier. Teure geliebte Mutter und geliebte teure Großmutter, ich schreibe Euch, indem ich kaum aus den furchtbaren Bildern des Schreckens heraustrete und soeben dantische Stunden erlebt habe. Was Gustave Doré die Kühnheit hatte durch den Text der göttlichen Komödie hindurch zu erschauen, ist in Erfüllung gegangen in den mannigfaltigsten Formen, welche die Wirklichkeit aufhäufen kann. Mitten unter den Anstrengungen, deren Wohltat es ist, uns unempfindsam zu machen, habe ich genießen können, was unsere Qualen Nutzbringendes hatten. Den 24. abends, kehrten wir zu unseren Stellungen zurück, aus denen man die ekelhaftesten Spuren zu entfernen bereits angefangen hatte, hie und da blieben nur noch menschliche Körperteile zurück, welche sich bereits der Farbe der Erde anglichen, zu der sie zurückkehrten. Das Wetter war schön und frisch, und die Höhe, die wir erobert hatten, versetzte uns mitten in den Himmel hinein: die endlosen Flächen waren ein einziges Leuchten. Oben erstrahlten die Sterne, unten die Röte der Feuersbrünste; die schreckliche Beschießung, mit der die Deutschen uns überschütten, verschwendete dieses Feuerwerk. Ich lag in einer Erdhöhle, von der aus ich dem Monde folgte, und erspähte den Morgen. Mitunter ließ eine Granate Erde auf mich rollen und betäubte mich, dann sank die Stille wieder auf die gefrorene Erde nieder. Ich habe sie teuer erkauft, ich hatte aber Augenblicke einer Einsamkeit, die von Gott erfüllt war. Ich glaube versucht zu haben, mich vollkommen den militärischen Forderungen anzupassen; denn, wie ich es Dir geschrieben habe, bin ich zum Sergeanten und für die Nennung im Armeebefehl vorgeschlagen worden. Aber, meine teuerste Mutter, wie lang, wahrhaftig zu lang ist dieser Krieg für Leute, die zweifellos eine Aufgabe zu erfüllen hatten! Was Du mir von den Sympathien sagst, die ich in Paris zurücklasse, freut mich; doch wird man mich nicht von hier zurücknehmen für eine bessere Verwendung? Warum bin ich so aufgeopfert, während soviele, die mir nicht gleichkommen, geschont werden? Und doch hatte ich etwas Gutes auf Erden zu tun . . . Nun, da Gott diesen Kelch nicht von mir abwenden will, so geschehe sein Wille! Den 3. März, im Quartier. Heute vierter Ruhetag, für mich fast Ferien. Etwas trübe Ferien, die an gewisse Aufenthalte in Marlotte erinnern. Tage, die in den Versuchen vergehen, der körperlichen und seelischen Ermüdung abzuhelfen und gewisse allzu leere Zeiträume auszufüllen. Aber schließlich doch Ferien, eine Rast vielmehr, die mir erlaubt die Eindrücke, deren Gewalt mein Inneres in Verwirrung bringt, einigermaßen zu ordnen. Ich bin vor Allem durch den Lärm der Granaten betäubt. Bedenke, daß allein von französischer Seite vierzigtausend uns über die Köpfe flogen, und von deutscher Seite ungefähr ebensoviele, mit dem Unterschiede, daß die deutschen mitten unter uns platzten. Ich für meinen Teil wurde auf einmal von drei 305 mm Granaten begraben, ganz abgesehen von zahllosen Schrappnells, die in der nächsten Nähe platzten. Du kannst Dir denken, daß dadurch meine Denkkraft stark erschüttert ist. Endlich lese ich wieder. Ich habe soeben in einer Zeitschrift eine Besprechung von drei neuen Romanen gelesen und das hat zum großen Teil die Sorgen der Feuerlinie in mir gemildert. Ich habe einen entzückenden Brief von André erhalten, der mein Nachbar sein muß. Er denkt wie ich über unsere schreckliche Kriegsliteratur . . . . . . Was sich in mir am frischesten entfaltet erhalten hat, ist vielleicht die musikalische Improvisation. So hörte ich während dieser ganzen Nacht die schönsten Symphonien mit vollständiger Orchesterbegleitung, und wisse, daß diese Musik ihr Bestes der großen deutschen Musik verdankte. . . . Nach einem solchen Sturm kann ich mich nur dem angenehmen Gefühl hingeben eben noch am Leben zu sein in der flüchtigen Märzsonne . . . Den 5. März, 6. Tag im Quartier. Ich hätte in mir die außerordentliche Feinfühligkeit aus der Zeit vor diesen Prüfungen