The Project Gutenberg EBook of Henriette Goldschmidt. Ihr Leben und ihr Schaffen by Josephine Siebe, Johannes Pruefer This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at http://www.gutenberg.org/license Title: Henriette Goldschmidt. Ihr Leben und ihr Schaffen Author: Josephine Siebe, Johannes Pruefer Release Date: May 5, 2013 [Ebook #42651] Language: German Character set encoding: US-ASCII ***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK HENRIETTE GOLDSCHMIDT. IHR LEBEN UND IHR SCHAFFEN*** [Illustration: Phot. a. d. Jahre 1919] *Henriette Goldschmidt* Ihr Leben und ihr Schaffen Dargestellt von _Josephine Siebe_ und _Dr. Johannes Pruefer_ Oberstudiendirektor _Mit 2 Bildern_ Akademische Verlagsgesellschaft m. b. H. in Leipzig 1922 Otto Wigand'sche Buchdruckerei G. m. b. H., Leipzig. [Illustration: Henriette Goldschmidt im Schillerjahr 1859] INHALT. Inhalt Zur Einfuehrung Henriette Goldschmidts Leben 1. Jugend 2. Die Bewegung der vierziger Jahre 3. Die ersten Ehejahre in Warschau 4. Die ersten Jahre in Leipzig 5. Schaffensjahre 6. Ausklang Henriette Goldschmidts Schaffen 1. Die geistigen Grundlagen ihrer Arbeit a) Anfaenge der Frauenbewegung b) Friedrich Froebel 2. Ihr Wirken fuer die Kindergartensache a) Petition an die deutschen Regierungen b) Streitschrift gegen K. O. Beetz 3. Ihre Reform der Frauenbildung a) Kindergaertnerinnen-Ausbildung b) Allgemeine Frauenbildung Die Nachwirkung und Fortentwicklung ihrer Ideen an der Leipziger Hochschule fuer Frauen Anmerkungen Bemerkungen zur Textgestalt ZUR EINFUeHRUNG. Als der Allgemeine Deutsche Frauenverein, schon mitten in den Wirren des Weltkrieges, seine Fuenfzigjahrfeier in Leipzig beging, sass unter den Ehrengaesten auch eine kleine alte Dame. Silberweisse Loeckchen - die Haartracht einer vergangenen Zeit - umrahmten die Schlaefen, und unter dem schwarzen Spitzentuch blickten die grossen, klugen Augen klar und guetig auf das Treiben umher, anteilnehmend und doch schon von der Warte des hohen Alters aus das Leben ueberschauend. Es klangen grosse, mutige Worte in den Saal hinein; Worte von Erreichtem und zu Erhoffendem, auch Worte von deutschem Siege, deutscher Kraft, und vielleicht war in dem uebervollen Saal niemand so tief, fast prophetisch klar von der Angst um das Vaterland erschuettert, das Land, das sie seit ihrer Kindheit mit Bewusstsein liebte, wie die alte Frau _Henriette Goldschmidt_. Sie, die einst in der fruehesten Jugend des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins mit ihren, ihr laengst in die unbekannten Weiten vorangegangenen Genossinnen, Luise Otto-Peters und Auguste Schmidt, oeffentlich fuer die Rechte der Frauen aufgetreten war, hoerte nun, wie im Krieg laut der Ruf nach der Mithilfe der Frauen ertoente. Aus den wenigen von einst waren viele geworden, eine gewaltige Masse, und die alte Frau sah Erreichtes, sah die Frauen, sich ihrer Bestimmung bewusst, auf ihrem Posten stehen, sie sah aber auch das um die Jahrhundertwende aufgerichtete Ideal eines Frauenweltbundes in Scherben am Boden liegen. Wuerde sich die kraftvolle Hand finden, die Zerbrochenes, Zertruemmertes wieder zusammenfuegte? Es gehoert heute weniger Mut dazu, rechts oder links den steilen Gipfel zu besteigen und Kampfrufe ueber die Masse hinauszuschreien, als ihn vor mehr als einem halben Jahrhundert Henriette Goldschmidt aufbringen musste, die aus dem wohlumhegten Frieden des Hauses hinaustrat und zuerst die Frage stellte: "Wir haben Vaeter der Stadt, wo bleiben die Muetter?" Damals von der Gleichberechtigung der Frau im oeffentlichen Leben zu sprechen war eine Tat; die Frauen aber, die zuerst diese Tat ausfuehrten, hatten im Grunde wohl viel weniger das stolze Bewusstsein auf einer hohen Lebenswarte zu stehen, wie es dann viele ihrer Nachfolgerinnen bei geringeren Leistungen aufgebracht haben. Sie begannen ihr Werk, weil ihr innerstes Fuehlen und Erkennen sie dazu trieb, sie standen im Bann einer grossen, sie erfuellenden Idee, und so wurden sie Pionierinnen in jener unbewussten Sicherheit, die das Kind leicht auf einer lose schwankenden Bruecke ueber den Abgrund schreiten laesst. Eine solche Pionierin, die bei aller Kraft des Wollens, unverrueckt ein hohes Ziel vor Augen, doch immer jene Kindlichkeit des Wesens wahrte, die sie Abgruende nicht sehen liess, war Henriette Goldschmidt. Sie blieb bis ueber das biblische Alter hinaus eine Kaempferin und wurde dann mehr und mehr die weise, guetige Lebensueberwinderin, die noch mit zitternder Hand nach Lessing das Wort niederschrieb: "Muesste, so lange ich das leibliche Auge haette, die Sphaere desselben auch die Sphaere meines inneren Auges sein, so wuerde ich, um von dieser Einschraenkung frei zu werden, einen grossen Wert auf den Verlust des ersten legen." Die Schwere des hohen Alters machte sich auch ihr fuehlbar. Das Leben rauschte immer lauter, draengender an ihr vorbei; fremde Melodien toenten auf, die Menschen redeten nicht mehr die Sprache ihrer Jugend, und der Geist von Weimar wurde in Deutschland von anderen Stimmen uebergellt, aber Henriette Goldschmidt fand doch immer in der anmutigen Beweglichkeit ihres Geistes die Kraft, Verbindungswege herzustellen, sie fand das weise Laecheln des "Alles verstehen heisst alles verzeihen." Bis zuletzt aber blieb ihr auch das ungeteilte Interesse an dem Werk ihres Lebens, dem Leipziger Verein fuer Familien- und Volkserziehung und seinen Anstalten. Und bis zur letzten Bewusstseinsstunde zehrte an ihr tief die trauernde Sorge um das Vaterland. Das Leben dieser Frau ist von einer seltenen Geschlossenheit; es geht die ganz klare Linie folgerichtiger Entwicklung hindurch; es gibt keine Brueche, kein sprunghaftes Hinundher in ihren Anschauungen, keine Seitenpfade und Irrwege. Wir begegnen in diesem Leben nicht unbegreiflichen Verwirrungen des Gefuehlslebens, es quellen nicht ploetzlich aus dunklem Unterbewusstsein seltsame Lebensaeusserungen und Empfindungen auf, und schon das junge Maedchen findet ganz klar den Weg heraus aus der Verstrickung, in die es sein Familiensinn fuer kurze Zeit hineingetrieben hatte. Wollte jemand diesen Lebensweg bildlich darstellen, er muesste die lange gerade bergansteigende Landstrasse waehlen, ohne Seitenwege und Biegungen, Baumschatten und Sonnenflecke darueber und in der Ferne das hohe, helle, klare Ziel: die geistige Befreiung der Frauen, die Erziehung der Frau zum taetig bewussten Glied der Volksfamilie, die innerliche Versoehnung dieser Volksfamilie und das Ueberbruecken sozialer Unterschiede durch den Einfluss und die Teilnahme der Frau am oeffentlichen Leben. Ehrenbezeigungen, wie Ordensverleihungen vermochten die ueberzeugte Demokratin, die alte Achtundvierzigerin nicht zu beeinflussen und den Weg des neuen Deutschland ging sie innerlich nicht mit, und vielleicht sah sie gerade darum von Anfang, von der Stunde an, da England in den Weltkrieg gegen Deutschland eintrat, so klar, dass Deutschland unterliegen wuerde. Bei allem Siegesjubel der ersten Zeit blieb immer ihr Wort: "Ach, ich will mich ja so gern irren!" Bei der grossen Schaerfe ihres Verstandes, ihrem philosophischen Erkennen des Lebens war Henriette Goldschmidt immer die Frau voll Anmut und Kindlichkeit, sie besass eine Grazie des Geistes, die immer ohne Schaerfe das richtige Wort fand. Sie sah aber daher auch das Dunkle, Lauernde am Wege nicht; ein Ja war ihr ein Ja, ein Nein ein Nein, und sie hat es nie verstanden, dass im Handumdrehen aus Neinsagern Jasager werden konnten. Und wohl darum ist sie auch mitunter verkannt worden, auch von ihren Mitarbeiterinnen in der Frauenbewegung; ihr unverrueckbares Zielsehen wurde nicht immer gewuerdigt. Sie suchte immer die Einheit in der Mannigfaltigkeit, nach der Lehre ihres Meisters Friedrich Froebel. Sie aber war selbst eine Einheit. Leider sind die Aufzeichnungen, die Frau Henriette Goldschmidt hinterlassen hat, nur lueckenhaft. Sie hatte nie das Gefuehl der Verpflichtung, ueber jeden Lebensabschnitt der Nachwelt gewissermassen Rechenschaft abzulegen. Sie lebte dem Tag und seiner Arbeit, lebte mit grosser Leidenschaft ihrem Ziel, und die Vergangenheit war ihr goldenes Buch, das sie selbst, dank ihres glaenzenden Gedaechtnisses, zu jeder Stunde aufschlagen konnte, sich heiter daran freuend oder nachdenklich darueber sinnend. Selbst schrieb sie darueber: "Ich bin haeufig von aelteren und juengeren Freunden, denen ich im geselligen Beisammensein Einzelheiten aus meinem Leben mitteilte, gebeten worden, meine Lebensgeschichte zu schreiben, doch konnte ich mich nicht dazu entschliessen. In den Jahren lebensvoller Betaetigung war es nicht nur der Mangel an Zeit, es war vielmehr der Mangel an Selbstbewusstsein. Durch meine oeffentliche Wirksamkeit sind biographische Notizen in Zeitungen und Zeitschriften gelangt, so dass ich es fuer ueberfluessig hielt, meine Persoenlichkeit noch oeffentlich vorzustellen." Ueber manche Zeit ihres Lebens, so ihre Anteilnahme an der deutschen Frauenbewegung, sind schon Niederschriften vorhanden, und es ist nicht der Zweck dieses kurzen Lebens- und Arbeitsbildes, zu schnell Festgelegtem vielleicht, eine neue Beleuchtung zu geben, vielmehr soll hier das ganz eigene persoenliche Wirken Henriette Goldschmidts, besonders, wie sie neben ihrer Pionierarbeit in der deutschen Frauenbewegung sich ihren eigenen Wirkungskreis schuf, in den zwei Abschnitten "Leben" und "Schaffen" dargestellt werden. Aus Niedergeschriebenem, Erzaehltem, Erinnerungen, gefuehrten Gespraechen und fluechtig hingeworfenen Worten ist dieses kurze Lebensbild gewoben. Es zeigt nicht die modernen grellen Linien derzeitiger Gewebe, der Hauch der vergangenen, der wirklich guten alten Zeit ruht ueber diesem Leben, denn seine Wurzeln hingen noch in der klassischen Zeit. Der Geist von Weimar war es, der dieser Frau die Kraft und den Aufschwung gab, sich selbst zu einer Persoenlichkeit von ganz eigenartigem Gepraege zu entwickeln. Dem Geist von Weimar blieb sie ihr Leben lang treu, von ihm wich sie nicht um eines Halmes Breite ab, und so lebte sie ihr inneres und in seiner Einfachheit auch ihr aeusseres Leben in dem Lichte, das uns von Weimar gekommen ist. HENRIETTE GOLDSCHMIDTS LEBEN 1. Jugend. Zwischen dem Weimar des Jahres 1825 und dem deutsch-polnischen Staedtchen Krotoschin von damals, welche ungeheure, geistige Entfernung! In der kleinen Provinzstadt spuerten wohl nur wenige den Hauch des Geistes von Weimar; es war ein richtiges Philisternestchen, in dem am 23. November 1825 Henriette Benas als sechstes Kind eines juedischen Kaufmanns geboren wurde. Das wohlhabende Haus, in dem sie aufwuchs, war durch die kuehle Strenge der unmuetterlichen zweiten Frau des Vaters der hellen Waerme einer echten Heimstaette beraubt worden. Es ist bezeichnend fuer die geistige Wertung des Fraueneinflusses in damaliger Zeit, dass der geistig hochstehende Vater, von dem die Tochter sagte, er haette seinen Kindern "die Anregung fuer die Auffassung der Lebensverhaeltnisse ueber das ewig Gestrige hinaus gegeben", die zweite Frau waehlte, weil sie nicht lesen und schreiben konnte, seinen fuenf mutterlosen Kindern also eine fuersorgliche Mutter sein wuerde, deren Geist nicht durch ueberfluessige Lektuere abgelenkt werden wuerde. Trotz ihrer Unbildung besass die Frau aber eine gewisse Wuerde des Wesens, sie war sich ihrer Stellung als Hausfrau bewusst, und der Haushalt mit allen seinen Verzweigungen nahm, nicht immer zur Freude der Kinder, ihr ganzes Denken in Anspruch, und sie verlangte dies gleichfalls von den heranwachsenden Toechtern. Henriette schrieb spaeter von dem Einfluss der Stiefmutter: "Leider war unsere Stiefmutter keine muetterliche Natur, und wie alle Vorurteile genaehrt und gestaltet werden durch die Gedankenlosigkeit der Menschen, so wurde auch dies schwierige Verhaeltnis der Stiefmutter durch liebevolle Verwandte und Freunde fuer uns Kinder unnoetig bedrueckend gemacht. Es entwickelten sich nach und nach alle die Unstimmigkeiten, die in solchem Verhaeltnis gang und gaebe sind. Ich kann nicht behaupten, dass ich im Verkehr mit meiner Stiefmutter mich als praedestiniert fuer eine Schuelerin Froebels betrachten kann, doch hatte das Missverhaeltnis einen Kampf in mir erzeugt, der mein Wesen, vielleicht mein Leben haette vernichten koennen." Von ihren Vorfahren wusste Henriette Goldschmidt-Benas nicht allzuviel; an ihre eigne Mutter erinnert sie sich nicht mehr, sie war etwas ueber fuenf Jahre alt bei deren Tode. Den tiefsten Eindruck hat auf ihr Kindergemuet das Schicksal ihres Grossvaters gemacht. Sie schrieb von ihm: "Vor meinem geistigen Auge steht mein Grossvater so, wie er aus den Erzaehlungen seiner Frau und seiner Kinder hervortrat. Ich selbst lernte ihn infolge seines fruehen Todes nicht kennen. Er war in Krotoschin geboren, wurde, wie es damals ueblich war, mit achtzehn Jahren verheiratet und entschloss sich, seine Heimat, Frau und Kind zu verlassen, um sich eine umfassendere Bildung zu verschaffen; seine einzigen Vorkenntnisse waren die des hebraeischen Schrifttums. Er wandte sich zuerst nach Berlin an Moses Mendelssohn, den bekannten Philosophen ..... Mein Grossvater suchte ihn auf und erhielt durch seine guetige Vermittlung die Stelle eines Hauslehrers in Fridericia in Daenemark. Im Hause eines begueterten Glaubensgenossen, namens Ree, wurde er Lehrer des Hebraeischen und blieb mehrere Jahre in dessen Hause. Er nahm teil an dem wissenschaftlichen Unterricht seiner Schueler und hatte somit Gelegenheit, sich ein gruendliches Wissen anzueignen. Ja, bei einem Besuche des Koenigs von Daenemark in Fridericia erhielt er den Auftrag von der dortigen juedischen Gemeinde, den Koenig in franzoesischer Sprache zu begruessen. Dass es ihm schwer fiel, das Land und die Verhaeltnisse, die ihn zum Manne gereift hatten, zu verlassen, ist begreiflich, aber seine Frau war nicht zu bewegen, von Krotoschin fortzugehen, und so musste er sich entschliessen, in seine ihm fremd gewordene Heimat zurueckzukehren." Dieser Grossvater, der in seinen letzten Lebensjahren immer weiss gekleidet ging, stand seiner Frau wie ein hoeheres Wesen vor Augen, und die Ehrfurcht vor der Weisheit des Mannes ging auch auf die Enkelkinder ueber. Die Grossmutter selbst mit ihrer liebevollen Guete lebte noch lebendig in der Erinnerung der Enkelin. Von den Kindern blieb nur der Vater Henriettes in Krotoschin. Henriette war Art von seiner Art, war es innerlich und wohl auch aeusserlich, denn noch in spaeteren Lebensjahren erinnerten die Greisin selbst manche ihrer Bewegungen an den Vater. Dieser, ein sehr lebhafter, fortschrittlich gesinnter Mann, pflegte manchmal zu sagen, wenn seine Kinder allzu leidenschaftlich in politischen Fragen Partei nahmen: "Ich habe doch sonderbare Kinder!" Dass er selbst in seiner Art Vorbild der Kinder war und erheblich in seinem Wesen von dem seiner Mitbuerger abstach, kam ihm dabei kaum zum Bewusstsein. Seine Tochter schildert ihn im Anschluss an den aus Kaufleuten bestehenden juedischen Teil der Bevoelkerung Krotoschins: "Meinem Vater sagte der Kleinkram des dortigen Geschaeftslebens wenig zu, er konnte sich nicht beschraenken, an den zwei Markttagen der Woche von den Bauern Getreide zu kaufen und an den Mueller zu liefern, er trat in Beziehung zu Geschaeftshaeusern in Stettin, Berlin und Hamburg. So waren seine Unternehmungen als Kaufmann grosszuegiger Natur. Da seine Jugend in den Anfang des 19. Jahrhunderts fiel, erlebte er die Befreiungskriege mit, und sein Sinn blieb stets der Geschichte und den politischen Erscheinungen der Gegenwart zugewendet. So verfolgte er, der ueberaus beschaeftigte Kaufmann, mit waermster Anteilnahme und lebhaftestem Interesse die innere Bewegung der vierziger Jahre, die auf allen Gebieten des Geisteslebens die Gemueter ergriff." Neben dem Vater, der Stiefmutter und den Geschwistern (vier waren zwischen ihr und der zehn Jahre aelteren Schwester noch im fruehesten Kindesalter gestorben), mit denen die junge Henriette innige Liebe verband, waren es noch einzelne Gestalten, die schattenhaft in der Erinnerung der alten Frau auftauchten. Vor allem war es eine Tante Ninon, an die sie sich lebhaft erinnerte. Diese Tante Ninon hatte offenbar ein grosses schauspielerisches Talent besessen, sie wusste ganze Rollen auswendig, mimte sie den Kindern vor und fesselte die kleine Schar auch immer wieder durch phantastische Erzaehlungen von einer Reise nach - Breslau. Dann lebte noch ein greiser Onkel in der Erinnerung der alten Frau fort, der noch mit etwa neunzig Jahren zu sagen pflegte, wenn jemand vom Tode sprach: "Zu was brauche ich mich zu sputen auf das, was mir so gewiss ist." Ganz fruehe Kindheitserinnerungen knuepften sich noch an einen Brand, bei dem eine Anzahl Haeuser vernichtet wurde, und der ihrem Vater, der sie selbst aus seinem gefaehrdeten Hause trug, beinahe Freude bereitete, da er in seinem Optimismus bereits an Stelle der engen, ungesunden, winkeligen Quartiere neue helle Heimstaetten erstehen sah. Sonst hatten sich ihr die fruehen Kindheitserinnerungen durch ihr reiches spaeteres Erleben ziemlich verwischt; lebhaft gedachte sie noch eines Gartens, in dem die Kinder fuer wenige Pfennige so viel Beerenobst essen durften, wie sie wollten, und dabei manchmal des Guten etwas zuviel taten. Es ist bezeichnend fuer das Kindheitserinnern, dass diese beiden zeitlich auseinanderliegenden, ganz verschiedenen Tatsachen den staerksten Eindruck hinterlassen haben. Die Schule vermittelte der jungen Henriette nur geringe Bildungswerte, sie war aber dennoch die Ursache, dass die Greisin, schon fast neunzig Jahre alt, einige kurze Aufzeichnungen machte. Zur Eroeffnung der Hochschule fuer Frauen in Leipzig 1911 sandte naemlich der Direktor der Toechterschule in Krotoschin einen Glueckwunsch, verbunden mit einer Einladung zum fuenfundsiebzigjaehrigen Jubilaeum der Schule, zu deren ersten Schuelerinnen die junge Henriette gehoert hatte. Sie schrieb davon spaeter nieder: "Dieser Rueckblick auf die lange hinter mir liegende Vergangenheit brachte mir den Weg zum Bewusstsein, den ich zurueckgelegt. Nur einem inneren Drange folgend, bin ich von der kleinen Stadt in der Provinz Posen in die deutsche Kulturwelt hineingewachsen. Ohne einen anderen Unterricht als den duerftigen einer Elementarschule und den Besuch eines Jahreskursus in einer, aus einer Klasse bestehenden Toechterschule, bin ich zur Gruendung einer Hochschule fuer Frauen gelangt in einer der anerkanntesten Kulturstaedte des Vaterlandes. Mit vierzehn Jahren hatte ich meine Schulzeit beendet. Eine grosse Bereicherung hat sie mir nicht gebracht, dennoch ist sie natuerlich nicht ohne Einfluss auf meine innere Entwicklung gewesen, brachte sie mich doch in Beziehung zu Mitschuelerinnen aus einem anderen, als dem gewohnten Lebenskreise. Zum erstenmal trat ich Toechtern aus dem deutschen Beamten- und Offizierstand nahe, empfand zum ersten Male, dass diese sich in bevorzugter Stellung den juedischen Mitschuelerinnen, also auch mir gegenueber zu befinden glaubten, und es kam zu kleinen Zwistigkeiten zwischen uns. Einen Streit hatte ich mit einer adeligen Majorstochter, die das vertrauliche Du, das wir fast alle untereinander gebrauchten, auch bei mir anwendete, sich aber berechtigt fuehlte, sich von mir den gleichen Gebrauch ihr gegenueber zu verbitten. Ich war darueber derartig entruestet, dass ich den Eintritt des Lehrers ueberhoerte, so dass er Zeuge des Streites wurde. Zur Ehre dieses Lehrers sei erwaehnt, dass er sich meiner, der Herausgeforderten, annahm und das junge Fraeulein von Soundso in seine Schranken zurueckwies. So jung ich damals war, so hatte ich doch in einer Zeit und in Verhaeltnissen, in denen es als selbstverstaendlich galt, die Juden nach Belieben zu behandeln, so viel Persoenlichkeitsgefuehl, um gegen solche mich beleidigende Behandlungsweise gewappnet zu sein!" Das starke Gerechtigkeitsgefuehl, das leidenschaftliche Temperament rissen die junge Henriette auch manchmal zu unbedachten Aeusserungen hin. An den Wortlaut des Streites mit einer Mitschuelerin aus einer anderen Gesellschaftsschicht erinnerte sie sich nicht mehr genau. An eine Szene aber dachte die Greisin noch mit heiterem Lachen. Der Lehrer wandelte in der Klasse auf und ab, und stiess von Zeit zu Zeit tiefe Seufzer aus und jedesmal sagte er, vor Henriette Benas stehenbleibend, dumpf: "Wem gelten diese Seufzer? Dir, Benas, gelten sie!" Die Szene machte einen tiefen Eindruck auf die junge Henriette, noch schluchzend trat sie mit der Freundin den Heimweg an und sagte zu dieser, auch einem Jettchen: "Du wirst sehen, dass ich nie mehr im Leben lachen werde." Sie hat dann freilich das gute herzbefreiende Lachen wieder gelernt, hat es bis in ihr Alter sich bewahrt und pflegte spaeter lobend von einem Menschen zu sagen: "Er hat so ein gutes Lachen." Uebrigens blieb sie mit dieser Freundin bis zu deren Tode in tiefster Zuneigung verbunden, und als sich die alten Damen, so um die Wende ihres achtzigsten Lebensjahres herum, endlich einmal wiedersahen, da standen die kleine Stadt, das ganze Leben von damals vor beiden auf, und herueber und hinueber toente die Frage. "Jettchen, weisst du noch? - Jettchen denkst du noch an unseren saechsischen Klavierlehrer, der immer verlangte, ich sollte mit mehr "Gefiehl" spielen." Jettchen hin, Jettchen her, es war die gute alte Biedermeierzeit, die vor beiden aufstand. Der grosse Weise von Weimar lebte noch, als die junge Henriette zum ersten bewussten Leben erwachte, doch seine Sonne stand nicht ueber ihrer Jugend, ihr kam der Glanz von seinem fruehe dahingegangenen Freund, von Schiller. Dieser verklaerte ihr Leben, und der Glanz blieb hell, verblich nicht bis zu ihrer Todesstunde; Schiller war und blieb "ihr" Dichter. Als sie mit 94 Jahren einen Unfall erlitt und sich in ihrer Wohnung eine schwere Kopfverletzung zuzog, die mehrfach genaeht werden musste, fuerchtete der treue Arzt nach der Aufregung und dem grossen Blutverlust Fieber. Ihre im Hause wohnende juengere Freundin uebernahm die Nachtwache, und als sie an das Bett der Kranken trat, sah diese mit grossem tiefen, aus schoenen Weiten kommenden Blick zu ihr auf und sagte: "Mein Kind, eben habe ich mir die Ideale von Schiller vorgesagt, wie schoen sind sie doch!" Die junge Henriette lernte ihren Schiller nicht durch Literaturunterricht kennen, sie las, sie erlebte ihn. Als Elfjaehrige fand sie den Weg zu ihm. Da die Mutter Lesen abends bei Licht fuer ueberfluessig hielt, sass sie im Mondenschein auf dem kleinen engen Haushof und las mit klopfendem Herzen, das Buch dicht vor die Augen haltend. Sie trank des Dichters Worte in sich hinein, und sie war Johanna, sie war Maria Stuart, sie lebte und litt mit den Gestalten seiner Werke und einmal ergriff sie sogar im Eifer eine Stange, die auf dem Hofe stand, und rief mit lauter Stimme ueber den Hof: Lebt wohl ihr Berge, ihr geliebten Triften! Ein so grosses Verstehen der Werke unsrer schoepferischen Paedagogen sie spaeter als Henriette Goldschmidt zeigte, und so viel sie in ihrer Arbeit der Jugend diente, auch einer unserer besten von den aelteren Jugendschriftstellerinnen, Emma Wuttke-Biller freundschaftlich nahe trat, so hielt sie doch lange Schillers Werke fuer die geeignetsten Jugendschriften. Sie fand, die Jugend, die Schiller besass, brauche keine anderen Buecher. Ihren drei Stiefsoehnen las sie in Krankheitstagen besonders gern Schiller vor, und der eine, damals zehnjaehrig, fragte sie einmal: "Mutter, warum ist es denn Unrecht, dass Don Carlos seine Mutter liebt, ich liebe dich doch auch!" Die Begeisterung fuer Schiller fand auch bei den Geschwistern Widerhall, besonders wurde die fuenf Jahre juengere Schwester Ulrike bald die vertrauteste Freundin der jungen Henriette. Das hochbegabte Maedchen teilte ihre geistigen Interessen fruehe, waehrend die anderen Schwestern etwas ausserhalb standen, die aelteste hatte sehr fruehe geheiratet, eine andere Schwester aber war schon als Kind schwer krank. Mit dem Bruder dagegen waren die Schwestern innig vertraut, dennoch fand er sich manchmal zurueckgesetzt, und den Vorzug, der einzige Sohn im Hause zu sein, nicht recht gewuerdigt. Er klagte dann wohl: "Ich bin doch euer einziger Bruder, den ihr habt." In dies herzliche Geschwisterleben fiel ein schwerer, dunkler Schatten, als die aelteste Schwester, noch nicht dreissigjaehrig, waehrend einer Typhusepidemie starb. In ihren Aufzeichnungen schreibt die Greisin darueber: "Meine Schwester hinterliess drei Kinder, deren juengstes noch bei der Amme war. Wir Geschwister waren tief erschuettert, tiefer und nachhaltiger, als es sonst die Natur solch jungen Geschoepfen gestattet. Mir, der nunmehr aeltesten Schwester, fiel die Sorge um die kleinen Nichten zu, waehrend fuer den Haushalt des Schwagers eine aeltere Verwandte eintrat. Es ist bei solch traurigem Familienereignis wohl die beste und einfachste Loesung, wenn die zweite Schwester den Schwager heiratet und die Mutter ersetzt. Mein Schwager war ein gebildeter Mann, er stand vor dem Abschluss seines Studiums, als er meine Schwester kennen lernte. Da entschloss er sich zu verzichten und trat in das Geschaeft meines Vaters ein. Wir lebten in gutem geschwisterlichem Verhaeltnis miteinander und als er nach Ablauf des Trauerjahres mit meinem Vater ueber die Verbindung mit mir sprach, sagte dieser: "Sie koennen ja mit meiner Tochter ueber die Verbindung selbst reden, ich glaube, Sie verstehen sich gut miteinander." Und auch ich glaubte es, die ich nur von dem Wunsche beseelt war, die verwaisten Kinder vor dem Schicksal einer anderen Stiefmutter zu bewahren. Es dauerte ziemlich lange, ehe ich mir klar wurde, dass mein Gefuehl fuer die Kinder sich nicht auf den Vater uebertragen liess. Und so kaempfte ich in jungen Jahren einen harten Kampf, dessen Bedeutung ich erst viel spaeter erkannte. Es war ein Kampf des unbewussten Gefuehlslebens, das sich zu behaupten suchte, trotz des eigenen Widerstandes. Dieser Abschnitt meines Lebens koennte in einer Biographie einen Raum einnehmen, der fuer die Kenntnisse des Seelenlebens wertvollen Stoff lieferte." Die bald sich zeigende Eifersucht des Schwagers, der die junge, ungewoehnlich reizvolle Schwaegerin misstrauisch ueberwachte, war der tiefste Grund dieser immer mehr wachsenden Abwehr. Die junge Henriette fuehlte, von ihrem inneren Leben sollte Besitz ergriffen werden, und sie wehrte sich mit aller Kraft dagegen; sie spuerte es, nur der Mann, der ihrer eigenen Natur gerecht wurde, der ihr den Eigenwert ihres inneren Menschen liess, konnte der sein, dem sie sich einmal zu eigen gab. So hatte sie schon mehrfach Bewerber abgewiesen und so fand sie auch hier den Mut des Neinsagens in diesem schweren seelischen Konflikt. Sie selbst bekannte: "Ihn zu ueberstehen half mir die revolutionaere Bewegung der vierziger Jahre, das Jahr 1848." 