The Project Gutenberg EBook of Das Recht der Hagestolze, by Julius Wolff This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have to check the laws of the country where you are located before using this ebook. Title: Das Recht der Hagestolze Eine Heiratsgeschichte aus dem Neckartal Author: Julius Wolff Illustrator: K. Storch Release Date: December 9, 2017 [EBook #56152] Language: German Character set encoding: UTF-8 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS RECHT DER HAGESTOLZE *** Produced by The Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net Anmerkungen zur Transkription Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter bzw. kursiver Text ist _so dargestellt_. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so ausgezeichnet~. Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches. _AUSGABE FÜR DIE_ DEUTSCHE BUCH-GEMEINSCHAFT G.M.B.H. BERLIN Julius Wolff Sämtliche Werke Vierter Band Das Recht der Hagestolze 1. Abteilung: Romane (Band 1--3) Das Recht der Hagestolze Eine Heiratsgeschichte aus dem Neckartal von Julius Wolff * Mit Bildern von K. Storch [Illustration] Paul List Verlag Leipzig Alle Rechte vorbehalten ~Copyright 1912 by Paul List, Leipzig~ Druck von Dr. Trenkler & Co. in Leipzig Das Recht der Hagestolze Erstes Kapitel. Es war in der bereits stark vorgeschrittenen Dämmerung eines warmen Frühlingsabends im Jahre 1397, als ein einsam daherkommender Mönch über die Neckarbrücke zu Heidelberg auf das Stadttor zuschritt. Seine hohe Gestalt war von der braunen Kutte verhüllt und die Kapuze so tief über das gebeugte Haupt gezogen, daß auch von seinem Gesichte nichts zu sehen war. Er hielt die Arme dicht an den Leib geschmiegt und die Hände davor gefalten, und sein Gang hatte etwas Unsicheres, Schwankendes, als wenn er, dessen ungewohnt auf den Zehen schliche. Ob er auf Sandalen oder in Schuhen ging, war nicht zu erkennen, denn auch die Füße waren vom Gewande bedeckt. Das Tor war noch offen, aber der Torwart trat just aus der Wachtstube, um es zu schließen, als der Mönch hindurchschritt. Der Wächter maß den Ankömmling mit einem mißtrauischen Blick und schien eben eine Frage an ihn richten zu wollen, als der Mönch die Rechte erhob und das Zeichen des Kreuzes über den andern machte. Aber die Bewegung fiel etwas ungeschickt, fast ungeschlacht aus; die Hand holte in den sich schneidenden Richtungen von oben nach unten und von rechts nach links so hoch und weit aus, als wollte sie den sündigen Laien statt mit dem heiligen Segenszeichen mit ein paar derben Schlägen bedenken, die glücklicherweise nicht dessen Scheitel und Wange trafen, sondern ohne Widerstand zu finden durch die Luft fuhren. Der Wächter unterdrückte seine Frage, und auch der Mönch blieb stumm und schritt eilig die Gasse entlang zur Stadt hinein. Ihm nachblickend schüttelte der Torwart das Haupt und brummte: »Der ehrwürdige Bruder scheint beim Segenerteilen eine recht kräftige Faust zu führen. Was mag er bei Nacht hier in der Stadt zu suchen haben? Denn ein Heidelberger Franziskaner war es nicht; hätte ihn doch fragen sollen!« Damit hatte der Mann die schweren Torflügel geschlossen und schob nun die eisernen Riegel vor. Dann warf er noch einen Blick zum Himmel empor auf die grauen, schnellziehenden Wolken und begab sich wieder in das Wachthäuschen. In der engen, schon ziemlich dunklen Gasse war die Haltung und Bewegung des Mönches eine ganz andere als vorher beim Durchschreiten des Tores. Seine Gestalt reckte sich, er trug das Haupt hoch und gerade, bewegte die Arme frei an der Seite, und seine Schritte waren fest und weit. Nur wenige Menschen begegneten ihm, vor denen er es, zumal bei dem spärlichen Lichte, vielleicht nicht der Mühe wert hielt, klösterliche Demut zur Schau zu tragen. Jetzt kam ihm mit lautem Scherzen und Lachen ein Trupp Studenten entgegen, die paarweise in kleinen Abständen voneinander gingen. Als der Mönch an dem ersten Paar vorüber kam, blieb einer der beiden Studenten stehen, wandte sich um und sagte zu dem andern: »Hast du's gehört, Mutz? der Glatzkopf hatte einen Schritt, als trüge er Sporen an den Sandalen.« »Dummes Zeug! Sporen!« erwiderte sein Genosse, »wird wohl der Teufel gewesen sein, und du hast seinen Pferdehuf trappen hören.« Lachend gingen sie weiter. Von den zuletzt kommenden Studenten, die zu vieren in einer Reihe schritten, stieß einer, ein großer, stämmiger Gesell, hart gegen den Franziskaner und lachte: »Holla, ~mi frater~! hast du Schultern aus Eichenholz?« Ein anderer aber fuhr den Mönch heftig an: »Aus dem Wege, Fledermaus! sonst klatsche ich dich an die Wand, daß du kleben bleibst!« Mit fester, rauher Stimme, fast drohend entgegnete der Gestellte: »~Pax vobiscum!~« und setzte Raum gebend und weiterschreitend halblaut hinzu: »Oder ein Kreuzhageldonnerschlag soll euch in die Kniekehlen fahren!« »Was will das Murmeltier?« riefen die Studenten; »kommt, laßt uns ihm die Kutte ausklopfen!« Einen Augenblick schien es, als wollte der Mönch stehen bleiben und sich zu den Angreifern umwenden; doch er besann sich und machte sich eilends davon. Auch die Studenten gingen auf die besänftigende Aufforderung eines der Ihrigen lachend und spottend ihres Weges. »Hätt' ich euch Grünschnäbel nur gleich draußen vor dem Tore!« knirschte der Verhüllte und ballte die Faust. An dem Kreuzungspunkt zweier Straßen blieb er unschlüssig stehen, bis eine Frau daher kam, die er mit seinem mildesten Tone frug: »Könnt Ihr mir nicht sagen, liebe Frau, wo der ehrsame, hochgelahrte Magister Doktor Christoph Wiederhold wohnt?« »Recht gern, ehrwürdiger Vater!« erwiderte die Frau, »Ihr müßt hier fremd sein, denn den Doktor Wiederhold kennt jedes Kind in Heidelberg. Geht nur hier rechts die Gasse hinauf, da ist's das fünfte, sechste, nein, das siebente Haus. Der eiserne Türklopfer ist ein Hund mit drei Köpfen; Ihr könnt's mit der Hand fühlen, wenn Ihr's nicht mehr sehen könnt.« »Dank Euch, liebe Frau!« sprach der Kuttenträger und schritt in die Gasse hinein, während die Frau noch eine Weile stehen blieb und ihm verwundert nachschaute, bis er im Dunkel verschwand. Das Zeichen des Kreuzes über der Dienstwilligen zu machen, hatte der ehrwürdige Bruder Franziskaner diesmal vergessen. Bald fand er das gesuchte Haus und setzte den ihm bezeichneten Türklopfer in laut schallende Bewegung. Eine Magd öffnete und führte den friedlichen Gottesmann ohne Zögern und Bedenken die Treppe hinauf zu dem Hausherrn. Der Herr Magister ~Doctor juris~ Christoph Wiederhold saß in seiner Studierstube an einem Tische, auf dem eine Öllampe brannte, über Schriften und Pergamente gebeugt und blickte ob des seltsamen Besuches in so später Stunde verwundert auf. Da mitten in dem niedrigen Gemache stand, beim matten Dämmerschein der Lampe fast gespenstisch anzuschauen, eine hohe, ganz vermummte Gestalt, die ohne ein Wort zu sprechen, zwei funkelnde Augen unter der Kapuze hervor fest auf ihn gerichtet hielt. Dem kleinen, schmächtigen Manne ward unheimlich zumut, und zaghaft klang seine Frage: »Womit kann ich Euch dienen, ehrwürdiger Bruder?« »Wer Rat und Vertrauen heischt, soll auch Vertrauen entgegenbringen. Ich bin kein Mönch, wenn ich auch Grund und Ursach zu dem Wunsche habe, in den Straßen dieser Stadt für nichts anderes, als einen Mönch gehalten zu werden.« So sprach der Fremde mit tieftönender Stimme, schlug die Kapuze zurück und enthüllte dem nun noch mehr erstaunten Gelehrten ein ernstes, stolzblickendes Antlitz und ein hochgetragenes, bart- und haarumwalltes Haupt, das mit einer blinkenden Stahlhaube bedeckt war. »Ich komme, hochachtbarer Herr Magister,« fuhr er dann fort, »Euch um Euren gelehrten Rat in einer wichtigen Familienangelegenheit zu ersuchen.« »Nehmt Platz, edler Herr!« erwiderte der Doktor und deutete auf einen zweiten Stuhl, der seinem eigenen Sitze gegenüber stand. »Meinen Namen möcht' ich Euch verschweigen, denn er tut nichts zur Sache, und es ist fast nur eine Frage, die ich Euch vorzulegen habe, und um die sich alles dreht, was mir zu wissen not tut,« sagte der Unbekannte. Der Doktor nickte und schaute, bequem in seinem hohen Stuhle sitzend, den Ellenbogen auf der Armlehne und das Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger, mit gespannter Aufmerksamkeit dem Sprechenden ins Antlitz, der sogleich fortfuhr: »Meine Frage ist diese: Gibt es ein Recht, ein Gesetz, wonach der Landesfürst einen Anspruch auf das Erbe, auf die Hinterlassenschaft an Hab und Gut eines losledigen, unverheirateten Mannes hat?« [Illustration: »Hier steht es,« sagte er dann, mit dem Finger auf das Blatt zeigend.] »Ihr meint das ~jus misogamorum~, das Recht der Hagestolze, das man eigentlich das Recht des Fürsten auf das Erbe der Hagestolze nennen sollte,« erwiderte ohne langes Besinnen der Gelehrte. »Allerdings, Herr, solch ein Recht gibt es, und ich kann Euch darüber alle Auskunft erteilen, die Ihr wünschen möget.« Darauf erhob er sich, kramte in einem Schranke unter seinen Schriften und fand bald ein Heft heraus, das er vor sich auf den Tisch legte, darin blätternd und suchend. »Hier steht es,« sagte er dann, mit dem Finger auf das Blatt zeigend: »~misogamus amittit jus et potestatem testandi~, ein Hagestolz verliert sein Erblassungsrecht und muß sein Gut der Obrigkeit des Ortes, wo er sein ~domicilium~ hat, überlassen, vermag also nicht durch ein ~testamentum~ oder anderen letzten Willen seine Güter weder an seine Blutsfreunde noch an andere Leute zu verordnen und zu vermachen.« »Hm! hm!« stieß der Fremde hervor; »läßt sich daran nichts drehen und wenden?« Der Doktor schüttelte den Kopf und sprach bald frei aus dem Gedächtnis, bald ablesend: »Was der ~defunctus~ verläßt, nimmt der ~fiscus~ hin, auch wenn ersterer sein Hab und Gut ganz oder teilweise bei Lebzeiten verkauft und das Geld an sich genommen hat. Denn so man erfahren kann, daß der bald sterbende Hagestolz ~in fraudem fisci~ von seinen Gütern oder Barschaften anderswohin verschafft, muß solches hinwiederum ~ad locum domicilii~ und wo er gehauset und verstorben, angeschafft werden. Indessen hat solche ~confiscatio~ gemeiniglich nicht statt in allen Gütern des Hagestolzen, sondern nur in seinen wohlgewonnenen Gütern, die er selber in seinem Stande, Nahrung, Getrieb und Arbeit erworben, ersparet und erübrigt hat, nicht aber in seinen Erb- oder Stammgütern, wie auch nicht in seinen Lehngütern.« »Aha! das klingt schon besser!« sagte der Gast. »Ja, so steht es geschrieben,« erwiderte der Doktor, »aber, edler Herr, das Recht wird verschieden ausgelegt und gehandhabt, und es ist hierzulande schon vorgekommen, daß auch das Erbgut eines verstorbenen Hagestolzen eingezogen worden ist. Sollte es Euch nebenbei ganz unbekannt sein, daß unser gnädigster Kurfürst, Pfalzgraf Ruprecht der Zweite, ein sehr starkes Begehren nach Landbesitz hat und deshalb ~per fas et nefas~ --« »Das weiß ich vielleicht besser, als Ihr, achtbarer Herr Doktor!« unterbrach ihn der andere mit einem eigentümlichen Lächeln. »Was ist aber nun Euer Rat, um solche schmähliche ~confiscatio~ zu verhindern?« »Wenn Euer Freund -- oder seid Ihr es selbst?« »Nein, mein Bruder ist es.« »Wenn also Euer Bruder das Zeitliche segnet, will sagen, mit Tode abgeht, so beerbt ihn der ~fiscus~; daran ist nichts zu ändern, edler Herr. Ist er schwer krank?« »O bewahre! er steht, Gott sei Dank! auf zwei sehr gesunden Füßen.« »Wie alt ist er denn schon?« »Neunundvierzig Jahr.« »Neunundvierzig erst? noch nicht fünfzig?« rief der Doktor lebhaft, »nun, dann ist ja noch nichts verloren und verdorben! Denn wisset, edler Herr, das Hagestolzenrecht gewinnt erst Kraft und Gültigkeit, wenn der Erblasser fünfzig Jahr drei Monat und zwei Tage alt ist.« »Das ist mir auch gesagt worden, aber was hilft's?« »Euer Bruder muß heiraten!« »Heiraten!« lachte der Gast, »der und heiraten!« »Ja, wenn er nach Überschreitung vorgemeldeter Altersgrenze als lediger Mann stirbt, so ist sein Hab und Gut rettungslos für Euch verloren. Er kann sich aber auch noch später beweiben, und wenn er sich dann auch keiner Nachkommenschaft mehr erfreuen sollte, so beerben ihn doch seine nächsten Blutsverwandten und nicht der Pfalzgraf.« »Seid Ihr dessen sicher und gewiß?« »Ohne allen Zweifel und Irrung!« Der Fremde stand auf, machte nachdenklich in dem kleinen Gemach ein paar klirrende Schritte auf und ab, zog dann ein Ledersäckchen unter der Kutte hervor und legte zwei blanke Goldgulden auf den Tisch: »Ich sage Euch allen schuldigen Dank, Herr Doktor Christoph Wiederhold!« sprach er dann, »gehabt Euch wohl!« Und die Kapuze wieder über den Kopf ziehend, schritt er zur Tür hinaus, es gern zulassend, daß ihm der Magister mit der Lampe zur Treppe hinunter leuchtete und selber die Haustür aufschloß. Mißmutig und so schnell es die fast völlige Dunkelheit erlaubte, eilte der Vermummte dem Tore zu und klopfte den Wächter heraus. Dieser kam mit den Schlüsseln aus seinem Stübchen und beleuchtete den Auslaßfordernden mit einer mattbrennenden Hornlaterne. »Ach, Ihr seid es, ehrwürdiger Bruder! Nun, habt Ihr Euer Geschäft in unserer guten Stadt zu Eurer Zufriedenheit zu Ende gebracht?« frug er in Erwartung eines guten Schließpfennigs mit unterwürfigem Tone, während er das Schlüsselloch der kleinen Nachtpforte suchte, die sich für Fußgänger in dem großen Torflügel öffnen ließ. »Was schiert dich meine Zufriedenheit?« fuhr ihn der Mönch an, »ich bin nicht in der Laune, dir Rede zu stehen. Vorwärts! Tür auf! oder ein Kreuzhageldonnerschlag soll dir --« »-- in die Kniekehlen fahren!« fiel ihm der Wächter lachend ins Wort, indem er das Pförtchen aufsperrte. »Das Sprüchlein kenn' ich, Herr Bligger Landschad von Steinach!« »Woher, du Schuft?« »Von manchem Fuhrmann hab' ich's gelernt, dem Ihr die Fracht unterwegs ohne seinen Dank erleichtert habt, Herr Ritter!« entgegnete der Wächter trotzig. »Dir geb' ich noch was zu!« sprach der also Gehöhnte, und der Wächter fühlte einen Faustschlag im Nacken, daß er taumelte, während der andere durch die Pforte ins Freie entwich. Kaum aber war der Ritter auf der Brücke, auf die aus den zerreißenden Wolken etwas helleres Licht fiel, als er hinter sich den lauten Notruf des Wächters vernahm, den dieser auf seinem Horne blies. Er beschleunigte seine Schritte und streifte im Gehen die Mönchskutte ab, sie über den Arm hängend. Im Panzerhemd, das er trug, konnte er nun freier und rascher ausschreiten und tat dies auch, die linke Hand am Schwertgriff. Jetzt ließ er einen gellenden Pfiff auf dem Finger erschallen, worauf aus nicht zu großer Entfernung derselbe Ton als Antwort klang. Dann näherte sich schnell doppelter Hufschlag, und bald hielt ein gleichfalls gepanzerter und bewehrter Reiter vor ihm, der noch ein leeres Pferd am Zügel führte. »Nun, wie steht's?« frug der Reiter. »Er muß heiraten, anders kein Ausweg!« erwiderte Herr Bligger, während er sich in den Sattel schwang. »Aber jetzt vorwärts! Der Torwart hat mich erkannt und schlägt Lärm; wir werden sie bald hinter uns haben, und da kommt schon der Mond hervor.« Die Reiter gaben ihren Rossen die Sporen und preschten die Straße stromaufwärts am Neckarufer dahin. -- Der Torwart hatte sich nicht geirrt und den scheinbaren Mönch bei seinem rechten Namen genannt, der in Heidelberg sehr wohl bekannt war, aber nicht sonderlich gut angeschrieben stand, was der Träger dieses Namens auch ganz genau wußte. Die Herren von Steinach waren ein ritterliches Geschlecht, dessen Ursprung zwar, wie der so vieler Adelsgeschlechter, in Dunkel gehüllt war, von dem aber schon Urkunden aus der ersten Hälfte des zwölften Jahrhunderts reden. Sie genossen eines weit verbreiteten Ansehens, erfreuten sich eines großen Besitzes und hatten vielfach Hofämter und hohe Kirchenwürden inne gehabt. Einer der ihrigen, auch ein Bligger von Steinach, war ein berühmter Minnesänger gewesen, der im ersten Viertel des dreizehnten Jahrhunderts blühte. Wahrscheinlich ihm zu Ehren führten die Nachkommen eine schwarze Harfe in goldenem Felde im Wappenschilde. Der Ruhm aber, den sich die Enkel erworben hatten, war etwas zweifelhafter und anrüchiger Natur, denn sie lebten zumeist aus dem Stegreif, und manches Schiff, das auf dem Neckar, mancher Frachtwagen, der auf der Landstraße von Heilbronn nach Heidelberg oder in umgekehrter Richtung fuhr, hatte ihre dreist zugreifende Hand fühlen müssen. Einer von ihnen, namens Ulrich, hatte das Räuberhandwerk so arg getrieben, daß ihm das Volk, weil er dem Lande so großen Schaden zufügte, den Schimpfnamen »Landschaden« beilegte und der Kaiser die Reichsacht über ihn verhängte. Vogelfrei, wie er nun war, nahm er an einem Kriegszuge gegen die Ungläubigen teil, schlug einem gefürchteten Anführer der Sarazenen das Haupt ab und brachte es dem Kaiser zur Sühne, so daß dieser ihn wieder zu Gnaden aufnahm und ihm erlaubte, einen gekrönten Sarazenenkopf als Helmzierde im Wappen zu führen. Den Namen Landschaden aber behielt er und sein Folgegeschlecht für alle Zeiten bei, und die tapferen Degen sorgten auch ferner durch ihr Tun und Treiben dafür, daß die Bedeutung dieses Namens nicht in Vergessenheit geriet. Zurzeit lebten drei Brüder des Geschlechtes, Bligger, der älteste, Konrad, der jüngste, beide verheiratet und mit Kindern gesegnet, und, dem Alter nach in der Mitte zwischen diesen beiden, Hans, jener Hagestolz, um dessentwillen Bligger sich in die ihm feindlich gesinnte Stadt hinein gewagt hatte. Diese drei Brüder besaßen vier Burgen, die nahe beieinander über dem Städtchen Neckarsteinach auf den Bergen des rechten Flußufers standen. Bligger wohnte in der größten, der Mittelburg, die mit der kleinen Vorderburg durch eine Zugbrücke verbunden war; Konrad hauste auf der Hinterburg und Hans endlich auf Burg Schadeck, vom Volke auch das Schwalbennest genannt, weil sie hoch, frei und keck über dem Tale wie ein angeklebtes Nest an einem schroffen Felsen hing. Dort lebten sie keineswegs einsam und abgeschieden, ohne ebenbürtige und gleichgesinnte Nachbarn; vielmehr waren innerhalb der nächsten vier oder fünf Meilen von Neckarsteinach stromaufwärts die bewaldeten Höhen zu beiden Seiten des vielgewundenen Tales mit stattlichen und von ritterlichen Geschlechtern bewohnten Burgen besetzt, wie sie in solcher Zahl auf so kleinem Raume nirgend anders, auch nicht am Rheine, zu finden waren. Neckarsteinach gegenüber lag auf hohem Kegel die Veste Dilsberg, der Sitz des kurpfälzischen Gaugrafen über den Kraich-, Enz- und Elsenzgau; dann folgten stromauf die Burgen Hirschhorn, Eberbach, Stolzeneck, Zwingenberg, Minneburg, Dauchstein, Hornberg, Horneck, Guttenberg und Ehrenberg, eine immer gewaltiger, als die andere, und jede mit Dörfern und Höfen und weiten Waldungen als Eigentum versehen oder als erbliches Lehen bedacht. Die mächtigsten, reichsten, aber auch gefürchtetsten aller Burgherren des Neckartales waren die Landschaden von Steinach, und wenn sich Herr Bligger auch nur bei Nacht und als Mönch verkleidet in die Stadt Heidelberg hineinschlich, so war das immerhin schon ein sehr gewagtes Spiel für ihn, denn er hatte eine böse Rechnung bei ihr auf dem Kerbholz. Darum suchten jetzt die beiden Brüder möglichst rasch von dannen zu kommen und ritten in schlankem Trabe durch die vom Monde mehr und mehr erhellte Nacht heimwärts, ohne miteinander zu reden, ein jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Des verwegenen Ritters heimlicher Besuch in Heidelberg hatte aber folgende Veranlassung. Am gestrigen Tage hatte in Bliggers Abwesenheit ein Jude, der sich Isaak Zachäus von Ingolstadt nannte, in Begleitung seines Sohnes, eines hübschen, dunkeläugigen Jünglings, auf der Mittelburg vorgesprochen, sich als Arzt für Menschen und Vieh ausgegeben, gefragt, ob hier etwa die einen oder das andere seiner Kunst und seines vielerprobten Rates bedürftig seien, und sich schließlich erboten, den Burgbewohnern das Horoskop zu stellen, denn er sei auch in Astrologie und höherer Geometrie wohl bewandert und erfahren. Darauf war die Burgfrau mit Freuden eingegangen, und der Sterndeuter hatte sie nach Tag und Stunde der Geburt sämtlicher Familienglieder gefragt, um danach seine Berechnungen zu machen. Nun besaß Frau Katharina ein altes Gebetbuch der Mutter ihres Gemahls, in welche diese alle wichtigen Familienereignisse, also auch die Geburten ihrer Kinder, eigenhändig verzeichnet hatte. Das holte sie hervor und ging dem landfahrenden Weisen aus dem Morgenlande mit den nötigen Zeitangaben zur Hand. Dieser hatte darauf in einsamem Gemache bei guter Verpflegung den ganzen Tag geschrieben, gerechnet und allerlei seltsame Figuren gezeichnet, bis er der Burgfrau die Ergebnisse seiner Nachforschungen mitteilen konnte. Es war aber nicht viel dabei herausgekommen; lauter günstige oder nichtssagende Prophezeiungen für die Zukunft aller ihrer Angehörigen hatte der Hebräer der Burgfrau verkündigt, Prophezeiungen, nach denen sich weder ein ungewöhnliches Glück erhoffen, noch ein besonderes Unheil befürchten ließ. Nur über ihren Schwager Hans hatte er einen seltsam lautenden Ausspruch getan, denn er behauptete: »Junker Hans wird einmal sein Glück in einem Kloster finden.« Daraufhin hatte Frau Katharina den Wahrsager gründlich ausgelacht. Hans, der ritterlichste, lebenslustigste der drei Brüder, der am liebsten im Sattel oder beim Becher saß oder im Forste pirschte und von seinem Freunde, dem Abt des Benediktinerklosters Sinsheim und dessen Konventualen, die er oft tagelang besuchte, die erbaulichsten und abenteuerlichsten Geschichten erzählte, der, der gerade sollte selber einmal in ein Kloster gehen? unmöglich! ganz undenkbar! Aber Isaak Zachäus war ihren launigen Einwendungen gegenüber kühl und ernst bei seinem Ausspruch geblieben und hatte hinzugefügt: »Junker Hans ist neunundvierzig Jahr alt, und wenn er nicht binnen Jahr und Tag heiratet, so verfällt nach dem Recht der Hagestolze all sein Hab und Gut als Erbe Eurem gnädigsten Pfalzgrafen.« Das hatte die Burgfrau stutzig gemacht; sie hatte von einem solchen Rechte noch niemals gehört, forschte näher danach und ließ es sich von dem Juden genau erklären. Kurz darauf war Herr Bligger nach Hause gekommen und war ebenso erstaunt über die unerhörte Neuigkeit wie seine treffliche Hausfrau. Was wußten diese unerschrockenen, allezeit derb zufahrenden Ritter, Junker und Knappen vom Recht und von Rechtsgewohnheiten. Allenfalls kümmerten sie sich ein wenig um das Lehnsrecht, im übrigen aber ließen sie nur das Faustrecht gelten und schlichteten alle Händel mit dem Schwerte. Der Fall, daß einer ihrer Genossen als Junggeselle gestorben wäre, war im ganzen Bereiche ihrer Bekanntschaft seit Menschengedenken nicht vorgekommen, und so hatten sie keine Ahnung von einem sogenannten Recht der Hagestolze. Herr Bligger beschloß indessen sofort, der Sache auf den Grund zu gehen und gleich am nächsten Tage einen Rechtsgelehrten der jungen Universität zu Heidelberg darüber zu befragen, den Sterndeuter aber samt dessen Knaben bis zu seiner Rückkehr auf der Burg festzuhalten. Seiner Hausfrau legte er strenges Stillschweigen, besonders Bruder Hans gegenüber, auf und weihte anderen Morgens nur seinen Bruder Konrad ein, in dessen Begleitung er den Ritt zur feindlichen Stadt unternahm. Nachdem ihm nun der Magister die Auslassungen des Juden in allen Punkten bestätigt hatte, ging ihm die Angelegenheit schwer im Kopfe herum. Er grübelte darüber während des ganzen Rittes, und Konrad wollte ihn darin jetzt nicht mit unzeitigen Fragen unterbrechen. Erst dicht vor dem Scheidewege zu ihren Burgen frug Bligger endlich den Bruder: »Woran hast du unterwegs gedacht, Konrad?« »Natürlich an nichts anderes,« erwiderte Konrad, »als wie wir das fertig bringen sollen, Hans zu verheiraten.« »Das war auch mein einziger Gedanke,« sagte Bligger, »aber ich komme damit zu keinem Ende. Meine Meinung ist, wir rufen unsere Freunde zusammen und beratschlagen, ob wir nicht gemeinschaftlich gegen dieses vermaledeite Hagestolzenrecht etwas ausrichten können.« »Und Hans?« »Hans ist bei seinen Freunden in Sinsheim und wird hoffentlich noch ein paar Tage ausbleiben; darum leidet die Sache keinen Aufschub, denn er darf nichts davon merken. Reite du morgen nach Hirschhorn und Eberbach und lade Otto und Schenk von Erbach zu einer Zusammenkunft übermorgen bei mir ein; ich werde Ernst mit demselben Auftrag nach Zwingenberg zu Engelhard und nach Stolzeneck zu Albrecht von Erlickheim schicken.« »Gut! ich werde reiten,« sprach Konrad, »aber die Beratung wird auch zu keinem anderen Schlusse führen, als zu dem, den du von dem Heidelberger Doktor mitbrachtest: Hans muß heiraten!« »Ja, aber sage nur wen?!« erwiderte Bligger. »Ich hielt in Gedanken schon Brautschau für ihn, aber vergeblich. Für unsere jungen Burgfräulein ringsum ist er zu alt; in Heilbronn oder Heidelberg darf er sich nicht blicken lassen, und dazu, daß er auf Werbung im Reiche herumtraben sollte, bringen wir ihn erst recht nicht. Nur Eine wüßte ich, die er sich nehmen könnte, wenn er wollte und wenn sie wollte; das wäre --« »Juliane Rüdt von Kollenberg, die stolze Burgfrau der Minneburg,« fiel Konrad ein und brach in ein schallendes Gelächter aus, in das Bligger herzhaft einstimmte. Sie schüttelten beide den Kopf und schwiegen wieder, bis sie sich trennen mußten und einander gute Nacht wünschten. Als Bligger schon ein kleines Stück bergauf seiner Burg zugeritten war, hörte er von fern noch einmal das laute Lachen seines Bruders Konrad, das durch die Stille der Nacht zu ihm herüber tönte, und da mußte er auch wieder lachen, daß es der Bruder hören konnte, und siehe da, zu gleicher Zeit wieherte sein Roß, weil es sich auf den Stall freute; aber es klang, als wenn auch der Hengst des Ritters lachen müßte über den Gedanken, daß Junker Hans einmal Frau Juliane Rüdt von Kollenberg auf der Minneburg heimführen sollte. Zweites Kapitel. Noch in der Nacht nach seiner Rückkehr von Heidelberg machte Herr Bligger seiner edlen Hausfrau Katharina kurze Mitteilung von der Unterredung mit dem Rechtsgelehrten und seiner Absicht, einige befreundete Burgherren aus dem Neckartal zu einer Beratung über gemeinschaftliche Schritte in der Angelegenheit einzuladen; sie möchte sich auf eine gute Bewirtung der ritterlichen Gäste für übermorgen einrichten, im übrigen sich mit ihrer Wißbegierde bis zum nächsten Tage gedulden und ihn jetzt nichts mehr fragen, sondern ihn schlafen lassen. Am anderen Morgen gleich nach dem Frühmahl ritt Konrad und bald darauf auch Ernst, Bliggers und Katharinas ältester, dreiundzwanzigjähriger Sohn, nach den benachbarten Burgen ab, um dort die Einladungen des Familienoberhauptes auszurichten. Bligger hatte den Sohn nicht eingeweiht, denn in Anbetracht des sehr innigen und vertrauten Verhältnisses, das zwischen diesem und Junker Hans bestand, fürchtete er, Ernst möchte seinem schwärmerisch geliebten Oheim einen Wink geben, infolgedessen Hans bei seinem eigenwilligen Wesen durch irgendein unberechenbares Widerspiel Bliggers Pläne kreuzen, vielleicht ganz vereiteln könnte. Ernst mußte nach dem ihm gewordenen Auftrage glauben, daß es sich um die Verabredung einer größeren, gemeinsamen Fehde handelte, die vorläufig noch in tiefes Geheimnis gehüllt bleiben müßte. Als die beiden Ehegatten allein waren, nahmen sie das in der Nacht abgebrochene Gespräch wieder auf, und Frau Katharina begann: »Also hat uns der wackere Jude mit seinen Mitteilungen über jenes unerhörte Recht oder Widerrecht doch nicht getäuscht, und wir können ihn wohl heute seines Weges ziehen lassen mit seinem Knaben.« »Nein, noch nicht!« entgegnete Bligger. »Ich habe schon mit ihm gesprochen, daß er noch hier bleiben soll; denn ich habe so eine dunkle Ahnung, als könnte er uns in unserer Fürsorge für Hans noch gute Dienste leisten, wenn ich auch noch nicht weiß, in welcher Weise.« »Was sollten das wohl für Dienste sein?« sprach Katharina. »Wenn dir der Heidelberger Doktor nicht raten und helfen konnte, wird es der Sterndeuter erst recht nicht können.« »Wer weiß, Käthe!« antwortete der Ritter. »So ein alter Schlaufuchs von Hebräer ist mit allen Hunden gehetzt.« »Gegen den Pfalzgrafen vermag er doch nichts. Oder soll er vielleicht unserem Bruder Hagestolz sagen, was er bei seinem Horoskop herausgerechnet hat?« »Das Horoskop! ich hab's!« rief Bligger, »der Jude muß Julianen das Horoskop stellen und uns sagen, was er findet!« »Wem? Julianen? Julianen auf der Minneburg?« frug Katharina höchst erstaunt. »Freilich! welcher sonst?« erwiderte Bligger. »Das einfachste und sicherste Mittel, diesem nichtsnutzigen Hagestolzenrecht zu entgehen, ist und bleibt, daß Hans heiratet, und nun strenge deinen Witz an, ob du eine andere findest, die er heiraten könnte, als Juliane Rüdt von Kollenberg!« »Ein tollkühner Gedanke, Bligger!« sagte Katharina lachend, »die Gebieterin der Minneburg sollte sich je dazu verstehen, einem Landschaden von Steinach, einem ihrer bittersten Feinde, die Hand zum Ehebunde zu reichen!« »Aus bitteren Feinden sind schon manchmal die besten Freunde geworden,« versetzte Bligger. »Und denke doch den Spaß, Käthe, wenn Hans seine alte Liebe, die er damals nur aus Furcht vor der Schwiegermutter nicht geheiratet hat, nun doch noch zur Frau bekäme!« »O du brauchst gar nicht so weit zurückzugreifen. Es ist vielleicht drei, höchstens vier Jahre her, daß es mir manchmal scheinen wollte, als stünde Hans mit der schönen Juliane auf einem viel vertrauteren Fuße, als ihr seliger, damals noch in gutem Frieden mit euch lebender Zeisolf wissen und ahnen durfte,« bemerkte die Hausfrau. »Desto besser!« sagte Bligger, »diese Tatsache, wenn es eine ist, und von der ich heute zum ersten Male höre, kann mich in meiner Hoffnung nur bestärken.« »Was ich andeutete, fiel -- ich wiederhole es -- in die Zeit vor eurem Streit,« erwiderte Katharina. »Vergiß nicht, was unterdessen geschehen ist, und wie unversöhnlich sich Juliane auch nach Zeisolfs Tode noch uns gegenüber gezeigt hat. Seitdem ist zwischen ihr und Hans alles vorbei, und sie weiß vielleicht gar nicht, daß er schon vor ihrer Verheiratung ein Auge auf sie geworfen hatte.« »Ist auch nicht nötig. Wenn sich die beiden nur jetzt ein wenig ineinander verlieben oder nach deinen Beobachtungen wieder ineinander verlieben, so bringen wir sie auch noch glücklich unter eine Decke und drehen dem Pfalzgrafen eine so lange Nase,« lachte der Ritter mit einer entsprechenden Handbewegung. »Wie willst du das anstellen?« frug Katharina. »Hans, der abgesagte Feind der Ehe, und die kluge, stolze Juliane, -- lieber Alter, du träumst.« »Pah! sie ist ein Weib, und ich denke, eines mit recht warmem Blut,« antwortete Bligger. »Glaubst du nicht, daß sie ihr Witwentum sehr gern wieder mit einem freudenreicheren Dasein vertauschte?« »Lieber heute, als morgen würde sie das tun, das ist kein Zweifel,« mußte Katharina zugestehen, »aber eine Frau Landschad von Steinach wird sie doch nicht, einen so ritterlichen und höchst annehmbaren Gemahl du ihr auch in Bruder Hans an die Seite geben könntest.« »Das will ich meinen!« sagte Bligger, »Hans ist noch ein Mann wie ein Jüngling trotz seiner neunundvierzig Jahre. Er darf nur nichts merken; ahnungslos muß er in die Falle gehen, in die wir ihn zu seinem eigenen Glücke locken, und den Köder, mit dem wir sie beide fangen, den soll mir der Jude zurecht brauen; er sieht mir ganz danach aus, als wenn er hexen könnte.« »Ein Liebestrank?« »Nein, nein, kein Liebestrank! laß mich nur machen!« sagte Bligger, rasch im Zimmer auf- und niederschreitend und seiner Frau wie zur Beschwichtigung mit der Hand winkend, als stiegen ihm allerlei pfiffige Gedanken auf, in denen sie ihn nicht stören sollte. »Wo steckt der Jude?« frug er dann; »ich werde mal ein Wort unter vier Augen mit ihm reden.« »Ich habe ihm und seinem scheuen Knaben ein behagliches Zimmer gegeben; in der Giebelstube hausen sie,« erwiderte Katharina. »Hast du recht gemacht,« sagte der Ritter, »verpflege sie gut! Ich wünsche überhaupt, daß ihnen jedermann hier mit mehr Milde und Freundlichkeit begegnet, als man sonst Juden zu erzeigen gewöhnt ist. Und nun denke an morgen, daß du mit deiner Küche Ehre einlegst; du weißt, der Engelhard schlägt auch bei Tische eine scharfe Klinge.« »Keine Sorge, mein Alter! sollst zufrieden sein,« rief die Frau ihrem hinauseilenden Gatten nach. Als sie aber allein war, sprach sie zu sich: »Also Hans, der Ehehasser, soll heiraten! Es ist eigentlich recht so und nur zu wünschen, daß es gelingt. Ich kann als Frau das Hagestolzenrecht nicht ganz verdammen. Des tüchtigen Mannes Kraft soll das Glück der Liebe schaffen und genießen, statt mit seinem Herzen mehr und mehr in der Welt zu vereinsamen. Wie sagt Bliggers Ahnherr, der Minnesänger? Des Mannes Stärke wäre gut, Ließ er zu rechten Dingen sie erscheinen, Allein es ist manch Einem so zu Mut, Daß er mit Haß sich kränket und die Seinen.« Katharina war eine stattliche Erscheinung, kräftig und gesund, mit lebhaften Bewegungen und einem immer noch hübschen, klugen Gesicht, dessen frische Farben durch das früh sich zeigende Silbergrau des Haares an Stirn und Schläfen noch mehr hervorgehoben wurden. Sie setzte sich an das geöffnete Fenster und blickte sinnend in das sonnenüberglänzte Tal hinab. Der Wald ringsum an den sanften Geländen, auf den Hügeln und Bergen trug sein hellgrünes Frühlingsgewand. Die flinken Wellen des Neckars, dessen Lauf hier einen großen Bogen beschrieb, blinkten und blitzten im Morgenlichte; die Schwalben umkreisten die Burg, Finken und Drosseln schlugen im Gebüsch des steilen Abhanges, und von unten herauf tönte das sehnsuchtsvolle Lied der Nachtigall. Es war ein köstlicher Tag, wie zum Ruhen und Träumen und zum wonnigen Genießen geschaffen. War auch müßiges Träumen Frau Katharinas Sache sonst nicht, konnte sie sich doch dem Zauber dieses seligen Friedens, der über dem ganzen, lieblich schönen Talgebilde ausgebreitet lag, nicht entziehen. Sie atmete mit Entzücken die würzige Luft und blieb noch lange sitzen, den Blick wie verloren in die Ferne gerichtet, die Gedanken in vergangene Zeiten versenkt. Die Herren auf den Burgen des Neckartals hielten im allgemeinen in guter Eintracht zusammen, besuchten sich gegenseitig mit ihren Frauen und Kindern, gaben sich fröhliche Feste, Tanzreigen und Trinkgelage, Ringelrennen und Speerstechen, störten sich auch nicht in ihrem ritterlichen Gewerbe, halfen sich vielmehr dabei, und war einmal eine besonders reiche Beute gewonnen, so teilten sie auch wohl brüderlich untereinander. Kamen auch hin und wieder zwischen zweien kleine Streitigkeiten vor, bei denen dann leicht recht derbe Worte fielen, sich wohl gar ein paar Klingen kreuzten, so dauerte solch ein Zwist in der Regel nicht lange. Die Unbeteiligten bemühten sich, den Frieden zu vermitteln, und aller Groll wurde mit einem gründlichen Versöhnungstrunk, bei dem auch die einer Versöhnung gar nicht Bedürftigen tapfer mithielten, spurlos hinweggespült. Drohte vollends einem eine Gefahr von einem Gegner außerhalb dieses Kreises, so traten sofort alle für den einen männiglich ein, und wie in einem geschworenen Bunde ließ dann keiner den anderen im Stich. So hatten es die Großväter und Väter gehalten, und so hielten es die jetzt Lebenden miteinander, so daß selbst der Pfalzgraf vor dem kecken Treiben dieser kleinen, aber mächtigen und trotzigen Tafelrunde des Neckartales manchmal ein Auge zudrücken mußte, zumal ihre Mitglieder auch ihm zuweilen in seinen kriegerischen Unternehmungen mit Mann und Roß zu Hilfe kamen und er es schon deshalb nicht gern mit ihnen verderben wollte. Der kurpfälzische Gaugraf, der als Obervogt und Richter des Gaues auf dem Dilsberge saß, hatte nur dem Namen nach, aber nicht in Wirklichkeit etwelche Gewalt über seine Standesgenossen und hielt sich deshalb meist fern von ihnen, womit diese ganz zufrieden waren; denn sie liebten ihn nicht, weil sie wußten, daß er in allen streitigen Fragen ihr Widerpart war und auf der Seite des Fürsten stand. Leider hatte diese Einmütigkeit unter den Burgherren vor wenig Jahren einen Riß bekommen, der allen Sühneversuchen zum Trotz nicht zu heilen gewesen war. Einem großen Frachtzuge von Kaufmannsgütern, der von Heilbronn nach Heidelberg bestimmt war, hatte Zeisolf Rüdt von Kollenberg auf Zureden seines nächsten Nachbars stromauf, des Ritters Bruno von Bödigheim auf Dauchstein, der den Zug bis Binau gedeckt hatte, sicheres Geleit auf der Landstraße bis Neckargemünd zugesagt und auch tatsächlich mit seinen Knechten übernommen. Das war nichts Ungewöhnliches, wenn es mit Wissen und Willen der übrigen Burgherren geschah und diese von dem sehr hohen Geleitsgelde einen Teil abbekamen. Diesmal aber hatte es Herr Zeisolf versäumt oder nicht der Mühe wert gehalten, seine Nachbarn von dem übernommenen Geleit vorher in Kenntnis zu setzen, und als der Zug trotzdem unangefochten bis in die Gegend zwischen Hirschhorn und Neckarsteinach gelangte, bekamen die Landschaden Wind davon, überfielen ihn mit bewehrter Hand und wollten nun von Deckung und Geleit nichts mehr wissen, wie sie bisher nichts davon gewußt hatten. Sie nannten Rüdts Verfahren unritterlich und bundsbrüchig und warfen ihm vor, er hätte ihnen nur ihren Anteil am Geleitsgelde unterschlagen wollen. Von den immer heftigeren und drohenderen Worten kam es bald zu Schwertstreichen und einem ernsthaften Scharmützel, in welchem der Sieg lange hin und her schwankte, bis Rüdt mit den Seinen von den Landschaden in die Flucht geschlagen und eine gute Strecke lang verfolgt wurde. Der Warenzug war dabei am besten weggekommen. Während sich Angreifer und Beschützer um ihn rauften, fuhr er so schnell wie möglich davon und erreichte ungeplündert Neckargemünd, wo ein starkes Geleit aus Heidelberg seiner wartete. Einige Tage nach diesem Vorfall erhielten die Landschaden von Steinach Rüdts Absagebrief, den auch Bruno von Bödigheim mit gesiegelt hatte, und aller Mühen ungeachtet, die sich die zwischen den verfeindeten Burgen wohnenden Ritter um die Erhaltung des Friedens gaben, war der Ausbruch der Fehde nicht zu verhindern. Diese ging ihren rauhen Gang und wurde von beiden Seiten mit gleicher Erbitterung geführt. Man lauerte sich gegenseitig im Tale und im Walde auf und lieferte sich kleine Treffen, bei denen oft genug Blut floß; man fiel in die feindlichen Dörfer, steckte sie in Brand und nahm den Bauern Vieh weg; kurz, man suchte sich auf jede Weise mit List und Gewalt Abbruch und Schaden zu tun. Eines Tages aber stießen die beiden gegnerischen Streitkräfte unvermutet in größeren Scharen aufeinander, und es entspann sich ein hitziges Gefecht, aus dem die Landschaden von Steinach wieder als Sieger hervorgingen und den verwundeten Rüdt selber als ihren Gefangenen mit sich führten. Sie sperrten ihn in den festen Turm der Vorderburg und verlangten zweihundert schwere Goldgulden Lösegeld. Als aber Rüdt diese Summe nicht sofort zahlen konnte, mußte er sich nach langwierigen Verhandlungen dazu verstehen, den Gegnern sein Dorf Neunkirchen samt einem großen Walde, der an das Gebiet der Landschaden grenzte, zu verpfänden. Dann erst ließen sie den Besiegten frei, machten Frieden mit ihm und schwuren Urfehde. Über diesen Verhandlungen während Rüdts Gefangenschaft waren mehrere Monate vergangen, und wenn nun auch die beschworene Urfehde auf beiden Seiten ehrlich gehalten wurde, so mieden sich doch die nur äußerlich Versöhnten fortan und kamen nie wieder in ein freundschaftliches Verhältnis zueinander. Mehr noch als ihr Gatte, faßte Frau Juliane einen bitteren Haß auf die gesamte Familie der Steinachs, und als ein halbes Jahr nach seiner Befreiung Herr Zeisolf das Unglück hatte, bei einem jähen Sturz mit dem Pferde den Hals zu brechen und nun, über dem Grabe des einstigen Genossen, die Steinachs, namentlich die beiden Frauen, den Versuch machten, sich der Witwe wieder in Frieden und Freundschaft zu nähern, wies Juliane diesen Versuch schnöde zurück, und sie und die Familie der Landschaden blieben geschiedene Leute. Die Herrin der Minneburg war viel jünger als Herrn Bliggers Gattin; höchstens in der Mitte der Dreißiger konnte sie sein, aber Katharina hatte sie seit Jahren nicht gesehen. Vermutlich war sie noch, was sie früher gewesen war: eine schlanke, blühende, überaus lebenslustige Blondine, die gut zu Pferde saß, verführerisch lächeln konnte und sich überhaupt der Macht ihrer Reize allen Männern gegenüber sehr wohl bewußt war, ohne daß man ihr nachsagen konnte, sie hätte diese Macht zum Nachteil ihres guten Rufes gemißbraucht. Sie war ihres Geschlechtes eine Gräfin von Ehrenberg von der Burg gleichen Namens bei Heinsheim oberhalb Gundelsheims am Neckar und hatte ihrem Gatten im Laufe der Zeit drei Kinder geschenkt, von denen aber die beiden jüngsten wieder gestorben waren, so daß ihr nur eine Tochter blieb, die jetzt siebzehn Jahre zählen mußte. Jetzt war sie schon über zwei Jahre Witwe und hatte sich über ihren Zeisolf längst getröstet. Sie fühlte sich noch jugendlich und hatte, dank einer ihr zugefallenen Erbschaft, über bedeutende Einkünfte zu verfügen, was sie, um jede Anknüpfung eines Verkehrs mit den Steinachs zu vermeiden, dennoch nicht veranlaßte, den immer noch verpfändeten Wald von jenen einzulösen. Wie verlautete, sollte sie mit ihrer Tochter Richilde und deren Freundinnen, von denen stets mehrere bei ihr zum Besuch waren, ein sehr vergnügliches Leben führen, von dem manche kleinen abenteuerlichen Züge zu den Ohren der Nachbarn drangen, so daß die Minneburg ein geheimnisvoller Zauberreiz umgab, der die Neugier herausforderte und den die darüber umlaufenden Gerüchte zu deuten und zu vermehren strebten. Ihren verlockenden Namen verdankte die Burg, die auf dem linken Ufer des Flusses, Neckargerach gegenüber lag, einer halb verklungenen Sage, laut welcher vor Jahrhunderten schon ein ritterlicher Kreuzfahrer in treuer, aber trostloser Minne nach der Rückkehr aus dem gelobten Lande seinem verlorenen Glück an dieser Stelle durch Erbauung der Burg ein bleibendes Denkmal gesetzt haben sollte. Die Minneburg war ein sehr umfangreicher und sehr fester Bau mit einem äußeren und einem inneren baumbewachsenen Zwinger und von doppelten, gewaltig hohen und dicken Ringmauern umschlossen, deren vorderste von vier runden, in gleichmäßigen Abständen voneinander befindlichen, riesigen Türmen noch verstärkt wurde. Der Hauptturm aber, der mächtigste von allen, war viereckig und erhob sich, an die innere Ringmauer gelehnt, aus dem kühlen, schattigen Burghof hoch und stolz