wiederfinden mögen, um Dir die Farben und Erscheinungen des Dramas zu schildern, das wir eben durchlebt haben. Augenblicklich bin ich noch in einem an sich ziemlich wohligen Zustand der Erstarrung, der aber das Bild der Dinge in mir und meine Ausblicke in die Zukunft einigermaßen verdunkelt. Ich kann mich nur bemühen, mich an die Erkenntnis des Ewigen und Dauernden zu halten und vielleicht wird mir das gelingen. Und doch enthielten gewisse Ansichten von verwüsteten Feldern eine so schöne, so edle, so abschließende Lehre, daß ich mit Dir die herrlichen, in diesen vergangenen Tagen offenbarten Wahrheiten fühlen möchte. Wie friedlich ist der Tod in der Erde, und wie herrlich vollzieht sich die Rückkehr in den mütterlichen Schoß, wenn man damit die menschliche Kleinlichkeit der Totenfeiern vergleicht! Gestern noch konnte ich glauben, daß diese armen verlassenen Toten ein Unrecht erleiden; nachdem ich aber in V. . . . dem Begräbnis eines Offiziers beigewohnt habe, finde ich, daß die Natur viel mehr Mitleid zeigt als die Menschen . . . Ja wahrhaftig, der Tod des Soldaten ist den natürlichen Dingen nahe. Er ist aufrichtig schauerlich und will nicht über die allgemeine Gewalttätigkeit hinwegtäuschen. Ich bin mehrmals an Toten vorbeigegangen, deren allmähliches Verscharren ich beobachten konnte, und dieses neue Leben war tröstlicher als der kalte und starre Anblick der städtischen Gräber. Wir haben von unserem Aufenthalte im Freien, eine Frische der Auffassung, eine Großzügigkeit in den Bewegungen und Gedanken gewonnen, die den Überlebenden die Städte gräßlich und unnatürlich werden erscheinen lassen. Liebe Mutter, ich schreibe Dir ungeschickt Dinge, die ich prachtvoll empfunden hatte . . . Laß uns in den Frieden des Frühlings und in die Pracht des gegenwärtigen Augenblicks flüchten. Den 7. März, 10 1/2 Uhr. Teure vielgeliebte Mutter, Ich schmücke die Untätigkeit dieses Vormittags aus. Ich genieße die klaren Gewässer der Maas, welche die Anmut der Täler und Gärten beleben. Die Spiele des Wassers auf dem Untergrunde von Pflanzen und Steinen bieten meiner Müdigkeit ein beruhigendes Schauspiel und erzählen das friedliche Dasein dieses ansehnlichen von den Hauts de Meuse beschützten Fleckens. Die Kirche ist vollgestopft von Soldaten, die wie ich selbst die unerschütterliche Anschauung eines Ideals haben, aber eine äußerliche und weniger unmittelbare Offenbarung desselben verlangen . . . Ich begebe mich für etwa vierzehn Tage in Kost in jenes Haus, in dem vor bald zwei Monaten unsere ausgelassene Bande ihre Sitzungen hielt. Heute sah ich diese braven Leute weinen, als sie von den Toten und Verwundeten hörten. Ich habe vor dem Abmarsch Deinen Schlafsack erhalten, der vortrefflich ist. Ich bin sehr durch rheumatische Schmerzen geplagt, die mir seit zwei Monaten manche Nacht im Quartier verderben. Liebe teure Mutter, Ruhe im Kasernenlärm, der jetzt unser Leben sein wird. Da es hier nur Unteroffiziere gibt, sind wir Alle zu Dienstarbeiten verpflichtet und ich werde wieder die Bekanntschaft des Besens und der Lasten machen, übrigens hat man uns das vorhergesagt: wir sollen harte Arbeit mit unsern Händen verrichten, damit wir andern befehlen können. Den 7. März, zweiter Brief. Mildes Wetter nach dem Regen. Glockengeläute in den Abend hinein; die fließenden Gewässer singen unter den Brücken und die Bäume schlafen ein. Den 11. März. Teure geliebte Mutter, Ich habe Dir nichts von meinem mit körperlicher Arbeit ausgefüllten Leben zu erzählen. Kaum wird von Zeit zu Zeit ein Bild in mir wach, ersteht eine Erinnerung. Ich bleibe regungslos und zerschlagen. Ich habe eben einen schönen Aufsatz von Renan über den Ursprung der Bibel gelesen. Ich fand ihn in einer Revue des deux Mondes vom März 1886. Wenn ich etwas davon behalten kann, so wird es mir helfen einige Ordnung in meine recht zusammenhanglosen Kenntnisse über diese Fragen zu bringen. Ich bin etwa, wie wenn ich mich von einem Nervenfieber