2. Die Bewegung der vierziger Jahre. In vielen Dingen hatte der Kaufmann Benas in Krotoschin sehr moderne Anschauungen, so verlangte er, damals etwas ganz Ungewoehnliches, von seinen Toechtern, sie sollten jeden Tag spazieren gehen. Und da die Auswahl der Spaziergaenge gerade nicht gross war, gingen die beiden Maedchen Henriette und Ulrike beinahe taeglich die Landstrasse entlang, die nach Zduny fuehrte. Den Reiz der grossen Weite, die dem freien Blicke keine Grenzen zu geben scheint, hatte man damals noch wenig erkannt, die beiden Schwestern fanden daher ihren taeglichen Weg einfoermig genug. Die junge Ulrike rief da manchmal verzagt: "Und von hier aus soll man eine Weltanschauung bekommen?" Sie gab damit einer Sehnsucht Ausdruck, die ueber das allgemeine Maedchensehnen jener Tage weit hinausging. Aber in den Schwestern war damals doch schon eine Weltanschauung im Werden, sie bildete sich an der Bewegung der vierziger Jahre. In dem vaeterlichen Hause wurden viel politische Gespraeche gefuehrt, und Henriette schrieb davon spaeter nieder: "Das Jahr 1848 fand uns nicht unvorbereitet fuer die Erkenntnis seiner Bedeutung. Bereits im Jahre 1847 hatte Friedrich Wilhelm IV. das Patent vom 3. Februar erlassen, durch welches die sonst einzeln tagenden Landtage als vereinigter Landtag nach Berlin berufen wurden. Einige Rechte wurden eingeraeumt, die ihm einen parlamentarischen Charakter geben sollten. Die Veroeffentlichung der Reden der Abgeordneten war von weittragenden Folgen. In Krotoschin, das keine Zeitung besass, wurde die Breslauer Zeitung jeden Abend von der Post geholt und am anderen Morgen vom Vater am Familientische vorgelesen. Wir hoerten mit die Reden der damaligen Abgeordneten Vincke, Beckerath, Hansemann u. a., und Begeisterung erfuellte uns fuer die Redner. Die Verhandlungen betrafen meist Fragen, die ausserhalb der Sphaere unseres Verstaendnisses lagen - aber die Art der Behandlung erhob sie in das Gebiet des allgemein Menschlichen, das auch politischen Fragen nicht fehlt. Das Hauptinteresse erregten natuerlich die Verhandlungen ueber die Emanzipation der Juden. Das war eine Menschheitsfrage, die den Herzpunkt unseres Fuehlens und Denkens bezeichnete. Diese Frage wurde von den freisinnigen Abgeordneten, losgeloest vom konfessionellen, nationalen Standpunkt, von dem ehemals noch ungekannten, neuesten Standpunkt, rein menschlich behandelt. Vincke, der damals das Wort praegte: Von einem christlichen Staat duerfte man nicht reden, das hiesse ein Haus bauen wollen und die Steine dazu vom Mond holen. - Beckerath, der in schmerzlichem Mitgefuehl die Ungerechtigkeit schilderte, die die Juden seit Jahrhunderten erlitten, - es waren unausloeschliche Eindruecke, die diese Redner uns gaben. Das war im Jahre 1847! In demselben Jahr lasen wir taeglich einige Stunden "Die Weltgeschichte von Rotteck und Welcker" ohne zu ahnen, wie bald die Stimmen der Geschichte, der Zeit, in der wir lebten, sich vernehmen lassen wuerden." In diese Zeit fiel eine Reise, die die junge Henriette als Begleiterin ihres Vaters unternahm, die erste Strecke wurde im eignen Wagen zurueckgelegt, dann stiegen die Reisenden in die Postkutsche. Ein junger Mann stieg in Schmiedeberg in Schlesien zu ihnen, und waehrend der Vater schlief, begann zwischen den beiden jungen Menschen ein seltsames Wechselgespraech. Sie redeten nicht von der Sommernacht draussen, nicht von dem, was sonst wohl junge Menschen zusammen plaudern, von dem Schreiben sprachen sie, das Georg Herwegh an den Koenig Friedrich Wilhelm IV. gerichtet hatte nach dem Verbot seiner Schriften. Von dem, der die Gedichte eines Lebendigen geschrieben, sprachen sie beide, von ihm, der alle nach Freiheit sehnsuechtigen Herzen entflammt hatte. Draussen verging die Sommernacht, der Vater schlief ruhig weiter, aber den jungen Menschen schlugen die Herzen heiss. Der Mann kannte die Gedichte auswendig, und da erlebte die junge Henriette wieder einen Dichter ganz tief im Herzen, sie rief endlich aus: "Haette ich doch die Gedichte!" und ihr Reisegefaehrte, gluecklich, ihr diesen Wunsch erfuellen zu koennen, legte ein schmales Baendchen in ihre Hand. Davon schrieb noch spaeter die Greisin: "Ich darf wohl sagen der 'Lebendige', dessen Wirkung auf seine Zeitgenossen eine wahrhaft lebenerweckende war, hat kaum eine so bewegt, als mein junges, nach Freiheit begehrendes Maedchenherz. Der Funken, der so schnell zuendete, hat waehrend meines langen Lebens seine leuchtende und waermende Kraft bewahrt. Noch wenn ich nach Jahrzehnten mit meinem Manne durch Thueringens Waelder zog, marschierten wir nach dem Rhythmus des Herweghschen Liedes: "Eure Tannen, eure Eichen Habt die gruenen Fragezeichen Deutscher Freiheit ihr gewahrt? Nein, sie soll nicht untergehen! Doch ihr froehlich Auferstehen kostet eine Hoellenfahrt!" Ja, noch viel spaeter, als sie die 90 schon ueberschritten hatte, konnte die Greisin wohl eins der Herweghschen Gedichte mit starker, ganz junger Stimme sagen, und in den Augen lag der Glanz jenes Erlebnisses. Und der junge Reisegefaehrte? In den Erinnerungen heisst es von ihm: "Mein Reisegefaehrte war Julius Behrens, evangelischer Theologe, der aber damals schon entschlossen war, die Theologie mit der Politik zu vertauschen. Er war es, der spaeter als der "rote Behrens" bekannt wurde und in der ersten Kammer, nach der Revolution, den Antrag auf Anerkennung der Revolution von seiten der preussischen Regierung gestellt hatte. Ich habe ihn in den fuenfziger Jahren in Berlin nochmals wiedergesehen, aber die Reaktion war damals schon in vollem Gange, so dass er in sehr gedrueckter Stimmung war und den Entschluss gefasst hatte, nach Australien zu gehen, den er spaeter auch ausgefuehrt hat. Mein Onkel, bei dem ich in Berlin wohnte, war einigermassen entsetzt ueber meine Bekanntschaft mit dem "roten Behrens", die allerdings eine Aufregung nach sich zog. Man hatte naemlich bei ihm, dem politisch Geaechteten, eine Haussuchung abgehalten und dabei einen Brief von mir gefunden, der sich auf eine Erkundigung eines Berichterstatters ueber die Verhaeltnisse der Provinz Posen fuer die Nationalzeitung bezog. So kam auch ich ganz unverdienter Weise zu der Ehre einer Haussuchung, der man in damaliger Zeit sehr leicht teilhaft werden konnte." Mit den "Gedichten eines Lebendigen" als Reiseergebnis kehrte die junge Henriette nach Krotoschin zurueck. In dem kleinen Nest waren es mehr oder weniger Seifenblasen, die die Revolution erzeugte. Nur die Juden dort wurden durch die polnische Frage ganz besonders erregt. "Mein Vater," schrieb Henriette Goldschmidt, "empfand den Segen der Kultur, den die preussische Regierung der Provinz Posen gebracht. Als der Aufstand 1848 ausbrach, fuehlte er sich als preussischer Buerger, ja - wir muessen im Geist jener Zeit sagen, als preussischer Untertan." Dass dies nicht buchstaeblich zu nehmen ist, sehen wir daraus, dass er sich einen Majestaetsbeleidigungsprozess zuzog. Der Anlass war eine Volksversammlung, bei der er das Wort ergriff, um einen Protest zu veranlassen gegen das Reaktionsministerium, das Friedrich Wilhelm IV. an Stelle des Maerz-Ministeriums berufen wollte. Er tat es leidenschaftlich und heftig, denn das Wort sorgsam und vorsichtig abwaegen, war seine Sache nicht." Der Prozess verlief ergebnislos im Sande, uebrigens nahm ihn der Vater Benas sehr gelassen hin. Es gab damals Petitionen ueber Petitionen, jeder Stand petitionierte, und die beiden politisch so stark erregten Schwestern wollten auch eine Petition erlassen, im gleichen Sinne wie der Vater gesprochen hatte. Sie schrieben sie nieder, da aber damals die Frauen keinerlei oeffentliche Rechte hatten, mussten sie schon die Unterschriften von Maennern dazu haben. Henriette Goldschmidt erzaehlt: "Da wir in einer Stube im Parterre unseres Hauses wohnten, riefen wir vom Fenster aus alle voruebergehenden Maenner herein und baten sie, die Petition zu unterschreiben. Wir bekamen eine stattliche Anzahl Unterschriften und sandten die Petition auch nach Berlin. Da unsere Stube durch die vielen Maennerstiefel recht unsauber geworden war, baten wir die Mutter, sie scheuern zu lassen, denn wir hatten viele dienstbare Geister im Hause. Sie aber sagte: Ihr koennt sie selbst scheuern, ich habe fuer solche Sachen keine Bedienung." Den Schwestern erschien es nicht allzu schwer, dies Opfer fuer ihre politische Meinung zu bringen. "Wir schuerzten unsere Roecke und scheuerten darauf los. Die Glieder taten weh ob der ungewohnten Arbeit, aber wir lachten und sagten: Wenn man eine Nacht durchtanzt, hat man auch Gliederschmerzen." Die jungen Revolutionaerinnen haben dann noch einmal herzhaft gelacht in dem tollen Jahr, sie uebten eine Schelmerei aus, freilich dazu nur von ihrem Gerechtigkeitsgefuehl getrieben; auch davon erzaehlte die Greisin, immer noch ein wenig mit dem Lachen und dem Glanz in den Augen der fuer Recht und Freiheit begeisterten Jugend: "Es gab in der Provinz Posen Aufstand und auch in Krotoschin rueckte Militaer ein. So kam es, dass preussische Offiziere auch in juedische Familien einquartiert wurden und sich ein gemuetlicher Verkehr zwischen den Offizieren und ihren Quartiergebern bildete. Die deutsche Beamtenwelt Krotoschins hatte eine gesellige Vereinigung, Ressource genannt, gegruendet und diese veranstaltete einen Ballabend zu Ehren der preussischen Offiziere. Diese sprachen recht angeregt bei ihren Wirten von dem bevorstehenden Vergnuegen in der angenehmen Erwartung, mit den jungen Toechtern des Hauses tanzen zu duerfen. Das war eine grosse Verlegenheit fuer die guten Kinder, denn sie schaemten sich zu gestehen, dass sie keinen Zutritt zu diesem Balle hatten. Wir hoerten von andrer Seite, der Vorstand der Ressource haette in einer Sitzung die Frage aufgeworfen, ob Juden in die Gesellschaft aufgenommen werden sollten. Das Jahr 1848 klopfte mit dieser Frage an die Tore einer neuen Zeit, denn bis dahin dachte niemand an die Moeglichkeit, dass Juden zu den Beamten- und Offizierskreisen Zutritt bekaemen. Wir hoerten nun, dass der Vorsitzende der Gesellschaft sich entschieden gegen die Aufnahme der Juden ausgesprochen haette. Obgleich die Sache mich persoenlich gar nicht beruehrte, da unser Haus keine Offiziere beherbergte, kraenkte meine junge Schwester und mich das Vorkommnis tief und wir beschlossen, dem besagten Herrn Vorsitzenden einen Schabernack zu spielen. Eine grosse Schlafmuetze wurde aus Papier gefertigt, ein dicker Zopf von Stroh geflochten, beides in eine Kiste gelegt und obenauf ein Schreiben: 'Die Schlafmuetze und den Zopf, die Deutschland abgeworfen, senden wir Ihnen zum morgenden Ballabend. Die Gesellschaft ist vorbereitet, Sie in diesem Schmucke zu begruessen!' Die Urheber wurden entdeckt, und der betreffende Herr wandte sich an meinen Vater, der dadurch die Geschichte erfuhr. Dieser nahm die Sache nicht sonderlich schwer, ja im Grunde leitete ihn wohl bei seiner Beurteilung das gleiche Gefuehl wie seine Toechter, aehnliche Empoerung fuer eine offenbare Ungerechtigkeit. Und in dem Brausen und Fluten der Zeit, die damals ueber Deutschland dahinzog, wurde leicht ein toerichter Maedchenstreich vergessen." Von dem gewaltigen, ihr innerstes Wesen aufwuehlenden Eindruck, den diese Zeit aber auf Henriettes ganzes Leben und das Gleichgesinnter gemacht, heisst es in ihren Erinnerungen: "Wie maechtig das Jahr 1848 die Zeitgenossen erregte, zeigt die Nachwirkung, die es ausuebte. Kein spaeteres Ereignis, selbst nicht der Krieg von 1870/71 hat eine gleiche Erschuetterung hervorgerufen. Meine beiden Kolleginnen Luise Otto-Peters und Auguste Schmidt, namentlich die erstere, waren gleich mir der Ueberzeugung, dass die Frauenbewegung der politischen Bewegung jener Zeit ihre Entstehung verdankt." Die Bewegung ebbte ab, die Reaktion der fuenfziger Jahre trat ein. Fast gleichzeitig verlor Henriette Benas die Heimat. 1850 siedelte die Familie, gar nicht zur Freude der Kinder, nach Posen ueber. Sie fuehlten sich dort fremd und entwurzelt, und die Schwestern blieben auch fremd in der so viel groesseren Stadt. Nur einen kleinen Nachklang des Jahres 1848 gab es noch, die erstmalige Teilnahme an einer sozialen Arbeit. "In Posen habe ich mich", erzaehlt Henriette Goldschmidt, "zum erstenmal an freiwilliger sozialer Hilfsarbeit beteiligt. Ein alter Herr hatte die Idee, einen Verein zu gruenden fuer 'Frauen und Jungfrauen', die sich armer Kinder nach den Schulstunden annehmen sollten, ihre Schularbeiten beaufsichtigen, ihnen Handarbeitsunterricht erteilen, ihnen ueberhaupt Schutz und Pflege angedeihen lassen." Die junge Henriette interessierte sich lebhaft fuer diese Gruendung, nicht ahnend, dass sie damit etwas tat, das mit ihrer spaeteren Lebensarbeit in tiefstem innerem Einklang stand. "Zuerst sollten eine Anzahl junger Damen Mitglieder fuer diesen Verein werben", schreibt sie. "Ich unterzog mich in Begleitung eines anderen jungen Maedchens dieser Mission. Wir trugen damals Schuhe, die mit Baendern zusammengebunden waren, die sich leicht loesten. So musste bald meine Begleiterin stehenbleiben, um wieder zu binden, bald musste sie warten, weil ich dasselbe vorzunehmen hatte. Ob dieses oefteren Stehenbleibens wurde ich ungeduldig und sagte: Warum koennen wir nicht, wie die Maenner mit Gummieinsatz die Schuhe festhalten? Da sah mich meine Begleiterin verwundert an und sagte: 'Was Sie fuer Ideen haben, Sie werden wohl noch einmal eine Revolution machen!' Ich erwiderte lachend, dass diese ja schon gewesen sei." Doch hat sie spaeter bei dem Kampf um das Recht der Frau oft an das prophetische Wort denken muessen! Aber ehe Henriette Benas diesen Kampf begann, ehe die in den vierziger Jahren gesaete Saat reifen konnte, trat erst noch eine grosse Veraenderung in ihrem Leben ein, sie wurde Frau, folgte einem Gatten in die wirkliche Fremde, sie, die Freiheitssehnsuechtige, kam in Europas unfreiestes Land, nach Russland, und mit dem Gatten zugleich waren es drei mutterlose Kinder, die ihre Sorge und Liebe verlangten, die sie treu an ihr Herz nahm. 3. Die ersten Ehejahre in Warschau. Henriette Benas heiratete im Jahre 1853 einen Verwandten, den Prediger an der deutsch-juedischen Gemeinde in Warschau, Dr. Abraham Goldschmidt. Diesmal brauchte es keiner schweren Ueberlegung, sie fuehlte rasch heraus, dieser Mann war ihr geistesverwandt, und in einer langen, beide Gatten beglueckenden Ehe hat sie niemals den Schritt bereut, der sie, wie sie es spaeter oft nannte, nach Halbasien fuehrte. Der Mann ihrer Wahl, ein Neffe ihres Vaters, stammte aus einer kinderreichen, in bescheidenen Verhaeltnissen lebenden Familie. Auch seine Studien erstreckten sich zuerst wie die des Grossvaters auf das Hebraeische, doch auch wie dieser strebte er weiter und suchte sich deutsche Geistesbildung anzueignen. Er ging nach Breslau, um dort zu studieren. Er ging im wahrsten Sinne des Wortes, denn seine beschraenkten Mittel reichten nicht zu einer Postfahrt aus. Kuemmerlich genug musste er sich durchschlagen, es gelang ihm aber doch, das Gymnasium zu besuchen, sich weiterzubilden, und nach einigen Jahren erhielt er eine Anstellung an der juedischen Elementarschule in Krotoschin. Damals wurde kurze Zeit die junge Henriette seine Schuelerin, und von diesem Lehrer hoerte sie auch die erste Predigt in deutscher Sprache. Es war bei einem Besuche, den er seiner Mutter in Krotoschin machte, als man ihn aufforderte, in einem sehr duerftigen Betsaal eine deutsche Predigt zu halten. Zu dieser nahm der Vater Benas seine kleine Tochter mit, er stellte diese auf seinen Sitzplatz, damit sie in dem ueberfuellten Saal geschuetzt blieb. Die Erinnerung an dies Ereignis hielt sie fest, und als nach Jahren der Vetter, ein gereifter Mann, vor sie trat - er hatte in Breslau weiterstudiert, war jetzt Prediger in Warschau, hatte geheiratet und seine Frau verloren - gab sie ihm nach kurzem Sichkennenlernen das Jawort; es schreckte sie nicht, dass sie gleich die schwere und verantwortungsvolle Pflicht auf sich nahm, drei Knaben zu erziehen, von denen der aelteste zehn Jahre alt war(1). Dr. Goldschmidt war ein freigeistiger Mann, dem jede Orthodoxie fernlag, zu ihm konnte seine Frau auch das Wort sagen: "Meine Erzvaeter sind Schiller, Lessing und Goethe." Henriette Goldschmidt hat sich dabei immer zum Judentum bekannt, zu der monotheistischen Weltanschauung. Sie sagte davon: "Wenn auch der Kultus im Lauf der Jahrhunderte verschiedene Formen angenommen hat, so ist doch der innerste Gedanke in der Gesamtheit derselbe geblieben. Das Grundprinzip, der Einheitsgedanke, der Monotheismus bleibt unangetastet. Diese Bemerkung erklaert auch meinen eigenen Standpunkt. Ganz und gar erfuellt von dem, was der deutsche Geist gezeitigt hat, und begeistert von den Idealen, die der deutsche Genius zu gestalten strebt, ist mir die Tradition meiner Vaeter heilig geblieben. Die Einheitsidee alles Seins ist als religioese Idee Monotheismus." In dieser Grundanschauung fanden sich die Gatten, und Henriette Goldschmidt-Benas hat daran festgehalten. Auch hier zeigte sich die gerade Linie, die durch ihr ganzes Leben geht, dieses unverrueckbare Sich-selbst-treubleiben. Bei dieser Denkungsart musste es spaeter die Greisin, die von jeher allen Auswuechsen des Judentums ganz fern stand, tief schmerzen, als sie den wachsenden Antisemitismus der Kriegsjahre noch erlebte, wie sie ihn schon in den siebziger Jahren erlebt hatte. Ihr reiner, hoher, nur dem Geistigen zugewandter Sinn konnte diese Bewegung einfach nicht verstehen. Zu einer juengeren Freundin sagte sie einmal, es war kurz vor ihrem Tode bei einer Auseinandersetzung ueber die Gruende, die zum Antisemitismus fuehren koennen, ganz still und feierlich wie ein Gebet das Goethesche Wort: Gottes ist der Orient! Gottes ist der Okzident! Nord- und suedliches Gelaende ruht im Frieden seiner Haende. Nur an eines Mannes Seite, der so vollkommen die gleiche Einstellung zur Welt hatte, konnte Henriette Benas das Leben in Warschau ertragen. Sie schrieb: "An unserem Verlobungstage sagte mein Braeutigam zu mir, wenn ich nicht die Hoffnung hegte, nach Deutschland zurueckzukehren, wuerde ich nicht dein Schicksal an das meine gekettet haben! Die Bedeutung dieses Ausspruches habe ich erst waehrend meines Aufenthaltes in Warschau erkannt!" Es war noch das Russland unter dem Zaren Nikolaus I., von dem man in Deutschland sang: Gott schuetz' uns vor dem Frankenkind Und vor dem Zaren, deinem Schwager. Zaristische Tyrannei und in dies Land ein junges Weib, in dessen Herzen die Lieder der vierziger Jahre bluteten. Sie sang wohl mit heller Stimme in ihrer Stube Herweghsche Lieder, innerlich noch ganz in dieser grossen Bewegung lebend. Als sie mit ihrem Gatten die russische Grenze passierte und beide sahen, wie ein Beamter einfach ganze Seiten eines Buches schwarz ueberstempelte, sagte der Mann leise zu seiner jungen Frau: "Wenn die wuessten, welche Bibliothek ich in dir ueber die Grenze bringe!" Sie berichtet ueber ihren ersten Eindruck in Warschau: "Ich kam aus der Hauptstadt der polnischen Provinz Posen, die Preussen einverleibt war; so ganz fremdartig haetten mich die Verhaeltnisse nicht beruehren sollen, und doch war mir alles so fremd und unheimlich. Zunaechst in Ruecksicht auf die juedische Bevoelkerung, die unter einem besonderen Drucke lebte. Die preussische Regierung war bestrebt, die Kultivierung des Landes und aller seiner Bewohner im Sinne des fortgeschrittenen Geistes seines Staats- und Volkslebens zu beeinflussen. So war es mir in dem grossen glaenzenden Warschau, als waere ich in einem Traumlande; ich fuehlte mich um Hunderte von Jahren in einen gewesenen Zustand versetzt. Unheimlich war es mir bei jeder Beruehrung mit den aeusseren Verhaeltnissen zumute, und am liebsten wuerde ich mit Mann und Kindern zurueckgewandert sein und waere es auch nach Krotoschin gewesen." Aber Mann und Kinder bildeten bald das unloesbare Band, das die junge Frau in der Fremde hielt. Die drei Kinder, drei begabte gutartige Knaben, schlossen sich bald mit grosser Liebe an die lebhafte geistvolle zweite Mutter an. Eine kleine Geschichte zeigt, wie innig dieses Verhaeltnis war; der juengste Sohn Benno, den die Neunzigjaehrige noch "mein Bennochen" nannte, trug noch Kleidchen, als ihm Henriette Goldschmidt Mutter wurde. Bald darauf aber sollte er in Hoeslein gehen, die aelteren Brueder spoettelten schon ueber das "Maedchen", da sagte die junge Stiefmutter einmal: "Ach, es gefaellt mir gar nicht, dass du nun auch schon ein grosser Junge in Hosen sein wirst", und der Kleine antwortete treuherzig: "Wenn's dir lieber ist, Mamachen, kann ich ja noch ein Maedchen bleiben." Diesen starken inneren Anhalt an Mann und Soehne brauchte die junge Frau aber auch. Im Hause sass ihr der Unfriede. Die Mutter der verstorbenen, liebenswuerdigen und begabten Frau tat der zweiten Gattin, wie es in alten Volkserzaehlungen heisst, wirklich alles gebrannte Herzeleid an. Sie erschwerte ihr das Leben in dem duesteren Hause der engen Gasse, und draussen lauerte das Grauen; denn die Aussicht, die Henriette Goldschmidt hatte, wenn sie einmal an das Fenster trat, war das Gefaengnis. Die Pruegelstrafe war damals ein Hauptbesserungsmittel des zaristischen Russland, und das Schreien der armen Opfer gellte in die duestere Wohnung hinein. Gluecklicherweise gab es ein schoenes geistiges Miteinander der Gatten; in Dr. Goldschmidts Buecherei standen die deutschen Klassiker, stand manch verbotenes Buch der vierziger Jahre. Gleichgesinnte Freunde fanden sich und an manchem Abend ertoenten hinter fest verschlossenen Fenstern die deutschen Freiheitslieder. Da wurden mit verteilten Rollen Schillers Werke gelesen und alles in allem, trotz den schweren aeusseren Verhaeltnissen, brachte das Leben in Warschau Henriette Goldschmidt doch auch wieder innere Bereicherung. Eine harte Schule hat sie es selbst genannt. "Einen Hoellentraum konnte man mein Leben in Warschau nennen und wiederum ein harmonisch schoenes Leben. Dass aber diese Mischung den Wunsch in mir rege erhielt, den Boden zu verlassen, auf dem ich niemals heimisch werden konnte, war natuerlich." Noch die Greisin hegte eine Abneigung gegen Warschau, und als einmal jemand die Schoenheit der Stadt ruehmte, sagte sie mit leisem Laecheln: "Sie haben aber nicht unter Nikolaus I. gegenueber dem Gefaengnis gewohnt." Dieser Eindruck blieb ihr unausloeschlich, und immer sagte sie, laengst vor dem grauenvollen Schicksal Russlands: Man muesste dies Land zerschlagen, ein solches Riesenland unter einem Herrscher ist eine Unnatur. Sie muessten dort jedesmal ein Genie, einen Titanen als Herrscher haben, wenn es einigermassen ertraeglich sein sollte. Und sie fuehrte oft das bittere Wort ihres Mannes an: "Es ist furchtbar, in einem Lande zu leben, in dem man sein Recht nur durch das Unrecht der Bestechung erlangen kann!" Nach reichlich fuenfjaehrigem Aufenthalte schlug der Familie die Stunde der Erloesung. In den Erinnerungen heisst es: "Und wie ein Wunder erschien es mir, als nach fuenf Jahren meines Aufenthaltes in Warschau mein Schicksal die Wendung nahm, nach der auch mein Mann sich sehnte. Es war das bedeutendste, folgenreichste Ereignis meines Lebens, als er den Entschluss fasste, die Stellung eines Predigers bei der israelitischen Gemeinde in Leipzig zu uebernehmen. Als wir die Grenze ueberschritten hatten, das unter dem zaristischen Drucke seufzende Land hinter uns liegen sahen, war es mir, als hoerte ich das erste Bundeswort am Sinai: 'Ich bin der Ewige, dein Gott, der dich gefuehrt hat aus Aegypten, dem Lande der Knechtschaft, in ein freies Land!'" 4. Die ersten Jahre in Leipzig. Es ist Henriette Goldschmidt immer bedeutungsvoll erschienen, dass sie gerade im Schillerjahr 1859 nach Deutschland zurueckkehren konnte. Freilich in einem wirklich freien Lande lag Leipzig, in das die Familie gerade im Trubel der weltberuehmten Messe einzog, auch nicht. Aber befreit fuehlten sich die Gatten mit ihren drei Soehnen doch, es war das ein andres Atmen; Henriette Goldschmidt schrieb darueber: "Zwar ein Land der Freiheit konnte man Deutschland am wenigsten in den fuenfziger Jahren nennen, denn dem Jahre 48 folgte die Zeit der Reaktion auf dem Fusse. Jede freie Regung wurde unterdrueckt, die besten Maenner wurden als Verbrecher ins Gefaengnis gesetzt oder sie entzogen sich dem durch die Flucht ins Ausland. Doch nicht schlaff und feige liess man die Machthaber gewaehren; der Kampfplatz, den das Jahr 1848 geschaffen hatte, blieb nicht ohne Kaempfer. Nur die Waffe wurde gewechselt, mit der Waffe, die das Volk von 'Gottes Gnaden' erhalten, mit den Worten seiner Denker und Propheten fuehrte es den Kampf." 1859 ruestete sich ganz Deutschland, Grossstaedte und Kleinstaedte, ja selbst einsame Landgemeinden zur Jubelfeier von Schillers hundertstem Geburtstag. Und wenn es auch da und dort etwas wie in Raabes Draeumling damit aussah, echte, aus dem Herzen quellende Begeisterung war es doch ueberall. Henriette Goldschmidt hat den Jubel des Jahres tief innerlich empfunden; sie konnte wohl spaeter mit heiterem Lachen von dem Juengling erzaehlen, der bei einer Feier pathetisch ausgerufen hatte: "Wir winden ihm einen Lorbeerkranz aus Veilchen und Rosen," und von dichterischen Entgleisungen wie dem Vers: "Schillers Glocke, Schillers Locke, Schillers Faust und Schillers Tell" - Aber doch war ihr Herz, ihr ganzes Sein erfuellt von dem Erleben dieses Jahres, sie tauchte hinein wie in eine Kraftquelle nach der trueben aeusseren Gebundenheit ihrer Warschauer Tage. "Wer damals jung und doch alt genug war", schreibt sie, "um die Zeichen der Zeit zu verstehen, der musste am 10. November 1859 den Nachklang des 18. Maerz vernehmen. Es war der deutsche Volksgeist, dem eine Begeisterung fuer Voelkerfreiheit, Menschenliebe, fuer alles Ideale entstroemte, die jeder Beschreibung spottet. Dem Dichter des hohen Liedes 'An die Freude' galt das Fest - ihm, der selbst freudetrunken in dem Glauben an die Verwirklichung seiner Ideale uns alle mit diesem Zaubertranke berauschte. Es war ein Rausch in dem Sinne, dass er zeigte, was der Trunkene fuehlt und denkt. Viele der Maenner, die 49 im ersten deutschen Parlament gesessen, waren Festredner bei den oeffentlichen Versammlungen. Jakob Grimm und neben ihm die 'wahrhaft Edlen' der Nation gaben Zeugnis von dem Zusammenhang des Volksgeistes mit seinem dichterischen Genius. Man hoerte weniger Literarisches, man fuehlte nur den Verkuender, den Propheten, den Erloeser, der dem von der Reaktion zurueckgedraengten Streben nach Freiheit Worte verliehen hatte. Als ich in mitternaechtiger Stunde des 9. November auf dem Marktplatz in Leipzig mit nur wenigen Bekannten stand und die Huelle von dem hochaufgerichteten Standbild Schillers fiel, da war es mir, als hoerte ich die Worte des jetzt laengst vergessenen Dichters Karl Beck: 'Laechle nur, du Mann im Leichenhemde - Die Freiheit naht - des Fruehlings Herrlichkeit - sie ist dein Zaubermaedchen aus der Fremde'." Mit Mann und Soehnen ging Henriette Goldschmidt auf die Leipzig umgebenden Doerfer, die Feiern des Volkes zu sehen; sie erlebte Grosses, Erhebendes, sah heiter ueber unfreiwillige Entgleisungen hinweg, und als Rest blieb ihr doch das grosse tiefe Erleben. - Sie feierte Schillers Geburtstag noch bis in ihre hohen Altersjahre hinein, ihr war der 10. November immer ein Abglanz von 1859, sie erlebte aber noch wehmuetig ein Abebben der grossen Begeisterung. Als ihr an einer dieser Feiern der Urenkel Schillers vorgestellt wurde, kam die Greisin ganz erschuettert von der grossen Aehnlichkeit dieses Nachkommen mit "ihrem Schiller" heim. Auch die Freude erlebte sie, dass die deutschen Frauen sich zusammentaten und zum 100. Todestage Schillers fuer die Schillerstiftung in Weimar sammelten und dieser ueber eine viertel Million zufuehrten. Sie war 1905 mit in Weimar als Ehrenvorsitzende des Schillerverbandes deutscher Frauen und sass bei Tisch neben dem - russischen Gesandten. Und wie Henriette Goldschmidt immer die Zusammenhaenge zwischen den Ereignissen zu suchen pflegte, so erfasste sie auch gleichsam die Schillerfeier von 1859 symbolisch, sie gibt ihren Eindruck in Beziehung zu ihrem Leben in den Worten Ausdruck: "Die Hundertjahrfeier von Schillers Geburtstag war fuer mich keine Episode, sie war ein Erlebnis. Zum ersten Male war ich als Buergerin in einer wirklich deutschen Stadt. Ich hatte den Boden gefunden, der mir geliebter Naehrboden gewesen war von Kindesbeinen an, ich fuehlte den Pulsschlag des Geistes, der mich beseelte." Der hohe Aufschwung des Jahres, das sie nach Deutschland zurueckgefuehrt hatte, hallte in Frau Henriette nach, und sie lebte sich rasch in die neuen Verhaeltnisse ein. Leipzig wurde ihr wirklich Heimat, sie wurde die Stadt ihres Wirkens, die sie nur noch fuer kurze Reisewochen verlassen hat. Zwischen dem Leipzig von damals und der etwa zehnmal groesseren Stadt von heute war freilich ein gewaltiger Unterschied; die Greisin aber meinte oft, es waere nur ein aeusserlicher, ein auf Umfang und Zahl der Bewohner sich beziehender Unterschied. Von dem Leipzig ihrer ersten Wohnjahre schreibt sie dankbar: "Leipzig war im Jahre 1859 noch eine recht kleine Grossstadt, aber sie gehoerte zu den bekanntesten Staedten des In- und Auslandes. Es war eine Stimmung in ihr fuer die Loesung politischer, sozialer und kultureller Fragen. So kamen wir bald ueber den Kreis unserer damals kleinen Gemeinde hinaus in Beziehung zu anderen Kreisen. Ich fand das Wort: 'Mein Leipzig lob' ich mir, es bildet seine Leute' bestaetigt. Waehrend der ersten Tage unseres Aufenthaltes, in denen die Wohnungsnot so gross war, dass wir einige Zimmer, die fuer Messfremde bestimmt waren, bewohnen mussten, verlangte die Aufwartefrau eines Tages eine Buerste von mir und anderes Geraet. Ich war betruebt, dass ich ihr damit noch nicht dienen konnte und sie sagte, meine Situation begreifend, mir Trost zusprechend: 'Es wird Sie schon in unserem Leipzig gefallen, Leipzig ist die Stadt der Humanitaet.' Ich lief zu meinem Manne und fragte ihn: 'Wovon wirst du sprechen, wenn die Scheuerfrau in Leipzig von Humanitaet spricht?' Ein zweites Wort, das eines Dienstmannes, sei noch erwaehnt. Ich uebergab ihm eine Anzahl von Dichter- und Denkerbuesten zur Ausschmueckung eines Saales mit der Mahnung, recht vorsichtig zu sein; da sagte der Mann einigermassen verletzt zu mir: 'Ich werde schon vorsichtig sein, denn das sind jetzt unsere Heiligen.'" Ja selbst die groessere Enge der Stadt war nach Warschau Henriette Goldschmidt sympathisch. Mann und Soehne - eigene Kinder blieben ihr versagt - teilten ihre Gefuehle, auch sie lernten die Stadt bald als Heimat lieben. Die ersten Jahre in Leipzig waren Lehrjahre fuer Henriette Goldschmidt; losgeloest von den oestlichen Verhaeltnissen, begann sie nun in Mitteldeutschland Wurzel zu fassen und lernte vieles von einem anderen Gesichtswinkel aus anschauen. Manches, was ihr in Warschau nur eine Unfreude gewesen war, lernte sie jetzt als Genuss kennen, so Theater- und Konzertbesuche. Sie ist dann in der intensiven Arbeit ihrer spaeteren Jahre oft um diesen Genuss gekommen, brachte ihn ihrem Schaffen als Opfer dar; aber besonders der Besuch einer Gewandhausprobe blieb ihr noch bis in die letzten Lebensjahre, auch als sie schon die Neunzig ueberschritten hatte, eine tiefe Erbauung. "Still bewegt" nannte Henriette Goldschmidt spaeter die Jahre des Einlebens. Es fand sich bald ein Kreis im demokratischen Geiste gleichgestimmter Menschen zusammen, dazu gehoerten Professor Heinrich Wuttke und seine geistvolle Frau Emma, geb. Biller, auch Professor Rossmaessler; die Soehne brachten ihre jungen Freunde mit. Von auswaerts kamen Gaeste, deren Namen Klang und Ruf hatten. Adolf Stahr und Fanny Lewald kamen, Gutzkow war einmal ein etwas schweigsamer Gast, und mit Berthold Auerbach schloss das Ehepaar Freundschaft, sie verlebten gemeinsam ein paar schoene Sommermonate in Bad Koesen. Die Tischrunde bei Goldschmidts erfreute sich allgemeiner Beliebtheit unter den Freunden des Hauses, es ging damals und spaeter immer noch einfach dabei her. Zu Festlichkeiten buk Frau Henriette wohl selbst einen Kuchen, und noch als Greisin erzaehlte sie von einer sogenannten Linzer Torte, die ihr immer besonders gut geraten sei. Sie war in diesen ersten Jahren in Leipzig nur Hausfrau und Mutter, war aber in allem auch die verstaendnisvolle Kameradin ihres Mannes und war wie einst seine Schuelerin, so nannte sie sich selbst. Wie sehr die Gatten aneinander Anteil nahmen, beweist eine kurze Notiz in den hinterlassenen Bruchstuecken der Aufzeichnungen: Da heisst es aus den siebziger Jahren: "Mein Mann hatte die Einladung zur Einweihung des Lessing-Denkmals in Kamenz erhalten und folgte ihr mit Freuden. Professor Wuttke hatte die Festrede uebernommen und forderte meinen Mann auf, auch das Wort zu ergreifen. Obgleich unvorbereitet, sprach er, erfuellt von Verehrung und Dankbarkeit fuer den Dichter, der unser war von Kindheit an, in so begeisternder Weise, dass die ganze grosse Versammlung ihm zujauchzte. Diesen Moment nicht mit erlebt zu haben, ist mir lange Zeit schmerzlich gewesen." Doch Henriette Goldschmidt war kein Mensch, der sich mit dem Nurlernen begnuegte, sie war im tiefsten Grund eine schoepferische Natur, war auf das Tun gestellt. Sie war auch zu sehr Eigenmensch, um nur in der Familie aufzugehen. Obwohl sie immer einen starken Familiensinn besessen hat, und so sehr sie immer ihre Stiefsoehne und spaeter deren Kinder und Kindeskinder, ebenso die Kinder ihrer Geschwister als ihr zugehoerig betrachtete, mit wie warmer Liebe sie auch alle umfing und wie gluecklich sie sich auch in dem Leipziger Freundeskreis fuehlte, ihre Natur verlangte die Tat. Das Hausfrauenleben allein erfuellte sie nicht, in ihr schlummerten Kraefte, die nach einer anderen Betaetigung suchten, und in dieser Zeit des inneren Vorwaertsdraengens, des seelischen Unausgefuelltseins lernte sie Luise Otto-Peters und Auguste Schmidt kennen. Sie begann ueber die Stellung der Frau im Leben tiefer nachzudenken, und nicht viel spaeter las sie die Schriften Friedrich Froebels, lernte aus seinen Erziehungsideen und beides floss ihr zusammen, wurde ihr eine Einheit, sie fand den Weg dazu kraft ihres immer die gerade Linie suchenden Wesens, und so verschmolzen sich ihr in den kommenden Jahrzehnten anscheinend getrennte Ziele zu ihrem einen grossen Lebensziel. 