empor. Der Palas war mit einer in die Augen fallenden Pracht aufgeführt. Die Einfassungen der Türen und Fenster waren aus schönem roten Sandstein, vom Steinmetzen kunstvoll gemeißelt und mit wohlgeformtem Stab- und Laubwerk geschmückt. In einem besonderen, an den Palas gefügten Turm befand sich eine schlanke, ebenfalls aus rotem Sandstein meisterhaft gearbeitete Wendeltreppe, die bis zum obersten Geschoß hinaufführte. Am südöstlichen Giebel war ein bis unter das Dach reichender Vorbau, welcher Erker enthielt mit einem sehr großen, durch Säulen geteilten Mittelfenster und zwei kleinen Seitenfenstern. Von diesen Fenstern aus, die in dem Erker des großen Hauptgemaches im ersten Stock besonders reich verziert waren, genoß man eine entzückende Aussicht in das Tal hinab und auf die bewaldeten Berge. Unten floß, langhin übersehbar, der tiefgrüne Neckar, und an sein rechtes Ufer geschmiegt lag das Dorf Neckargerach, auf dessen Dächer man von oben hinabschaute, ein friedevolles, liebliches Bild. Überaus herrlich war die Lage der Burg, auf der Kuppe eines Bergkegels, von hohen Buchenwipfeln umgeben, ganz im Walde versteckt, so daß man von unten nur die Türme und einige Dächer erblickte. Kam man hinauf, so stand man wie vor einem verwunschenen Schloß, in das eine Zugbrücke und ein spitzbogiges Tor führte. Mauern und Türen waren efeuumsponnen; tiefe Stille und Einsamkeit ringsum, in der die Burg wie eine prächtige steinerne Krone des Berges ragte, märchenhaft, feenhaft, von unbeschreiblicher Poesie und Romantik. Wenig Fremde gelangten hinein und sehr selten ein Freier um die Hand der schönen Gebieterin, und zumeist wohl deshalb so selten, weil es weit und breit umher keinen ebenbürtigen und im richtigen Altersverhältnis zu ihr stehenden, unverheirateten Mann gab, mit Ausnahme des edlen Junkers Hans Landschad von Steinach, der aber vom Heiraten nichts wissen wollte. Nur einer, Ritter Bruno von Bödigheim auf Dauchstein, auch ein Witwer und Herrn Zeisolfs einstiger Bundesgenosse in der Fehde mit den Landschaden, klopfte zuweilen auf der Minneburg und am Herzen ihrer Herrin schüchtern an, hatte aber bislang noch keine Gnade vor ihren Augen gefunden. So standen die Dinge, als Herr Bligger den kühnen, unter den obwaltenden Verhältnissen schier aussichtslosen Plan faßte, dieser Frau, die sich seiner ganzen Familie so entschieden abhold und unnahbar zeigte, eine Neigung zu seinem Bruder Hans einzuflößen und außerdem auch noch diesen selbst zur Werbung um die Hand der Dame zu bestimmen. Und dies alles nicht etwa in dem einzigen Wunsche, aus jenen beiden, die ja vortrefflich zueinander passen mochten, ein glückliches Paar zu machen, sondern in erster Reihe, um mit diesem wahren Hexenkunststück dem für den Familienbesitz verderblichen Inkrafttreten des Rechtes der Hagestolze vorzubeugen. Drittes Kapitel. Ernst war mit der Fähre über den Neckar gesetzt und ritt den Waldpfad über Schwanheim auf Neunkirchen zu, um sich von hier nach Burg Zwingenberg zu wenden. Er ließ sein Roß im Schritt durch den frühlingsduftigen, taublinkenden Wald gehen, achtete aber nicht auf das fröhliche Blühen und Sprießen rings um ihn her und hörte nicht das Singen und Zwitschern in allen Zweigen. Er war unmutig und fühlte sich verletzt, daß ihm sein gestrenger Herr Vater nicht mehr Vertrauen geschenkt und ihn in den Zweck des erteilten Auftrages nicht eingeweiht hatte, worüber er im Sattel nun nachsann und grübelte. Ihm war gesagt worden, und er sollte es auf Zwingenberg und Stolzeneck mitteilen, daß sein Oheim Konrad heute früh nach Hirschhorn und Eberbach geritten war, um auch dort die Herren zur Beratung nach der Mittelburg einzuladen. Er wußte auch von dem gestrigen Ritt der beiden Brüder, jedoch ohne das Ziel desselben erfahren zu haben. Was bereitete sich denn da vor, das man ihm so geflissentlich zu verheimlichen suchte? er war doch wahrlich alt genug, alles wissen und alles verschweigen zu können! Nun, dessen getröstete er sich, wenn es wirklich zum Schlagen kam, so ließen sie ihn auch mitreiten, wie er schon öfter bei solchen Gelegenheiten mitgeritten war. Diese Hoffnung stimmte ihn wieder heiter, und im Vollgefühl seiner gelenkigen Jugendkraft gab er dem Roß die Sporen und galoppierte den schmalen Waldweg dahin. Bald hatte er das Dorf Neunkirchen erreicht, und da er, nach dem Stande der Sonne zu schließen, noch viel Zeit übrig hatte, so gelüstete es ihn, ein Stück in den zur Minneburg gehörigen, aber noch immer den Steinachs verpfändeten Wald hineinzureiten. Als wär's der Zauberwald von Brezilian, in welchem Parcival die schöne Herzogin Jeschute fand und mit seinen Küssen aus dem Schlummer weckte, so trieb ihn eine ahnungsvolle Neugier hinein mit dem lebhaften Wunsche, daß auch ihm hier irgendein liebliches Abenteuer begegnen möchte. In gemächlichem Schritt reitend betrachtete er aufmerksam die Buchen und Eichen, als trügen sie hier andere Rinde und andere Blätter und reckten die Äste in anderer Weise zum Nachbar hinüber als in den Waldungen seines Vaters. Auch diese Waldblumen, die hier unter den Büschen blühten, diese bunten Schmetterlinge, die sich auf ihnen wiegten und in den schrägen, das Laub durchbrechenden Sonnenstrahlen hin und wider flatterten, glaubte er noch nirgends sonst gesehen zu haben. Manchmal hielt er sein Pferd an und horchte auf das Lied eines Vogels, der sich in einem Wipfel barg und ganz anders pfiff, als sein Stammverwandter, der bei Neckarsteinach sein Nest hatte. Alles deuchte ihm hier neu und geheimnisvoll wie die Minneburg selber, die sein Fuß seit Jahren nicht betreten hatte. So lange die Landschaden mit den Rüdts in gutem Frieden lebten, waren sie oft zusammengekommen, und Ernst hatte sich schon früh zu Richilde, Herrn Zeisolfs und Frau Julianens blondlockigem Töchterlein, lebhaft hingezogen gefühlt, hatte mit ihr gespielt und gescherzt, ihr dann, als sie den Kinderschuhen entwachsen war, in jugendlich feuriger Weise den Hof gemacht und sie vor allen anderen Burgfräulein mit tausend kleinen Aufmerksamkeiten, die sie sich gern von ihm gefallen ließ, so augenscheinlich bevorzugt, daß man die beiden schon öfter miteinander geneckt hatte. Dann war die Fehde ausgebrochen, und sie hatten sich nicht wieder gesehen; aber Ernst hatte noch oft an seine junge Freundin gedacht und sich manchmal nach ihrem lieblichen Anblick gesehnt. Mit der Erinnerung an jene glückliche Zeit war er immer tiefer in den Wald hineingekommen, als plötzlich aus der Ferne ein heller Laut an sein Ohr schlug, der wie eine Menschenstimme klang. Er hielt und lauschte; da hörte er es wieder und deutlicher als zuvor; es schienen mehrere Stimmen zu sein, und wie ein fröhliches Gelächter durchschallte es den schweigenden Forst. Er ritt langsam weiter, dem Klange nach, und als er so nahe heran war, daß er die Stimmen, die ihm von Mädchenlippen zu kommen schienen, zu unterscheiden vermochte und schon einzelne Worte zu verstehen glaubte, stieg er ab, band sein Pferd an einen jungen Baum und schlich vorsichtig zu Fuß dem Schauplatz der den Wald durchdringenden Fröhlichkeit zu. Im Gebüsch versteckt, genoß er nun eines Anblickes, der ihn mit so großer Verwunderung erfüllte, daß er das Entdeckte für einen holden Spuk zu halten geneigt war. Mitten in der Krone einer mächtigen Buche sah er ein Mädchen, das sich, wie er aus den gegenseitigen Zurufen von oben und unten schließen mußte, vergeblich bemühte, von dem Baume wieder herunter zu kommen. Zu seinem Ergötzen bemerkte er, wie die kräftige junge Schöne, die in ziemlicher Höhe auf einem starken Zweige bald stand, bald kniete, öfter den einen Fuß nach dem zunächst tieferen Zweige ausstreckte, um eine Stütze daran zu finden, ohne daß ihr dies gelingen wollte. Ernst hatte in seiner Kindheit viel von Feen erzählen hören. Allein Feen waren doch zauberkundige Wesen, die schweben, fliegen und mit mancherlei Gespannen durch die Lüfte fahren konnten; einer Fee konnte es niemals begegnen, daß sie sich wie ein Junge, der Vogelnester ausnehmen will, in einem Baume verstieg und nun in größter Verlegenheit um das Herunterkommen war. Und der Feenglauben hatte bei Junker Ernst schon längst keinen Grund und Boden mehr; darum zweifelte er auch nicht daran, daß er hier rein menschliche Fräulein vor sich hatte, die zu ihrem Vergnügen in den Bäumen herumkletterten. Zudem kam ihm die Stimme in der Buchenkrone und eine von den beiden unten auf ebener Erde sehr bekannt vor. Er schlich sich in gebückter Stellung noch näher heran, und die drei jungen Baumnymphen waren von der heiterernsten Lage, in der sie sich befanden, so vollkommen in Anspruch genommen, daß sie nichts anderes um sich her sahen und hörten. Da erkannte der Junker in der einen unten am Boden Fräulein Hiltrud von Erbach und in der oben zwischen den Buchenzweigen Fräulein Sidonie von Hirschhorn. »Nun dann wird ja wohl die dritte niemand anders sein als Fräulein Richilde von der Minneburg,« sagte er sich; »o welch ein köstliches Abenteuer!« Er mußte an sich halten, um nicht laut zu lachen und vor Freude hell aufzujauchzen. Aber sofort sah er auch ein, daß er hier etwas Besseres zu tun hatte, als zu lachen: er mußte zu Sidonie hinaufklettern und sie herunterholen. Auch mit ihr und Hiltrud war er von Kindheit an befreundet, mit Sidonie sogar verwandt und traf mit beiden auf den väterlichen Burgen öfter zusammen. Die erstere war drei, die andere vier Jahr älter als Richilde, die ihm so prächtig aufgeblüht erschien, daß er sie kaum wieder erkannte. Er trat aus dem Gebüsch heraus und schritt auf die Buche zu, die inmitten einer kleinen Lichtung stand. Als die beiden Mädchen hier ihn erblickten, stießen sie einen Schrei aus und machten eine Bewegung, als wollten sie davonlaufen. Aber Hiltrud hemmte den Schritt und rief: »Ernst! Ernst Landschad! -- mein Gott, wie hast du mich erschreckt!« Ernst grüßte höflich und sprach: »Verzeiht! ich hörte Stimmen im Walde und ging dem Klange nach und -- was ist denn das?« unterbrach er sich jäh und zeigte auf etwas am Boden Liegendes, die beiden Mädchen eines nach dem andern mit fragenden, vorwurfsvollen Blicken ansehend. Da auf dem Boden lag ein toter Reiher und daneben eine Armbrust. »Ich habe ihn geschossen,« sagte Richilde selbstbewußt. »Jetzt, in der Brutzeit?« frug Ernst. Die beiden Mädchen schwiegen. Als er aber Richilden ins Gesicht schaute, die in holder Verwirrung über den nicht verstandenen Sinn der Frage errötete, da fühlte er sich von ihrer jungfräulichen Anmut und Schönheit im tiefsten Herzen ergriffen, und in diesem Augenblick war es ihm nicht möglich, ihr eine Strafpredigt über den zur Unzeit erlegten Reiher zu halten. In der Buchenkrone war es mäuschenstill, und als Ernst emporblickte, sah er, wie Sidonie auf ihrem Zweige sich an den Stamm schmiegte und im Laube zu verbergen suchte. Er lächelte und sagte: »Und was macht Sidonie da oben auf dem Baume?« »Der geschossene Reiher blieb beim Fallen in den Zweigen der Buche hängen,« erwiderte Hiltrud, »und da ist Sidonie hinaufgestiegen, um ihn herunter zu holen. Sie hat uns den Vogel herabgeworfen, aber nun --« Sie stockte, als fehlten ihr die rechten Worte. »Nun gefällt es ihr da oben in dem grünen Laubversteck so gut, daß sie gar nicht wieder herunter will,« half ihr Ernst lachend ein. Die beiden Mädchen blickten sich ängstlich an, er aber rief zum Wipfel hinauf: »Komm nur herunter, Sidonie! ich habe dich schon gesehen.« Oben blieb alles still, aber es war, als wenn ein Seufzer wie ein leiser Lufthauch durch die Blätter ging. Ernst betrachtete sich die Buche genauer und sann darüber nach, auf welche Weise Sidonie wohl da oben hinauf gekommen sein mochte. Für einen Knaben wäre es ein Leichtes, von einem Mädchen aber bezeugte das Kunststück nicht nur kecken Wagemut, sondern auch Kraft und Geschicklichkeit. Die Zweige des gewaltigen Baumes fingen schon tief unten am Stamme an; trotzdem mußten die beiden Freundinnen Sidonien erst emporgehoben haben, damit es ihr möglich wurde, den untersten Zweig zu erfassen und sich auf ihn zu schwingen. Von dort höher hinauf zu klimmen, war verhältnismäßig leicht, denn die Zweige waren so zahlreich und wuchsen so dicht übereinander, daß man fast wie auf Leitersprossen weiter kommen konnte. Nur dort, wo Sidonie sich jetzt befand, gab es weitere Abstände, die wohl zu überwinden waren, wenn man sie vor sich hatte, die aber für den Rückweg Schwierigkeiten boten. So saß denn die kühne Baumsteigerin dort oben gefangen, wenn ihr von unten nicht Hilfe und Rettung kam. »Ja, sitzen lassen können wir sie doch da oben nicht,« sagte Ernst. »Da wird wohl nichts anderes übrig bleiben, als daß ich hinauf steige und ihr herab helfe. Sidonie!« rief er hinauf, »soll ich kommen und dich herunter holen?« »Was frägst du denn noch? Könntest schon längst oben sein!« klang es ungeduldig aus den Zweigen herab. »Ei, ei, du fürwitzig Vöglein! singst ja ein trutzig Lied da oben im Grünen,« gab er lachend zur Antwort. »Nun müßt ihr mich aber auf euren Armen bis zu dem untersten Zweige hier emporheben, wie ihr es jedenfalls auch mit Sidonie gemacht habt,« wandte er sich zutraulich an die beiden Mädchen neben ihm. Die blickten erst gegenseitig sich an und dann auf den hochgewachsenen, stämmigen Jugendfreund, als überschlügen sie im stillen, ob ihre Kraft wohl dazu ausreichen würde. Er erriet ihre Gedanken und sagte: »Nun, viel schwerer als Sidonie bin ich auch nicht.« Aber Hiltrud sprach: »Kannst du denn da nicht allein hinauf? wirst doch springen können?« »Springen? hm! ich weiß nicht,« entgegnete er, die Entfernung mit den Augen messend, »aber ich denke es mir so lustig, sich einmal von schönen Armen tragen zu lassen. Wollt ihr denn nicht?« »Ich hätte dir mehr Gelenkigkeit zugetraut,« sagte Hiltrud. Um ihr zu beweisen, daß sie sich nicht in ihm irrte, erfaßte er mit einem mächtigen Satze den Zweig und schwang sich hinauf. »Sidonie!« rief er dann, »der Befreier naht, die verwunschene Prinzessin zu erlösen, aber ohne ein kräftiges Zaubermittel geht's dabei nicht ab!« Flink kletterte er durch das Astwerk empor und hatte die Verstrickte bald erreicht, während unten die beiden den Verlauf des Rettungswerkes in herzklopfender Erregtheit abwarteten. »Guten Morgen, liebe Sidonie!« sagte Ernst zu der Freundin und bot ihr die Hand, in welche sie mit einem halb lustigen, halb verlegenen Lächeln die ihrige legte, sich mit der anderen am Baume haltend. »Schau, schau,« fuhr er gleich fort, sich auf den Ast setzend, auf welchem sie stand, »wie hübsch sich's hier oben wohnt! Was meinst du, wollen wir uns hier ein großes weiches Nest bauen? ich trage alles Nötige herbei, und du hast es bloß zu flechten und auszufüttern.« »Laß jetzt die Späße,« erwiderte sie, »und hilf mir so schnell wie möglich herab.« »Nur Geduld! so rasch geht das nicht,« lachte er. »Setze dich mal hier neben mich auf den Ast; du siehst, er trägt uns beide.« Das war nun freilich leichter gesagt als getan, und sie blickte ihn ängstlich an. »Nur Mut! stütze Dich auf meine Schulter; ich umfasse dich und lasse dich ganz gewiß nicht herunter fallen, wenigstens nicht allein,« sprach der durchtriebene Schelm. Mit der einen Hand sich auf seine Schulter stützen, mit der andern sich am Baume festhalten; wie nun die Kleider züchtig zusammenfassen? dazu hatte sie keine dritte Hand verfügbar. Aber was half's? sie mußte es eben machen, wie sie nicht anders konnte, und endlich saß sie, purpurrot im Antlitz, neben ihm und suchte ihre verschobenen Kleider so gut wie möglich zu ordnen. »So! das ging ja; aber still sitzen mußt du!« rief er, »das Rutschen und Hüpfen und Lüpfen kann der Ast doch am Ende nicht vertragen; ich glaube, er knackt schon.« »Um Gott!« schrie sie auf, »er wird doch nicht brechen?« »Ich hoffe nicht,« sprach er ruhig, sie fester an sich drückend, als eigentlich nötig war. »Jetzt wollen wir überlegen, wie wir glücklich auf den nächsten Zweig unter uns kommen.« »Du bleibst hier sitzen,« meinte sie, »und läßt mich langsam hinab, bis ich Fuß fassen kann.« »Nein, so geht es nicht,« erwiderte er. »Du bist viel zu schwer, als daß ich dich im Sitzen hinablassen könnte; wie soll ich denn uns beide halten im freien Schweben? Ich muß vorangehen, und du gleitest in meinem Arme langsam an mir herunter.« »Wirst du mich auch nicht fallen lassen?« »Unbesorgt! ich halte dich sehr fest!« So geschah es denn. Er stellte sich auf den niedrigeren Zweig; sie ließ sich von oben in seinen umfangenden Arm hinein und glitt nun, fest an ihren Retter geschmiegt und ihn umklammernd, langsam an ihm hinab, bis sie, immer noch von ihm umschlungen, auf demselben Zweige mit ihm stand. »Ach!« machte sie Atem holend, »laß uns ein wenig ausruhen, mir ist die Luft vergangen.« Bald kletterten sie weiter hinab, und von nun an war es ohne Gefahr. Er breitete nur, vor ihr hinabsteigend, die Arme schützend um sie aus, ohne sie noch festzuhalten, und lenkte mit der Hand ihren Fuß auf die rechte Stelle, daß sie nicht fehltrat oder ausglitt, denn die Buchenäste waren rund und glatt. Als sie endlich auf den untersten Zweige saß, stand er schon auf dem Boden. Für sie war es zum Hinabspringen zu hoch; er hielt ihr die Arme entgegen, und sie besann sich nicht lange und sprang lachend hinein. Er fing sie auf und drehte tanzend sich ein paarmal mit ihr rund um, ehe er sie auf ihre eigenen Füße stellte. »So! gerettet wärst du! was krieg' ich nun?« sprach er. »Tausend Dank, mein tapferer Befreier!« sagte sie mit hochwallender Brust und glühendem Antlitz. Mehr konnte sie nicht sprechen; sie zitterte an allen Gliedern und mußte sich auf den Rasen setzen. Die beiden Freundinnen setzten sich zu ihr. »Nun, so will ich die Erinnerung an das lustige Abenteuer als meinen Lohn betrachten,« erwiderte er, sich den drei Huldinnen gegenüber gleichfalls niederlassend. Da reichte ihm Sidonie die Hand und sprach: »Aber eine Bitte habe ich noch, Ernst! Das Abenteuer bleibt unter uns! nicht wahr? Versprich es mir!« »Das versteht sich!« erwiderte er mit sanftem Händedruck, »unverbrüchlich gelob' ich's! Das heißt,« fügte er schnell hinzu, »das Abenteuer auf dem Baume! denn über den da habe ich noch ein Wörtlein mit euch dreien zu reden.« Dabei wies er nach dem erlegten Reiher. Sie blickten ihn fragend an. Er aber fuhr fort: »Ihr habt hier doppelten Jagdfrevel verübt, meine edlen Fräulein! Daß ihr wider alles Waidrecht den Reiher während der Brutzeit geschossen habt, mag euch ungestraft hingehen, weil ihr's vermutlich nicht gewußt habt, daß man die Vögel dann schont.« »Das haben wir freilich nicht gewußt,« sagte Hiltrud von Erbach, »und mir tut es jetzt leid um das schöne Tier.« »Mir auch,« stimmte Richilde leise zu. »Gut, das will ich gern annehmen,« sprach er. »Aber weiter! Ihr habt hier in einem fremden Forste gejagt, in welchem euch der Wildbann nicht zusteht. Dieser Wald gehört meinem Vater und dessen Brüdern. Wußtet ihr das vielleicht auch nicht?« Er richtete die Frage zumeist an Richilde, die er dabei streng anzublicken versuchte. Allein in seinen Augen funkelte etwas Schalkhaftes, und seinen Ton durchzitterte ein ganz anderes Gefühl, als Unmut und richterliche Strenge. »Darin irrt Ihr Euch, Junker Ernst!« fuhr Richilde nun auf. »Dieser Wald gehört zur Minneburg und ist den Herren von Steinach nur verpfändet, und vom Wildbann wissen wir nichts. Wir kamen her, um Eichhörnchen zu schießen, die den Singvögeln die Nester zerstören. Da sahen wir in der Buche hier einen Reiher sitzen, und ich schoß den Vogel, weil ich seine schönen, weißen Federn liebe.« »Das glaub' ich Euch, Fräulein! ich liebe sie auch,« entgegnete er. »Aber wer sich mit der Armbrust auf fremdem Jagdgebiet betreten läßt, ist schwerer Buße verfallen.« »Ei so gebt uns doch den Wald wieder heraus!« rief sie. »Wir hätten ihn schon längst gern wieder eingelöst; das ist ein Lieblingswunsch meiner Mutter, den sie schon oft gegen mich geäußert hat.« »So? hat sie das wirklich?« sprach er nachdenklich. »Nun, dazu kann ja wohl Rat werden; aber so lange dieser Wunsch Eurer edlen Mutter nicht erfüllt ist, so lange ist es Jagdfrevel, wenn Ihr hier etwas schießt, und ich muß Euch dafür in Pfand nehmen.« »Aber Ernst!« sagte Sidonie, »ein Reiher ist doch kein Hirsch von zwanzig Enden.« »Freilich nicht,« erwiderte er, »ein Reiher ist aber auch ein jagdbar Tier, und ich will ja Fräulein Richilde nicht gleich die Hand abhauen, mit der sie die Armbrust spannte, aber ein Pfand muß sie mir geben zum Zeugnis des Ertapptseins oder auch nur zum freundlichen Gedächtnis an diese Stunde.« »Und wenn ich mich dessen weigere?« frug Richilde neckisch. »Dann nehme ich Euch die Armbrust fort,« lächelte er; aber er merkte schon, daß sie gar nicht abgeneigt war, sein Begehr zu erfüllen. Der mannhafte Junker mit dem freimütigen Ausdruck in den wohlgeformten Zügen, der ihre Freundin Sidonie auf so ritterliche Weise aus einer peinlichen Lage befreit hatte, gefiel ihr noch weit mehr als der halbwüchsige Jüngling früherer Jahre, der mit ihr getändelt und ihr gehuldigt hatte, und dem ihr junges Herz schon damals heimlich entgegenschlug. Aber seit dem Ausbruch des Streites zwischen ihren und seinen Eltern war er ihr aus den Augen gekommen, wie sie ihm, und nun wagten sie beide nicht, sich noch Du zu nennen, wie sie es früher getan hatten. Dies bedauerte Richilde im stillen und beneidete ihre Freundinnen, die mit dem Gespielen auf so vertraulichem Fuße geblieben waren. Sie griff in die Tasche, die ihr am Kleide hing, und holte einen blinkenden Gegenstand daraus hervor. »Wollt Ihr diese Rinke haben?« lächelte sie, »für meinen Gürtel ist sie etwas zu breit; für den Eurigen wird sie gerade passen.« Es war eine kostbare Schnalle von Silber, mit Rubinen besetzt. Dankend nahm er das Kleinod aus ihrer Hand. »Zu Eurem Angedenken werde ich sie tragen und stets in Ehren halten, Fräulein Richilde!« sprach er hocherfreut. Jetzt erhob sich Sidonie, schritt zu dem toten Reiher, zog ihm drei seiner langen, glänzend weißen Rückenfedern aus und sagte: »Gib mir einmal deinen Hut, Ernst!« Er gab ihn ihr, und sie befestigte den stolzen Federschmuck daran. »So! da hast du auch ein Andenken an mich! Richilde hat den Reiher zwar geschossen, aber ich habe ihn doch aus dem Baume heruntergeholt, und nachher hast du mich wieder heruntergeholt; das sei dir unvergessen!« Auch ihr dankte er für die prunkende Zier an seinem Hute. »Aber nun ist es hohe Zeit, daß ich Urlaub nehme,« sprach er dann; »ich muß noch zu deinem Vater, Sidonie. Soll ich deine Frau Großmutter von dir grüßen? -- Sidonie, wenn die dich vorhin in der Buche gesehen hätte!« »Entsetzlicher Gedanke!« lachte sie. »Spare den Gruß lieber und sage ihr nichts von unserer Begegnung.« »Wollt Ihr zu Fuß nach Zwingenberg?« frug Richilde. »Nein, Fräulein,« erwiderte er. »Nicht weit von hier band ich mein Rößlein an einen Baum, als ich eure Stimmen hörte und mich überzeugen wollte, was hier in unserem -- in Eurem,« verbesserte er sich lächelnd -- »Walde spukte.« »Mußtet Ihr denn dazu vom Pferde steigen?« bemerkte sie schelmisch. »Ich wollte die munteren, jauchzenden Wesen in ihren versteckten Freuden beschleichen und beobachten,« erwiderte er, »denn ich dachte, es wären Waldnymphen, die sich heimlich hier -- tummelten!« »Die Waldnymphen werden dich jetzt zu deinem Rosse geleiten; kommt!« rief Hiltrud. Sie machten sich, von ihm geführt, auf den Weg und gingen fröhlich plaudernd im Walde dahin. Hiltrud bückte sich öfter nach einer Blume, band ein Sträußchen und steckte es dem Jugendfreunde eigenhändig vorn an das Wams. »Damit du auch von mir nicht leer ausgehst!« sagte sie; »wenn sie verwelkt sind, wirf sie weg!« »Werde mich hüten! -- da steht ja mein Brauner!« rief er, als er seines Pferdes ansichtig wurde. Sie schritten darauf zu, und während er den Zügel vom Baume löste, umstanden es die Mädchen, betrachteten es wie mit Kenneraugen und lobten und streichelten das mutige Tier. Richilde klopfte ihm zärtlich den Hals und wandte fortan den Blick nicht mehr von Ernst, als er sich aufgeschwungen hatte und mit ritterlichem Anstand im Sattel saß. Er reichte mit freundlichen Abschiedsworten jeder die Hand, zuletzt Richilden, die er dafür desto länger festhielt. Dann ritt er grüßend ab und war bald hinter Busch und Baum den Blicken der Nachschauenden entschwunden. Die Mädchen begaben sich zu der Buche zurück, und sich die Armbrust am Riemen über den Rücken hängend sagte Richilde: »Laßt uns nach Hause gehen, daß wir die Mittagszeit nicht versäumen.« Hiltrud nahm den Reiher, und so gingen sie in der Richtung, wo die Minneburg lag. Richilde war unterwegs wortkarg und in sich gekehrt, aber schwerlich fühlte sie Reue über den verübten Jagdfrevel, denn sie lächelte zuweilen still und verstohlen. Auch Ernst kam während seines einsamen Rittes das ergötzliche Abenteuer mit den drei schönen Burgfräulein nicht aus dem Sinn, und er pries den Einfall, Frau Julianens verpfändeten Wald zu besuchen, als einen sehr glücklichen. Auch er gedachte noch einmal der lustigen Einzelheiten bei seinem Rettungswerke in der großen Buche, das mit der schlank gewachsenen, aber voll und kräftig gebauten Sidonie wahrlich kein leichtes Stück gewesen war. Am lebendigsten aber stand ihm Richildens holdselige Erscheinung vor Augen; wiederholt rief er sich die wenigen Worte, die sie zu ihm gesprochen, in das Gedächtnis zurück und beklagte das Zerwürfnis ihrer Mutter mit seiner Familie, das allen Verkehr unter ihnen abgeschnitten hatte, und dem er, wenn er könnte, gern ein versöhnendes Ende machte. Kurz vor Mittag traf er auf Burg Zwingenberg ein und richtete seine Botschaft an Herrn Engelhard von Hirschhorn aus, konnte ihm aber über den Zweck der gemeinsamen Beratung keine Auskunft geben. »Ja, was geht denn bei euch vor?« frug Herr Engelhard, »sollen wir in Wehr und Waffen kommen, gerüstet und schlagfertig?« »Weiß ich auch nicht!« gab Ernst, verdrossen über seinen unverschuldeten Mangel an Kenntnis der Sachlage, dem Ritter zur Antwort. Bei dem Mittagsmahle der Familie an welchem Ernst auf die Einladung seiner Wirte teilnahm, kam das Gespräch auch auf Sidonie. Ihre Großmutter, Frau Margarete von Handschuchsheim, frug Herrn Engelhard mit spitzem Tone, wobei sich die Falten ihres bleichen, scharf geschnittenen Gesichts zwischen den Augenbrauen und an den Nasenflügeln merklich vertieften, wie lange er seine Tochter noch auf der Minneburg zu lassen gedächte. »So lange es ihr dort gefällt,« gab Engelhard seiner Schwiegermutter kurz und bestimmt zur Antwort. »Da werden wir sie wohl etwas verwildert wiederbekommen,« bemerkte die Dame mit herausfordernder Miene. »Wieso, Frau Schwieger?« »Nun, man weiß ja, wie es auf der Burg der Minne bei den lustigen Damen, die dort hausen, zugeht.« »Was wißt Ihr davon?« frug Engelhard gereizt. »Gesehen hab' ich's nicht, aber desto mehr davon gehört, mit welch übermütigen Ergötzungen sie sich die Zeit vertreiben,« erwiderte sie. »Wollt Ihr denn niemals der Jugend ihr Recht gönnen?« fuhr er barsch heraus. »Ihr Recht!« wiederholte sie mit einem stechenden Blick, »Ihr wißt wohl, Herr Sohn, daß unsere Meinungen über Recht und Unrecht weit auseinander gehen.« »Gott sei gelobt, ja, das tun sie!« lachte der Ritter, »und meine Tochter ist nicht dazu angelegt, eine Nonne zu werden.« »Aber Zucht und Sitte muß sie lernen,« eiferte Frau Margarete mit steigender Heftigkeit, »und die werde ich ihr beibringen, wenn es kein anderer tut und sie just nicht das beste Beispiel vor Augen hat.« »Meint Ihr damit mich oder Julianen?« frug er mit behaglichem Spott. »Nehmt's nach Belieben, Herr Sohn!« entgegnete sie wegwerfend. »So will ich Euch sagen, Frau Schwieger,« brauste der Ritter auf, »daß ich meine Kinder auch nach meinem Belieben erziehe und nicht nach dem Euren. Und wenn die Mädchen auf der Minneburg den ganzen Tag von früh bis spät singen und springen, reiten, schießen und fechten und meinetwegen auf die Bäume klettern und sich die Kirschen selber pflücken, -- mir soll's recht sein. Was sagst du, Ernst?« wandte er sich zu diesem, »möchtest du einmal eine Frau haben, die besser spinnen als reiten kann? Dazu rate ich dir nicht; lieber zu toll, als zu fromm!« »Tugendhafte Grundsätze!« bemerkte Margarete mit einem höhnischen Zug um den Mund. Ernst hätte fast laut aufgelacht, als der Ritter von ›auf die Bäume klettern‹ sprach; aber er faßte sich und erwiderte höflich: »Lieber Oheim, du bist mir in allen ritterlichen Dingen ein so treffliches Vorbild, daß ich mich stets bemühen werde, deinem guten Rate zu folgen.« Ein böser Blick Margaretens strafte ihn für diese Kühnheit. Aber Engelhard klopfte ihn auf die Schulter und fügte: »Recht so, mein Flaumbart! dabei wirst du allezeit gut fahren!« Frau Anna, des Ritters Gemahlin, der das Wortgefecht zwischen diesem und ihrer herrschsüchtigen Mutter in Ernsts Gegenwart außerordentlich peinlich gewesen war, benutzte den Abschluß desselben, die Unterhaltung auf einen anderen Gegenstand zu lenken, was ihr auch unschwer gelang. Bald darauf erhob man sich vom Tische, und nach einem kurzen Verweilen noch empfahl sich Ernst. Er ritt nach der Burg Stolzeneck, traf aber hier Herrn Albrecht von Erlickheim nicht zu Hause und erfuhr, daß dieser auch morgen noch nicht zurück sein würde und daher an der Zusammenkunft auf der Mittelburg nicht teilnehmen könnte. Ernst machte sich ohne Verzug auf den Heimweg und war gegen Abend wieder auf der väterlichen Burg, sehr befriedigt von dem Verlauf dieses Tages. Als er seinem Vater von dem, was er ausgerichtet hatte, Mitteilung machte, sah Frau Katharina die Reiherfedern am Hute des Sohnes und frug nach deren Herkunft. Da erzählte er seine Begegnung mit den drei Fräulein in Frau Julianens verpfändetem Walde; doch von seiner Befreiung Sidoniens aus der Buchenkrone sagte er natürlich kein Wort. »Einen Reiher in der Brutzeit geschossen und noch dazu in unserem Wildbann!?« äußerte sich Bligger sehr erstaunt, »das ist ja wider alles Waidrecht!« »Das hielt ich ihnen auch vor,« sprach Ernst. »Nun, und was sagten sie dagegen zu ihrer Entschuldigung?« »Fräulein Richilde sagte, wir sollten ihnen doch den Wald wieder herausgeben, sie wollten ihn gern einlösen, denn das wäre schon längst ein Lieblingswunsch ihrer Mutter,« erwiderte Ernst. »So, so! den Wald wieder einlösen -- ein Lieblingswunsch Julianens,« wiederholte Bligger und warf seiner Frau einen bedeutungsvollen Blick zu. »Ließe sich denn das nicht ins Werk richten, Vater, damit der Zwist endlich in Frieden beigelegt wird?« brachte Ernst bescheiden hervor. »Meinst du?« sagte Bligger. »Hast du dem Mädchen vielleicht schon Hoffnung darauf gemacht?« »Wie sollt' ich wohl! weiß ich doch, wie ihr mit Frau Juliane steht,« gab Ernst schwermütig zur Antwort. »Wie sieht denn Richilde jetzt aus?« frug Katharina, »hat sich das Knösplein in den Jahren hübsch entfaltet?« »O Mutter! wie eine Rose ist sie aufgeblüht, schön und herrlich; es ist eine wahre Lust, sie nur anzusehen,« sprach Ernst begeistert und mit blitzenden Augen. »Was du sagst!« lächelte die hochaufhorchende Mutter, und wieder wechselten die beiden Gatten einen Blick des Verständnisses untereinander. »Und sie war es, die den Reiher geschossen hat?« forschte Bligger noch einmal. »Sie selbst! und gut getroffen! mitten in der Brust stak der Pfeil,« erwiderte Ernst so stolz, als hätte er den guten Schuß getan. »Ich habe auch ein Handmal von ihr; hier diese Rinke habe ich ihr abgepfändet zum Zeichen, daß ich sie auf handhafter Tat erwischte.« Und er zeigte den Eltern die silberne Gürtelschnalle, die beide wohlgefällig betrachteten. »Ist der Waldblumenstrauß auch von ihr?« frug die Mutter. »Nein, der ist von Hiltrud, und die Federn steckte mir Sidonie an den Hut.« »Hast dich ja gut vorgesehen mit allerlei Beweisstücken und zärtlichen Andenken,« neckte der Vater. Ernst wurde verlegen und wußte nichts zu antworten, was den Eltern nicht entging. Bald nahm er eine Gelegenheit wahr, sich aus dem Gemach zu entfernen. »Was sagst du nun, Käthe?« frohlockte der Ritter, als die beiden allein waren. »Der Junge scheint bis über die Ohren verliebt in Richilde; das ist eine Brücke für Hans. Und Juliane will den Wald wieder haben; da schlagen wir unsern Haken ein, besser kann's gar nicht anfangen. Wasser auf unsere Mühle, Käthe!« »Das Hans bald genug abdämmen wird,« erwiderte die Burgfrau. Jetzt traten ihre zwei jungen Töchter in das Gemach und verhinderten durch ihre Anwesenheit die Fortsetzung des Gesprächs. -- Der Empfang, den die drei Fräulein nach ihrer Rückkehr auf die Minneburg bei Frau Juliane fanden, war kein freundlicher, als Richilde ihrer Mutter von dem Zusammentreffen mit dem Junker Ernst Landschad erzählte und ihr auch nicht verschwieg, daß sie ihm zur Buße für den von ihm behaupteten Jagdfrevel eine edelsteinbesetzte Gürtelschnalle gegeben habe. Juliane machte ihrer Tochter Vorwürfe, daß sie sich in eine Unterhaltung mit Ernst eingelassen hatte, und war über die Forderung und die Überantwortung eines Pfandes, was die Mädchen als einen beiderseits harmlosen Scherz darzustellen suchten, sehr ungehalten. »Auf die paar edlen Steine kommt es nicht an, aber unedel war das Verfahren des Junkers, euch für einen armseligen Reiher zu strafen,« sprach sie entrüstet. »Freilich,« fügte sie bitter hinzu, »was läßt sich von einem Landschaden Besseres erwarten!« »Mutter, er war höflich und ritterlich,« wagte die Tochter schüchtern einzuwenden. »Ritterlich! die Ritterlichkeit kenne ich, wenn er sie von seinem Vater gelernt hat!« höhnte Juliane. »Laß mich nie wieder erfahren, daß du ein Wort mit einem Landschaden gesprochen hast!« Das Mittagsmahl auf der Minneburg verlief heute, gegen die sonst herrschende Gewohnheit, in ziemlich gedrückter Stimmung; besonders Richilde ließ das Köpfchen hängen wie eine Blume nach einer frostigen Maiennacht. Viertes Kapitel. Als in der Morgenfrühe des nächsten Tages Frau Katharina merkte, daß auch der neben ihr ruhende Gatte aus dem Schlummer erwacht war, sagte sie zu ihm: »Bligger, wie soll das heute mit Ernst werden, wenn deine Freunde zur Beratung kommen? Ich billige die Vorsicht, ihn in deine Pläne nicht einzuweihen, aber du kannst ihn aus eurem Kreise nicht ausschließen, ohne ihn aufs neue zu kränken, wie du es gestern schon damit getan hast, daß du ihn über den Zweck der Einladung, die er zu überbringen hatte, nicht aufklärtest.« »Hab' ich alles schon bedacht,« erwiderte Bligger, »Ernst wird den ganzen Tag von Hause abwesend sein. Isaak Zachäus, unser Sterngucker, begibt sich heute nach der Minneburg, um Juliane das Horoskop zu stellen; sein Sohn aber bleibt hier, bis der Alte wiederkommt und uns über den Ausfall des Horoskops« -- hier lächelte der Ritter verschmitzt, was aber seine Frau nicht bemerkte, weil sie das Gesicht des Sprechenden nicht sah -- »und über den Eindruck desselben auf Juliane Bescheid sagt, die natürlich nicht ahnen darf, daß Zachäus von uns kommt oder auch nur bei uns gewesen ist. Ernst wird den Juden samt seinem Sohne begleiten, ihm bis Neunkirchen den Weg zeigen, dort aber mit dem Jüngling umkehren und erst am Abend hier wieder mit ihm eintreffen. Der Jude, heißt es für Ernst, hat ein Geschäft in Mosbach. Bist du nun zufrieden, Käthe?« »Alles ganz gut,« entgegnete die Frau, »aber wird der Jude schweigen? gegen Ernst sowohl wie gegen Juliane?« »Dafür ist gesorgt! ich habe ihn gestern abend noch einmal ins Gebet genommen, und er weiß nun alles, was er zu wissen nötig hat. Macht er seine Sache gut, so lohn' ich's ihm reichlich; verrät er mich, und ich komme dahinter, so wird es ihm übel ergehen. Darum behalte ich zu meiner Sicherheit seinen Knaben als Geißel, und ich habe aus der Bedeutung dieser Maßregel dem Alten gegenüber durchaus kein Hehl gemacht.« »Nun, Gott gebe seinen Segen, daß das alles zu einem guten Ende führt!« sagte die Burgfrau. »Amen!« lachte Bligger, »wollen's hoffen, Käthe!« Als der Ritter bald nach diesem Bettgespräch seinem Sohne den Auftrag erteilte, dem Juden Isaak Zachäus als Wegweiser nach Neunkirchen zu dienen, erhielt er von Ernst die Antwort: »Du willst mich hier los sein, Vater! womit habe ich solches Mißtrauen verdient?« »Es ist kein Mißtrauen, mein Sohn, weshalb ich dich von unserer Beratung fern halte,« erwiderte Bligger, »aber es handelt sich dabei um Dinge, an denen deiner Jugend noch kein Anteil zukommt. Jetzt frage nicht weiter, sondern macht, daß ihr fortkommt! und ohne Groll, Ernst! ohne Groll! es ging diesmal nicht anders.« Damit bot er dem Sohne die Hand, die dieser, getröstet durch des Vaters freundliche Worte, herzlich drückte. »Am Abend erwarte ich dich mit Joseph zurück,« sprach Herr Bligger weiter; »du bringst den Jungen unter allen Umständen wieder mit!« »Verlaß dich darauf, Vater!« »Ich gedenke die Juden noch längere Zeit hier zu behalten, was du übrigens keinem von beiden zu sagen brauchst,« ergänzte Bligger die Unterweisung seines Sohnes. Darauf schieden sie im besten Einvernehmen, und Ernst machte sich bald darauf heiter und wohlgemut mit Isaak und Joseph zu Fuß auf denselben Weg, den er gestern zu Pferde zurückgelegt hatte. -- Im Laufe des Vormittags trafen die befreundeten Ritter von ihren Burgen, einer nach dem anderen, auf der Mittelburg ein, wo sich inzwischen auch Bliggers Bruder Konrad eingefunden hatte. Den älteren der beiden Brüder Hirschhorn, Otto, auf der Burg gleichen Namens, und den Schenk von Erbach auf Eberbach hatte Konrad bei seinem gestrigen Besuche schon über den Gegenstand der Beratung unterrichtet, dabei jedoch von der Absicht einer Verbindung Hansens mit Juliane nichts erwähnt. Engelhard von Hirschhorn, der von Burg Zwingenberg her den weitesten Weg hatte und daher als letzter kam, wußte dagegen noch nichts und wurde nun erst von Bligger in die Sachlage eingeweiht. Gegen die ihm zuteil werdende Aufklärung über ein ihm bisher unbekanntes Gesetz, genannt »das Recht der Hagestolze«, verhielt er sich zunächst ungläubig und ablehnend. Als ihm der Freund aber jeden Zweifel dadurch benahm, daß er ihm seine Unterredung mit dem Magister und ~Doctor juris~ in Heidelberg mitteilte und nun die Nutzanwendung auf seinen Bruder Hans hinzufügte, war Engelhards erste, allerdings sehr naheliegende Erwiderung, daß er lachend ausrief: »Nun, so muß Hans heiraten! Das ist doch einfach genug!« »So klug sind wir auch,« versetzte Bligger; »nur daß die Sache doch nicht so einfach ist, wie sie dir im Augenblick scheint. Hans _will_ nicht heiraten.« »Hat er das jetzt noch erklärt, nachdem er von dem Recht der Hagestolze Kenntnis erhalten hat?« frug Engelhard. »Nein, davon weiß er überhaupt noch nichts,« erwiderte Bligger, »denn er sitzt wieder bei seinen lieben Mönchen in Sinsheim, und erst nach seinem Fortreiten habe ich selber von jenem Rechte gehört.« »Aber wenn er wiederkommt und ihr ihm den Handel vorstellt, wird er doch ein billiges Einsehen haben, daß er muß, es sei ihm lieb oder leid,« sprach Engelhard. »Schwerlich wird er das haben, ich möchte wohl sagen: ganz gewiß nicht!« erwiderte Bligger. »Er hat eine unglaubliche Scheu vor der Ehe, und -- es ist fast lächerlich zu sagen -- eine noch größere vor einer Schwiegermutter als Mitgift dabei.« »Ach, und wie recht hat er da!« seufzte Engelhard, daß alle lachen mußten. »Ja, nichts für ungut, Engelhard!« sagte Bligger, »aber so oft er einmal bei dir gewesen ist, tritt sein Widerwille dagegen noch stärker hervor. Er behauptet dann wohl, so eine Schwiegermutter stünde vor dem ehelichen Paradiese wie --« »Nicht wie ein Engel!« unterbrach ihn der Freund, »sage nur: wie eine Vogelscheuche oder wie ein Drache, der den Zugang zum Schatze bewacht.« »Nun ja, so lautet's ungefähr,« bekannte Bligger unter einem erneuten Gelächter auf Engelhards Kosten. »Aber laßt das jetzt beiseite,« fuhr er dann fort. »Wenn wir Hans dazu bewegen können, zu heiraten, so ist alles in Rück und Schick, und wir brauchen uns die Köpfe nicht weiter zu zerbrechen. Wir müssen aber darauf gefaßt sein, daß er nicht heiratet, und unter dieser Voraussetzung müssen wir jetzt beraten und beschließen, was wir tun wollen, das Hagestolzenrecht zu brechen oder zu biegen und seine für uns alle verderblichen Folgen von uns abzuwenden.« »Für uns alle?« frug Otto von Hirschhorn. »Freilich für uns alle!« wiederholte Bligger. »Denn was geschieht, wenn der Pfalzgraf unsern Bruder beerbt? Dann schneidet er sich ein Drittel aus unserm Gesamtbesitz heraus, das sich möglichenfalls wie ein Keil in das uns übrigbleibende Gebiet hineinschiebt. Das wäre ein Nachteil, der allerdings zunächst nur uns Landschaden träfe, deren Familiengut dadurch eine erhebliche Einbuße erlitte. Aber weiter. Er gibt das erschlichene Gebiet einem Vasallen zu Lehen oder setzt einen Obervogt auf Burg Schadeck, und der eine wie der andere könnte uns allen hier sehr unbequem werden, denn er könnte uns in unserem ritterlichen Gewerbe stören, daß wir uns jahraus, jahrein mit ihm in den Haaren liegen müßten, und mit dem freien, frohen Stegreifleben in unserem schönen Neckartale wäre es dann bald vorbei.« »Das wolle Gott nicht!« sprach Schenk von Erbach, und die anderen stimmten ihm zu. Bligger aber fuhr fort: »Wenn wir es auch nicht mehr erleben, denn unser Hans ist kerngesund und rüstig, und wir wünschen ihm sein seliges Ende so weit wie möglich hinausgerückt, -- so müssen wir doch an unsere Nachkommen denken, daß wir ihnen nicht durch unsere Fahrlässigkeit künftig einmal Ungelegenheiten bereiten und ihnen unwillkommene Nachbarn sich hier einnisten lassen. Unsere Söhne und Enkel sollen einmal in unseren Burgen hausen, aber nicht fremde Eindringlinge, fürstliche Vögte und Lehnsleute, die ihnen das Leben verbittern. Darum, liebe Gesellen, müssen wir, die wir allweg Messer und Braten miteinander teilen, auch hierin fest zusammenhalten und uns tapfer wehren und auflehnen gegen dieses gottverdammte Hagestolzenrecht.« »Tod und Teufel, du hast recht, Bligger!« rief Engelhard von Hirschhorn und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Das dürfen wir uns nicht gefallen lassen, dagegen müssen wir uns aufsetzen wie ein angeschossener Keiler bei der Sauhatz!« »Jawohl!« sprach sein Bruder Otto ruhig, »aber sagt mir nur, wie wir das anfangen.