erholte. Was mir Freude macht, sind die Gewässer. Die fließenden und stehenden Gewässer der Maas. Die Quellen spielen über den Gräsern und Steinen. Die Teiche ruhen unter den großen Bäumen aus. Wasserfälle und Bäche. Auf den steilabfallenden Abhängen nimmt der Schnee einen träumerischen Glanz an. Ich lebe in allen diesen Bildern, ohne ihnen eine bestimmte Form zu geben. Ich schäme mich etwas, so stumpfsinnig zu sein, glaube aber, daß es Allen so ergehen wird, jedesmal, wenn man sich von der Hölle der Feuerlinie entfernt. Ich esse und schlafe, wenn mein gräßlicher Hexenschuß es mir erlauben will. Verzeih mir, wenn ich so tief unter mir selber stehe. Ich bin wie meines innern Haltes beraubt. Nun meinetwegen . . . 5 Uhr Nachmittags. Ich komme ziemlich müde von der Übung zurück, die herrliche Luft der Maas erhält mich aber immer gesund. Liebe Mutter, ich möchte wieder mit aller Kraft dem Schönen und Edlen zustreben. Ich möchte immer in mir die Begeisterung verspüren, die mich den Schätzen des Lebens zutriebe. Doch augenblicklich ist mein Denken schwer wie Blei . . . Den 14. März, morgens, im sonntäglichen Frieden. Teure geliebte Mutter, endlich erreichen mich Deine lieben erfrischenden Briefe, nach Tagen der Entbehrung, wodurch ich notwendigerweise den tatsächlich großen Genuß erkauft habe, hier ausruhen zu dürfen. Der hübsche Flecken erwacht in den Nebeln der Maas; der Bach eilt über die abgewaschenen Steine dahin. Alles hat die feine maßvolle zierliche Art, die das Merkmal der Gegend ist . . . . . . Ich lese etwas, bin aber durch die körperliche Anstrengung, zu der man uns anhält, derart ermüdet, daß ich fast sofort einschlafe. Man läßt uns eine Unzahl Schützengräben herstellen. Liebe Mutter, um auf die außerordentlichen Ereignisse der letzten Februartage zurückzukommen, so muß ich Dir wiederholen, daß ich daran wie an ein wissenschaftliches Experiment zurückdenke. Ich hatte meine Vorstellung von der Gewalt in eine theoretische Formel gebracht und hatte ihre Aufgabe in der Welt erraten. Es war mir aber vergönnt gewesen, ihre praktische Wirkung nur in unendlich abgeschwächten Fällen zu beobachten. Diesmal nahm die Offenbarung der Gewalt einen Umfang an, vor dem meine Aufnahmefähigkeit in vollem Maße sich betätigen mußte . . . Nun, es war interessant, und ich muß Dir gestehen, daß ich in diesem Augenblick niemals von einer kalt und objektiv beobachtenden Haltung abließ. Was ich persönliches bewahrt hatte, war eine gewisse Empfänglichkeit des Auges, die mich befähigte, gewisse Bilder in mich aufzunehmen, deren ergreifende Wirkung sich unmittelbar in ebenso »künstlerischer Weise« zusammenfügte, wie jede andere menschliche Zusammenstellung. Aber im allgemeinen habe ich in diesen Augenblicken, nie die Absicht aufgegeben zu sehen, »wie es gemacht ist«. Ich bin sehr froh festzustellen, daß die Mordlust keine Macht über mich gewonnen hat. Und ich wünsche, daß es auch so bleiben möge. Leider hat diese Berührung mit der deutschen Rasse für immer meiner guten Meinung von ihr geschadet. Allerdings kann ich es nicht über mich bringen, in mir eine gewisse Rührung und ein menschliches Empfinden zu unterdrücken, die unangebracht sind, wenn sie, wie bei diesem Anlaß, mich zum Opfer eines arglistigen Feindes machen, aber ich gelange dazu zu dulden, was ich früher als die Schande und Verneinung des Lebens betrachtet hätte. Ich habe den Franzosen im Kampfe gesehen. In der Schlacht ist er fürchterlich, und nachher großherzig; daß ist ein Ausspruch, ein gar vollklingender Gemeinplatz, auf dem unsere größten Schriftsteller, wie das bescheidenste unserer Schulkinder herumgetreten sind; weiland mein dekadenter Intellektualismus findet keinen besseren Ausdruck beim Anblick, welchen die französische Seele gewährt. Den 14. März 1915. An Madame de L. . ., Meine Mutter hat mir die Prüfung erzählt, die Sie soeben wieder betroffen hat; wahrlich, das Leben lastet schwer auf gewissen Seelen. Ich kenne Ihre Stärke und