5. Schaffensjahre. Luise Otto-Peters hatte 1848 den deutschen Frauen zugerufen: "Dem Reich der Freiheit werb' ich Buergerinnen!" Aber anscheinend war der Ruf, ohne ein Echo zu finden, verhallt, und erst Anfang der sechziger Jahre fanden sich in Leipzig die Frauen zusammen, die erkannten, dass es fuer die Frauen selbst zuerst ein Reich der Freiheit zu suchen galt, um die Frau aus der engen Gebundenheit jahrhundertalter Vorurteile zu erloesen. Zu diesen Frauen: Luise Otto-Peters und Auguste Schmidt, gesellte sich noch Henriette Goldschmidt. Sie gruendeten zusammen im Februar 1865 zuerst einen Frauenbildungsverein. Henriette Goldschmidt selbst stand so wenig unter einem persoenlichen Druck, wie die beiden anderen Frauen; ihr Mann liess ihr voellige Handlungsfreiheit und gerade darum empfand sie besonders tief das Unwuerdige, das in der Stellung der Frau lag, die von jeder Teilnahme am oeffentlichen Leben ausgeschlossen war. Mit ihrer Schwester Ulrike (diese hatte inzwischen den Juristen Wilhelm Henschke geheiratet, nachherigen Praesidenten am Kammergericht in Berlin) hatte sie schon manchmal von der Enge gesprochen, in der viele Frauen leben mussten, besonders von der mangelhaften Vorbildung der Frauen zu ihrem eigentlichen Berufe der Mutterschaft. Aber gerade weil Henriette Goldschmidt in einer harmonischen Ehe lebte und durch ihren Mann alle geistige Foerderung erfuhr, ging sie anfangs nicht ganz mit den beiden anderen Frauen mit. Sie selbst erzaehlte, dass sie entruestet heimgekommen sei, als die Gruendung des "Allgemeinen Deutschen Frauenvereins" beraten wurde, weil Luise Otto-Peters es abgelehnt hatte, Maenner in den Vorstand zu waehlen. Ihr Mann antwortete gelassen, dies waere ganz richtig, denn wollten die Frauen selbstaendig werden, dann muessten sie vor allem auch selbstaendig ihren Weg zu finden suchen. Die Erkenntnis von der Wahrheit dieses Wortes kam der temperamentvollen Frau auch bald, und sie schloss sich enger an die beiden Frauen an, die am 18. Okt. 1865 nach Leipzig eine Konferenz deutscher Frauen einberufen hatten und trotz des geringen Interesses, das diese Versammlung fand, den "Allgemeinen Deutschen Frauenverein" gruendeten und die Herausgabe eines Frauenblattes unter dem Titel: "Neue Bahnen" beschlossen. Die neuen Ideen sollten durch Schriften und Vortraege verbreitet werden. Auguste Schmidt war schon eine geschulte Rednerin, Henriette Goldschmidt dagegen hatte noch nicht oeffentlich gesprochen; ihr erster Vortrag war eine politische Aufklaerung der Frauen. Sie erzaehlt davon: "Wir hatten bei unserer Uebersiedelung nach Leipzig nur an die Rueckkehr nach Deutschland gedacht, und da wir uns als Preussen fuehlten, hatten wir keine Veranlassung, zu einem anderen Staate ueberzutreten. Der Krieg 1866 brach aus und brachte preussische Einquartierung. Ich hatte in meiner Wohnung keinen Platz und sagte zu meinem Hausmaedchen, dass wohl die Hausmannsleute die Soldaten aufnehmen koennten. 'Ach,' antwortete dieses, 'wir koennen diesen Leuten die preussischen Soldaten nicht anvertrauen, die sind zu bissig.' Dabei erfuhr ich von ihr, dass sie selbst Preussin sei und ihr Bruder im preussischen, ihr Braeutigam aber im saechsischen Heere diene. Waehrend ich noch ueber diese traurige Sachlage nachdachte, besuchte mich Luise Otto-Peters und forderte mich auf, einen Vortrag im Frauenbildungsverein zu halten. Als ich sie zoegernd fragte, worueber ich eigentlich sprechen sollte, antwortete sie in ihrer saechsischen Mundart: 'Nu, was Ihnen der Gaenius eingibt.' Und ich sagte ihr zu und zu mir: Sprich von der politischen Lage Deutschlands und erklaere den Frauen aus dem Volke, soviel du es vermagst, die Ursachen dieses Bruderkrieges. Es ist mir beim Niederschreiben dieser Zeilen ein eigentuemliches Gefuehl, dass mein erstes oeffentliches Wort an die Frauen sich auf eine der politischen Fragen bezog, die mich frueher beschaeftigten, ehe ich an eine Frauenfrage und an die Erziehungsfrage dachte. Ich hielt meinen ersten Vortrag und schloss mit den Worten: 'Nicht mit zu hassen - mit zu lieben sind wir Frauen da.'" Diesem ersten Vortrag schlossen sich bald andere an, die paar Frauen in Leipzig begannen ihre Kreise weiter und weiter zu ziehen, und die Schar der Anhaengerinnen wuchs. Aus den Erzaehlungen einer freilich unberuehmten, aber sehr gescheiten Frau weiss die Schreiberin dieses kurzen Lebensbildes, dass die Werbekraft der Reden Henriette Goldschmidts sehr gross war. Sie sprach so gut, mit einem so hinreissenden Feuer, dass in Leipzig das Geruecht entstehen konnte, sie schriebe fuer ihren Mann, der selbst ein guter und geistvoller Redner war, die Predigten nieder. Sie selbst gab bescheiden Auguste Schmidt den Preis, diese waere in hervorragender Weise des Wortes maechtig gewesen. Uebrigens galt ihre groesste verehrendste Liebe Luise Otto-Peters, zu deren fuenfundzwanzigjaehrigem Schriftstellerinnenjubilaeum sie einen Vortrag hielt (erschienen 1868 bei Matthes in Leipzig). Von ihren ersten Vortraegen, die gedruckt wurden, seien im Anschluss genannt: "Die Frauenfrage eine Kulturfrage" (1870), "Die Frau im Zusammenhang mit dem Volks- und Staatsleben" (1874 bei Amelang). Zusammenhaenge suchen, das war Henriette Goldschmidts stetes Bestreben, und alle ihre Vortraege haben etwas von diesem Suchen nach der grossen Einheit in allen Erscheinungen. Immer war es auch die Idee, die sie packte, und mit noch jugendlich unerschoepfter Hingabe an die Idee der Frauenbewegung leistete sie ihre Werbearbeit. Die Geschichte dieser Werbearbeit ist in anderen Schriften schon niedergelegt und es ist hier nicht die Stelle, um Stadt fuer Stadt anzugeben, die die begeisterten Frauen friedlich zu erobern suchten. Es war nicht immer nur Erhebendes, was sie erlebten, auch starke Abwehr, Unverstaendnis wurden ihnen zuteil, es fehlte auch nicht an tragikomischen Szenen, die die alte Frau noch lebhaft zu schildern wusste. So setzte der Wirt in einer damals noch kleinen Stadt die mutigen Pionierinnen mit einer - Kunstreitergesellschaft, die im gleichen Ort gastierte, zusammen, weil er dies vermutlich fuer eine besonders passende Gesellschaft hielt. Da es schwer war, eine Aussprache in Fluss zu bringen, die Frauen sich meist scheuten, ihre Ansichten oeffentlich zu sagen, hatten sich die Leipziger Veranstalterinnen bei einem auswaertigen Frauentag vorgenommen, aus ihrem Kreise selbst Fragen aufzuwerfen. Eine Weile hoerten die Zuhoererinnen das mit an, endlich verliess eine Anzahl den Saal, sie sagten, "die sind sich ja selbst nicht einig, zu was sollen wir uns den Streit anhoeren." Der Krieg von 1870/71 fiel in die erste Zeit des Werbens und Kaempfens. Ueber diese Zeit hat Henriette Goldschmidt einige kurze Anmerkungen gemacht, es heisst da: "Deutschland unter Preussens Fuehrung - der Staat, dessen ruhmreiche Geschichte ihm ein Recht zu dieser Stellung an Deutschland gab, es war, als stiege die Erfuellung, 'schoenste Tochter des groessten Vaters', endlich zu uns nieder." Und weiter schildert sie ihre Arbeit in dem Kriegswinter: "Den Aufschwung, den die Volksseele erhalten, fuehlten auch die Frauen. Er staerkte auch unsere Kraft fuer weitere Kaempfe auf unserem Arbeitsfelde. Es war im Kriegswinter 1870/71 und die Sorge um unseren zweiten Sohn, der als Arzt im Felde stand, machte auch mich ruhelos. Da fasste ich zur Ablenkung den Entschluss, eine zusammenhaengende Reihe von Vortraegen ueber die Stellung der Frau in den alten Kulturlaendern zu halten. Ohne rechtes Bewusstsein der Kuehnheit dieses Vorhabens, nicht geschuetzt durch die Tendenz unseres Vereins und seiner Bestrebungen, wagte ich es, in einer Kulturstadt wie Leipzig wissenschaftliche Vortraege zu halten, ohne eingehende Studien gemacht zu haben." Henriette Goldschmidt erarbeitete sich das Wissen fuer ihre Vortraege, sie vertiefte sich in das Frauenleben der Vergangenheit, fand nicht ueberall Verbesserung in der Gegenwart, sondern eher eine Niedrigerstellung der Frau bei manchen Voelkern. Ihre Vortraege fanden grossen Anklang, das staerkte ihre Zuversicht und ihren Mut, und sie hatte die Kuehnheit, Forderungen aufzustellen in ihren weiteren Vortraegen, wie sie damals noch ganz ungewoehnlich waren, so den in der Einfuehrung wiedergegebenen Ruf nach "Muettern der Stadt"; sie war es aber auch, die zuerst davon sprach, jede Frau haette die Pflicht, ein Jahr dem Staate zu dienen und soziale Arbeit zu leisten. In der gleichen Zeit, da Henriette Goldschmidt an ihren Vortraegen schrieb, fand sie ihr zweites grosses Arbeitsgebiet, eins, das sich ihr innerlich stets mit ihrer Pionierarbeit in der Frauenbewegung verband, weil es sich auf die Erziehung der Frau zu ihrem muetterlichen Beruf bezog; denn Henriette Goldschmidt hielt von Anfang an den erziehlich muetterlichen Einfluss der Frau fuer das Besondere, was die Frau ihrer innersten Veranlagung nach im Staatswesen zu leisten hatte. Sie schreibt: "Waehrend meiner Arbeit an den Vortraegen wurde ich immer mehr in der Meinung bestaerkt, dass die Frauenfrage nur im Zusammenhang mit dem Familien- und Volksganzen betrachtet werden muesse. Durch ein paar Zufaelligkeiten nun, die im Leben eines jeden Menschen eine bedeutsame Rolle spielen, wurde ich der Aufgabe zugefuehrt, die meinem Leben die Richtung geben sollte. Auf einem Wege in Leipzigs Strassen kam ich in eine Gasse in der Naehe der Weststrasse an ein kleines Haus, dessen Parterre die Inschrift: "Kindergarten" trug. Ich hatte wohl in Gespraechen manchmal, wenn auch selten, etwas von Kindergaerten, Froebelschen Beschaeftigungen reden hoeren, ohne der Sache besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Doch blieb ich einen Augenblick vor dem Hause stehen, klingelte und stieg einige Stufen hinunter in einen kellerartigen Raum. Denn wo haette damals ein Kindergarten anders ein Lokal finden koennen als in einem irgendwie ungehoerigen Raum? Eine junge Dame trat mir entgegen, freudig ueberrascht, dass jemand es der Muehe fuer wert hielt, sich nach dem Kindergarten zu erkundigen. Es war noch frueh morgens, die Kleinen waren noch nicht da und die Kindergaertnerin hatte Zeit, mir die Froebelschen Beschaeftigungsmittel zu zeigen. Sehr erstaunt sah ich sie an - ich fuehlte, hier ist ein Plan, ein System, eine Methode - bald aber kamen die Kleinen, die Kindergaertnerin stellte sie im Reigen auf und spielte mit ihnen einige Bewegungsspiele. Hier fuehlte ich nicht nur den Rhythmus, den Takt, die Harmonie, - ich fuehlte mit den Kindern die Freudigkeit, die sie beseelte - 'Freude schoener Goetterfunken, Tochter aus Elysium'. Sehr nachdenklich ging ich nach Hause, holte mir die Froebelschen Schriften aus der Universitaetsbibliothek, und in den Schriften Friedrich Froebels fand ich nicht nur den Plan fuer die Praxis des Kindergartens theoretisch begruendet - es war mir, als wehte ein Hauch des Geistes aus seinen Worten in meine Seele, als erschaute ich einen Schoepfungsakt, der ein neues, noch nicht dagewesenes Gebilde vor meinen Augen entstehen liess. Andacht erfuellte mich fuer das grosse Geheimnis der schoepferischen Urkraft, die ihr 'Es werde' der Welt verkuendet." Eine Offenbarung war Henriette Goldschmidt die Bekanntschaft mit Froebels Ideen, und sie hat oft es wieder und wieder gesagt, das Froebelsche Wort von der Menschheit pflegenden Bestimmung des Weibes, um derentwillen die Frau die gleiche geistige Durchbildung wie der Mann erhalten muesse. Sie ist darin nicht immer voll verstanden worden, und vielleicht geht erst in der Not und Verrohung unserer Zeit das volle Verstehen auf fuer die Wichtigkeit einer gemeinsamen Familien- und Volkserziehung, einer vertieften Durchbildung der Frauen aller Staende zu ihrem muetterlichen Berufe, und zwar einer Ausbildung vor oder nach einer Berufsschulung, sofern die Berufsbildung sich nicht auf den Erziehungsberuf gruendet, weil sich der erziehliche Einfluss der Frau durchaus nicht allein auf die Familie, sondern auf das Volksganze erstrecken soll. In dieser Zeit ihrer Beschaeftigung mit Friedrich Froebels Schriften las Henriette Goldschmidt einen Aufruf in der Zeitung von einem Mann, der alle einlud, die sich fuer die Kindergartenfrage interessierten. Sie ging hin, meinte in eine grosse Versammlung zu kommen und fand nur wenige Kindergaertnerinnen, die sich in Klagen ueber die Schwierigkeit ihres Berufes ergingen. Das war der Anstoss, der Henriette Goldschmidt veranlasste, den Verein fuer "Familien- und Volkserziehung" in Leipzig zu gruenden; am 10. Dezember 1871 fand die Gruendung mit etwa 150 Mitgliedern statt. Im Herbst 1872 konnte dann der Verein seinen ersten Volks-Kindergarten in der Querstrasse eroeffnen. Der Aufbau des Vereins vom Kindergarten bis zur Hochschule, die Gliederung der einzelnen Anstalten zu schildern, sei dem zweiten Teil dieser kleinen Schrift vorbehalten. Henriette Goldschmidt hatte mit dieser Gruendung sich nicht abseits von ihren Kolleginnen gestellt, denn ihr schmolz eben immer Frauenfrage und Erziehungsfrage zur Einheit zusammen, aber sie hatte doch ihren besonderen Weg eingeschlagen. Luise Otto-Peters und Auguste Schmidt wurden wohl Mitglieder des Vereins, aber es war doch kein eigentliches Mitarbeiten von ihrer Seite. Sie verloren aber Henriette Goldschmidts Arbeitskraft auch nicht; die damals beinahe fuenfzigjaehrige Frau stand auf der Hoehe ihrer Leistungsfaehigkeit. Sie war ihrem Manne weiter die verstaendnisvolle Gefaehrtin, an dem Ergehen und Ins-Leben-Treten der drei Soehne nahm sie echt muetterlichen Anteil; mit ihrer Schwester Ulrike, die in Berlin die "Viktoria-Fortbildungsschule" ins Leben rief, verband sie mehr als schwesterliche Zuneigung: eine auf gleichen Lebensansichten beruhende Freundschaft war es. Sie baute ihren Verein weiter aus; hielt Vortraege, so sechs unter dem Titel: "Ideen ueber weibliche Erziehung", die sie spaeter, als sie die 80 schon ueberschritten hatte, zu ihrem Buch erweiterte: "Was ich von Froebel lernte und lehrte." Sie erteilte in dem bald darauf gegruendeten Seminar fuer Kindergaertnerinnen Unterricht, unternahm Vortragsreisen fuer den Allgemeinen Deutschen Frauenverein und verstand es weiter, in ihrem Hause eine geistig belebte Geselligkeit zu pflegen. Dabei kam es der kleinen zierlichen Frau zugute, dass sie eine eisenfeste Gesundheit besass. Sie erzaehlte, dass sie um vier Uhr frueh schon aufgestanden sei, um fuer sich zu arbeiten - am Waschtisch schrieb sie ihre ersten Vortraege, da sie selbst keinen Schreibtisch besass. Abends hat sie es einmal fertig gebracht, ihrem Manne nach einem reichen Arbeitstag fuenf Stunden hintereinander vorzulesen. Bei der Arbeit an ihren Vortraegen erkannte Henriette Goldschmidt mehr und mehr die Luecken in ihrer Ausbildung, und mit eisernem Fleiss strebte sie, diese auszufuellen. Sie studierte - sie las nicht nur die grossen Paedagogen, vertiefte sich in Goethe, Kant, Humboldt, Schelling, Hegel, Fichte; sie las Geschichte und Literaturgeschichte, suchte auf jedem Gebiet ihr Wissen zu erweitern, ihr ausserordentliches Gedaechtnis kam ihr zur Hilfe, sie schrieb ganze Buecher voll von Ausspruechen nieder, schrieb oft ihre eigenen Gedanken dazu; so steht da z. B. unter dem Worte Herbarts: Geschichte, _die_ man lernen soll, ist ganz verschieden von Geschichte, _aus_ der man lernen soll: "Zunaechst muss man Geschichte lernen, spaeter erst in einem Alter, wo man Geschichte kennt, laesst sich _aus_ ihr lernen." Oder sie stellt sich selbst nachdenkliche Fragen wie: "Hat es Sinn, die Kraft zu ruehmen und im Gefuehl der Schwaeche mit sich zufrieden zu sein?" Es war ein geistiges Erarbeiten, ein Ringen um Wissen, das diese Frau auch im Alter nicht verlor, sie war immer im besten Sinne eine Arbeiterin an sich selbst, so wie sie eine Arbeiterin fuer andere war. Ihr Geist ging weite Wege, aber sie wusste auch das Schoene zu geniessen, das sich ihr darbot, ohne dabei je um eines Genusses willen ihre freiwillig auf sich genommene Arbeitsverpflichtung zu versaeumen. Sie erzaehlte, dass sie einmal auf einer Reise nach Gastein, bei der ihr Mann sich unwohl fuehlte, sich selbst Vorwuerfe gemacht habe ueber die unbeschreibliche Freude, die sie beim Anblick der grossen Natur ergriff. Ueberhaupt war es die grosse Natur, deren Anblick sie begeisterte, sie sagte selbst, fuer das Idyll haette sie nicht so viel Sinn. So stand ihr auch Goethe weniger nahe, so tief sie sich in ihn eingelebt hatte, als Schiller, dessen schwungvolle glaenzende Sprache sie immer wieder begeisterte. Das schoenste Land war ihr die Schweiz; Italien, das sie erst in spaeteren Jahren kennen lernte, gab ihr weniger, freilich machte sie die Reise aber auch unter fuer sie aeusserlich unguenstigen Umstaenden, bedrueckt durch eine lange Krankheit einer Enkelin. Den staerksten Eindruck als Stadt hinterliess ihr Paris, das sie in Begleitung ihres Mannes und einer Schwestertochter Ende der siebziger Jahre aufsuchte. Auch hier war es wieder ihr nach Verbindung forschender Geist, der sie antrieb, die Graeber Heines und Boernes zu sehen. Sie schreibt ueber den Besuch des _Pere la Chaise_ und Boernes Grab: "Nun aber noch einen Weg zu den 'Traeumen meiner Jugend': 'Boernes Grab, gesegnet seist du mir!' Ein wundervolles Reliefbrustbild mit einem so schoenen und sinnigen Ausdruck wie keines der mir bekannten Bilder schmueckt seine Grabstaette. Wie gut, dass ich nicht frueher meinen Baedeker gelesen, als auf dem _P. la Chaise_. Meine Nichte, die eigentlich eine preussische Obertribunalratstochter und kein Judenmaedchen aus Krotoschin ist, hat dennoch das reiche, unsagbar kampfreiche Leben ihrer Mama so in sich aufgenommen, dass sie auch mit mir die ganze Bedeutung fuehlte, die fuer mich in dem Anblick dieser Grabstaette lag. Schon des Morgens sagte sie: Wir nehmen ein Bukett fuer Boerne mit, - und als sie ein sehr schoenes von Heliotrop und gelben Rosenknospen in einem grossen Papier ohne die bei uns so beliebten Spitzenmanschetten, die ich in Paris gar nicht gesehen, brachte, sagte sie: Tante, schreib' doch was hinein. - Ich schrieb etwas von der Verbruederung des franzoesischen und deutschen Volkes, die er getraeumt und die doch zur Wahrheit werden muesse - und als ich an seinem Grabe stand, da sah ich unter einer Bueste, die von David d'Angers herruehrt, Frankreich und Deutschland sinnbildlich dargestellt, durch die Freiheit vereinigt. - So stand's im Baedeker und so hatte ich es dem Kuenstler nachgefuehlt. Neben den Statuen, Frankreich und Deutschland in schoenen Frauengestalten, sind neben der franzoesischen die Namen der franzoesischen Dichter: Voltaire, Rousseau, Lamennais - neben der deutschen: Lessing, Herder, Schiller, Jean Paul, eingraviert. - Ich wollte in die Nische das Bukett legen, konnte es aber nicht erreichen. Ein gewoehnlicher Arbeiter in der Bluse, der dort beschaeftigt war, trat heran und legte es hin: _C'etait un poete allemand - je le sais - il nous a tant aime._ -" Henriette Goldschmidts Reisewuensche blieben aber in der Hauptsache unerfuellt, von ihrer Kindheit an sehnte sie sich, Palaestina und Amerika zu sehen: die Heimat ihres Volkes und das Land der Freiheit; sie kam nicht hin; die bescheidenen Verhaeltnisse, in denen sie nach ihrer Verheiratung lebte (ihr Vater hatte den groessten Teil seines Vermoegens verloren), und die Grosszuegigkeit, mit der sie ihre Kraft und ihre Arbeit fuer ihre Ziele dahingab, gestatteten ihr den Luxus solcher Reisen nicht. Aber das Reisen an sich blieb ihr stets ein Genuss, sie scheute auch im hohen Alter die Anstrengung nicht; 1913 reiste sie zum letztenmal fuer einige Sommerwochen nach Friedrichroda. Wie wenig sie Ermuedung fuehlte, beweist ein Wort, das die beinahe 79jaehrige Frau sprach, als sie von einem Frauentag in Koeln heimkehrte. Sie war die Nacht ueber gefahren - nicht etwa im Schlafwagen - hatte in Koeln anstrengende Tage durchgemacht und sagte heiter, als sie aus dem Zuge stieg: "So eine Nachtfahrt ist doch recht erfrischend." Nachdem sie 1906 aus dem Vorstand des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins ausgetreten war - Luise Otto-Peters starb 1892, Auguste Schmidt folgte ihr 1902 - gedachte sie ihre Arbeitskraft nun ausschliesslich ihren Anstalten zu widmen, sie dachte an einen leisen Abbau ihrer Taetigkeit, sah die von ihr gegruendeten Anstalten damals in den festen, sicheren Haenden von Dr. Agnes Gosche; aber es kam noch einmal eine grosse Arbeitswelle, in die sich Henriette Goldschmidt mit ganz jungem Eifer stuerzte. Nach ihrem 80. Geburtstag war sie schwer erkrankt, sie meinte, nun kaeme das Alter, als sie ploetzlich das Ziel, das sie bisher nicht erreichen konnte, die Gruendung einer Hochschule fuer Frauen - aehnlich, nur erweitert, wie sie einst Malvida von Meysenbug gedacht hatte - mit der Tendenz "dem muetterlich-erziehlichen Beruf der Frau die wissenschaftliche Weihe zu geben," erreichbar vor sich sah. Ein Leipziger Freund, Geheimrat Hinrichsen, stellte die Mittel zur Verfuegung, und, obwohl schon im fuenfundachtzigsten Jahre stehend, begann Henriette Goldschmidt noch einmal so ruhelos und zielbewusst zu arbeiten wie in der Jugend. Sie fand in Dr. Johannes Pruefer einen tatkraeftigen umsichtigen Helfer, und so konnte am 29. Okt. 1911 die Hochschule eroeffnet werden. - Es war erreichte Lebenshoehe, wie sie wenigen Menschen beschieden ist. Da Henriette Goldschmidt ganz und gar Autodidaktin war, sich selbst zu dem gemacht hatte, was sie war, ist es begreiflich, dass in ihrer Arbeitsweise auch eine gewisse Eigenwilligkeit lag, nicht immer ganz bequem fuer ihre Mitarbeiter. Sie hatte dabei aber immer nur das Werk an sich vor Augen; sie lebte nur - war es der Allgemeine Deutsche Frauenverein oder der Verein fuer Familien- und Volkserziehung - den Zielen, die sie sich gesteckt hatte. Da wurde ihr manchmal als Eigenwille ausgelegt, was im Grunde doch nur selbstlose Hingabe an das Werk war. Freilich war sie, wie es Menschen sind, die ihr Leben selbst gemodelt haben, die nicht nur aus sorgsam bereitgehaltenen Gefaessen trinken, sondern an die Tiefen der Quellen hinabsteigen, nicht immer nachgiebig. Sie ging wohl in Besprechungen bei Fragen, die ihr fuer das Ganze belanglos erschienen, ruecksichtslos zur Tagesordnung ueber, aber sie war doch keine Natur, die nur Jasager wollte, im Gegenteil wuerdigte sie ein freies Neinsagen. Sie schaetzte einen logisch begruendeten Widerspruch sehr, gab viel juengeren Menschen nach, wenn sie die Gegengruende einsehen konnte, und besass die Groesse, die nicht viele Menschen haben, begangene Fehler einzugestehen. Da wurde es ihr auch zum Beispiel ihrer juengeren Freundin, ja selbst ihrem Hausmaedchen gegenueber nicht schwer, den ersten Schritt zur Verstaendigung zu tun und von ihrem Irren zu sprechen. Dieser grosse Zug ihres Charakters war es zumeist, der ihr im hohen Alter neben ihrem reichen Wissen das gab, was man als "weises Darueberstehen" bezeichnen kann. Es ging, besonders in ihren Altersjahren, in denen die intensive Tagesarbeit sie nicht mehr wie sonst vollkommen in Anspruch nahm, selten jemand von ihr, dem sie nicht in kurzem Gespraech etwas gab. Ihre Briefe trugen bis zuletzt das persoenliche Gepraege ihres Geistes, die Anmut im Ausdruck, die aus einer vergangenen Zeit stammte und die etwas an die Frauen der Romantik erinnerte. Innere Treue, die man nicht mit aeusserlichem Darandenken verwechseln muss, gehoerte zu Henriette Goldschmidts besonderen Eigenschaften, so blieb sie auch im tiefsten Grunde den fuehrenden Geistern treu, denen sie, wie sie erkannte, ihre innere Entwicklung verdankte. Zu ihnen gehoerte besonders Friedrich Froebel, und um ihn hat sie gelitten, wie wohl wenige um Meister leiden. Sie sagte manchmal tief schmerzlich von den neuen Frauen in der Frauenbewegung: sie verstehen die "alte Froebeltante" nicht, und sie hatte damit nicht ganz unrecht. So richtig in ihrem Wollen ist Henriette Goldschmidt nicht immer verstanden worden. Selbst nicht von den Froebelianern, weil sie zu sehr in allem die Idee, die dem Froebelschen System zugrunde liegt, betonte, und manches darum als nichtig abtat, was anderen eben gerade als wichtig erschien. Sie selbst hatte durchaus kein Talent zur Kindergaertnerin, haette es nie werden koennen. Verstanden hat sie darin Berta von Mahrenholtz-Buelow, die Henriette Goldschmidt den Apostel Froebels nannte, und auch Frau Dr. Jenny Asch in Breslau. Berta von Mahrenholtz-Buelow, geb. 1810, die noch in regem Verkehr mit Friedrich Froebel selbst gestanden hatte und dessen Ideen weit ueber Deutschland hinaus Verbreitung gab, hatte 1849 in Bad Liebenstein Froebel zum erstenmal mit den dortigen Kindern spielen sehen und gleich das Wort gesagt: "Der Mann wird ein '_alter Narr_' von den Leuten genannt! Vielleicht ist er einer von den Menschen, die von ihren Zeitgenossen bespoettelt und gesteinigt werden und denen die Nachwelt Denkmaeler errichtet." Es kann hier bei dem kleinen Umfang der Schrift nicht auf das naehere Verhaeltnis zwischen den beiden Frauen eingegangen werden; Henriette Goldschmidt hat der Frau, die sie ihre Lehrerin nannte, in Vortraegen und in der Schrift: "Berta von Mahrenholtz-Buelow, Leben und Wirken" (Hamburg 1896) ein Denkmal gesetzt. Wie sehr die Ideengaenge der beiden Frauen zusammenklangen, beweist das Wort von Berta von Mahrenholtz: "Mit der Erhebung des Kindeswesens ist auch die Erhebung der Frau vorhanden. Mit dieser Weihe der Erzieherin der Menschheit ist alles verknuepft, was die Frau einsetzt in das volle Recht der Menschenwuerde." Henriette Goldschmidt aber praegte sich als Leitwort fuer ihre Arbeit: "Der Erziehungsberuf ist der Kulturberuf der Frau." Und diesem Worte folgte sie, es beherrschte zuletzt ganz ihr Tun, und sie ueberwand in der festen Zuversicht, den richtigen Weg zu gehen, auch Schwierigkeiten, sie war ganz eins mit ihrer Idee, hatte wirklich aus den vielen Wegen, die sich nach und nach, anfangs langsam, dann immer rascher den Frauen auftaten, den Weg gefunden, der ihrer Veranlagung, ihrer ganzen Geistes- und Gemuetsrichtung entsprach. 