« »Darüber eure Meinung und Rat zu hören, lud ich euch zu mir ein,« sagte Bligger. Hierauf trat ein kurzes Schweigen ein, als wartete jeder auf den Vorschlag des anderen; aber keiner hatte gleich einen bei der Hand. »Auf dreierlei Weise könnten wir versuchen, dem Dinge beizukommen,« nahm endlich Otto von Hirschhorn wieder das Wort, »mit Güte, mit List, mit Gewalt. Daß wir beim Kurfürst-Pfalzgrafen mit guter Vernunft etwas ausrichten könnten, daran ist nicht zu denken. Ruprecht wird sich durch nichts in der Welt bewegen lassen, freiwillig auf sein Erbrecht zu verzichten; und wer will ihn dazu zwingen? das kann nicht einmal der Kaiser.« »Aber der Reichstag,« sagte Schenk von Erbach. »Der Reichstag!« lächelte Otto. »Du meinst, wir sollten uns mit dem Gesuch um Aufhebung des Hagestolzenrechts an den Reichstag wenden. Ja, Schenk, wie alt denkst du denn zu werden, um es zu erleben, daß der Reichstag darüber schlüssig wird? Und wie würde der Beschluß ausfallen? Alle Fürsten würden das Gesetz beibehalten wollen und dabei sämtliche Prälaten auf ihrer Seite haben, denn die liebe Klerisei versteht es ausnehmend, im Trüben zu fischen, und bei der Beerbung eines Hagestolzen fällt immer auch etwas für Klöster und Stifter ab.« »Vielleicht wissen sie's am kurfürstlichen Hofe gar nicht und brauchen es auch nie zu erfahren, daß Hans nicht verheiratet ist,« sprach Engelhard. »Und wenn er seine blauen Augen später einmal zutut, so bleibt hier alles beim Alten, und in Heidelberg kräht kein Hahn danach.« »Ja, wenn unser Freund Lauffen nicht da oben auf dem Dilsberg säße und uns Landschaden in die Schornsteine hineinguckte!« entgegnete Bligger. »Aber der weiß alles, erfährt alles und berichtet alles, was hier vorgeht, und ich glaube, er tut es nicht umsonst; für den würde wahrscheinlich auch ein guter Bissen mit abfallen.« »Wenn ihr dem aber zuvorkämet und Lauffen mit einem noch fetteren Bissen den Mund stopftet?« warf Engelhard ein. »Um so viel zu retten, dürft ihr ein verhältnismäßig geringes Opfer nicht scheuen.« »Gewiß nicht!« sagte Konrad, »aber damit ist es nichts. Lauffen ist dem Pfalzgrafen sehr ergeben und dient ihm ehrlich, wenn er auch in Kleinigkeiten uns gegenüber oft genug fünf gerade sein läßt.« »Also mit der Güte wären wir nun fertig,« knüpfte Otto von Hirschhorn an seine früheren Bemerkungen wieder an. »Wie steht es nun mit der Gewalt? Den Lehnsmann oder Vogt, den der Pfalzgraf auf Burg Schadeck setzen würde, mit bewehrter Hand zu vertreiben oder vielmehr ihn gar nicht erst hereinzulassen, wäre ein leichtes; das könntet ihr Landschaden allein besorgen. Aber schwerlich wird sich Ruprecht das bieten lassen, und gegen seine Macht sind wir allesamt auf die Dauer zu schwach; das seht ihr doch wohl ein.« »Nun, wir fänden doch wohl noch Bundesgenossen,« meinte Schenk von Erbach. »Wo denn? welche denn? Glaubst du, daß sich die Ritter im Odenwald und an der Bergstraße unsertwegen in eine Fehde mit dem Pfalzgrafen einließen? nimmermehr! Dazu liegt ihnen unser Wohl und Wehe nicht nahe genug am Herzen.« »Wenn man ihnen bedeutet,« hielt ihm Schenk von Erbach entgegen, »daß das Recht der Hagestolze auch einmal bei ihnen im Odenwald zur Geltung kommen könnte, so lassen sie sich doch vielleicht bereit finden, es bei dieser Gelegenheit Hand in Hand mit uns zu beseitigen, ehe sie selber einmal daran glauben müssen. Und dann ist es doch noch sehr die Frage, ob die Sache dem Pfalzgrafen wichtig genug ist, um sich deshalb in eine blutige Fehde mit der gesamten Ritterschaft des Landes zu verwickeln. Wenn er von allen Seiten drohenden Ernst sieht, gibt er vielleicht nach, und wir haben gewonnen Spiel.« Otto schüttelte den Kopf. »Sollen wir Heidelberg überziehen und belagern, um dem Fürsten ein Recht abzutrotzen, von dem wir bisher selber nichts gewußt haben? Außerdem würden Mainz, Speier, Worms dem Pfalzgrafen sofort zu Hilfe kommen. Nein, Freunde, mit der Gewalt ist es auch nichts; bliebe also nur noch die List. Nun, Bligger,« wandte er sich an diesen, »du wirst darüber schon mehr nachgedacht haben als wir. Sage uns, auf welcherlei Anschläge bist du dabei verfallen?« Bligger lächelte still vor sich hin und zögerte mit der Antwort, während ihn die anderen erwartungsvoll anblickten. Dann sprach er langsam: »Ich weiß nur eine List, aber die ist untrüglich, wenn sie gelingt, und ich hoffe, sie wird gelingen.« »Hans muß heiraten!« rief Engelhard schnell. »Hab' ich's geraten oder nicht?« Die anderen lachten, nickten und gaben durch verschiedene Ausrufe ihre Zustimmung mit diesem einfachsten und sichersten Auswege kund. »Du hast es geraten, Engelhard,« sagte Bligger; »aber nun rate auch weiter: wen soll Hans heiraten?« Und als alle schwiegen, spielte er siegessicher den großen Trumpf aus: »Juliane Rüdt von Kollenberg!« Teils sprachloses Staunen, teils schallendes Gelächter ward ihm darauf zur Antwort. »Aber Bligger! -- Bligger, bist du toll geworden?« riefen Engelhard und Schenk von Erbach gleichzeitig. »Ja, ich habe selber gelacht und Konrad auch, als uns der Gedanke zuerst aufstieg,« erwiderte Bligger. »Soll sich denn Hund und Katze miteinander vermählen?« spottete Engelhard. »Du nimm dich in acht, so wegwerfend von meiner künftigen Frau Schwägerin zu sprechen!« scherzte Bligger. »O sie ist meine gute Freundin,« entgegnete Engelhard; »aber ehe ich sie als deine Schwägerin sehe --« »Sie wird es werden,« versetzte Bligger gelassen. »Ich habe sichere Kunde, daß Frau Juliane den uns verpfändeten Wald mit Dorf Neunkirchen wieder einzulösen wünscht. Darüber werden wir nun Verhandlungen anknüpfen, die Hans selber mit der schönen Wirtin führen soll und die wir möglichst in die Länge zu ziehen suchen, damit die beiden öfter Gelegenheit haben, zusammenzukommen und sich schließlich ineinander zu verlieben. Schon früher haben sie sich gern gemocht, und nun bedenkt, Freunde: bei Juliane kriegt er keine Schwiegermutter mit!« »Keine Schwiegermutter! das ist schon etwas,« lächelte Otto. »Das ist viel, sehr viel! eine Ehe ohne Schwiegermutter, -- das ist beneidenswert!« rief Engelhard aus vollster Überzeugung. »Nicht wahr?« lachte Bligger, »in Hansens Augen ein unschätzbarer Vorzug Julianens.« »Hieß es nicht kürzlich, der Dauchsteiner bewürbe sich um sie?« bemerkte Schenk von Erbach. »Ja, so hieß es,« erwiderte Konrad, »und wenn es wahr wäre, so hätte Hans in dem einnehmenden Witwer einen nicht zu verachtenden Mitbewerber um ihre Gunst.« »Schade, daß Albrecht von Erlickheim nicht hier ist!« sagte Schenk, »der könnte es wissen, denn er ist Bödigheims Schwager.« »Steht sich aber ebenso schlecht mit ihm wie wir alle,« fügte Engelhard hinzu, »sie sehen sich fast nie. Aber nun weiter, Bligger!« »Weiter hoffe ich nun,« nahm Bligger aufs neue das Wort, »daß ihr uns alle bei diesem Handel behilflich seid. Ihr könnt wohl Julianen gegenüber ab und an ein lobend Wörtlein zu Hansens Ehr und Glimpf fallen lassen, könntet vermitteln und Gutes in den Unfrieden reden, damit vor allen Dingen erst die alte Zweiung zwischen ihr und uns ein Ende nimmt.« »Das wollen wir, wollen euch dabei Hilf und Handhabung tun, wie wir wissen und können,« sprach Engelhard, und Schenk von Erbach gelobte dasselbe. Bligger drückte den beiden die Hand und sagte: »Dessen habe ich mich auch wohl zu euch versehen. Euer Rat und Beistand ebnet uns am besten die Wege zur Minneburg.« Seine heimliche Sendung des horoskopstellenden Juden und seine Hoffnungen, die er für den guten Fortgang des Unternehmens auf die gestern entdeckte Neigung seines Sohnes zu Julianens Tochter setzte, verschwieg er den Freunden. Otto von Hirschhorn aber lächelte und sprach: »Mit der einen Hälfte des großen Kunststücks seid ihr ja nun, eurer Meinung nach, glücklich im reinen und habt beschlossen: Juliane hat sich sofort in Hans Landschad sterblich zu verlieben! Wie steht es denn aber nun mit der anderen Hälfte? Welche Praktiken wollt ihr anwenden, um Hans in euer Netz zu locken, wenn er sich seiner Verheiratung hartnäckig widersetzt?« »Das ist allerdings der schwierigste Punkt in der Rechnung,« mußte Bligger zugeben. »Wenn sich die beiden, wie du sagst, schon früher gern gemocht haben, so ist doch anzunehmen, daß sich ihre Herzen auch jetzt wieder zusammenfinden, und jetzt erst recht,« meinte Schenk von Erbach. »Das ist lange her und muß ganz eingeschlafen sein; sonst hätte er schon längst wieder eine Anknüpfung mit ihr gesucht,« erwiderte Bligger. »Wir müssen also äußerst behutsam zu Werke gehen und ihm mit aller List die Schlinge zu seinem Glück legen.« »Höre, Bligger,« fuhr Engelhard heraus, »unserem braven Hans gegenüber wollen mir die Schliche und Winkelzüge nicht gefallen. Ich schlage vor, wir sagen ihm die Wahrheit über das Recht der Hagestolze grad ins Gesicht und erklären ihm kurz und bündig: Du heiratest so schnell wie möglich Juliane Rüdt von Kollenberg, oder dich soll der leibhaftige --« »Ums Himmels willen nicht!« fiel ihm Bligger in die Rede, »damit wäre alles verdorben. Hans wäre imstande, flugs zu satteln und spornstreichs in die weite Welt hinauszureiten, wenn er das geringste von unserem Vorhaben mit ihm merkte. Nein, er muß von selber darauf kommen, sein Herz muß erst anfangen, sich zu regen und sich für Juliane zu erwärmen; von uns kann er nur heimlich und leise, ohne daß er es ahnt, darauf hingelenkt werden. Vorerst werde ich Mühe haben, ihn zur Führung der Verhandlungen mit ihr zu bewegen; geht er aber darauf ein, so können wir das übrige getrost Frau Julianen überlassen; die wird ihn schon zu fangen wissen, sobald sie selber nur erst angebissen hat.« »Nun gut,« sprach Engelhard, »so wollen wir tun, was du verlangst. Du mußt es am besten wissen, und Euch Landschaden geht es am nächsten an. Ich werde gelegentlich nach Stolzeneck reiten und Albrecht von Erlickheim in alles einweihen.« Nach so verlaufener Abrede schüttelten alle sich die Hände zur Bekräftigung ihres Einverständnisses. Beschlossen hatten sie eigentlich wenig, aber in dem Wenigen waren sie vollkommen einig. Sie betrachteten es als eine Grundbedingung ihrer ritterlich ungebundenen Freiheit, daß der Kurfürst-Pfalzgraf hier nicht zu Besitz, zu Macht und Einfluß gelangte. Um dies zu verhindern, verbanden sie sich einmütig, als gälte es einen Kampf auf Leben und Tod, einem der ihrigen, mochte er sich noch so sehr dagegen sträuben, den Ehering an den Finger zu zwängen. Es war kein Zweifel und kein Schwanken mehr; die Unterredung endete mit dem Wunsche und dem Willen aller: Hans Landschad muß Juliane Rüdt von Kollenberg zur Frau nehmen! »Und jetzt kommt, Freunde!« sagte der Burgherr, »laßt uns sehen, was die Hausfrau gekocht hat. Aber bei Tische kein Wort von der Geschichte! der Mädchen wegen.« Er führte sie in ein anderes Gemach, wo der Mittagstisch gedeckt stand und sowohl Katharina mit ihren beiden Töchtern, wie auch Agnes, Konrads schlanke Gemahlin, der Herren bereits warteten. Nach gegenseitiger Begrüßung nahm die Gesellschaft Platz und ließ sich das reichliche Mahl unter heiteren Gesprächen und manchem fröhlichen Zutrunk trefflich munden. Nachdem es beendet, zogen sich die Frauen und Mädchen zurück, aber die Männer blieben noch sitzen und begannen ein scharfes Zechen. Es waren markige Gestalten, diese Ritter des Neckartales, fest im Sattel und ausdauernd beim Becher. Die Landschaden waren hochgewachsen; aus Bliggers trotzigen Zügen mit den herrisch blickenden Augen sprach Willenskraft und Verschlagenheit zugleich, und das ganze Wesen und Gebaren des streitbaren Mannes verriet das Bewußtsein einer gewissen Überlegenheit über seine Genossen, die ihn als ihren Führer in allen gemeinsamen Unternehmungen auch willig anerkannten, während sein Bruder Konrad einen milderen und mehr gutmütigen Eindruck machte. Der ältere von Hirschhorn war von untersetztem, breitschultrigem Bau, ruhig und besonnen in seinem Denken und Tun, aber sein schon ergrauter Kopf saß auf einem unbeugsamen Nacken. Engelhard dagegen, eine Reckengestalt mit heiter beweglichen Zügen, galt für einen übermütigen Ritter, dem das Herz sehr leicht auf die Zunge sprang und das Schwert sehr locker in der Scheide saß. Schenk von Erbach endlich mit dem stark geröteten Gesicht war eine etwas schwerfällige Natur, aber ein guter Kumpan, beharrlich und zuverlässig in Wort und Tat. Die wackeren Gesellen saßen treueinig beisammen und würzten sich ihren roten Neckarwein mit launiger Unterhaltung und rückhaltlos derben Späßen, die sich in ausgelassener Stimmung auch über Hansens und Julianens künftiges Liebesglück verbreiteten, als die vermeintlichen Schöpfer und Begründer dieses Glückes auf das Wohl der beiden Ahnungslosen mit den Bechern anstießen. Fünftes Kapitel. Isaak Zachäus und sein Sohn Joseph zogen mit dem Junker Ernst selbander durch den Wald auf Neunkirchen zu. Der Jude, eine hagere, etwas gekrümmte Gestalt, schritt an einem Wanderstabe und trug, über die Schulter gehängt, eine Tasche, in welcher er seine Schriften, Zahlenreihen, Himmelskarten und vielleicht noch manches andere barg, dessen er zur Beobachtung und Berechnung des Sternenlaufes bedurfte. Er hatte einen langen, spitzausgehenden Bart, und aus seinem bleichen Gesicht schauten groß und dunkel ein Paar tiefliegende Augen, die von der Anstrengung unzähliger Nachtwachen bläulich umrändert waren. Er wurde bald gesprächig, erzählte von seinen Fahrten durch fremde Länder und Städte, denn er war schon weit herumgekommen in der Welt, und frug auch Ernst nach diesem und jenem, nach Land und Leuten und nach Nahrung und Gewerbe in den Neckargegenden, und auf welche Weise hier das meiste Geld verdient würde, worüber ihm der sorglose Junker jedoch keine Auskunft geben konnte, sie hätte denn lauten müssen: im Stegreif. Oftmals bückte er sich, pflückte eine Pflanze und steckte sie in seine weite Tasche. Als ihn Ernst nach dem Zwecke dieses Sammelns frug, erklärte er ihm manches Heilkraut, das er hier im Walde fand, und teilte ihm mit, wofür es gut sei, wenn man es richtig anwendete. Er gebrauche die Kräuter, sagte er, zur Arzenierung, zu Tränken, Salben und Latwergen, aber auf ganz natürliche Weise, ohne Zauberei, wie es bei dem Unwissenden Volke allenthalben üblich sei. Da sprächen sie von der Wunderkraft des giftigen Bilsenkrautes, die aber nur wirkte, wenn es ein nacktes Mädchen mit der linken Hand ausrisse, von der Eberwurz, die dem Wanderer oder dem Roß des Reiters jede Müdigkeit benähme, und wenn sie noch so lange liefen, vom Farnkraut, das zu überschreiten, ohne es zu sehen, man sich hüten müßte, weil man sonst irr und wirr würde, und sich auf den bekanntesten Wegen nicht mehr zurechtfände. Auf alles das gäbe er nicht viel; er wäre Artist und triebe die Heilkunde nach seinen eigenen Erfahrungen und wie er sie mit manchen Geheimnissen der Natur für teures Lehrgeld oder Salarium von seinem Meister gelernt hätte; darum ließe sie ihn auch selten im Stich bei allen Schäden und Gebresten von Menschen und Vieh. Er wäre in vielen Künsten und Praktiken geübt und immer dienstbereit, aber er ließe sich auch Rat und Hilfe gut bezahlen, für nichts wäre nichts. Joseph, der die Pflanzen schon alle kannte, und Ernst, der sie gern kennen lernte, halfen dem Alten beim Kräutersammeln, und allmählich ward auch der anfangs schweigsame Jüngling mitteilsamer und vertraulicher gegen Ernst, dessen heiter freundliches, gar nicht hoffärtiges Wesen dem schüchternen außerordentlich wohltat. Als sie Dorf Neunkirchen erreicht hatten, sagte Ernst: »So! bis hierher hab' ich Euch zu führen übernommen, Meister Zachäus, und von hier aus könnt Ihr nicht mehr fehlen, wenn Ihr diesen Weg verfolgt. Nachher aber gabelt er sich; den Pfad, der sich links abzweigt, dürft Ihr nicht gehen, denn er führt nach der Minneburg; Ihr müßt auf dem zur rechten Hand bleiben, dann kommt Ihr nach Neckarelz und von dort nach Mosbach.« »Ich danke Euch, edler Junker!« sprach Zachäus, »ich werde gehen den rechten Weg, der mich zu meinem Ziele bringt.« Darauf nahmen sie Abschied voneinander, wobei Zachäus einen langen, zärtlich sorgenden Blick auf seinen Sohn richtete, und dann trennten sie sich. Der Alte ging allein weiter, und Ernst kehrte mit Joseph um. Der Tag wurde warm, und Ernst sprach: »Zieh doch deinen langen Rock aus; er muß dir ja lästig sein bei dieser Hitze.« »Ich bin daran gewöhnt,« erwiderte Joseph. »Wenn auch; zieh ihn aus und nimm ihn über den Arm; dann wirst du viel leichter gehen.« Das klang so befehlerisch, daß Joseph schweigend gehorchte und sich seines Rockes entledigte; aber er seufzte dabei, als ob er es ungern täte. Ernst betrachtete sich nun den Jüngling vom Scheitel bis zur Sohle und sagte: »Bist ja schlank und schön gebaut, überhaupt ein schmucker Gesell, in den sich gewiß schon manch ein Mädchen vergafft hat, wie?« Der andere senkte die Wimpern, schüttelte das Haupt und lächelte verschämt: »Nicht, daß ich wüßte.« »Deine Mutter muß einmal sehr schön gewesen sein, ist es vielleicht noch?« »Ach nein, sie ist seit einundzwanzig Jahren tot.« »Seit einundzwanzig Jahren schon? dann bist du älter, als ich dachte,« sprach Ernst erstaunt. »Sie starb bald nach meiner Geburt in Ingolstadt,« sagte Joseph, »ich habe sie nicht mehr gekannt.« Die Sonne war über die Mittagshöhe hinaus, und sie freuten sich, im Waldesschatten zu wandeln, wo das Laub der Bäume und Sträucher saftig grün und hell durchschimmernd ihnen erquickende Kühlung spendete. Bald schritten sie über sanfte Höhen, bald über kleine Lichtungen und umbuschte Wiesen oder kamen zu einem murmelnden Bache, über den ein schmaler Steg führte. Und überall im Walde war eine tiefe Ruhe, eine köstliche, würzige Luft und ein üppiges Wachsen und Gedeihen. Plötzlich hemmte Joseph den Schritt, als Ernst eine andere Richtung einschlug, und frug: »Wohin wollt Ihr? diesen Weg sind wir nicht gekommen.« »Nein,« erwiderte jener, »wir wenden uns jetzt mehr nach links und gehen zur Schmiedeschenke, um dort Mittagsrast zu halten. Ein Imbiß und ein Trunk wird uns beiden gut tun, und ich kenne die Wirtsleute. Es ist auch ein hübsches Mädchen dort,« fügte er mit einem lebhaften Blick hinzu. »Versuche doch einmal dein Glück bei ihr! sie ist nicht allzu spröde.« »Das will ich lieber Euch überlassen, Junker!« lächelte Joseph, »oder hab Ihr es schon versucht?« »Nun, alles in Ehren!« sprach Ernst, »sie ist brav und hütet ihr Kränzlein.« Die Schmiedeschenke, bei der sie nach einiger Zeit anlangten, lag einsam mitten im Walde an vielbegangenen Wegen, die sich hier kreuzten. Der Wirt, der meistenteils Nägel, aber auch Hufeisen schmiedete und Pferde beschlug, hatte hier das Holz zu den Kohlen, die er sich für sein Schmiedefeuer selber brannte, bequem zur Hand und hielt mit seiner Schmiede zugleich eine Schenke, an der fast kein Wanderer ohne Einkehr vorüber ging, weil man hier bei sehr einfacher Kost immer gute Getränke fand. Laux Rapp war in weitem Umkreise bekannt und beliebt und galt allgemein für einen klugen Mann, der viele Geheimnisse wissen sollte, nie um einen gefälligen Spaß und einen guten Rat verlegen war und schon manche glückliche Kur vollbracht hatte. Und überdem, welchem Gaste die braunäugige, immer heitere, immer blitzsaubere Susanne den vollen Krug auf den Tisch stellte, und mit wem sie munter zu plaudern und zu scherzen sich herbeiließ, dem däuchte die viertel oder halbe Stunde Rast keine verlorene Zeit. Als die beiden ankamen, waren sie die einzigen Gäste, und auch der Schmied war nicht zu Hause, sondern bei seinem Kohlenmeiler im Walde. Ernst begrüßte Frau und Tochter und bestellte Wein und ein Mittagsmahl, so gut sie es zu leisten vermöchten. Dann nahm er mit Joseph auf der Bank, die hinter einem festen Tische unfern des Hauses unter einer alten Eiche stand, zu längerem Ausruhen Platz, und Susanne brachte einen vollen Krug und zwei Becher, wobei sie einen aufmerksam prüfenden Blick auf Ernsts Begleiter warf. »Schenk' ein, Susanne, trink und bring's meinem Freunde!« forderte sie Ernst auf. Sie füllte die Becher, nippte an dem einen und bot ihn Ernst dar. »Du solltest ja meinem Freunde Joseph kredenzen, hatt' ich gesagt,« erinnerte er. Susanne blickte den Jüngling noch einmal nachdenklich an und lächelte: »Euer Freund, Junker Ernst, läßt sich den Trunk wohl lieber von Euch kredenzen, als von mir.« Und damit entschlüpfte sie, in sich hinein kichernd. »Was hat das Mädchen?« frug Ernst verwundert, »sie ist doch sonst nicht so spröde.« »Ich bin ihr fremd,« sagte Joseph sehr verlegen. »Sie weigert auch fremden Gästen den Zutrunk nicht,« erwiderte Ernst; »aber warte nur, sie soll es wett machen!« Und als sie wiederkam und das bescheidene Mahl auftrug, sprach Ernst: »Mein Freund ist beleidigt, Susanne, daß du ihm nicht zutrinken wolltest; dafür mußt du ihm zur Sühne jetzt einen Kuß geben.« Sie schaute ihn ganz verdutzt an. »Nun, was zierst du dich?« fuhr er fort. »Soll ich's dir vormachen? sieh mal, so!« Er umschlang den sich sanft sträubenden Jüngling und küßte ihn herzhaft auf den Mund. Josephs ganzes Gesicht erglühte, Susanne aber lachte hell auf und lief ins Haus. Bald darauf erschien sie mit ihrer Mutter in der Haustür, und beide sprachen dort eine Weile miteinander, die Blicke unverwandt auf Joseph gerichtet. Dann verschwanden sie wieder. Ernst konnte sich das auffallende Gebaren nicht erklären, schwieg aber und ließ sich das dürftige Mahl mit aller Behaglichkeit munden. Joseph aß wenig, und Ernst mußte ihn öfter auffordern, mehr von dem Weine zu trinken, was jener erst dem Zuredenden zu Gefallen, dann aber aus eigenem Wohlgeschmack daran auch jedesmal tat, so daß er allmählich in eine immer aufgewecktere und fröhlichere Stimmung kam. So blieben die beiden mit Plaudern und traulichen Scherzen im Schatten der Eiche lange sitzen, auch nachdem der mächtig hohe Steinkrug geleert war, von dessen erneuter Füllung Joseph, Ernsts Vorschlag zuwider, mit der lachend abgegebenen Beteuerung abmahnte, er hätte schon mehr als genug und wäre so feurigen Wein nicht gewohnt. Und in der Tat blühten ihm die Wangen in einem flammenden Rot, und seine Augen blinkten von einem verräterischen Glanz. Susanne war nicht wieder zu ihnen gekommen, aber es hatte Ernst so geschienen, als wenn sich ihr Kopf ein paarmal flüchtig an einer Fensterluke gezeigt hätte. »Wollen wir weiter?« frug Ernst. Joseph war damit einverstanden, und Ernst ging in das Haus, um die Zeche zu berichtigen. Im Schmiederaum traf er Susanne allein, und als er ihr das Geld behändigt hatte, stellte er sie darüber zur Rede, warum sie sich, ganz gegen ihre Gewohnheit, von ihren Gästen ferngehalten hätte. »Ich wollte nicht stören, Junker Ernst,« gab sie mit einem eigentümlichen Lächeln zur Antwort. »Nicht stören? was soll das heißen?« frug er verwundert. »Nun, ich dachte mir,« bekannte sie zögernd, »Ihr wäret mit dem hübschen Fräulein in Männertracht lieber allein.« Ernst trat einen Schritt zurück und riß die Augen weit auf. »Was sagst du? Du hältst Joseph für ein Mädchen?« Und er lachte laut auf. »Freilich, hübsch genug ist er dazu.« »Ihr könnt mich mit Eurem Lachen nicht täuschen,« sprach sie; »also tut nicht so, als wüßtet Ihr nicht, wen Ihr dort auf der Bank und auch wohl sonst noch wo im Walde geküßt habt!« »Aber Susanne!« versicherte er, »Joseph ist der Sohn eines jüdischen Arztes, der bei uns eingekehrt ist, und dem ich den Weg nach Mosbach gezeigt habe, von wo er in ein paar Tagen zurückkehren wird.« »Und ich sage Euch: in dem knappen, kurzen Wams steckt ein Mädchen,« erwiderte sie fast heftig. -- »Solltet Ihr das wirklich nicht wissen?« fuhr sie fort, als er immer noch ungläubig und in sprachlosem Staunen vor ihr stand. »Ja, wo habt Ihr denn Eure Augen, Junker Ernst? Seht doch den Wuchs! und habt Ihr es auch nicht bei dem Kusse gespürt, bei dem sie rot wie eine Rose wurde?« »Mädchen, du bist nicht bei Sinnen!« sprach er heiter gelaunt, »oder du treibst deine Possen mit mir und willst mich zum besten haben; aber das soll dir schlecht bekommen!« Er umfaßte sie flink, um ihren Neckemund zu strafen; doch sie entwand sich seiner Umarmung und lachte im Davonlaufen: »Küßt Eure Josephine! die hält Euch still.« Dann war sie verschwunden. Als Ernst wieder aus dem Hause trat, schwebte es ihm auf der Zunge, seinem Gefährten zuzurufen: Denke dir, Joseph, die Susanne hält dich für ein Mädchen! Aber er sah ihn nicht auf dem früheren Platze; erst als er dicht heran war, fand er ihn auf der Bank hinter dem Tische lang ausgestreckt liegen, die Hände unterm Haupt und die Augen geschlossen, als ob er schliefe. Sinnend betrachtete er die blühende Gestalt, und bei der aufmerksamen Prüfung wollte es ihm fast scheinen, als ob Susanne mit ihrer kühnen Behauptung doch am Ende recht haben könnte. Das wäre abermals ein lustiges Abenteuer, mit einem schönen, verkleideten Mädchen im tiefen Walde allein zu sein! so dachte er und nahm sich vor, zu schweigen und sich in der nächsten Stunde darüber Gewißheit zu verschaffen. Da öffnete Joseph die Augen, schnellte wie erschrocken vor dem durchdringenden Blicke des jungen Mannes empor und erhob sich. Sie brachen auf und gingen miteinander den Pfad in den Wald hinein. Die vom Wein erzeugte fröhliche Stimmung des Jünglings steigerte sich und gab sich durch lebhafte Gesprächigkeit und unschuldig mutwillige Scherze kund. Als aus dicht belaubten Wipfeln ein Kuckuck den Ruf erhob, ahmte Joseph den Laut so täuschend nach, daß er den Vogel damit verlockte, immer wieder zu antworten. Er lief einem Schmetterlinge nach, den er vergeblich mit der Hand zu fangen suchte, summte ein Liedchen vor sich hin und pflückte Blumen, die er sich an das Wams steckte, indem er sagte: »Soll ich Euch auch welche brechen und an den Hut stecken?« »Warum dir an die Brust und mir an den Hut?« »O ganz wie Ihr wollt,« erwiderte Joseph. Ernst betrachtete verstohlen die Bewegungen des neben dem Wege einher Schweifenden und überlegte, wie er auf geschickte Weise hinter dessen Geheimnis kommen könnte, falls wirklich eines hinter dieser enganliegenden Tracht verborgen war. Als sie an eine besonders einladende Stelle kamen, wo sich der Graswuchs im Schatten hoher Bäume wie ein Teppich breitete, sprach Ernst: »Hier möchte ich ein wenig ruhen, wir haben noch Zeit genug.« Er streckte sich in das Gras, und Joseph tat es ihm nach. Da lagen sie nun in der Waldeinsamkeit dicht nebeneinander, jeder auf einen Ellenbogen gestützt, plauderten und scherzten, blickten den Vögeln nach, die durch die Zweige schlüpften und sahen dem kleinen Leben zu, das sich mannigfaltig in Gras und Moos vor ihren Augen bewegte. Plötzlich näherte Ernst mit einem suchenden Blicke sein Gesicht dem des Jünglings, daß dieser frug: »Was seht Ihr mich so scharf an?« Ernst fuhr mit der Spitze seines Zeigefingers auf Josephs Oberlippe leise hin und her, umfaßte dann schmeichelnd auch dessen rundes Kinn und lächelte: »Noch keine Spur! Deine Samthaut hat wohl noch kein Schermesser berührt?« »Nein, noch nicht,« lachte Joseph, »aber das wird schon kommen.« »Wollen's hoffen,« sprach Ernst. »Und wie hübsch wirst du aussehen, wenn sich erst einmal ein keckes Schnurrbärtchen über deiner Lippe kräuselt!« »Nun, mich verlangt nicht sehr danach.« »Warum nicht? ein Mann ohne Bart ist nur ein halber Mann.« »Ich bin ja auch noch kein Mann, ich will erst einer werden,« versetzte Joseph errötend. »Da hast du recht," sagte Ernst. »Du bist so schmuck und zart, daß du dich, wenn du wolltest, für ein Mädchen ausgeben könntest; ich möchte dich einmal in Frauenkleidern sehen.« Joseph schlug die Augen nieder und erwiderte darauf nichts, und Ernst war es zweifelhaft, ob sein Gegenüber sich durch das Bewußtsein, jetzt falsche Kleider zu tragen, beschämt, oder durch die Zumutung, falsche Kleider tragen zu sollen, verletzt fühlte. Wie um den scheinbar Gekränkten zu versöhnen, streichelte er ihm freundlich die glatte Wange und strich ihm mit der Hand ein paarmal langsam über die Brust und die schwellenden Glieder. Dabei kam es ihm so vor, als wenn er bei dem sanften Druck ein leises Zucken und Zittern in dem jugendlichen Körper verspürte und ein höheres Rot die geliebkoste Wange färbte. Der Jüngling sah ihn jetzt mit einem Blicke an, in dem eine so innige, stumme Bitte lag, daß Ernst seine spielende Neugier bezähmte und bei sich beschloß, die Lösung des Rätsels, ob Joseph Mann oder Magd sei, dem Zufall zu überlassen. Joseph mochte von dem, was in dem anderen vorging, etwas ahnen, denn er streckte ihm, wie zum Danke, die Hand entgegen, die Ernst, ohne sich den Sinn dieser plötzlichen Regung seines Genossen klarzumachen, erfaßte und wie eine dargebotene Freundeshand drückte. Dann erhoben sich beide und gingen eine Zeitlang schweigend nebeneinander her. Hin und wieder begegneten sich ihre Blicke, fragend wie mit dem Wunsche, in des anderen Seele zu lesen, oder vertrauend wie knospende Neigung. Zuweilen hob ein halb unterdrückter Seufzer des Jünglings Brust, eine kämpfende Unruhe machte sich an ihm bemerkbar, als wenn ihn innerlich etwas drückte, von dessen unerträglichem Zwange er sich mit Worten befreien müßte, die er nicht finden könnte, und immer häufiger wandten sich seine blinkenden Augen seitwärts nach dem männlichen Antlitz seines stattlichen Begleiters. Endlich brach er das Schweigen, und gleich einem Sturzbach, wenn er im Frühling die Bande des Eises sprengt, kam es von den Lippen und aus dem überquellenden Herzen des Jünglings: »Ach! Junker Ernst, wie glücklich seid Ihr! wie wohl und froh muß Euch zumute sein auf Eures Vaters Burg, in der ungebundenen Freiheit, bald im Sattel, bald mit der Armbrust im Waidwerk, oft mit guten Freunden lustig zusammen und eine sichere, freudenreiche Zukunft vor Augen! Und wie gleichmäßig öde fließt mein armes Leben dahin! Immer wandern und wandern, immer sich ducken, immer zurückdrängen zu müssen, was sich kaum bändigen läßt, nie sein Bestes geben, nie Liebes empfangen zu dürfen, nie die brennende Sehnsucht stillen zu können, -- oh! O daß ich ein Mann wäre wie Ihr ...« »Josephine!!« -- da lag sie schon in seinen Armen, an seiner Brust und schluchzte und weinte, bis ins tiefste Lebensmark erschüttert. Er drückte sie an sich und küßte sie auf die Stirn und den bebenden Mund, und sie, dem nie gekannten, mächtigen Gefühl erwachender Liebe völlig hingegeben, ließ alles geschehen und schaute durch Tränen lächelnd glückselig zu ihm auf. Ruhig, ohne Leidenschaft sprach Ernst: »Liebes Mädchen! schütte dein Herz aus, ich will dein Freund und Bruder sein.« Da riß sie sich los, schlug die Hände vor's Gesicht und rief: »O mein Gott! was hab' ich getan?! verzeiht mir, edler Junker! und ich bitte Euch herzlich, verratet keinem Menschen, was Ihr nun wißt, und was ich gesagt habe; ich schämte mich sonst zu Tode. Es wallte heiß in mir, ich mußte es Euch sagen, mit Euren Augen habt Ihr es mir aus der Seele gezogen, ich konnte nicht anders; nun ist's vorüber; ach! war ich doch einmal, einmal im Leben glücklich!« Wie erschöpft lehnte sie das Haupt an seine Schulter, in seinen umschlingenden Arm, und so schritten sie durch den lauschenden Wald langsam dahin. »Was mögt Ihr von mir denken?« begann sie nach einer Weile wieder, da er beharrlich schwieg, um sie durch freies Aussprechen erst wieder ruhig werden zu lassen. »Ihr seid eines stolzen Ritters Sohn, und ich bin ein armes, verachtetes Judenmädchen, das kaum wagen darf, den Saum Eures Gewandes zu berühren, geschweige denn die Augen zu Euch zu erheben; aber denkt nichts Übles von mir! in wenig Tagen wandern wir weiter, und spurlos wie meine Tritte hier auf dem Wege verschwinde ich aus Eurem Gedächtnis.« Tröstlich fühlte sie einen leisen Druck seines Armes und hörte mit halbem Ohr seine Antwort: »Ich denke nichts Übles, Josephine, -- so heißt du doch wirklich?« sie nickte, -- »aber ich werde diese Stunde nicht vergessen, und nie wird ein Wort davon über meine Lippen kommen.« Immer noch erregt frug sie bald darauf: »Habt Ihr eine Braut, Junker Ernst? liebt Ihr ein Mädchen, das Eurer würdig ist? gewiß ein edles Burgfräulein; o macht sie glücklich! Ihr könnt es, Ihr!« Lächelnd erwiderte er: »Du magst es von allen Lebenden allein und zuerst erfahren; ja, ich liebe ein holdseliges Fräulein; aber,« fügte er seufzend hinzu, »sie weiß es noch nicht, und ich werde schwer um sie ringen und kämpfen müssen, um sie zu gewinnen.« Dabei wandte er den Kopf und warf einen sehnsüchtigen Blick nach der Richtung hin, wo die Minneburg lag. »Soll ich Euer Bote sein und ihr ein Brieflein bringen?« frug sie schnell. »Nein, nein, ich sag' es ihr selbst. Als wir heute von deinem Vater schieden, waren wir nicht fern von ihr.« »Auf der Minneburg?!« rief die Jungfrau und war schnell ein paar Schritte von Ernsts Seite fort, ihn überrascht anblickend, als wollte sie mehr von ihm hören oder auch ihm mehr sagen. »Geraten, Josephine! aber wie ist das möglich?« frug er erstaunt. »Ihr sagtet heute zu meinem Vater, der sich links abzweigende Weg führte zur Minneburg,« erwiderte sie. »Aber nennt mich nicht bei meinem Mädchennamen, damit Ihr Euch nicht einmal zu Hause auf der Burg versprecht und mich damit verratet; nennt mich Joseph wie bisher, Ihr seht ja --« und lachend und lieblich errötend blickte sie an sich herab und zeigte auf ihre männliche Kleidung. »Mein Vater wünscht es,« kam sie einer Frage Ernsts zuvor. »In dem wenigen Gepäck, das wir mit uns führen, sind auch Frauengewänder für mich; aber in der Fremde, in den Herbergen wäre ein Mädchen, zumal eines Juden Tochter, wenig geschützt vor allerlei Abenteuern und Fährlichkeiten. Darum gehe ich als Knabe verkleidet und es ist mir bis jetzt noch so ziemlich geglückt, mein wahres Geschlecht zu verbergen, wenn ich auch manchmal merke, daß sich ein starker Verdacht bei denen regt, die mich genauer ansehen wie heute Mittag Susanne. Wenn die mich als Mädchen erkannt hat, so seid Ihr daran schuld, Junker Ernst, weil Ihr mich zwanget, meinen langen Rock abzulegen, wie Ihr Euch überhaupt viel freundliche Mühe gegeben habt, mich auszukundschaften,« fügte sie ihm schelmisch drohend hinzu. Er lächelte und nickte. »Mein Vater würde mich schelten, wenn er erführe, daß ich mich Euch entdeckt habe.« »Dein Vater durchzieht das Land als Arzt und Sternkundiger und deutet den Menschen ihr Schicksal aus dem Lauf der Gestirne,« sprach er, »nicht wahr?« »Ja, so ist es,« erwiderte sie; »er stellt ihnen das Horoskop oder die Nativität, wie er es nennt.« »Und was hat er dir prophezeit?« »Kein Glück,« antwortete sie schwermütig. »Er will mir meine Zukunft nicht entschleiern.« »Meine Mutter sagte mir, er hätte auch für uns alle nichts Besonderes gefunden.« »Nein, nur für Euren Oheim Hans lautete die Weissagung etwas seltsam,« berichtete Josephine. »Es steht in den Sternen geschrieben, er würde sein Glück einmal in einem Kloster finden.« »Ohm Hans sein Glück in einem Kloster finden?« lachte Ernst ungläubig, »wie sollte das zugehen? der wird im Leben kein Mönch!« »Gott weiß es und die Sterne,« sagte Josephine. Ernst versank für den Rest des Weges in ein nachdenkliches Schweigen. Ohne sein Dazutun hatte ihm Josephine ihr Geheimnis enthüllt, und es hatte für ihn einen sinnbestrickenden Reiz, allein zu wissen, daß sich in dieser kleidsamen Jünglingstracht ein vollreifes Mädchen versteckte, dessen blühender Leib sich an den seinen geschmiegt und dessen glutatmende Seele sich ihm rückhaltlos offenbart hatte. Aber mehr als dies beschäftigte ihn die Weissagung über seinen Ohm Hans und nahm ihn so in Anspruch, daß er auf Josephinens Reden nur einsilbige und zerstreute Antworten gab, bis auch sie schwieg in dem schmeichelnden Wahn, daß sich Ernst; Gedanken nur in dem Kreise der Erinnerungen an das heute mit ihr Erlebte bewegten. Die Schatten der Bäume waren lang geworden, und die Wanderer standen jetzt an einem sanften Abhange, zu ihren Füßen das hier breit ausgedehnte Tal, in das sie nun, die vier Burgen der Landschaden auf dem gegenüberliegenden Höhenzuge vor Augen, hinabschritten. Josephine schlüpfte wieder in ihren langen, die Glieder verhüllenden Rock, dann fuhren sie über den Fluß und stiegen zur Mittelburg empor. Oben unter dem Torbogen sprach Ernst: »Morgen wollen wir wieder in den Wald gehen, und dann nehme ich die Armbrust mit,« und der Jungfrau die Hand reichend, fügte er in einem warmen Ton und mit einem innigen Blick in ihre dank strahlenden Augen hinzu: »Und vergiß nicht, Joseph, daß ich dein verschwiegener Freund bin!« Sechstes Kapitel. Im Palas der Minneburg, in dem tief eingebuchteten, um einige Stufen erhöhten Erker, saß auf der kissenbelegten Holzbank die Herrin der Burg und stickte an einer prächtigen Borte für ein Festgewand. Frau Juliane war eine Erscheinung, die schon auf den ersten Blick anzog und bei jedem neuen Begegnen immer stärker fesselte, weil je nach Stimmung und Gelegenheit der Ausdruck ihres Gesichts, ihre Haltung und ihr Benehmen näher wie ferner Stehenden gegenüber so rasch wechselten, daß sie manch einem über ihr wahres Wesen etwas zu raten aufgab. Sie war schlank von Gestalt, jedoch einer anmutigen Fülle durchaus nicht ermangelnd, hatte gewelltes, aschblondes Haar und eine zarte Gesichtsfarbe, die an den Schläfen das blaue Geäder durchschimmern ließ und auf den Wangen von einem feinen Rot überhaucht war. Die Augen unter den schmalen, aber dichten Brauen waren von einer unbestimmbaren Farbe und blickten meist etwas träumerisch neben der nicht kleinen, gradlinigen Nase. Das Schönste in dem Antlitz war jedoch der Mund, er mochte sprechen oder schweigen; wenn aber diese sinnlich geschweiften Lippen lächelten und dann aus den Augen Leben, Gefühl und Frohsinn blitzte, so war das ganze Gesicht von einem Liebreiz erfüllt, der jung und alt bezauberte. Aber Frau Juliane konnte zuzeiten auch heftig und leidenschaftlich sein; dann wurde sie ganz bleich und ihre Züge waren dann nicht unähnlich denen der Medusa. Niemand sah den Ausbruch eines Sturmes bei ihr voraus, niemand wußte, ob sie ein von Natur gleichmütiges oder ein heiß begehrliches, mühsam gezügeltes Herz in der Brust trug. Ihre schöngeformte Hand wob emsig an dem zierlichen Blättergerank der Borte, und nur selten warf sie einen zerstreuten Blick durch das offene Fenster ins Tal hinab und auf die grünen Wipfel, die sich leise im Winde bewegten. Bald trat eine Gürtelmagd ein, um den Mittagstisch für die Herrschaft herzurichten. Ohne von ihrer Arbeit aufzusehen frug Juliane: »Wo sind die Fräulein, Petrissa?« »Sie sind im Zwinger, gnädige Frau, und spielen Ball,« gab das Mädchen zur Antwort. »Soll ich sie rufen?« »Nein, laß sie nur; sie werden schon kommen, wenn sie die Mittagsglocke hören.« Aber kaum war das gesagt, so flog die Tür auf, und mit hochroten Gesichtern vom Ballspiel kamen die jungen Mädchen, Richilde, Sidonie und Hiltrud, hereingestürmt und riefen und plapperten erregt alle drei durcheinander: »Mutter -- Frau Juliane, -- auf dem Burghof ist ein Mann, ein Arzt, -- ein Artist und Sterndeuter, -- der will uns das Horoskop stellen, -- bitte, laß ihn herein! -- ach ja! bitte, bitte! laßt ihn herein, daß er uns wahrsagt und uns unser Schicksal verkündet!« »Ihr seid nicht klug, Mädchen,« lachte Juliane, »wer wird sein Schicksal voraus wissen wollen! ich nicht, und ihr sollt es auch nicht.« Da standen die drei sehr enttäuscht und blickten sich untereinander traurig und ratlos an. Ehe sie noch zu erneuter Bitte Mut faßten, erschien der Burgvogt, Weiprecht Kleesattel, in der Tür, um seiner Herrin die gleiche Meldung zu machen. Er hatte den leichtfüßigen Fräulein vom Burghof die steinerne Wendeltreppe herauf nicht so schnell folgen können, denn er hinkte infolge eines schlecht geheilten Lanzenstiches, den ihm die Fehde seines seligen Herrn mit den Landschaden von Steinach eingetragen hatte. Beim Reiten war ihm das Gebrechen nicht hinderlich, aber beim Gehen kam er nicht mehr rasch vorwärts damit. Auch dem Burgvogt verbot Juliane den Einlaß des Fremden; aber der rüstige Alte redete ihr bescheiden zu, die Kunst des Sterndeuters doch einmal zu erproben. Juliane schüttelte das Haupt und sagte: »Es taugt nichts, sich durch Prophezeiungen, die man Tag und Nacht nicht wieder aus dem Kopfe los wird, in seiner Ruhe stören zu lassen. Mich verlangt nicht nach meines Schicksals Kunde.« »Aber uns desto mehr, Mutter! bitte, laß den Mann kommen!« sprach Richilde mit flehendem Blick. »Er wird uns ja nicht gleich unsere Todesstunde bestimmen,« fügte Sidonie hinzu. »Und überhaupt,« schloß Hiltrud, »wenn er etwas Schlimmes und Schreckliches für uns in den Sternen liest, so sagt er es uns gewiß nicht!« »Weist den Fahrenden nicht ab, gnädige Frau,« ließ sich nun auch der Burgvogt wieder vernehmen, »vielleicht entdeckt er Euch etwas, was zu wissen Euch sehr angenehm und nützlich wäre.« Da siegte auch in Frau Juliane die weibliche Neugier, und nach einem kurzen Besinnen gab sie den vereinten Bitten ihrer Burggenossen nach und sagte mit einem halb schmollenden Lächeln: »Nun, so laß ihn in Gottes Namen herein, Weiprecht!« »Aber es ist ein Jude, gnädige Frau!« »Meinetwegen, und wenn's ein Türke wäre!« lachte sie jetzt. »Isaak Zachäus von Ingolstadt nennt er sich und kommt von Heilbronn über Wimpfen.« »Bringe ihn uns her!« Der Burgvogt ging und die drei Mädchen jauchzten und hüpften und klatschten vor Freuden in die Hände. »Jubelt nicht zu früh!« warnte Juliane, »ihr wißt nicht, was ihr aus dem Munde des Sternsehers zu hören bekommt. Wird es euch lieb sein, wenn er eure geheimsten Wünsche und Gedanken enthüllt?« »Kann er das denn?« frug Richilde rasch und betroffen von der Tür her, wo sie stand und horchte. »Freilich kann er das,« erwiderte Juliane mit einem aufmerksam prüfenden Blick auf ihre Tochter. »Wenn er euch nun wahrsagte,« fuhr sie fort, »daß keine von euch dreien jemals einen Mann kriegt?« »Ach, Frau Juliane!« lachte Hiltrud, »so schlecht meinen es die Sterne nicht mit uns.« »Es könnte auch anders kommen, Frau Juliane,« sagte Sidonie; »vielleicht prophezeit er Euch ein nahe wieder bevorstehendes Glück.« »O du Schelm, du!« rief Juliane lachend und drohte der Kecken, wurde aber doch rot dabei. »Pst!« machte Richilde, »sie kommen!« und sprang von der Tür zurück. Als nun Isaak Zachäus, sich vor den Damen tief verneigend, mit dem Burgvogt in das große Gemach trat, standen die drei Fräulein dicht beisammen und hielten sich verstohlen bei den Händen erfaßt, indem sie den Fremden mit Blicken betrachteten, als hätten sie in ihm nicht nur den Offenbarer ihrer Herzensgeheimnisse und nicht nur den Verkündiger, sondern selbst den Lenker ihrer Schicksale zu verehren und zu fürchten. [Illustration: »Ihr wollt uns das Horoskop stellen, Herr Magister?« redete die Burgfrau den Juden an.] »Ihr wollt uns das Horoskop stellen, Herr Magister?