weiß, daß Sie nur zu sehr an den Schmerz gewöhnt sind; wie sehr aber hätte ich gewünscht, daß dieser Ihnen erspart sein möge! Meine Mutter sagte mir, daß man ohne Nachrichten von dem Obersten B . . . sei, und sie war unruhig . . . Wir haben eine einzige Besorgnis, den Schmerz unserer Angehörigen. In dem Anblick des Soldaten, der fällt, ist eine große, ewige Lehre enthalten, die uns panzert und wir möchten sehen, daß auch die, die uns teuer sind, aus ihr Nutzen ziehen. Seien Sie versichert, daß das Beispiel des Obersten herrliche Früchte tragen wird. Ich kenne aus eigener Erfahrung den Heroismus, der den Soldaten verklärt, dessen Führer gefallen ist. Für mich waren diese Tage reich an tragischen Ereignissen. Ich habe gewaltsame Stunden erlebt, während welcher ich mich bemüht habe, meine Pflicht zu tun. Ich habe alle meine Vorgesetzten fallen sehen, die Reihen in meinem Regimente wurden gelichtet. Für den, der in dem Feuerschlunde ist, gibt es kein menschliches Hoffen mehr. Ich gebe mich Gott hin und bitte ihn nur, mich in einem Seelen- und Herzenszustand zu erhalten, der mir erlaubt in seiner Schöpfung Alles zu genießen, was der Mensch nicht zu verunstalten und zu verdunkeln vermochte. Alles andere ist außer Verhältnis zu den Ereignissen. Den 15. März (Karte). Teure geliebte Mutter, ich denke Du weißt jetzt, welche Gnade mir zu Teil wurde, als ich zu meinem Zuge mich begab. Was mir auch Gott in Zukunft vorbehalten mag, diese Rast hat mir erlaubt, mich wieder zu fassen, mich selbst wiederzufinden und mich auf die Annahme von Allem vorzubereiten. Ich sende Dir meine Liebe und den Ausdruck unserer innigen Vereinigung dem Geschick gegenüber. Den 17. März. Lieblicher Morgen. Weiße Sonne, die sich in Nebel hüllt, Bäume in scharfem Umriß auf den Höhen, die weite Ausdehnung im Licht. Bevorzugte Tage. Neulich, da ich eine alte Nummer der Revue des deux Mondes von 1880 las, trat ich in einen schönen Aufsatz ein wie in einen lichten Palast mit prächtigen Gewölben, reich geschmückten Wänden. Er handelte von Ägypten und war George Perrot gezeichnet. Gestern verließ mein Bataillon in Eile sein Quartier. Ich muß zu meiner Ausbildung als Sergeant zurückbleiben. Wie bin ich für diese übrigens beschwerliche Wartezeit dankbar, die mich das wiederfinden läßt, woran ich am meisten halte, einen hellen Geist und ein für die Natur offenes Herz. Ich vergaß Dir zu erzählen, daß ich damals während des Sturmes am Abend die Kraniche zurückkommen sah. Eine kurze Ruhepause erlaubte mir ihren Schrei zu hören. Wie lange ist es schon her, daß ich sie fortziehen sah! Ich erinnere mich ihres Wegfluges am Beginn des Winters und dann wurde es noch trostloser. Diesmal waren sie für mich wie die Taube der Arche, nicht als ob ich mir die noch bleibende Gefahr verhehlte; aber diese Boten der Luft brachten mir die sichtbarere Zuversicht in die Ruhe des Weltalls, gegenüber unserer eigenen Aufregung. Gestern waren es die Wildgänse, die ihren Flug gegen Norden nahmen. Sie bildeten am Himmel verschiedene Flugstellungen, und zeichneten regelmäßig Figuren; sie verschwanden am Horizont wie ein flatterndes Band. Ich weiß das Urteil von Herrn C. außerordentlich zu würdigen. Ich hatte von jeher schriftstellerische Neigungen, schon als Kind, und bedaure, daß die abgebrochene Bildung, die ich mir selbst gegeben habe, soviele Lücken aufweist; aber durch alle Wechselfälle hindurch bewahre ich die Fähigkeit rechts und links die gefallenen Ähren zu lesen. Da ich nichts von der Zukunft vorweggenießen möchte, rede ich natürlich nicht von dem Wunsche Herrn E. in besseren Zeiten vorgestellt zu werden, das gehört nicht in unser Fach, augenblicklich. Ich habe Frau L. . . geschrieben. Das ist für sie der letzte Schlag. Gewissen Lebensschicksalen ist es beschieden, die Medaille zu sein, in die alle Zeichen des Schmerzes sich einprägen. Das Unglück hat sie derart bearbeitet, daß sie nichts mehr haben, worauf eine Freude sich einzeichnen