6. Ausklang. Auch dunkle Schatten sind ueber den Lebensweg von Henriette Goldschmidt geglitten; der Vater verlor einen grossen Teil des Vermoegens, eine Schwester war immer leidend, 1889 starb ihr Mann, Dr. Goldschmidt, nach langem Leiden, treu von ihr gepflegt. Eine wirklich glueckliche Ehe riss damit auseinander, und nach einigen Jahren erlebte die vereinsamte Frau den grossen Schmerz, den aeltesten, geliebten Stiefsohn Julius ganz ploetzlich zu verlieren. Auch die geliebte Schwester und Gesinnungsgenossin Ulrike starb vor ihr. Sie stand aber damals noch mitten in der Arbeit, und die Arbeit trug sie immer wieder aus dem Leidenstal empor. Bei einem Alter, wie es Henriette Goldschmidt erreicht hat, bei dieser Intensivitaet des Lebens fragt man sich unwillkuerlich, wann begann diese Frau die hohe Altersgrenze zu ueberschreiten, wann konnte man von wirklichem Altwerden sprechen? Denkt man dieser Frage nach, so kommt wohl allen denen, die sie wirklich genau gekannt haben, und das sind zuletzt nur wenige gewesen, die Antwort: Bei Ausbruch des Weltkrieges. Nicht erst, als die Entbehrungen des Krieges begannen, sondern in den ersten Augusttagen von 1914. Fuer Henriette Goldschmidt brach da das hohe Ideal der Voelkerversoehnung, an das sie, eine ueberzeugte Pazifistin, stets geglaubt hatte, zusammen. Sie sah nicht mehr eine friedlich fortschreitende Entwicklung aller Voelker vor sich, sie sah die gewaltsame Zertruemmerung eines hohen Standbildes. Von da an wurde sie alt. Sie leitete noch eine Weile den Verein fuer Familien- und Volkserziehung, dann legte sie den Vorsitz nieder. Wohl wohnte sie noch weiter den Sitzungen des Vorstandes bei, zeigte bis zuletzt Interesse an allen Anstalten, aber es war doch ein langsames, vielleicht nur den Eingeweihten spuerbares Sichlosloesen von ihrer Lebensarbeit. Dazu kam Kummer in der Familie. Die Tragik des hohen Alters, das Ueberleben einer juengeren Generation blieb auch ihr nicht erspart. Ihr zweiter Sohn starb, liebe Freunde gingen dahin. Ihren neunzigsten Geburtstag beging sie aber doch noch in einem grossen Freundeskreis. Ihr juengster Sohn, Enkelkinder und vor allem die geliebten Nichten kamen, ihre Pflegetochter Julia, die Tochter ihres Bruders, und die Toechter ihrer Schwester Ulrike, von denen die aeltere, Margarete Henschke, die von ihrer Mutter gegruendete Viktoria-Fortbildungsschule in Berlin weiterfuehrt. An diesem Tage war es wirklich, wie es ein Kuenstler gesagt hatte: "Es kann in wenigen Stunden in diesem Gesicht ein Unterschied von vierzig Jahren sich zeigen." Mit der ihr eignen geistvollen Anmut beantwortete sie die Glueckwuensche der zahlreichen Abordnungen. Von frueh bis abends war es ein Kommen und Gehen, sie erfuhr tiefste Liebe, ebenso Anerkennung von Behoerden und Vereinen, es war wirklich noch einmal, trotz des Krieges, ein Tag voll Sonne in ihrem Leben. Selbst die greise Grossherzogin von Baden sandte ihre Glueckwuensche. Aber dann senkten sich die schwarzen Schatten tiefer. Das Schicksal Deutschlands, die lange Dauer des Krieges bedrueckte sie tief. Nicht die Entbehrungen, die der Krieg mit sich brachte, lasteten auf ihr, sie sah des Vaterlandes Zukunft dunkel verhuellt, sagte oft: "Es sind zu viele gegen uns." Oft sagte sie auch: "Wenn alle diese ungezaehlten Millionen, diese angesammelte Kraft fuer den Ausbau sozialer Einrichtungen verwendet werden wuerde, wie gluecklich koennten viele, viele leben!" Und dann kam die truebe Wendung in Deutschlands Schicksal. Und kurz vor dem Ausbruch der Revolution erlebte die alte guetige Frau noch den herbsten Schmerz, der ihr werden konnte, sie verlor die geliebte Pflegetochter Frau Dr. Julia Kalbfleisch an der Grippe. In den ersten Stunden nach dem Eintreffen der Nachricht war es wie ein Aufbaeumen der alten Kraft gegen das unbarmherzige Schicksal; es lohte im Schmerz noch einmal das alte Feuer der Jugend auf, dann wurde Henriette Goldschmidt still und gelassen. Und die Revolution, die wenige Tage spaeter ausbrach, zog sie wieder, wie vielfach grosse politische Ereignisse es getan, von ihrem Ich ab, und noch einmal war es das grosse Weltgeschehen, das sie in tiefster Seele erschuetterte. Aber der Glanz von Achtundvierzig lag fuer sie nicht auf den trueben Novembertagen von 1918, die Deutschland, die das von ihr so heiss geliebte Vaterland der Willkuer der Feinde preisgaben. Ihr waren diese Tage keine Erhebung, denn sie sah in ihnen keinen Fortschritt, sie verstand ihre Ursachen, aber sie erblickte keinen Aufschwung. Und als sie sah, wie langsam so vieles verworfen wurde, das mit innerster Hingabe in freiwilliger selbstloser Arbeit aufgebaut worden war, ergriff sie Angst um den Bestand ihres Lebenswerkes. Da war es ihr eine trostreiche Freude, dass gerade in dem Revolutionswinter es dem Verein fuer Familien- und Volkserziehung gelang, in einem eignen Hause ein Kindertagesheim zu eroeffnen, das ihren Namen trug. Sie sah darin ein Vorwaertsschreiten; den Grundstock hatte eine Sammlung zu ihrem 90. Geburtstag ergeben, Freunde hatten weiter geholfen, so konnte denn in dem trueben Winter 1918/19 das Heim fuer neunzig Kinder seine Pforten auftun. Auch die Freude ward ihr noch zuteil, dass die Leitung der Anstalt, die am staerksten ihre persoenliche Praegung trug, der Froebel-Frauenschule, wenn auch nur fuer wenige Jahre in die Haende ihrer Lieblingsschuelerin, Marie Luise Schumacher, ueberging. An Sonntagnachmittagen sammelten sich um ihren Tisch noch immer liebe Freunde, die Tochter ihres Bruders wohnte zu ihrer Freude in Leipzig, ein Freund aus alter Zeit sass noch allsonntaeglich in dem behaglichen altmodischen Zimmer; im Hause lebten noch immer Menschen, die sich ihr zugehoerig fuehlten. Das Haus, es heisst jetzt "Henriette-Goldschmidt-Haus", in der Weststrasse in Leipzig, gehoerte dem Verein, und sie war, wie sie frueher scherzend sagte, lange Jahre in der schwierigen Stellung, Mieterin und zugleich Hauswirtin zu sein. Eine alte treue Hausmannsfrau hatte einmal gesagt: "Bei uns ist alles wie eine Familie". So war es auch, die kleine weisslockige Frau war des Hauses Seele und Mittelpunkt. Kurz vor ihrem 94. Geburtstag erlitt Henriette Goldschmidt einen schweren Unfall in ihrer Wohnung, sie erholte sich aber ueberraschend schnell und verlebte das Weihnachtsfest, zu dem wieder die Nichten aus Berlin gekommen waren, heiterer als im vergangenen Jahre. Es war eine grosse Sonnensehnsucht in der alten Frau lebendig. Wie oft stand sie am Fenster neben ihrem Schreibtisch und sah still in die sinkende Sonne, still und feierlich sah sie den Glanz am Himmel kommen und vergehen. Ein sonniger Januartag lockte sie zum erstenmal wieder ins Freie, und sie war ueber den Spaziergang und die helle Schoene an dem Tag fast kindlich froh. Doch schon in der Nacht stellte sich Fieber ein, und wenige Tage spaeter, in der ersten Fruehe des 30. Januar 1920, starb Henriette Goldschmidt, starb ein grosser, guetiger, warmherziger Mensch. Ein sanftes, fast heiteres Hinuebergehen war es in die unbekannte Weite, in ihren Krankheitstagen, die schmerzlos waren, liess sie sich noch Boerne vorlesen und besprach noch die politischen Ereignisse des Tages. Es war eine seltene Lebensvollendung. An ihrem Sarg sprach als letzte ihre Lieblingsschuelerin das Goethewort, das sie besonders liebte und wenige Tage vorher selbst ausgesprochen hatte, und das in dem Einklang steht zu ihrem ganzen Wesen, wie sie ihn in allen Erscheinungen des Lebens zu finden suchte: "Wie an dem Tag, der dich der Welt verliehen, die Sonne stand zum Grusse der Planeten bist alsobald und fort und fort gediehen nach dem Gesetz, wonach du angetreten. So _musst_ du sein, dir kannst du nicht entfliehen, so sagten schon Sybillen, so Propheten; und keine Zeit und keine Macht zerstueckelt gepraegte Form, die lebend sich entwickelt." HENRIETTE GOLDSCHMIDTS SCHAFFEN 1. Die geistigen Grundlagen ihrer Arbeit. a) Anfaenge der Frauenbewegung. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts setzte in der deutschen Frauenwelt eine Bewegung ein, die im Jahre 1865 zur Gruendung des "Allgemeinen Deutschen Frauenvereins" fuehrte. Ausser Luise Otto-Peters und Auguste Schmidt hat wohl kaum eine andere der damaligen Frauen von Anfang an die hohe Bedeutung der neuen Bewegung fuer unsere Gesamtkultur so scharf erkannt wie Henriette Goldschmidt. Kaum eine andere aber hat sich auch so begeistert in den Dienst der neuen Ideen gestellt wie sie. Vor allem war es ein Gedanke, der sie erfuellte, ein Gedanke, den der "Allgemeine Deutsche Frauenverein" auch mit in sein Programm aufgenommen hatte und den Henriette Goldschmidt bis ans Ende ihrer Tage immer und immer wieder zum Ausdruck brachte, naemlich der: _Die Arbeit ist die Grundlage unserer Kultur, die Arbeit ist da__her Pflicht und Ehre des weiblichen Geschlechts. Alle Hindernisse muessen beseitigt werden, die dem im Wege stehen._ - Also in vollem Umfange die _schaffende Mitarbeit der Frau an unserem Kulturleben zu ermoeglichen_, das ist das hohe Ziel, das ihr vorschwebte. Um das zu erreichen, war es zunaechst noetig, der Frau die *Rechte* zu verschaffen, die die _Voraussetzungen_ fuer diese Mitarbeit sind, die Rechte, die der Mann von jeher besessen hatte, die aber der Frau bis dahin vorenthalten worden waren. Es seien hier nur genannt: das Recht zum Besuch aller Lehr- und Bildungsanstalten einschliesslich der Universitaet, das Recht zur Uebernahme oeffentlicher Aemter, das aktive und passive Wahlrecht in Gemeinde, Kirche und Staat u. dgl. Fuer all das hat Henriette Goldschmidt mit gekaempft. Erwaehnt sei in diesem Zusammenhang nur ihr temperamentvoller Vortrag ueber "_Rechte und Pflichten der Frauen in Gemeinde und Staat_", den sie 1873 auf der Stuttgarter Generalversammlung des "Allgemeinen Deutschen Frauenvereins" hielt. Im Jahre 1875 sprach sie in Gotha ueber das gleiche Thema unter Beschraenkung auf das Gemeindeleben und verlangte hier die Mitwirkung der Frau bei der Sittenpolizei, in Armen- und Arbeitshaeusern, Gefaengnissen usw. Aber sie hat ihrem Geschlecht diese Rechte nicht erringen wollen um dieser Rechte selbst willen - nicht "weil der Mann sie hat, muss die Frau sie auch haben" - nicht Selbstzweck war ihr der Kampf ums Frauenrecht, sondern, wie den besten der Fuehrerinnen der Frauenbewegung, war ihr dieser Kampf ums Recht stets nur _Mittel zum Zweck_, nur Vorbedingung fuer die Verwirklichung jener grossen Idee _der Mitarbeit der Frau an der Kultur der Menschheit_. Ihr war die Frauenfrage in erster Linie eine Kulturfrage. Es war daher kein Zufall, dass ihr erster oeffentlicher Vortrag in Leipzig (1867) dies schon im Titel zum Ausdruck brachte. "_Die Frauenfrage eine Kulturfrage_" lautete das Thema. Insbesondere war es die Stellung der Frau innerhalb der buergerlichen Gemeinde, die sie in dem Vortrage behandelte, und sie wies vor allem auf die unberechtigte und schaedliche "Nichtbeachtung der Kraefte der Frau" hin. Ihr damaliger Vortrag gipfelte in den Worten, die sie seitdem oft und gern wiederholt hat: "_Wir haben wohl Vaeter der Stadt, wo aber sind die Muetter?_" "Wo sind die Muetter?" schreibt sie in ihrem letzten Aufsatz, den sie anderthalb Jahr vor ihrem Tode verfasste(2), "Wo sind die Muetter? _Hier ist der Schluessel fuer meine Stellung in der Deutschen Frauenbewegung._" Die "Haelfte der Menschheit" - das gesamte Frauengeschlecht - war bisher von der bewussten Mitarbeit an der Kultur ausgeschlossen. _Was ist Kultur?_ - Der Niederschlag, das Ergebnis der unaufhoerlich schaffenden und gestaltenden Kraefte der menschlichen Seele. Die Kultur ist das Schoepfungswerk der Menschheit, die aeussere Darstellung ihres innersten Wesens. Da bisher die Kulturarbeit fast ausschliesslich vom Mann geleistet wurde, traegt sie vorwiegend maennliche Zuege, sie ist fast ausschliesslich ein Ausdruck, ein Abbild der maennlichen Seele. Die spezifisch maennlichen Seelenkraefte haben sich in ihr ausgewirkt. Das wird uns im allgemeinen gar nicht bewusst, weil wir es nicht anders kennen. Bei einigem Nachdenken aber wird man sich der Erkenntnis nicht verschliessen koennen, dass die maennliche Seele nicht das Ganze der Menschheit darstellt. Jedem Geschlecht sind Grenzen gezogen. Das Ganze der Menschheit ergibt sich erst aus maennlicher und weiblicher Seele zusammen. Die Idee einer vollkommnen Menschheitskultur verlangt daher mit innerer Notwendigkeit die ungehemmte Entfaltung der maennlichen und weiblichen Seele, die gleichberechtigte Mitarbeit beider Geschlechter an der Kultur. Erst dann werden die feinsten und tiefsten Anlagen und seelischen Moeglichkeiten, die in der Menschheit schlummern, sich _im Leben darstellen_, das Leben erhoehen und veredeln. Das _spezifisch Weibliche_ nun, das es zu entfalten und zu staerken gilt, erblickt Henriette Goldschmidt in dem _Pflegesinn_, in dem muetterlichen Instinkt, der sich helfend und schuetzend allem Werdenden, allem Schwachen und Kranken zuwendet. Hier unterscheidet sich die weibliche Seele am staerksten von der maennlichen. Dem weiblichen Geschlecht diese seine Eigenart _zum Bewusstsein zu bringen_, ist die naechstliegende Pflicht der Fuehrerinnen. Und dann _Freiheit_ fuer die Betaetigung dieses Instinkts! Ungeahnte Kraefte werden sich dann aus der weiblichen Seele heraus entwickeln, und unsere Kultur wird reicher und schoener denn je. Henriette Goldschmidt glaubte an den Genius der Menschheit, wie nur je ein Idealist an ihn geglaubt hat. Die Frauenfrage war ihr daher fuer den Augenblick die wichtigste Kulturfrage ueberhaupt, ein bedeutsamer Schritt in der Gesamtentwicklung des Menschengeschlechts, der Anfang einer neuen Kulturepoche. Nicht dass sie geglaubt haette, diese andere Zeit muesse oder koenne bereits morgen oder uebermorgen beginnen. Dazu war sie zu klug und besass zu viel Einsicht in historisches Geschehen. Aber den _Glauben_ hatte sie an eine bessere - ferne Zukunft. _Wie_ sie zur Frauenfrage stand, kann man am besten erkennen, wenn man sie einmal selbst hoert, und zwar nicht nur in einigen herausgerissenen Zitaten, sondern in groesserem Zusammenhang. Darum sei im folgenden ein geschlossener Gedankengang - unter Weglassung unwesentlicher Einschaltungen - wiedergegeben aus der Rede "_Die Frauenfrage innerhalb der modernen Kulturentwicklung_," die Henriette Goldschmidt am 27. September 1877 auf dem Frauentag in Hannover gehalten hat. Die Rede ist nur in wenig Exemplaren noch vorhanden, verdient aber vor voelliger Vergessenheit bewahrt zu werden, zumal sie zu dem Reifsten und Schoensten gehoert, was uns Henriette Goldschmidt hinterlassen hat: "Wie eine hoehere als menschliche Macht in allen Ereignissen wirkt, so liegen jeder menschheitlichen Frage tiefere Ursachen zugrunde, als die aeusserlich wahrnehmbaren. Das Gesetz ueber uns und das Gesetz in der Geschichte leitet, ja gebietet uns und wir befolgen nur die Gesetze, wir beherrschen sie nicht. Wie waere es sonst moeglich, dass einige Frauen ohne Rang und Reichtum, ohne glaenzende Namen eine anregende Kraft ausgeuebt haetten, die eine so hochbedeutsame Frage fuer ganz Deutschland in Fluss gebracht? Wie waere es zu erklaeren, als aus einem _inneren_ Gesetze, das uns oft gegen unsern eigenen Willen, gegen unsere Neigung ergreift, dass Frauen, die nie daran gedacht, ihren haeuslichen Wirkungskreis zu verlassen, sich ploetzlich gedraengt fuehlen, hinauszutreten und sich und ihren Namen dem unzuverlaessigen, wenigstens dem unberechenbaren Urteile der Menge preiszugeben? Ja, wie waere das groessere Wunder zu erklaeren, dass diese Frauen nicht dem Fluche des Spottes und der Verkennung anheimfielen, sondern dass sie in Staedten persoenlich ganz unbekannt, Schutz und Schirm in der Heiligkeit der Sache fanden, die sie vertreten?! Ja, nicht nur Schutz und Schirm, empfaengliche Herzen, begeisterungsvolle Teilnahme kam uns ueberall, im Sueden und Norden unseres Vaterlandes entgegen, und an jedem Orte, an dem der Allgemeine deutsche Frauenverein bisher tagte, hat er eine Staette errichtet, an welcher sittlich ernste, von Menschenliebe erfuellte Genossinnen im Dienste der Frauenbildung und Frauenarbeit taetig sind. So sehr man sich bemueht hat und so sehr man noch bemueht ist, gerade die Frauenfrage im Gegensatz zu unsern natuerlichen und Kulturbedingungen hinzustellen, so ist doch nichts destoweniger _dasselbe Gesetz in ihr taetig, das alle menschlichen Verhaeltnisse bestimmt_. Dieses Gesetz, das unsere allgemeinen und besonderen Verhaeltnisse regelt, duerfen wir wohl das Gesetz fortschrittlicher Entwickelung nach den gegebenen natuerlichen Bedingungen nennen: _Die Natur hat fuer alle Wesen das Gesetz des Seins, der Existenz gegeben. Aber wenn selbst Naturwesen sich stetig entwickeln, wie sollen wir als Menschen nicht in einem hoeheren Sinne einer Fortentwickelung beduerfen!_ Und die Geschichte belehrt uns, dass wir uns in einer fortschreitenden Entwickelung befinden. Diese Entwickelung ist abhaengig von der Kultur der Zeit, des Volkes und von tausend unberechenbaren Einfluessen. Ist es auch unmoeglich, selbst die erkennbaren Faktoren in einem Vortrage zu kennzeichnen, so glauben wir nicht zu irren, wenn wir auch hier alle Einzelerscheinungen auf ein Gesetz zurueckfuehren, das sich im Laufe der Jahrhunderte erkennbar herausgearbeitet hat und unsere Entwickelung bestimmt. Im Gegensatz zu der Auffassung der antiken Kulturvoelker heisst das Gesetz moderner Kulturentwickelung: "_Das Recht der Persoenlichkeit nach individueller Freiheit._" In der antiken Welt fand der Einzelne in der Familie, in der Gemeinde, im Staate die Wuerde seiner Persoenlichkeit. Der Einzelne hatte nur Wert und Bedeutung im Zusammenhange mit der Familien- und Volksgenossenschaft. In Griechenland und Rom war es der Staat, der dem Einzelnen Wert und Gepraege verlieh, der Staat, dem jeder Buerger seine Persoenlichkeit ganz und voll hingab: im biblischen Altertum das Volk und sein Verhaeltnis zu Gott, die religioese Idee, die dem Einzelnen zur idealen, ihn erfuellenden Lebensaufgabe wurde. Aus diesem Prinzip ergab es sich mit Notwendigkeit als eine Pflicht gegen Volk und Staat und Gott, _eine Familie zu begruenden_, und mit dieser Pflicht wurde es umso strenger genommen, je staerker das Volksbewusstsein war. Erst in den spaeteren Zeiten des kaiserlichen Rom, in den Zeiten des Verfalls der Sitten und der altroemischen Geschlossenheit des Lebens begann auch die Ehelosigkeit. _Diese Auffassung bestimmte auch die Stellung der Frau in der alten Welt._ War der Mann nur im Zusammenhang mit dem Familien-, Volks- und Staatsganzen eine Persoenlichkeit, wie sollte die Frau sich anders als im Zusammenhange mit der Familie denken koennen? Im Familienverband waltete ja ueberdies noch sichtbarer als im Staatsverband die unbezwingliche Macht der Naturgesetze, und naturbestimmt fuer die Ehe, fuer die Familie dachte man sich nicht nur die Frau, sondern auch den Mann. Ja, die Strenge der Verpflichtung zur Heirat, zur Begruendung einer Familie richtete sich nur gegen den Mann, und Strafen gegen unverheiratet gebliebene Maenner waren in allen antiken Kulturstaaten festgestellt. Wurde demnach das eheliche Verhaeltnis als ein Pflichtverhaeltnis aufgefasst, so ergab es sich von selbst, dass die Neigung eine untergeordnete Rolle spielte, ja, fast gar nicht in Betracht kam. Waehrend - und ich erlaube mir, diesen Punkt ganz besonders Ihrer Beachtung zu empfehlen - _waehrend unsere Dichtungen es fast ausschliesslich mit den Konflikten des Herzens in Ruecksicht auf die Gattenwahl zu tun haben, erzaehlen uns die Dichtungen des so hoch kultivierten griechischen Volkes wenig oder nichts von einem Konflikt des in unserer Zeit so eigenwillig gewordenen Herzens der Jugend gegen die von den Eltern oder Vormuendern bestimmte Gattenwahl_. Die griechischen Tragoedien, diese Meister- und Musterwerke, haben es mit den erschuetterndsten Kaempfen innerhalb der Familie, _nicht mit dem Liebesleben und -leiden_ jugendlicher Gemueter zu tun. In unserer Zeit hat die Ehe nicht das Zwingende eines Natur-, Staats- oder Religionsgesetzes, sie wird nicht im Interesse einer zu gruendenden Familie geschlossen, sie soll _ein freies Buendnis zweier __Menschen in Liebe_ sein, durch nichts bestimmt als durch die eigene freie Entschliessung. Wir sehen, durch welche Gegensaetze wir uns durchkaempfen muessen. Aus der idealen Auffassung des Verhaeltnisses der Geschlechter, aus der freien Entfaltung des Gemuetslebens, wie sie das Altertum nicht kannte, ergibt sich eine Frage von so materieller Art, von so prosaischem Charakter, wie sie gleichfalls das Altertum nicht kannte. Denn war Mann und Frau naturbestimmt fuer die Ehe, war namentlich das Leben der Frau nur denkbar in der Familie, so war bei der Einheitlichkeit und Geschlossenheit des antiken Lebens die Notwendigkeit anerkannt, dass die Familie der verlassenen Waise, der verwitweten Frau die Existenz verbuergte. Der _Pater familias_ im alten Rom, der Patriarch, der Familienvater nach biblischer Anschauung und deshalb bei den Juden bis in die neueste Zeit, hatte Verpflichtungen gegen die Familienglieder, verwitwete Frauen, verwaiste Kinder, die ihn nicht mit Unrecht zu dem bestimmenden Mittelpunkte ihres Familienkreises machten. Das ist in unserer Zeit anders geworden: Kein Familienhaupt ist der bestimmende Mittelpunkt fuer einen groesseren Familienkreis. Sein Recht ist kein absolutes, selbst in dem engen Kreis seiner muendig gewordenen Soehne und Toechter. Und nur wenige Vaeter sind selbst in der Lage, ueber ihren Tod hinaus ihre eigenen Kinder materiell zu versorgen. Wir sehen, auch dem hellstrahlenden Lichte unserer modernen Kultur fehlen die Schatten nicht, die ja das Licht begleiten. Wenn diese Schatten sich nur nicht zu drohenden Gespenstern aufrichteten, die von zwei Seiten nach uns zielen. Von der einen Seite die _oft selbstgewaehlte, oft auch unfreiwillige Ehelosigkeit_, von der andern die _Unmoeglichkeit, in den gegebenen Familienverhaeltnissen Sicherheit gegen die Not des Lebens zu finden_. Vielleicht gibt es keine einzige noch so weit gehende Forderung in bezug auf Frauenemanzipation, die sich mit der bereits vollbrachten an Kuehnheit und Gefahr vergleichen liesse; sie schliesst die gefaehrlichste Freiheit in sich, die Freiheit des Herzens. Wenn man die freie Wahl des Gatten oder gar den Verzicht auf die Ehe den Einzelnen ueberlaesst, so ist wenigstens das letztere _eine Freiheit, die sich ueber die Naturgesetze erhebt_. Und es wird nicht mehr als eine Kuehnheit erscheinen, die Formen fuer die gesellschaftliche Stellung zu bestimmen, da diese doch nicht die absolute Gueltigkeit von Naturgesetzen beanspruchen koennen. Hier sehen wir den _Keim_ der Frauenfrage als Kulturfrage: hat man es prinzipiell zugegeben, dass die Gattenwahl sowie der Verzicht auf die Ehe auch von dem Willen der Jungfrau abhaenge, so koennen tausend Faelle eintreten, wo diese Gattenwahl unmoeglich ist. "Sie hat das Ideal ihres Herzens nicht gefunden," sie hat sich in dem Erwaehlten getaeuscht; oder sie ist nicht begehrt worden. _Der Schatten, den das Licht unserer Kultur wirft, richtet sich vorzueglich gegen unser Geschlecht._ Die moderne Kultur hat das Recht der Persoenlichkeit, das Recht auf eigene Existenz dem _Manne_ in hoeherem Grade zuteil werden lassen, als die antike Kultur. Wie aber gestaltet es sich fuer die Frau? Es ist ein hartklingendes Wort, das ich jetzt aussprechen muss: Unsere moderne Kultur hatte bisher durch die Befreiung des Einzelnen von dem Zwange der geschlossenen Familienhaftigkeit, wo in des Wortes wirklicher Bedeutung einer fuer den andern haftete - ich sage, _unsere Kultur hat durch die Aufhebung dieser geschlossenen Familienzusammengehoerigkeit das Urrecht jedes Wesens, das Recht der Existenz, dem weiblichen Geschlechte eher gefaehrdet als gewaehrt_. Denn da der Mann die Existenzverhaeltnisse repraesentiert, so ist es selbstverstaendlich, dass diejenigen Maedchen, die nicht heiraten, ohne Existenzmittel bleiben. Das Schutzverhaeltnis aber, das die alte Zeit dem weiblichen Geschlechte gewaehrte, ist in unserer Zeit nicht vorhanden, kann nicht vorhanden sein. Und nun ziehen wir noch einen, den wichtigsten Faktor in Betracht. - Wohl nicht mit Unrecht nennt man die Gegenwart das Zeitalter der Volkswirtschaft, und wir muessen, wenn auch in den knappsten Umrissen, zeigen, wie existenzbedrohend die moderne Kultur nicht nur im Gegensatze zur antiken, sondern auch zur mittelalterlichen unserm Geschlechte geworden. Die Fortschritte der Industrie, die Anwendung der Maschinen und Dampfkraft hat die weibliche Arbeit, die Handarbeit der Frau ueberfluessig gemacht. So wenig poetisch es auch klingen mag, es muss gesagt sein: Der Mann heiratete sonst in seiner Frau eine Gehilfin, die durch ihre Arbeit nicht nur das Haus verschoente, sondern es mit erhielt. Um es volkswirtschaftlich auszudruecken: "Die Aeusserung der produktiven Arbeitskraft ist den Frauen im Hause genommen." Haben wir den Keim der Frauenfrage in der groessern gemuetlichen und geistigen Bildung zu einer sich selbst bestimmenden Persoenlichkeit gefunden, so ist dieser Keim maechtig zur Entfaltung gelangt durch die einseitige Art dieser Bildung, die, weit entfernt die Mittel zur Selbstaendigkeit zu bieten, die Gefahr der Brotlosigkeit vermehrte. Die Handarbeit wurde zur Spielerei; man verfeinerte so lange, bis man zu der Meinung kam, _die Frau sei zu einer wirklichen Arbeit von Natur aus gar nicht bestimmt_. Das Wort: "Im Schweisse deines Angesichts sollst du dein Brot essen" beziehe sich nicht auf die Frau. Und nicht nur die Frauen, auch Maenner und wohlwollende, einsichtige Maenner halten ein Ideal von Weiblichkeit fest, das sich leider durch eine einseitige Richtung unseres dichtenden Volksgeistes unserer bemaechtigt hatte und in der sogenannten romantischen Periode seinen Hoehepunkt erreichte. Wie soll man es sich sonst erklaeren, dass Frauen die Freiheit in bezug auf ihre Persoenlichkeit soweit ausdehnen koennen, _dass sie in geselligen Zerstreuungen, in dilettantischen Kunstuebungen und Kunstgenuessen, in der Sorge um ihre Toilette sich vollstaendig ausleben und dabei doch das befriedigende Gefuehl haben, ihren weiblichen Beruf zu erfuellen_? Ich nannte die Freiheit des Herzens eine _gefaehrliche_ Freiheit, eine kuehnere Emanzipation als jede andere. _Wie aber soll man die Emanzipation von der Pflicht der Arbeit nennen?