« redete die Burgfrau den Juden an. »Wenn Ihr es gnädigst verstattet, hochedle Frau,« erwiderte Zachäus, der sich durch den ihm nicht gebührenden Titel sehr geschmeichelt fühlte, mit einer neuen Verbeugung, »so bin ich auf Euren Wink bereit, Euch mit meiner Kunst und Erfahrung in der chaldäischen Wissenschaft untertänigst zu dienen.« »Wessen bedürft Ihr dazu an Mitteln und Zutat?« fragte die Herrin. »Um Tag und Stunde eurer Geburt zu wissen, gnädigste Frau! weiter nichts,« versetzte Zachäus mit einem merklichen Selbstbewußtsein. »Wir werden's Euch aufschreiben,« sagte Juliane, und die drei Mädchen tummelten sich, Schreibzeug herbeizuschaffen. »Erlaubt!« sprach Zachäus, »dazu hab' ich alles bei mir.« Er holte ein hürnenes Tintenfaß, eine Feder und ein Stück Pergament aus seiner Tasche und schrieb auf einen Wink Julianens, sich zu setzen, Tag und Stunde der Geburt der vier Damen nach den Angaben derselben auf. Dann erhob er sich wieder und sagte: »Morgen früh, gnädige Burgfrau, könnt Ihr erfahren, was ich für Euch und diese edlen Fräulein in den Sternen gelesen habe.« »Gut,« erwiderte Juliane, »aber ich verlange, daß Ihr mir allein, unter vier Augen, und sonst niemand mitteilt, was Ihr für uns alle gefunden habt. Verstanden, Herr Zachäus von Ingolstadt?« »Seht wohl, gnädige Frau!« erwiderte Zachäus, »nur Euch allein verkünde ich den Befund der Horoskope.« »Da werden wir nicht viel erfahren,« flüsterte Richilde ihren Freundinnen zu, »das Beste sagt sie uns nicht.« Juliane gab dem Burgvogt die Weisung, das oberste Gemach in dem viereckigen Turme zum bequemen Aufenthalt für den Gast herrichten und ihm an Speise und Trank nichts abgehen zu lassen, worauf sich die beiden Männer miteinander entfernten. »Du mußt uns aber alles sagen, Mutter, was der Sternkundige dir morgen unter vier Augen mitteilt,« sprach Richilde, als die vier wieder allein waren, ihre Mutter umhalsend, »versprich uns das!« »Nichts versprech' ich euch!« erwiderte Juliane. »O ja! o ja!« fielen Sidonie und Hiltrud gleichzeitig ein, Julianen ebenfalls mit den Armen umschlingend, »alles müßt Ihr uns sagen, Frau Juliane, alles! wenigstens alles, was uns angeht. Schwört, Frau Juliane, uns nichts verheimlichen zu wollen! schwört uns bei -- ja, wobei nun gleich? wobei schwört Ihr am liebsten und am höchsten?« »Schwört uns bei Eurem aschblonden Haar!« sprach Hiltrud. »Beim minnigsten Munde der Minneburg!« rief Sidonie. »Schwöre bei den ewigen Sternen, die uns allen Glück verheißen mögen!« bat Richilde. »Laßt mich los! ihr erdrosselt mich ja!« rief Juliane, sich mit Mühe aus dem Schlangengewinde der sie umstrickenden sechs Mädchenarme befreiend. »Ich schwöre nichts und verspreche nichts,« sagte sie dann, fast noch atemlos von der stürmischen Zärtlichkeit der sie Überfallenden; »ich bin hier Mutter für euch alle, und was euch jungem Volk zu wissen taugt oder nicht taugt, darüber habe ich als alte Frau allein zu entscheiden.« »Alte Frau! alte Frau!« ein dreistimmiges, silberhelles Gelächter schallte ihr bei der Wiederholung dieser Worte so lustig entgegen, daß sie selber mit einstimmen mußte. »Nicht drei Jahre seht Ihr älter aus, als wir!« rief die eine. »Vier Schwestern sind wir, wird jeder denken, der uns sieht und es nicht besser weiß, und keiner wird raten, welche von uns die älteste ist,« sprach die andere. »Und daß Ihr die schönste seid,« jubelte die dritte, »das sagt Euch der Spiegel und jeder Mann, Ritter oder Knappe, wenn er Augen im Kopfe hat und --« »-- und so schmeicheln will wie ihr drei Törinnen,« fiel Juliane lachend ein. »Ihr denkt wohl, damit verlockt ihr mich, euch alles zu sagen? Weit gefehlt! eure Herzensgeheimnisse erfahre ich nun von dem Wahrsager, das habt ihr euch selber eingerührt, aber ob ihr etwas erfahrt, das steht bei mir. Punktum!« Da umfaßte Sidonie, die übermütigste von allen, Julianen aufs neue, schwenkte sie mit starken Armen wiegend um sich herum und sagte: »Und Euer Herz, Frau Juliane, Euer Herz ist auch viel jünger und heißer, als Ihr uns manchmal Glauben machen wollt, und wird auch seine Geheimnisse haben, bei deren Enthüllung wir nicht zugegen sein sollen; damit wir nur ja nicht erfahren --« »Wirst du gleich schweigen?!« lachte Juliane und schloß der Fürwitzigen den Mund. Petrissa kam herein und trug die Speisen auf. Die vier Damen setzten sich an den gedeckten Tisch zum Mittagsmahl, das auf der Minneburg zu ungewöhnlich später Stunde eingenommen wurde, und ließen sich's wohl sein in fortdauernder Heiterkeit und inniger Eintracht. -- Als der Burgvogt Weiprecht Kleesattel den Gast in das oberste Turmgemach geführt hatte, sprach er zu ihm: »Hört, Meister Zachäus von Ingolstadt, ich werde Euch hier gut verpflegen lassen, aber Ihr müßt mir auch einen Gefallen tun; wollt Ihr?« Und als ihn der Jude mit fragenden Augen listig anblickte, fuhr er fort: »Ihr müßt auch mir das Horoskop stellen! Ich bin am vierzehnten Tage des Brachmonds im Jahre dreizehnhundertfünfunddreißig geboren um Sonnenuntergang.« Zachäus schrieb sich das auf und lächelte dabei ein wenig. Weiprecht bemerkte das und fügte nun hinzu: »Ihr müßt nicht denken, daß ich in meinem Alter noch etwas Besonderes vom Leben erwarte; aber ich möchte doch gern wissen, wie es hier auf der Burg in Zukunft mit mir bestellt sein wird.« »Schon recht,« erwiderte Zachäus; »morgen sollt Ihr es erfahren, Herr Burgvogt.« »Ich danke Euch,« sagte Weiprecht, »und nun will ich Euch etwas Gutes zu essen und zu trinken heraufschicken.« Darauf ließ er den Juden allein, und dieser packte nun seine sieben Sachen aus der Tasche auf den Tisch, der an einer nur mit einem hölzernen Laden verschließbaren Fensterluke stand. -- Richilde schlief mit ihrer Mutter in einem Zimmer, und in einem anderen schliefen ihre beiden Freundinnen. Als sich letztere spät entkleidet hatten, um ins Bett zu gehen, trat Hiltrud im Schlafgewande noch einmal an das Fenster und blickte in die warme Frühlingsnacht hinaus und zum gestirnten Himmel empor. Sidonie gesellte sich zu ihr, schlang den Arm um den weichen Körper der Freundin und sagte sich innig anschmiegend: »Meinst wohl, du könntest auch in den Sternen lesen?« »O, wenn ich das könnte, Sidonie!« erwiderte die andere begeistert. »Sieh mal den einzelnen hellen Stern dort uns gerade gegenüber! kennst du ihn? es ist Jupiter, und er soll viel, viel größer sein als unsere Erde. Wie wohl die Menschen dort oben leben, und was sie dort tun und treiben mögen?« »Die Menschen auf dem Jupiter?« lachte Sidonie, »o du Schwärmerin!« »Du wirst doch nicht glauben,« sprach Hiltrud, »daß unter den Millionen Sternen, die im grenzenlosen Weltall schweben, unsere Erde der einzige ist, der von lebenden Wesen bewohnt ist.« »Darüber habe ich noch nie nachgedacht, denn es nützt nichts, wir ergründen es doch nicht,« antwortete Sidonie. »Und ich muß immer daran denken, wenn ich die Sterne so leuchten und blinken sehe, wie jetzt,« sagte Hiltrud, »und dann ergreift mich jedesmal eine tiefe Sehnsucht, die Geheimnisse der Sternenwelt zu erforschen und zu wissen, ob die Menschen dort oben auch wie wir lieben und leiden, hoffen und kämpfen, und was dort oben für schöne, fremde Blumen blühen mögen, vielleicht auch viel größer, als hier auf der Erde.« »Und ob dort oben vielleicht auch zwei närrische Mädchen im weißen Nachtkleid am dunklen Fenster stehen und zu uns herunterschauen --« »Herunter? die müssen ebenso zu uns heraufschauen wie wir zu ihnen.« »Nun also zu uns heraufschauen und flüstern und schwärmen und sich sehnen, ohne zu wissen, wonach,« neckte Sidonie die Freundin, sie fester an sich drückend. »Das ist schon möglich,« versetzte Hiltrud; »ich möchte nur wissen, wie sie aussehen, wie sie sprechen, und was sie denken und fühlen.« »Vielleicht sind es wahre Ungeheuer von Riesinnen, soviel größer als wir, wie der Jupiter größer als die Erde ist, und nun denke dir die Händchen und das Mündchen! und wenn sie sprechen und lachen, ist's auch soviele Male lauter und klingt wie Donnergetöse von den Riesenlippen. Und dazu die Männer! hu! mir graust es vor deinen Jupitermenschen.« »Du bist eine unverbesserliche Spötterin,« sagte Hiltrud, »kannst du denn gar nicht ein bißchen schwärmen und mit sehenden Augen selig träumen? Das ist doch so süß im Schleier der Nacht unter den goldenen Sternen, die einem ins Herz hineinglühen und die ewige Sehnsucht wecken.« »Weißt du was, Liebchen? ich fühle jetzt etwas von der ewigen Sehnsucht, zu schlafen. Komm ins Bett und überlaß es dem Sterngucker auf seinem Turme, sich mit dem goldenen Gekribbel und Gekrabbel dort oben zu unterhalten, ob es ihm auf seine Fragen Rede stehen will.« Damit zog Sidonie die sich ungern Trennende vom Fenster fort, schloß es, schob und hob Hiltrud, die sich alles gefallen ließ, in das große, gemeinsame Bett und war dann mit einem Sprunge neben ihr. »Was werden wir morgen zu hören bekommen vom Ausspruch der Sterne über unser Schicksal!« sagte Hiltrud im Liegen. »Wahrscheinlich sehr wenig,« erwiderte Sidonie und streckte sich, daß das Bettgestell knarrte. Dann ward es still im Gemach. Zwei blühende Mädchen schliefen Seite an Seite so sanft, wie nur Jugend und Gesundheit auf Erden schlafen können. -- Frau Juliane erwachte am anderen Morgen sehr früh. Richilde lag mit geröteten Wangen in dem Bett neben dem ihrigen noch in tiefem Schlafe. Sie betrachtete mit mütterlichem Wohlgefallen die Schlummernde, wie sich ihre jungfräuliche Brust in ruhigen Atemzügen hob und senkte, wie die langen, dichten Wimpern die geschlossenen Augenlider umsäumten und um die roten Lippen ein leises Lächeln spielte. Welch ein Traumbild mochte die unschuldige Seele der Ruhenden jetzt umschweben? In wenigen Stunden sollte sie die Zukunft dieses lieblichen Mädchens, ihres einzigen Kindes, erfahren. Ihr bangte vor dem Ausspruch des fremden, sternkundigen Mannes, und sie bereute fast, den Bitten der Ihrigen nachgegeben und die Vorsehung durch ihr Eindringen in das Wissen der Zukunft herausgefordert zu haben, eine Vermessenheit, für die sie mit der beständigen, ruhelosen Furcht vor dem Eintreffen eines vorausgesagten Unglücks schwer bestraft werden konnte. Aber diese Sorge den jungen Mädchen zu gestehen und ihre Zusage zurückzunehmen, schämte sie sich und wies endlich den Mangel an Mut, dem Künftigen fest ins Auge zu sehen, als eine ihr nicht anstehende Schwäche von sich. Wie sehr die erwachte Begierde nach der Kunde ihres eigenen Schicksals sie in ihrer Beharrlichkeit bestärkte, darüber gab sie sich keine Rechenschaft. Diese Begierde wuchs mit der vorrückenden Zeit, und als Juliane, nachdem sie sich mit Richilde vom Lager erhoben und angekleidet hatte, ihr Wohngemach betrat, in dessen vier Wänden sie den Befund der Horoskope erfahren sollte, geriet sie allmählich in eine solche Erregung, daß sie den Augenblick der Enthüllung kaum erwarten konnte, die sie schon im Voraus als etwas Untrügliches und Unumstößliches hinzunehmen bereit war. Beim Frühstück bemühte sie sich, den drei jungen Mädchen gegenüber unbefangen zu erscheinen, aber diese merkten sehr bald, daß Frau Juliane ebenso voll Unruhe war wie sie selber. Gleichwohl vermieden es alle vier, den Gegenstand, der allen im Sinne lag, mit einem Worte zu berühren, um durch dies Versteckenspielen eine Selbstbeherrschung zu heucheln, die jeder Einzelnen von ihnen sehr schwer wurde. Die Unterhaltung während des Mahles, bei dem man nur so tat, als genösse man etwas, drehte sich um die gleichgültigsten Dinge, war aber eine erzwungen heitere und lebhafte, damit keine Pause entstehen sollte, die den in allen aufgespeicherten Zündstoff zum hellen Auflodern gebracht hätte. Während ihnen das Herz bis an den Hals hinauf schlug, beobachteten sie sich gegenseitig mit lauernden Blicken, ob nicht einer von ihnen das Wort entschlüpfte, das jeder auf der vordersten Zungenspitze saß. Endlich brach Sidonie den ihr unerträglichen Bann, schlug mit der Hand auf den Tisch und rief: »Das ist nicht auszuhalten! Sprecht doch endlich einmal ein vernünftiges Wort von dem, was uns allen auf der Seele brennt! Unsere Gedanken sind oben auf dem viereckigen Turm bei dem bleichen Gaste, der jetzt unser Schicksal weiß. Binnen kurzem soll sich für uns der Schleier der Zukunft lüften, und wir sitzen hier und machen uns etwas vor, als wenn uns der Mann mit seinen Geheimnissen nichts anginge. Mir stockt der Bissen im Munde vor Ungeduld und welcher von euch anders zumute ist, die sage es, und dann glaube ich es ihr nicht!« Alle atmeten wie von einem Drucke befreit, erleichtert auf, und ein helles, zustimmendes Lachen belohnte Sidoniens Entschlossenheit und Aufrichtigkeit. Nun waren die Schleusen geöffnet; neckische Andeutungen und gewagte Vermutungen über die künftigen Schicksale jeder Einzelnen schwirrten am Tische kreuz und quer hinüber und herüber. Noch einmal versuchten die Mädchen einen gemeinsamen Ansturm auf Julianens Entschluß, den Bericht des Sterndeuters allein entgegennehmen zu wollen; aber vergeblich. Juliane blieb unerbittlich. Sie erhob sich und sagte: »Geht in den Zwinger und vertreibt euch die Zeit, so gut ihr könnt, bis ich euch rufen lasse.« Gegen diesen bestimmten Befehl war nichts zu machen. Seufzend fügten sich die Mädchen und taten, wie ihnen geheißen war. Petrissa kam und räumte ihnen den Tisch ab, und die Burgfrau gebot ihr, zu dem Fremden im Turme zu gehen und ihm zu melden, daß sie ihn hier im Palas erwarte. Als Juliane allein war, schritt sie im Gemach auf und nieder, um sich zu sammeln und ihrer Erregung Herr zu werden, und als Zachäus bald darauf eintrat und ihr nun in kühl gemessener Ruhe gegenüberstand, da fühlte sie sich selber durch den Anblick des ernsten, verschlossenen Mannes wunderbar beruhigt; die Spannung ließ nach, und es kam etwas wie Gleichmut über sie, als hätte sie nichts zu hoffen und nichts zu fürchten. Sie setzte sich in den Erker und sagte: »Nun erzählt mir, lieber Meister Zachäus, was Ihr in den Sternen gelesen habt, und ich bitte Euch, verschweigt mir nichts!« »Ich habe Euch auch nichts zu verschweigen, hochedle Herrin,« erwiderte der so freundlich Angeredete mit einem teilnehmenden Blick in das Antlitz der schönen Frau; »die Sterne haben mir über Euch und die drei jungen Fräulein nur Gutes und Günstiges anvertraut.« »Nun also?« »Gnädigste Frau, die Aspekten für Euch selbst sind derartig, daß ich Euch eines langen und glücklichen Lebens versichern darf. Der Genius Eurer Geburt ist Venus. In naher Zeit steht Euch die Erfüllung eines lange gehegten Wunsches bevor. Weiterhin aber habt Ihr ein noch größeres Glück zu gewärtigen; -- ich darf alles sagen? --« »Alles! ich ersuchte Euch bereits darum.« »Nun denn! -- Ihr werdet Euch bald wieder vermählen.« »Herr Magister!« rief Juliane, dunkelrot im Gesicht, die Hand auf ihr erschrockenes Herz drückend. »Ihr sagt das so bestimmt, -- und ich -- ich sehe nicht ab, -- ich bin aufs höchste überrascht. -- Ist das kein Irrtum?« »Nein, gnädige Frau! es ist kein Irrtum,« erwiderte Zachäus mit ruhiger Sicherheit. »Aus alter Liebe und jungem Haß wird Euch neues Glück erblühen.« »Aus alter Liebe und jungem Haß, -- rätselhaft!« murmelte Juliane in tiefen Gedanken vor sich hinstarrend. Dann schüttelte sie das Haupt und sagte: »Sprecht deutlicher! Wer ist mir zum Gatten bestimmt?« »Das eine kann ich nicht, das andere weiß ich nicht,« entgegnete Zachäus. »Die Gestirne haben Herrschaft über unser Schicksal, aber sie lassen sich nicht ausfragen. Von den großen Himmelshäusern steht für Euch das Haus der Ehe obenan, aber in den Häusern der Freundschaft und Feindschaft las ich für Euch die Warnung, daß Ihr, selber Witwe, Euch vor Witwern hüten solltet.« Juliane flüsterte etwas in sich hinein, was Zachäus nicht verstand. Dieser fuhr daher fort: »Euer erster Gemahl starb eines jähen Todes, doch nicht in einem Kampf und auch nicht in seinem Bett. So wurdet Ihr unvermutet zur Witwe, und vielleicht hängt es damit zusammen, daß ein Witwer Euch Unheil bringen würde.« Juliane schwieg, und ihr Blick hing mit steigender Verwunderung an den Lippen des Sprechenden, der wieder fortfuhr: »Das wäre alles, gnädige Frau, was ich Euch zu sagen habe, wenn nicht noch ein bedeutsamer Wink, der mit dem Schicksal Eurer Tochter in unmittelbarer Verbindung steht, die größte Beachtung verdiente.« »Und dieser Wink lautet?« »Gebt Eurer Tochter Richilde zunächst einen Stiefvater und dann erst einen Gatten!« Die Schloßherrin lächelte: »Nun, Richilde ist noch jung; sie wird es so eilig nicht haben.« Zachäus aber sprach: »Fräulein Richilde ist Euer ältestes Kind; zwei später gebotene Söhne sind Euch jung wieder gestorben, --« »Auch das haben Euch die Sterne gesagt?« unterbrach ihn Juliane erstaunt. Der Jude nickte würdevoll und sprach weiter: »Eurer Tochter droht außerhalb dieser Burg eine Gefahr, die ihr zwar nicht ans Leben geht, die aber nur ihr Stiefvater von ihr abwenden kann.« »Sagt mir noch mehr von meiner Tochter,« verlangte Juliane nach einigem Besinnen. »Wohl, so hört! Fräulein Richilde liebt und wird wieder geliebt --« »Das ist nicht wahr, das ist unmöglich!« fuhr Juliane heftig auf. »Gnädige Frau, in der Schrift der Sterne kann ich mich nicht täuschen,« erwiderte Zachäus mit einem überlegenen Lächeln. »Eure Tochter liebt einen ritterlichen Mann, der sie auch heimführen und für ihr langes Leben glücklich machen wird, wenn Ihr selber vorher eines zweiten Mannes Frau geworden seid.« Juliane erhob sich und ging mit raschen Schritten auf und ab im Gemache. »Richilde liebt, und ich weiß nichts davon?« sprach sie erregt, »wen? wen, Zachäus?« Der Jude zuckte die Achseln und schwieg. »Und wird das alles so bald geschehen? ich meine, daß er sie heimführt, und ich vorher --« »Bald ja! doch _wie_ bald, haben mir die Sterne nicht gesagt,« erwiderte Zachäus. In Julianens Hirn wogten die Gedanken wild durcheinander, sie wurde abwechselnd bald bleich, bald rot und schien während des Auf- und Abschreitens die Gegenwart des Sterndeuters ganz vergessen zu haben, bis dieser von selber anhub: »Wollt Ihr nun auch die Horoskope der beiden anderen jungen Fräulein wissen, gnädige Frau?« »Ja so! freilich! sprecht, aber macht es kurz!« erwiderte sie hastig. »Fräulein Sidonie von Hirschhorn ist ein Sonntagskind,« sagte Zachäus; »die Konstellation bei ihrer Geburt war höchst günstig. Alles, was sie beginnt, wird ihr geraten, denn sie hat eine glückliche Hand. Ihr Übermut und ihr leichter Sinn werden sie zuweilen in wunderliche Lagen bringen, aber das Schicksal oder ein unverhoffter Zufall werden alles stets zum besten lenken. Sie wird manchen Freier abweisen, mit dem Manne ihrer Wahl aber einst glücklich werden.« »Wohl ihr!« sprach Juliane zerstreut, »weiter!« »Fräulein Hiltruds Gestirne weisen in die Ferne,« fuhr Zachäus fort; »sie wird mit ihrem einstigen Gatten fern von ihrer Heimat hausen, ihm Kinder schenken und lange Jahre mit ihm in Glück und Freuden leben.« Geraume Zeit erfolgte keine Antwort von Juliane, kein Zeichen, daß sie verstanden, was Zachäus gesagt hatte, bis dieser sie erinnerte: »Gnädige Frau, ich bin fertig.« »Ich danke Euch!« sprach Juliane wie weit abwesend mit ihren Gedanken, »Ihr seid entlassen; das heißt,« verbesserte sie sich, »Ihr bleibt hier auf der Burg; vielleicht bedarf ich Eurer noch; dann werde ich Euch rufen lassen. Noch eins, Zachäus --!« und sie legte mit einer entschiedenen Bewegung und einem durchdringenden Blick den Finger auf die geschlossenen Lippen. Der Jude machte das Zeichen des Schweigens nach, verbeugte sich und verließ das Gemach. Juliane war allein. Sie setzte sich wieder auf die Bank im Erker, stützte den Kopf in die Hand und wiederholte sich die Aussagen des Schicksalskündigers. »Wieder eines Mannes Weib werden soll ich? und bald?« sprach sie zu sich selbst. »Aus alter Liebe und jungem Haß soll mir neues Glück erblühen. Ach! wenn es wahr würde! wenn ich noch glücklich werden sollte! -- Aber ohne Wahl und Willen wär' ich dabei? Die Sterne bestimmen mir einen Mann, dem ich meine Freiheit und Leib und Seele geben soll, und nach meiner Liebe wird nicht gefragt? Wen liebe ich denn? Keinen, keinen! und wenn ihr winzigen, glimmenden Funken dort oben in eurer unermeßlichen Ferne mein Herz nicht zu lodernder Liebe in Flammen setzen könnt, so spart euch eure Sprüche von der Liebe Verkündigung, der ich mich nicht beugen werde gegen meinen Wunsch und Willen! -- Könnt' ich nur raten, wen die dunklen Mächte mir schicken, wen sie mir aufdrängen wollen! Keinen Witwer, hieß es. Also fahre wohl, Bruno von Bödigheim! Du gewinnst mich nie. Aber wer sonst? -- Aus alter Liebe und jungem Haß, -- das träfe nur auf einen zu; doch das ist vorbei, der ist es nicht, der kann es nicht sein! Er liebt mich nicht, und ich -- ich will ihn niemals wiedersehen!« Sie erhob sich, um selber zu den ungeduldig Wartenden in den Zwinger zu gehen, denn sie brauchte frische Luft. Ihr klopfte das Herz im Busen mit stürmender Gewalt, und wie froh war sie, die Prophezeiungen des Sterndeuters allein, ohne Zeugen vernommen zu haben! Im Zwinger sprangen ihr die Mädchen entgegen, suchten mit forschenden Blicken in ihren Zügen zu lesen und überschütteten sie mit einer Flut von Fragen. »Beruhigt euch,« lachte Juliane, »es war kaum der Mühe wert, die verschwiegenen Sterne unsertwegen auf die Probe zu stellen, denn sie haben uns wenig verraten. Ihr bekommt jede dereinst einen Mann und werdet ein langes und glückliches Leben genießen. Du, Sidonie, bist ein Sonntagskind; darum wird dir vieles gelingen von dem, was du beginnst; wirst aber auch manchen Freier abweisen, ehe der rechte kommt. Du, Hiltrud, wirst mit deinem Zukünftigen in die Ferne ziehen, und Richilde, du sollst dich vor Gefahren hüten, die dich außerhalb der Burg bedrohen könnten. Das ist alles, was mir der weise Mann zu sagen wußte.« »Wenig genug!« sprach Sidonie, »aber ich wußt' es im Voraus.« »Aber du selber, Mutter! was verkündigte er dir?« fragte Richilde. »Auch nichts Besonderes, aber nur Gutes,« erwiderte Juliane mit abgewandtem Gesicht. »Und darum die Aufregung und Angst!« sprach Hiltrud. »Wir wollen zufrieden sein, wenn alles eintrifft,« sagte Richilde. »Vor den Gefahren außerhalb der Burg fürchte ich mich nicht. Was kann mir begegnen? vielleicht, daß mich beim Blumenpflücken einmal ein Dorn sticht oder eine Nessel brennt.« Das Ansehen des Mannes, der sich für einen Sternkundigen ausgab und nur mit einer so dürftigen Auskunft dienen konnte, war in den Augen der Fräulein nicht gerade gestiegen. Nur Sidonie, die Julianen mehrmals verstohlen beobachtete und deren mühsam verhehlte Erregung sehr wohl bemerkte, hatte über die Geringfügigkeit der ihnen gewordenen Mitteilungen ihre eigenen Gedanken, behielt dieselben jedoch für sich. »Kommt, Mädchen!« sagte Juliane, »wir wollen satteln lassen zu einem wild fröhlichen Ritt in den Wald; mich verlangt nach Bewegung!« Hiltrud und Sidonie hatten von den väterlichen Burgen ihre Reitpferde mitgebracht, die im Stalle der Minneburg Platz genug fanden, und bald waren vier Rosse gesattelt und am Palas vorgeführt. Die Damen schwangen sich mit Hilfe des Burgvogts in die Sättel und ritten über die Zugbrücke des breiten Grabens und den Burgweg hinab. Unten auf der Landstraße am Neckar sprengten sie freudig dahin, allen voran Juliane, als wollte sie den in den Ringmauern ihrer Burg sie umspinnenden Gedanken entfliehen und noch einmal in vollen Zügen die mit den Fesseln der Liebe bedrohte Freiheit ihres Herzens genießen. Siebentes Kapitel. Als Junker Hans auch während der zwei nächsten Tage von seinem Ausfluge nach Sinsheim nicht zurückkehrte, stieg in Ernst die Sorge auf, das von Zachäus dem Oheim gestellte Horoskop möchte sich jetzt schon bewahrheiten und dieser aus irgendeinem, Ernst unbekannten Grunde den Entschluß gefaßt haben, Mönch zu werden und fortan Zeit seines Lebens im Kloster zu bleiben. Seinen geliebten Ohm, den besten und einzigen Vertrauten seines Herzens von Kindheit an, für immer verlieren zu sollen, war ihm ein unerträglicher Gedanke. Und nie hatte ihm der ältere Freund und Berater so gefehlt wie eben jetzt, wo es sich für ihn darum handelte, sich den Zugang zur Minneburg und zu Richilde von Kollenberg zu bahnen, eine Schwierigkeit, zu deren Überwindung ihm der Beistand des Oheims von der größten Wichtigkeit war. Vormittags und nachmittags ging er in den Wald und hielt sich stets in der Nähe des Weges, den Hans mutmaßlich zurückkommen mußte. Doch umsonst; kein Hufschlag durchschallte den stillen Forst, nicht Roß noch Reiter ließ sich blicken. Hans war wie verschwunden und verschollen. Ernst frug Josephine, die sich wie von ungefähr zu ihm gesellte, ob ihr Vater, der auch noch nicht wieder von Mosbach zurück war, ihr nichts Bestimmteres über das Horoskop des Oheims mitgeteilt hätte, namentlich in wie naher oder ferner Zeit dieser das ihm prophezeite Glück im Kloster finden sollte. Aber Josephine konnte ihm darüber keine Auskunft geben und bemühte sich, ihn über das Ausbleiben des von ihm so schwer Vermißten zu trösten und aufzuheitern. Daß der Blick des Mädchens oft mit einem wehmütig schwärmerischen Ausdruck an seinem Angesicht hing und sich zuweilen ein leiser Seufzer ihren Lippen entwand, blieb unbemerkt von ihm. Endlich fragte sie: »Ist es weit von hier zu den Benediktinern in Sinsheim? Wenn Ihr mir den Weg beschreiben könnt, so will ich hingehen und nach Eurem Oheim fragen.« »Allen Dank für dein freundliches Erbieten!« erwiderte Ernst, »aber das ist zu weit für dich. Wenn er bis morgen früh nicht zurück ist, so reite ich selber hin, und es müßte mit Kräutern zugehen, wenn ich ihn dann nicht mit heimbrächte.« Dieser Entschluß schien ihn froh zu stimmen, und lachend sprach er: »Was sie wohl im Kloster zu dem Boten sagen würden, den ich ihnen da als Befreier ihres biderben Zechbruders ins Gehege schickte! Siehst freilich in deinem langen Talar fast wie ein Klosterschüler aus. Tu' mir den Gefallen, streife das entstellende Puppengehäuse ab und laß den Schmetterling auskriechen! Wir sind allein hier, und ich seh dich viel lieber in deiner unverhüllten Gestalt, als in der Vermummung, in der du weder Mann noch Mädchen bist.« Ein freudiger Glanz und ein schnelles Erröten glitt über ihr Antlitz; sofort kam sie seinem Wunsche nach und stand nun wieder in der kurzen, enganschließenden Jünglingstracht vor seinen zufriedenen Blicken. Sie gingen immer tiefer in den Wald und streckten sich, wie neulich auf ihrem Rückweg von der Schmiedeschenke, wieder in den Schatten auf das Moos, miteinander plaudernd und scherzend. Josephine wußte sich vollkommen sicher an der Seite des ritterlichen Junkers, denn -- sagte sie sich selbst -- du bist eine Jüdin, und er liebt eine andere. Ein bitteres Gefühl beschlich sie dabei; sie beklagte im stillen ihr Schicksal, das sie in einem verachteten Stande geboren werden ließ und ihr damit schon, nach dem Vorurteil der Mitlebenden, jede Hoffnung auf ein Glück verriegelt hatte, nach welchem die Sehnsucht in ihrem Herzen erwacht war und sich stärker und stärker zu regen begann. Fast schien es ihr jedoch, als wenn Ernst von jenem Vorurteil frei wäre, weil er sie mit so großer Freundlichkeit behandelte, wie sie ihr noch nie von einem anderen Menschen zuteil geworden war. Auf der Mittelburg wunderte sich mancher über das häufige Beisammensein des Junkers mit dem schüchternen Judensohn; aber Ernst antwortete auf eine gelegentliche Frage nach dem Grunde dieser auffälligen Zuneigung ausweichend: »Er lehrt mich im Walde Kräuter und Schmetterlinge kennen und weiß von seinem Vater allerlei Heimlichkeiten von natürlichen Dingen.« -- Am anderen Morgen ritt Ernst fort, um Hans aus dem Kloster zu holen; und weil er wußte, wie gern sein Oheim bei Laux Rapp einkehrte, so nahm er den Weg über die Schmiedeschenke, obwohl es nicht der nächste war. Seine Hoffnung, Hans vielleicht schon dort zu finden, trog ihn auch nicht. Von weitem schon, sobald die Biegung des Weges dem Blicke freie Aussicht gewährte, sah er ihn an dem Tische unter der Eiche sitzen, und neben ihm saß Laux Rapp, ein kleiner, derbknochiger Gesell mit einem verwegen dreinschauenden Gesicht und einer gegen die andere etwas erhöhten Schulter. Beiden Männern gegenüber am Tische, auf dem selbstverständlich Krug und Becher nicht fehlten, stand Susanne, und alle drei schienen in einem heiteren Gespräch begriffen zu sein. Einen Augenblick durchfuhr Ernst der Gedanke: ob sie ihm wohl von Josephinen erzählt hat? Doch wenn sie es getan hatte, so war jetzt nichts mehr daran zu ändern, und er mußte sehen, ob und wie sich das Geheimnis des Mädchens dem Oheim gegenüber noch retten ließ. Mit einem lauten, freudig jauchzenden: »Hallo! Ohm Hans!« sprengte er dem Platz unter der Eiche zu, war schnell aus den Bügeln und drückte erst dem Junker und dann auch Laux und Susanne die Hand. Das Mädchen schüttelte auf seinen fragenden Blick leise mit dem Kopf, um ihm zu bedeuten: ich habe nichts gesagt! worüber Ernst sehr erfreut war. »Hast auch wohl Durst auf Laux seinen abgelagerten Rothen?« begrüßte Hans den Neffen, während Susanne ins Haus sprang, einen Becher zu holen. »Nein, Ohm,« erwiderte Ernst, »ich wollte nach Sinsheim, einen Weltflüchtigen der Klause zu entreißen.« »Hoho!« lachte Hans, »meinst wohl, sie hätten mich schon unter der Schere? Weit gefehlt, mein Junge! so lange ich einen Harnisch tragen kann, schlüpfe ich in keine Kutte.« »Ist's wahr, Ohm Hans? kann man sich darauf verlassen?« frug Ernst, dem Wiedergefundenen scharf prüfend in sein offenes Gesicht schauend. »Dumme Frage!« sagte Hans, »als ob ich von Kopf zu Fuß ein Lot Pfaffenfleisch an mir hätte!« »Nein, nein, Ohm!« erwiderte Ernst, »aber du bliebst gar zu lange aus, und da -- bekam ich Sehnsucht nach dir.« »Unterm Krummstab lebt sich's lustig,« lachte Hans, »und was habe ich denn zu Hause versäumt?« »Nicht viel, aber ich bin heilfroh, daß du den Sinsheimern entronnen bist und wiederkommst,« sprach Ernst sich neben seinen Oheim niederlassend, und frei aufatmend stieß er mit dem vollen Becher an den ihm von Hans entgegengehaltenen. Laux Rapp, der sich wie einer auf die Gesichter und die Herzen der Menschen verstand, hatte dem Gespräch mit beiden Ohren gelauscht und hinter dem Frageton und dem ängstlich prüfenden Blick des Jüngeren eine geheime Sorge gewittert, der auf den Grund zu kommen ihn seine Neugier unwiderstehlich reizte. »Junker Ernst,« hub er an, »ich kann nicht glauben, daß Euer Ohm ein so böses Stücklein auf der Seele hat, um sich hinter Klostermauern in Gewahrsam zu bringen.« »Das hatt' ich auch nicht im Sinn,« erwiderte Ernst; »keinem Hühnlein kann er etwas zu Leide tun.« »Nun, ich habe schon manchen Biedermann vom Gaule gestochen,« sagte Hans. »Ja, in ehrlicher Fehde,« sprach Ernst, »da ist's weiter nichts, als ein gutes Ritterstück.« »Gewiß! das macht der Katze keinen Buckel,« nahm der Schmied wieder das Wort. »Also aus gedrungener Not braucht Ihr nicht ins Kloster zu gehen; solltet Ihr es nun aus eigener Bewegnis tun? Ich meine, Gott hat Euch nicht mit so viel Kreuz und Beschwerung heimgesucht, daß Ihr mit Eurem Leben nicht begnügig und zufrieden sein könntet, Junker Hans. Oder seid Ihr im Glauben etwas baufällig geworden, daß Euch der hochwürdige Abt von Sinsheim die Bände angetrieben hat?« »Du wirfst das Beil zu weit, Laux!« entgegnete Hans. »Der hochwürdige Abt von Sinsheim ist mein trauter Freund; der tut mir alles zuliebe.« »Alles?« frug Ernst. »Alles, was ein christgläubig Gemüt sonder Arglist und Gefährde von ihm verlangen kann; ich glaube, noch viel mehr.« »Merkt Euch das, Junker Ernst!« lächelte jetzt Susanne. »Er spricht Euch von großen und kleinen Sünden los, Ihr mögt sie an Christen oder Juden begangen haben.« »So du noch ein Wort sagst!« drohte ihr Ernst. Aber der Schmied ließ in seiner stachelnden Neugier, welcher besondere Vorfall den weltfrohen Junker in ein Kloster treiben könnte, nicht nach und sagte: »Ihr wäret nicht der erste Ritter, Junker Hans, der das Tor der Welt hinter sich zuschlug und die Brücke abwarf, um sein Leben im Kloster seliglich zu vollenden. Also heraus damit, sonst gibt's 'nen Kropf! Warum wollt Ihr ins Kloster, Junker Hans?« »Bei allen Heiligen und Verdammten, laßt mich endlich mit Eurem Kloster in Ruhe!« fuhr Hans auf. »Ich will ja gar nicht ins Kloster, als mit den lobesamen Brüdern unter beiwohnender Weinfeuchte einen fröhlichen Kantus zu singen, in ihren Forsten zu pirschen und in ihren Teichen zu fischen. Wenn du das nächstemal mit willst, Ernst, so sag' es!« »Soll ein Wort sein, Ohm!« sprach Ernst. »Frage nicht, so lüg' ich nicht,« brummte der Schmied. Nach einer guten halben Stunde, die bei fleißiger Handhabung des Bechers unter anderweitem Gespräch vergangen war, nahm Hans den dickbäuchigen Weinkrug, schaute hinein und verkündete: »Sela, lieben Brüder! Alles hat ein Ende, sagt Trotto, der Kellermeister, wenn er die Treppe nicht mehr hinunter will.« »Ei so verreck! bei Laux Rapp heißt es nicht so. Noch einen!« rief der Schmied, Susannen den Krug reichend und in der Hoffnung, durch mehreren Wein die Zungen seiner Gäste besser zu lösen. Aber Hans schüttelte: »Nein! ihr sollt jetzt von unseren Rossen die Schweife sehen. Komm, Ernst! in den Sattel!« Sie saßen auf und ritten nach freundlichem Abschied davon. Der Schmied hatte nichts herausbekommen von dem, was ihn zu wissen verlangte. Er blickte den Reitern, so lange sie in Sicht blieben, gedankenvoll nach; dann ging er verdrießlich mit dem Kopfe schüttelnd in die Schmiede, trat an den Herd und zog den Blasebalg, um das eingesunkene Feuer wieder anzumachen. Unterwegs frug Hans seinen Neffen: »Was waren denn das für sonderbare Reden von dir und Laux über das Kloster?« »Dir will ich es nicht verschweigen, Ohm,« erwiderte Ernst. »Es war ein Jude bei uns, der uns allen das Horoskop gestellt hat, und das deine lautete, du würdest dein Glück einmal in einem Kloster finden.« Hans lachte laut auf. »Aber der Mann hat recht,« sagte er dann. »Nirgends bin ich vergnügter, als bei den Benediktinern in Sinsheim, und so finde ich jetzt schon oft mein Glück in einem Kloster. Dazu brauchte kein Jude zu kommen, Euch das zu sagen.« »Ja dann, wenn du es so deutest!« sprach Ernst in Freuden. »Was dachtest denn du?« »Ich dachte, ich würde dich verlieren, lieber Ohm, wenn du dich entschlössest, für immer dort zu bleiben.« »Nein, mein braver Junge! wir zwei bleiben zusammen bis an mein selig Ende,« sagte Hans, seinem jugendlichen Genossen die Hand hinüberreichend. »Nimm dich nur vor den Weibern in acht, daß ich dich nicht verliere!« Ernst beugte sich auf den Hals seines Pferdes und blickte zur Seite ins Gebüsch, als ob er dort ein Wild suchte. »Was hat es sonst noch gegeben daheim?« frug Hans. »Die Hirschhorns und Schenk von Erbach sind beim Vater zu einer geheimen Beratung gewesen,« erwiderte Ernst. »Mich haben sie weggeschickt; ich sollte nichts davon erfahren,« setzte er unmutig hinzu. »Dich haben sie weggeschickt? ja, was geht denn da vor?« Ernst zuckte die Achseln. »Ich weiß nur, daß Frau Rüdt von Kollenberg ihren verpfändeten Wald einzulösen gedenkt.« »Also doch endlich!« sagte Hans. »Bist du's zufrieden, Ohm?« »Von ganzem Herzen!« erwiderte Hans. »Das freut mich, Ohm! das freut mich ausnehmend,« rief Ernst vergnügt. »Sorge nur, daß der Friede bald zustande kommt!« »Den Wunsch hab' ich lange,« sprach Hans; »aber woher wißt Ihr denn, daß Frau Juliane den Wald wieder haben will?« Darauf erzählte ihm Ernst seine Begegnung mit den drei Fräulein und von dem geschossenen Reiher. Hans lachte über den Jagdfrevel im verpfändeten Wald und gönnte den jungen Damen ihre Freude am edlen Waidwerk, wenn sie es zur rechten Zeit ausüben wollten. Er wenigstens würde sie nicht darin stören und hoffte auch nicht, der Minneburg so nahe zu kommen, um der Gebieterin derselben oder ihrer Tochter und deren Freundinnen in die Arme zu laufen. »Aber wenn wir nun mit ihr Frieden machen?« bemerkte ihm Ernst. »Das ist deines Vaters Sache, des ältesten von uns,« erwiderte Hans; »ich bin dazu nicht nötig und will auch nichts damit zu tun haben.« Da hatte Ernst nicht den Mut, dem Oheim jetzt die stillen Hoffnungen und Wünsche seines Herzens zu entdecken, sondern verschob dies auf eine günstigere Gelegenheit, wenn der Weg zur Versöhnung auf beiden Seiten angetreten wäre. Bald nach seiner Heimkehr begab sich Hans zu seinem Bruder Bligger, der ihn freudig willkommen hieß, und seine erste Frage war: »Was ist hier vorgegangen, daß ihr eine, wie es scheint, wichtige Beratung gepflogen habt, an welcher Ernst nicht teilnehmen durfte?« »Also hat er schon alles ausgeplaudert?« sagte Bligger. »Alles,« erwiderte Hans, »nur das nicht, was er selber nicht wußte.« »So höre denn!« begann der ältere. »Ich habe sichere Kundschaft, daß der Pfalzgraf etwas gegen uns im Schilde führt. Um seinen Anschlägen mit Nachdruck zu begegnen, ist es nötig, daß wir alle fest zusammenhalten gegen ihn, auch der Dauchsteiner und die von der Minneburg.« »Der Dauchsteiner?« sagte Hans mit Stirnrunzeln, »den laß nur aus dem Spiel, auf den ist kein Verlaß, und er ist uns so wenig Freund wie wir ihm.« »Magst recht haben,« gab ihm Bligger zu, »aber die Minneburg. Wir müssen mit Julianen unseren Frieden machen, damit sie uns mit ihrem Gesinde zu Roß und zu Fuß Beistand leistet.« »Hab' ich ja schon immer gewollt,« schaltete Hans ein. »Und da sie den Wunsch geäußert hat,« fuhr Bligger fort, -- »-- ihren verpfändeten Wald einzulösen, -- weiß ich, weiß ich!« unterbrach ihn Hans. »-- so ist das die beste Gelegenheit, ihr die Hand zur Versöhnung zu bieten. Und das mußt du machen!« sagte Bligger, seinen Bruder fest ansehend. »Ich? ich?« frug Hans höchst verwundert. »Ja, du! Du mußt nach der Minneburg reiten und mit Julianen alles in Ordnung bringen,« erwiderte Bligger. »Gott soll mich in Gnaden bewahren! warum just ich?« »Wir haben es samt und sonders so beschlossen.« »Ihr habt gut beschließen über mich, wenn ich nicht dabei bin,« sprach Hans. »Wärst du dabei gewesen, so hättest du es gewiß freiwillig übernommen.« »Niemals! Wählt einen anderen Boten; ich kann es nicht.« »Du mußt, Hans! es geht nicht anders, und es hängt zuviel davon ab.« »Aber warum ich gerade? warum nicht du selbst oder Engelhard?« frug Hans in wachsender Erregung. »Du wirst einsehen, daß du der einzige bist, der es vermag,« redete Bligger auf seinen Bruder ein. »Engelhard wollte es nicht übernehmen und kann es auch füglich nicht. Einer von uns Brüdern muß es tun. Mich läßt Juliane gar nicht ein, weil sie mich für ihren schlimmsten Feind hält. Konrad würde es auch nicht besser ergehen, und er taugt auch nicht recht dazu. Also mußt du dich wohl oder übel dazu bequemen, Hans, denn du hast dich mit den Rüdts immer am besten von uns gestanden.« »Gib mir Bedenkzeit, ich will es mir überlegen,« erklärte Hans nach einigem Kampfe; »ich kann sie ja doch nicht ohne vorherige Ansage in ihrer Burg überzucken.« »Was ist da noch zu überlegen?« sagte Bligger. »Freilich mußt du sie überzucken; das ist das Rechte. Du forderst zweihundert Gulden Lösegeld, und sie erhält Dorf und Wald zurück mit allem, was dazu gehört; aber den Wildbann behalten wir.« »Unbilliges Verlangen!« versetzte Hans. »Höre, was sie sagt,« erwiderte Bligger. »Danach reden wir weiter.« Hans schüttelte den Kopf. »Darauf kann sie nicht eingehen.« »Mir ist es auch weniger um den Wald zu tun, als um Frieden und Freundschaft mit Frau Juliane.« »Und die glaubst du mit so schweren Bedingungen zu gewinnen?« »Wir lassen allmählich mehr und mehr davon nach und kommen endlich allen ihren Wünschen entgegen,« versetzte Bligger. »Du mußt nur dafür sorgen, daß sich die Verhandlungen etwas in die Länge ziehen, damit wir Zeit und Gelegenheit haben, mit Juliane wieder auf guten Fuß zu kommen. Rücke und räume dich nur erst selbst wieder warm bei ihr ein, und dann vermittelst du die Versöhnung deiner wiedergewonnenen Freundin mit uns.« »Kann ich Ernst dazu mitnehmen?« frug Hans. »Ist das sein eigener Wunsch?« war Bliggers rasche Gegenfrage. »Schwerlich! wir haben nicht darüber gesprochen,« erwiderte Hans. »Wie konnt' ich denn ahnen, was ihr hinter meinem Rücken über mich verhängt habt?« »Mir deucht, es soll keinem von uns gereuen,« sprach Bligger. »Nimm Ernst mit, und -- wann reitest du?« »Wenn's denn sein muß, -- morgen.« »Morgen! recht so! und alles Glück auf den Weg!