könnte. Ich denke mir aber, daß eine so ausschließliche Einstellung eines Lebens auf den Schmerz einen geheimnisvollen Ausgleich findet im Gefühl, daß man alles Unglück ausgeschöpft habe. Es heißt viel, wenn man die Grenze des menschlichen Elends bezeichnet. Solche Schicksale erscheinen wie Schildwachen, welche die Andern gegen die Schläge eines feindlichen Geschicks beschützen . . . Jeden Tag sehe ich ein neues Kreuz in dem kleinen Soldatenkirchhof. Und über Allem der siegreiche Frühling . . . Den 20. März. Unsere Ferien gehen ruhig ihrem Ende zu, während unweit Lärm und Blutvergießen herrschen. Ich glaube das Regiment hat sich wieder gut gehalten. Den 20. März. Teure geliebte Mutter, Nach soviel Gnadenbeweisen sollte ich mehr Vertrauen zeigen und will mich bemühen, mich Gott hinzugeben, aber die Zeiten sind hart. Ich erfahre unter vielen andern, den Tod eines Freundes mit dem ich im Quartier ein Bett teilte. Er war vor kurzem zum Unterleutnant ernannt worden. Liebe Mutter, Liebe. Das ist das einzige menschliche Gefühl, das man noch bewahren darf. Den 21. März. Liebe Großmutter, da die Zeiten der Prüfungen nahen, will ich Dir all meine Liebe senden, mehr kann ich nicht tun. Die Lage erfordert wahrscheinlich Opfer, vor denen wir nicht mehr an das denken dürfen, was uns festhielt. Laßt uns darum beten, daß der feste Glaube an das Schöne und Gute mitten unter den Schmerzen uns nicht verlasse. Den 21. März, Sonntag, bei der schönsten Sonne. Teure geliebte Mutter, Ich glaube, es ist die Rede davon, uns noch einen Tag zu behalten, so daß wir erst Dienstag abmarschieren würden. Ich weiß nicht, wo ich mein Bataillon wiederfinden werde und in welchem Zustande, denn der Kampf scheint außerordentlich hart zu sein und zieht sich hin. Die Nachrichten sind sehr widerspruchsvoll, was die Gewinne betrifft. Was die Zahl der Opfer betrifft, stimmen alle darin überein, daß sie sehr bedeutend ist. Wir hören sehr starken Kanonendonner und das schöne Wetter wird wohl die Kriegsleitung auf beiden Seiten dazu bewegen, die Entscheidung zu beschleunigen. Ich hätte Dir gern manches erzählt von der schönen Landschaft, die mich mit ihrer Herrlichkeit umgibt, aber wahrhaftig, meine Gedanken sind dort, wo die Sonne die Menschen nicht zu ihrer Anbetung vereinigt, sondern nur den Haß beleuchtet, wo die Nacht nur Angst und Verrat mit sich bringt. Neulich in der herrlichen Ausdehnung dieser Landschaft, die sich dem Frühling darbot, dachte ich an die Freude, die ich empfand, ein Mensch zu sein. Und nun ein Mensch sein . . . Unser benachbartes Regiment, das von R. L. . ., ist mit Kompagnien, die nur vierzig Mann zählten, zurückgekommen. Ich wage nicht mehr von Hoffnung zu sprechen . . . was man als Gnade erflehen kann, ist, Alles Schöne, was der Augenblick bieten kann, ausschöpfen zu dürfen. Das ist eine neue Art »sich auszuleben«, an die die Literatur bis jetzt nicht gedacht hatte. Liebe Großmutter, wie hat mich Deine zärtliche Liebe in diesen Prüfungen gestärkt! Den 22. März. Glühende Sonne, vor der man sich staunend sagt, daß man im Krieg steht. Der Frühling ist sieghaft eingezogen. Er hat die Menschen mitten im Hasse, mitten in der schmachvollen Beleidigung der Schöpfung überrascht. Glücklicherweise verschweigen die Tagesberichte, das was vergänglich ist. Da ich mich jetzt für einundzwanzig volle Tage weit hinter der Front befinde, habe ich Mühe mich wieder an das grauenhafte Bild dort zu gewöhnen. Aber ich weiß, liebe Mutter, daß mein Leben und Deines nur ein Ziel hatten und daß wir, selbst in der letzten Zeit, uns bemüht haben uns demselben zu nähern. So wird unser Leben vielleicht nicht zwecklos gewesen sein. Das ist heute der einzige Trost für eine ehrgeizige Seele, daß sie vorausahnt, in welcher Richtung ihr Wirken einen Wiederhall finden wird. Ich glaube, daß, wenn es mir vergönnt gewesen wäre, länger zu leben, ich nie mein Streben unterbrochen hätte. Da ich aber keine andere Gewißheit habe als die der