_ Man fasst ja das Wort "Emanzipation" als gleichbedeutend mit Selbstaendigkeit, mit dem Rechte der Selbstbestimmung auf, und diejenigen Frauen, die das Selbstbestimmungsrecht ueber ihre Zeit, ueber ihre Kraefte fuer den Muessiggang benutzten, waeren nicht emanzipierte Frauen? Wohl ist es leider keine Erziehung zur Selbstaendigkeit, aber zur Selbstheit, _zum Egoismus_, wenn die Jungfrau sich berechtigt glaubt, ihre Zeit zu vertraeumen, zu verspielen, zu vertanzen, zu verputzen? Wenn sie fuer den Schein erzogen, dem Manne gegenueber auf ihren Schein besteht und es als schuldigen Tribut fuer ihre Weiblichkeit fordert, ihr die Mittel zu solch' muessigem Traum- und Genussleben zu verschaffen? Bedenkt man diese Tatsache recht: von der einen Seite die Wertlosigkeit der sonst so wertvollen wirtschaftlichen Arbeiten, von der anderen Seite aber die gesteigerten Ansprueche, die gerade unsere Kultur mit ihrem gesteigerten Kunstfleiss erzeugt hat, so wird man sich nicht wundern, _dass die Ehelosigkeit in den hoeheren, gebildeten Gesellschaftskreisen ueberhand genommen_. - So teile ich aus einer Statistik vom Jahre 1864, also vor den beiden letzten grossen Kriegen folgendes Verhaeltnis mit: In Preussen betrug damals die Zahl der unverheirateten Maedchen im Alter von ueber 16 Jahren 1 827 441; es scheint allerdings, als ob ein Alter ueber 16 Jahre keinen Massstab bietet, da es ja die Heiratsmoeglichkeit in sich schliesst. Wenn aber in Preussen die Zahl der unverheirateten Maenner im Alter von ueber 24 Jahren nur 976 000 betrug, so ist fuer die Million achtmalhunderttausend Maedchen kaum die Haelfte der Ehestandskandidaten vorhanden. In welchem Lichte muss diesen statistischen Zahlen, diesen unleugbaren Tatsachen gegenueber, die Meinung sich befinden, die in hochtoenenden Worten so oft in die Welt hinausgerufen wird: "Die Bestimmung des Maedchens ist die, zu heiraten; ihre Lebensaufgabe beziehe sich auf den Kreis ihrer Familie, ihres Hauses." Nochmals sei es wiederholt: Wenn die alten Kulturvoelker diese Anschauung festhielten, so war sie in der Natur ihrer Verhaeltnisse begruendet, fuer unsere Kulturverhaeltnisse klingt sie wie eine bittere Ironie. Noch dunkler und trueber fast sind die Schatten, die unsere Kultur begleiten, wenn wir den Blick auf die verwitweten Frauen richten. Hier zeigen sich in Ruecksicht auf die Lebensdauer der beiden Geschlechter ganz merkwuerdige Unterschiede. Unsere moderne Kultur verbraucht ein gut Teil maennlicher Arbeitskraft. Das Militaerwesen, das Maschinenwesen mit den gesteigerten Anspruechen an Menschenkraft vernichtet viele Maenner in der Bluete der Jahre. Ich entnehme auch die folgenden Notizen einer Statistik aus dem Jahre 1864, weil ich die Kriegsjahre mit ihren Folgen mir lieber als Ausnahmezustaende denken will; also 1864 gab es in Preussen rund 700 000 Witwen und dagegen 259 400 Witwer, in Leipzig allein gab es damals 5059 Witwen und 1098 Witwer. Interessant ist folgende Tatsache, die ich vor einigen Jahren aus Preussen verzeichnet fand: Von dem Geschlechte, ueber welches die Stuerme der ersten franzoesischen Revolution brausten, sind 160 Maenner am Leben, dagegen 307 Frauen. Im Jahre 1871 lebten 8 Frauen im Alter von beinahe 100 Jahren und nur 1 Mann. - Vom 50. Jahre tritt die Erscheinung auf, dass die Sterblichkeit der Maenner groesser ist als die der Frauen, und so gestaltet sich die spaetere und gewiss die schwerere Haelfte des Lebens sehr zu Ungunsten des weiblichen Geschlechts, und die Statistik mit ihren trockenen Zahlen sagt uns nichts anderes, als unser Dichter Jean Paul: "Das Weib vereinsamt mit den zunehmenden Jahren". Und nicht nur der Tod, auch das Leben raubt der Frau frueher als dem Manne den betrueglichen und doch oft erheiternden Schein des Daseins. Wie viele Hilfsquellen findet der einsame Mann ausserhalb des Hauses, wie wenige die alternde, einsame Frau! Auch hier ist es Doppelbild der geistigen und materiellen Not, das uns entgegenstarrt, erzeugt durch die unausbleiblichen Folgen einer Kulturentwicklung, die den Einzelnen auf sich selbst gestellt, und _die ganze Haelfte des Menschengeschlechts nicht mit den Mitteln ausruestete, die zur Selbstaendigkeit gehoeren_. Denn ist es noetig, das Bild des materiellen Elends, der quaelenden Sorge um des Lebens Notdurft, das uns so oft gerade in den Witwen entgegentritt, zu entrollen? Wenn wir die Schatten in Umrissen zeichnen, die unsere Frage als eine Kulturfrage erscheinen lassen, so muessen wir, so schwer es uns auch faellt, auf die unheimlichste Gestalt unser Augenmerk richten, die namentlich in grossen Staedten ein nicht nur gespenstisches, sondern offenes Wesen treibt. Ich werde hier keine Zahlen nennen, ich vermag es nicht, deutlich zu sprechen, und doch muss ich darauf hindeuten, als den wundesten Punkt unserer Kulturzustaende: Neben den einsamen Maedchen, die in kuemmerlicher Weise ihren Lebensunterhalt gewinnen, neben den bleichen, kummervollen Witwen gibt es noch andere Gestalten: Sie sehen nicht bleich aus, weil die Schminke den Moder bedeckt, sie schleichen nicht duerftig und kummervoll einher, weil Seidengewaender das Elend verhuellen, aber sie werfen den dunkelsten Schatten auf unsere lichtvolle Kultur. Der Genius der Menschheit wendet sich erroetend von ihnen ab. Duerfen wir uns aber abwenden, wenn wir bedenken, dass es eine bestaetigte Tatsache ist: "_Der groesste Teil dieses elendesten Elends stammt aus materieller Not und schlechter Erziehung._" Betrachten wir die Schaeden, die Krankheiten, die Auswuechse an dem so stattlich prangenden Baum unserer Kultur, so sind wir wohl berechtigt zu sagen: Es ist hohe Zeit, Hand anzulegen, es ist hohe Zeit, sich Klarheit ueber die Verhaeltnisse zu verschaffen. Es ist fuer unser Geschlecht die Zeit gekommen, in der wir einsehen, dass wir den Schein einer Freiheit, das Spielen mit Empfindungen aufgeben muessen. _Wir sind in Uebereinstimmung mit unserem Schoepfer, mit unserem Gewissen, mit uns selber, wenn wir das Urrecht jedes Geschoepfes, das Recht auf Existenz fuer uns in Anspruch nehmen._ Jedem Wesen hat die guetige Natur die Mittel zu seiner Existenz gegeben - und uns sollten sie versagt sein? Gebraucht jedes Naturwesen seine Kraefte zu seiner Selbsterhaltung, so ist das Recht auf _menschenwuerdige_ Existenz gewiss das Urrecht jedes in _Gottes Ebenbilde_ geschaffenen Wesens. _Menschenwuerdig ist es aber, die Kraefte, die wir besitzen, zu entwickeln, zu gebrauchen_, nicht nur um unsertwillen, um unserer Mitmenschen willen, um der Gesamtheit willen. Wir wollen die gesunden Kraefte des Volkes in unsern Toechtern entwickeln, wir wollen ihnen Gelegenheit zur Entfaltung ihrer geistig sittlichen Anlagen geben und zwar allen, nicht nur den Armen, auch den Wohlhabenden; denn auf dem Gebiete geistiger Arbeit ist der Gebende so reich und so arm wie der Empfangende, hier sind alle gleich beduerftig." Die _Loesung der Frauenfrage_ ist fuer Henriette Goldschmidt - hier weiss sie sich eins mit allen grossen Fuehrerinnen der Frauenbewegung - im Grunde nur moeglich _durch gruendliche Reform der gesamten Frauenbildung_. Es war daher kein Zufall, sondern es lag in der Natur der Sache, dass damals fast alle grossen Frauentagungen beschlossen, "anstatt mit der Fassung von Resolutionen, mit der _Gruendung eines Frauenbildungsvereins_, der es fuer seine vornehmste und erste Aufgabe hielt (in der betreffenden Stadt), _Fortbildungsschulen fuer Maedchen_ zu errichten." Jeder, der die Maedchenschulverhaeltnisse der damaligen Zeit einigermassen kennt, wird wissen, wie notwendig das war. Es gab damals ausser der Volksschule und der meist in Privathaenden ruhenden sogenannten hoeheren Toechterschule nur noch eine einzige Bildungsstaette, das war das Lehrerinnenseminar. Also eine ungeheure Aufgabe galt es - und gilt es noch heute - zu loesen: _die Schaffung eines_ dem innersten Wesen des weiblichen Geschlechts adaequaten und doch vielgestaltigen, in allen seinen Teilen zu wirtschaftlicher Selbstaendigkeit bzw. zu fruchtbarer Mitarbeit an unserer Kultur fuehrenden _Frauenbildungswesens_. Vieler Jahrhunderte hatte es bedurft, um das Maennerbildungswesen zu seiner jetzigen Hoehe zu bringen. Wenn naturgemaess von diesen Einrichtungen auch vieles ohne weiteres der Frauenbildung dienstbar gemacht werden konnte, so war damit doch das letzte und feinste noch nicht erreicht, was Henriette Goldschmidt vorschwebte: _die Bereicherung unserer Kultur durch die Entfaltung der tiefsten spezifisch weiblichen Seelenkraefte_. Aber mochte das Ziel auch noch so fern sein! Henriette Goldschmidt behielt es fest im Auge, und so konnte sie denn ihre oben zitierte Rede in Hannover mit den ruehrend-bescheidenen und zugleich zuversichtlich-trotzigen Worten schliessen - die zugleich ein wundervolles Bild ihrer klaren und starken Seele entrollen: "_Der Kraft des schoepferischen Tuns bewusst, mit Demut und Hingebung der Stimme des Geistes lauschend, die durch die Jahrtausende toent, handelnd und gehorchend, so vollzog sich und so vollzieht sich der ewige Prozess des Lebens._ Und innerhalb dieses Prozesses stehe auch fortan - ihre Aufgabe bewusstvoll als eine Kulturaufgabe fuer unser Menschengeschlecht erfassend - *die Frau*!" b) Friedrich Froebel. Neben der Frauenbewegung war es Friedrich Froebel, der dem Denken und Wollen Henriette Goldschmidts die entscheidende Richtung gab. - Musste Henriette Goldschmidt dadurch nicht innerlich zerrissen, nach zwei ganz verschiedenen Richtungen hingelenkt werden? Nein! Im Gegenteil, beide verschmolzen in ihr zu einer wundervollen Einheit. Nur dadurch wurde Henriette Goldschmidt das, was sie uns jetzt ist, dass einesteils das Bildungs-Problem der Frauenbewegung, die Frauensehnsucht ihrer Zeit in ganzer Staerke in ihr lebendig war und dass sie andernteils in Froebels Ideen die Loesung des Problems, die Erfuellung dieser Sehnsucht fand. Friedrich Froebel war nicht nur der Gruender der Kindergaerten, als den ihn die Welt fast ausschliesslich kennt, sondern er war ein Paedagog ganz grossen Stils, ein Kulturpaedagog ersten Ranges. Die meisten Menschen denken bei dem Wort "Paedagog" immer nur an "Lehrer", und sie meinen, ein "grosser Paedagog" sei ein Mann, der einige neue Methoden ersonnen hat, durch deren Anwendung man den Kindern zahlreichere Kenntnisse vermitteln oder ihnen mindestens das Lernen erleichtern kann. Von solchem Schlag war Froebel nicht. Sein Blick war auf Hoeheres gerichtet. _Der Menschheit und ihrer Entfaltung galt all sein Sinnen._ Unter Menschheit ist aber hier nicht die Gesamtheit der lebenden Menschen zu verstehen, sondern es heisst hier soviel wie Menschentum. Es ist das Geistige, das im Menschengeschlechte lebt und schafft, das in ihm sich auswirkt. Es sind die spezifisch menschlichen Kraefte und Faehigkeiten, die im Unterschied zu allen anderen Kreaturen gerade dem Menschen eigen sind. Es ist das, was allen Menschen gemeinsam ist und seit Jahrtausenden gemeinsam war. Es draengt nach Darstellung, nach Gestaltung, nach Objektivierung. Alles Menschentum, alle Menschenleistung ist eine Aeusserung dieses Geistigen. Sitte und Recht, Kunst und Wissenschaft, Technik und Industrie, kurz alles, was wir Kultur nennen, ist dieser Quelle entsprungen. Die _Menschheit_ ist Ursprung und Schoepfer der _Kultur_ - wie die _Gottheit_ Ursprung und Schoepfer der _Natur_ und der _Menschheit_ ist. Menschheit und Kultur verhalten sich zueinander wie Idee und Verwirklichung. Der tiefste Wesenszug der Gottheit und damit auch der Menschheit ist der _Schoepferwille_ und die _Schoepferkraft_, der Drang und die Faehigkeit, sich (d. h. Geistiges) im Stofflichen, im Materiellen darzustellen, sich gleichsam zu objektivieren, der formlosen Masse _Gestalt_ zu geben. Stoff an sich ist formlos. Erst durch die Verbindung des Geistigen mit Stofflichem entsteht die Form. Materie sich selbst ueberlassen, ist Chaos, erst durch die Verbindung mit dem goettlichen Geist wird sie zum Kosmos. Je reiner und unverletzter sich das Geistige im Stofflichen darstellen kann, um so vollkommener wird das Werk. Durch das Gestalten, durch das Ringen mit der Materie entwickelt sich das Geistige immer hoeher. "Alles Innere wird von dem Innern an dem Aeussern und durch das Aeussere erkannt. Das Wesen, der Geist, das Goettliche der Dinge und des Menschen, wird erkannt an seinen, an ihren Aeusserungen" (Froebel). Die Entwicklung der Menschheit haengt also davon ab, dass sie sich _ungehemmt_ und _frei_ entfalten, darstellen, objektivieren kann. Dazu gehoert dreierlei: _Erstens_ muss sie sich in ihrem innersten Wesen _rein_ erhalten. Das geschieht, wenn sie sich stets ihres goettlichen Ursprungs bewusst bleibt. Darum setzt Froebel an den Anfang seiner "Menschenerziehung" (1826) das tiefsinnige Wort, das Henriette Goldschmidt nie ohne innere Ergriffenheit zitieren konnte: "In allem ruht, wirkt und herrscht ein ewiges Gesetz. Es sprach und spricht sich im _Aeussern_, in der Natur, wie im _Innern_, in dem Geiste, und in dem _beides Einenden_, in dem Leben, immer gleich klar und gleich bestimmt dem aus, den entweder _von dem Gemuete und Glauben_ aus die _Notwendigkeit_ erfuellt, durchdringt und belebt, dass es gar nicht anders sein kann, oder dem, dessen _klares ruhiges Geistesauge_ in dem Aeussern und durch das Aeussere das Innere schaut, und aus dem Wesen des Innern das Aeussere mit Notwendigkeit und Sicherheit _hervorgehen sieht_. Diesem allwaltenden Gesetze liegt notwendig eine allwirkende, sich selbst klare, lebendige, sich selbst wissende, darum ewig seiende Einheit zu Grunde. Dieses wird auf gleiche Weise wieder so wie sie - die Einheit selbst - entweder durch _Glauben_ oder durch Schauen lebendig, gleich er- und umfassend erkannt, so dass sie auch von einem still achtsamen menschlichen Gemuete, von einem besonnenen klaren menschlichen Geiste von jeher sicher erkannt ward und immer davon erkannt werden wird. Diese Einheit ist Gott. Alles ist hervorgegangen aus dem Goettlichen, aus Gott, und durch das Goettliche, durch Gott einzig bedingt; in Gott ist der einzige Grund aller Dinge. In allem ruht, wirkt, herrscht Goettliches, Gott. Alles ruht, lebt, besteht in dem Goettlichen, in Gott und durch dasselbe, durch Gott. Alle Dinge sind nur dadurch, dass Goettliches in ihnen wirkt. Das in jedem Dinge wirkende Goettliche ist das _Wesen jedes Dinges_. Die _Bestimmung_ und der _Beruf aller Dinge_ ist: ihr Wesen, so ihr Goettliches, und so das Goettliche an sich entwickelnd darzustellen, Gott am Aeusserlichen und durch Vergaengliches kundzutun, zu offenbaren." - _Zweitens_ muss sich die Menschheit dieser ihrer Bestimmung _bewusst_ werden. Darin erblickt Froebel die besondere Bestimmung, den besonderen Beruf des Menschlichen. Die uebrigen Geschoepfe entfalten ihr Wesen nur einem dunklen Drange folgend, der Mensch soll es mit Bewusstsein tun. Dadurch erhebt er sich ueber alle anderen Kreaturen. Dadurch naehert er sich der Gottheit. _Drittens_ braucht die Menschheit, um sich ungehemmt und frei entfalten zu koennen: Stoff, Gelegenheit, Moeglichkeit zur _Betaetigung_. Das Bewusstsein ihres goettlichen Ursprungs und das Erkennen ihrer Bestimmung allein genuegt noch nicht zur Hoeherbildung. Das allein ist noch keine Entfaltung und Entwicklung. Arbeit muss dazukommen, _Arbeit und Schaffen_ am Materiellen, am "Aeusseren". Dadurch gewinnt die Arbeit bei Froebel einen ganz neuen Sinn. Sie ist nicht mehr wie im "Alten Testament" _Strafe_ fuer die im Paradies begangene menschliche Suende ("Im Schweisse deines Angesichts sollst du dein Brot essen!"), sie ist auch nicht nur unangenehme _Notwendigkeit zur Erhaltung des Koerpers_ (wie die meisten Menschen glauben), sondern sie ist _Mittel zur Entfaltung des Geistigen_. Sie ist der staerkste und unentbehrlichste _Kulturfaktor_ ueberhaupt. "Erniedrigend ist der Wahn", hat Froebel daher einmal geschrieben, und Henriette Goldschmidt hat dieses Wort oft und gern zitiert, darum sei es noch hierher gesetzt, "erniedrigend ist der Wahn, als arbeite, wirke und schaffe der Mensch nur darum, seinen Koerper, seine Huelle zu erhalten, sich Brot, Haus und Kleider zu erwerben; nein - _der Mensch schafft urspruenglich nur darum, damit das in ihm liegende Geistige, Goettliche sich ausser ihm gestalte_ und er so sein eigenes goettliches Wesen und das Wesen Gottes erkenne. Das ihm dadurch kommende Brot, Haus und Kleid ist unbedeutende Zugabe." Mit diesem weiten Blick tritt nun Froebel _an das Erziehungsproblem heran_. Erziehung kann ihm - nach dem Vorangegangenen - nichts anderes sein als: 1. Hinlenken des Blickes der Menschen _auf den ewigen Ursprung alles Seins_ und Pflegen des Gefuehls des inneren Verbundenseins mit dem Goettlichen, 2. Anregen und Hinfuehren zur _Selbstbesinnung ueber das Wesen und die Bestimmung des Menschen_, und 3. Anleiten zu schaffendem Gestalten, zu _produktiver Arbeit_. Das ist Kulturpaedagogik im eigentlichen Sinne; denn sie entfaltet und staerkt alle schoepferischen menschlichen Kraefte, die die Kultur bauen, die ueberhaupt erst Kultur moeglich machen. _Die Menschheit und ihre Entfaltung, die Menschheit und ihre "Darlebung" in der Kultur, die Steigerung der Menschenkraft, die Erhoehung seiner Kulturleistung_, das ist das grosse Ziel, das ihm vorschwebt. Erziehung der Menschheit, nicht des Einzelnen! Natuerlich muss die praktische Erziehungsarbeit am einzelnen Kinde, am einzelnen Menschen erfolgen. Aber sie ist nicht Selbstzweck. Es kommt Froebel nicht darauf an, dass dieses oder jenes Individuum um seiner selbst (oder um seiner Eltern) willen so oder so entwickelt werde, sondern es kommt ihm im Grunde nur auf die Pflege des Goettlichen in jedem Wesen, gleichsam _auf die Menschheit im Menschen_ an. Wenn je ein Paedagog, so betrachtet Froebel die Erziehungsarbeit _sub specie aeternitatis_. Am _reinsten_ und noch voellig "unverletzt" tritt uns _die Menschheit im Kinde_, im kleinen Kinde, entgegen. Die Welt mit ihren Gefahren des Materiellen hat hier noch keinen Schaden getan. Alles kommt nun darauf an, dass diese Reinheit und Unverletztheit der Menschheit bewahrt bleibt. Das kann nur geschehen durch _angemessene bewusste Pflege_. Darum ist die frueheste Behandlung des Kindes so wichtig. Ist die Menschheit im einzelnen Individuum erst einmal verdorben und verkuemmert, dann ist es zu spaet. Ein solches Individuum scheidet dann als Traeger des Geistigen aus. Es wird seine Bestimmung _nicht_ erfuellen. Es gilt also _die Menschheit zu pflegen in den Kindern_. Das ist das erste und wichtigste Stueck der Froebelschen Paedagogik. Das ist keine Erziehung im landlaeufigen Sinne, keine "bewusste und planvolle Einwirkung des Muendigen auf den Unmuendigen", sondern es ist eben nur ein - _Pflegen_. Das Bild des _Gaertners_ schwebte Froebel dabei vor. Der Gaertner will auch nicht aus den ihm anvertrauten Pflaenzchen alles Moegliche machen, was er sich in den Kopf gesetzt hat, sondern er will nur dafuer sorgen, dass jedes Pflaenzchen seiner Eigenart gemaess sich voll entwickeln und entfalten, dass es also sein _Wesen_ (d. h. das in ihm wirkende Goettliche) rein und unverletzt darstellen, "darleben" kann. Alles Schaedliche, das von aussen diese Entwicklung stoeren koennte, muss er fernhalten, aber er muss den Pflanzen geben, wessen sie zu ihrer Entwicklung beduerfen. Er muss seine Schuetzlinge - _pflegen_. Ganz ebenso - meint Froebel - ist es _in der ersten Erziehung_. Hier gilt es auch nur, die Kleinen und damit die in ihnen wirkende Menschheit zu _pflegen_, das kostbare Gut vor Beschaedigung zu hueten, ihm die Moeglichkeit zu geben, sich rein und unverletzt zu entfalten. Wir brauchen daher fuer die ersten Lebensjahre der Kleinen noch nicht eigentliche Erzieher und Erzieherinnen, sondern wir brauchen Kinderpfleger und Kinderpflegerinnen - oder wie Froebel seit 1840 diese so treffend nannte: _Kindergaertnerinnen_. Eine Kindergaertnerin ist keine Erzieherin im ueblichen Sinne, sie ist nur eine Hueterin und Pflegerin der "Menschheit in der Kindheit". Sie bedarf keines strengen paedagogischen Willens (wie der spaetere eigentliche Erzieher), sondern sie bedarf nur jener feinen Gaertnergesinnung. Die erste Erziehung soll ja nach Froebel nicht eigentlich "vorschreibend, bestimmend und eingreifend" sein, sondern "nachgehend, nur behuetend und schuetzend." Denn "das Wirken des Goettlichen ist in seiner Ungestoertheit notwendig gut, muss gut, kann gar nicht anders als gut sein. Diese Notwendigkeit muss voraussetzen, dass der noch junge, gleichsam erst werdende Mensch, wenn auch noch unbewusst gleich einem Naturprodukt, doch bestimmt und sicher das Beste an sich und fuer sich will, und zwar noch ueberdies in einer ihm ganz angemessenen Form, welche darzustellen er auch alle Anlagen, Kraefte und Mittel in sich fuehlt. So eilt die junge Ente nach dem Teiche und auf und in das Wasser, waehrend das junge Huehnchen in der Erde scharrt und die junge Schwalbe im Fluge ihr Futter faengt und fast nie die Erde beruehrt. Pflanzen und Tieren, jungen Pflanzen und jungen Tieren geben wir Raum und Zeit, wissend, dass sie sich dann den in ihnen, in jedem Einzelnen wirkenden Gesetzen gemaess schoen entfalten und gut wachsen; jungen Tieren und jungen Pflanzen laesst man Ruhe und sucht gewaltsam eingreifende Einwirkungen auf sie zu vermeiden, wissend, dass das Gegenteil ihre reine Entfaltung und gesunde Entwicklung stoere; aber der junge Mensch ist dem Menschen ein Wachsstueck, ein Tonklumpen, aus dem er kneten kann was er will." Darum mahnt Froebel: "Menschen, die ihr Garten und Feld, Wiesen und Hain durchwandelt, warum oeffnet ihr euren Sinn nicht, das zu hoeren, was die Natur in stummer Sprache euch lehrt: sehet an die Pflanze, die ihr Unkraut nennt und die in Druck und Zwang herauf gewachsen, kaum innere Gesetzmaessigkeit ahnen laesst, sehet sie im freien Raume, auf Feld und im Beet, und schaut, welch eine Gesetzmaessigkeit, welch ein reines inneres, in allen Teilen und Aeusserungen uebereinstimmendes Leben sie zeigt: eine gestaltete Sonne, ein strahlender Stern der Erde entkeimt. So koennten, Eltern! eure Kinder, denen ihr fruehe Form und Beruf wider ihre Natur aufdringt, und die darum in Siechheit und Unnatuerlichkeit um euch wandeln, auch schoen sich entfaltende und allseitig sich entwickelnde Wesen werden." Was wir also brauchen fuer unsere Kleinen, ist gleichsam ein _Garten der Kindheit_, in dem die jungen Geschoepfe heranwachsen koennen, gepflegt und behuetet von treuen Gaertnerinnen. Was wir brauchen, sind _Kindergaerten_, d. h. Staetten, in denen unsere Kleinen ihrem innersten Wesen entsprechend sich entfalten, an denen sie ihr Goettliches - die Menschheit - "darleben" koennen. Wie kann das geschehen? Der tiefste Wesenszug der Gottheit - und daher auch der Menschheit - ist, wie oben bereits erwaehnt, der _Schoepferwille_, der _Gestaltungsdrang_. Im fruehen Kindesalter aeussert sich dieser als _Taetigkeits- und Beschaeftigungstrieb_. Nie wieder im Leben ist dieser Drang nach Bewegung und Taetigkeit so stark wie in diesen fruehen Jahren. Schon der alte Paedagog Comenius hatte das erkannt und in seinem "Informatorium der Mutter Schul" (1632) geschrieben: "Die Kinder tun gern allezeit etwas, denn das junge Blut kann nicht lange still stehen, und solches ist sehr gut. Darum soll man es ihnen auch nicht wehren, sondern vielmehr Anlass geben, dass sie immer etwas zu tun haben. Lass sie Ameislein werden, welche immer herumkriechen, tragen, schleppen, einlegen, umlegen" usw. _Die bewusste Pflege dieses staerksten aller kindlichen Triebe, des Taetigkeits- und Beschaeftigungstriebes_ war fuer Froebel der Anfang wahrer Menschenerziehung. Er erblickte darin reinste Darlebung der Menschheit in der Kindheit. "Menschheitspflege und Kindheitspflege," schrieb er einmal "wohnen in einem Tempel." Froebel begnuegte sich nun aber nicht damit, die Pflege des Taetigkeitstriebes zu fordern, sondern er wollte zugleich Wege weisen, wie der Taetigkeitstrieb gepflegt werden koenne, er wollte den Kindern Material in die Hand geben, an dem sich ihre inneren und aeusseren Kraefte entfalten wuerden. So schuf er: 1. seine "_Mutter- und Koselieder_. Dichtung und Bilder zur edlen Pflege des Kindheitlebens. Ein Familienbuch" (1844). Mit 50 grossen Kupfern von Friedrich Unger(3); 2. seine _Gabenreihe_ (Ball - Kugel, Wuerfel, Walze - Baukaesten) mit den dazu gehoerigen "Anleitungen" (fuer die Erwachsenen); 3. seine _zahlreichen sonstigen Beschaeftigungen_ (Legetaefelchen, Flecht- und Faltarbeiten, Ausstech- und Ausnaehblaetter u. dgl.). Es wuerde zu weit fuehren, im einzelnen zu zeigen, wie Froebel sich diese neue Kindheitpflege in Familie und Kindergarten dachte. Auf die einzelnen Massnahmen kam es ihm dabei auch gar nicht zu sehr an, als vielmehr auf den _Geist_, in dem das Ganze aufgefasst und ausgeuebt wurde. Und da setzte er seine ganze Hoffnung _auf die Frauenwelt_. In dem _muetterlichen Instinkt_, in dem angeborenen _Pflegesinn_ des Weibes sah er die gott- und naturgewollte Grundlage echter Kindheitpflege. "Kinderleben und Kinderliebe, Kinderleben und Frauensinn," schreibt er einmal, "ueberhaupt Kindheitpflege und weibliches Gemuet trennt nur der Verstand. Sie sind ihrem Wesen nach eins. Denn Gott hat das leibliche wie das geistige Fortbestehen des Menschengeschlechts durch die Kindheit in das Frauenherz und -gemuet, in den echten Frauensinn gelegt." Freilich, diese _Einigung von Kindheit und Frauenleben_, die frueher wohl bestand, ist durch die Riesengewalt aeusserer Verhaeltnisse und die wirtschaftlichen Noete der Zeit vielfach verloren gegangen. Weil sie sich ihres innersten Wesens, ihrer eigentlichen Bestimmung nicht _bewusst_ waren, darum haben die Frauen diese Einigung viel zu leicht aufgegeben. Aber die unnatuerliche Trennung zwischen Frauenleben und Kindheit, zwischen Weiblichkeit und Kinderleben hat dazu gefuehrt, dass allmaehlich das _Bewusstsein der Zusammengehoerigkeit von "Kinderleben und Frauensinn_" erwacht ist und das _Streben_, diese natuerliche Einheit wieder herzustellen. "Der ersten Kindheitpflege muss das Frauenleben wieder ganz zugewandt werden; Frauenleben und Kindheitpflege muss allgemein wieder geeint, weibliches Gemuet und sinnige Kinderbeachtung muss wieder ein Einiges werden." (Froebel.) Was das weibliche Geschlecht bisher rein _instinktiv_ getan, nur seinem Naturtriebe folgend - also im Grunde _passiv_ -, das soll und wird es in Zukunft bewusst ausueben, aus hoeherer Einsicht, aus eigenem Willen - also im Grunde _aktiv_. Dadurch wird das bisherige natuerliche Tun der Frau zur Kulturleistung. Denn alles natuerliche Tun beruht auf dem Instinkt, alle Kulturleistung aber auf dem Bewusstsein und dem Willen des Menschen. Diese Kulturleistung des weiblichen Geschlechts ist aber nur moeglich, wenn es _zuvor_ seine "menschheitspflegende Bestimmung" erkannt, d. h. wenn es im einzelnen Kinde nicht mehr _nur das seelisch-koerperliche Einzelwesen_ erblickt - was das Kind natuerlich zunaechst ist - sondern darueber hinaus in jedem Kinde _das ewig Geistige, die Mensch__heit_ (in dem oben dargelegten Sinne) und damit _Goettliches_ ahnt. Damit aendert sich die ganze Stellung der Frau zum _Kinde_ und zur _Menschheit_. Sie ist nicht nur mehr _Hueterin eines Einzelgeschoepfes_, sondern _Priesterin des Ewigen_: sie pflegt Unvergaengliches - Goettliches - in ihrem Kinde. Der natuerliche _Pflegesinn des Weibes_ - der tiefste Wesenszug ihres Geschlechts - erhaelt dadurch eine viel umfassendere Bedeutung, ein viel hoeheres Ziel. Er wird gleichsam zu einer _Kulturnotwendigkeit_. Das hatte Henriette Goldschmidt klar erkannt: Wenn die Frauenbewegung _kulturfoerdernd in grossem Stil_ werden will, muss sie diese ihre tiefste Kulturaufgabe erkennen und in Angriff nehmen. Hier sind die starken Wurzeln ihrer Kraft; denn hier steht sie auf ureigenstem Boden. Hier ist _dem weiblichen Geschlecht als Ganzem_ eine Moeglichkeit zur Hoeherentwicklung "_von seinem Wesen aus_" gegeben. Moegen einzelne begabte Frauen auch auf anderen Kulturgebieten Grosses leisten, das weibliche Geschlecht als Ganzes wird nur in der Auswirkung und Vergeistigung seiner muetterlichen Instinkte, seines angeborenen Pflegesinns Eigenartiges und den Kulturtaten des maennlichen Geschlechts (wieder als Ganzes genommen) _Gleichwertiges_ schaffen koennen. Die _Pflege der Menschheit in der Kindheit_, also das Erhalten und Behueten, das Ueben und Starkmachen der eigentlichen _kulturschaffenden Kraft_ ist sowohl vom Standpunkt der Menschheit als auch vom Standpunkt der Kultur unentbehrlich und daher jeder anderen Kulturarbeit _gleichwertig_. In diesem tiefen und umfassenden Sinne muss das Lieblingswort Henriette Goldschmidts verstanden werden, das sie Froebel entnommen hat und von dem sie wuenschte, dass es in ihrer Anstalt unter ihre Bueste gesetzt wuerde, da es besser als jedes andere zum Ausdruck braechte, was sie erkannt und gewollt habe, das Wort: "_Es ist das Charakteristische der Zeit, das weibliche Geschlecht seiner instinktiven passiven Taetigkeit - als Glied der Menschheit - zu entheben und es von seinem Wesen aus, und um seiner menschheitpflegenden Bestimmung willen, ganz zu derselben Hoehe wie das maennliche Geschlecht zu erheben._" Aus diesem Geist, aus diesem Glauben heraus ist auch das andere Wort entstanden, das Henriette Goldschmidt einmal in einer gluecklichen Stunde gepraegt und dann oft und gern wiederholt hat, das Wort, das fast schon zum "gefluegelten" geworden ist: "_Der Erziehungsberuf ist der Kulturberuf der Frau._" Auch dieses Wort weist in die Zukunft. Viele verstehen es so, als habe Henriette Goldschmidt einfach konstatieren wollen: Der Erziehungsberuf sei der Kulturberuf der Frau. Nein! Der Erziehungsberuf, wie er von den allermeisten Menschen jetzt noch aufgefasst und geuebt wird, ist noch _kein_ Kulturberuf. Er ist noch eine "instinktive, passive Taetigkeit." - Aber er soll ein Kulturberuf, er wird _der_ Kulturberuf der Frau werden. Henriette Goldschmidt hat dieses Wort zunaechst den suchenden und gebildeten Frauen zugerufen, die ihre Kraefte in den Dienst der Kultur stellen moechten, ohne bereits ein klares Ziel fuer ihre Arbeit zu haben. Denen will sie mit diesen. Wort sagen: Sucht das Ziel nicht draussen, sondern _in euch selbst_! Erkennt die menschheitpflegende Bestimmung des weiblichen Geschlechts und weiht eure Kraefte einer Arbeit, die euerm innersten Wesen gerecht wird! Die Frau kann "als Glied der Menschheit" nichts Hoeheres vollbringen, als ihren Erziehungs- und Pflegeberuf als Kulturberuf aufzufassen und auszuueben. Freilich, die Frauenwelt wird und kann diesen Weg nur gehen, wenn ihre Fuehrerinnen sich zu diesem Ziel bekennen und wenn sie die _Bildung des weiblichen Geschlechts_ in diesem Sinne gestalten. Friedrich Froebel bezeichnete am Ende seines Lebens seinen fuer Marienthal entworfenem Plan einer in dieser Art gedachten Bildungsanstalt fuer das weibliche Geschlecht _als die letzte Konsequenz seines Grundgedankens_. Die Errichtung einer solchen Bildungsstaette war auch fuer Henriette Goldschmidt _die letzte Konsequenz ihrer inneren Entwicklung, die Synthese ihrer aus der deutschen Frauenbewegung und aus der Froebelschen Paedagogik entwickelten Ideen_. 