« sagte Bligger. Hans begab sich auf seine kleine, schwindelhoch über dem steilen Abgrund hängende Burg Schadeck zurück, setzte sich dort in seinen Sessel, dessen Rücken- und Armlehnen aus starken Elensgeweihen gebildet waren, und versank, den Kopf in die Hand gestützt, in tiefes Nachdenken. Er war ein echter Landschad. An Kraft und Höhe des Wuchses gab er seinen Brüdern nichts nach, aber sein blühendes Antlitz mit den heiter blickenden blauen Augen ließ ihn viel jünger erscheinen, als er war, und auch seine Bewegungen und die Art zu sprechen waren noch jugendlich rasch und sorglos sich gehen lassend. Sein ganzes Wesen hatte etwas Treuherziges, Derbes und keine Spur von der hinterhaltigen Überlegenheit und dem gemessenen Auftreten seines älteren Bruders. Auch Hans war Ritter; aber da er sich nicht verheiratet hatte, war ihm der Name ›Junker Hans‹, unter dem er von Jugend auf bekannt und bei alt und jung, bei reich und arm beliebt war, bis auf den heutigen Tag geblieben, und niemand fiel es ein, ihm seine Jahre nachzurechnen. Als er nun so saß und sann, wie er sich des Auftrages entledigen sollte, der ihm da wider seinen Willen aufgehalst war, stieg ihm Julianens Bild vor der Seele auf. Sie war seine Jugendliebe gewesen, sofern man die erste Liebe eines dreißigjährigen Mannes zu einem sechzehnjährigen Mädchen noch Jugendliebe nennen kann. Zu einem Verlöbnis zwischen beiden war es indessen nicht gekommen, denn er hatte ihr weder seine Liebe je bekannt, noch um ihre Hand zu werben gewagt, zurückgehalten von seiner sonderbaren Furcht vor einer Schwiegermutter. Diese Furcht war angesichts manches abschreckenden Beispiels schon frühzeitig in ihm entstanden und hatte sich im Laufe der Jahre verstärkt, bis sie so tief in ihm festgewurzelt war, daß sie einen gewichtigen Grund mehr für seine Abneigung gegen die Ehe im allgemeinen abgab. Viel dazu beigetragen hatte das abstoßende Benehmen, das ganze Schalten und Walten der Frau Margarethe von Handschuchsheim, der Schwiegermutter Engelhards von Hirschhorn, deren Gegenwart schon, wenn er den Freund besuchte, ihm ein beständiges Gruseln verursachte. Julianens Mutter, Gräfin Konstanze von Ehrenberg, war nun Zeit ihres Lebens auch eine sehr willensstarke Dame, der Hans ein ebenso herrschsüchtiges sich einmischen in die häuslichen Angelegenheiten zutraute, und die einmal bei sich auf seiner Burg wohnen haben zu müssen, ihm ein schaudererregender Gedanke war. Herr Zeisolf Rüdt von Kollenberg mußte wohl diese Furcht nicht teilen, denn er führte die Braut heim. Aber Gräfin Konstanze war nie anders auf der Minneburg, als zu kurz vorübergehendem Aufenthalt, und einige Jahre nach der Verheiratung ihrer Tochter starb sie, so daß auch an Hans das drohende Ungewitter einer bei ihm hausenden Schwiegermutter gnädig vorübergegangen wäre. Nachdem Juliane nun eines anderen Mannes Frau geworden war, entschlug er sich jedes wärmeren Gefühles für sie, faßte den unabänderlichen Entschluß, niemals zu heiraten, weder mit noch ohne Schwiegermutter, und fand sich immer vergnüglicher in sein Junggesellenleben hinein, von dessen ungebundener Freiheit er sich um keinen Preis der Erde trennen wollte. Später aber, viel später war es bei dem freundnachbarlichen Verkehr der Bewohner der Neckarburgen geschehen, daß ihm Juliane doch wieder eine stärkere Teilnahme eingeflößt und eine Zeitlang in ihm lebendig erhalten hatte. Dieser Zeit gedachte Hans jetzt und durfte sich gestehen, daß es ihm damals nicht schwer geworden wäre, die lebenslustige, leidenschaftliche Frau rückhaltlos zu gewinnen und innig an sich zu fesseln. Die Ehe mit ihrem verstorbenen Gemahl war sie mehr auf den Wunsch ihrer Eltern, die mit der Verheiratung ihrer noch sehr jungen Tochter große Eile zu haben schienen, als aus wahrer Liebe zu ihm eingegangen, denn Herr Zeisolf, zwar ein ganz ehrenwerter und tapferer Ritter, war gewiß nicht ein Mann nach ihrem Geschmack gewesen. Unansehnlich in seiner äußeren Erscheinung, geizig und grämlich von Gemütsart, zuweilen sogar etwas roh von Sitten und den heiteren Genüssen des Lebens, wie Juliane sie liebte, durchaus abhold, war er nicht imstande gewesen, seiner Gattin das volle Glück zu bereiten, das sie auf der Minneburg zu finden erwartet hatte. Sie lebten in leidlicher Eintracht miteinander, und daß ihm Juliane eine gewisse Anhänglichkeit bewahrte, hatte sie durch ihre Unversöhnlichkeit gegen die Landschaden noch nach seinem Tode bewiesen. War ihr aber schon der Verzicht auf manche äußeren Freuden und auf die Erfüllung dieses oder jenes Wunsches schwerer geworden, als sich bei ihrem begehrlichen Sinn mit ihrer Zufriedenheit vertrug, so war sie für die Entsagung auch auf inneres Glück erst recht eine seelisch zu reich beanlagte Natur. Daher war es nicht zu verwundern, daß schon bei Lebzeiten ihres Gatten ihr Herz für die Erscheinung und Art und besonders für die Huldigung anderer Männer nicht unzugänglich blieb und sich ihrer eine Sehnsucht bemächtigte, die bald eine bestimmte Richtung nahm. Hans Landschad war in seiner stolzen Kraft, mit seinem frohmutigen und liebenswürdigen Wesen ein Rittersmann, ganz dazu geschaffen, vor Frauenaugen und in Frauenherzen Gnade zu finden, wie sie ihm von Juliane zuteil wurde. Es dauerte indessen lange, ehe sich die beiden über ihre gegenseitigen Empfindungen klar wurden. Nur mit kleinen Schritten von einer Vertraulichkeit zur anderen kamen sie sich näher, bis jeder von der Zuneigung des andern überzeugt war, nun auch mit der seinigen kühner hervortrat und endlich beide ihres beglückenden Geheimnisses froh wurden. Nicht mit Worten hatten sie sich verständigt, aber die Augen und die Hände und vor allem die Herzen wußten genug und legten sich fürder nicht mehr Zwang auf, als die Gegenwart dritter erforderte. Einmal aber, als Hans die ihn sehnsüchtig Erwartende eines Tages allein zu Hause traf, waren sie sich in die Arme gesunken, hatten sich geherzt, und geküßt, und Juliane hatte lange selbstvergessen an Hansens Brust geruht. Dann plötzlich waren sie, wie aus einem Traum geweckt, auseinander gefahren: ein einziger Blick von Augen zu Augen hatte ihnen beiden zugleich die Gefahr gezeigt, in der sich die Unbelauschten befanden, und Hans war zur Tür hinausgestürmt, hatte sich aufs Pferd geschwungen und war spornstreichs davon geritten. Bald darauf war die Fehde zwischen Zeisolf und den Landschaden ausgebrochen, die Julianens Gatten zum Gefangenen machte. Solcher Gestalt waren die Erinnerungen, die dem in seinem Sessel grüblerisch vor sich Hinstarrenden aus einer noch gar nicht so fernen Vergangenheit auftauchten, und ihn in wechselvollen Bildern umschwebten. Drei Jahre nur waren seit jenem Augenblick vergangen, da er sich von Juliane losgerissen und, noch die Glut ihrer Küsse auf seinen Lippen fühlend, vor den heißen Wünschen seines und ihres Herzens eilig die Flucht ergriffen hatte, um nicht zum Schelm an einem ritterlichen Genossen zu werden, mit dem er damals noch befreundet war. Nun sollte er sie zum ersten Male wiedersehen. Wie soll er ihr entgegentreten? wie wird sie ihn empfangen? Hat das Blut, das in der Fehde geflossen, alles Geschehene ausgelöscht bis auf die Erinnerung daran? Oder wird bei dem Wiedersehen wie bei dem grell leuchtenden Schein eines Blitzes in der Nacht alles wieder lebendig werden, was eingeschlafen war? Sollte Juliane glauben können, er käme unter dem Vorwande einer geschäftlichen Unterhandlung mit der eigentlichen Absicht, das jäh zerrissene Band nun endlich wieder anzuknüpfen und nun zu unlösbarem Halt? Das wäre ein unseliger, verhängnisvoller Irrtum und von allem das Schlimmste, was ihm dabei widerfahrenkönnte. Doch nein; das war schwerlich zu fürchten. Viel näher lag, daß sie ihm grollte und ihn der Treulosigkeit zieh, denn -- könnte sie zu ihm sagen -- wenn du mich noch liebtest, so wärest du, als ich frei war, gekommen und hättest mich hingenommen; was hinderte uns denn noch, vor Gott und Menschen den Bund für's Leben zu schließen? Damit wäre sie in ihrem Recht, und er hatte alle Ursache, sich um ihre Verzeihung dafür zu bemühen, daß er durch sein früheres Verhalten Hoffnungen in ihr erweckt, an deren Erfüllung er niemals gedacht hatte. Um sie in solchen Hoffnungen nicht noch zu bestärken, hatte er sie seitdem völlig gemieden und auch, nachdem sie Witwe geworden war, nicht ein einziges Mal den Versuch gemacht, sich ihr wieder zu nähern, wie sie es doch gewiß erwartet hatte. Jetzt sträubte er sich gegen eine Begegnung mit ihr, wenn es auch auf der anderen Seite einen großen Reiz für ihn hatte, die wieder zu sehen, die einst, aufgelöst in Glück und Wonnen, an seiner Brust geruht hatte, und die vielleicht heute noch im tiefsten Grunde ihres Herzens sehnsuchtsvoll nach ihm verlangte. Gern wüßte er sie versöhnt, gern hätte er sie wieder zur lieben Freundin; aber beiden mußte jetzt aus ihrem Wiedersehen die peinlichste Verlegenheit erwachsen, und es konnte dabei zwischen ihnen zu Auseinandersetzungen kommen, vor denen ihm wie einem Kinde vor einer harten Züchtigung bangte. Einer leidenschaftlichen Aussprache war allerdings dadurch einigermaßen vorgebeugt, daß Ernst ihn begleiten sollte. Wie aber, wenn die drei Fräulein seinen Neffen, der nicht wußte, wozu er mitgenommen war, aus dem Gemach entführten, ihn selbst mit der einstigen Vertrauten allein ließen und diese nun, nicht dem Wortlaut, wohl aber dem Sinne nach, die Frage an ihn stellte: Wollen wir uns nicht heiraten, Junker Hans? Ein verdammter Auftrag war es und blieb es, den ihm Brüder und Freunde hier aufgezwungen hatten, weil sie, wie er annahm, seine früheren innigen Beziehungen zur Herrin der Minneburg nicht im entferntesten ahnten. Allein er hatte Bligger sein Wort gegeben, zur Friedensstiftung das Seinige zu tun, und mehr hatte jener nicht von ihm verlangt, was Hans sehr lieb war, denn es mochte nun kommen, wie es wollte, eines stand unerschütterlich fest in ihm: heiraten wollte er Juliane nicht, sie nicht und kein Weib unter der Sonne. Mit dem längst um sein Herz gelegten Panzer unbesieglichen Widerstandes gegen die Ehe wußte er sich gegen jede Versuchung stahlhart gewappnet und war endlich auf jede Gefahr hin mutig entschlossen, der schönen Frau morgen in die Augen zu sehen, mochte ihm nun Liebe oder Haß daraus entgegenblitzen. Achtes Kapitel. Die Mittelburg zu Neckarsteinach war mit der Vorderburg durch Gärten verbunden, aber ein tiefer Graben, über den eine Zugbrücke führte, durchschnitt sie der Quere nach und trennte so den einen von dem andern. In einer Gaisblattlaube des zur Mittelburg gehörigen Gartens befand sich am Nachmittage des für Hansens Besuch bei Juliane bestimmten Tages Frau Katharina und winkte von der Höhe herab mit einem Tuche ihrem aus dem Tal heraufreitenden Gatten zu. Dieser bemerkte das Zeichen und erwiderte es vom Sattel aus durch einen lebhaften Handgruß zu ihr empor. Als Herr Bligger bald darauf im Burghof vom Pferde gestiegen war und nun zu seiner Gemahlin in die Laube trat, sagte er: »So! bis zu Laux Rapp habe ich sie gebracht und ihnen da noch einmal Mut zugetrunken.« »Sie hatten's wohl nötig?« lächelte die Burgfrau. »O, sie waren beide guter Dinge,« erwiderte Bligger. »Besonders Ernst war sehr aufgeräumt, und ich habe ihm wacker beigestanden, auch Hans in die rechte Stimmung zu versetzen.« »Ich bin doch froh, daß ich den Weg nicht zu machen habe,« sagte Katharina. »Ich auch!« lachte der Ritter, »und ich gäbe etwas darum, wenn ich heimlich Zeuge sein könnte, wie sich dieses Wiedersehen abspielen wird.« »Nun, Juliane braucht sich der Gäste nicht zu schämen.« »Nein, wahrhaftig nicht! Wie zwei Freier auf der Brautfahrt sahen sie aus, so hatten sie sich herausgeputzt,« versicherte Bligger wohlgelaunt. »Hans trug sein rehbraunes Seidenwams mit den silbergewebten Blumen, und Ernst das blaue, mit Grauwerk verbrämt, und am Gürtel die silberne Rinke, die er von Richilde bekommen hat. Laux Rapp frug mich, als die beiden weggeritten waren: ›Ei, ei, Herr Ritter, nach der Minneburg wollen die Herren in ihren Prachtgewändern? Also darum sorgte Junker Ernst, daß der Ohm zu lange bei den Sinsheimern bliebe! Ist wohl höchlich Gefahr, daß der Dauchsteiner Herr dem Junker Hans bei der schönen Witwe zuvorkommt und das Schlößlein ersteigt? Wäre schade drum; Euer Bruder und Frau Rüdt passen besser zusammen.‹ Welcher Wind hat das dem alten Fuchs nun wieder in die Ohren geblasen?« »Er hört das Gras wachsen, sagen die Leute,« sprach Katharina. »Aber was hast du ihm geantwortet?« »Das, Klügste, was ich wußte,« erwiderte Bligger. »Ich habe ihm die halbe Wahrheit gesagt, damit er die ganze nicht ausplaudert; Frau Juliane wollte ihren Wald einlösen, und dabei müßte es etwas feierlich zugehen, und wenn der Friede zustande käme, so schenkte ich seiner Susanne einen Goldgulden in den Mahlschatz. Übrigens hat mir Hans unterwegs noch fünfzig Gulden von dem Lösegelde zugunsten Julianens abgehandelt, und ich habe nachgegeben.« »Und hast wohl daran getan.« »Käthe!« sagte Bligger, indem er sich vor seine Frau hinstellte und die Hand sanft auf ihre Schulter legte, »wenn Hans und Ernst Juliane und Richilde von der Minneburg heiraten, so heiraten sie auch den Wald mit samt allen Hirschen, die darin schreien, und wir stecken das Lösegeld nur aus einer Tasche in die andere. Hab' ich nicht recht?« »Bis auf das Wenn, lieber Alter!« lächelte die Burgfrau und folgte ihrem Gemahl in den Palas. -- Auf der Minneburg ging es heute, wie alle Tage, fröhlich her. Die drei Mädchen hatten im Zwinger lange Kränze gewunden und waren nun damit beschäftigt, sie in leicht geschwungenen Bögen an Julianens Erker aufzuhängen. Es war kein festlich zu begehender Tag, keine besondere Veranlassung zu diesem Tun, aber Frau Juliane liebte den grünen Waldschmuck zu Häupten ihres Platzes und saß gern unter solchem Baldachin, dessen Gewinde während des Sommers öfter erneuert wurden, wenn die alten verwelkt waren. Sidonie stand auf einer Leiter, um die Gehänge oben an der Wand zu befestigen, Richilde hielt ihr nachreichend dieselben hoch entgegen, und Hiltrud gab ihr nach dem Augenmaße Wink und Weisung, daß ein Bogen dem andern gleich wurde, während Juliane, in einen Faltestuhl bequem zurückgelehnt, dem lustigen Treiben behaglich zuschaute. »Höher hinauf, Sidonie!« rief Hiltrud der Freundin zu; »wenn du das so tief herunterhängen läßt, so reichen wir mit unserem Gewinde nicht; das mußt du dir doch berechnen.« »Ja, wenn ich etwas von Geometrie verstünde, wie Meister Isaak Zachäus,« gab ihr Sidonie zur Antwort. »Zachäus! ja das ist wahr; der könnte uns helfen,« sagte Richilde. »Soll ich ihn holen?« »Du würdest ihn vergebens suchen,« sprach Juliane. »Er ist heute morgen von dannen gezogen.« »Gut, daß er fort ist, der unheimliche Sterngucker! ich traue dem Juden nicht,« sagte Sidonie. »Geht er nun auch nach den anderen Burgen, um Horoskope zu stellen?« erkundigte sich Richilde. »Das hab' ich ihn auch gefragt,« erwiderte Juliane, »aber er verneinte es. Er hätte nur ein Geldgeschäft bei den Chorherren in der Abtei zu Mosbach zu besorgen gehabt und wollte nun wieder nach Heilbronn zurück, sagte er mir und fügte hinzu, die Burgherren behandelten ihn zu schlecht, er hätte sich nur auf die Minneburg gewagt, weil hier eine Frau die Gebieterin wäre.« »Als Beschützerin der chaldäischen Wissenschaft!« lachte Hiltrud. »Bei der aber nichts Vernünftiges herauskommt, als daß man einmal einen Mann kriegen soll, was sich doch ganz von selbst versteht,« kicherte Sidonie oben auf der Leiter. »Heute spottet ihr,« sagte Juliane, »und neulich wart ihr Feuer und Flamme vor Begierde, euer Schicksal zu erfahren.« »Aber wir haben so gut wie nichts erfahren, Mutter!« bemerkte Richilde. »Glaubt Ihr denn wirklich an die Weissagungen des Juden, Frau Juliane?« frug Sidonie. »Da ihm die Sterne über Vergangenes das Richtige gesagt haben, was er anders nicht wissen konnte, so muß ich auch das glauben, was er von der Zukunft enthüllte,« erwiderte Juliane. Hiltrud sprach: »Schade, daß wir ihn nicht auf die Probe gestellt und gefragt haben, ob er wüßte, wann jede von uns ihren Weisheitszahn bekommen hat.« »Sage nur: bekommen würde!« verbesserte Sidonie. Helltöniges, schmetterndes Gelächter belohnte den Ausspruch einer launigen Selbsterkenntnis. Da erschien Weiprecht Kleesattel in der Tür mit einem so grimmigen Gesicht, daß bei seinem Einblick das fröhliche Lachen jäh verstummte. »Gnädige Herrin,« meldete der Alte, »die Junker Hans und Ernst Landschad sind gekommen« Wie eine Feder schnellte Juliane aus dem Sessel empor. »Weiprecht! -- noch einmal! -- wer ist gekommen?« »Die Landschaden von Steinach.« Alles Blut war aus ihrem Antlitz gewichen, sie stand und zitterte, sich mit der Hand am Stuhle haltend. Eine lautlose Stille war in dem großen Gemach; auch keines der Mädchen wagte, sich zu rühren. Dann rief Juliane mit gebieterisch erhobenem Arm: »Tor zu! Brücke hoch! kein Landschad kommt mir in die Burg!« »Sie sind schon drin, im Burghof, von den Rossen gestiegen,« stotterte Weiprecht. »Unglaublich! -- Was wollen sie hier?« »Euch sprechen, gnädigste Frau!« »Ich will sie nicht sehen!« In einem Nu war Sidonie von der Leiter herunter und zu Juliane gesprungen. Deren Hand in ihre beiden nehmend sagte sie: »Doch, doch, Frau Juliane! als Feinde kommen sie nicht. Ihr dürft sie nicht abweisen; hört sie an, was sie wollen; wir bleiben bei Euch, und wenn Euch das Wort versagt und Ihr mir's erlaubt, so habe _ich_ auch noch eine Zunge im Munde.« Auch Hiltrud und Richilde machten sich an Juliane heran und redeten ihr gleich Sidonie freundlich zu. Allen dreien war das Zerwürfnis mit den Landschaden sehr wohl bekannt, aber den Hauptgrund von Julianens Bestürzung ahnte keine von ihnen. Juliane schob die Mädchen beiseite und sagte heftig: »Laßt mich in Ruhe!« Dann durchmaß sie mit raschen Schritten mehrmals die ganze Länge des Raumes auf und ab, und die anderen, die sich erwartungsvoll und scheu beiseite hielten, sahen es ihr deutlich an, daß sie einen schweren Kampf mit sich kämpfte. Endlich blieb sie vor dem eines Bescheides harrenden Burgvogt stehen und frug: »Junker Hans und Junker Ernst? sonst niemand?« »Sonst niemand.« »Führe die Herren herauf!« Weiprecht ging, und Juliane, jetzt vollkommen gefaßt, gebot den Mädchen: »Ihr macht euch mit euren Kränzen zu schaffen und tut ebenso heiter und unbefangen, wie ihr es von mir sehen werdet.« Sidonie lächelte und sprach leise für sich: »Da bin ich doch neugierig!« Zu Juliane sagte sie dann: »Seht nur zu, wie Ihr mit Ohm Hans fertig werdet! Ernst nehme ich auf mich! wir kennen uns!« »Rasch, kommt her!« flüsterte Hiltrud. »Wir setzen uns hier auf die Stufen und binden dies Ende hier auf und dann wieder zu.« »Ja, ja!« sprach ebenso Sidonie, »aber ich muß die beiden sehen können. Richilde hierher, zu mir!« Richilde gehorchte, war aber ganz verwirrt und wußte nicht, was sie tat. Jetzt traten die beiden Junker zur Tür herein und verbeugten sich vor den Damen. Juliane ging ihnen keinen Schritt entgegen und bot ihnen nicht die Hand zum Willkommen. Sie hatte sich mit dem Rücken gegen das Fenster gestellt, so daß Hans, vom Lichte geblendet, nicht bemerken konnte, wie ihr das Blut ins Gesicht stieg, als sie den ritterlichen Mann wiedersah, der einst ihr trauter Freund gewesen war. »Verzeiht, edle Frau,« begann Hans etwas unsicher, »daß wir ohne Ansage bei Euch eingeritten sind, und ich gestehe, daß ich gezögert habe, weil ich nicht wußte, ob ich wohl kommen dürfte.« »Ich hätte allerdings eher geglaubt, daß Burg Schadeck das Neckartal heraufgewandelt käme, als daß Junker Hans Landschad jemals wieder über die Zugbrücke der Minneburg reiten würde,« gab ihm Juliane scharf zur Antwort, doch ihre Stimme bebte dabei. »Hätten wir die Wünsche, die man auf der Minneburg hegt, früher gekannt, so hätte längst einer von uns den Weg hierher gefunden,« erwiderte Hans, um aus der Verlegenheit heraus so schnell wie möglich zur Sache zu kommen. »Von was für Wünschen sprecht Ihr, Junker Hans? Aber nehmt Platz, ich bitte Euch!« sagte sie in unmittelbarem Anschluß an die Frage, indem sie auf die Bank zeigte, die an der Wand entlang lief, und ihren Sessel herumdrehte, um sich selber wieder darin niederzulassen. Jetzt konnte Hans ihre reizende Gestalt und den feinen Kopf mit dem aschblonden Haar und den anmutigen Zügen in voller Beleuchtung sehen, und seine Augen weideten sich an der blühenden Erscheinung, an welcher er keine Veränderung gegen früher wahrnahm. »Also, was meint ihr für Wünsche?« wiederholte sie, da er noch schwieg. »Euren verpfändeten Wald von uns einzulösen,« antwortete Hans. »Wer hat Euch gesagt, daß ich diesen Wunsch hätte?« fuhr Juliane betroffen heraus. »Das habe ich meinem Vater gesagt, gnädige Frau!« mischte sich Ernst ins Gespräch. »Und -- erlaubt mir die Frage, Junker Ernst! -- woher wollt Ihr dergleichen wissen?« wandte sie sich an diesen. »Von mir!« kam es vom Erker her, wo die drei Fräulein mit einer geflissentlichen Emsigkeit an ihren Kränzen herum banden und wanden. Richilde war es, die gesprochen hatte, und deren Wangen nun glühten. »Von dir?« sagte Juliane mit starker Betonung des zweiten Wortes sich zu ihrer Tochter wendend. »Hattest du Auftrag, mit Junker Ernst Landschad von Wünschen zu reden, die ich habe oder nicht habe.« »Auftrag nicht, aber -- aber du hast ihn doch, Mutter, den Wunsch --« »Ach, was weißt du davon!« unterbrach Juliane sie streng. »Mutter! Du hast es mir oft gesagt!« widersprach Richilde sehr erregt. »Heiter! unbefangen, Richilde!« raunte ihr Sidonie halblaut zu mit einem schalkhaften Blick zu Juliane hinüber, die den Spott wohl verstand. Dann rief sie munter: »Ernst, bitte, komm hierher! sei so gut, steige die Leiter hinauf und binde dieses Gehänge an den Haken da oben.« »Schon wieder --?« lachte Ernst, -- wo hinaufklettern! hatte er auf der Zunge. Aber Sidonie ahnte, was er sagen wollte, und fiel schnell ein: »Beruhige dich! diese Zweige sind nicht von den Bäumen Eures Waldes; wir haben nicht ›schon wieder‹ einen Frevel verübt.« Ernst stieg gehorsam die Leiter hinauf, das Laubgewinde zu befestigen, was nicht so rasch vonstatten ging, denn Hiltrud und Sidonie hatten bald dies, bald jenes daran auszusetzen, bis er es ihnen recht machte. Auch Hans und Juliane warfen ein paar überflüssige Bemerkungen dazwischen, um nicht in verlegenem Schweigen dabeizusitzen. Er hatte sich den Empfang, der seiner hier wartete, doch noch schlimmer, noch unfreundlicher vorgestellt, als er in Wirklichkeit ausgefallen war. Nun er über das Peinliche desselben hinaus war, fühlte er sich fast so heimisch wieder in diesen altbekannten Räumen, als hätte er sie gestern erst verlassen, und gab sich widerstandslos dem Zauber hin, den Juliane, trotz ihres abweisenden Benehmens, doch wieder auf ihn ausübte. Auch sie konnte sich der Erinnerung nicht erwehren, was der ihr gegenüber Sitzende ihr einst gewesen war; aber um so mehr auch erbitterte sie der Gedanke, was er ihr jetzt sein könnte, wenn er ihr treu geblieben wäre. Als Ernst von der Leiter wieder herabstieg, fing er einen freundlichen Blick Richildens auf, die ihre Schnalle schon bei seinem Eintritt an seinem Gürtel entdeckt hatte. Sidonien aber war es mit dem kleinen Zwischenspiel glücklich gelungen, einen Sturmausbruch Julianens gegen ihre Tochter in Gegenwart der Gäste zu verhüten. »Ihr hattet keine Kunde von unserem Kommen, gnädige Frau?« nahm Hans das Gespräch mit Juliane wieder auf. »Ihr meint, weil Ihr das Tor nicht geschlossen und die Brücke nicht aufgezogen fandet,« entgegnete sie schlagfertig. »Nein,« sprach er gelassen, aber mit einem lustigen Augenzwinkern, »ich dachte, diese festliche Bekränzung geschähe uns zu Ehren und gehörte zu den Vorbereitungen eines huldreichen Empfanges, bei denen wir Euch leider zu früh überrascht haben.« In Juliane wallte es zornig auf. Wollte er sie in ihren eigenen Ringmauern zum besten haben? Sie kräuselte die Lippen und sagte hochmütig: »Zu früh seid Ihr nicht gekommen, Junker Hans, und noch viel weniger zu spät. Für die Herren Landschaden werden auf der Minneburg keine Kränze gewunden.« »Und ich bin doch mit den besten Absichten zu Euch gekommen,« erwiderte er gutmütig und im Ton eines leisen Vorwurfs. »Mit den besten Absichten!« sprach sie ihm bitter nach. »Sieh da, fast hätt' ich's vergessen; ein Handel führt Euch her. Nun, was verlangt Euer Bruder Bligger für den verpfändeten Wald?« »Nicht die volle Pfandsumme; -- hundertundfünfzig Gulden, wenn Ihr uns den Wildbann darin belassen wollt.« »Mit anderen Worten: Ihr wollt für fünfzig Gulden, die Ihr von der Schuld abstreicht, in meinem Walde, schier unter meinen Augen pirschen und jagen können. Nein, Junker Hans! das wäre von meinen Wünschen sehr weit entfernt,« erklärte sie mit hohnlachender Gereiztheit. »Was soll Euch das Waidrecht? Ihr übt es ja doch nicht aus,« stellte ihr Hans begütigend vor. »Das weiß Junker Ernst besser,« erwiderte sie. »Was Fräulein Richilde mit der Armbrust schießt, soll künftig ungebüßt bleiben,« sprach Ernst. »Also für Reiherfedern wäre gesorgt,« lachte Sidonie. »Wir wollen sie aber nicht geschenkt haben,« sagte Juliane. »Ich wäre glücklich, wenn ich Euch so viel liefern dürfte, wie Ihr gebraucht,« erbot sich Ernst. »Bemüht Euch nicht, Junker Ernst!« wies ihn Juliane herb zurück. »Wir erbeuten sie uns lieber selbst, und drüben im Reiherwald, wo niemand uns pfänden kann, haben wir deren genug.« »Ist die Zurückbehaltung des Wildbannes das einzige, was Euch an unserem Vorschlage mißfällt, gnädige Frau?« frug Hans. »Euer ganzer Vorschlag kommt mir so unerwartet, daß ich über Einzelnes dabei noch gar nicht nachgedacht habe,« erwiderte Juliane. »Unerwartet vielleicht, aber doch nicht ungelegen.« »Es war nicht mein Wille, daß ein leicht hingeworfenes Wort von mir zu Euren Ohren dringen sollte.« »Aber da es nun doch einmal geschehen ist, so hoffe ich, daß Ihr Euch auch die Wirkung desselben gefallen laßt,« sprach er in zuversichtlichem Tone. »Ich fürchte, Ihr täuscht Euch in dieser Hoffnung,« entgegnete sie wegwerfend. »Nennt Eure Bedingungen, edle Frau!« bat er, »wir möchten Euch gern zufriedenstellen.« »Wir einigen uns doch nicht,« gab sie ihm kurz zur Antwort. »Warum nicht? Uns liegt weniger an dem Walde, als --«, er stockte. »Nun als?« frug sie gespannt. »Woran liegt Euch sonst?« »An dem guten Frieden mit Euch,« erwiderte er, etwas leiser sprechend und ein wenig zu ihr geneigt. In ihren Augen blitzte es kampflustig auf. Sie warf einen raschen Seitenblick nach dem jugendlichen Kreise am Erker, und Hans glaubte schon, daß die gefürchteten Auseinandersetzungen nun ihren Anfang nehmen würden. Allein die Gegenwart Ernsts und der Mädchen mochte sie wohl davon zurückhalten, und ihn fest anblickend sprach sie erregt: »Wenn ich nun aber keinen Frieden mit euch will?!« »Dann ist mein Geschäft hier zu Ende,« erwiderte Hans entschieden und erhob sich. Juliane war überrascht und augenblicks reute sie das vorschnelle Wort. So hatte sie es nicht gemeint. Nur mit Bligger wollte sie nicht Frieden machen, den sie haßte, weil sie glaubte, daß er seinen Bruder bestimmt hatte, sich von ihr abzuwenden. Zum Friedensschlusse mit Hans und auch wohl nach zu einem Schritt weiter wäre sie gern bereit gewesen, wenn er die Neigung dazu verraten hätte. Sie hatte ihn nicht wiedersehen wollen, und als sie ihn jetzt dennoch wiedersah, fühlte sie sich ihm gegenüber so schwach in ihrem Herzen, daß sie sich vor sich selber schämte, ihm nicht so feindlich begegnen zu können, wie es ihr Groll auf ihn verlangte. Daher die Heftigkeit und die schneidende Kälte, zu der sie sich zwingen mußte, mit der sie sich schützen und verschanzen wollte, damit er nicht entdeckte, wie hinfällig die Wehrkraft in ihrem Innern gegen ihn war. Doch an das, was sie einst im Geheimen miteinander verbunden hatte, schien der Treulose nicht mehr zu denken und noch weniger daran, das Vergangene zurückzurufen und in der Gegenwart neu zu beleben; denn er hatte immer nur von dem Walde und im Namen der drei Brüder Landschad, nicht von sich selber zu ihr gesprochen. Ob ihre Unterredung wohl eine andere Wendung genommen hätte, wenn sie beide ohne Zeugen gewesen wären? Aber das Alleinsein mit ihr hatte er offenbar vermeiden wollen, sonst hätte er Ernst nicht mitgebracht. Und wenn er ihre soeben hingeworfene Bemerkung auch auf sich beziehen und überhaupt als ihr ernst gemeintes, letztes Wort betrachten konnte, so hatte sie sich, mehr von ihm erwartend, in ihm geirrt. Dann mochte er gehen; sie hatte ihn nicht gerufen, sie wollte ihn auch nicht halten. Fast zugleich mit ihm stand sie auf und sagte mit beißendem Spott: »Ich bedanke, daß Ihr den Weg, auf den Ihr Euch so lange besonnen und gewiß unsäglich gefreut habt, nun leider vergeblich machen mußtet!« Bekümmert sah Ernst, daß sein Oheim im Begriff war, sich zu verabschieden. Doch er konnte es nicht hindern und gesellte sich zu ihm, während die drei jungen Mädchen Julianen umringten. »Ihr wollt es so, und der Wald bleibt unser,« sprach Hans ruhig und bestimmt. Und ohne sich durch Julianens scharfe Herausforderung zu einem ähnlichen Ausfall gegen sie hinreißen zu lassen, fügte er freundlich hinzu: »Oder wollt Ihr unseren Vorschlag doch noch einmal in Erwägung ziehen und uns Botschaft senden, falls Ihr eine andere Entscheidung treffen solltet?« »Wir könnten auch wiederkommen und sie uns holen,« beeilte sich Ernst hinzuzufügen. Darauf antwortete Juliane nicht gleich, denn sie war in einer haltlosen Verfassung. Aber Sidonie, die hinter ihr stand, nickte ihrem Vetter lebhaft zu, und wie er Richilden ansah, begegnete ihm ein strahlender Blick aus ihren Augen, und mit Freuden gewahrte er ihr holdes Erröten. »Auf die Bedingungen Eures Bruders gehe ich nicht ein,« brachte Juliane endlich mühsam hervor. »So bitte ich nochmals, daß Ihr die Eurigen stellt und uns wissen laßt,« erwiderte Hans. Und als sie schwieg, hielt er ihr die Hand hin und sprach: »Lebt wohl, Frau Juliane Rüdt von Kollenberg!« »Lebt wohl!« kam es fast tonlos von ihren Lippen. Sie war marmorbleich. Ihre Hand berührte leicht die seine; aber er merkte nicht, wie sehr diese Hand zitterte, die früher oftmals warm und lange in der seinen gelegen hatte. Auch Ernst reichte jeder der Damen die Hand, und wonnig durchschauerte es ihn, als er Richildens sanften Gegendruck fühlte. Die Landschaden gingen hinaus. Juliane trat an das Fenster ihres Erkers und blickte in das Tal hinab. Die Mädchen sollten nicht merken, wie es in ihr wogte und wühlte. Neuntes Kapitel. Während sich die Junker Hans und Ernst bei Frau Juliane auf der Minneburg befanden, war Isaak Zachäus von dort nach der Mittelburg bei Neckarsteinach zurückgekehrt, ohne den beiden unterwegs begegnet zu sein. In einer langen, geheimen Unterredung gab er Herrn Bligger ausführlichen Bericht über alles, was er auf der Minneburg gesehen und gehört, besonders aber was er dort getan und gesagt und in welcher Weise er den Damen das Horoskop gestellt hatte. Bligger war mit der erhaltenen Auskunft hoch zufrieden und belohnte den Juden mit einem ansehnlichen Geldgeschenk. Zugleich ließ er sich folgendermaßen vernehmen: »Nun habe ich einen neuen Auftrag für Euch, Zachäus. Ihr begebt Euch morgen nach Heidelberg zu dem ~Doctor juris~ Christoph Wiederholt und fragt ihn, ob er wüßte, wer der Fremde im Mönchsgewand gewesen wäre, der ihn vor zehn Tagen spät abends besucht und sich nach dem Recht der Hagestolze bei ihm erkundigt hätte. Weiß es der Doktor nicht, so sagt Ihr es ihm auch nicht. Weiß er aber jetzt, daß ich es war, so ersucht Ihr ihn in meinem Namen, über den Besuch und namentlich über die Veranlassung zu demselben das strengste Geheimnis zu bewahren. Ich habe leider versäumt, ihm Stillschweigen aufzuerlegen, werde es ihm aber reichlich danken, wenn er reinen Mund hält. Das sagt ihm und dann bringt mir Bescheid, was er darauf antwortet.« Isaak versprach, auch den neuen Auftrag zur vollen Zufriedenheit des Ritters auszuführen. Wenig erfreut dagegen war Bligger über den mangelhaften Erfolg, den Junker Hans von seiner Sendung nach der Minneburg aufzuweisen hatte, und tadelte besonders das schnelle Abbrechen der Unterhandlung, die wieder anzuknüpfen durchaus notwendig, nun aber, nach Julianens entschiedener Abweisung dieses ersten Ausgleichsversuches, um so schwieriger wäre. Er forschte seinen Bruder über Julianens Verhalten gegen ihn gründlich aus, das ihm dieser als ein sehr kühles, zum Teil sogar recht schroffes darstellte. Das überraschte Bligger indessen nicht und machte ihm auch keine Sorge, zumal als er hörte, wie warm, fast begeistert Hans das blühende Aussehen Julianens und die Anmut ihrer ganzen Erscheinung rühmte, die also doch wohl so tiefen Eindruck auf ihn gemacht haben mußte, daß sich Bligger von wiederholten Begegnungen der beiden das beste für das Gelingen seines Planes versprechen durfte. Es wurde beschlossen, mit einem zweiten Annäherungsversuch einige Zeit zu warten, ob sich Juliane vielleicht inzwischen eines anderen besinnen und ihrerseits Bedingungen bezüglich der Auslösung des verpfändeten Waldes stellen würde. Dann aber, mochte sie nun Botschaft schicken oder nicht, sollte Hans mit neuen Vermittlungsvorschlägen nach der Minneburg reiten. Er sträubte sich zwar wiederum dagegen, allein Bligger irrte sich nicht, als er wahrzunehmen glaubte, daß die Weigerung seines Bruders diesmal lange nicht so hartnäckig war wie das erstemal. Seinen Sohn Ernst durchschaute der welterfahrene Mann nach wenigen Fragen, die er ihm stellte, und aus deren Beantwortung er die Überzeugung gewann, daß sich die Liebe zu Richilden in Ernst festgeankert hatte und dieser der frohen Hoffnung lebte, Herz und Hand der Erbin der Minneburg zu gewinnen, was ja Bliggers Plänen mit Hans nur förderlich sein könnte. Ernst war völlig der Laune der Verliebten unterworfen. Hochfliegende Hoffnung und nagender Zweifel, ausgelassene Lustigkeit und brütende Schwermut wechselten in seiner Stimmung einander ab, aber schwärmerische Zuversicht zu einem guten Ausgang seiner Herzenssache war doch das vorherrschende Gefühl dabei. Denn die kleinen Zeichen erwiderter Neigung, die ihm Richilde, vielleicht unwillkürlich und absichtslos, gegeben hatte, waren von ihm nicht unbemerkt geblieben und mußten ihm, in ihren Einzelheiten wie in ihrer Zusammenstellung aufs günstigste gedeutet, zur tröstlichen Beweisführung der Erfüllbarkeit seiner Wünsche und zum Unterpfande künftigen Glückes dienen. Bei seinem fast beständigen Zusammensein mit Ohm Hans sprachen die beiden weniger als sonst, hingen vielmehr jeder seinen eigenen Gedanken nach. Ergriff aber nach längerem Schweigen einer von ihnen das Wort zum Meinungsaustausch über einen Gegenstand, der von den eben erst im stillen verarbeiteten Gedanken noch so weit ablag, so dauerte es gar nicht lange, und beide waren mit ihrer Unterhaltung glücklich wieder auf der Minneburg angekommen, sich an diesen und jenen Augenblick, an dieses und jenes kleine Begebnis bei ihrem Besuche daselbst erinnernd, es sich wieder versinnlichend und nach Wunsch und Gefallen auslegend. Und das Merkwürdigste dabei war, daß keinem von beiden dieses sonderbare Spiel des Zufalles, so oft es sich auch innerhalb weniger Stunden wiederholte, zum Bewußtsein kam und daher auch keiner desselben überdrüssig wurde. Josephine wurde jetzt von Ernst sehr vernachlässigt; nur selten traf er mit ihr zusammen und war dann zurückhaltender gegen sie, als er es vor dem Ritt zur Minneburg gewesen war. Sie brachte die meiste Zeit einsam in dem wenig besuchten Garten der Vorderburg zu, und dort suchte er sie eines Tages auf, um doch einmal wieder ein freundliches Wort mit ihr zu reden. Er sah sie regungslos an der niedrigen inneren Ringmauer stehen und, den Kopf auf die Hand gestützt, träumerisch über das Tal hinweg in die Ferne schauen. Sie hörte seine nahenden Schritte nicht, bis er, dicht hinter ihr, sie anrief. Da fuhr sie erschrocken herum und war in einer unsäglichen Verwirrung. »Verzeihe den Schrecken,« sprach er, ihr die Hand bietend, »und erzähle mir den süßen Traum, aus dem ich dich geweckt habe.« Sie lächelte wehmütig. »Ich sah einen edlen Falken fliegen, der stieß auf ein Rebhuhn und hielt es in seinen Fängen. Aber es war ihm zu gering; er ließ es wieder fahren, schwang sich in stolzem Fluge über Tal und Berg und umkreiste ein ragendes Schloß, nach einer köstlicheren Beute spähend. Das arme Rebhuhn aber verblutet sich an den Wunden, die ihm der Falke geschlagen, und kann nicht leben und nicht sterben.« Sie sprach es leise wie im Traum und blickte ihn mit verschleierten Augen sehnsüchtig an. »Josephine!« sagte er nur, bestürzt und ergriffen von des Mädchens kaum verhüllten Liebesgeständnis. Sie wandelte mit ihm einen schattigen Laubgang, und da er schwieg, weil er ihr auf das eben Vernommene nichts zu erwidern wußte, so wollte er, ihrer Unbedachtsamkeit inne werdend, die Bedeutung des ihm Kundgetanen nach Möglichkeit abschwächen, indem sie unvermittelt in einem heiteren Tone begann: »Gebt Ihr etwas auf Träume, Junker Ernst?« »Nicht viel,« entgegnete er. »Desto besser!« sprach sie und versuchte zu lachen. »Ich tue es auch nicht, denn mir ist noch nie ein Traum in Erfüllung gegangen. Man sagt, die Hasen schliefen mit offenen Augen. So habe ich es wahrscheinlich eben auch gemacht; ich habe mit offenen Augen geträumt und ein vorüberschwirrendes Mücklein für einen Falken angesehen, oder ich war im Stehen eingeschlafen, weil mir die Augenlider vor den blendenden Sonnenstrahlen zufielen. Darum vergeßt, was ich geträumt und gesagt habe; es ist nicht der Mühe wert, darüber nachzudenken.« »Wenn du es nur vergessen kannst, Josephine!« erwiderte er teilnahmsvoll. »Ich? o darum macht Euch keine Sorgen!« lachte sie nun freier heraus, obschon es ihr wahrlich nicht zum Lachen ums Herz war. »Was ich nicht in mir dulden will, das werfe ich weit von mir weg, so weit, wie ich diesen Stein hier werfe.« Sie griff einen Stein vom Boden auf und schleuderte ihn in weitem Bogen vom Berg ins Tal hinab. »Seht Ihr? fort ist er, und nie finden wir ihn wieder. So macht man's mit närrischen Träumen. Und nun gehabt Euch wohl für heute! mein Vater wartet auf mich; wir wollen Heilkräuter suchen.« Damit enteilte sie, und es war die höchste Zeit; denn die Kraft ihrer Selbstbeherrschung und Verstellung, mit der sie den ihr erstaunt Zuhörenden durch eine langatmige Gesprächigkeit über ihre wahren Empfindungen zu täuschen suchte, ging zu Ende. Ernst wandte sich noch einmal nach ihr um und murmelte: »Armes Mädchen! ob sie wohl so rasch wie den Stein aus der Hand den Traum aus ihrem Herzen los wird?« -- Isaak Zachäus und seine verkleidete Tochter, deren Geheimnis vor allen anderen außer Ernst vollständig gewahrt blieb, wurden schon als zur Burg gehörig betrachtet, und von einem Aufbruch des vielgewandten, zu mancherlei Diensten brauchbaren Mannes war keine Rede, auch als er längst von Heidelberg wieder zurück war. Von dort hatte er dem Ritter schlimme Kunde heimgebracht. Bligger war, wie er selber wußte, in jener Nacht vom Torwart erkannt worden, und wenn man auch von seiner augenblicklichen Verfolgung Abstand genommen, so hatte doch der Wächter von der vorübergehenden Anwesenheit des als Mönch Vermummten in der Stadt dem Rate Anzeige gemacht, der das Verdacht erregende Begebnis auch dem pfalzgräflichen Hofe mitteilte. Man hatte weiter nachgeforscht und durch die Frau, die der fremde Mönch auf der Gasse angeredet hatte, von seinem Besuche beim Doktor Christoph Wiederhold erfahren. Zu diesem war nun der kurfürstliche Rat Doktor Uffsteiner gekommen, hatte den Rechtsgelehrten über den Anlaß des Besuches ins Verhör genommen und ihm mit peinlicher Befragung gedroht, falls er sich nicht zu erschöpfender Aussage herbeiließe. Infolgedessen hatte Wiederhold eingestanden, daß der Unbekannte seinen Rat wegen des Rechtes der Hagestolze begehrt habe, und hatte die ganze Unterredung mit ihm dem Doktor Uffsteiner zu schriftlicher Aufzeichnung überantwortet mit dem Hinzufügen, daß derjenige, um dessen dereinstige Hinterlassenschaft es sich dabei handelte, durchaus keine Kenntnis von dem Bestehen des genannten Rechtes hätte. So war denn also dem Pfalzgrafen, dem Erbschleicher der Hagestolze, wie Bligger seinen gnädigen Landesherrn nunmehr nannte, die gute Gelegenheit, sich zu bereichern, verraten worden, und der Ritter mußte sich darauf gefaßt machen, daß jener alles aufbieten würde, das ~jus misogamorum~ zu seinen Gunsten auszunutzen. Bligger geriet darüber in eine grenzenlose Wut, und wenn er nach Anhörung von Isaaks Bericht den Wächter des Brückentores zu Heidelberg, den eigentlichen Anstifter des Verrates, gleich zur Stelle gehabt hätte, so wäre dieser kaum mit dem Leben davongekommen. Das Eingreifen des pfalzgräflichen Hofes in die Angelegenheit ließ auch nicht im mindesten auf sich warten, wenngleich die Schritte, die den Zweck hatten, die Verheiratung des hagestolzen Junker Hans zu hintertreiben, Herrn Bligger nur teilweise bekannt wurden. Die Handhabung des heimlichen Widerspiels gegen die Landschaden wurde unter genauer Darlegung des Tatsächlichen dem kurfürstlichen Gaugrafen auf dem Dilsberge, Grafen Philipp von Lauffen, anvertraut, und dieser wußte zunächst nichts Besseres zu tun, als einen Kundschafterritt nach der Schmiedeschenke zu unternehmen, um den ihm wohlbekannten und ergebenen Laux Rapp, der alles und noch ein wenig mehr wußte, über Wege und Stege der Landschaden auszuhorchen. Es hätte so viel einschmeichelnder Herablassung, wie Graf Philipp ihm angedeihen ließ, gar nicht bedurft, um Laux zum Reden zu bringen. Bald wußte der Graf von dem Ritt der festlich gekleideten Junker Hans und Ernst nach der Minneburg und war ganz der Meinung des klugen Schmiedes, daß es sich dabei wohl noch um ganz andere Dinge handeln müßte, als um die plötzliche, mit einem Male nötig gewordene Versöhnung zweier schon so lange getrennter Familien und um die Auslösung eines verpfändeten Waldes. Auf der Minneburg saß eine noch immer jugendliche, schöne und reiche Witwe und wartete auf ihren zweiten Mann, und Junker Hans Landschad war neunundvierzig Jahre alt und konnte sich auch noch als Freier sehen lassen. Hier also war das Ende eines Fadens, an das ein anderer angeknüpft werden mußte. Dieser andere leitete den Suchenden nach der Burg Dauchstein, wo ein ebenfalls noch heiratsfähiger und heiratslustiger Witwer saß, Ritter Bruno von Bödigheim, der, wie der Schmied erzählte, und der Graf auch bereits gehört zu haben sich nun erinnerte, sich um die Hand der Herrin der Minneburg schon bemüht haben sollte. Mit diesen Nachrichten war der Graf vorläufig zufrieden und ritt heim. Nun aber belohnte sich die Gastfreundschaft, die Bligger dem alles beobachtenden Juden erwies. Als Isaak Zachäus mit seinem Sohn im Walde gewesen war, um Heilkräuter zu suchen, hatten sie einen Reiter in ritterlicher Tracht gesehen und von ein paar Kindern, die Beeren sammelten, auf ihre Frage herausgebracht, daß es der Graf vom Dilsberge war, der den Weg von der Schmiedeschenke dahergeritten kam. Am Abend erfuhr Bligger, daß Graf Philipp von Lauffen bei Laux Rapp gewesen war, und der selber in allen Satteln Gewiegte kannte den doppelzüngigen Schmied gut genug, um sich sagen zu können, daß der Graf nun auch von Hansens und Ernsts Ritt nach der Minneburg wußte. Er sann darüber nach, wie er es anfangen sollte, den Gaugrafen von der richtigen Fährte ab und zu der Überzeugung zu bringen, daß es sich dabei nicht um Hans und Juliane, sondern lediglich um die Einleitung einer Verbindung Ernsts und Richildens gehandelt hätte. Das war nicht leicht, denn sie trauten sich beide nicht recht, und Graf Philipp war daher nicht wenig erstaunt, als er eines Tages seinen Burgnachbarn im Tale, Herrn Bligger Landschad, oben auf der Veste Dilsberg bei sich einreiten sah. Der Ritter fiel jedoch keineswegs mit der Tür ins Haus, sondern bediente sich eines glaubwürdigen Vorwandes für seinen unvermuteten Besuch. Unterhalb des Dilsberges war eine Kette über den Neckar gespannt, und der Gaugraf erhob an dieser Stelle im Namen seines Landesherrn von jedem vorüberkommenden Schiff einen Zoll, nach dessen Erlegung erst die Kette auf den Grund des Flusses hinabgelassen und dem Schiffe die Durchfahrt gestattet wurde. Diese Kette machte den Landschaden großen Verdruß, denn auch sie waren genötigt, für das Holz, das sie aus ihren Waldungen in Schiffen und Flößen den Neckar hinab über Heidelberg und Mannheim dem Rhein zuführen ließen, den Zoll zu entrichten, wodurch die trotzigen kleinen Selbstherrscher des Neckartales stets in unbequemer und ihrer Meinung nach demütigender Weise an die Oberhoheit des Landesherrn erinnert wurden. Diesen Umstand griff Bligger als die Veranlassung seines Kommens auf und trug dem Grafen den Wunsch vor, den Wasserzoll ein für allemal abzulösen, damit die Landschaden und demnächst auch die übrigen benachbarten Burgherren gegen eine zu vereinbarende Geldsumme künftig und für alle Zeiten das Recht der freien Durchfahrt für ihre Holzfrachten erwürben. Graf Philipp tat so, als wenn er dem Ritter glaubte, daß er nur deswegen den hohen Dilsberg erritten hätte, und versprach ihm, bei der kurfürstlichen Hofkammer dieserhalb vorstellig werden und ihm den Bescheid ehestens mitteilen zu wollen. Bligger dankte dem Grafen für seine Bereitwilligkeit, das Anliegen befürworten zu wollen und verabschiedete sich gleich darauf. Fast in der Tür schon warf er leichthin: »Übrigens würdet Ihr auch künftig weniger Zoll von uns zu erheben haben, als in den letzten drei Jahren.