gegenwärtigen Stunde, habe ich versucht, das Beste meines Selbst darauf zu verwenden. Den 25. März. Teure geliebte Mutter, Jetzt führe ich wieder mein Höhlendasein. Ich habe den Platz wiedergefunden, den ich im vergangenen Monat verlassen hatte. Während meiner Abwesenheit ist nichts geschehen: ein furchtbarer Angriff ist unsererseits unternommen worden, hat aber zu keiner Entscheidung geführt. Man hatte Regimenter angreifen lassen, die weder unsern Schneid noch unsere schöne Haltung unter dem Feuer haben. Sie konnten sich nur zusammenhauen lassen und uns die abscheulichste Beschießung zuziehen, die man sich vorstellen kann. Wie es scheint war der frühere Kampf nichts im Vergleich zu diesem. Meine Kompagnie hatte schwere Verluste infolge von Lufttorpedos. Es sind Geschosse von einem Meter Höhe und 27 Zentimeter Umfang, die eine äußerst steile Flugbahn zurücklegen und senkrecht einfallen, was ihnen ermöglicht, in die engsten Höhlungen hineinzuplatzen. Deswegen leben wir mehrere Meter unter der Erde. Mildes Wetter. Wir gehen Nachts aus, um die Dienstarbeiten zu verrichten. Teure, ich hätte Dir gerne einen Haufen Dinge erzählt, die manche glückliche Stunden betreffen; aber ich habe es Dir schon geschrieben, manche davon darf man durch Worte nicht wachrufen. Die plumpe menschliche Freude würde sie erschrecken und ihnen feindlich sein. Sie würden noch rascher verschwinden. -- Ich nehme meinen Brief nach einem Schläfchen wieder auf. Wir schlafen so viel wir können in unsern Erdhöhlen. Ich hatte einen Haufen Gedanken gehabt, welche die Müdigkeit mir nicht erlaubt auszudrücken; ich erinnere mich aber, daß ich Beethoven wachrief. Ich habe gerade sein Alter, als er vom Schmerz betroffen wurde, und ich dachte an das herrliche Vorbild solcher Seelenstärke, die trotz aller Hindernisse sich betätigt. Das Hemmnis mußte ihm ebenso endgültig erscheinen als uns heute das unsrige. Aber er war Sieger. Für mich war Beethoven die herrlichste menschliche Offenbarung der schöpferischen Kraft. Ich schreibe schlecht, denn ich schlafe noch . . . Wie war mir alles erleichtert und durch Freundlichkeit gemildert während des Rückmarsches! Ich verließ unser Schloß allein und, als ich vor einer Artillerie-Batterie vorbeikam, wurde ich von Seiten der Unteroffiziere in der brüderlichsten Weise gastfreundlich aufgenommen, übrigens liebt die Artillerie die Xer, die sie beschützen und überhaupt flößen wir ein lebhaftes Mitleid den Leuten ein, die nicht einmal dem Regen ausgesetzt sind. Ich breche kurz ab und liebe Dich wegen Deines Mutes, der mich aufrecht hält. Was auch geschehen mag, ich habe die innere Freude wiedergefunden. Schon die Nacht der Ankunft war ja so schön! Den 26. März. Teure geliebte Mutter, Nichts neues auf unserer Anhöhe, die man weiter in Verteidigungszustand setzt. Eine interessante Arbeit, die freilich Schwierigkeiten bietet. Das schöne Wetter erleichtert unsere Arbeit. Von Zeit zu Zeit trifft die Hacke einen armen Toten, den der Krieg bis in die Erde hinein quält. Den 28. März, auf den Höhen: graues Wetter an einem durch die gestrige Beschießung gestörten Sonntag. Nun sind wir wieder mitten im Kriege. Ein fürchterlicher Angriff unsererseits hat soeben das Gemetzel der vergangenen Woche erneuert. Meine Kompagnie, die bei dem früheren Ansturm niedergemäht worden war, ist freilich diesmal verschont geblieben und wir mußten nur einen Abschnitt der Verteidigungslinie besetzen. Wir bekamen also nur die Spritzer des Kampfes ab. Ich wohnte an einem schönen Frühlingssamstag dem fernen Schauspiel der Schlacht bei und sah das kriechende Tier, dem ein Bataillon gleicht, vorrücken und im Rauch der Granaten sich winden. Es sind Jäger zu Fuß, die trotz der Maschinengewehre und der französischen und deutschen Beschießung angreifen. Diese Tapferen haben Allem zum Trotz ihre Aufgabe erfüllt und so die Niederlage der vergangenen Woche wieder ausgeglichen, wo unser Angriff erfolglos war. Seit einem Monate ist