2. Ihr Wirken fuer die Kindergartensache. a) Petition an die deutschen Regierungen. Fast 50 Jahre hat Henriette Goldschmidt im Dienste der Kindergartensache gestanden. Sie hat zahllose Vortraege ueber die Idee des Kindergartens gehalten, hat jahrzehntelang intensiv im "Deutschen Froebelverband" mitgearbeitet, hat in Leipzig vier grosse Volkskindergaerten geschaffen, die noch heute als staedtische Anstalten bluehen. Aber ueber all das soll hier nicht ausfuehrlich gesprochen werden. So verdienstvoll es natuerlich war, es unterschied sich doch nicht wesentlich von der gleichen Arbeit geistesverwandter Frauen in anderen Staedten. Hier sei nur von dem berichtet, was sie _mehr geleistet_ hat als die andern. Da ist in erster Linie die Petition des "Bundes deutscher Frauenvereine" an die deutschen Regierungen zu nennen. Pfingsten 1897 hatte Henriette Goldschmidt auf der Generalversammlung des Bundes den Antrag gestellt, eine Petition an die deutschen Regierungen wegen "Einordnung der Froebelschen Erziehungs- und Bildungsanstalten (Kindergaerten und Seminare fuer Kindergaertnerinnen) in das Schulwesen der Gemeinden und des Staates" zu richten. Der Antrag fand die Zustimmung des Bundes, und die "Erziehungskommission" wurde beauftragt, die Petition auszuarbeiten. Die eigentliche Arbeit hatte Henriette Goldschmidt zu leisten, die die Vorsitzende dieser Erziehungskommission war. Aus dem Briefwechsel Henriette Goldschmidts mit ihrer Freundin, Frau Jenny Asch in Breslau(4), wissen wir Naeheres ueber die Schwierigkeiten, unter denen diese Petition zustande kam: Einige Mitglieder der Kommission standen der ganzen Sache kuehl gegenueber, andere wohnten auswaerts (z. B. Eleonore Heerwart in Eisenach, Martha Back in Frankfurt a. M.), der Vorsitzende des "Deutschen Froebelverbandes" (Prof. Dr. Eugen Pappenheim in Berlin) war ueberhaupt gegen die Eingabe. Schliesslich blieb Henriette Goldschmidt nichts anderes uebrig, als die Petition selbst auszuarbeiten und dann den uebrigen Mitgliedern der Kommission zur Billigung zuzuschicken. Im November 1898 sandte dann der Vorstand des "Bundes deutscher Frauenvereine" die Petition an die Regierungen ab. Henriette Goldschmidt hatte auf einen raschen Erfolg dieser Eingabe kaum allzu grosse Hoffnungen gesetzt. Sie wollte damit nur die ganze Angelegenheit ueberhaupt in Fluss bringen. Dass sich nicht alles, was sie darin forderte, in kurzer Zeit werde verwirklichen lassen, das wusste sie. Wenn die Regierungen nur ueberhaupt anfingen, der Kindergartensache naeher zu treten, das genuegte zunaechst schon. Zehn Jahre spaeter zeigten sich die ersten Spuren: 1908 im Lehrplan der preussischen Frauenschulen, 1911 in den Pruefungsbestimmungen fuer Kindergaertnerinnen und Jugendleiterinnen. Wenn naturgemaess zwischen 1898 und 1908 auch noch andere massgebende Persoenlichkeiten in dieser Richtung auf das preussische Kultusministerium eingewirkt haben moegen, so ist doch die Tatsache nicht zu leugnen, dass Henriette Goldschmidt _den ersten mutigen Schritt in dieser Sache getan hat_ und dass daher ihre Petition von 1898 ein _Markstein_ in der Geschichte des deutschen Kindergartenwesens bleiben wird. Damit dieses _historisch bedeutsame Schriftstueck_ nicht so schnell der voelligen Vergessenheit anheimfaellt, sei es nachstehend im Wortlaut wiedergegeben, zumal es auch in Einzelheiten ueberaus charakteristisch fuer Henriette Goldschmidt ist: "Das Gesuch betrifft das fuer unsere Familien- und Volkserziehung so wichtige Gebiet der _Kindergaerten_ und _Seminare fuer Kindergaertnerinnen_. Beide Anstalten verdanken ihr Entstehen bekanntlich dem juengsten schoepferischen deutschen Paedagogen _Friedrich Froebel_. Auf die Initiative von Maennern und Frauen (Diesterweg, Frau von Mahrenholtz-Buelow, Johanna Goldschmidt u. a. m.), die noch unmittelbar unter dem Einflusse des Meisters standen und von seinen Ideen begeistert waren, ist die Errichtung von Kindergaerten und Seminaren zurueckzufuehren. Dieser selbstlosen Hingabe und opferwilligen Arbeit fuer die Realisierung des Froebelschen Erziehungswerkes folgte eine Privattaetigkeit einzelner Personen, die unter eigener Verantwortlichkeit Kindergaerten und Seminare fuer Kindergaertnerinnen errichteten, ohne eine andere Kontrolle als die ihrer eigenen Gewissenhaftigkeit. Die Folge davon ist, dass Erziehungsstaetten, die sich auf die wichtigsten Lebensalter - auf die Kindheit beider Geschlechter und auf das jungfraeuliche Alter - beziehen, den Charakter industrieller Unternehmungen angenommen haben. _Kindergaerten und Seminare fuer Kindergaertnerinnen unterliegen bisher dem Gewerbe- und nicht dem Schulgesetze._ Welch eine grosse Schaedigung der Sache dieser Umstand mit sich fuehrt, das kann hier nicht eroertert werden. Hinweisen wollen wir darauf, dass Erziehungsstaetten fuer das erste Kindesalter nur einer _frueheren_, nicht einer _niedrigeren_ Stufe unseres Lebens dienen als die _Volksschulen_. Wie aber die Errichtung einer Schule ohne Befaehigungsnachweis unstatthaft ist, so duerfte mit gleichem Rechte die Gruendung eines Kindergartens ohne Befaehigungsnachweis unstatthaft sein. Dasselbe, nur in verschaerfter Form, gilt fuer die Errichtung von _Seminaren fuer Kindergaertnerinnen_. Diese Anstalten sind bestimmt, Erzieherinnen zu bilden und haben daher eine Aufgabe zu erfuellen, welche derjenigen der Seminare fuer Lehrerinnen kaum nachsteht. Bezieht sich daher unser Gesuch zunaechst darauf, _dass die genannten Anstalten der Willkuer enthoben und einer behoerdlichen Kontrolle unterworfen werden_, so beschraenkt es sich nicht darauf. Es wird im allgemeinen zugegeben, dass die Grundlagen der Charakterbildung im Kinde geschaffen sind, wenn dasselbe in die Volksschule eintritt. Die hochwichtige erzieherische Aufgabe, welche dem vorschulpflichtigen Alter zugewiesen ist, wird zur Stunde lediglich dem Zufall ueberlassen. - Die weitaus groessere Zahl der Eltern hat fuer die Loesung derselben entweder keine Zeit oder kein Verstaendnis, oder keine Neigung. Es erscheint demgemaess dringend geboten, die Erziehung des heranwachsenden Geschlechtes im vorschulpflichtigen Alter von Staats wegen im Interesse des Staates sicherzustellen. Weder Vereine, noch private Unternehmungen sind imstande, eine Aufgabe zu loesen, die sich auf die gesamte Bevoelkerung bezieht - sie konnten nur die notwendige Vorarbeit leisten. - Weil aber die Erziehung der Kinder im vorschulpflichtigen Lebensalter fuer die Zukunft des heranwachsenden Geschlechtes, also fuer unser Volk und den Staat, von hoechster Bedeutung ist, bitten wir eine hohe Regierung, hochdieselbe wolle durch ein besonderes Gesetz oder durch eine Novelle zum Schulgesetze die Frage der Kindergaerten einer Regelung unterziehen, und zwar wolle hochdieselbe in dem erbetenen Gesetze anordnen, dass innerhalb eines festzustellenden Zeitraumes jede Gemeinde in Verbindung mit ihrer Volksschule einen oder mehrere Kindergaerten zu errichten habe, zu dessen Besuche alle Kinder mindestens zwei Jahre vor ihrem Eintritt in die Volksschule verpflichtet sind. Diese Kindergaerten bitten wir den staatlichen Schulaufsichtsbehoerden zu unterstellen. Auch wenn die hohe Regierung nicht fuer baldigen Erlass eines derartigen Gesetzes sich entschliessen koennte, wird sich hochdieselbe nicht verschweigen duerfen, dass die derzeitige Ausbildung der Kindergaertnerinnen nicht immer der Bedeutung entspricht, welche die erzieherische Taetigkeit erfordert. Wir fuehlen uns deshalb verpflichtet, eine hohe Regierung gehorsamst zu bitten: Hochdieselbe wolle anordnen, dass _die Seminare fuer Kindergaertnerinnen_ der staatlichen Pruefung unterstellt und dass die Abgangspruefungen der Seminaristinnen vor einer vom Staate eingesetzten Kommission abgelegt wuerden. Ausserdem ersuchen wir aber die hohe Regierung, mit der Errichtung staatlicher Anstalten fuer die Ausbildung von Kindergaertnerinnen vorgehen zu wollen. Angesichts der Uebelstaende, welche auf diesem so hochwichtigen Gebiete vorhanden, bitten wir ferner eine hohe Regierung: Hochdieselbe wolle guetigst anordnen, dass nach einem gewissen Zeitraum, dessen Dauer dieselbe bestimmen wolle, die Lehrerinnen an Kindergaerten vor einer staatlichen Kommission ihre Pruefung bestanden haben muessen. So lange, als die hohe Regierung noch nicht die Errichtung von Kindergaerten im Anschluss an die Volksschule durch die Gemeinden angeordnet hat, bitten wir: Eine hohe Regierung wolle die bestehenden privaten, von Vereinen, sonstigen Korporationen oder Einzelnen errichteten und erhaltenen Kindergaerten unter die Aufsicht der staatlichen Behoerde stellen. Schliesslich geben wir uns der Hoffnung hin, dass nach der Einfuehrung der gesetzlich angeordneten Gemeinde-Kindergaerten die Leiterinnen derselben, ebenso wie die Lehrerinnen das Recht auf Pensionsbezug erlangen. Wir glauben einer Frage des Staatswohles von hoher Bedeutung zu entsprechen, wenn wir uns gestatten, die Aufmerksamkeit einer hohen Regierung fuer dieselbe zu erbitten. Es handelt sich um eine sorgfaeltige naturgemaesse Erziehung grosser Massen von Kindern zu einer Zeit, die fuer die Richtung des Gemuetslebens, fuer die Charakterbildung ausschlaggebend ist. Wir gestatten uns, auf die Begleitschrift zu verweisen, welche die wesentlichsten Punkte der Begruendung der Petition enthaelt und geben uns der Hoffnung hin: Eine hohe Regierung werde unser Gesuch einer wohlwollenden Pruefung unterziehen und uns guetige Genehmigung unserer Bitten zuteil werden lassen. Leipzig, November 1898. *Der Vorstand des Bundes deutscher Frauenvereine.* _Auguste Schmidt_, Vorsitzende. _Henriette Goldschmidt_, Vorsitzende der Erziehungskommission des Bundes deutscher Frauenvereine." Ein reiches Programm! Jeder einzelne Punkt desselben beweist, wie gruendlich Henriette Goldschmidt die Kindergartenarbeit kannte, wie sehr die Missstaende auf diesem Gebiet sie schmerzten und wie sie auf Besserung sann. In der dieser Petition beigefuegten "_Begleitschrift_" geht sie noch ausfuehrlicher auf alle diese Einzelheiten ein. Es wuerde zu weit fuehren, auch den Inhalt dieser Begleitschrift hier wiederzugeben. Nur darauf sei noch ausdruecklich hingewiesen: Fuer Henriette Goldschmidt ist der Kindergarten - wie uebrigens auch fuer Froebel - _nicht eine Einrichtung der Not_. Er ist in erster Linie eine _paedagogische Anstalt_. Die _Kleinkinderbewahranstalten_ Oberlins entstanden aus wirtschaftlichen und sozialen Notstaenden heraus, der _Kindergarten_ Froebels aber verdankt seine Existenz einer paedagogischen Idee (vgl. S. 93 ff.). Das darf man nie aus dem Auge verlieren. b) Streitschrift gegen K. O. Beetz. Die Eingabe des "Bundes deutscher Frauenvereine" an die deutschen Regierungen veranlasste den damaligen Schuldirektor in Gotha _K. O. Beetz_ zur Veroeffentlichung einer Gegenschrift: "_Kindergartenzwang! Ein Weck- und Mahnruf an Deutschlands Eltern und Lehrer_" (Verlag Emil Behrend in Wiesbaden 1900). In scharfsinniger und temperamentvoller Weise greift Beetz in diesem Schriftchen den Kindergarten und die Eingabe des Bundes an. Man spuert es beim Lesen dieser Broschuere, dass hier nicht nur "irgend jemand" seine Meinung aeussert, sondern ein Paedagog von ausgepraegter Eigenart und nicht gewoehnlicher Begabung. Manches in seinen Ausfuehrungen ist prachtvoll. Das Ganze stilistisch gewandt und glaenzend geschrieben. Jedenfalls der geistvollste Angriff, der je gegen den Kindergarten gefuehrt worden ist. Um so groesser war die _Gefahr_, die von dieser Schrift ausgehen musste. Denn dass Beetz trotz alles Scharfsinns die Ideen Froebels nicht richtig erkannt und daher das Wesen des Kindergartens falsch aufgefasst hatte, das konnte hoechstens ein Kenner, keinesfalls aber das grosse Publikum merken. Es war daher dringend noetig, dass der Beetzschen Schrift entgegengetreten wurde. Unbegreiflich ist es, dass dies nicht von der in erster Linie in Frage kommenden Stelle, vom damaligen Vorstand des "_Deutschen Froebelverbandes_" sofort geschehen ist. Da kein andrer Zeit oder Mut fand, den schweren Angriff auf Froebel und sein Werk abzuwehren, trat nochmals Henriette Goldschmidt auf den Plan. Und sie schrieb eine Schrift, die in der Geschichte des Kindergartenwesens stets einen Ehrenplatz einnehmen wird: "_Ist der Kindergarten eine Erziehungs- oder Zwangsanstalt? Zur Abwehr und Erwiderung auf Herrn K. O. Beetzs 'Kindergartenzwang'!_" Mit feinem Spott leitet sie ihre Streitschrift ein: "_Kindergartenzwang!_ Gleich einem Posaunenruf, vor dem die muehsam aufgebauten Froebelschen Erziehungsstaetten niederstuerzen muessen, ertoent die Stimme des Herrn Schuldirektor Beetz: Gefahr ist im Verzuge - Gefahr fuer die Grundvesten der Gesittung, Gefahr fuer unser Familien- und Volksleben, Gefahr fuer den _Staat_! Alle Mann auf Deck! Eltern, Lehrer, Staatslenker! Die Kindergaerten vernichten die Grundlagen jeder menschenwuerdigen Gemeinschaft - sie vernichten das _Familienleben_!" Freilich, Herr Beetz ist nicht der erste, der dem Kindergarten solche gefaehrlichen Dinge zutraut. Der preussische Kultusminister _von Raumer_ sah in der Zeit der preussischen Reaktion im Kindergarten das gleiche Gespenst und verbot daher 1851 die Kindergaerten fuer die ganze preussische Monarchie. Ungefaehr zehn Jahre hat dieses unsinnige Verbot bestanden(5). Dann fiel es, wie so manche Fessel jener boesen Zeit. Es wuerde zu weit fuehren, hier das Duell Beetz-Goldschmidt bis ins Einzelnste - bis auf jeden Hieb und Gegenhieb - zu verfolgen. Nur auf einige wichtige Punkte sei kurz eingegangen. _Beetz_ hatte im Hinblick auf Froebels Ideen u. a. ausgefuehrt: "Der Entwicklungsgang des Menschengeistes gruendet sich auf unveraeusserliche Naturgesetze, die aus eigner Kraft der Verwirklichung zustreben. Wir koennen diesen Prozess durch naturgemaesse Eingriffe foerdern, durch widernatuerliche aufhalten, ueberhasten, schaedigen. Ihm nach Willkuer und gegen sein Wesen ein Tempo, eine Richtung aufzwingen, ein Ziel stecken zu wollen ist verkehrt und raecht sich an der Menschheit selbst." In dieser allgemeinen Fassung zweifellos ein sehr beachtlicher Einwurf! Schlagfertig antwortet Henriette Goldschmidt: "Wer bestreitet, dass der Entwicklungsgang des Menschengeistes sich auf unveraeusserliche Naturgesetze gruendet? Aber wer weiss es nicht, dass es unsere Aufgabe ist, diesen Gesetzen nachzugehen, sie zu erforschen, um aus ihnen die Erkenntnis fuer die Erziehung zu gewinnen? Und so wuerde es uns folgerichtiger erschienen sein, wenn Herr Beetz dem Satze: 'Wir koennen den Prozess (der Entwicklung) durch naturgemaesse Eingriffe foerdern, durch widernatuerliche ueberhasten, aufhalten, schaedigen' hinzugefuegt haette: _Deshalb waere es so hochwichtig, dass die Frauen, die Muetter, fuer die Erziehungsaufgabe vorbereitet wuerden, damit sie foerdernd, nicht hemmend, nicht schaedigend einwirken_; denn die Unkenntnis, die jetzt noch in Ruecksicht auf den muetterlich-erziehlichen Beruf des weiblichen Geschlechtes herrscht - _raecht sich an der Menschheit selbst_." Es haette weiter gesagt werden koennen, dass Froebel dem Entwicklungsgange des Menschengeistes ja eben gerade _nicht_ "nach Willkuer" oder gar "gegen sein Wesen" Tempo und Richtung aufzwingen und ein Ziel stecken will, sondern dass - ausser Pestalozzi - wohl kein anderer Paedagog so heiss gerungen hat um die Erkenntnis des innersten Wesens des Menschengeistes - der Menschheit und der Gottheit - wie gerade Froebel. Wie ernst es Froebel in dieser Beziehung nahm, dafuer nur ein Beispiel! Als junger Mann schrieb er einmal einem Freunde ins Stammbuch: "Dir gebe das Schicksal bald einen sicheren Herd und ein liebendes Weib; mich treibe es rastlos umher, und lasse mir nur so viel Zeit, _um mein Verhaeltnis zu meinem inneren Sein und zur Welt gehoerig zu erkennen_." - Wenn je einer tiefe Blicke ins Innerste der Menschennatur getan hat, dann war es Friedrich Froebel. Jeder, der Froebels Schriften wirklich studiert - nicht nur einmal fluechtig gelesen - hat, muss dies bestaetigen. Und Froebels Ideen standen durchaus in Uebereinstimmung mit der Philosophie seiner Zeit (Schelling, Krause!). Gewiss kann man ueber das innerste Wesen der Menschennatur verschiedener Meinung sein, und unser menschliches Wissen wird auch hier, wie in so vielen anderen Dingen, ewig Stueckwerk bleiben, aber "Willkuer" und Unnatur kann man den Froebelschen Ideen in dieser Beziehung nicht vorwerfen. Dieser Angriff der Beetzschen Schrift kann nicht scharf genug zurueckgewiesen werden. In einem weiteren Kapitel hat _Beetz_ dann mit feinem Geschick die grosse _Bedeutung der Familie_ fuer das Leben des Einzelnen und des Staates dargelegt; er hat dabei goldene Worte gefunden und damit die Familie in das hellste und schoenste Licht gerueckt. Er tut es aber nur, damit um so dunklere Schatten auf den Kindergarten fallen. Die Abwehr Henriette Goldschmidts gerade auf diesen gefaehrlichsten Vorstoss des Gegners bildet den Hoehepunkt ihrer Schrift. Sie geht hier - der alten Weisheit folgend: "Die beste Parade ist der Hieb!" - gleichsam selbst zum Angriff vor und stellt dabei die _innere Notwendigkeit des Kindergartens_ dar. Wir hoeren sie auch hier wieder am besten selbst: "In dem vierten Kapitel 'Kindergartenzwang und Familie' stellt Herr Beetz der Familie den Kindergarten als feindliche Macht gegenueber und bedient sich hier einer Waffe, die zur Vernichtung der Kindergaerten fuehren soll. Denn wer wird, wenn von beiden Potenzen die Rede ist, _Familie oder Kindergarten_, die Familie nicht als die wichtigere anerkennen?, wer wird, wenn es sich in der Tat um eine Schaedigung des Familienlebens durch den Kindergarten handelte, nicht dem letzteren den Garaus machen wollen? Wie sehr stimmen wir mit Herrn Beetz ueberein, dass 'die Familie das Produkt natuerlicher Kraefte ist, dass, wenn die Menschheit heute wieder ihren grossen Kulturlauf antraete, die erste Errungenschaft genau wie zum erstenmal die Bildung der Familie sein wuerde'? Diese Tatsachen erfahren meine Schuelerinnen in der ersten Unterrichtsstunde der Froebelschen Erziehungslehre. Und all die schoenen wohlgefuegten Saetze der Schilderung der Familie und ihres Einflusses haette Herr Beetz noch illustrieren koennen durch folgenden Ausspruch _Friedrich Froebels_ ueber die Familie: 'Familienleben! Wie so hochwichtig bist du! Du bist das Heiligtum der Menschheit, du bist das Allerheiligste der Pflege des Goettlichen. Familie! lasse es uns unumwunden und offen aussprechen, du bist mehr als Schule und Kirche und mehr noch als alles, was das Beduerfnis als Schutz des Rechtes und des Eigentums hervorrief. Familie! wo du nicht den Geist der Sinnigkeit und Sittlichkeit, des Beachtens und Nachdenkens in die Schulen bringst, da sind sie, und seien sie noch so gefuellt, leer wie ein unfruchtbares Ei, aus dem sich nie neues und frisches Leben entwickelt. Familie! was sind ohne dich Altar und Kirche, wo du ihnen nicht die Weihe gibst und Seele, Herz, Gemuet und Geist, Tun und Leben all der Deinen zum Altar und Tempel des lebendigen Gottes erhebst.'" - Dann wendet sich Henriette Goldschmidt den Einzelheiten des Beetzschen Angriffes zu. Der Kindergarten entfremde die Kinder der Familie, das Haus sei die einzige Staette, an der eine wirkliche Erziehung des Kindes moeglich sei, behauptet der Gegner. Darauf erwidert die Verteidigerin sehr richtig: "Bedeutet eine 3 oder 4 Stunden dauernde Abwesenheit vom Elternhause eine Entfremdung von der Familie, so duerfte die Schulzeit, die mit dem sechsten Lebensjahre beginnt, doch ebensowohl schaedlich auf die Innigkeit des Familienlebens wirken. Das wird Herr Beetz als '_Schulmann_', der die sittlich und geistig bildenden Einfluesse der Schule mit Recht hoch veranschlagt, nicht zugeben. _Der Kindergarten aber kann sich mit Ruecksicht auf den sittlich bildenden, geistig entwickelnden Einfluss mit der Schule messen_: seine Spiele, Liedchen und Beschaeftigungen geben Gelegenheit, Sinn und Gemuet des Kindes auf das Familienleben zu lenken. Der Kindergarten entlaesst die Kinder keinen Tag, ohne sie auf die Fuersorge der Mutter, auf das von ihr bereitete Mittagbrot usw. hinzuweisen: _der Kindergarten festigt das Band, das Eltern und Kinder umschlingt_. Ob jede Mutter, auch die, die ohne genuegende Hilfskraefte des Morgens die Wirtschaft zu besorgen, die Kleinen zu waschen - und anzuziehen - vielleicht noch ein Kleines zu pflegen und ihm Nahrung zu reichen hat - ob jede dieser nach Tausenden zaehlenden Muetter wirklich die koerperliche und seelische Kraft hat, trotz dieser aufreibenden Obliegenheiten sich die innere Ruhe und Harmonie zu erhalten, um den Kindern ein erziehliches Vorbild sein zu koennen? Wieviel wird an Kindern durch die erklaerliche Aufregung, die sich der Frau bei Erfuellung von Pflichten bemaechtigt, 'die hundert Maenner verbunden nicht ertruegen', gesuendigt! Ich spreche nur von den mittleren, noch nicht von den unteren Staenden der Bevoelkerung, ich spreche nur von normalen Verhaeltnissen - nicht von denen, wo die Mutter leidend, der Vater ungeduldig, das Verhaeltnis der Ehegatten zueinander das Gemuet der Kinder in der schlimmsten Weise beeinflusst. Solchem Einflusse die Kinder taeglich auf einige Stunden entziehen, ist eine Wohltat in seelischer Beziehung." - _Beetz_ hatte ferner behauptet, eine Mutter brauche keine paedagogische Fuehrung und Belehrung. Es genuege, wenn sie sich von ihrem Instinkt leiten lasse. Hier war der schwaechste Punkt des Gegners. Geschickt fuehrte daher Henriette Goldschmidt hier ihren staerksten Gegenschlag, indem sie mit feiner Ironie schrieb: "Redensarten wie die, 'die Mutter erzieht mit dem Herzen, sie ist in ihrem dunkeln Drange sich des rechten Weges bewusst, sie ist zur Erzieherin geboren', gewinnen nicht an Bedeutung, wenn sie ein 'Schulmann' ausspricht. Alle diese Redensarten von der Unfehlbarkeit des Instinktes der Frau schaffen die Tatsache nicht aus der Welt, dass der weitaus groessere Teil der Muetter - auch aus den hoeheren Gesellschaftskreisen - es nicht versteht, sich mit den Kleinen zu beschaeftigen. Die Frauen engagieren die Kindergaertnerinnen nicht aus Menschenfreundlichkeit, sie fuehlen, und zwar oft recht schmerzlich, dass ihr 'Instinkt' nicht ausreicht und dass die Kindergaertnerin sich mehr Verstaendnis und Geschick, ja sogar mehr Geduld fuer den Verkehr mit den Kleinen angeeignet hat, als sie, die gewiss gern ihre Kinder mit dem 'Herzen' erziehen moechten. Es ist eine bereits populaer gewordene wissenschaftlich begruendete Erfahrung, _dass der Instinkt um so sicherer leitet, je nie__driger das Geschoepf auf der Stufenleiter der Naturwesen steht_. Unfehlbarkeit des Instinkts ist das Kennzeichen niederer Organismen. Ganz gewiss mag in frueheren Jahrhunderten, in denen die Frau als Gattungswesen ihr Dasein innerhalb der Aufgabe, die ihrem Geschlechte als solchem zufiel, lebte, einen sicheren Instinkt fuer die Pflege und Erziehung, namentlich des ersten Kindesalters gehabt haben. Instinkte verlieren an Kraft bei fortschreitender Entwicklung. Ich wuerde Herrn Beetz ersuchen, von Zeit zu Zeit in meine Sprechstunde zu kommen, um zu erfahren, _wie sicher_ die Frauen von ihrem 'Instinkte', von ihrem 'dunkeln Drange', von ihrem 'Herzen' bei der Erziehung ihrer Kinder geleitet werden. Die Kindergaertnerinnen, die in Familienstellung sich befinden, erzaehlen allerdings noch etwas mehr, als man durch einen Blick auf die Strasse wahrnehmen kann: den sinnlosen Luxus, die Glacehandschuhchen, die Schnuerstiefelchen, die Spitzenhaeubchen, die Federhuete, die Kindergesellschaften, die Kinderbaelle - die kostbaren Puppen, die Modelle fuer Balldamen sein koennen, samt all dem Troedel, der nicht nur Leib und Seele des einzelnen Kindes schaedigt, der einen Keim fuer den Standeshochmut in seine unschuldige Seele bringt, wohl geeignet, die Kluft zu vergroessern, die die Glieder einer Volksfamilie voneinander trennt. Die Frau aus dem Volk steht allerdings der Kindesnatur naeher, als die durch alle Sprachen und Kuenste gebildete Mutter: jene befindet sich naeher der primitiven Entwicklungsstufe des Kindesalters. Weil aber dem so ist und kein Zurueckkehren zu dem Standpunkte des blossen Natur- und Gattungslebens moeglich - deshalb muss die Frau auf dem Wege der _Kultur_ zu der Erkenntnis der _Natur_ und ihrer Aufgabe als muetterliche Erzieherin gelangen. Nur auf dem Wege wissenschaftlicher Erkenntnis ist es heutzutage der Frau moeglich, zu den natuerlichen Bedingungen des Lebens zurueckzukehren. In diesem Sinne koennen wir die Erscheinung Friedrich Froebels eine providenzielle nennen: Er zeigt uns den Weg, den wir zu beschreiten haben, 'um von dem instinktiven, passiven Sein zu einem bewussten - und zu ganz gleicher Hoehe wie das maennliche Geschlecht zu gelangen'. Hier ist auch der Grund fuer das Verstaendnis vorhanden, mit dem die denkenden Frauen die Erscheinung Froebels begruessten. Sie anerkannten und anerkennen, dass echte Kultur keinen anderen Zweck habe, als uns unser eigentliches Wesen und unsere Aufgabe als Menschen besser verstehen zu lehren; auch sie wissen, dass kein Wort so sehr das dem Menschen Angemessene ausdrueckt, als das Wort 'natuerlich'. Und so beginnt der Prozess sich zu vollziehen, der zu einem wahren Fortschritt der geistigen und seelischen Entwicklung des weiblichen Geschlechtes fuehren wird: _zur Erkenntnis ihres natuerlichen Berufs_. Fuer den, der seit Beginn der Frauenfrage innerhalb derselben nicht nur taetig ist, sondern auch in objektiver Weise diese Bewegung beobachtet, fuer den muss die Tatsache hochbedeutsam erscheinen, dass auch diejenigen Fuehrerinnen dieser Bewegung, die seitab von der Froebelschen Paedagogik stehen, seit einer Reihe von Jahren nichts so sehr betonen, als die _Muetterlichkeit_ der Frau. Es zeigt sich auch hier die Weisheit des Kinderfreundes Froebel, der zwar kein philosophisches System ueber das 'Unbewusste' geschrieben, der aber die Bedeutung unbewusst aufgenommener Eindruecke tiefer erkannt hat, als es vor ihm geschehen. Ich stehe nicht an, es auszusprechen, dass die jetzt allseitig so sehr betonte Forderung der Frauen, das Muttergefuehl fuer unsere sozialen Aufgaben in Taetigkeit zu setzen, zu einem grossen Teile auf die _unbewusst_ aufgenommenen Ideen Froebels zurueckzufuehren ist, wie denn auch _die_ Frau, die als erste - in jedem Wortverstande - die Bedeutung Froebels erkannt und seine Juengerin geworden, es ausgesprochen: 'Die erziehliche Mission, zu welcher Froebel das weibliche Geschlecht aufruft, wendet sich unmittelbar an die Seite der weiblichen Natur, die den Kernpunkt seines Wesens ausmacht: an die Liebe, die heiligste Liebe, die der Mutter. Diese neue Erziehung soll den weiblichen Genius entfesseln, ihn erheben zur geistigen Mutter der Menschheit. - Die Liebe zur Menschheit soll dem weiblichen Geschlecht zum Kultus werden in der Pflege der Kindheit, in der Pflege des Gottesfunkens, den die Kinderseele birgt' (Bertha von Mahrenholtz-Buelow)." - Die beiden Schriften von Beetz und Goldschmidt wurden in den Fachkreisen vielfach besprochen. Viele Lehrer und Lehrerinnen wurden dadurch veranlasst, sich mit der _Frage des Kindergartens_ eingehender zu beschaeftigen, um Stellung in dem Streit nehmen zu koennen. So hat also durch die Entgegnung Henriette Goldschmidts der Angriff des Direktors Beetz im Grunde _zur Klaerung der Kindergartensache_ wesentlich beigetragen. Jeder, der die Angelegenheit objektiv pruefte, musste jetzt zu der Ueberzeugung kommen, dass die Vorstellung, wie sie Beetz und viele andere Schulmaenner vom Kindergarten hatten, unrichtig ist. Die Idee des Kindergartens ist viel groesser, als die meisten ahnen. Nicht _Sonderanstalten_ wollte Froebel schaffen, Sonderanstalten, die neben Schule und Familie ein getrenntes, ein Sonderdasein fuehrten, sondern die gesamte frueheste Erziehung wollte er durch die Idee seines Kindergartens auf eine natuerliche Grundlage stellen. Gewiss hat Froebel in vielen Staedten Kindergaerten als besondere Anstalten gegruendet und gewiss muessen in jedem Ort solche Einrichtungen geschaffen werden, das gehoert mit zur Idee seines deutschen Kindergartens. Diese einzelnen Kindergartenanstalten sind aber noch _nicht die eigentliche Verwirklichung der Idee_. Sie sind nur ein Teil der Verwirklichung, sie sind in der Hauptsache nur _Mittel zur Verwirklichung_ der Idee. Als _Teil_ der Verwirklichung muss man sie ansprechen, soweit sie die Familienerziehung _ergaenzen_, d. h. soweit sie Kindern, die in der Familie nicht den fuer die kindliche Entwicklung noetigen Kreis gleichaltriger Geschwister haben, Kameraden und Gemeinschaftsleben bieten, bzw. indem sie Kindern, die daheim infolge wirtschaftlicher und sonstiger Noete keine Erziehung geniessen koennen, diese geben. Als _Mittel_ zur Verwirklichung der Idee sind sie dort anzusehen, wo sie Pfleg- und Anschauungsstaetten der neuen Erziehungs_gesinnung_ sind. Gerade dieser Gedanke war Froebel besonders wichtig. In jeder - auch der kleinsten - Gemeinde sollte neben Kirche und Schule ein Kindergarten bestehen - weniger unmittelbar der Kinder, als vielmehr der Frauen und Muetter wegen. Zu ihm sollten die heranwachsenden Maedchen und jungen Frauen kommen - getrieben von ihrem muetterlichen Instinkt, von dem ihnen angeborenen Pflegesinn, von der hoeheren Liebe zur Kindheit, um sich hier - als Gaertnerinnen an der Kindheit - zu betaetigen, um nach dem Vorbild und unter der Anleitung _einer echten Kindergaertnerin_ taetig zu sein und zu lernen, dadurch ihr Edelstes zu staerken und zu entfalten, sich dadurch ihres Frauen- und Muttertums immer klarer bewusst und auf diese Weise in hoeherem und geistigerem Sinne _Mutter_ zu werden. Hier liegt fuer Henriette Goldschmidt der Kernpunkt der ganzen Frage: _Die Entfaltung des innersten weiblichen Wesens, die Erhebung ihres bisherigen instinktiven passiven Tuns zu wirklicher, zu bewusster schoepferischer Kulturleistung_ ist nur moeglich mit Hilfe des Kindergartens. Sie sieht keinen anderen Weg. _Hier allein bietet sich dem weiblichen Geschlecht Gelegenheit, __durch Tun und Arbeit (an den Kindern) seine ureigensten Kraefte und Anlagen zur Entwicklung zu bringen und im steten Hinblick auf die Idee Froebels sich des ewigen Wesens der Frau und ihrer tiefsten Bestimmung bewusst zu werden._ Der Frauenwelt dieses hohe Ziel fuer die Entwicklung gesteckt und ihr im Kindergarten zugleich den Weg zu diesem Ziel gezeigt zu haben, das ist - nach Henriette Goldschmidts Meinung - die grosse historische Mission Friedrich Froebels gewesen. Wer von der Verwirklichung dieser Idee einen Zusammenbruch der Familie befuerchtet, wie dies Beetz tut, der kann die Idee in ihrer ganzen Groesse nicht erfasst haben. Wenn irgend etwas, so ist Froebels Idee des Kindergartens ein Schritt zur Vergeistigung und Erhoehung des Menschengeschlechts. "_Baut das Haus zum frohen Kindergarten!