« »So? wollt Ihr Eure Forsten schonen und weniger schlagen lassen?« frug der Graf. »Das nicht, aber Frau Rüdt von Kollenberg löst ihren großen verpfändeten Wald wieder von uns ein, der uns eine bedeutende Nutzung abwarf,« erwiderte Bligger. Aha! dachte der Graf, jetzt kommt der Fuchs aus dem Loche heraus. »Nun,« sprach er, »da werdet Ihr Euch ein namhaftes Lösegeld zahlen lassen.« »Nein,« sagte Bligger, »nicht auf das Lösegeld kommt es uns an --« »Sondern?« -- der Graf spitzte die Ohren wie ein Spürhund. »Auf Frieden und Freundschaft mit Frau Juliane.« »Mit einem Male?« »Ja, mit einem Male,« sagte Bligger so unbefangen wie möglich. »Allerdings,« fuhr er absichtlich zögernd und mit einem bedächtigen Lächeln fort, »allerdings ist dabei noch etwas anderes im Spiele.« »Eine Heirat?« fuhr der Graf heraus. »Wie gut Ihr doch raten könnt, Lauffen!« rief Bligger. »Ja, eine Heirat! Euch kann man's ja wohl anvertrauen: Fräulein Richilde Rüdt von Kollenberg ist siebzehn Jahre alt und mein Sohn Ernst dreiundzwanzig --« »Macht sechs Jahr Unterschied, -- verstehe, verstehe, Bligger Landschad!« lachte der Graf, »und für die Erbin der Minneburg könnt Ihr den Wald auch ohne Lösegeld hingeben.« »Zumal ihn Julianens Tochtermann dereinstens wiederbekommt mit ihrem Erbe,« fügte Bligger hinzu, in das Lachen des anderen kräftig einstimmend. »Freilich, freilich! eine fürtreffliche Heirat! Aber sagt einmal: glaubt Ihr nicht, daß Frau Juliane selber -- ganz gern wieder --« »Einen Mann hätte, meint Ihr? Ah! -- nein! -- das glaube ich nicht, daß sie daran noch denkt,« wiederholte Bligger treuherzig. »Über die Jahre ist sie doch wohl hinaus, kann ja bald Großmutter sein!« »Da habt Ihr recht; wer wird denn eine Großmutter heiraten?!« lächelte der Graf wieder. »Nicht wahr? Darauf kommt kein vernünftiger Mensch,« fiel Bligger frohlockend ein. »Nein, nein! bewahre! aber die Tochter! das nenn' ich einen guten Fang! wünsch' Euch Glück zu dem Handel, Bligger Landschad!« »Danke! danke, lieber Lauffen! lebt wohl!« »Behüt' Euch Gott, Bligger!« Und die beiden schüttelten sich so bieder die Hände, als hätten sie sich Blutsbrüderschaft geschworen. »Ob er wohl aufrichtig an den Köder angebissen hat und in der Falle drinsitzt?« dachte Bligger, als er zum Burghof hinabging. »Alter Schelm! Du willst mich hinters Licht führen? Warte! die Heirat wollen wir dir anstreichen!« sagte der Graf, als er Bligger aufs Pferd steigen sah. Dann rief er seinem Schildknecht und befahl ihm: »Fassold, morgen in aller Frühe satteln! wir reiten nach Burg Dauchstein.« Graf Philipp von Lauffen hatte doppelten Grund, dem Plan einer Verheiratung des Junkers Hans Landschad entgegenzuarbeiten. Denn daß dieser Plan wirklich bestand und mit oder ohne Wissen des Hagestolzen eifrig gefördert wurde, davon war der Graf nach Bliggers überraschendem Besuch und trotz der dabei gefallenen Äußerungen über Juliane nun erst recht überzeugt. Er mußte nach den Unterweisungen des kurfürstlichen Rates Uffsteiner dem Befehle seines Fürsten gehorchen, und seiner Pflicht, dessen Vorteil überall wahrzunehmen und sein Gut nach Kräften und mit allen Mitteln zu mehren, stand ein geschriebenes Recht zur Seite. Aber in dem vorliegenden Falle tat er es noch besonders gern, denn er war den Landschaden, mit denen ihn sein Amt als Verwalter des Gaues in manche kleine Zwistigkeiten brachte, nicht hold gesinnt und benutzte nun gern die Gelegenheit, sich an den oft widerspenstigen Nachbarn für manche ihm zugefügte Kränkung und hochfahrende Aufsässigkeit einmal empfindlich zu rächen. Als er am nächsten Vormittag auf dem Dauchstein anlangte, wurde er vom Ritter Bruno von Bödigheim sehr freundlich aufgenommen. Bald standen die Becher auf dem Tische, und bei der Unterhaltung über minder wichtige Dinge, die Erwähnung von Jagdabenteuern und Fehdegeschichten brachte Graf Philipp geschickt das Gespräch wie von ungefähr auf die Minneburg und sagte: »Frau Rüdt von Kollenberg will nun auch ihren verpfändeten Wald von den Landschaden wieder einlösen.« »Also endlich!« erwiderte Bruno von Bödigheim, »ich habe es ihr schon lange geraten, denn der Wald ist viel mehr wert, als die zweihundert Gulden, die sie den Landschaden darauf schuldet.« »Hm! mag sein,« meinte der Graf, »Ihr habt ja wohl ein Wort dabei mitzureden. Seid Ihr nicht der Vormund von Fräulein Richilde?« »Nein, sie hat keinen anderen Vormund, als ihre Mutter,« versetzte Bödigheim. »Rüdt hatte vor seinem jähen Ende nicht mehr Zeit, ihr einen besonderen Vormund zu bestellen.« »So, so! dann ist Euch wohl auch noch nicht bekannt, daß sich der junge Landschad, Junker Ernst, Bliggers Sohn, um Richildens Hand bewirbt?« »Nicht das geringste,« versicherte Bödigheim höchst verwundert. »Wißt Ihr das sicher und gewiß?« »Das und noch mehr!« erwiderte der Graf. »Bödigheim! Euer Ritterwort, daß Ihr gegen jedermann, sei es Mann oder Weib, verschweigen wollt, was ich Euch heute sagen werde?« »Mein Wort darauf!« und er schlug in des Grafen Hand. »Also hört! Auf der Minneburg wird, -- wenn nichts dazwischen kommt -- bald Doppelhochzeit sein. Ernst freit um die Tochter, und Hans Landschad um die Mutter, Frau Juliane.« »Lauffen! seid Ihr bei Sinnen?« fuhr Bödigheim auf und rückte mit dem Stuhle vom Tische zurück. »Ach, das sind ja Mären und Schnurren!« rief er dann und brach in ein lautes Gelächter aus, das aber viel zu gezwungen klang, um nicht die innere Unruhe des Lachers zu verraten. »Lacht nur!« sagte der Graf ruhig, »wahr ist es doch.« »Nein! nein, sag' ich! Hans Landschad, der Ehehasser, der eingefleischte Hagestolz! bedenkt doch --« »Eben! der Hagestolz!« unterbrach ihn der Graf. »Bödigheim, habt Ihr schon einmal von einem Recht der Hagestolze gehört?« Der Ritter rieb sich die Stirn. »Von einem Recht der Hagestolze; wartet mal --« »Ich will Eurem Gedächtnis zu Hilfe kommen,« sagte der Graf. »Wenn ein einläufiger Mann fünfzig Jahr, drei Monat und zwei Tage alt wird und stirbt, so fällt seine Hinterlassenschaft nicht an seine Blutsfreunde, sondern an den Landesfürsten. Erinnert Ihr Euch nun vielleicht?« »Ja, ja! so war's; jetzt dämmert es in mir auf; vor langen Jahren hab' ich einmal so etwas gehört.« »Besinnt Ihr Euch?« lächelte der Graf. »Nun, Hans Landschad ist neunundvierzig Jahr alt und soll, um dem Recht der Hagestolze zu entgehen, Frau Rüdt von Kollenberg heiraten. Bligger will es so.« »Bligger? Das sieht ihm ähnlich! Nun glaub' ich Euch; der bringt alles fertig; das Wetter schlage drein!« knirschte der Burgherr. »Ruhig Blut, Bödigheim!« ermahnte der Graf. »Ich sagte: wenn nichts dazwischen kommt!« Bödigheim war aufgesprungen und schritt im Zimmer auf und ab. »Ihr hört nicht,« fuhr der Graf fort. »Mich dünkt, ich weiß noch einen, der auf die Hand der schönen Witwe hofft.« »Noch einen?« schrie der tief Erregte. »Wer, wer noch?« »Wenn ich nicht irre,« lachte Philipp, »so war es mein edler Freund Bruno von Bödigheim.« Der Ritter blieb mit offenem Munde und weit offenen Augen vor seinem Gaste stehen. »Wer hat Euch das gesagt?« frug er verblüfft. »Ein kohlschwarzer Rabe raunte es mir im Walde von einer alten Eiche zu,« erwiderte der Graf. »Hat er gelogen?« »Nein!« sagte Bödigheim kurz und fest. »Nun, so geht hin und nehmt den Landschaden die schöne Beute vor der Nase weg,« sprach der Graf. »Ist bald gesagt,« brummte der andere, »meine Hoffnung ist gering.« »Ihr werdet doch einem alten Junggesellen und Ehehasser die Spitze bieten können?« Bödigheim zuckte die Achseln. »Wer weiß, ob Frau Juliane einen Witwer mag!« »Warum nicht?« sagte der Graf, »ist sie doch selber Witwe, und Ihr seid jünger, als Hans. Und dann noch eins. Wenn Ihr einigen Einfluß auf sie habt, so ratet ihr, den Wald nicht einzulösen. Ich will Euch auch sagen, warum. Nicht Juliane, sondern ihre Tochter Richilde ist die Erbin der Minneburg nebst allem Zubehör, und wenn Ihr auch die Witwe heiratet, so bekommt Ihr den Wald doch nicht, sondern der bekommt ihn, der die Tochter freit. Behalten ihn aber die Landschaden und Hans stirbt als Hagestolz, so erbt ihn, zu einem Drittel wenigstens, der Pfalzgraf, und dann will ich schon dafür sorgen, daß er ihn Euch, als dem nächsten Grenznachbar, für ein billiges zu Lehen gibt.« »Und darauf soll ich warten?« entgegnete Bödigheim, »Ihr tut gerade so, als wenn Hans schon in den letzten Zügen läge.« »Wir sind alle sterblich; denkt an Zeisolf! wer konnte voraussehen, daß der so früh ins Gras beißen müßte?« sprach der Graf. »Oder seid Ihr mit den Landschaden so befreundet, daß Ihr ihnen von Herzen das Beste gönnt, die schöne, liebreizende Frau, die hübsche Tochter mit dem ganzen reichen Erbe, der großen, herrlichen Burg, den Wäldern und Feldern und allem, was weit und breit dazu gehört? wie? gönnt Ihr das alles den hochmütigen Landschaden?« »Schockschwerenot, nein! und nochmals nein!« fluchte Bödigheim und schlug mit der Faust auf den Tisch, daß es krachte. »Niemand weniger, als denen! hol' sie alle der Teufel!« »Nun also!« lachte Graf Philipp. »Dann rat' ich Euch, laßt Euer Rößlein traben, daß Ihr nicht zu spät kommt und das Nachsehen habt.« »Euer Rat ist gut, Lauffen!« erwiderte der Heißgemachte, »ich werde ihn mir durch den Kopf gehen lassen.« »Nicht zu lange, Bödigheim! ich hoffe, bald gute Kunde von Euch zu vernehmen, und wenn Ihr mich brauchen könnt, so zählt auf mich! Wir zwei wollen zusammenhalten,« sprach der Graf beim Abschied. »Das wollen wir, Lauffen! habt Dank und auf Wiedersehen!« sagte Bödigheim. »Dilsberg und Dauchstein, allweg in Eintracht!« »Dilsberg und Dauchstein! die Losung gelte!« Zehntes Kapitel. Engelhard von Hirschhorn hatte sich bei der Beratung der befreundeten Ritter auf der Mittelburg dazu erboten, den damals abwesenden Albrecht von Erlickheim in den gefaßten Beschluß, daß Hans Landschad Frau Juliane Rüdt von Kollenberg heiraten sollte, unter dem Siegel der Verschwiegenheit einzuweihen und zur gelegentlichen Unterstützung dieses Vorhabens aufzufordern, hatte sich aber des freiwillig übernommenen Auftrages noch immer nicht entledigt. Endlich schritt er zur Ausführung desselben und ritt eines Nachmittags von Zwingenberg nach Burg Stolzeneck hinüber. Dort begehrte er den Burgherrn allein zu sprechen zur großen Verwunderung von dessen Gattin Elisabeth, einer hübschen, lebhaften und klugen Frau, die in ihrer glücklichen Ehe nicht daran gewöhnt war, daß ihr Gemahl Geheimnisse vor ihr hatte. Sie machte daher ihr Recht, alles zu wissen, was Albrecht anginge, den Männern gegenüber auch heute geltend, kam aber nicht damit durch. Engelhard behauptete mit höflich scherzender Wichtigkeit, daß es sich um Dinge handelte, die durchaus nicht für zarte Frauenohren taugten und unter Männern allein abgemacht werden müßten. Diese höchst verdächtigen Andeutungen, die den gewagtesten Vermutungen freies Spiel ließen, reizten Elisabeths Neugier noch mehr. Sie faßte sofort Mißtrauen gegen Engelhard, der sich zwischen sie und ihren Gatten drängte und Albrecht am Ende zu Dingen verführen wollte, die man ihr nicht mitzuteilen wagte. Nachdem sich die beiden Männer in ein anderes Gemach begeben hatten, nahte sich der einem vergeblichen Raten Überlassenen der böse Feind und flüsterte ihr die Versuchung ins Ohr, ein wenig zu horchen, eine Versuchung, der Frau Elisabeth nach nicht allzulangem Widerstande auch richtig unterlag. Auf den Zehen schlich sie über den Estrich des Ganges zu dem verschlossenen Zimmer, schmiegte behutsam den Kopf an die Tür und lauschte. Sie hörte sprechen und erkannte Engelhards Stimme, der ohne von Albrecht unterbrochen zu werden, diesem etwas auseinanderzusetzen schien, das wohl nicht leicht zu begreifen sein mochte, und von dem sie leider nur einzelne, abgerissene Worte verstehen konnte. »... drei Monate und zwei Tage alt ...« Mein Gott! ein Kind! dachte Elisabeth, aber wessen? doch nicht --? »... stirbt ... Erbe verloren ...« Wer stirbt? wessen Erbe ist verloren? Nun kamen ein paar Worte Lateinisch, darauf wieder Deutsch: »... einzige Mittel ... Hagestolzenrecht ... heiraten ...« Dann lachten beide Männer und sprachen durcheinander, dann Engelhard wieder allein: »... die höchste Zeit ... verschwiegen bleibt ...« Nach einer längeren und leiser gesprochenen Rede Engelhards, an deren Schluß die Lauschende das Wort »Minneburg« zu verstehen glaubte, brach plötzlich Albrecht in ein schallendes Gelächter aus und rief unvorsichtig laut: »Hans Landschad und Juliane Rüdt von Kollenberg!« und wieder lachten beide Männer unbändig. Das war zuviel. Elisabeth hielt sich beide Ohren zu und schlüpfte eilends in ihr Gemach. Sie hatte es deutlich gehört: »Hans Landschad und Juliane Rüdt von Kollenberg!« Barmherziger Himmel! was hatten diese beiden getan, das verschwiegen bleiben mußte? Juliane war ihre beste Freundin. Sie hatte sie freilich lange nicht gesehen; aber das -- das war ja ganz undenkbar. Sie wollte hin zu ihr, mußte sie sehen, sie fragen -- Da traten die Herren zu ihr ins Gemach und waren beide sehr aufgeräumt und lustig. Besonders Albrecht schüttelte zuweilen mit dem Kopf und lächelte still in sich hinein. Elisabeth aber brannte vor Neugier und mußte sich den äußersten Zwang antun, um unbefangen zu erscheinen und ein harmloses Gespräch mit den beiden führen zu können. Sie war froh, daß Engelhard bald darauf Urlaub nahm. Als Albrecht, der den Freund in den Burghof hinabbegleitet hatte, zurückkam, wartete Elisabeth ein Weilchen, ob er den Mund öffnen und beichten würde. Da dies aber nicht geschah, begann sie: »Nun, Albrecht? Du schweigst? willst du mir nicht sagen, was Engelhard hergeführt hat?« »Nein, Liebchen!« erwiderte er, »ich darf es nicht, so gern ich's auch täte.« »Nun, du weißt doch wohl, daß ich schweigen kann.« »Gewiß; aber ich kann es auch.« »Deiner Frau darfst du nichts verschweigen.« »Ausgenommen, wenn ich es einem anderen versprochen habe.« »Das wäre ein höchst törichtes Versprechen, ein mich im höchsten Grade beleidigendes Versprechen. Mann und Frau sind eins, und keiner darf vor dem anderen ein Geheimnis haben,« sagte Elisabeth schon etwas erregt. »Kein eigenes,« erwiderte Albrecht, »aber ein fremdes?« »Auch kein fremdes. Ich muß es wissen, und ich will es wissen! da gilt keine Ausrede. Du mußt es mir sagen! unter allen Umständen. Ich verlange es, Albrecht, und ich habe ein Recht, es zu verlangen!« rief sie unwillig und stampfte mit den Füßen auf den Boden. »Kleiner Trotzkopf!« lächelte er, »wie willst du mich denn zwingen?« »Albrecht, du bist abscheulich!« sprach sie und fing an zu schluchzen. »Du hast kein Vertrauen zu mir, du hast mich nicht mehr lieb; sonst könntest du nicht so hartherzig sein und mich vergeblich bitten lassen. O ich arme, unglückliche Frau!« Sie wandte sich von ihm weg, verhüllte das Gesicht und weinte wirkliche Tränen. »Ein rechtes Närrchen bist du!« lachte Albrecht, »komm mal her!« »Nein! ich komme nicht, ehe du nicht versprichst, mir alles zu gestehen,« schmollte sie. »Laß mich!« wehrte sie ihn ab, als er sie umfangen wollte. »Dann kann ich dir nicht helfen,« versetzte er ruhig und tat so, als ob er das Zimmer verlassen wollte. Da sprang sie schnell herum, hatte im Nu die Arme um seinen Nacken geschlungen, blickte mit ihren sammetweichen, feuchtschimmernden Augen tief innig in die seinen und bat und flehte: »Albrecht, lieber, guter Herzensmann! sage mir's doch! Sieh', du kennst mein Herz bis in seine kleinsten Falten, nie habe ich dir das geringste verschwiegen und verhohlen; wie kannst du nun so grausam sein, vor mir etwas zu verbergen? Wie hoch soll ich schwören, daß ich's keiner, keiner Menschenseele wiedersagen will?« Er drückte sie zärtlich an sich, küßte sie auf ihr duftiges, braunes Haar und sagte »Liebes Herzenskind! ich kann es doch nun einmal nicht; finde dich darein!« Rasch machte sie sich von ihm los. »Du willst nicht? Du willst wirklich nicht?« sprach sie in einem plötzlich ganz veränderten, keck herausfordernden Tone, »gut, so will ich dir nur sagen, daß ich schon alles weiß!« »So! und woher, wenn ich fragen darf?« »Ich habe gehorcht.« »Lisbeth! Du hast gehorcht?!« »Ja!« »Schäme dich, Lisbeth!« »Schäme du dich, daß du mich in die Lage bringst, horchen zu müssen, dadurch, daß du mit Engelhard Geheimnisse vor mir hast! und was für welche! -- Von einem Kinde habt ihr gesprochen! gesteh' es!« »Von einem Kinde?« »Ja, das drei Monat und zwei Tage alt ist und sterben oder enterbt werden soll.« Statt aller Antwort fing Albrecht laut an zu lachen. »Gelacht habt ihr auch, Du am meisten,« fuhr sie empört fort, »und es ist doch etwas Schreckliches, was ihr da verhandelt habt, eine bitterböse Geschichte, wenn's wahr ist --« »Was denn?« frug er noch immer lachend. »Was denn? O -- ich habe auch Namen gehört, ganz deutlich gehört! Und weißt du, welche? -- Hans Landschad und Juliane Rüdt! Albrecht, ich bitte dich um Gotteswillen, was ist geschehen? laß mich nicht raten; sage mir's lieber!« »Zur Strafe dafür, daß du gehorcht hast, müßte ich dich eigentlich der Qual deiner Neugier überlassen,« erwiderte er. »Aber da du nun einmal die Namen weißt, um die sich alles dreht, so muß ich dir wohl oder übel mehr vertrauen, damit du nicht auf unrechte Gedanken kommst. Also Hans Landschad und Juliane Rüdt --« »-- sind in einem üblen Gerede und sollen Buße tun.« »Ach was! dummes Zeug! heiraten sollen sie sich!« platzte Albrecht heraus. »Das habe ich schon gemerkt. Aber warum sollen sie sich heiraten?« »Damit Hans eine Frau und Juliane einen Mann kriegt.« »Aber sie gelten doch als unversöhnliche Feinde.« »Sie waren bisher Feinde und haben sich seit drei Jahren nicht gesehen.« »Seit drei Jahren nicht gesehen?« wiederholte Elisabeth mißtrauisch; »auch nicht ein einziges Mal?« »Auch nicht ein einziges Mal; verlaß dich darauf!« »Und was ist das mit dem Hagestolzenrecht?« »Auch das hast du aufgeschnappt?« frug Albrecht erschrocken. »Du hörst es; also nur heraus mit der Sprache!« »Weib! vor dir ist doch kein Geheimnis sicher. Also auch das noch: wenn Hans fünfzig Jahr, drei Monat und zwei Tage alt wird und als lediger Mann stirbt, so fällt seine Hinterlassenschaft als Erbe an den Pfalzgrafen. Das nennt man das Recht der Hagestolze.« »Und nur um dieses Recht nicht gegen sich in Anwendung kommen zu lassen, will Hans Julianen heiraten?« »Zum Kuckuck, ja!« »Ein feiner Grund, das muß ich sagen!« höhnte Elisabeth. »Nun, ist denn das nicht Grund genug, wenn sie sich außerdem noch lieben?« »Tun sie das denn?« »Weiß ich nicht; ist auch ihre Sache.« »Kennt sie den wahren Grund, warum er sie heiraten will?« »Ei bei Leibe nicht! das wäre noch schöner!« lachte Albrecht. »Hat er schon um sie geworben? und hat sie schon eingewilligt?« »Weiß ich auch nicht, glaube ich aber nicht. Nun weißt du das ganze Geheimnis, und wenn du ein Wörtlein davon verlauten läßt, so -- so sage ich dir in meinem Leben nichts wieder!« »Du hast mir gar nichts gesagt. Was ich weiß, habe ich alles erraten.« »Erlauscht, sage nur!« »Nun ja, meinetwegen, erlauscht!« »Willst du das auch nie wieder tun?« »Willst du auch nie wieder ein Geheimnis vor mir haben?« Und sie sanken sich lachend in die Arme und feierten eine zärtliche Versöhnung. Am anderen Morgen, als Albrecht auf die Jagd gegangen war, schickte Elisabeth durch einen Knecht ein Brieflein an ihren Bruder Bruno von Bödigheim auf Dauchstein, des Inhalts: »Spute dich, mit Julianen ins reine zu kommen! Ein anderer wirbt um sie. Elisabeth.« -- Während sich Gefreunde und Gegner mit Junker Hans beschäftigten, die einen seine Verbindung mit Juliane möglichst zu fördern, die andern sie nach Kräften zu hintertreiben suchten, saß er selbst still und zufrieden auf seiner Burg, ohne im entferntesten zu ahnen, wie fleißig hinter seinem Rücken an seinem Glücke geschmiedet wurde. Von allen Mitwirkenden ward es sorgsam vor ihm verschwiegen; nie hörte er die leiseste Anspielung darauf, wohin er auch kam und mit wem er auch zusammentreffen mochte. Noch weniger aber drang in sein hochgebautes Felsennest die geringste Kunde von der Möglichkeit, daß in diese halb vernachlässigten Räume eine Herrin einziehen und kraft ehelicher Gewalt mit Ordnungs- und Schönheitssinn hier walten und schalten könnte. Burg Schadeck war ein rechter Junggesellenhort, denn Hans litt keinen verheirateten Menschen um sich, weder vom männlichen, noch vom weiblichen Geschlecht. Marx Drutmann, der des Junkers Waffenmeister, Marschalk und Schildknecht in einer Person war und die Aufsicht über Tor und Mauern, über den Stall und die Knechte führte, war auch in seinen jüngeren Jahren nie beweibt gewesen, und Ursula, die dem kleinen Hauswesen, der höchst einfachen Küche und dem wohlbestellten Keller als Schaffnerin vorstand, war eine ganz alte Jungfer. Außer dem edlen Weidwerk, einem fröhlichen Fehderitt und einem vollen Becher liebte Hans noch zwei Dinge: das Schachspiel und das Harfenspiel. Er besaß ein sehr kostbares Schachspiel, das in London angefertigt war, und das er einst zu hohem Preise von einem Heilbronner Kaufmann erstanden hatte. Das Brett, dessen goldumrandete Felder teils aus Silber mit zierlich eingegrabenen Blumen und Blattwerk, teils aus zusammengesetzten Stücken von rotem Jaspis bestanden, war so groß, daß es füglich als Schild zur Deckung des Leibes dienen konnte, und hing, wenn es nicht benutzt wurde, mit zwei starken Ringen an in der Wand eingeschlagenen Haken. Die Figuren, aus Walroßzahn geschnitten, die einen weiß, die andern rot gebeizt, waren faustgroß und so schwer, daß sie nicht zu verachtende Wurfgeschosse abgeben konnten. König und Königin saßen zu Pferde, die Rössel oder Springer waren Ritter, die Alten oder Läufer waren Bischöfe, die Rochen turmtragende Elephanten. Hans war ein leidenschaftlicher Schachspieler, jeder Partner war ihm dabei recht, aber wenige waren ihm darin gewachsen. Es gewährte ihm eine kindliche Freude, wenn er Schach und Abschach bieten konnte, und er hatte sich außer den gebräuchlichen Zabelworten kleine, sinnreiche Sprüchlein angewöhnt, die er dem Gegner zum Trost oder zum Spotte vorsagte, wenn er ihm mit einem geschickten Zuge eine Figur nahm. Wenn er aber, was ja meistens der Fall, allein war, so griff er gern zu dem Gegenstande, der ihm unter allen seinen Habseligkeiten am höchsten im Werte stand und ihm von seinen Brüdern zur Aufbewahrung anvertraut worden war. Das war die kleine Harfe des Minnesängers Bligger von Steinach aus der glanzvollen Zeit der Hohenstaufen. Sie war fast zweihundert Jahr alt und eine sogenannte Schwalbe, ein dreieckiger, mit kunstloser Schnitzerei verzierter Holzrahmen, in dem nur zwölf Saiten gespannt waren; aber die Landschaden hielten wie das Andenken, so auch dieses Erbstück des Ahnherrn gleich einem Heiligtum in Ehren. Sonst besaßen sie nichts mehr von ihm, nichts Handschriftliches und leider auch nicht jenes berühmte, große Gedicht, »Der Umhang«, von dem zeitgenössische Minnesänger, vor allen Gottfried von Straßburg, in Ausdrücken des höchsten Lobes sprechen, daß die Worte darin von den Fittichen der Laute wie Adler emporschwebten und die Reime wie geworfene Messer zum Ziele flogen. Der Umhang bedeutete einen Wandteppich, dessen Stickereien als lebende Bilder und fortschreitende Handlung in dem verlorengegangenen Gedicht geschildert und erzählt waren. Ein paar von einer späteren Hand aufgeschriebene Lieder des Sängers bewahrten die Nachkommen noch, und Hans summte sie leise vor sich hin, wenn er einsam die alten Saiten schlug und sich an dem Spiel erfreute, in dem er es zu einer ziemlichen Fertigkeit gebracht hatte. Zumeist verdankte er diese Kunst wunderlichen Gästen, die ungeladen bei ihm vorsprachen, aber ihm stets willkommen waren, -- fahrenden Spielleuten. Keiner dieser Unsteten, Heimatlosen ward am Burgtor abgewiesen. Er bewirtete sie und beschenkte sie; sie mußten ihn im Saitenspiel unterweisen, ihm etwas vorspielen und singen, und von ihren Wanderfahrten erzählen. Wenn Hans mit einem Spielmann beim Becher saß, so vergaß er, daß er ein hochangesehener Burgherr und Ritter war und jene nur bettelarmes, vogelfreies Volk, das auf der Landstraße wohnte und hinter dem Zaune schlief. Dann regte sich in ihm das alte fröhliche Sängerblut Bliggers von Steinach, dann stimmte er lustig mit ein und spielte und sang und trank mit seinem Gaste bis in den grauenden Morgen hinein. Das wurde unter dem Vagantentum Schwabens und der Pfalz bald bekannt, und Sommer und Winter kehrte manch einer, der die Fiedel strich oder die Laute schlug und singen konnte, -- trinken konnten sie alle -- bei dem gastfreien Junker Hans Landschad von Steinach auf Burg Schadeck im Neckartal ein, wo keine strenge Hausfrau den Anklopfenden von der Stelle wies oder dem nächtlichen Gelage Einhalt gebot. -- Die Tage vergingen, ohne daß eine Botschaft von Julianen eintraf, worüber Bligger sehr ungeduldig wurde. Um über alle Abmachungen wohl unterrichtet und auf jeden Anschlag der pfalzgräflichen Hofkammer oder des Gaugrafen in Angelegenheit des Hagestolzenrechtes vorbereitet und dagegen gewappnet zu sein, ließ er sämtliche Verschreibungen und Briefe der Mittelburg von Isaak Zachäus genau durchsehen und sich von ihm Auszüge daraus anfertigen. Der Vertrag über die Verpfändung des zur Minneburg gehörigen Waldes war einfach und bestimmt in seinem Wortlaut und konnte zu einer verschiedenartigen Auslegung keinen Anlaß geben. Aber Bligger wollte sich auch endlich einmal darüber klar werden, was von dem Grund und Boden unter dem Banne der Steinachs eigentlich Wormsisches und Speierisches Lehen und was ihr freies Erbgut wäre. Das Geschlecht der Landschaden saß schon so lange im ungestörten Besitz, und eine Erledigung der Lehen durch Aussterben des Mannesstammes war in Ansehung der in der Familie aufwachsenden Nachkommenschaft so wenig zu befürchten, daß sich keiner von ihnen um diese Rechts- und Lehensverhältnisse gekümmert hatte und die Grenzen der einzelnen, zu einem großen Ganzen vereinigten Gebietsteile recht kannte. Ferner wollte Bligger über die Einsetzung des Neckarzolles am Dilsberge, wo die Kette über den Fluß gespannt war, und über seine Verpflichtungen gegenüber den pfalzgräflichen Ansprüchen Genaueres wissen. Das alles sollte ihm Isaak Zachäus aus den Urkunden ausziehen und übersichtlich zusammenstellen. Ernst wußte, daß der dienstbeflissene Gast seines Vaters mit dieser langwierigen Arbeit beschäftigt war und leistete ihm eines Tages dabei Gesellschaft, um sich von ihm über den Inhalt und Wert der vorhandenen Urkunden unterrichten zu lassen. Mit anerkennenswerter Ausdauer hielt der künftige Erbe dieser zahlreichen Besitztitel bei der trockenen Erklärung derselben aus; aber endlich ward er dessen überdrüssig. Er ging daher gegen Abend nach Burg Schadeck hinauf, um sich mit Ohm Hans die Zeit auf angenehmere Weise zu vertreiben. Wie groß war aber sein Erstaunen, als er beim Eintritt in das Zimmer des Oheims diesen mit Josephinen am Schachbrett sitzen sah. »Kommst eben recht!« rief ihm Hans entgegen, »hier kannst du einen Schachspieler sehen, der seinen Meister sucht.« »Ich wußte nicht, daß Joseph sich darauf versteht,« erwiderte Ernst. »Laß dir von Williswinde einen Becher bringen und setze dich zu uns,« sagte Hans. »Kannst mir auch ein wenig helfen, denn allein werde ich mit diesem jungen Hebräer kaum fertig. Sieh nur, wie er mich schon in die Enge getrieben hat!« Die sehr hübsche junge Zofe, die sich Hans zu seiner Aufwartung erkoren hatte, brachte einen Becher, und Ernst nahm als Dritter Platz an dem Tische, auf welchem schon ein Krug und zwei Becher standen. Um die Spielenden nicht zu stören, unterdrückte er die Frage, wie sich die beiden zusammengefunden hatten, und betrachtete sich das Spiel. Dieses stand nicht gut für Hans, denn er hatte schon mehr Figuren eingebüßt, als sein Gegner. Tiefe Stille herrschte im Gemach, niemand sprach. Als sich aber Josephine einmal sehr lange besann, ehe sie zog, sagte Hans, der sein Wams abgestreift hatte: »Uff! mir wird es immer heißer, und diesem Jüngling da scheint es noch so kühl zu sein, daß er nicht einmal seinen langen Rock ausziehen will, hier unter uns Männern.« Josephine wagte nicht, Ernst anzusehen, der allein den Grund ihrer Weigerung kannte. Er erwiderte dem Oheim: »Es ist ein Gewitter im Anzuge, daher die Schwüle, aber Joseph geht immer in dieser Tracht.« Jetzt tat Josephine ihren Zug mit einem Läufer; doch es war kein glücklicher. Mit seinem Springer schlug Hans den Läufer und sprach dabei: »Der Bischof komme nie dem Ritter ins Gehege, Weltliches Schwert weist geistlichem die Wege. Das war während des ganzen Spiels der erste falsche Zug, den du getan hast,« setzte er hinzu. Es schien in der Tat, als ob Josephine dem Spiele nicht mehr ihre ganze, ungeteilte Aufmerksamkeit zuwendete, seit Ernst hinzugekommen war. Sie sah öfter zu ihm auf, statt das Brett im Auge zu behalten. Ernst ermahnte sie: »Gib acht, Joseph! merkst du nicht, wie Junker Hans deiner Königin immer schärfer zu Leibe geht?« »Laßt ihn nur!« sagte Hans, »er spielt besser als du.« Josephine nahm sich nun wieder mehr zusammen, und Zug um Zug wurde von den beiden mit der bedächtigsten Vorsicht ausgeführt. So wie das Spiel stand und sich unter den geübten Händen wenig veränderte, war ihm kein Ende abzusehen, und es wurde schon dämmerig im Gemache. »Wollt ihr das Spiel nicht heut abbrechen und morgen fortsetzen?« frug Ernst. »Nein!« rief Hans, die Hand am Rochen, den er bewegen wollte, »ehe nicht einer von uns matt ist, hören wir nicht auf.« »Aber es dunkelt schon, und wenn das Gewitter losbricht, so wird es ein übel Ding um den Heimweg für Joseph und mich,« bemerkte Ernst. »Dann bleibt ihr die Nacht hier.« »Das geht nicht, Ohm!« »Warum nicht?« erwiderte Hans, immer noch in die Berechnung seines beabsichtigten Zuges vertieft, »das Bett in meinem Gastzimmer ist groß genug für euch beide, werdet euch hoffentlich darin vertragen.« Ernst sah, wie Josephine erbebte, und konnte auch noch ihr tiefes Erröten bemerken. Dann traf ihn ein Blick aus ihren Augen, aus dem Schreck und Angst und doch auch volle, hingebende Liebe sprachen. Es durchschauerte ihn, aber nach kurzem Besinnen sagte er: »Wir können nicht hierbleiben, Ohm. Isaak Zachäus würde um Joseph in große Sorge geraten; ich muß ihm seinen Sohn heimbringen.« »Ei, bist du ein so verzärtelt Muttersöhnchen, daß dich der Alte nicht von sich lassen darf?« lachte Hans. »Junker Ernst hat recht, Herr,« erwiderte Josephine schüchtern; »laßt uns das Spiel aufgeben.« »Nichts da!« sprach Hans, »hier paß auf! -- Schach!« Dann rief er mit dröhnender Stimme: »Williswinde! Wein her! aber anderen, besseren, der den jungen Herren ein wenig ins Blut geht, damit sie gut schlafen! Sie bleiben die Nacht hier; rüste das Gastzimmer für sie!« Williswinde gehorchte flink dem Befehle ihres Herrn und brachte Wein und brennende Kerzen nebst einem Imbiß von Brod und kaltem Fleisch, was sie alles schon in Bereitschaft gehalten hatte. Ernst prüfte mit Sorge den schwereren Wein, denn er wußte von dem Tage bei der Schmiedeschenke, welche Herzenswallungen der Wein in Josephine hervorbrachte. Diese zitterte am ganzen Körper; ihr Antlitz glühte, schon ehe sie an dem neuen Tranke genippt hatte, und fortan spielte sie in großer Zerstreutheit. Lange Zeit wurde kein Wort gesprochen, und aller Augen waren auf das Schachbrett gerichtet. Josephine trank öfter und ward immer unruhiger und erregter. Ihre Gedanken waren ganz wo anders, als hier bei dem langsamen Spiel, das sie doch mit wenigen Zügen sei es auch zu ihren Ungunsten, beenden konnte, wenn sie gewollt hätte. Ernst war in einer Lage von der abenteuerlichsten Art. Es trat da mit sinnberückendem Locken eine Versuchung an ihn heran, der zu widerstehen dem Dreiundzwanzigjährigen nicht leicht wurde. Er ahnte, nein, er wußte, was in Josephine vorging. Sollte er in herber Entsagung das schöne Mädchen von sich stoßen? Wer konnte soviel Tugend von ihm verlangen? -- Richilde! antwortete ihm die Stimme seines Herzens, und entschlossen war er, der Versuchung, so weit er es vermochte, aus dem Wege, zu gehen. Hans verlangte, daß seine beiden Gäste die Nacht in seinem Gastzimmer bleiben sollten, was Ernst schon unzählige Male getan hatte und wogegen er dem Oheim keinen stichhaltigen Hinderungsgrund anführen konnte, wenn er ihm nicht Josephinens wahres Geschlecht verraten wollte. Das wollte er jedoch nur im äußersten Notfall, und der leichtlebige Junker würde ihn mit seiner Gewissensstrenge einem hübschen Judenmädchen gegenüber wahrscheinlich gründlich ausgelacht haben. Er mußte auf andere Mittel sinnen, wie er sich und die mit ihm darin Verstrickte aus dieser verführerischen Gefangenschaft befreien könnte. Nach einem Zuge Josephinens mit ihrer Königin sagte Hans fast unwillig zu seinem Partner: »Du scheinst nur unter vier Augen gut Schach spielen zu können. Wenn ein Dritter zusieht, so ist es mit deiner Kunst zu Ende. Oder willst du mich mit Absicht das Spiel gewinnen lassen? Das wäre kein ehrlicher Kampf. Nimm den Zug zurück, oder deine Königin ist verloren.« Josephine hatte nur in ihrer großen Erregung und Zerstreutheit den fehlerhaften Zug getan, den sie nun schnell verbesserte. Aber sie war so überwältigt von dem, was ihr den Busen durchstürmte, daß sie alle Ruhe und Besonnenheit verloren hatte, und nach einiger Zeit bot ihr Hans Schach und wieder Schach und setzte sie endlich matt. Darüber war es beinahe Nacht geworden. Das Gewitter entlud sich nicht über dem Tale, sondern in einiger Entfernung, aber die Donner hallten über die Berge herüber, und die Blitze durchleuchteten die Dunkelheit. »Nun wollen wir noch einen Krug alten Roten trinken und dann zur Ruhe gehen,« sagte Hans. »Euer Schlafgemach wird bereit sein.« »Nein, Ohm! wir müssen aufbrechen,« sprach Ernst entschieden, »wir können nicht hierbleiben. Joseph, bist du nicht auch der Meinung?« Josephine bewegte die Lippen, aber die Stimme versagte ihr. Nur ein heißer Blick aus ihren Augen gab dem Frager eine stumme Antwort, über deren Sinn ihm kein Zweifel blieb. »Was soll denn das heißen?« frug Hans, über Ernsts hartnäckige Weigerung aufgebracht. »Du bist ja um diesen kraftvollen Jüngling ungemein besorgt. Ist er denn nicht sicher genug in meiner Burg, zumal unter deiner Obhut? was kann ihm denn hier geschehen?« Da trat Ernst dicht an seinen Oheim heran und flüsterte ihm ins Ohr: »Dränge mich nicht weiter; ich schlafe mit einem Juden nicht in einem Bette!« Josephine fuhr zusammen; ihr scharfes Gehör hatte Ernsts Worte vernommen und verstanden. »Ja so!« sagte Hans. »Das ist etwas anderes; daran hatte ich freilich nicht gedacht,« fügte er mit einem mißbilligenden Blick hinzu. »Seit wann bist du denn so bedenklich?« Ernst schwieg. Er hatte in einem harten Kampfe sich selbst besiegt und war doch seines Sieges wenig froh. Josephine stand tief atmend mit niedergeschlagenen Wimpern. In ihrem bleich gewordenen Gesicht zuckte es wie von einem schwer verbissenen Schmerz. »So macht, daß ihr fortkommt!« sprach Hans verstimmt. »Den Weg wirst du ja finden, oder willst du eine Fackel, daß sich dein Schützling, den du so zärtlich bemutterst, mit dem Fuß an kein Steinchen stößt?« »Ich kenne den Weg gut genug,« entgegnete Ernst. »Gute Nacht, Ohm!« »Gute Nacht! -- Gute Nacht auch du, mein Junge!« sagte Hans, »komm wieder, wann du willst; sollst mir stets willkommen sein.« Die beiden gingen heim. Als sie über die Zugbrücke hinaus waren, legte Ernst Josephinens Arm in den seinen und führte sie behutsam durch die finstere Nacht den Burgweg hinab. Mit Mühe nur bekam er aus der Schweigsamen heraus, wie sie zu seinem Oheim auf die Burg gelangt war. Hans war ihr im Tale begegnet; sie hatte ihm auf seine Frage gesagt, daß sie der Sohn Isaak Zachäus' wäre, der jetzt in Herrn Bliggers Diensten auf der Mittelburg wohnte. Hans hatte sie weit gefragt, ob sie auch das Horoskop stellen könnte, was sie verneint, ob sie Schach spielen könne, was sie bejaht hatte. Darüber erfreut, hatte er sie aufgefordert, ihn auf seine Burg zu begleiten, um mit ihm zu spielen, und sie war ihm gefolgt. Als Ernst und Josephine sich oben in der Mittelburg trennten, blickte sie ihn nicht an und erwiderte nicht den Druck seiner Hand. Still suchte sie ihr Lager auf, doch es dauerte lange, ehe die mächtig Erregte den ruhigen Schlummer fand. Ihr Blut wallte, und weit heftiger, als die Erbitterung über die ihr durch Ernsts geflüsterte Worte zugefügte Kränkung, gärte in ihrem Herzen das tief empörte Gefühl verschmähter Liebe. Elftes Kapitel. Auf der Minneburg war schon seit einer Reihe von Tagen kein gutes Wetter. Zwar die Sonne schien, die Blumen blühten, und die Vögel sangen hier wie überall im schönen Neckartal; aber die Menschen schienen ihre frühere Munterkeit verloren zu haben, und wenn einmal ein fröhliches Lachen im Zwinger oder im Palas erschallte, so kam es nur von Sidoniens übermütigen Lippen, denn auch die empfindsame Hiltrud war mehr oder weniger von den Wolken beschattet, die jetzt auf Julianens und Richildens sonst so heiteren Stirnen lagerten. Juliane nahm weniger als bisher an den Vergnügungen der jungen Mädchen teil, hielt sich meist abgeschlossen von ihnen und war bei Tisch, oder wenn sie abends mit ihnen auf der großen Terrasse saß, von der man in den Zwinger hinabsah, mißmutig, wortkarg und von einer auffallenden Gereiztheit, die selbst beim unschuldigsten Anlaß hervorbrach, und unter der die Mädchen, besonders Richilde, viel zu leiden hatten. Die in Ungnade Gefallenen suchten den Grund von Julianens verändertem Wesen in einem nachhaltigen Verdruß über das plötzliche Erscheinen der beiden Junker Landschad auf der Minneburg. Der ungebetene Besuch von zwei Mitgliedern der ihr verfeindeten Familie mußte ihr im höchsten Grade lästig gewesen sein, und sie mußte sich darüber geärgert haben, daß jenen ihr Wunsch, den verpfändeten Wald einzulösen, durch Richildens Schwatzhaftigkeit verraten und der Vergleich infolge des unbilligen Verlangens der Landschaden, den Wildbann behalten zu wollen, dann doch nicht zustande gekommen war. Mit dieser Auslegung trafen die jungen Sibyllen nur in dem einen Punkte das Richtige, daß Julianen das Bekanntwerden ihres Wunsches den Landschaden gegenüber allerdings sehr unangenehm war. Ja, hätten diese die erste Anregung dazu gegeben und ihr durch einen unbeteiligten Dritten übermitteln lassen, so nähme sie eine ganz andere Stellung dabei ein und könnte die Bedingungen ihres Gewährens vorschreiben. Diesen Vorteil hatten jetzt ihre Gegner, die nun die Großmütigen spielten und so taten, als wenn sie ihr mit dem Anerbieten eines für Juliane so ungünstigen Vergleichs noch eine besondere Gefälligkeit erwiesen, die sie überhaupt, auch bei lockenderen Vorschlägen, von jenen anzunehmen nicht gewillt war. Das verdankte sie der unberufenen Einmischung Richildens, und damit erklärte sich ihr Groll auf diese. Richilde selbst glaubte für die Unfreundlichkeit ihrer Mutter gegen sie noch einen anderen Grund zu wissen, den sie aber ihren Freundinnen vorläufig noch nicht zu offenbaren gedachte. Als Isaak Zachäus gekommen war, um den Damen das Horoskop zu stellen, hatte Juliane den Mädchen gesagt, daß der Sterndeuter dabei auch die verborgensten Gedanken und Wünsche eines Menschen erführe. Er hatte also auch Richildens Herzensgeheimnis in den Sternen gelesen, es zugleich mit dem Befunde des Horoskops ihrer Mutter enthüllt, und diese wußte nun, daß sie den Junker Ernst -- einen Landschaden -- im stillen liebte. Das war es, was ihr die Mutter nicht verzieh. Wie das Bewußtsein einer schweren Schuld lag diese Erkenntnis auf ihrer jungfräulichen Seele und erfüllte sie mit banger Sorge, denn sie mußte sich sagen, daß Juliane nun und nimmer ihre Einwilligung zu einer Verbindung ihrer Tochter mit dem Sohne ihres verhaßtesten Feindes geben würde, falls nicht vorher eine vollständige Aussöhnung zwischen ihr und den Landschaden stattgefunden hatte. Auf eine solche war aber bei dem unbeugsamen Sinne Julianens nicht die geringste Aussicht. So dachte Richilde und ahnte nicht, in welch großem Irrtum sie durch die Angst ihres Herzens befangen war. Ihre Mutter wußte nichts von ihrer Liebe zu Ernst, und Julianens übellaunige Stimmung hatte ganz andere Gründe. Die sehr selbständige Frau war keineswegs unzufrieden mit sich, daß sie den ihr von gegnerischer Seite gemachten Vorschlag zunächst abgelehnt hatte; aber sie hatte gehofft, daß man in Neckarsteinach größeren Wert auf eine Versöhnung mit ihr legen, ihr neue Vorschläge machen und vor allem, daß Hans damit wiederkommen würde. In dieser Hoffnung sah sie sich getäuscht. Schon zehn Tage waren seit dem Besuch des ehemaligen Freundes vergangen, und noch immer nicht warf die Sonne seinen Schatten wieder auf den Weg zur Minneburg. Hatte sie ihn wirklich so schnöde behandelt, daß er nicht zu ihr zurückzukehren wagte, mindestens die Lust dazu verloren hatte? Sie rief sich jeden Augenblick des kurzen Zusammenseins mit ihm in das Gedächtnis zurück, sein Auftreten und Benehmen ihr gegenüber, seine Worte und den Ton, mit dem er sie gesprochen, jeden Blick, mit dem er sie angesehen hatte, und endlich seinen raschen, fast ungestümen Aufbruch. Es war ihr so vorgekommen, als wenn er nur auf einen schicklichen Anlaß gewartet hätte, sich so schnell wie möglich wieder aus dem Staube machen zu können, froh, des widerwillig übernommenen Auftrages, mit oder ohne Erfolg, entledigt zu sein. Wozu aber war er dann überhaupt gekommen? Allerdings, war es den Landschaden wirklich um eine Versöhnung mit ihr zu tun, so war Hans der erste von ihnen, in dessen ausgestreckte Hand auch sie wieder die ihrige legen konnte, und der einzige, der imstande war, eine Anknüpfung zwischen ihr und den anderen einzuleiten, nachdem sie selber das freundliche Entgegenkommen der beiden Frauen so entschieden zurückgewiesen hatte, daß sie von diesen keinen weiteren Schritt zur Annäherung erwarten durfte. Diesen groben Verstoß gegen die Formen der Höflichkeit hatte sie bald danach bereut, war aber zu stolz gewesen, ihn einzugestehen und gutzumachen. Bligger hatte die Beleidigung seiner Frau der Hochmütigen tief ins Kerbholz geschnitten und sich dafür mit höhnischen Bemerkungen und mancherlei kleinen Feindseligkeiten an ihr gerächt, so daß die gegenseitige Erbitterung eine immer schärfere, die Kluft zwischen ihnen eine immer weitere geworden war und man den ersten, so geringfügigen Anstoß, wie im Leben der Ritter eine rasch ausgekämpfte Fehde und eine kurze Gefangenschaft war, darüber längst vergessen hatte. Wer war es nun, der den Frieden mit ihr suchte? frug sich Juliane. Wenn der Gedanke, ihr den Wunsch nach Wiedererlangung des Waldes zu erfüllen, von Hans ausgegangen wäre, so hätte dieser ihr wohl bessere Bedingungen gestellt oder wenigstens die Verhandlungen darüber bereitwillig mit ihr weitergeführt und womöglich zum Abschluß gebracht. Und Bligger? der tat ihr nichts zuliebe. Wenn er es war, der sich durch Hansens Vermittelung scheinbar um ihre Gunst bemühte, so hatte der verschlagene Mann auch irgendeinen Hintergedanken dabei, eine Nebenabsicht, die ihm die Hauptsache war, und mit der er sicher nichts Gutes für sie im Sinn hatte. Ein vorteilhaftes Geschäft war die Entpfändung des Waldes für die Landschaden nicht; Juliane wußte sehr wohl, daß derselbe weit mehr wert war, als die darauf lastende Schuld betrug. Sollte sich aber Hans von seinem Bruder zu irgendeiner Tücke gegen sie gebrauchen lassen? Das konnte sie dem alten Freunde nimmermehr zutrauen. Was hatte ihn aber so lange von ihr ferngehalten? Wäre er nach Zeisolfs Tode zu ihr gekommen, -- vor ihm hätte sie die Brücke nicht aufziehen lassen, er hätte keine Tür in ihrer Burg verriegelt gefunden. Und warum kam er auch jetzt nicht wieder? War in ihm alles erkaltet und erstorben, was einst heiß und stark genug gewesen war, sie beide wider Pflicht und Gewissen zueinander zu treiben? War die ganze, erinnerungsvolle Zeit, in der sie, jeder der eigenen und der Liebe des andern bewußt werdend, sich sehnsüchtig gesucht, sich langsam genähert und endlich in einem Augenblick des Hingerissenseins sich glückberauscht gefunden hatten, aus seinem und ihrem Lebensbuche wie eine falsche Rechnung gestrichen? Oder -- sollte es möglich sein? -- wie ein Blitz durchfuhr sie der Gedanke -- war die schlummernde Liebe doch wieder erwacht in ihm und er, die Verhandlungen über den Wald zum Vorwand nehmend, nur gekommen, um zu sehen und zu hören, wie sie jetzt gegen ihn gesonnen, ob sie, wie damals, noch heute bereit wäre, sein eigen zu werden? War er darum gekommen, dann mußte er mit der Überzeugung wieder gegangen sein: es ist alles vorbei! Sie selber hatte ihn zurückgewiesen und mit der Antwort heimgeschickt, daß sie keinen Frieden mit ihm wolle. Damit wußte er, was er wissen wollte, und kam nicht zum zweiten Male wieder. Sie aber konnte ihn nicht zurückrufen und ihm sagen: Behaltet den Wald und nimm mein Herz noch dazu, Hans Landschad! Sie hatte im Erker gesessen, bald mit ihrer Stickerei beschäftigt, bald die Hände müßig im Schoße haltend und ihren quälenden Gedanken hingegeben. Jetzt erhob sie sich und sah auf den Burgweg hinab, auf dem sich nichts Lebendes blicken ließ. »Armes, einsames Weib!