es mir vergönnt, die Steindrucke Raffets[*] zu erleben, mit dem Unterschiede, daß man zur Zeit Raffets ungestrafter in denselben Entfernungen Augenzeuge sein konnte, weil die Gewehre weniger weit schossen. Aber es gab wirklich schöne Dinge zu sehen, wie zum Beispiel diese endlose Ebene, auf die die Felshöhen herabschauen, die wir besetzt halten. Sie erstrahlen von den hunderttausend Feuern der Granaten. Und davor kletterten die Jäger immer weiter . . . Sonntag, den 28. März (2. Brief). Liebe Mutter, Strahlendes Wetter, das sich im Laufe des Vormittags aufgeheitert hat. Ich habe unsern Sektor ziemlich weit durchwandert; augenblicklich nimmt die Beschießung wieder an Stärke zu. Trotzdem wende ich meine Seele der Hoffnung zu. Für alle Fälle, flehe ich um Weisheit für Dich und für mich. [Fußnote *: Raffet, der durch seine Steindrucke aus dem Soldatenleben, besonders der napoleonischen Zeit, bekannte Zeichner (1804-1860). (Der Übersetzer.)] Teure, mitunter fühle ich wie leicht es mir wäre, mich wiederum den Beschäftigungen zuzuwenden, die den Reiz und den Sinn meines Lebens ausmachten. Mitunter fühle ich mich plötzlich in diesem schönen Frühling, derart zur Malerei hingezogen, daß es mir sehr leid tun würde, wenn ich nicht mehr malen dürfte. Aber ich bemühe mich doch, meine Seelenkräfte und meinen Willen auf dem schmalen und schwierigen Damm dieses Lebens zu erhalten. Den 1. April. Eine Sonne, die die Jugend des Frühlings enthüllt. Die Maas, ein eiliger Bach im Schmuck eines wohlhabenden Dorfes, wohin der Wiederhall des Kanonendonners nur noch wie ein dumpfer Stoß gelangt und seine Bedeutung verliert. Wir haben unser Quartier gewechselt, denn die Verstärkungen gelangen in solcher Menge nach dieser Gegend, daß wir Andern Platz machen müssen, und immer wird gerade unser Regiment ausquartiert. Aber Alles ist heute Licht und Frische. Die weite fette Ebene, welche die Hauts de Meuse begrenzen, hüllt ihre Fernen in zartes Silbergrau. Ich freue mich über den Brief von Gabrielle, der mir zeigt, was die französische Seele von diesen Ereignissen zurückbehalten wird. Rührender Brief von Pierre, der endlich nach seiner schweren Verwundung als dienstuntauglich entlassen ist. Herrlicher Brief von Großmutter. Wie sie sich nach dem Wiedersehen sehnt! -- Reden wir nicht davon . . . -- --- -- Ich schließe meinen Brief auf dem Ufer des Wassers, indem ich mit Wollust die Freuden, die ich beim Malen empfand, wieder wachrufe. Ich habe vor mir die lieblichsten Funken des Frühlings. Den 3. April (Karte). Nur ein Wort in zweiter Linie. Aufenthalt in den Frühlingswäldern. Sonne und Regen, die am Himmel spielen. Mut trotz Allem. Den 3. April, 2. Brief. Ich möchte, ich hätte Dir in den letzten Tagen besser geschrieben, damals als jede Minute eine Wonne für mich war, selbst in der Feuerlinie. Ich gestehe, daß ich mich damit begnügte, mich in der Schönheit der heitern Tage dahin leben zu lassen trotz des Krieggeheuls. Wir wissen nicht was geschehen wird. Die Bewegungen hin und her mehren sich. Werden wir wieder den Ansturm zu tragen haben? Stelle Dir vor, daß wir während unseres letzten Aufenthaltes in der Feuerlinie die Tage in den Unterständen verbringen mußten, die wir, gezwungen durch die grauenhafte Beschießung bis zu einer Tiefe von ungefähr zehn Metern in die Hügelabhänge graben. Dort erwartet man in völliger Dunkelheit die Nacht zum Aufbruch. Plötzlich haben wir meine Kameraden, die Unteroffiziere und ich den Schauer der neun Symphonien von Beethoven in uns erweckt. Eine unaussprechliche Begeisterung beseelte uns. Die Musik wirkte wie ein Feuerwerk in diesem Keller. Unsere chinesische Folter, weder sitzen noch stehen noch liegen zu können, war vergessen. Das Leben eines Sergeanten im Quartier ist recht angenehm; und doch maße ich mir nichts an. Was die Feuerlinie betrifft, so hoffe ich, daß die Vorsehung mir die Seelenkraft geben wird, bis zuletzt meine Pflicht zu erfüllen. Ein guter Freund, der Führer