_" hatte Froebel den Muettern zugerufen. Das sollte nicht heissen - wie das spaeter faelschlicherweise oft ausgelegt wurde - "sammelt Gelder, damit wir das Haus fuer einen Kindergarten bauen koennen", sondern Froebel meinte damit: Macht euer Haus, macht jedes Haus zu einem Kindergarten! _Jede Familienstube __ein Garten der Kindheit!_ Jede Mutter in diesem Sinne eine Kindergaertnerin, ausgezeichnet durch Liebe und echten Pflegesinn, ihren Beruf bewusst als Kulturberuf ausuebend, geadelt von der Erkenntnis, dass Geistiges, dass Goettliches ihrer Obhut und Pflege anvertraut ist. Wenn man sich in Froebels sinnigstes und eigenartigstes Werk vertieft, in seine "_Mutter- und Koselieder_", dann wird einem das Ideal dieser Mutter deutlicher. Wo ein _Weib dieser Art_ wirkt, sei es in der Familie, sei es in einer besonderen Anstalt fuer Kinder - in einer Kleinkinderbewahranstalt, in einem Waisenhaus, in einer Schule - _da ist ein wirklicher Kindergarten_. _Und ueberall, wo Kinder sind, da sollte ein solcher Garten der Kindheit entstehen._ Das ist Froebels sehnlichster Wunsch. Darum ruft er: "Baut das Haus zum frohen Kindergarten!" - Koennen daran unsere deutsche Familie und unser Volk zugrunde gehen, wie Beetz befuerchtet? Das Gegenteil wuerde eintreten. Darum sollten wir alles tun, um moeglichst viele solcher Muetter zu erhalten. _Damit fuehrt Froebels Kindergartenidee hinueber ins Gebiet der Frauenbildung._ 3. Ihre Reform der Frauenbildung. a) Kindergaertnerinnen-Ausbildung. Aus den bisherigen Ausfuehrungen ergibt sich mit Notwendigkeit, dass zunaechst echte _Kindergaertnerinnen_ herangebildet werden muessen, die in der Frauenwelt dann gleichsam als Sauerteig wirken koennen. Denn erst, wenn in jeder Gemeinde eine von wahrer Gaertnergesinnung erfuellte gebildete Frau als Leiterin des Kindergartens taetig ist, erst dann ist ja die Voraussetzung dazu erfuellt, dass alle heranwachsenden Maedchen und jungen Muetter der Gemeinde an ihrem Vorbild und in ihrer Art sich bilden zu wahren Pflegerinnen der Kindheit. Diese Notwendigkeit hatte schon Froebel erkannt. Daher bemuehte er sich bereits seit 1839, in besonderen Kursen (in Blankenburg, Keilhau, Dresden, Hamburg und zuletzt in Marienthal bei Liebenstein) Maedchen und Frauen zu solchen wahren Kindheitpflegerinnen heranzubilden. Nach seinem Tode setzten seine Freunde (bes. Wilhelm Middendorff), vor allem auch seine zweite Frau (Louise Froebel), diese Arbeit fort. Spaeter entstanden in vielen Staedten Deutschlands besondere "_Seminare fuer Kindergaertnerinnen_". Die preussische Regierung gliederte 1911 solche Ausbildungskurse fuer Kindergaertnerinnen sogar in die allgemeine Frauenschule ein und erliess besondere Vorschriften fuer die staatliche Pruefung der Kindergaertnerinnen. Andere deutsche Staaten folgten, z. B. Sachsen 1918. Auch Henriette Goldschmidt hatte in Leipzig ein solches Seminar fuer Kindergaertnerinnen gegruendet, und zwar bereits im Jahre 1872. Es war eine der ersten derartigen Anstalten in Deutschland. Und zweifellos eine der besten. Der Ausbau der Kindergaertnerinnen-Seminare stiess auf grosse Schwierigkeiten. Er war viel schwerer als der einige Jahrzehnte vorher erfolgte Ausbau der Lehrerinnenseminare. Denn bei diesen letzteren war bereits das Vorbild der Lehrerseminare vorhanden und ein Stab vorzueglicher Seminarlehrer, die den Unterricht in sachgemaesser Weise uebernehmen konnten. Beim Kindergaertnerinnenseminar fehlte beides. Wie bei jeder voelligen Neuschoepfung war auch hier zunaechst nur ein chaotischer Zustand vorhanden, aus dem sich erst ganz allmaehlich festere Formen heraus entwickelten. Dass sich dieser Klaerungs- und Gestaltungsprozess vollzog, dass mehr und mehr die fruehere "vom Zufall, von der Gunst oder Ungunst der Verhaeltnisse abhaengige Bildnerei der Kindergaertnerinnen" einem geordneten systematischen Lehrgang wich, das ist in erster Linie ein Verdienst Henriette Goldschmidts. Sie uebte strenge Kritik an sich und anderen. Noch 1909 erklaerte sie auf der Hauptversammlung des "Deutschen Froebelverbandes" in Magdeburg - also vor den versammelten Leiterinnen der Kindergaertnerinnen-Seminare Deutschlands: "Gestehen wir es uns offen, _unsere Seminare_, die Fachschulen, die einer Anzahl von jungen Maedchen, die oefter der Not gehorchen als einem inneren Drange, die Vorbereitung zur Kindergaertnerin geben, _entsprechen nicht der Idee Froebels_, das weibliche Geschlecht um seiner menschheitpflegenden Bestimmung willen zu ganz gleicher Hoehe wie das maennliche zu erheben." - Man hatte in der Ausuebung des Kindergaertnerinnenberufs eine _Erwerbsquelle_ entdeckt und Seminare aus diesem Grunde ins Leben gerufen. Gewiss hat Froebel dadurch, dass er einen neuen Beruf fuer Frauen geschaffen hat, eben den Beruf der Kindergaertnerin, unendlich viel fuer die "Brotfrage" des weiblichen Geschlechts getan, aber die Seminare duerfen nicht dieser Brotfrage wegen gegruendet werden, sie muessen vielmehr stets der Tatsache eingedenk bleiben, dass sie _einer grossen Idee entsprungen_ sind. Verlieren sie diese aus den Augen, dann sinken sie zu einer gewoehnlichen Fachschule herab, in der man sich begnuegt, die Schueler aeusserlich auf den zukuenftigen Beruf zuzustutzen. Diese aeusserliche Abrichtung ist aber nirgends gefaehrlicher als gerade hier, wo es sich darum handelt, _Traegerinnen einer neuen Frauenkultur_ heranzubilden. Fuer viele Berufe mag es genuegen, die Schueler in aeusserer Technik zu schulen, _fuer den Beruf der Kindergaertnerin genuegt es nicht_. In ihr muss der innere Sinn fuer die Bestimmung des weiblichen Geschlechts geweckt sein, sie muss das spezifische Wesen der Frau erkannt, _innerlich erlebt_ haben, sie muss im Kinde die Kindheit, das Goettliche ahnen: wie kann sie sonst _Pflegerin der Kindheit_ werden? wie kann sie sonst Maedchen und Frauen zum Bewusstsein ihrer menschheitpflegenden Bestimmung verhelfen? Es genuegt also nicht, dass die zukuenftige Kindergaertnerin auf dem Seminar in die Handhabung der Froebelschen Gaben und Beschaeftigungen eingefuehrt wird. Sie muss tiefer eindringen. Also nicht nur enge Berufs- und Fachbildung, sondern allgemeine Vertiefung in Menschen- und Welterkenntnis. Das hat Henriette Goldschmidt tief empfunden. Und sie hat sich bemueht, dies durch zeitliche Ausdehnung der Lehrgaenge und durch Aufnahme allgemeinbildender Faecher in den Lehrplan zu erreichen. Freilich in vollem Umfange ist ihr die Loesung des schwierigen Problems noch nicht gelungen. Dessen war sie sich auch vollkommen bewusst. Am ehesten noch hoffte Henriette Goldschmidt den inneren Sinn der Schuelerinnen erschliessen zu koennen durch die _kulturhistorische Begruendung_, die sie der Froebelschen Paedagogik gab. Sie ging dabei aus von dem Wort Froebels: "In der Entwicklung des inneren Lebens des einzelnen Menschen spricht sich die geistige Entwicklungsgeschichte des Menschengeschlechts aus, so dass das gesamte Menschengeschlecht als _ein_ Mensch angeschaut werden kann, da in ihm die Entwicklungsstufen des Einzelnen nachzuweisen sind." Also: _Die Entwicklung des Einzelnen gleicht der Entwicklung der Gesamtheit_, oder wie Karl Lamprecht es einmal ausgedrueckt hat: "Der heutige Stand der Wissenschaft laesst keinen Zweifel mehr daran bestehen, dass die Entwicklung des Einzelmenschen nicht nur physisch, sondern auch psychisch im allgemeinen analog der Entwicklung der Rasse verlaeuft. Die natuerliche Konsequenz dieser Tatsache ist, dass, um die Entwicklung der Rasse zu verstehen, es noetig ist, die Wissenschaft der Entwicklung des Einzelmenschen zu Hilfe zu nehmen und umgekehrt. Insbesondere kommt hier in Betracht der seelische Werdegang des Kindes, in vielen Punkten verlaeuft er parallel zu jenen Zeiten der Kulturgeschichte, die man als Praehistorie bezeichnet, nicht minder weist er Merkmale auf, die auch den Kulturen der heute noch auf niedrigen Entwicklungsstufen stehenden Naturvoelker eigentuemlich sind." Dieses _biogenetische Grundgesetz_, wie man es in der Wissenschaft genannt hatte, spielte in der Paedagogik bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine Rolle. Der Leipziger Universitaetsprofessor Ziller wollte die Verteilung des Lehrstoffes fuer die Volksschule auf Grund dieses Gesetzes vornehmen. Er meinte damit dem jeweiligen Fassungsvermoegen der Kinder am besten Rechnung zu tragen. So kam er zu seinen bekannten acht "_Kulturstufen_". Den gesamten Unterricht waehrend eines Schuljahres gruppierte er um ein wertvolles Kulturerzeugnis, das ungefaehr der geistigen Reife der Kinder des betreffenden Jahrgangs entsprach, und zwar hatte er ausgewaehlt: fuer das erste Schuljahr: zwoelf Maerchen der Gebrueder Grimm, fuer das zweite Schuljahr: Robinson, fuer das dritte Schuljahr: die Geschichten der biblischen Patriarchen, fuer das vierte Schuljahr: die Geschichte von Moses usw. Es ist hier nicht der Ort, die Richtigkeit des biogenetischen Grundgesetzes nachzupruefen oder die Berechtigung seiner Anwendung auf die praktische Erziehungs- und Unterrichtsarbeit zu eroertern. Uns interessiert hier nur die Art und Weise, wie Henriette Goldschmidt mit Hilfe dieses Gesetzes die zukuenftigen Kindergaertnerinnen in das Verstaendnis der Froebelschen Paedagogik einfuehrte. Hoeren wir sie selbst! - In ihren "Ideen ueber weibliche Erziehung" (1882) gibt Henriette Goldschmidt einige Andeutungen darueber, wie sie sich diesen Unterricht denkt. Sie schreibt: "Die Freiheitsgeschichte des Menschen, sowie die unstreitige Ursache der Ungleichheit und aller aus ihr resultierenden Uebel hat mit dem Bebauen des Bodens begonnen. Das erste Korn, von Menschenhand in die Erde gelegt, enthielt auch den Kern 'mit der Frucht geschwellt', die unser vielgestaltiges Kulturleben birgt. Der Ackerbau bedingt den festen Wohnsitz, der feste Wohnsitz ermoeglicht ein inniges vertrauliches Familienleben. Der Kranke, der Schwache, der Alte, das Kind, jetzt sind sie nicht die Last, die auf Streifzuegen gar nicht mitgenommen werden konnten, deren Toetung als Wohltat betrachtet wurde - sie koennen in den Raeumen versorgt, gepflegt, behuetet werden, die eine bestimmte Umgrenzung, eine Wohnung bilden. Tugenden der Geduld, der Nachsicht werden entwickelt, Neigungen werden zu Empfindungen, Liebe verbindet sich mit Treue und wird zu edler Gesinnung. Die Frau wird schon dadurch zur Gehilfin des Mannes, wenn die Speise nicht mehr roh, sondern zubereitet genossen wird. Der Wohnungsraum, der Kochtopf, das sind die wichtigsten Bedingungen fuer die Kultur. Alles andere ergibt sich bei einigem Nachdenken von selbst. Dem Familienleben folgt das Gemeinde-, das Volks- und Staatsleben. Der Ackerbau erfordert Werkzeuge. Es entsteht der Handwerkerstand, es folgt der Handels-, Kaufmannsstand, 'der Gueter zu suchen ausgeht, an dessen Schiff das Gute sich knuepft'. Die religioese, die wissenschaftliche, die kuenstlerische Bildung gewinnt die ersten Anregungen, die ersten Anschauungen durch die Beobachtung und durch die Beschaeftigung mit der Natur und schreitet fort zur Ahnung, zur Erkenntnis des Goettlichen - zu dem 'ueber Zeit und Raum thronenden hoechsten Gedanken.' Haben wir mit diesem Ausgangspunkte, den wir als den kulturgeschichtlichen bezeichnen, einen festen Punkt fuer die Erziehung des Einzelnen in unserer Zeit gewonnen? Was hilft uns die Erkenntnis von dem naturgemaessen Ausgangspunkte der Kultur der Gesamtheit in Ruecksicht auf die Erziehungsaufgabe im einzelnen? Entwicklung bedeutet ja bei dem Menschen nicht Wiederholung derselben Stadien wie bei Naturwesen, wozu nuetzt es uns, auf die primitiven Stufen zurueckzugehen? Wir werden nicht jedes Kind erst Ackerbau treiben lassen, damit es den richtigen Ausgangspunkt fuer die Kultur empfaengt. Gewiss, so wenig 'Entwicklung' bei dem Menschen Wiederholung derselben Stadien bedeutet, so wenig koennen wir uns von den allerersten Bedingungen unserer Existenz so losloesen, dass wir nicht mit ihnen anfangen muessten. Die ersten Kulturstufen koennen niemals von den folgenden ganz ueberwunden werden, sie sind auch fuer die naechsten zu benutzen. Jeder Mensch faengt noch heute als ein Kind an und deshalb als ein '_Naturwesen_', und so steht das Kind bei seiner Geburt viel naeher dem Zustande der Naturvoelker als dem seiner gebildeten Eltern. Wir werden demnach, wenn wir an die Erziehung des Kindes herantreten, es als '_Naturwesen_' zu achten und zu beachten haben und zunaechst die Bedingungen erfuellen, auf die es als Naturwesen ein Recht hat. _Die Existenz um der Existenz willen, ist das Recht des Geschoepfes._ Doch wir werden diesen Bedingungen in der Erkenntnis zu entsprechen suchen, die wir aus der Beachtung eines naturgemaessen sittlich-geistigen Entwicklungsganges gewannen. Wir sehen, dass auch die sittlich-geistigen Einfluesse durch die verschiedene Art der Befriedigung der Nahrungsbeduerfnisse bedingt sind, und wir werden folgerichtig schliessen, dass die sittliche Gewoehnung des Kindes schon hier, bei der Verabreichung von Nahrung zu beginnen hat." (S. 53 ff.) "Das Eleusische Fest" von Schiller diente ihr meist als Ausgangspunkt fuer diese kulturhistorischen Besprechungen. In ihrer groesseren Schrift "Was ich von Froebel lernte und lehrte" hat sie sich ueber diesen wichtigen Teil ihres Unterrichts weiter verbreitet. b) Allgemeine Frauenbildung. _Friedrich Froebel_ hatte sich die Veredelung des bisherigen instinktiven Tuns der Frau zu einer bewussten Kulturleistung, also die kulturelle _Hoeherentwicklung_ des weiblichen Geschlechts "von seinem Wesen aus" nur mit Hilfe der Kindergaertnerinnen in den, bzw. durch die Kindergaerten gedacht. Darum erblickte er in der Ausbildung von echten Kindheitspflegerinnen seine wichtigste Aufgabe. _Henriette Goldschmidt_ ging in dieser Beziehung ueber Froebel hinaus. Sie fasste die Aufgabe weiter. Zwischen Froebel und ihr lag eben - schon rein zeitlich betrachtet - der Anfang der deutschen Frauenbewegung. Von einer neuen, von einer umfassenden Frauenbildung allein erwartete man einen Aufstieg des weiblichen Geschlechts. Diese Gedanken hatten in Henriette Goldschmidt begeisterten Widerhall gefunden. Zu ihrer Verwirklichung beizutragen, galt ihr als heiligste Pflicht. Um das ganz zu verstehen, muss man bedenken, dass die Maedchen damals noch vom Besuch oeffentlicher hoeherer Schulen ausgeschlossen waren. Es gab fuer sie nur private - zum Teil recht minderwertige - Fortbildungseinrichtungen. Durch das berechtigte Streben der Frauen, nicht eine schlechtere Bildung zu erhalten als die Maenner, entstand die Gefahr, die fuer Knaben bestimmten Schulen sklavisch nachzuahmen. Nicht alle Vorkaempferinnen fuer Frauenbildung sind dieser Gefahr entronnen. Henriette Goldschmidt dagegen erkannte von vornherein, dass es ein Widerspruch waere, mit den bisherigen (also auf Maenner zugeschnittenen) Schuleinrichtungen und Unterrichtsmethoden das tiefinnerste Wesen des Weibes entfalten, den muetterlichen Instinkt zum Bewusstsein erheben zu wollen. Dadurch erhielt ihr Wirken fuer Frauenbildung die starke, _spezifisch weibliche Note_. Schon 1871 konnte sie daher in einem in Kassel gehaltenen Vortrage ueber "die Frau im Zusammenhang mit dem Volks- und Staatsleben" jede Nachahmung der Knaben- und Maennerbildungsanstalten ablehnen und erklaeren: "_Nur durch ein ganz veraendertes Prinzip der Erziehung kann die Umbildung unseres Geschlechtes vor sich gehen._" In Froebels Paedagogik fand sie diesen neuen Weg. Sie spuerte in seiner Idee, den Erziehungsberuf der Frau zu einem Kulturberuf zu erheben, die Keimkraft einer neuen Epoche der Menschheit sich regen. "Zum ersten Male," schrieb sie 1909, "erhielten die Frauen (durch Froebel) nicht nur guten Rat und gute Lehren als Brosamen von der bisherigen wissenschaftlichen Paedagogik, sondern eine _Lehre_ in systematischer Form, eine neue Lehre von einem neuen Quellpunkte aus, aus einer neuen Erkenntnis." _Anders_ also sollte der Bildungsgang des Weibes sein als der des Mannes, andersartig aber _nicht minderwertiger_, nicht "leichter", nicht "bequemer", nicht "oberflaechlicher". Im Gegenteil! An Arbeit, an harte Arbeit soll das weibliche Geschlecht sich gewoehnen. Das fand damals - besonders bei den Frauen der hoeheren Schichten - noch viel Widerspruch. Aber in ihrem tiefsinnigen Vortrag "Die Frauenfrage eine Kulturfrage" (1870!) zerstreute sie diese Bedenken mit folgenden feinen und klugen Worten: "_Die Arbeit_, die sich segensreich bewaehrt auf allen Gebieten des Lebens, die Ausbildung des Geistes, die bei unsern Maennern die Gemuetsinnigkeit steigert, _sollte fuer die Frau gefaehrlicher sein als die Ausbildung des Phantasie- und Genusslebens_? Ich meine, selbst die weitgehendste wissenschaftliche Ausbildung, selbst eine einseitigste Berufsbildung stellt uns auf den Boden der Pflicht und bildet den Menschen. Denn arbeiten muss der ganze Mensch, weder die Phantasie allein, noch das Herz allein. In der Arbeit kommt Herz und Geist zur Durchdringung, zur Uebereinstimmung, zur Einheit; die Arbeit schafft den Charakter, und _Charakter sollen auch unsere Frauen haben_, nicht willenlose Schwaermerei, nicht Phantasterei, nicht lethargisches Genussleben." Die wichtigste Sorge ist ihr nur, dass die Bildung des weiblichen Geschlechts auch Fruechte trage, dass sie zu positiven Leistungen fuehre. Sie hat ein sehr richtiges Gefuehl dafuer, dass naemlich durch die den Frauen eingeraeumten Rechte auf Bildung dem weiblichen Geschlechte auch Pflichten erwachsen, dass man von ihm nun eine tatsaechliche Bereicherung bzw. Veredelung unseres Kulturlebens erwarten wird. Ob die Frau, soweit sie in Schule und Beruf in den Bahnen des Mannes wandelt, zu fruchtbarer Kulturarbeit sich wird erheben koennen, erscheint ihr mindestens zweifelhaft. Wenn sie dagegen "von ihrem Wesen aus", innerhalb ihrer Bestimmung sich ungehemmt entfalten kann, dann wird sie Kulturleistungen hervorbringen, Kulturleistungen, deren der Mann nicht faehig ist. Das ist Henriette Goldschmidts fester Glaube. Es kommt also alles darauf an, die Frauenbildung _naturgemaess_ zu gestalten, sie zu gruenden auf das Wesen, auf die Natur des Weibes. Darum ist ihr "der Pflegesinn des Weibes, seine seelische Besonderheit, seine ihm eigentuemliche Aufgabe" Mittelpunkt fuer den Lehrplan und Ziel aller hoeheren weiblichen Fortbildung (nach Verlassen der Schule!). Pflegen und Erziehen muss dem weiblichen Geschlechte nicht nur als wichtigste, sondern zugleich als schoenste Aufgabe des Lebens erscheinen. Die Entfaltung dieses idealen Sinns denkt sich Henriette Goldschmidt nicht nur mit Hilfe der Froebelschen Paedagogik - wenn auch durch sie in erster Linie -, sondern auch durch Einfuehrung in die Ideenwelt unserer Klassiker. Sie hat erkannt, dass es von grossem erziehlichen Einfluss ist, wenn "unsere Jugend ihre Ideale durch die Erkenntnis der Ideale unserer Klassiker laeutert". In diesem Sinne schreibt sie in ihren "Ideen ueber weibliche Bildung" (1882): "Ich bin mir bewusst, dass meine Ansichten dem Geiste einer Zeit verwandt sind, die unmittelbarer unter dem Einflusse unserer klassischen Literatur, eines Herder, Lessing, Schiller sich befand, als die unsrige. Mag eine gelehrte Jugend laecheln ueber die Traeume einer idealistisch gestimmten Vergangenheit. _Wir leben der Ueberzeugung, dass das deutsche Volk mehr als einmal im Laufe seiner Entwicklung zurueckkehren_ wird zu den Idealen jener Zeit, und dass es auch aus dem Drucke unserer pessimistisch-materialistisch gestimmten Gegenwart, die ihren Gegensatz in einem romantisch sinnlich-uebersinnlichen Rausche sucht, erwachen muss bei dem Morgenlichte jener einzigen Zeit, die unsere Dichter und Denker heraufgefuehrt. In diesem Sinne und im Zusammenhange mit den grossen Paedagogen ausserhalb der Schule hat sich mir das Verstaendnis der Froebelschen Erziehungslehre erschlossen, und in diesem Sinne moechte ich zu ihrem Verstaendnis anregen." (S. 26.) Damit ist in allgemeinen Zuegen der Charakter einer hoeheren Fortbildungsschule fuer Maedchen bzw. Frauen gezeichnet, wie sie Henriette Goldschmidt vorschwebte. Der Kindergarten und die Arbeit in ihm ist das Fundament, auf dem sie aufgebaut ist. Jedes heranwachsende Maedchen sollte durch ihn hindurchgehen! Eine Art _weibliches Dienstjahr_ schwebt ihr vor. In unseren Tagen wird viel von einem "Freiwilligenjahr der Frau" geredet. Da ist es nicht uninteressant, festzustellen, dass dieser Gedanke nicht so funkelnagelneu ist, wie manche glauben. Bereits _1868_ hat Henriette Goldschmidt auf der Generalversammlung des "Allgemeinen deutschen Frauenvereins" in Braunschweig dieser Idee mit folgenden Worten Ausdruck verliehen: "Die Maenner zahlen ihre Schuld dem Vaterlande, indem sie es gegen den Feind verteidigen, und indem sie die Buerger gegen Gefahren schuetzen. _Vertreter des Volks, wir Frauen verlangen eine gleiche Last!_ Alle jungen Maedchen muessten, ehe sie heiraten, _wenigstens ein Jahr lang_ taeglich mehrere Stunden in den Hospitaelern zubringen, in den Wohltaetigkeitsanstalten, in allen Orten, die zum Schutz der Ungluecklichen gestiftet sind. Hier muessten sie die augenblickliche und natuerliche Erregtheit ihres weichen Herzens, die voruebergehend und deshalb unfruchtbar ist, in ein taetiges Gefuehl verwandeln. Die Frauen muessten auch den Eid der Treue leisten, und zwar nicht dem Staat, sondern Gott und den Armen - und nachdem sie ihre Pflicht getan haben, ebensogut und ebenso stolz wie der Soldat sagen koennen: 'Ich habe gedient'." - Spaeter wollte sie dieses "Dienstjahr" ausschliesslich auf dem Gebiete der Erziehung abgeleistet wissen. So schrieb sie 1918: "Das Dienstjahr fuer die weibliche Jugend sei ein Lehrjahr in einer gutgeleiteten Froebelschule." Und sie fuegt hinzu, warum sie gerade den Kindergarten fuer die geeignetste Staette zur Ableistung der weiblichen Dienstpflicht haelt: Der "Schrei nach dem Kinde" ertoent jetzt lauter denn je. "Hier, im Kindergarten, ist die Staette, _wo der Wille zum Kinde_ in der keuschesten Weise in den jugendlichen Gemuetern erweckt wird und das muetterliche Gefuehl in einer unserer Kultur gemaessen Weise sich betaetigt." Jedenfalls soll die heranwachsende weibliche Jugend zu der Erkenntnis gefuehrt werden, dass _die Erziehungsaufgabe eine wichtige allgemein menschliche Angelegenheit_ ist, insbesondere eine Pflicht des weiblichen Geschlechts, auf deren Ausuebung man sich vorbereiten muss. Dass in dieser Beziehung bisher eine Luecke in unserem Schulwesen bestand, brachte Henriette Goldschmidt ihren Lesern bzw. Hoerern gern dadurch zum Bewusstsein, dass sie ein Wort des Philosophen _Herbert Spencer_ zitierte, naemlich folgendes: "Wenn durch irgendeinen Zufall keine Spur von uns bis auf die ferne Zukunft erhalten bliebe, ausser einem Haufen unserer Schulbuecher oder einigen Pruefungsheften der Schule, so koennten wir uns ausmalen, in welche Verlegenheit ein Altertumsforscher jener Periode kaeme, in ihnen keine Zeichen zu finden, dass die Schueler jemals moeglicherweise Eltern werden wuerden. Wir koennen uns vorstellen, dass er folgendermassen schliesst: _Dies muss der Schulplan fuer die ehelosen Staende gewesen sein ..._ ich finde nicht die geringste Beruecksichtigung der Kindererziehung. Sie konnten nicht so toericht sein, fuer diese schwerste aller Verantwortlichkeiten jeglichen Unterricht zu unterlassen. Offenbar also war dies der Schulkursus eines ihrer Klosterorden." Die Verwirklichung ihrer Ideen ueber allgemeine weibliche Hoeherbildung versucht sie in ihrem, 1878 gegruendeten, "_Lyzeum fuer Damen_" in Leipzig (jetzt "Froebel-Frauenschule"). - 1911 hat sie in ihrer Denkschrift "Vom Kindergarten zur Hochschule fuer Frauen", unter Anlehnung an das 1878 erschienene erste Programm dieser Anstalt, _das Wesen dieser neuartigen hoeheren Frauenbildungsstaette_ in folgender Weise dargelegt: "Das Lyzeum will der Idee dienen; '_das instinktive passive Tun der Frau_' auf ihrem _eigensten_ Gebiete in ein _bewusstes_ zu wandeln: es will die weibliche Jugend der wohlhabenden, der gebildeten Staende mit dem Wissen und Koennen ausstatten, das der Erziehungsberuf innerhalb der _eigenen_ Familie erfordert. _Der Erziehungsberuf der Frau ist als gleichwertig der Berufsbildung des Mannes zu betrachten, er bedarf der Vorbereitung._ Kein Mann beschraenkt sich, darf sich auf diejenige Wissenschaft beschraenken, die seine Fachbildung erheischt. Der Arzt studiert nicht nur Naturwissenschaften, der Jurist nicht nur Rechtswissenschaft, der Geistliche nicht nur theologische Schriften usf., - sondern ein jeder lernt sein besonderes Fach erst recht kennen, wenn er durch das Studium der Geschichte, Literatur, Philosophie usw. Klarheit ueber die Stellung gewinnt, die seine Spezialwissenschaft innerhalb der Gesamtwissenschaft einnimmt. Von diesem Gesichtspunkte ausgehend, hat das Lyzeum in seinem Lehrplan: Geschichte, Literatur, Kunstgeschichte, Mathematik, Naturwissenschaften und die Fortfuehrung des fremdsprachlichen Unterrichts aufgenommen. Das Lyzeum waere aber keine hoehere Lehranstalt fuer die weibliche Jugend, wenn nicht Erziehungslehre, Geschichte der Erziehung, Gesundheitslehre, Psychologie den Mittelpunkt des Planes bildeten. Das Lyzeum waere keine hoehere Lehranstalt im Sinne und Geiste unserer neuen Paedagogik, wenn es sich mit theoretischen "anschauungslosen Definitionen" begnuegte. "Erziehung" verlangt: "Willen und Koennen." Dieses Wollen und Koennen ist durch Froebels Lehre und Methode gegeben: die letztere verlangt kuenstlerische Uebungen, das Zeichnen, das Tonen usw. - Gymnastik und Gesang. Das Lyzeum waere aber auch keine hoehere Lehranstalt im Sinne und Geiste _unserer auf soziale Hilfsarbeit gerichteten Zeit_, wenn es die weibliche Jugend nicht zu solcher Hilfsarbeit erzoege. _Das Lyzeum steht in Verbindung mit den Volkskindergaerten_ und gibt den jungen Maedchen Gelegenheit zum Verkehr mit den Kindern des Volkes, - zur Dienstleistung fuer dieselben. Es bahnt den Weg zum Verstaendnis und zur Wuerdigung der sogenannten untern Staende und zur Versoehnung der schroffen Gegensaetze innerhalb der verschiedenen Glieder der Volksfamilie. Das Lyzeum ist bestrebt: 1. die Kluft ueberbruecken zu helfen, welche zwischen maennlichem und weiblichem Geistesleben, namentlich in den hoeheren Staenden vorhanden ist, 2. das instinktive, passive Tun der Frau in ein bewusstes zu wandeln, damit sie den muetterlichen Erziehungsberuf in seiner ganzen Bedeutung und Verpflichtung erkenne, 3. in der weiblichen Jugend das Gefuehl und das Gewissen zu erwecken fuer unsere sozialen Notstaende, - sie aufzuruetteln aus dem traegen Genussleben, in dem mehr Kraefte verbraucht werden als in der angestrengtesten Taetigkeit. In aller Kuerze haben wir die _idealen_, die _humanen_ Ziele des Lyzeums bezeichnet. Das Lyzeum waere aber keine hoehere Lehranstalt im Sinne und nach den Forderungen unserer auf die _wirtschaftliche Selbstaendigkeit_ der Frau gerichteten Zeit, wenn es nicht zur Loesung der so brennend gewordenen Erwerbsfrage beitragen koennte." Die Berufe, fuer die das Lyzeum vorbereitet, sind: a. Erzieherin in der Familie, b. Leiterin von Kindergaerten und aehnlichen Anstalten, c. Lehrerin der Froebelschen Paedagogik an Kindergaertnerinnenseminaren. Henriette Goldschmidt erkannte aber bald, dass in dem engen Rahmen eines "Lyzeums fuer Damen" ihre grosse Idee nicht volle Verwirklichung finden konnte. Darum erhob sie fast jedes Jahr in den Programmen des Lyzeums den Ruf: "_Das Lyzeum soll zu einer Hochschule sich gestalten_, an der wissenschaftlich tuechtige Maenner und Frauen unserer weiblichen Jugend zu dem schwierigsten, verantwortlichsten und idealsten Berufe, dem der Erziehung des Geschlechtes der Zukunft die Weihe der Wissenschaft geben." Der Gedanke einer Hochschule fuer Frauen war nicht neu. Bereits im Dezember 1849 war der Plan, solche Hochschulen zu gruenden, in _Hamburg_ aufgetaucht, und zwar in Froebelkreisen. Es bildete sich damals in der Hansestadt ein "Allgemeiner Bildungsverein deutscher Frauen", aus dessen Statuten in diesem Zusammenhang folgendes interessiert: "1. _Zweck_: Verbreitung humaner Bildung ohne Ruecksicht auf konfessionelle Unterschiede. 