« seufzte sie, »Herrin der Minneburg, auf der kein Minneglück blüht!« Die Wangen brannten ihr, sie drückte die Hand auf den wallenden Busen. »O wenn du wiederkämst, Hans Landschad!« flüsterte sie, »du solltest nicht unerhört von dannen gehen!« Dann eilte sie hinaus und wußte nicht wohin; das Gemach, die Burg, die Welt war ihr zu eng. -- Die drei jungen Mädchen waren auf dem jenseitigen Ufer des Flusses in Neckargerach gewesen, wo Juliane einen Hof besaß, dessen Meier die Minneburg mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen versorgte. Von dort zurückgekehrt, hatten sie sich unterhalb der Burg ein einsames Waldplätzchen aufgesucht, um an dem heißen Tage hier im Schatten ein wenig zu ruhen. Es war eine Stunde vor Mittag und tiefe Stille ringsumher. Die jungen Schönen hatten sich auf das weiche Moos gestreckt und sich einem süßbehaglichen Nichtstun und Nichtsdenken hingegeben. Hiltrud lag etwas abseits von den beiden anderen, und bald verrieten ihre regelmäßigen Atemzüge, daß sie eingeschlafen war. Da hörte Sidonie von Richildens Seite her einen langgedehnten Seufzer, und das Haupt zur neben ihr ruhenden Freundin wendend, frug sie: »Wohin ging denn der schwere Seufzer?« Richilde gab keine Antwort, und Sidonie fuhr fort: »Nun gesteh' es nur! ich glaube, er hat sein Ziel nicht weit von Neckarsteinach.« »Wenn du es weißt, warum fragst du noch?« sagte Richilde traurig. »Das klingt ja so hoffnungslos, als wenn du an Ernst Landschads Liebe noch zweifeln müßtest.« »Sprich den Namen nicht aus! sonst fallen hier die Blätter von den Bäumen,« erwiderte Richilde, schnell sich halb aufrichtend und auf den Ellenbogen stützend. »So ist's recht!« lachte Sidonie, ihrem Körper dieselbe Lage gebend wie Richilde, »so ein bißchen Spott und ein bißchen Trotz hab' ich gern; daran sehe ich, daß du Mut hast, und das ist die Hauptsache. Nun laß uns einmal vernünftig miteinander reden; es wird darum kein Blatt vom Baume fallen. Daß du Ernst liebst, hab' ich schon lange gemerkt; nun sage mir: glaubst du, daß er dich wieder liebt?« »Ich weiß es nicht,« flüsterte Richilde leicht errötend. »Weißt du nicht. Nun, dann will ich's dir sagen: ja! er liebt dich wieder; hier meine Hand darauf! Glaubst du's nun?« »Ach Sidonie! wie glücklich wär' ich, wenn du recht hättest!« sprach Richilde leuchtenden Blickes die Hand der Freundin drückend. »Aber --,« sie stockte, schlug die Augen nieder und seufzte. »Richtig! Aber!« fiel Sidonie ein. »Aber deine Mutter meinst du. Ja freilich, das ist kein Spaß. Wenn sie es erfährt, wird es einen harten Kampf geben.« »Es erfährt? Sie weiß es längst,« meinte Richilde. »Wieso? Hast du es ihr gesagt?« »Ich nicht; aber der abscheuliche Sterngucker, der mit seiner krummen Habichtsnase in allen Geheimnissen herumschnüffelt, der, der wird es ihr verraten haben,« eiferte Richilde. Sidonie mußte über den drolligen Zornerguß ihrer blonden Freundin lachen, suchte sie aber dann zu beruhigen und sagte: »Mache dir zu den unabweislichen Sorgen nicht noch überflüssige. Deine Mutter weiß noch nichts, sonst hätte sie dich schon darüber zur Rede gestellt. Oder hat sie das getan?« »Nein; aber siehst du denn nicht, wie unleidlich sie mich seitdem behandelt? Nichts kann ich ihr mehr recht machen, immer hat sie etwas an mir auszusetzen; es ist zum Davonlaufen!« »Lieber Gott!« erwiderte Sidonie, »sie ist manchmal etwas verstimmt, und dann kriegen wir alle etwas ab von ihr, du nicht allein. Aber zum Davonlaufen ist es noch lange nicht und wird sich noch ganz anders zeigen, wenn sie erst einmal dahinterkommt, daß du einen Landschaden liebst und ein Landschaden dich zur Frau begehrt. So leicht gibt sie das nicht zu.« »O niemals! niemals!« jammerte Richilde und seufzte zum Steinerweichen. »Das nächste, nötigste, einzigste ist, daß deine Mutter ihren Frieden mit den Landschaden macht,« erklärte Sidonie nun. »Ist das geschehen, so ist alles andere Kinderspiel, und es gibt eine Hochzeit im Neckartale, wie wir so lustig noch keine gehabt haben. Hie Landschad! hie Kollenberg! und alles ein Herz und eine Seele!« jubelte sie. Richilde schlug die Hände vor's Gesicht und schüttelte sich. »Leuchtet dir das ein?« frug Sidonie. »Ach Gott, ja! aber das wird nie geschehen,« klang es schüchtern hinter den Händen hervor. »Es wird wohl geschehen,« behauptete Sidonie, »und das müssen _wir_ machen! wir, das heißt -- ich.« Im Nu waren die Händchen von dem Antlitz fort, und Sidonie mit groß und froh erstaunten Augen ansehend rief Richilde: »Du?!« »Wer sonst? etwa du und Ernst? Ihr wäret mir die Rechten dazu!« lachte Sidonie. »Was Junker Hans bei meiner Mutter nicht erreicht, das wird dir auch nicht gelingen,« sprach Richilde wieder mit verzagterem Tone. »Es wird, sage ich dir; nur verlange ich, daß du dich allen meinen Anstalten fügst und mir blind gehorchend tust, was ich dir befehle, es sei, was es sei. Versprichst du mir das, Richilde?« »Alles, was du willst!« »Schön! so verhilf mir heut oder morgen zu einer Gelegenheit, deine Mutter unter vier Augen allein sprechen zu können. Sieh zu, wie du Hiltrud entfernst, nimm sie mit dir, sinne auf eine Ausrede --« »Ist gar nicht nötig,« kam es von dem Platze her, wo Hiltrud lag. »Himmel! sie ist wach!« rief Richilde. »Hast du alles gehört?« frug Sidonie. »Natürlich!« lachte Hiltrud. »Wenn ihr so schreit, soll man wohl wach werden und die Ohren spitzen.« »Willst du uns helfen?« »Mit allem, was ich kann und vermag!« »So komm her!« Hiltrud kroch auf allen Vieren heran. »Etwas Neues war es mir auch nicht, Richilde, daß du Ernst gern hast,« sagte sie, »und er dich auch, und daß ihr beiden --« »Still jetzt!« unterbrach sie Sidonie. »Wir sind also drei geschworene Verbündete in der großen Sache, nicht wahr?« »Ja!« sagte Hiltrud. Richilde lächelte und schwieg. »Hände her!« Die Hände der drei Mädchen legten sich mit festem Druck zusammen. »Wir schwören also,« sprach Sidonie feierlich: »Frieden mit den Landschaden!« »Frieden mit den Landschaden!« wiederholten die anderen beiden. »Heil und Hilfe der hoffenden Liebe!« »Heil und Hilfe der hoffenden Liebe!« »Und unverbrüchliches Schweigen!« »Und unverbrüchliches Schweigen!« Noch ein den Bund besiegelndes, herzliches Schütteln, dann sprang Sidonie auf, streckte erst Richilden, dann Hiltrud die Hand hin, riß sie mit einem kräftigen Ruck empor und rief: »Kommt! und jede tue, was sie kann, daß wir Frau Juliane wieder lächeln sehen!« Die drei schönen Verschworenen verließen ihren Waldversteck und gingen den Burgweg viel vergnügter hinauf, als sie ihn heute morgen hinabgegangen waren. -- »Habt ihr es wirklich der Mühe wert gehalten, euch wieder einzufinden?« empfing Juliane die Heimkehrenden unsanft. »Der Tisch ist gedeckt, und ihr laßt mich warten und warten. Wo habt ihr euch wieder so lange umhergetrieben?« »Wir waren in Neckargerach, Mutter! bei Konz Hornschuh,« sagte Richilde. »Von da konntet ihr längst zurück sein,« hielt ihr die Mutter entgegen. »Verzeiht, Frau Juliane! wir ruhten uns ein wenig im Walde, und da war ich unversehens eingeschlafen,« entschuldigte Hiltrud sich und ihre Freundinnen. »Und dein Tüchlein im Rahmen lauert unterdessen vergeblich auf die Nadel der fleißigen Stickerin. Das gnädige Fräulein zieht es vor, im Walde zu liegen und zu schlafen,« versetzte Juliane mit scharfem Tadel. »Übrigens, was sagte Konz?« wandte sie sich wieder zu ihrer Tochter. »Wird er die Eier schicken?« »Ja, morgen wird er sie schicken,« erwiderte Richilde. »Morgen! ich habe sie heute verlangt!« »Morgen, hattest du gesagt, Mutter!« versicherte Richilde. »Du hast in deiner beliebten Zerstreutheit wie gewöhnlich wieder nur mit halbem Ohre gehört, was ich dir aufgetragen hatte; bist zu nichts zu gebrauchen!« schalt Juliane. »Wenn wir Nachmittag reiten, können wir noch einmal hinüber und die Eier zu heute bestellen,« meinte Sidonie. »Heute wird nicht geritten!« entschied die Zürnende kurz und bündig. »Das ist mir lieb! Ich wollte Euch schon bitten, mich heute damit zu verschonen,« sprach Sidonie, von allen die leidenschaftlichste, unermüdlichste Reiterin. »Warum?« frug Juliane. »Um bei Euch zu bleiben und mich ein paar Stunden lang tüchtig auszanken zu lassen,« lächelte Sidonie. »Ihr versteht das wunderbar schön, Frau Juliane! Dann gehe ich zerknirscht in mich und tue Buße und bessere mich, und dann fühl' ich mich frei und froh, als wär' ich zur Beichte gewesen und aller meiner Sünden ledig.« »Um wieder neue zu begehen,« mußte nun auch Juliane lachen. »O du nichtsnutziger Schalk von einem Mädchen! wenn du nicht hier wärst, wäre die Minneburg von oben bis unten mit aschgrauen Spinnweben überzogen.« »Ich fege sie nicht aus, Frau Juliane!« rief Sidonie frohlockend. »Die in den Mauerecken nicht; aber die einem in Kopf und Herzen nisten, die bläst dein loses Spottmäulchen hinaus wie der Morgenwind die Nebel aus dem Tale.« Sie reichte der Besiegerin ihres Unmuts mit einem fröhlichen Blicke die Hand, und im Palas war wieder einmal heller Sonnenschein. -- Am Nachmittage saß Juliane mit der nur langsam fortschreitenden Stickerei wieder einsam in ihrem Erker, weil es innerhalb der dicken Steinwände kühler war als draußen im Freien. Da trat Sidonie zu ihr ins Gemach und sagte: »Darf ich Euch Gesellschaft leisten, Frau Juliane? ich bin so allein wie Ihr.« »Wo sind die beiden andern?« frug Juliane. »Sie sind wieder zu Konz Hornschuh gegangen und wollen die Eier selber holen,« erwiderte Sidonie. »Und warum bist du nicht mitgegangen?« »Mir war es zu heiß, darum ließ ich sie ohne mich gehen.« »Du hast etwas auf dem Herzen, Sidonie!« sagte Juliane mit einem forschenden Blick, »komm her, sprich dich aus! und was es auch sei, dein Vertrauen soll dich nicht gereuen.« »Das weiß ich im Voraus,« erwiderte Sidonie, indem sie die Stufen zum Erker hinaufstieg und sich auf dieselbe Bank neben der etwas zur Seite Rückenden niederließ. »Ja, ich habe etwas auf dem Herzen und bitte Euch, mich geduldig anzuhören.« »Ich bin ganz Ohr, liebe Sidonie; fange nur an,« sprach Juliane, ihre Nadel emsig weiterführend. »So will ich es auch ohne Umschweife tun,« setzte Sidonie mutig ein. »Juliane, macht Euren Frieden mit den Landschaden!« Juliane fuhr unwillig auf. »Sidonie! worein mischest du dich?« sprach sie, ihre Arbeit schnell in den Schoß sinken lassend, mit gefurchten Brauen. »Ruhig, liebe Freundin!« suchte Sidonie sie zu besänftigen, ihre Hand auf die Hand Julianens legend. »Es ist zu Eurem Besten, was ich Euch rate. Ich sehe es mit offenen Augen, wie Euch diese Zwietracht erregt und das Leben verbittert. Ihr sitzt hier abgeschlossen und einsam auf Eurer Burg und wagt nicht einmal, Eure Nachbarn und guten Freunde zu besuchen, aus Furcht, Ihr könntet bei ihnen einem der Landschaden begegnen. Das muß anders werden, und jetzt habt Ihr die beste Gelegenheit, dem alten Streit ein Ende zu machen, ohne daß Ihr Euch das geringste dabei vergebt.« »Ich vergebe mir schon etwas, wenn ich auch nur die kleinste Gefälligkeit von den Landschaden annehme und mich ihnen dadurch zu Dank verpflichte,« entgegnete Juliane. »So müßt Ihr es nicht ansehen,« sprach Sidonie. »Sie sind es doch, die Euch die Hand zur Versöhnung bieten. Ihr braucht nur einzuschlagen, braucht ihnen nur einen Finger zu reichen, und alles wird sich leicht und glücklich lösen.« »Wenn es ihnen Ernst damit wäre, so wären sie wiedergekommen und hätten mir andere Bedingungen gestellt,« antwortete Juliane. »Sie warten auf eine Botschaft von Euch.« »Da können sie lange warten!« »Laßt Euch erweichen, Juliane!« redete ihr Sidonie zu. »Ihr habt ein Recht auf die Entpfändung des Waldes; bietet ihnen die volle Summe der Schuld und verlangt den Wald zurück, ohne Einschränkung, mitsamt dem Wildbann.« »Damit wäre ich einverstanden, aber das wollen sie ja nicht.« »Ihr habt das noch nicht versucht,« sagte Sidonie. »Du kannst dich nicht in meine Lage hineindenken,« erwiderte Juliane. »Sie würden glauben, es wäre mir wundergroß um ihre Freundschaft zu tun.« »Nach dem Empfange, den die beiden Junker neulich hier gefunden haben, werden sie schwerlich auf den Gedanken kommen,« versetzte Sidonie. »Habe ich sie denn etwa unfreundlich behandelt?« »Man sollt' es meinen!« lachte Sidonie. »Mir lief es manchmal heiß und kalt über bei dem, was Ihr ihnen anzuhören gabt. Wie herb und abstoßend wart Ihr auch gegen Ernst, der doch an dem Zerwürfnis so unschuldig ist wie ich!« »Er ist auch ein Landschad!« »Aber ein echt ritterlicher, höfisch erzogener Junker von gar feinem Benehmen und adligem Sinn, immer heiter, immer liebenswürdig und gefällig.« »Du sprichst ja sehr warm für deinen Vetter Ernst!« »Und das mit allem Fug!« bekräftigte Sidonie. »Jeder Mensch kann verlangen, daß man seine Vorzüge anerkennt und seine Tugenden rühmt, und an Ernst Landschad ist vieles zu rühmen.« »Sidonie!« rief Juliane, und ihr Gesicht klärte sich plötzlich hell auf, »jetzt weiß ich, warum ich mit den Landschaden Frieden machen soll.« »Wirklich? hab' ich Euch überzeugt?« frohlockte Sidonie. »Ja, du hast mich überzeugt,« lachte Juliane. »Sidonie, du liebst Ernst! Ich soll ihnen Botschaft senden, damit sie wiederkommen und du ihn wiedersiehst. Und während ich mit Junker Hans um den Wildbann im Walde handle und feilsche, willst du Ernst in den Bann deines Herzens locken, falls er nicht schon darin ist, wie du in dem seinen.« Sidonie war starr und zugleich innerlich auf's höchste belustigt über diesen köstlichen Mißgriff der älteren Freundin, den sie sofort zugunsten ihres Zweckes auszubeuten beschloß. Sie suchte deshalb ihre Antwort so einzurichten, daß sie nichts leugnete und nichts eingestand. Wer doch jetzt ein wenig erröten könnte! dachte sie, hatte aber den Farbenwechsel leider nicht in ihrer Gewalt. »Nicht an mich habe ich dabei gedacht, sondern nur an Euch,« erwiderte sie ausweichend und mit einem gut gespielten verschämten Lächeln die Augen niederschlagend. »Wenn ich Euch aber zu einer Einigung mit den Landschaden von Nutzen sein kann, so bin ich gern bereit, meinen Einfluß, soweit er reicht, dabei geltend zu machen.« »Du tätest wohl gar eine Fürbitte für mich bei Junker Ernst, daß er seinen Ohm Hans für mich gütig stimmt?« spöttelte Juliane. »Wenn's nötig wäre, warum nicht?« lachte Sidonie; »aber dessen bedarf es nicht; Euer Wort wiegt schwerer als meines.« Juliane sann einen Augenblick nach. Die Entdeckung, die sie soeben gemacht zu haben glaubte, und noch mehr Sidoniens Angriff auf ihre bisher den Landschaden gegenüber angenommene Haltung waren ihr durchaus nicht unwillkommen. Wenn sie jetzt nachgab und den sich um ihre Gunst Bemühenden die Wege glättete, so tat sie es nicht aus eigenem Antrieb und in einer sie bloßstellenden Weise, als bereute sie ihre frühere Ablehnung und strebte nun selber nach einer Aussöhnung, sondern dann geschah es aus Mitleid mit einem verliebten Mädchen, und weil sie zu einem Schritte überredet worden war, welchen zu tun ihr im Grunde willfähriges Herz nur auf einen Anstoß von außen gewartet hatte. »Sidonie,« sagte sie, »ich möchte dir alles zuliebe tun, was ich vermag; aber daß ich die Verhandlung, die Junker Hans so kurzer Hand abbrach, nun meinerseits wieder anknüpfen soll, das ist ein Verlangen --« »Er ersuchte Euch ja so freundlich darum, ihm Eure Entscheidung mitteilen zu lassen,« fiel ihr Sidonie schnell ins Wort, »und Ernst erbot sich so zuvorkommend, sie hier von Euch selber in Empfang nehmen zu wollen, daß Ihr schon aus Rücksichten der Höflichkeit gar nicht anders könnt, als die Junker zu einem zweiten Besuche hierher einzuladen.« »Ich wüßte noch ein anderes Mittel, wie du dich mit Ernst bald wiedersehen könntest,« lächelte Juliane. »Und das wäre?« frug Sidonie. »Wenn du die Botschaft übernähmest, nach Neckarsteinach zu Herrn Bligger rittest und ihm meine Bedingungen überbrächtest. Willst du das tun?« »Mit tausend Freuden!« jubelte Sidonie. »Morgen früh reite ich, und Richilde darf mich begleiten, nicht wahr?« »Unter keinen Umständen!« erwiderte Juliane, »wo denkst du hin?! meine Tochter ungeladen in die Burg unserer Feinde? nimmermehr!« »Es machte doch gleich einen viel besseren Eindruck,« sagte Sidonie, »und zeigte von einer besonderen Freundlichkeit gegen die beiden Frauen, wenn Richilde mitkäme als holde Vermittlerin im Ausgleich eines Zwistes, an dem sie selber keine Schuld und keinen Anteil hat. Sie würde dort sicher mit offenen Armen aufgenommen werden, und damit wäre die Versöhnung von euch allen samt und sonders so gut wie besiegelt.« »Nein, das geschieht nicht,« erklärte Juliane. »Das wäre des Entgegenkommens doch zuviel; es ist schon alles mögliche, daß du als Botin von der Minneburg hinüberreitest, was ich auch mehr dir zuliebe vorschlug, als -- als aus irgendeinem anderen Grunde.« »Nun, ich hoffe, das überlegt Ihr Euch noch bis morgen,« sprach Sidonie. »Nein, darin machst du mich nicht wankend,« erwiderte Juliane. »Richilde mitten unter den Landschaden --« »-- wäre ihres Lebens keinen Augenblick sicher,« lachte Sidonie. »Nun, ich hafte für sie mit meinem Kopfe!« »Siehe du zu, wie du den eigenen oben behältst; das Herz ist dir schon entwendet,« sagte Juliane. »Seid ohne Sorge,« sprach Sidonie; »mit klarem Kopf und festem Herzen werde ich Ohm Bligger Eure Bedingungen kundgeben, das heißt, daß Ihr ihm das volle Lösegeld bietet und dafür den Wald von ihm zurückverlangt, ohne ihm auch nur einen Reiherschwanz, geschweige den ganzen Wildbann darin zu lassen. Ist's recht so?« »Ja! Du mußt aber deinen Verwandten auch nicht verhehlen, daß ich mich nur auf dein dringendes, unablässiges Zureden entschlossen habe, ihnen Botschaft zu senden.« »Nur auf mein kniefälliges Bitten und Flehen, das versteht sich!« lächelte Sidonie. »Aber wenn sie nun erklären, daß sie das mit Euch selber in Rück und Schick bringen und darum doch wieder herkommen müßten -- ich meine die Junker Hans und Ernst, -- dann darf ich sie doch in Eurem Namen willkommen heißen?« »Willkommen heißen ist nicht gerade nötig,« erwiderte Juliane nicht ohne sichtliche Verlegenheit; »aber das Tor sollen sie offen finden, -- deinetwegen, Sidonie! nur deinetwegen.« »O ich kann Euch nicht sagen, wie dankbar ich Euch bin, liebste, beste Juliane!« frohlockte die Schelmin. »Morgen fliege ich als Friedensengel in die Burg Eurer Feinde, und wenn ich wiederkomme, lege ich Euch ein halbes Dutzend eroberter, in Liebe zu Euch brennender Herzen zu Füßen.« Übermütig umschlang und küßte sie Julianen und war wie der Wind zur Tür hinaus, um den Freundinnen entgegenzueilen und diesen ihren glänzenden Sieg zu verkünden. Zwölftes Kapitel. Sidonie ritt heiter und wohlgemut durch den Wald nach Neckarsteinach. Als sie ungefähr noch eine Viertelstunde davon entfernt war, winkte sie den hinter ihr reitenden Knecht zu sich heran und befahl ihm: »Eberle, trabe voraus nach Burg Schadeck zu Junker Hans Landschad, melde ihm meine Ankunft und ersuche ihn in meinem Namen, sofort nach der Mittelburg zu Herrn Bligger zu kommen; ich brächte den Herren eine wichtige Botschaft.« Der Knecht trabte voraus, und Sidonie folgte ihm im Schritt, mit dem breitkrämpigen, federgeschmückten Reisehut, der ihr Gesicht vor der Sonne schützte, und in dem eng anliegenden Reitkleid, das ihre schönen Formen reizvoll hervorhob, eine anmutige und stattliche Reiterin. Unterwegs hatte sie sich überlegt, wie sie nicht allein das ihr Aufgetragene gut ausführen, sondern auch noch ein wenig darüber hinaus durch eigenes Dazutun alles in die rechten Gleise bringen wollte, und hatte nur noch die eine Sorge, ob sie auch wohl ihre Verwandten alle zu Hause antreffen würde. Aber das fröhliche Sonntagskind baute auf sein Glück und lächelte hoffnungsvoll den vier stolzen Burgen der Landschaden zu, deren sie auf den jenseitigen Höhen nun ansichtig wurde. Als sie mit der Fähre über den Neckar gesetzt war, kam ihr, eben um die Ecke biegend, wo der Weg von der Mittelburg herunter in die Landstraße mündete, Ernst mit einem jungen Menschen in einem langen Rock entgegen. Sobald er die Reiterin erkannte, rief er ihr ein freudiges »Willkommen, Sidonie!« zu und war schnell an ihrer Seite. »Alle zu Hause?« frug sie, ihm die Hand vom Pferde herab reichend. »Jawohl!« erwiderte er. »Bringst du Botschaft von Frau Juliane?« »Ja!« nickte sie, »gute Botschaft!« Er schritt neben ihr her, und als sie zu der Stelle kamen, wo Ernsts Begleiter stehengeblieben war, grüßte dieser höflich, Sidonien ebenso aufmerksam betrachtend wie diese ihn, und ging dann allein weiter, während Ernst die Freundin zur Mittelburg hinaufbegleitete. »War der dunkeläugige Jüngling mit dem Mädchengesicht ein Klosterschüler?« frug Sidonie, als sie außer Hörweite von jenem waren. »Nein,« erwiderte Ernst; »es ist der Sohn eines Juden, der seit einiger Zeit in Diensten meines Vaters bei uns wohnt. Ich habe Freundschaft mit ihm geschlossen und streife Tag für Tag mit ihm im Walde umher.« »Isaak Zachäus', des Sterndeuters Sohn?« »Woher weißt du --? ach, freilich!« verbesserte sich Ernst, »er war ja auf der Minneburg, wie mir Joseph zufällig verraten hat, und was übrigens niemand wissen soll.« »Sieh mal an!« sprach Sidonie, »und uns sagte der alte Geheimniskrämer, er wollte von der Minneburg ohne Aufenthalt zurück nach Heilbronn. Hat er euch auch das Horoskop gestellt?« »Hat er, gewiß!« »Nun? wie lautet's?« »Wir haben nichts erfahren,« erwiderte Ernst. »Dann geht es euch gerade so wie uns,« lachte Sidonie. »Ohm Hans soll einmal sein Glück in einem Kloster finden. Das ist alles, was ich von den Prophezeiungen des Juden weiß,« berichtete Ernst, ebenfalls lachend. »Narretei!« »Nicht wahr? Niemand glaubt daran, Ohm Hans am wenigsten.« Auf der Mittelburg fand Sidonie den herzlichsten Empfang. Sie war Bliggers Nichte im dritten Grade, und alle hatten ihre Freude an dem schönen Mädchen, das mit seinem lustigen Wesen überall, wo es erschien, Licht und Leben um sich her verbreitete. Bligger brannte vor Begier, Sidoniens Botschaft zu vernehmen, aber diese wollte mit ihrer Bestellung warten, bis Hans und Konrad kämen, damit sie dieselbe nicht zwei-, dreimal auszurichten hätte. »Wie geht es meiner vielwerten Feindin auf der Minneburg?« frug er jedoch. »Sie ist wohlauf,« erwiderte Sidonie, »und wird jeden Tag einen Tag jünger.« »Und haßt mich immer noch wie die leibhaftige Sünde, nicht wahr? während ich doch nur ihr Bestes will,« lachte Bligger. »Ersteres glaube ich nicht, und letzteres glaubt sie nicht,« gab Sidonie zur Antwort. »Glaubst du letzteres auch nicht?« »Je nun, Ohm,« lächelte Sidonie, »du kannst es heute beweisen, wenn du die Bedingungen annimmst, die ich dir zu stellen habe.« »Du sprichst ja, als wärst du ihr ~advocatus~.« »Bin ich auch.« »So laß hören!« »Wenn Ohm Hans kommt. -- Ah, da ist er! Grüß Gott, Ohm Hans!« rief sie und sprang dem Eintretenden freudig entgegen. »Da bin ich als weißes Täubchen mit dem Ölblatt im Schnabel.« »Und in was für einem Schnäbelchen!« lächelte Hans mit einem schmunzelnden Blick auf die vollen, roten Lippen des Mädchens. Er hielt ihre Hand fest und streichelte und klopfte sie, sehr vergnügt über Sidoniens Ankunft. »Kommst du allein?« frug er noch, »hast du die anderen beiden nicht mitgebracht als Zeugen und Eideshelfer?« »Nein, Ohm Hans, ich komme allein als vollmächtiger Sendbote; in meiner Hand ruht Krieg und Frieden,« versetzte sie mit wichtiger Miene. »In so holder Gestalt kann nur der Frieden kommen,« sprach eine Stimme hinter ihr. Es war Konrad, der unbemerkt eingetreten war, und mit dem sie sich nun auch aufs freundlichste begrüßte. Darauf nahmen sie alle Platz und saßen im Kreise wie bei einem echten Ding der heiligen Fehme, bei dem Bligger der Freigraf, Sidonie der worthabende Freischöffe und die übrigen die Wissenden waren. »Daß ich hier bin,« begann Sidonie, »verdankt ihr nur meiner Überredungskunst, denn ohne mich rühmen zu wollen, kann ich euch versichern, daß es mich viel Mühe gekostet hat, Frau Juliane zur Verhandlung mit euch zu bewegen.« »Die Einleitung klingt nicht sehr friedlich,« warf Bligger dazwischen. »Doch, Ohm Bligger! Juliane wünscht im Grunde ihres Herzens den Frieden mit euch mehr, als den Wald.« »So denken wir auch,« sagte Hans, und Konrad nickte dazu. »Darum liegt es jetzt nur an euch, eine vollkommene Versöhnung mit ihr herbeizuführen,« fuhr Sidonie fort. »Und wenn ihr auf meinen bescheidenen Rat nur ein klein wenig geben wollt, so bitte ich euch, ihr dabei freundlich entgegenzukommen und ihr den Schritt, den wir alle aufs innigste herbeisehnen, nicht durch lästige und demütigende Bedingungen zu erschweren. Bedenkt, sie ist eine zartbesaitete Frau und Witwe, die in Geschäften nicht erfahren ist und sich gegen euch hochmutgepanzerte, ränkevolle, trotzige Männer nur schlecht verteidigen kann.« »Hoho!« lachte Bligger, »allen dank für die gute Meinung!« und verbeugte sich gegen Sidonie. »Dafür hat sie an dir einen Fürsprecher, der ein ganzes Fähnlein gepanzerter Männer aufwiegt,« bemerkte Konrad mit dem Tone schmeichelhafter Anerkennung. »Und ich stehe dir bei, Sidonie!« sagte Hans. Frau Katharina, die mehr zuhören als mitreden wollte, warf ihrem ältesten Schwager einen dankbaren und aufmunternden Blick zu, und Ernst fühlte sich in seiner Beklemmung schon etwas erleichtert, denn er sah in Hansens Ausspruch den ersten Hoffnungsschimmer für das Zustandekommen eines friedlichen Vergleiches. Aber Bligger frug ungeduldig: »Was verlangt Frau Juliane?« »Nichts, als ihr gutes Recht,« erwiderte Sidonie. »Sie bietet euch die volle Pfandsumme, zweihundert Gulden, und verlangt dafür ihren Wald zurück ohne jede Einschränkung.« »Hm!« machte Bligger, »das ist alles?« »Ja, könnt ihr denn mehr verlangen, als daß sie euch die volle Schuld bezahlt?« frug Sidonie lebhaft. »Obenein ist es nicht etwa ein ihr geleistetes Darlehen, sondern das Lösegeld für einen Fang, der eurer Übermacht damals wohl nicht allzu schwer geworden ist.« »Es war in ehrlicher Fehde, und Zeisolf hatte uns abgesagt, nicht wir ihm,« erwiderte Bligger mit einem strafenden Blick, den Sidonie ruhig aushielt. »Frau Juliane stößt sich an dem Wildbann,« fuhr er fort. »Den begehren wir als Entschädigung dafür, daß wir in den drei Jahren keine Zinsen von der Schuld empfangen haben.« »Keine Zinsen!« wiederholte Sidonie, »Ohm Bligger, für wieviel Gulden habt ihr Holz in den drei Jahren aus dem Walde geschlagen? Ich glaube, ihr habt für dieses Holz allein mehr Neckarzoll unter dem Dilsberge bezahlt, als die Zinsen für die Pfandsumme betragen.« »Kreuzhagel --«, doch er mußte lachen und sagte: »Mädchen, du könntest Magister in Heidelberg werden! Wenn ich einmal einen Rechtshandel bekomme, werde ich dich zu meinem Sachwalter bestellen.« »Dann werde ich deine Sache so warm führen, lieber Ohm, wie ich jetzt für Julianen eintrete,« erwiderte Sidonie. »Du kannst ihr doch nicht verdenken, daß sie die freie Herrin auf ihrem Eigen sein will. Wie würde es dir gefallen, wenn du in deinen Forsten nicht pirschen und jagen dürftest, sondern ein anderer hätte das Recht und könnte dich fahen und pfänden, wenn du dich mit der Armbrust darin betreten ließest! Laß diese harte Bedingung fallen, und alles ist klipp und klar; ich selber stifte Frieden und Freundschaft zwischen euch und Juliane. Hier meine Hand! schlag' ein, Ohm Bligger!« Sie streckte ihm die Hand entgegen und sah ihn mit bittenden Augen an. »Schlag' ein, Bligger!« sagte Hans. Konrad und Katharina schwiegen, so sehr sie auch des lieben Friedens wegen wünschten, daß Bligger nachgeben möchte. Aber sie sahen ebensogut wie dieser ein, daß, wenn er zustimmte, der Vergleich geschlossen war, und Hans dann keine Gelegenheit mehr hatte, mit Julianen noch länger zu unterhandeln. Das war es aber gerade, worauf es dem Zögernden ankam. Ernst, der von Bliggers versteckten Zielen so wenig etwas ahnte wie Hans, hielt den Atem an vor Erwartung, was sein Vater jetzt tun würde. Und Bligger schlug nicht in Sidoniens Hand. »Nein!« sprach er, »so Knall und Fall kann ich mich nicht entscheiden; ich muß mir's eine Nacht beschlafen.« »Dann bleibe ich die Nacht hier und frage dich morgen früh, wenn du ausgeschlafen hast, noch einmal,« erklärte Sidonie kurz entschlossen. »Willst du mich hausen und herbergen, Base Käthe?« »Gern, liebe Niftel!« sagte die Burgfrau, »aber Juliane wird sich um dich sorgen, wenn du nicht heimkehrst« »Ich schicke ihr den Eberle zurück mit der Nachricht, daß ich erst morgen wiederkomme, und Ohm Bligger gibt mir morgen einen Knecht als Geleit mit,« erwiderte sie. »Recht so! das soll geschehen,« sagte Bligger. »Und ich weiß auch, was Juliane denkt, wenn ich ausbleibe,« sprach Sidonie mit einem geheimnisvollen Lächeln. »Nun?« frugen mehrere zugleich. »Sie denkt, ich bin in dich verliebt, Ernst, und kann mich hier nicht von dir losreißen.« Der ganze Kreis brach in ein herzliches Lachen aus, und damit war die feierliche Sitzung heiter geschlossen und aufgehoben. »Komm, Sidonie, daß ich dir dein Losament zeige!« sprach Katharina, »und nachher setzen wir uns in die Laube.« Sidonie folgte ihr, und die Männer blieben allein im Gemach, was Katharinas Absicht bei dem ihrer Nichte gemachten Vorschlage gewesen war, denn sie glaubte, daß jene unter sich, ohne Sidoniens Gegenwart, die weiteren Schritte in der Angelegenheit zu beraten wünschten. Bligger war auf seinem Stuhle sitzengeblieben und starrte, die Arme über der Brust verschränkt, in tiefen Gedanken vor sich hin. Konrad stand am Fenster und schaute in das Tal hinab, während Hans und Ernst sich stets begegnend im Zimmer auf und ab gingen, beide, wie es schien, in erregter und verdrossener Stimmung. Niemand sprach ein Wort. Endlich fing Hans an: »Ich verstehe nicht, Bligger, warum du noch zauderst. Du brauchst nur ja! zu sagen, und die Sache wäre abgemacht. Sidonie hat recht; wir können von Juliane wahrhaftig nicht mehr verlangen als sie uns bietet.« Bligger schüttelte den Kopf und antwortete nicht. Hans murrte: »Könnt' ich nur diesen unglücklichen Wald aus der Welt schaffen! ich wollte, er läge am Ebro statt am Neckar!« »Dann hättest du nur einen um so weiteren Weg,« sagte Bligger ruhig, »denn hin mußt du doch wieder, und zwar morgen!« Über Ernsts Gesicht glitt ein Strahl der Freude. Hans aber fuhr ärgerlich auf: »Was? ich? wozu ist denn Sidonie da?« »Dazu, daß du sie begleitest, lieber Bruder,« erwiderte Bligger. »Sie kann nicht in unserem Namen mit Juliane verhandeln. Ich wünsche auch, daß du diesmal allein reitest, das heißt ohne Ernst.« »Auch das noch!« rief Hans erschrocken. »Ich soll nicht mitreiten, Vater?« frug Ernst. »Nein! und Sidonie soll auch durch niemand anders, als durch mich erfahren, daß Hans sie begleiten wird,« sagte Bligger mit entschiedenem Tone. »Verstanden, Ernst?« »Ja!« versetzte dieser mürrisch und verließ das Gemach mit einer getäuschten Hoffnung. Auch Hans war unangenehm berührt von dieser Maßregel seines Bruders, deren Zweck er nicht einsah. »Was soll die Geheimnistuerei gegen Ernst?« sprach er unwirsch. »Er ist Manns genug, sich auch in solchen Dingen die Sporen zu verdienen.« »Ich aber bin nicht sicher, ob er durch sein rasches Wesen nicht mehr verderben würde als gutmachen. Schon um dich trag' ich Sorge, daß du ganz in meinem Sinne handelst,« sagte Bligger. »So reite doch selber nach der Minneburg oder Konrad, und verschont mich mit solchem Botendienst!« entgegnete Hans erregt. »Hans!« lächelte Bligger verschmitzt, »wer ritte nicht gern zu einer schönen Frau! wenn man nur wüßte, wie man aufgenommen wird.« »Nun, ich weiß es, wie ich aufgenommen bin, und habe an dem einen Male gerade genug,« erwiderte Hans. »Das wird mit jedem Male besser werden,« meinte Bligger, »und früher, als Zeisolf noch lebte, machtest du sehr gern diesen Weg.« »Das war auch --« »Doch nicht etwa Zeisolfs wegen?« lachte Bligger. Hans wandte sich ab und schwieg. Bligger aber fuhr fort: »Du hast es einmal angefangen, Hans, nun mußt du es auch durchführen und die Sache zu Ende bringen.« »Angefangen!« knurrte Hans, »ich habe nichts angefangen. Ihr habt mir das hinter meinem Rücken eingebrockt und mich hineingehetzt, als hinge Leben und Seligkeit an diesem verdammten Walde! Er hat uns Geld genug eingebracht, und wenn es auf mich ankäme, so gäbe ich ihn Julianen zurück ohne dafür noch einen Pfennig von ihr anzunehmen.« Bligger sah seinen Bruder groß an, und sein Blick wurde immer klarer und heiterer. Dann stand er auf, schlug Hans derb auf die Schulter und sagte: »Hans, das war ein verständiges Wort! morgen bringst du Julianen den Pfandbrief zurück.« »Und wirfst ihn ihr zerrissen vor die Füße! nicht wahr? das wäre so deine Art, Frieden zu schließen,« höhnte Hans. »Oder bietest ihn ihr kniend auf einem Samtkissen dar. Wie du willst, ganz wie du willst, Hans!« lächelte Bligger. »Ist das Ernst oder Spott?« frug Hans stirnrunzelnd. »Mein voller Ernst!« erwiderte Bligger. Konrad wandte sich überrascht seinem älteren Bruder zu. Auch er hatte geglaubt, Bligger triebe nur seinen Spott mit Hans, und dieses etwas weitgehende Spiel dem Gutmütigen gegenüber im Herzen gemißbilligt. Um so erstaunter war er nun über Bliggers unzweideutige Versicherung, der das folgende mehr an ihn, als an Hans richtete, als er sprach: »Hans hat das richtige getroffen. Mit einer Frau streiten ist nicht rühmlich und führt zu keinem guten Ende. Wenn wir Juliane gegenüber großmütig sind und ihr den Wunsch über ihre Erwartung hinaus erfüllen, so ist sie entwaffnet, und ich hoffe, ihr Groll wird sich in Freundschaft verwandeln.« »Wenn sie nicht zu stolz ist, diese Großmut von uns anzunehmen,« wandte Hans dagegen ein. »Siehst du, Hans,« versetzte Bligger, »darum mußt du hin! Weder von mir noch von Konrad würde sie sich's gefallen lassen; und wenn wir ihr den Brief durch Sidonien schickten, so sähe das einer Beleidigung ähnlicher als einem Entgegenkommen. Du bist der einzige, von dem sie es annimmt, wenn du es auf die richtige Weise anfängst. Du kannst ihr damit eine Freude machen, überschüttest sie, überzuckst sie damit, bist der Vermittler, der Freund und Versöhner, mußt ihr nur sagen, daß der Vorschlag von dir ausgeht, und kannst dann von ihr verlangen, was du willst.« Einen Augenblick noch bedachte sich Hans und sah seine Brüder zweifelhaft an, ob sie dabei nicht noch mit etwas anderem hinter dem Berge hielten. Da sie aber beide durchaus ernsthaft blieben, wurde er plötzlich sehr vergnügt und sagte: »Nun, dann reite ich mit Freuden nach der Minneburg! also morgen früh! suche den Pfandbrief hervor! der Krieg ist aus. Sela, lieben Brüder! Alles hat ein Ende, sagt Trotto, der Kellermeister.« Und ein lustiges Halali pfeifend schritt er zur Tür hinaus, als wollte er gleich aufsitzen und schnurstracks nach der Minneburg traben. »Was wettest du?« sprach Bligger zu seinem jüngsten Bruder, indem er lächelnd nach der Tür wies, durch welche Hans verschwunden war. »Jetzt läuft er nach Hause, kramt in seiner Kleidertruhe und läßt sich von Drutmann sein bestes Zaumzeug für morgen instand setzen. Das ist ein guter Schritt vorwärts, Konrad!« »Wenn aber Juliane nun doch unsere Großmut kühl zurückweist?« gab ihm Konrad zu bedenken. »Nun, was ist dann verdorben?« entgegnete der ältere. »Dann gehen die Verhandlungen, immer durch Hans geführt, munter weiter. Aber sie wird sich hüten. Hätte sie sonst Sidonien zu uns geschickt? Das ist mir das sicherste Zeichen, daß Juliane selber die Anknüpfung mit uns sucht, und vor allem, daß sie Hans wieder bei sich sehen will. Hast du denn nicht gehört, wie Sidonie sagte, Juliane wünschte im Grunde ihres Herzens den Frieden mehr als den Wald? Den Frieden, das heißt: sie wünscht sich Hans, und ich bin überzeugt, die schlaue Sidonie weiß mehr, als sie sagen will. Jetzt muß Juliane kommen und sich bedanken, muß unsere Frauen besuchen, und Hans muß dabei sein. Dann reiten wir wieder nach der Minneburg, Hans natürlich mit, und wenn wir Juliane zu uns einladen, muß Hans ihr die Einladung überbringen. Engelhard und Albrecht müssen uns helfen, daß wir auch bei ihnen mit ihr zusammentreffen, und Hans alldazu. Dann sind wir stets dabei und lassen die beiden nicht aus den Augen und nicht aus den Scheren; und was die Hauptsache ist, die uns alles erleichtert: Juliane verlangt nach Hans, meinen Kopf zum Pfande, daß ich mich nicht irre! Sie ist aber kein gewöhnliches Weib; wen sie gewinnen will, den bannt sie wie mit Zaubergewalt, und ich bin fast neugierig, wie lange es Hans gelingen wird, ihr zu widerstehen.« »Bligger, du bist ein geschwinder Rechner,« lächelte Konrad, »und ich will nur wünschen, daß dich dein Einmaleins dabei nicht im Stiche läßt.« »O in dem Exempel sind noch hohe Zahlen, die ich noch gar nicht aufgeführt habe,« erwiderte Bligger. »Da haben wir noch Ernst und Richilde als Hilfstruppen, und was meinst du, wie schwer Julianens Horoskop nach ihrer eigenen Schätzung wiegt? Nein, nein, glaube mir! unser schwierigster Gegner ist Hans, unser Hagestolz selber, zwar mächtig verschanzt hinter dem Bollwerk seines Ehehasses, das aber Julianens Leidenschaft und Liebreiz stürmen wird, wenn wir im Bunde, in Frieden und Freundschaft mit ihr sind, und die Brücke dazu ist der Pfandbrief über den Wald. Ich werde ihn gleich hervorsuchen.« »Und ich werde Sidoniens Knecht jetzt nach der Minneburg zurückschicken mit der Meldung, daß sie die Nacht hierbleibt,« sagte Konrad. -- Ernst hatte sich, als er das Gemach, in welchem der Familienrat stattfand, voll Unmut verlassen hatte, zu Katharina und Sidonie in die Laube begeben, und dort hatten sie zu dreien gesessen und geplaudert. Als dann nach einer Weile die Burgfrau sich entfernte, um einen Blick in die Küche zu werfen, wie sie sagte, und Ernst mit Sidonie allein ließ, sprach diese: »Ich habe dir auch Grüße von der Minneburg zu bestellen, Ernst! einen von Hiltrud und tausend --« »Von Richilde?!« rief er freudig erregt. »Ja von Richilde,« bestätigte Sidonie. Von diesen tausend Grüßen waren freilich mindestens neunhundertundneunundneunzig gelogen. Als Sidonie gestern abend ihren beiden Freundinnen mitgeteilt hatte, daß sie im Auftrage Julianens nach Neckarsteinach reiten würde, hatte sie sich Richilden zu jeder Liebesbotschaft an Ernst bereit erklärt; diese hatte es jedoch in jungfräulichem Zartgefühl abgelehnt, ihm irgendein Wort oder Zeichen der Liebe zu senden, ehe er ihr nicht selber seine Neigung gestanden hätte. Als aber Sidonie heute früh in Gegenwart Julianens, Hiltruds und Richildens zu Pferde gestiegen war, hatte Hiltrud ihr zugerufen: »Bestelle Ernst einen Gruß von mir!« Darauf hatte Sidonie Richilden mit einem nicht mißzuverstehenden, fragenden Blick angesehen, und diese hatte zustimmend ein ganz klein wenig mit dem Kopfe genickt. Aus diesem stummen Kopfnicken hatte Sidonie die tausend Grüße gemacht, die Ernst nun glücklich einheimste. »Wie dank' ich dir und ihr!« rief er, »und wenn du morgen zurückreitest, so wollt' ich, ich könnte mit.« »Komm doch mit!