meines Halbzuges war, ist zum Kompagniefeldwebel ernannt worden. Alles das sind Kleinigkeiten, aber Teuerste, ich fühle mich in diesen Tagen etwas schwach, da ich nach den Ereignissen des vergangenen Monates arg leidend war. So lasse ich mich denn auf den sanften Abhängen des Lebens dahingleiten. Was tuts, wenn man dabei den Abgrund streift. Möge die Vorsehung uns davon fernhalten! Den 4. April. Teure geliebte Mutter, Zeit der angstvollen und von nahen Drohungen schwangeren Erwartung. Bis dahin, Ruhe und Müßiggang. Ich kann nicht denken und gebe mich dem Schicksal hin. Teure, verzeih mir, wenn ich seit einem Monat sehr minderwertig bin. Liebe mich und sage unsern Freunden, daß sie mich lieben sollen. Hast Du meine Photographie erhalten? . . . Es war in der glücklichen Zeit des Stellungskrieges, da wir friedliche Tage verlebten und unser einziger Feind die Strenge der Witterung war. Bald darauf wurde ich Gefreiter und ein hartes, an unerfreulichen Arbeiten schweres Leben begann für mich. Dann das Gewitter, dessen Wiederschein wenigstens noch mein Leben beleuchtet. Den 4. April, abends, Ostersonntag. Liebe Mutter, jetzt stehen wir wieder unter dem Schutze Gottes. Um 2 Uhr gehen wir in den Sturm hinein. Teure, ich denke an Dich, ich denke an Euch. Ich liebe Euch und vertraue uns Alle drei der Vorsehung an. Möge Alles was kommt uns bereit finden! In voller Seelenstärke, das ist mein Gebet für Euch und für mich. Hoffnung trotzdem, aber vor Allem Weisheit und Liebe. Ich umarme Euch ohne weitere Worte. Ich raffe mein ganzes Denken zusammen, einer schweren Aufgabe zu. Den 5. April, ein Uhr. Liebe Mutter und liebe Großmutter, Wir brechen auf. Mut. Liebe und Weisheit. Vielleicht ist dies Alles zum Besten Aller geschrieben. Ich kann Euch nur mein ganzes Herz zuwenden, mein Leben besteht nur noch in Euch. Den 5. April, gegen Mittag. Liebe Mutter, Jetzt stehen wir in der Prüfung. Bis jetzt zeigt nichts an, daß die Gnadengaben uns verlassen. Uns steht es zu, uns zu bemühen, daß wir sie immer verdienen. Heute nachmittag werden wir unseren ganzen Willen brauchen und müssen die höchste Weisheit anrufen. Teure geliebte Mutter und liebe Großmutter, könnte ich noch die Freude Eurer Briefe haben. Laßt uns beten, daß wir noch unter Alledem aufrecht erhalten werden! Teure innig geliebte Mutter, noch einmal mein ganzes Herz Euch Beiden. Euer Sohn. Den 6. April, mittags. Teure innig geliebte Mutter, um Mittag; jetzt stehen wir bereit auf der äußersten Stellung. Ich sende Dir meine volle Liebe. Was auch geschehen mag, das Leben hat uns manch Schönes gegeben. * * * In diesem Kampfe, an diesem Tage, dem 6. April ist der Verfasser dieser Briefe spurlos verschwunden. Europäische Bücher: Andreas Latzko, Menschen im Krieg Romain Rolland, Beethoven Leonhard Frank, Der Mensch ist gut Leo Tolstoi, Tagebuch 1895--1899 Henri Barbusse, Das Feuer Leonid Andrejew, Das Joch des Krieges End of Project Gutenberg's Briefe eines Soldaten, by Eugène Emmanuel Lemercier *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK BRIEFE EINES SOLDATEN *** ***** This file should be named 39276-8.txt or 39276-8.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/3/9/2/7/39276/ Produced by Jens Sadowski Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation web page at http://www.pglaf.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws. The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation's web site and official page at http://pglaf.org For additional contact information: Dr. Gregory B. Newby Chief Executive and Director gbnewby@pglaf.org Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide spread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. 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Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Most people start at our Web site which has the main PG search facility: http://www.gutenberg.org This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.