2. _Bildungsmittel_: Hochschulen fuer das weibliche Geschlecht, Kindergaerten, Verbindung der Erziehung der Familie mit dem Unterricht der Schule, Armenpflege, Krankenpflege. 3. _Stellung_: Hamburg ist vorlaeufig der Sitz des Zentralvereins, welcher zur Foerderung der allgemeinen Zwecke sich mit allen deutschen Frauenvereinen in Verbindung setzt. Diese schliessen sich dem Zentralverein an, indem sie sich zu regelmaessiger Unterstuetzung der gemeinsamen Zwecke verpflichten. 4. _Das erste gemeinsame Unternehmen_ ist die Stiftung einer Hochschule fuer Maedchen in Hamburg in Verbindung mit der Befoerderung der Kindergaerten." Im Januar 1850 wurde die neue Anstalt eroeffnet. Ein Neffe Friedrich Froebels: _Carl Froebel_ war ihr erster Rektor. Ihm zur Seite stand ein Verwaltungsausschuss, dem folgende Frauen angehoerten: Emma Isler geb. Meyer, Bertha Traun geb. Meyer, Elise Bieling geb. Stroem, Mathilde Seybold geb. Mohrmann, Henriette Salomon geb. Goldschmidt, Emilie Wuestenfeld geb. Capelle. Auch Friedrich Froebel, der waehrend des Winters 1849/50 in Hamburg weilte und paedagogische Vortragskurse abhielt, unterstuetzte die junge Anstalt. Zur Charakterisierung der Hamburger Frauenhochschule sei aus dem ersten Programm derselben noch folgendes mitgeteilt: "Die Anstalt soll erwachsenen Maedchen nach vollendetem Schulkursus eine weitere Ausbildung gewaehren, die alles umfasst, was das praktische, gesellige und geistige Leben in seinen hoechsten Sphaeren von gebildeten Frauen verlangen kann. Die eigentlichen Schuelerinnen, von welchen eine Ausbildung nach allen drei Richtungen gewuenscht wird, wohnen als Pensionaerinnen in dem Pensionshause der Anstalt, welchem Professor Carl Froebel und seine Frau Johanna Froebel geb. Kuestner vorstehen. Wenn die Zahl der Pensionaerinnen zwanzig uebersteigt, wird ein zweites Pensionshaus errichtet. Zur Uebung fuer das praktische Leben werden die Schuelerinnen auf moeglichst zweckmaessige Weise mit den Haushaltsgeschaeften und der dazu noetigen Buchhaltung vertraut gemacht. In dem zur Anstalt gehoerenden Kindergarten lernen sie die erziehende Beschaeftigung und naturgemaesse Behandlung der Kinder kennen. Fuer das gesellige Leben bieten ausser der Anstalt die Familien des Bildungsvereins und andere die den Schuelerinnen wuenschbaren Gelegenheiten dar. Der wissenschaftliche Unterricht wird in halbjaehrliche Lehrkurse eingeteilt und zum Teil in Vortraegen, zum Teil an Uebungen geknuepft. Auch ausser der Anstalt wohnende Maedchen und Frauen werden zur Teilnahme an den Lehrkursen als Hochschuelerinnen oder als Zuhoererinnen einzelner Vorlesungen zugelassen." Der erste _Lehrplan_ der Hamburger Frauenhochschule umfasste: Einleitung in die Philosophie, Erziehungslehre, Erklaerung der Gedichte Schillers, Geschichte der Religionen, Englisch, Franzoesisch, Geschichte, Geographie, Literatur, Sprachlehre, Formenlehre, Zeichnen, Gesang, Uebungen im Kindergarten. Ausserdem war den Hochschuelerinnen Gelegenheit gegeben, an den ausserhalb der Anstalt stattfindenden Vortraegen Friedrich Froebels teilzunehmen. Es herrschte ein frisches, geistig reges Leben in der jungen Frauenhochschule. _Malvida von Meysenbug_, die die Anstalt damals besuchte, erzaehlt anschaulich davon in ihren beruehmten "Memoiren einer Idealistin": "Ich war keine junge Schuelerin mehr, ich war ein gereiftes Wesen, das aus den Konflikten des Daseins zu der einzig wahren Zuflucht fluechtete, zu einer edlen nutzbringenden Taetigkeit. Ein eigenes, beinahe feierliches Gefuehl erfasste mich, als ich die Schwelle des Hauses, in welchem ich ein neues Leben beginnen wollte, ueberschritt." Und dann schildert sie ihr Bekanntwerden mit Froebels paedagogischem System: "Ich hatte bereits davon reden hoeren, sah es hier zuerst in der Praxis (in dem Kindergarten der Hochschule!) und war entzueckt davon. Psychologisch tief und geistvoll fand ich alle Grundsaetze, welche Froebels System zugrunde liegen und worin sein eigentlicher Wert besteht. Meine erste Bekanntschaft mit diesem System war eine wahrhaft beglueckende." Die Hochschuelerinnen wurden aber nicht nur in das Reich des Geistes eingefuehrt, sondern sie mussten auch haeusliche Arbeiten verrichten. Malvida von Meysenbug erzaehlt z. B. u. a.: "Einmal in der Woche standen wir im Garten froehlich um einen Waschtrog, und waehrend die Haende Waesche rieben, besprachen wir Gegenstaende aus den Vortraegen oder sonst wichtige Fragen. Wir taten die groebere Arbeit, weil es zum Vorteil der Anstalt diente, die unser allerhoechstes Interesse war, und wir fuehlten uns dadurch nicht gedemuetigt. Viele der begabtesten Schuelerinnen, denen bisher jede haeusliche Beschaeftigung ein Greuel war, suchten diese jetzt mit der geistigen Arbeit zu vereinen. Die Leichtsinnigen wurden ernst, die Faulen fleissig. _Es __war eine Stroemung, die sie alle zum Guten fortriss_." Der jungen Anstalt war aber nur ein kurzes Dasein beschieden. Sie fiel der - nach der Revolution von 1848 - einsetzenden Reaktion zum Opfer. Die Beziehungen der Hamburger Frauenhochschule zu den _freireligioesen Gemeinden_ genuegten den Gegnern, die Anstalt durch gedruckte Pamphlete zu verdaechtigen. Sie wurde "als ein Herd der Demagogie dargestellt, wo unter dem Mantel der Wissenschaft revolutionaere Plaene geschmiedet wuerden." Viele Eltern wurden dadurch irre gemacht und erlaubten ihren Toechtern nicht den Besuch der Schule. Der Mangel an Hoererinnen brachte die Anstalt in finanzielle Schwierigkeiten, und sie musste geschlossen werden. Vielleicht waere es gelungen, die Hamburger Frauenhochschule zu erhalten, wenn man sich dazu haette entschliessen koennen, dem damals herrschenden Geist der Reaktion Zugestaendnisse zu machen. Aber das wollte man nicht. "Man fand es besser, die Verwirklichung der Idee der Zukunft zu ueberlassen, als einen Kompromiss mit der alten Welt zu machen." Die Stimmung, die damals bei den Freunden der Anstalt herrschte, bringt Malvida von Meysenbug in den Worten zum Ausdruck: "Die Erfahrung war gemacht, ein Resultat war gewonnen. Der Gedanke, die Frau zur voelligen Freiheit der geistigen Entwicklung, zur oekonomischen Unabhaengigkeit und zum Besitze aller buergerlichen Rechte zu fuehren, war in die Bahn zur Verwirklichung getreten: _Dieser Gedanke konnte nicht wieder sterben._ Wir zweifelten nicht, dass viele von denen, welche seine erste Inkarnation in unserer Hochschule gesehen hatten, noch seinen voelligen Triumph sehen wuerden, wenn nicht in Europa, so doch in der neuen Welt." Diese Hoffnungen erfuellten sich - durch _Henriette Goldschmidt_. Eine der Mitbegruenderinnen der Hamburger Frauenhochschule - und zugleich eine der geistig bedeutendsten Frauen jener Kreise - _Emilie Wuestenfeld_ - stellte gleichsam die Verbindung zwischen Hamburg und Henriette Goldschmidt dar. Die beiden Frauen kannten sich persoenlich und Henriette Goldschmidt nannte spaeter Emilie Wuestenfeld "ihre liebe Gesinnungsgenossin", da diese, ebenso wie sie selbst, "eine Reform der Erziehung des weiblichen Geschlechtes, eine neue Grundlage fuer die Fortbildung der erwachsenen weiblichen Jugend _als notwendigen Ausgangspunkt fuer den Eintritt der Frau in die Kulturarbeit der Zeit_ fuer notwendig hielt," vor allem aber war sie Henriette Goldschmidt deshalb eine "liebe Gesinnungsgenossin", weil Emilie Wuestenfeld Henriette Goldschmidts Ueberzeugung teilte, "_dass dieser Ausgangspunkt in der gluecklichsten Weise in der Paedagogik Froebels vorhanden_" sei. Das also war die historische Grundlage fuer Henriette Goldschmidts _Idee einer Frauenhochschule_. Im Jahre 1910 endlich - sie war inzwischen 84 Jahre alt geworden - erhielt Henriette Goldschmidt eine grosse Stiftung zur Verwirklichung ihres Gedankens. Und nun ging sie ans Werk. Bereits im Oktober 1911 konnte die neue Anstalt in ihrem stattlichen Heim zu Leipzig eroeffnet werden. _Klarer und zielsicherer als einst die Hamburger Frauenhochschule wollte die Leipziger Anstalt den grossen Gedanken Froebels verwirklichen_, den Gedanken, das weibliche Geschlecht seiner instinktiven Taetigkeit zu entheben und es von seiten seines Wesens und seiner menschheitpflegenden Bestimmung ganz zu derselben Hoehe wie das maennliche Geschlecht zu erheben. - Das erste (von Henriette Goldschmidt entworfene) Programm der neuen Anstalt verkuendete daher: "Die Hochschule will 1. der Frau fuer die Ausuebung des muetterlichen Erziehungsberufes eine auf gruendlicher Einsicht beruhende Vorbereitung geben und 2. die Frau befaehigen, sich den mannigfaltigen gemeinnuetzigen Aufgaben, die ihr innerhalb der Gemeinde des Staates und der Gesellschaft erwachsen, mit weitem Blick und mit vollem Verstaendnis fuer die Beduerfnisse der Gegenwart zu widmen." Zu diesem Zweck wurde die regelmaessige Abhaltung "_freier Vorlesungen_" ins Auge gefasst, und zwar wurden drei Gruppen gebildet, naemlich I. Vorlesungen fuer allgemeine Bildung, II. Paedagogische Vorlesungen, III. Sozialwissenschaftliche Vorlesungen. Das Programm sah fuer die verschiedenen Gruppen im einzelnen vor: "*I. Vorlesungen fuer allgemeine Bildung.* A. _Philosophische Vorlesungen_. 1. Einleitung in die Philosophie, 2. Geschichte der Philosophie, 3. Darstellung der Philosophie einzelner hervorragender Denker, 4. Allgemeine Psychologie, 5. Ethik, 6. Aesthetik. B. _Geschichtliche Vorlesungen_. Vorlesungen 1. aus Kulturgeschichte, 2. aus solchen Abschnitten der politischen Geschichte, die zum Verstaendnis der Gegenwart dienen, 3. aus Literaturgeschichte, 4. aus Kunstgeschichte. C. _Naturwissenschaftliche Vorlesungen_. Vorzugsweise sind Vorlesungen ueber Fragen der Biologie in Aussicht genommen. Doch sollen auch Geologie, Physik und Chemie in den Umkreis der Vorlesungen gezogen werden. II. *Paedagogische Vorlesungen.* 1. Kinderpsychologie, 2. Vorlesungen aus der Geschichte der paedagogischen Bewegungen, besonders des 18. und 19. Jahrhunderts und der Gegenwart, 3. Geschichte der Erziehung des weiblichen Geschlechts, 4. Erziehungsprobleme, 5. Gesundheitspflege in Haus und Schule. III. *Sozialwissenschaftliche Vorlesungen* (einschl. Staats- u. Rechtswissenschaft). 1. Vorlesungen allgemeineren national-oekonomischen Charakters, 2. Geschichte der Frauenbewegung, 3. Die soziale Arbeit der Frau, 4. Die Stellung der Frau im Recht, 5. Geschichte der politischen Parteien der neuesten Zeit, 6. Einfuehrung in die Staatswissenschaft." Neben diesen freien Vorlesungen, die fuer alle nach Bildung strebenden Frauen zugaenglich sein sollten, die das 18. Lebensjahr vollendet hatten, waren _Studienkurse_ zur Ausbildung auf bestimmte Frauenberufe vorgesehen. Der Eintritt in diese Studienkurse setzte eine sachgemaesse Vorbildung voraus. Es wurden eingerichtet: I. Studienkurse fuer Lehrerinnen der paedagogischen Faecher an Kindergartenseminaren, Frauenschulen und anderen Lehranstalten und II. Studienkurse fuer soziale Berufstaetigkeit. Das war die Anstalt, die 1911 als "Hochschule fuer Frauen" in Leipzig eroeffnet wurde, die Anstalt, die nach Henriette Goldschmidts eigenen Worten die Kroenung ihres Lebenswerkes darstellte und ueber deren Pforte ihr Lieblingswort leuchtete: '_Der Erziehungsberuf ist der Kulturberuf der Frau_'. DIE NACHWIRKUNG UND FORTENTWICKLUNG IHRER IDEEN AN DER LEIPZIGER HOCHSCHULE FUeR FRAUEN. Zehn Jahre hat die Anstalt als "Hochschule fuer Frauen" bestanden. Der im Voranstehenden abgedruckte Plan von 1911 wurde im Laufe dieser Jahre vielfach abgeaendert und erweitert. Aber die treibende Kraft fuer all diese Reformen war nicht eigentlich mehr Henriette Goldschmidt, sondern die Initiative ging jetzt aus von den verschiedenen _Vertretern der einzelnen Hauptfaecher_, die ihr Lehr- und Arbeitsgebiet - zum Teil auf Anregungen von aussen - erweitern und ausbauen mussten. Eine ausfuehrliche Darstellung dieser Entwicklung gehoert daher nicht in eine Biographie Henriette Goldschmidts. Immerhin wird es den Lesern erwuenscht sein, die Nachwirkung und allmaehliche Realisierung der Goldschmidtschen Ideen wenigstens in grossen Zuegen kennen zu lernen. Darum seien im folgenden aus der Geschichte der Leipziger Frauenhochschule die wichtigsten Daten angegeben: _Im Winter-Semester 1911/12_ wurde die "Hochschule fuer Frauen" als Anstalt des "Vereins fuer Familien- und Volkserziehung" mit zusammen 898 Hoererinnen und Studierenden eroeffnet. Sie umfasste damals drei Abteilungen, naemlich a. die _Allgemeine Abteilung_ (in erster Linie fuer Hoererinnen bestimmt), b. die _Paedagogische Abteilung_ (bestimmt zur Ausbildung von Lehrerinnen der Froebelschen Paedagogik an Kindergaertnerinnenseminaren, Frauenschulen usw.), c. die _Sozialwissenschaftliche Abteilung_ (bestimmt zur Ausbildung von beruflichen und ehrenamtlichen Kraeften fuer das gesamte Gebiet der sozialen Arbeit). Im _Sommer-Semester 1913_ traten neu hinzu besondere Kurse zur _Fortbildung staatlich gepruefter_ und in laengerer Praxis bewaehrter _Krankenschwestern_ fuer leitende Posten (Oberinnen, Oberschwestern, lehrende Schwestern). Im Herbst 1916 wurden diese Kurse in eine selbstaendige Abteilung umgewandelt. _Ostern 1914_ wurde der umfangreiche, mit allen Einrichtungen moderner Unterrichtstechnik ausgestattete _Erweiterungsbau_ in Benutzung genommen. (Koenigstr. 18/20). Vom _Sommer-Semester 1914_ an wurde - nachdem die dazu noetigen Laboratorien in der Anstalt geschaffen worden waren - die _Naturkundliche Abteilung_ ausgebaut, die der Ausbildung technischer Assistentinnen fuer medizinische und industrielle Laboratorien dient. Im _Winter-Semester 1916/17_ erfolgte die rechtliche und finanzielle Losloesung der Hochschule vom "Verein fuer Familien- und Volkserziehung" und ihre Umwandlung in eine selbstaendige, dem saechsischen Ministerium des Kultus und oeffentlichen Unterrichts unmittelbar unterstellte _rechtsfaehige Stiftung_. _Ostern 1917_ wurden Lehrgaenge zur Ausbildung staatlich gepruefter _Jugendleiterinnen_ an die Anstalt angegliedert. Seit _Sommer-Semester 1917_ wurden allmaehlich fuer alle Abteilungen (mit Ausnahme der Allgemeinen Abteilung) _staatliche Pruefungen_ eingerichtet. Am _1. April 1921_ loeste sich der "_Verein fuer Familien- und Volkserziehung_" auf und vermachte der Hochschule neben seinen Grundstuecken und sonstigen Vermoegenswerten seine saemtlichen Anstalten (Froebel-Frauenschule, Seminar fuer Kinderpflegerinnen, Henriette-Goldschmidt-Kinderheim und drei Volkskindergaerten). Am _1. Oktober 1921_ ging die Stiftung "Hochschule fuer Frauen" mit ihren gesamten Anstalten _in den Besitz der Stadt Leipzig_ ueber unter gleichzeitiger Umgestaltung und Verschmelzung der verschiedenen Lehranstalten zu einem "_Sozial-paedagogischen Frauenseminar_", bestehend aus folgenden Abteilungen: _ 1. Frauenhochschulkurse_ (bisherige Allgemeine Abteilung). _ 2. Wohlfahrtsschule_ (zur Ausbildung von Wohlfahrtspflegerinnen und sonstigen Sozialbeamtinnen auf Grund der staatlichen Pruefungsordnung von 1921). _ 3. Ausbildungsanstalt fuer Jugendleiterinnen_ (Lehrbetrieb und Pruefung geregelt nach den staatlichen Bestimmungen Sachsens vom 6. Februar 1918). _ 4. Oberinnen-Lehrgang_ zur Fortbildung staatlich gepruefter Krankenschwestern fuer leitende Stellungen in der Krankenpflege (mit staatlich genehmigter Pruefungsordnung von 1917). _ 5. Lehranstalt fuer technische Assistentinnen_ (mit staatlich genehmigter Pruefungsordnung vom 15. Oktober 1917). _ 6. Froebel-Frauenschule bzw. Kindergaertnerinnenseminar_ (Lehrbetrieb und Pruefung geregelt nach den saechsischen Bestimmungen vom 6. Februar 1918). _ 7. Seminar fuer Kinderpflegerinnen_ (ohne staatliche Pruefung). _ 8. Soziale Anstalten bzw. Uebungsstaetten_ (Henriette-Goldschmidt-Kinderheim, 3 Volkskindergaerten und eine Kinderlesehalle). Es ist haeufig die Frage aufgeworfen worden, _warum die Umwandlung der Frauenhochschule in ein sozial-paedagogisches Frauenseminar erfolgt sei_. Die Umwandlung hat sich in Wirklichkeit allmaehlich ganz von selbst vollzogen. Der Entfaltung des innersten Frauentums im Sinne der Froebel-Goldschmidtschen Idee der allgemeinen Hoeherbildung des weiblichen Geschlechts "um seiner menschheitpflegenden Bestimmung willen" (vgl. S. 146 ff.) sollte die Anstalt _urspruenglich_ dienen. Dieser hohen Kulturaufgabe wegen war bei der Gruendung der Name "Hochschule fuer Frauen" gewaehlt worden. Man hatte geglaubt, dass zahlreiche Frauen rein um dieser Idee willen die Anstalt besuchen wuerden. Aber die Entwicklung verlief anders. Die grosse Idee der Anstalt wurde nur von ganz wenigen richtig verstanden. Diese wenigen konnten sich meist aus wirtschaftlichen Gruenden nicht eine hochschulmaessige Weiterbildung leisten, die nicht mit Sicherheit unmittelbaren praktischen Nutzen versprach. Die Verhaeltnisse in unserem Vaterlande haben es nun einmal mit sich gebracht, dass jetzt die meisten Frauen eine _gruendliche Ausbildung fuer bestimmte, wirtschaftliche Sicherheit bietende Berufe_ suchen muessen. Dieses immer staerker hervortretende Beduerfnis nach _solcher_ Berufsbildung bestimmte mit Recht in der Folge mehr und mehr den weiteren Ausbau der Anstalt (vgl. S. 170-172). Die urspruengliche Idee wurde dadurch allmaehlich in den Hintergrund gedraengt und schliesslich ganz vergessen. Man beschraenkte sich bei der Auswahl der Berufe, fuer die die Frauenhochschule vorbereiten sollte, bewusst auf spezifische Frauenberufe, also auf solche, die den Frauen Gelegenheit geben, ihre urspruengliche Naturanlage zu entfalten. Es kamen da in erster Linie in Frage die uralten Domaenen der Frauenarbeit: Kinderpflege, Wohlfahrtspflege und Krankenpflege. Zwar konnte man sich auch auf anderen Schulen dafuer ausbilden. Die Hochschule aber beabsichtigte, fuer diese wichtigen Arbeitsgebiete gruendlicher und umfassender, eben hochschulmaessiger vorzubereiten, als dies anderswo geschah. - Aber auch dieser Gedanke liess sich nicht dauernd verwirklichen, da inzwischen der Staat nach und nach fuer alle in Betracht kommenden Frauenberufe allgemeinverbindliche Ausbildungs- und Pruefungsvorschriften erliess, denen sich naturgemaess auch die Frauenhochschule anpassen musste, was Erleichterungen ihrer bisherigen Aufnahme- und Pruefungsvorschriften sowie Kuerzungen ihrer Studienplaene noetig machte. So war denn die Anstalt im Jahre 1921 tatsaechlich bereits eine Berufsschule fuer Frauen geworden, die in aeusseren und rechtlichen Beziehungen (Aufnahmebestimmungen, Dauer der Ausbildung, Kosten, Pruefungen und Anstellungsmoeglichkeiten) mit entsprechenden anderen Anstalten in Deutschland uebereinstimmte. Es war daher nur eine letzte Konsequenz dieser Entwicklung, dass beim Uebergang der Anstalt an die Stadt Leipzig dies auch im Namen der Schule zum Ausdruck gebracht wurde. Es waere innerlich unwahr gewesen, wenn der Name "Hochschule" beibehalten worden waere, nachdem die Entwicklung ausserhalb und innerhalb der Anstalt sich im Laufe eines Jahrzehnts anders vollzogen hatte, als man bei der Gruendung der Frauenhochschule anzunehmen berechtigt gewesen war. Im gewissen Sinne aber besitzt das Leipziger Sozial-paedagogische Frauenseminar auch nach seiner Anpassung an die gegenwaertigen Zeitverhaeltnisse noch eine gewisse Eigenart, und zwar unterscheidet es sich durch folgendes von allen aehnlichen Anstalten: 1. Die Anstalt hat sich in gewissem Umfang die frueheren guten Beziehungen der Frauenhochschule zur Universitaet Leipzig bewahrt, wodurch die Vielseitigkeit und Qualitaet des Lehrkoerpers und damit das Niveau sowie der vorwiegend akademische Charakter des Unterrichtsbetriebs in den hoeheren Abteilungen des Sozial-paedagogischen Frauenseminars sichergestellt ist. 2. Die Anstalt vermeidet bewusst die Einstellung auf die Fachausbildung fuer nur einen Frauenberuf, wie das die sonstigen Froebelseminare, sozialen Frauenschulen u. dgl. tun. Die bisherige zehnjaehrige Erfahrung hat gezeigt, wie vorteilhaft es fuer die Erweiterung des Gesichtskreises der Schuelerinnen ist, wenn sich an derselben Bildungsstaette Lehrer und Schuelerinnen mit den verschiedensten geistigen Interessen und Berufszielen zusammenfinden. Aus diesem Grunde wird neben gruendlicher theoretischer und praktischer Fachausbildung Gelegenheit geboten zu umfassender allgemeiner Fortbildung der Schuelerinnen nach eigener Wahl. Ohne dem eigentlichen paedagogischen Grossbetrieb das Wort reden zu wollen, muss doch gesagt werden, dass nun einmal ein paedagogischer Zwergbetrieb - wie ihn die meisten derartigen Anstalten darstellen - von wenigen, besonders guenstig liegenden Ausnahmefaellen abgesehen, in persoenlicher und sachlicher Beziehung nicht die gleiche Leistungsfaehigkeit entfalten kann, wie eine grosse oeffentliche Lehranstalt. Henriette Goldschmidt schrieb 1911 im ersten Plan fuer die Frauenhochschule: "_Es fehlt bisher an einer hoeheren paedagogisch-sozialen Bildungsstaette fuer die Frauenwelt._" - Und sie hatte Recht. Ueberall bestanden paedagogische und soziale Berufsschulen fuer Frauen _nur getrennt_. Unsere moderne Kulturentwicklung aber, besonders der starke soziale Zug unserer Zeit und die jetzt immer mehr sich verbreitende Erkenntnis, dass gewisse Noete unseres Volkes nur durch grossangelegte Erziehungsmassnahmen beseitigt werden koennen, _macht eine Vereinigung paedagogischer und sozialer Arbeit_ dringend noetig. Je inniger die Verbindung beider ist, umso reicher werden sich beide Teile gegenseitig befruchten. Darum muessen schon waehrend der Ausbildungszeit unserer zukuenftigen paedagogischen und sozialen Berufsarbeiterinnen so viel als moeglich Faeden hinueber und herueber gesponnen werden. Das hatte Henriette Goldschmidt erkannt und _erstrebt_, das will - getreu seiner Tradition - das Sozial-paedagogische Frauenseminar der Stadt Leipzig in seiner jetzigen Form _verwirklichen_. Das Erbe Henriette Goldschmidts ist also nicht aufgegeben worden, _es lebt fort_, nur in anderer, in zeitgemaesserer Gestalt, es lebt und wirkt fort zum Segen unseres Volkes. ANMERKUNGEN 1 In seinen Briefen schrieb spaeter _Karl Jatho_ ueber Dr. Goldschmidt an seine Eltern: Leipzig, d. 9. 11. 1872. Eine ebenso angenehme wie nuetzliche und belebende Bekanntschaft habe ich gemacht an dem hiesigen Rabbiner Dr. Goldschmidt - seine Frau hielt vor einigen Jahren in einer Weiberemanzipationsversammlung zu Kassel eine Rede, vielleicht erinnert Ihr Euch dieses Vorfalles noch. Er ist ein Mann von ebenso wahrem Wissen als Gemuet und Herz; seine Religion ist die Menschenliebe, sein Glaube haelt sich an einen Gott, der in der Seele vorgebildet ist; im uebrigen unerkennbar, also nur demuetiger Verehrung zugaenglich. Daraus wird es erklaerlich, dass er ebenso teilnehmend in seiner nationalen wie in der christlichen Theologie jeder Konfession arbeitet und lebt, ueberdies aber die Philosophie als Mutter und Grund aller idealen Wissenschaften hoch schaetzt und gruendlich studiert hat ... Und so kamen wir in ein Gespraech ueber den Zwiespalt der Bekenntnisse, welcher umso betruebender sei, je klarer sich die Einheit des rein menschlichen, der guten wie schlechten Eigenschaften herausstelle ... Leipzig, d. 21. 12. 72. Da ist hier mein Goenner, der Rabbiner (Dr. Goldschmidt), mit dem ich sehr rege und freudig verkehre, nach wie vor meine innigste Freude und Verehrung. Nicht einmal verlasse ich sein Haus, wo ich nicht eine frische Anregung zum Guten, zum Nuetzlichen empfangen haette; er zieht alles Entgegentretende in den Ring seiner Taetigkeit, die rein wie lauteres Gold im Wohl und Glueck der Mitmenschen ihren sich selbstumfassenden Abschluss findet. Dabei stehen ihm die Mittel der Gelehrsamkeit, der Weltkenntnis, der eindringlichen Rede zu Gebote, kurz, er besitzt so vielerlei, was ich mit keinem anderen Ausdruck zu benennen weiss als einer gesunden Religiositaet, die, frei von aller Dogmatik, nur in der Tat ihr hoechstes Ziel erkennt. Wirken ist sein Losungswort, Menschlichkeit der Grundton seines Charakters. Er sucht den Himmel auf der Erde und in seinem Herzen, das im Bewusstsein einer guten Tat den vollen Genuss eines goettlichen Friedens empfindet ... 2 "Vom Kindergarten zur Hochschule fuer Frauen. Ein Rueckblick auf die Anfaenge der deutschen Frauenbewegung und das Erziehungswerk Friedrich Froebels." (Zeitschrift fuer paedagogische Psychologie 1918.) _ 3 Originalgetreue Neuausgabe_ erschien im Verlag Ernst Wiegandt, Leipzig. _Abgeaenderte Neuausgabe_ (bearbeitet von Henriette Goldschmidt) in der Jaeger'schen Verlagsbuchhandlung, Leipzig. 4 Aufbewahrt im Archiv des Sozialpaedagogischen Frauenseminars der Stadt Leipzig. 5 Ich habe in meiner Schrift "_Friedrich Froebel_" II. Aufl. 1920 (Bd. 82 der Sammlung "Aus Natur und Geisteswelt". B. G. Teubner, Leipzig) an der Hand zahlreicher neuer Quellen gezeigt dass das "_Kindergartenverbot_" wahrscheinlich eine Massnahme gegen die damals zahlreich entstandenen freien Gemeinden sein sollte. Darum darf ich in diesem Zusammenhang von einer naeheren Darstellung jener Vorgaenge absehen. BEMERKUNGEN ZUR TEXTGESTALT Die Originalausgabe ist in Fraktur gesetzt. In Antiqua gesetzt sind in ihr einzelne Woerter aus fremden Sprachen. Sie sind hier durch Unterstrich (_) gekennzeichnet (bis auf roemische Zahlen und die Abkuerzung "Dr."), ebenso wie gesperrt gesetzte Woerter. Fettdruck ist durch * gekennzeichnet. Korrektur von offensichtlichen Druckfehlern: Seite 38: einfaches Anfuehrungszeichen ergaenzt hinter "Freude" Seite 39: doppeltes Anfuehrungszeichen ergaenzt hinter "Fremde'." Seite 67: "Eingegeweihten" geaendert in "Eingeweihten" Seite 88: "Ehestandskanditaten" geaendert in "Ehestandskandidaten" ***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK HENRIETTE GOLDSCHMIDT. IHR LEBEN UND IHR SCHAFFEN*** CREDITS May 5, 2013 Project Gutenberg TEI edition 1 Produced by Norbert H. Langkau and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net A WORD FROM PROJECT GUTENBERG This file should be named 42651.txt or 42651.zip. This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/dirs/4/2/6/5/42651/ Updated editions will replace the previous one -- the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} electronic works to protect the Project Gutenberg{~TRADE MARK SIGN~} concept and trademark. 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To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation web page at http://www.pglaf.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at http://www.gutenberg.org/fundraising/pglaf. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws. The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. 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