« sagte sie, »ich bürge dir für einen guten Empfang, besonders bei Richilde; sie wäre glücklich.« Ernst schüttelte traurig den Kopf. »Der Vater will es nicht. Aber morgen früh breche ich die schönste Rosenknospe, die sich über Nacht erschließt, daß du sie Richilden überbringst. Könnt' ich sie nur bald einmal wiedersehen!« »Hast du sie denn wirklich lieb, Ernst?« »Ach, Sidonie! mehr als mein Leben!« »Darf ich ihr das sagen?« »Ja, ja! sag' es ihr! ich vergehe vor Sehnsucht, es ihr selber zu sagen.« »Nun, dazu kann ja wohl Rat werden.« »Wie? wie meinst du das?« »Würdest du wohl die Buche wiederfinden, aus der du mich damals so ritterlich heruntergeholt hast?« frug Sidonie. »In stockfinsterer Nacht finde ich sie wieder,« beteuerte Ernst. »Bei Nacht würdest du uns dort vergeblich suchen,« erwiderte sie; »aber eines Nachmittags, wollen sagen: in drei Tagen von heute. Wirst du kommen?« »Wie kannst du fragen!« jubelte er. »Aber wenn Frau Juliane etwas davon merkte --« »Sie soll schon nichts merken; dafür laß mich sorgen!« lachte Sidonie. »Verrät es ihr ein Zufall, so bin ich es, die sich mit dir ein Stelldichein gibt. Das ist ja das bequeme für euch, daß Juliane wirklich glaubt, wir beide, du und ich, wären verliebt ineinander, und in dem Glauben müssen wir sie auch vorläufig lassen. Das ist auch nicht schwer, denn daß ein Landschad ihre Tochter lieben, um ihre Tochter werben könnte, ist ihr undenkbar.« Ernst seufzte: »Einmal muß sie es doch erfahren, und was dann?« »Nur immer den Kopf oben, Ernst! Kommt Zeit, kommt Rat,« tröstete ihn Sidonie. Jetzt kehrte Frau Katharina zu den beiden zurück, und sie mußten das Gespräch abbrechen. Bald erschien auch Bligger in der Laube und setzte sich zu ihnen. Sidonie erzählte nun von dem Leben auf der Minneburg, hatte manche Frage Bliggers und Katharinas zu beantworten und war stets bemüht, Julianens Wesen und Tun und Treiben in das hellste Licht zu stellen, und die Landschaden für sie einzunehmen und immer günstiger zu stimmen. Sie gab ihnen zu verstehen, Juliane sehnte sich förmlich nach ihnen und dem freundschaftlichen Umgang, wie sie ihn in früheren Jahren miteinander gepflogen hatten, und wenn sie nicht gefürchtet hätte, abgewiesen zu werden, wie sie es nach ihrem unverzeihlichen Benehmen freilich nicht besser verdiente, so hätte sie sicher schon selber Schritte getan, das alte, gute Verhältnis wiederherzustellen. Das ging nun wieder weit über das hinaus, was Sidonie zu sagen einen Auftrag und was sie zu behaupten ein Recht oder auch nur einen stichhaltigen Grund hatte; doch es war gut gemeint und verfehlte auch seine von ihr beabsichtigte Wirkung nicht. Katharinas Augen blickten sehr freundlich dabei, und Bligger strich sich in seiner Genugtuung darüber schmeichelnd den Bart. Der Tag verging allen schnell mit kurzweiliger Unterhaltung, zu der Sidoniens sprudelnde Laune das meiste beitrug. Der eigentliche Zweck ihres Besuches wurde mit keinem Worte mehr erwähnt. Später kam Hans und ebenso Konrad mit seiner Gattin, Frau Agnes, zur Mittelburg hinüber, und die ganze Familie saß nun vereint in der hohen Gartenlaube bei Imbiß und Wein. Sidonie, die schöne und kluge Gesandtin der Minneburg, war der gefeierte Mittelpunkt des fröhlichen Kreises. Alle huldigten ihr, als hätten sie nur ihrer Freundschaft und ihrer Gewandtheit und Staatskunst im kleinen den glücklichen Erfolg oder wenigstens die gesicherte Aussicht darauf zu verdanken. Sie ließ sich das wohl gefallen, hatte aber auch ihrerseits für jeden ein verbindliches Wort oder einen neckischen Scherz auf den beredten Lippen. Es war ein köstlicher Juniabend. Die Rosen blühten, und die Drossel schlug. Die Gebäude und Türme der Burg mit ihren Vorsprüngen, Dächern und Zinnen hoben sich scharf von dem klaren Himmel ab, und oben im Blauen hing die schmale Mondsichel und fing an, sich mehr und mehr zu vergolden. Unten im Tal, aus dem die Wellen des Neckars im Abendlicht heraufblinkten, und drüben auf den Bergen, zu denen der Blick von der Laube frei hinüber schweifte, lag ein wonnesamer Friede, der wie Duft und Tau der herandämmernden Nacht nicht nur die Blumen und Bäume, sondern auch die Menschen umwob und ihnen erquickliche Ruhe in die Seele goß. Alle, die hier saßen, gaben sich der süßen Labung empfänglich hin. Nur zwei waren mit ihren Gedanken anderswo, als hier in der Laube; das waren Vater und Sohn. Ernsts Sehnsucht strebte über die dunkelnden Berge hinweg gen Osten der Minneburg zu, und die nie rastende Geschäftigkeit Bliggers, der als gebietender Häuptling seiner Sippe für alle denken und für alle handeln zu müssen glaubte, wob unablässig an dem Netze, mit dem er das arglose Herz seines vergnügt neben ihm sitzenden Bruders zu umgarnen gedachte. Jetzt winkte er Sidonien, wandelte mit ihr einen Gartenweg entlang und begann in einiger Entfernung von der Laube zu ihr: »Sidonie, wenn du morgen früh heimreitest, wird dich Hans nach der Minneburg begleiten, um Frau Julianen meinen Bescheid zu überbringen.« »Die Begleitung ist mir angenehm, lieber Ohm,« sprach Sidonie, »aber der Beschluß, statt meiner den Ohm Hans zum Überbringer deiner Willensmeinung zu wählen, zeugt von geringem Vertrauen zu meiner Vermittelungsgabe.« »Du brauchst dich dadurch nicht zurückgesetzt zu fühlen,« erwiderte Bligger. »Wenn es darauf ankäme, Frau Juliane mit fein abgewogenen Worten zu bereden und zu gewinnen, so wäre dazu niemand geeigneter, als du mit deinem erfinderischen Kopf und deiner geläufigen Zunge. Aber darum handelt es sich eben nicht. Unsere Antwort ist der Art, daß aus Rücksichten der Höflichkeit sie einer von uns Brüdern überbringen muß. Selbst aus deiner geschickten Hand empfangen, könnte sie leicht einer unerwünschten Mißdeutung bei Juliane begegnen. Daß aber von uns dreien nur Hans der Überbringer sein kann, wirst du einsehen.« »Das kommt darauf an, wie die Antwort lautet,« versetzte Sidonie. »Das heißt: du möchtest sie gern wissen,« sagte Bligger. »Du wirst sie erfahren, nachdem sie Hans bestellt hat; früher nicht. Und es liegt mir daran, daß er sie Frau Juliane unter vier Augen mitteilt, also suche es einzurichten, daß die beiden ungestört allein bleiben. Kannst du das machen, ohne daß jemand von diesem meinem eben ausgesprochenen Wunsch etwas erfährt?« »Auch Ohm Hans und Juliane selber nicht?« »Die am wenigsten!« »Hm! machen kann ich das wohl; aber das wird ja immer geheimnisvoller,« lächelte Sidonie. »Schade, daß es hier zu dunkel ist, um dein Gesicht sehen zu können, Ohm Bligger! Hinter dieser Bestellung unter vier Augen scheint mir etwas ganz abgefeimt Pfiffiges zu stecken; ist es nicht so?« »Ja, ja! es läuft auf eine Überraschung hinaus,« erwiderte er möglichst unbefangen der gefährlichen Fragerin, die auf dem besten Wege war, seine geheimsten Pläne auszukundschaften. »Es ist gerade so wie bei dem Horoskop, das Juliane auch nur unter vier Augen von deinem sternkundigen Schutzjuden entgegennehmen wollte,« bemerkte Sidonie. »Von meinem Schutzjuden?« »Nun, er erfreut sich doch deines besonderen Schutzes hier auf der Burg.« »Er ordnet mir meine Urkunden und Briefe und dient mir als Schreiber,« sagte Bligger. »Kennst du Julianens Horoskop?« frug er dann. »Nein, sie wollte es uns nicht offenbaren,« erwiderte Sidonie. »Aber du, Ohm Bligger! Du wirst es wohl kennen, nicht wahr?« »Ich? wie soll ich dazu kommen? ich weiß ja kaum --« »Daß Zachäus auf der Minneburg war? -- aber Ohm Bligger!« Er mußte schweigen. Das kluge Mädchen trieb ihn dermaßen in die Enge, daß es ihn die höchste Zeit dünkte, das Gespräch zu beenden, wenn er nicht noch ganz von ihr durchschaut sein wollte. Einen Augenblick überlegte er, ob er Sidonien nicht in seinen Plan mit Hans und Juliane rückhaltlos einweihen sollte. Denn wenn sie darauf einginge und ihm ihren Beistand zusagte, so hätte er an ihr eine unschätzbare Bundesgenossin gehabt. Aber es schien ihm doch zu bedenklich, der Verschwiegenheit eines jungen Mädchens unbedingt zu trauen und der Freundin Julianens ein diese betreffendes, so wichtiges Geheimnis preiszugeben. Plauderte sie, machte sie auch nur die leiseste Anspielung Julianen gegenüber, so war das Gelingen seines Vorhabens ebenso schwer gefährdet, als wenn Ernst in der Lage gewesen wäre, seinem Ohm Hans einen bedeutsamen Wink zu geben. Daher unterdrückte er die flüchtige Regung und wollte sich mit Sidonie wieder der Laube zuwenden. Aber sie hielt ihn zurück und sagte: »Noch eins, Ohm! warum soll Ernst morgen nicht mitreiten?« »Zwei sind zuviel für die kurze Botschaft,« erwiderte Bligger ausweichend. »Er kann euch ein andermal besuchen, meinetwegen so oft er Lust hat und euch willkommen ist.« »Je öfter, je lieber!« »Nun, das mache mit ihm aus. Aber jetzt komm wieder zu den andern; sie werden sich wundern, was wir hier im Dunkeln so lange zu tuscheln haben.« »Herzensgeheimnisse, Ohm Bligger!« lachte Sidonie, »Dinge, denen man im Dunkeln oft besser auf die Spur kommt, als am hellen, lichten Tage. Ich habe in dieser Beziehung eine Fledermausnatur und wittere manches, was man mir verbergen will.« Hatte sie schon etwas gemerkt? Dann wäre es besser, ihr alles zu sagen und Verschwiegenheit dafür zu verlangen, anstatt sie raten zu lassen, was sie durch kein Gelöbnis des Schweigens gebunden, jedem sagen konnte, wem sie wollte. Noch einmal schwankte Bligger; aber in diesem Augenblick rief Hans: »Ein frischer Krug, Bligger! kühl aus dem Keller! macht ein Ende mit euren Geheimnissen und kommt wieder her!« Das nahm Bligger als einen Wink des Schicksals, Sidonien nichts zu sagen, kam herzu und setzte sich mit ihr wieder in den Kreis der Seinigen. Sie hatten in den Ring an einem Pfosten der Laube eine Fackel gesteckt, deren rötliche Flamme die Gesellschaft und den Tisch mit allem, was darauf stand, hell beleuchtete, während durch eine Öffnung im Blättergerank des Laubendaches der Rauch bei der herrschenden Windstille nach oben abzog. Da saß die Ritterfamilie mit dem gefürchteten Namen einmütig und behaglich zusammen mit ihrem jungfräulichen Gaste. Sie plauderten und lachten; die Frauen hielten die tagsüber fleißigen Hände müßig im Schoß, und die Männer ließen ihre Becher nie lange voll und nie lange leer stehen. Dort oben aber auf einem kleinen, aus dem Giebel eines Burggebäudes vorspringenden Altan stand, unbemerkt im Dunkel der Nacht, eine schlanke Gestalt und blickte mit brennenden Augen in die helle Laube hinein, aus welcher dann und wann ein lustiges Wort oder ein von Herzen kommender Ausbruch des Frohsinns zu der Lauscherin herüber drang. Sehnsuchtsvoll, schmerzvoll hob und senkte sich ihre Brust; niemand gedachte der Einsamem, niemand begehrte ihrer; was Glück und Freude war, konnte sie nur nach dem ermessen, wie sie es bei anderen Menschen sich äußern sah; ihr selber hatten in der Stunde der Geburt die Sterne nicht günstig, nicht glückverheißend gestanden. Dreizehntes Kapitel. Bligger kannte seinen Bruder Hans. Als dieser am andern Morgen im Hofe der Mittelburg erschien, um Sidonien abzuholen, hatte er richtig seinem Rappen das kostbarste Zaumzeug auflegen lassen, als ob er zu einem festlichen Turnier zöge. Der Sattel aus Hagebuchenholz war mit Blumen und Ranken bemalt. Die darunter liegende Satteldecke, deren Zipfel fast bis zur Erde hinab hingen, war aus schwarzem Seidenstoff, goldumsäumt, mit goldenen Harfen bestickt und unterhalb gelb gefüttert. Der Bauchgurt, die Zügel und die Riemen der silbernen, reich verzierten Steigbügel waren bunt gesteppt und mit breiten Borten prächtig geschmückt, und der hirschlederne Brustriemen des Pferdes war dicht mit silbernen Schellen behangen, die bei jeder Bewegung des Tieres lustig klingelten. Der Ritter selber trug ein purpurrotes Brokatwams, ebenfalls mit den goldenen Harfen bestickt, und einen schönen Pfauenhut auf dem langgelockten Haupte. Bligger übergab ihm den zusammengefalteten Pfandbrief über Julianens Wald, und Hans steckte das wichtige Schriftstück sorglich in die Tasche, die ihm an dem edelsteinbesetzten Gürtel hing. Sidonie nahm freundlichen Abschied von ihren Wirten, wobei sie Bligger und Ernst noch einmal bedeutungsvoll zunickte zum Zeichen, daß sie sich der ihr von beiden gewordenen Aufträge sehr wohl erinnerte und sie pünktlich ausführen würde. Dann hob Ernst sie mit Kraft und Geschicklichkeit in den Sattel ihres Schweißfuchses, und sie und Hans ritten frohgemut zum Burgtor hinaus. An Sidoniens schöngewölbter Brust prangte eine frisch gepflückte, eben aufbrechende Rosenknospe. Hans ritt diesmal mit ganz anderen Empfindungen nach der Minneburg als das vorige Mal. Er trug Julianens Wald, sozusagen, bei sich in der Tasche, freute sich fast kindlich darauf, ihn ihr mit ein paar ritterlichen Worten zurückgeben zu können, und weidete sich in Gedanken schon an dem Anblick ihrer grenzenlosen Überraschung. In welcher Weise sie ihm ihren Dank bezeigen, und was weiter alles darauf folgen würde, darüber wollte er eigentlich nicht nachdenken, tat es aber unwillkürlich doch. In der abgesagten, schwer beleidigt tuenden Gegnerin, die ihn bei seinem ersten Besuch so hochmütig behandelt hatte, sah er nun wieder das schöne, verführerische Weib, das sie ihm ehemals gewesen war. Darum war er auch durchaus nicht abgeneigt, allen Minnedank von Julianen freudig hinzunehmen, den sie, ohne daß er ihn forderte, ihm zu spenden etwa gewillt wäre, wenn sie ihm nur seine Freiheit ließ und nicht von ihm verlangte, sich untrennbar an sie zu binden. Aber wenn er nicht um sie würbe, -- und dessen war er sicher -- sie konnte ihn doch nicht, wie er und seine Brüder einst ihren befehdeten Gatten, mit Gewalt gefangennehmen und so lange einsperren, bis er sich, nicht mit einem meilenweiten Walde, sondern mit einem kleinen goldenen Fingerring aus einer Gefangenschaft löste, nur um in eine andere, lebenslange und in seinen Augen weit schlimmere zu verfallen. Ihm war die Aussicht eine höchst verlockende, wenn er sich ausmalte, daß ihm die schöne Frau die Erlaubnis erteilte oder gar das Recht einräumte, öfter wiederzukommen als verschwiegener Freund zur vertrauten Freundin, und sie beide in dem äußerlich fessellosen Bunde eines süßen Geheimnisses ein Glück genössen, das keinen Beobachter, keinen Neider und keinen Rächer hätte. Daß Julianens siebzehnjährige Tochter Augen und Ohren hatte und nicht mehr wie ein Kind aus dem Zimmer hinaus auf den Spielplatz oder zu Bett geschickt werden konnte, wenn der ersehnte Besuch kam, das bedachte der brave Hans nicht, als er im Sattel so schwärmerisch träumte. Sidonie störte ihn nicht in seinen Betrachtungen, sondern ritt schweigend neben ihm, denn es ging ihr selber mancherlei durch den Kopf. Schon im Burghof war ihr Hansens ausgesucht prächtige Kleidung und das kostbare Sattel- und Zaumzeug seines Pferdes aufgefallen. Wenn er das schlichte Jagdgewand, das er beständig trug, für den Besuch bei einer Dame mit einem etwas gewählteren Anzuge vertauscht hätte, so würde sie das nur in der Ordnung gefunden haben, aber daß er sich Julianens wegen heute noch weit mehr, als das vorige Mal, und in einer Weise ausstaffiert hatte, als wollte er an den Hof des Kaisers, das gab zu denken. Vor allem jedoch lag ihr Bliggers geheimnisvolles Wesen am gestrigen Abend im Sinn und die Entscheidung, die nur ein Landschad selber und gerade Hans und nur unter vier Augen Julianen mitteilen könnte, und die auf eine Überraschung hinauslaufen sollte. Hm, hm! Hans und Juliane unter vier Augen! Wenn die beiden wollten, wie sie könnten, dann gäbe das ein Paar, so stattlich, so herrlich, so für einander geschaffen wie Adam und Eva im Paradiese. Am Ende war es Ohm Bliggers eigene Meinung, den Frieden auf die allerdings sehr überraschende Weise zu schließen, daß sich die beiden aus ewig miteinander verbinden sollten; denn daß er mit ihnen noch etwas Besonderes im Schilde führte, hatte sie aus seinen Reden wohl gemerkt. »Hans und Juliane, Ernst und Richilde, -- zwei Paare für eines!« lachte sie in sich hinein. Freilich war ihr Hansens fast sprichwörtlich gewordener Abscheu vor der Ehe wohl bekannt, aber Juliane war eine Frau, die mit ihrem lebhaften Geist, ihrer jugendlichen Anmut und ihren hohen körperlichen Reizen auch den nüchternsten Mann bezaubern und fesseln mußte. Und der kraftstrotzende, auch noch in ungewöhnlicher Frische blühende Junker Hans sollte, trotz seines Ehehasses, hübschen Frauen und Mädchen gegenüber durchaus kein Herz von Stein in der Brust haben, wie Sidonie schon öfter gehört hatte. Für Ernst und Richilde war sie bereits der erwählte Liebesbote; wie, wenn sie nun auch noch Hans und Juliane zu ihrem Glück verhülfe! Sie würde stolz darauf sein, wenn sie auch diesen beiden die Brautkammer bekränzen könnte. Hätte doch Ohm Bligger ihr nur ein Wort gesagt, ihr nur einen Wink gegeben, wo sie anfassen sollte, um mit ihm an einem Strange zu ziehen! Und welchen Freundschaftsdienst würde sie damit Ernst und Richilde leisten! Denn wenn Juliane selber den einen Landschaden heiratete, konnte sie ihre Tochter unmöglich dem anderen versagen. Jedenfalls wollte Sidonie herauszubringen suchen, wie jene zwei miteinander stünden, und zu diesem Behufe jetzt Ohm Hans ein wenig auf den Zahn fühlen. »Nicht wahr, Ohm Hans,« begann sie, »du standest früher auf ganz freundschaftlichem Fuße mit Juliane?« »Gewiß!« erwiderte er, »wie kommst du zu der Frage?« »O ich wünschte sehr, daß sich das alte, gute Verhältnis zwischen euch wieder herstellen ließe.« »Das hängt nur von ihr ab,« sprach er, »und heute wird es sich zeigen, ob sie dazu geneigt ist.« »So, heute! -- Hast du gute Hoffnung darauf?« »Wer kann das wissen, Sidonie! Du kennst sie ja; sie läßt sich nicht ins Herz blicken.« »Wenigstens selten; manchmal gelingt mir's doch. Sie schenkt mir viel Vertrauen. Du wünschest es doch auch, daß ihr wieder gute Freunde werdet?« »Ja freilich!« sprach er lebhaft. »Was ich dazu tun kann, soll geschehen; aber wenn es das hier nicht zu Wege bringt, so wird es schwer halten.« Dabei schlug er mit der Hand auf die Tasche, worin der Pfandbrief steckte. Sidonie wartete, ob er ihr nicht verraten würde, was für ein Talisman es wäre, der die erloschene Flamme der Freundschaft wieder anfachen sollte. Da er es aber nicht sagte, so mochte sie auch nicht danach fragen; er konnte ja denken, sie wüßte es. Nach einer kleinen Weile hub sie wieder an: »Juliane lebt auf ihrer Burg gerade so einsam wie du auf der deinigen, Ohm Hans. Ich hielte das auf die Dauer nicht aus.« »Nun, wozu hat man denn seine Rosse im Stalle?« lachte er. »Ja, wenn nachher das Trennen nicht wäre, das sich wieder Losreißen voneinander!« »Das erhöht die Lust des Wiedersehens und feuert die Sehnsucht an.« »Also hast du doch zuweilen Sehnsucht nach ihr,« lächelte Sidonie. »Nach wem?« frug er betroffen. »Nun, von wem sprechen wir denn? ich denke, von Juliane.« »An sie dachte ich nicht, als ich von Wiedersehen und Sehnsucht sprach,« erwiderte er etwas verlegen. »Ich dachte -- zum Beispiel an deinen Vater und andere gute Freunde.« »Aha!« machte Sidonie. »Aber heute freust du dich doch gewiß auf das Wiedersehen mit Juliane.« »Wenn sie's mir nur nicht wieder mit demselben Salze würzt wie das vorige Mal!« seufzte er. »Nun mit dem, was du da in der Tasche hast, wirst du ihr schon willkommen sein,« sagte Sidonie. »Du meinst den Pfandbrief?« sprach er ohne Bedenken, »ja, das hoff' ich auch.« Also der Pfandbrief war es. -- Bligger hatte nachgegeben; Juliane bekam ihren Wald zurück; dem Frieden, der Eintracht, dem Herzensbunde stand nichts mehr im Wege, und das alles sollte nun im Handumdrehen unter vier Augen Zug um Zug abgemacht werden. Trug Ohm Hans vielleicht auch die goldenen Eheringe gleich mit in der Tasche, plötzlich entschlossen, dem so lange festgehaltenen Junggesellenleben Valet zu sagen? Auch das mußte ihm Sidonie noch entlocken. »Einen schöneren Frieden konntet ihr anders gar nicht schließen,« sagte sie. »Ich freue mich schon darauf, Ohm Hans, wenn ich euch erst Hand in Hand miteinander stehen sehe. Das soll einmal ein Fest werden!« »Nicht wahr? und alles, was im Neckartale wohnt, muß dabei sein,« sprach er vergnügt, ahnungslos, was für ein Fest Sidonie dabei im Sinn hatte. »Schiebt es nur nicht noch zu lange auf,« mahnte sie. »Juliane wird sich gewiß nicht dagegen sträuben, daß ihr so bald wie möglich an das Ziel eurer Wünsche gelangt.« »Nun, _mein_ Verlangen brauchst du nicht noch zu stacheln, Sidonie!« erwiderte er. »Wenn es nach meinem Willen gegangen wäre, so wären wir längst dahin gekommen.« »Das glaub' ich dir, Ohm Hans!« lächelte sie. Nun wußte sie genug, war jedoch über den schnellen Entschluß des als eingefleischter Hagestolz Verschrienen aufs höchste verwundert. Ja freilich, da hatte Bligger recht: das gab eine Überraschung, über die man auf allen Burgen so leicht nicht fertig werden würde. Und Hans schien der Einwilligung Julianens schon so zweifellos sicher zu sein, daß es ihrer, Sidoniens, eingreifender Vermittelung gar nicht mehr bedurfte; sie war nur noch die erstaunte Zuschauerin bei einem ganz unberechenbar gewesenen Ereignis, dessen Eintreffen höchstens die Sterne vorausgesehen haben konnten. Darum also mußte Hans sie zur Minneburg begleiten, darum hatte er sich so prächtig geschmückt; sie führte der Harrenden den heimlich Geliebten, den sehnsüchtig erwarteten Freier zu. Und wie hatte Juliane sich zu verstellen gewußt, wenn sie von ihrem Hasse gegen die Landschaden sprach, vor denen sie die Brücke aufziehen lassen wollte! Vorgestern noch hatte sie so getan, als müßte sie sich von Sidonien erst groß bitten und bereden lassen, Botschaft nach der Mittelburg zu senden, und als geschähe das nur Sidonien zuliebe, um ihr ein Wiedersehen mit Ernst zu ermöglichen. Dieses Nasführen wollte sie der tugendsamen Burgfrau anstreichen; wie, das sollte ihr der Augenblick eingeben, aber sie fing während des Rittes schon an, über eine hübsche kleine Bosheit nachzudenken, mit der sie sich an der Heuchlerin rächen wollte. Nachdem beide eine Strecke schweigend nebeneinander hergeritten waren, begann Sidonie: »Wie willst du denn das machen, Ohm Hans, wenn du Julianen den Pfandbrief überreichst?« »Das überlege ich mir auch eben,« erwiderte er. »Du mußt nämlich wissen, Sidonie, daß wir ihr den Wald zurückgeben ohne einen Pfennig dafür zu verlangen; die ganze Schuld ist gestrichen.« »Ah, das ist brav!« rief Sidonie. Natürlich! dachte sie, die zweihundert Gulden sind Ohm Bliggers Brautgeschenk. »Das mußt du aber schlau anfangen, mußt erst ganz allmählich damit herausrücken, sonst verfehlt es seine rechte Wirkung,« fügte sie dann laut hinzu. »Meinst du? ja, wie denkst du dir das?« frug er. »Ich will dir etwas sagen, Ohm Hans,« sprach Sidonie. »Hier im Walde sieht und hört uns niemand; da könnten wir das einmal probieren. Ich stelle Juliane vor, du bringst mir die wichtige Nachricht, und aus Rede und Gegenrede sehen wir dann, wie sich das entwickeln wird, damit du nachher auf alles vorbereitet bist.« »Ein guter Vorschlag, Sidonie! das wollen wir machen,« sagte Hans. »Dann komm hier vom Wege fort in das Gebüsch und hilf mir vom Pferde.« Sie ritten etwas tiefer in den Wald unter die Bäume; Hans stieg ab, hob in seinen starken Armen Sidonien wie ein Kind aus dem Sattel und band die Pferde an eine halbwüchsige Birke. »So!« sagte sie, »dieser bemooste Stein hier ist Julianens Sessel; darauf sitze ich als die Herrin der Minneburg und höre dich gnädig an.« Sie setzte sich auf den Stein und nahm, so gut sie konnte, Haltung und Miene derjenigen an, deren Rolle sie spielen wollte, während Hans ihr gegenüber stand und sich auf eine Anrede besann. »Nun steh' nur nicht wie ein armer Sünder da!« lachte Sidonie, »du bringst mir doch etwas Gutes; fange an!« Hans räusperte sich, machte eine tiefe Verbeugung vor der Sitzenden und begann: »Hochedle Frau! wir haben Euren Vorschlag, den uns gestern die schöne und liebenswürdige Sidonie --« »Erlaube!« unterbrach sie ihn, »keine Frau hört es gern, wenn ein Mann eine andere schön und liebenswürdig findet, und wenn er noch so sehr recht hätte. Also fange noch einmal an und laß das weg.« Er wiederholte nun: »Hochedle Frau! wir haben Euren Vorschlag, den uns Sidonie in Eurem Namen überbracht hat, reiflich erwogen, aber zu meinem großen Bedauern muß ich Euch mitteilen, daß wir drei Brüder übereingekommen sind, denselben rund abzulehnen.« »Sehr gut! sehr gut!« sagte Sidonie halblaut. Dann aber, Julianens Stimme und Sprechweise vortrefflich nachahmend, sprach sie scharf und hochmütig: »Das bedaure ich gleicherweise, Junker Hans, und wundere mich nur, daß Ihr den gehässigen Auftrag übernommen und Euch zu der Kühnheit verstiegen habt, mir eine so unangenehme Nachricht selber zu bringen. Ich muß Euch sagen, Herr, daß es mir lieber gewesen wäre, wenn Ihr das Sidonien allein überlassen hättet.« »Alle Wetter!« sprach Hans, »das ist stark!« »Ja, darauf mußt du dich gefaßt machen.« »O weh! o weh! was soll ich darauf antworten?« seufzte er. »Du mußt lächeln. Lächle mal, Ohm Hans! -- mehr! -- spöttischer! den Kopf höher! -- so! Nun sagst du: Wollt mich geduldig anhören, gnädige Frau!« »Wollt mich geduldig anhören, gnädige Frau!« »Was könnt Ihr mir danach noch zu sagen haben, das anzuhören der Mühe wert wäre?« sprach Sidonie mit Julianens wegwerfendstem Tone. »O gnädige Frau,« erwiderte Hans, »wenn Ihr wüßtet, was ich hier in der Tasche habe --« »Pst! noch nicht! erst noch ein bißchen zappeln lassen!« unterbrach ihn Sidonie. »Nun, dann so: O gnädige Frau, Sidonie hat uns gesagt, daß es Euch im Grunde Eures Herzens mehr um die Freundschaft mit uns, als --« »Halt! ums Himmelswillen, kein Wort davon!« rief Sidonie. »Damit würdest du mir einen schönen Stein in den Weg rollen!« »Ja, was soll ich denn sagen?« frug er kleinlaut. »Warte mal! -- Sage, du hättest ihr einen andern Vorschlag zu machen, der vielleicht ihre Billigung fände.« »Also noch einmal: O gnädige Frau, es könnte doch sein, daß ich Euch einen anderen Vorschlag zu machen hätte, -- von dem wir hoffen könnten, -- so glücklich zu sein, -- uns Eurer Billigung desselben -- erfreuen zu dürfen.« »Gut! aber das muß glatter gehen,« sagte Sidonie, und dann mit verändertem Tone: »Gegen die einzige Bedingung, die ich gestellt habe, nehme ich keine anderen Vorschläge an.« »Aber wenn wir nun mit einem geringeren, mit einem weit geringeren Lösegeld zufrieden wären, als Ihr uns selber angeboten habt?« »Ich feilsche mit Euch nicht um Geld!« »Und wenn wir auch auf den Wildbann verzichteten?« »Seht gut! sehr gut, Ohm Hans!« lobte ihn Sidonie. »Nun gib acht! jetzt horcht Juliane auf und wird schon etwas freundlicher. Auf den Wildbann wollt Ihr verzichten? wirklich? ist das ernst gemeint, Junker Hans?« »Gewiß, gnädige Frau! Keiner von uns soll künftig den Wald betreten ohne Eure Erlaubnis.« »Vortrefflich! jetzt sieht sie dich mit solchen Augen an, -- sieh mal, so!« »Ei!« sagte Hans, »das ist hübsch!« »O Junker Hans, Euch würde ich die Erlaubnis zu jeder Zeit sehr gern erteilen. Und -- was sagtet Ihr doch von dem Lösegelde?« »Von einem Lösegelde, gnädige Frau, ist keine Rede mehr.« »Wie das, Junker Hans? -- Jetzt ziehst du den Pfandbrief aus der Tasche,« flüsterte Sidonie. Hans tat das, und ihr das Schriftstück darreichend sprach er: »Hier, Frau Juliane, geb' ich Euch Euren Wald zurück, ohne -- ohne --« »Ohne etwas anderes dafür von Euch zu verlangen, als Eure Freundschaft,« half ihm Sidonie ein. »Als Eure Freundschaft, Frau Juliane!« sprach Hans aufatmend nach. »Junker Hans! Hans! mein Hans! wie dank ich Euch!« rief Sidonie, sprang auf, umhalste den ganz Verblüfften und küßte ihn herzhaft auf den Mund. Dann brach sie in ein tolles Gelächter aus. »Siehst du, so kommt's! so kommt's!« jubelte sie. »Und was machst du nun? nun hältst du sie fest, ganz fest.« »Ja, ja, das tue ich schon.« »Nun, mich kannst du jetzt loslassen,« sagte sie immer noch lachend und sich seinen Armen entwindend. »Nicht übel!« schmunzelte Hans, »das gefällt mir; wenn die Probe nur Stich hält!« »Kann gar nicht fehlen,« erwiderte sie, »wenn du nur alles richtig machst.« »Weißt du, Sidonie,« sprach er, »das letzte, von da an, wo ich den Brief aus der Tasche ziehen muß, das sollten wir, der Sicherheit wegen, lieber noch einmal machen; ich glaube, das ging noch nicht glatt genug.« »O doch, Ohm Hans! fürs erstemal ging es schon außerordentlich glatt,« lachte sie; »das behältst du gewiß und wirst es schon recht machen. Jetzt komm! in kaum einer Stunde sind wir an Ort und Stelle, wo du zeigen mußt, was du hier im Walde von mir gelernt hast.« Da nahm er sie wieder auf die Arme, um sie in den Sattel zu heben. »Einen Kuß noch, Mädchen! als Lehrgeld,« bat er, sie vor sich tragend. Sie zierte sich nicht und bot ihm die frischen, roten Lippen dar. Dann setzte er sie aufs Pferd, schwang sich selber in die Bügel, und fröhlich ritten sie ihres Weges weiter. Lange Zeit wurde kein Wort zwischen ihnen gewechselt. Er überhört es sich noch einmal, dachte Sidonie. So war es auch. Hans wiederholte sich im stillen Wort für Wort, was er sagen wollte. Er zweifelte gar nicht daran, daß alles so käme, wie es sich hier im Walde so leicht, so ganz von selber wie am Schnürchen abgespielt hatte, und malte sich schon in Gedanken aus, wie ihm zumute sein würde, wenn ihm Juliane so in die Arme flöge, wie es Sidonie getan hatte. Dann aber wollte er auch nicht wieder so töricht sein wie damals und davonlaufen, sondern sein Glück festhalten und nicht wieder fahren lassen. Wenn sie dann nur nicht von Heiraten spräche! doch das wollte er ihr schon auf gute Weise ausreden; sie könnten auch ohne das sich lieb haben und glücklich sein. Weiter und weiter spann er den glänzenden Faden und konnte es kaum erwarten, bis er Julianen gegenüber stünde und sich alles erfüllte, was er wünschte und hoffte. Endlich sprach er: »Ist dir's recht, Sidonie, wenn wir jetzt einen schlanken Trab machen?« »O du liebe Ungeduld!« lachte sie, »meinetwegen, vorwärts!« Die Rosse sprangen an; aber statt in schlankem Trabe jagten Reiter und Reiterin in einem sausenden Galopp durch den Wald. Vierzehntes Kapitel. Juliane war im Zweifel, was sie von Sidoniens Meldung, die ihr der allein heimkehrende Knecht am Abend überbracht hatte, denken sollte. Zunächst glaubte sie allerdings, daß Sidonie nur durch ihre Liebe zu Ernst bewogen sei, bis zum anderen Tage auf der Mittelburg zu bleiben. Dann aber sagte sie sich, daß jene trotzdem doch wohl zurückgekommen wäre, wenn sie ihr eine so wichtige Nachricht wie die unbemängelte, unverzügliche Annahme ihres Vorschlages seitens der Landschaden hätte mitbringen können. Man besann sich also noch, suchte Ausflüchte, machte neue Schwierigkeiten, wagte vielleicht gar, den Vorschlag ohne weiteres abzulehnen. Diese Vermutung schon erweckte Julianen ein solches Gefühl der Empörung über die Handlungsweise ihrer Gegner, daß sie bitter bereute, Sidonien nach der Mittelburg entsendet und sich dadurch einer kränkenden Zurückweisung ausgesetzt zu haben. Dabei zürnte sie Sidonien, daß diese nicht stolz genug gewesen war, auf der Stelle umzukehren, sobald sie das geringste Zögern und Schwanken bei den Landschaden wahrgenommen hatte. Mindestens hätte sie ihr durch Eberle doch eine Andeutung über die Lage der Sache zukommen lassen sollen statt der trockenen, nichtssagenden Anzeige, daß sie die Nacht über dort bleiben würde, die sie dem Knecht nicht einmal selber aufgetragen, sondern durch einen der Landschaden hatte befehlen lassen. Einen Augenblick brach, wie ein flüchtiger Sonnenstrahl aus dunklem Gewölk, in ihren Grimm der Gedanke hinein, daß Hans am Ende mitkommen könnte, um ihr die große Friedensbotschaft selber zu bringen. Wenn das geschähe, ja dann -- dann sollte er ihr doppelt hochwillkommen sein; aber das wagte sie nicht zu hoffen. Auf alle Fälle wollte sie sich nicht überraschen lassen und ließ dem Türmer sagen: wenn er Fräulein Sidonie mit einem oder zwei ritterlichen Begleitern kommen sähe, so sollte er ins Horn stoßen. Auf dieses Zeichen wartete sie nun in einer für ihre Umgebung unnahbaren Stimmung. Der halbe Vormittag verging auf der Minneburg in ununterbrochener Ruhe. Am Brunnenteuchel plätscherte das Wasser, das vom Berge her aus ziemlicher Entfernung der Burg in hölzernen Röhren zugeführt wurde. Dann und wann ging eine Magd dahin, um zu schöpfen. Weiprecht Kleesattel hinkte über den Burghof, und die reisigen Knechte lungerten am Tor und in den Ställen umher und gähnten. In den Bäumen des Zwingers zankten sich die Spatzen, und auf den Dachfirsten sonnten sich die Tauben. Hiltrud und Richilde saßen verschüchtert im großen Palasgemach bei Juliane, die ihren gewohnten Platz im Erker innehatte. Doch keine sprach; auf allen lag eine beklemmende Schwüle. Da plötzlich schmetterte das Horn des Türmers in die tiefe Stille hinein. Die beiden Mädchen sprangen geschwind zu Julianen in den Erker, und alle drei -- Mutter und Tochter mit klopfenden Herzen -- lugten erwartungsvoll zum Burgweg hinab, wo sie bald Sidonien mit Hans auf ihren Pferden erscheinen sahen. Richildens Gesicht ward ein wenig bleich; Julianens Wangen röteten sich. Aber mein Gott! wie langsam ritten die beiden! So steil war der Weg doch nicht, daß man ihn so schneckenartig hinaufkriechen mußte. Endlich erreichten sie die Zugbrücke und ritten darüber und kamen ans Burgtor, und endlich waren auch die Schweife der Rosse darin verschwunden. Doch es dauerte noch entsetzlich lange Minuten, bis die Tür des Gemaches sich auftat und die beiden erschienen. Hans blieb in seiner ganzen Pracht und Herrlichkeit wie eine heraufbeschworene Erscheinung auf der Schwelle stehen, um bei Sidoniens Begrüßung nicht hinderlich zu sein. Sidonie aber flog auf Juliane zu und rief: »Da sind wir, Frau Juliane! verzeiht, daß ich gestern ausblieb! Dafür sind wir auch heute geritten, daß die Funken stoben.« Juliane konnte vor Erregung nichts erwidern, aber die Rose bemerkte sie an Sidoniens Brust und warf einen schnellen Blick von dieser in des Mädchens Gesicht. Dann ging sie Hans entgegen und sagte, ihm die Hand bietend: »Seid mir willkommen, Junker Hans!« [Illustration: Er trat freudestrahlend auf sie zu und drückte ihr warm die Hand.] Er trat so freudestrahlend auf sie zu, er drückte ihr so warm die Hand, daß ihr ein ganzer Strom von Hoffnung durch das Herz flutete. Noch ehe er ein Wort gesprochen, saßen sie sich Auge in Auge gegenüber. Sidonie hatte Hiltrud und Richilde schnell zugeflüstert: »Kommt! Botschaft von Ernst!« und wie gescheuchte Kobolde huschten sie alle drei zur Tür hinaus. Hans und Juliane waren allein. »Ich sehe es Euch an, Junker Hans; Ihr bringt mir den Frieden,« nahm Juliane das Wort. Hans stutzte. Das war außer der Reihe der abgehaltenen Probe; er mußte ja anfangen, nicht sie. »Wollt mich geduldig anhören, gnädige Frau!« begann er nun seine eingeübte Rede, um doch noch ins rechte Gleis damit zu kommen. »Zu meinem Bedauern muß ich Euch mitteilen --« Jetzt war es Juliane, die bei diesem nichts Gutes verheißenden Anfang erschrak; aber in den Augen des Sprechers flimmerte und flunkerte etwas so Lustiges und Listiges, daß sie ihn lachend unterbrach: »Ach, Junker Hans, spart Euch die Mühe, mich irreführen zu wollen! Ihr seht wahrhaftig nicht aus wie einer, der etwas Bedauernswertes mitzuteilen hat. Da in der Tasche, auf die Ihr so breit behütend und beschützend Eure ritterliche Hand haltet, da steckt der Pfandbrief über den Wald; rückt nur heraus damit, verleugnen könnt Ihr ihn doch nicht!« Hans war vollkommen sprachlos, und es war nicht das klügste Gesicht, das er bei diesem unvermuteten Angriff machte, denn es wirbelte ihm wie närrisch im Kopfe herum, und wie von einer Wespe gestochen, fuhr seine Hand unwillkürlich von der Tasche zurück. Wo blieb nun die ganze schöne Einleitung und Überraschung, die sich nach der sorgfältigen Vorbereitung im Walde von Wort zu Wort steigern sollte, um in dem glänzendsten Erfolge zu gipfeln? Damit war es nun nichts. Auf das, wie es nun gekommen, war er nicht im mindesten vorbereitet; jetzt war er selber der Überzuckte und hatte weder den Mut noch die Geistesgegenwart, Julianens merkwürdigen Treffer durch einen geschickten Gegenstoß zu überbieten und sie mit erkünstelten Hindernissen und Schwierigkeiten zu necken und hinzuhalten, um zuletzt mit einem desto stolzeren und glücklicheren Siege über sie zu triumphieren. »Frau Juliane,« sagte er, nachdem er sich einigermaßen gesammelt hatte, »ich bin schier fassungslos vor Staunen über Euren wunderbaren Scharfblick. Ihr habt es erraten: hier in der Tasche steckt der Pfandbrief, und ich freue mich ganz ungemein darüber, daß Ihr nicht einen Augenblick angenommen habt, ich hätte wieder herkommen können, ohne Euch die Erfüllung Eures Wunsches zu überbringen.« Und in die Tasche greifend und ihr die Urkunde darbietend, fuhr er fort: »Hier, edle Frau, nehmt Euren Wald von uns zurück!« Mit einem rührend innigen Blick und in einer überaus holdseligen Verwirrung, die ihr Antlitz mädchenhaft verjüngte und noch verschönte, nahm sie das Schriftstück hin und reichte dem wiedergewonnenen Freunde die Hand mit den wenigen, aber herzlich warm gesprochenen Worten: »Ich danke Euch, Junker Hans!« Er sah sie mit seinem strahlendsten Lächeln an, während ihm das Herz in Erwartung des nun Kommenden heftig klopfte. Aber das Lächeln schwand mehr und mehr aus seinem Gesicht, als nichts weiter erfolgte. Sie fiel ihm nicht um den Hals, wie es doch Sidonie für das Nächstliegende und einzig richtige in diesem feierlichen Augenblick halten mußte. Statt dessen erhob sie sich, zog einen Schlüssel aus ihrem Kleide und sprach: »Laßt uns nun auch gleich alles in Ordnung bringen, damit die Sache gänzlich abgetan und vergessen ist.« Sie hatte den Pfandbrief auf den Tisch gelegt, der neben ihrem Sessel stand, und ging nun zu einem Schrein und erschloß ihn. »Was meint Ihr, Frau Juliane?« frug er. Sie lächelte verlegen und sagte: »Nun, -- Ihr habt wohl die Güte, es mitzunehmen, -- es liegt schon bereit, -- die zweihundert Gulden --« Schnell sprang er auf. »Ihr habt mich mißverstanden,« sprach er freundlich; »von dem Lösegeld ist keine Rede mehr.« Sie sah ihn erstaunt an, als begriffe sie noch immer nicht. »Wie sagt Ihr?« »Der Wald ist Euer und bleibt Euer, und nicht einen Pfennig nehmen wir dafür von Euch an,« erwiderte er bestimmt. Sie wurde sehr bleich und starrte vor sich hin ohne eine Antwort zu geben. Jetzt aufgepaßt! dachte Hans; es glückt doch noch, und dann festhalten, ganz festhalten! hatte Sidonie gesagt. Aber kalt und hart kam es von Julianens Lippen: »Ich nehme nichts geschenkt von euch!« Da wallte es heiß in ihm auf. Die Stirnader schwoll ihm; hastig ergriff er den Brief, und ihn mit beiden Fäusten vor sich haltend rief er, dunkelrot im Gesicht, mit lauter Stimme: »Frau Juliane! in tausend Fetzen zerreiße ich den Brief und werfe sie Euch vor die Füße, wenn Ihr noch ein Wort von Zahlen oder Schenken sprecht! Ich bin hergekommen in der Freude meines Herzens, Euch den Wald wiederzubringen, wonach ich lange getrachtet habe, und mein Arm, mein Schwert und mein Blut stehen Euch zu Diensten in jedem Augenblick, da Ihr sie fordert, aber verflucht der Pfennig, der aus Eurer Hand in meine geht! Da!« -- er donnerte den Brief auf den Tisch -- »da liegt das Gekritzel! ich nehme nichts mit; schickt's, wenn Ihr's nicht lassen könnt, aber einen Landschaden seht Ihr auf Eurer Burg dann niemals wieder!« Er bebte am ganzen Leibe und stand wie ein gereizter Löwe, die blonde Mähne schüttelnd und mit zornsprühenden Augen. So hatte ihn Juliane nie gesehen. Während es in ihr wogte und stürmte, schaute sie ihn gedankenvoll prüfend an, als wollte sie bis auf den Grund seiner Seele blicken. Dann sprach sie: »Junker Hans, vor einiger Zeit war ein Jude hier, der mir aus den Sternen wahrsagte, daß mir binnen kurzem ein lange gehegter Wunsch in Erfüllung gehen würde. Die Prophezeiung trifft nun ein. Ihr bringt mir den Wald zurück, und --« »Und Ihr nehmt ihn, wie ich ihn biete?« frug er freudig bewegt, ihr beide Hände entgegenstreckend. »Ja!« sagte sie fest. Sie hielten sich an beiden Händen erfaßt und sahen einander tief in die Augen. Auf seiner wie auf ihrer Lippe schwebte ein Wort, vielleicht ein Schrei, der sich aus ihren Herzen emporrang, aber -- die Lippen blieben stumm. Hätte einer von ihnen einen Laut nur von sich gegeben, sie wären sich Brust an Brust gesunken. Jeder erwartete vom andern etwas, das nicht geschah, und der entscheidende Augenblick ging ohne Schicksalsspruch vorüber. Die Hände lösten sich. Juliane wandte sich mit einem unterdrückten Seufzer ab und verschloß den Schrein wieder. Ihr war, als schlösse sie ihr Herz zu. »Lebt wohl!« sprach er dumpf und ging zur Tür. Sie nickte stumm aber rührte sich nicht. An der Tür kehrte er sich noch einmal nach ihr um, sah sie mit einem hoffnungslos traurigen Blick an, und wie ein Scheidegruß auf ewig kam es ihm aus eingeschnürter Kehle: »Lebt wohl, Juliane!« Da hielt sie sich nicht länger; sie lief fast auf ihn zu, packte ihn an der Hand und rief: »Bleibt! -- ich habe mit Euch zu reden.« Sie führte ihn zum Erker, deutete auf die eine Bank darin und setzte sich selber auf die andere ihm gegenüber. Als sie beide so saßen und sich anblickten, zeichnete sich in Hansens Gesicht die gespannteste Erwartung, während Juliane vor innerer Erregung kaum Worte fand, um das auszusprechen, was ihr endlich einmal von der Seele herunter mußte. »Hans Landschad,« begann sie endlich, »wißt Ihr noch, was vor drei Jahren einmal hier im Gemache -- dort an dem Kredenztische war es -- zwischen zwei Menschen geschah, die, wie es damals schien, einander lieb hatten?« »Ich weiß es noch, Juliane,« erwiderte er höchst betroffen von dieser Einleitung des Gespräches. »In den Armen lagen sich zwei, die in dem Augenblick vergessen hatten, was sie einem Dritten schuldig waren.« »Ja, so war es,« sagte sie; »doch sie besannen sich noch zur rechten Zeit darauf und trennten sich. Ihr stürmtet hinaus, und als ich zur Besinnung kam, dankte ich es Euch im stillen. Aber jetzt frage ich Euch: warum kamt Ihr niemals wieder?« »Ich wollte nicht zum Verräter werden an jenem Dritten.« »Ihr beschämt mich mit dieser Antwort,« sprach sie errötend. »Aber warum kamt Ihr auch dann nicht wieder, als Ihr jenen Dritten nicht mehr verraten konntet?« »Weil ich glaubte, Ihr haßtet mich wie uns alle.« »Euch hab' ich nie gehaßt!« erwiderte sie mit bewegter Stimme und einem innigen Blick. »Juliane!!« rief er aufspringend. »Bleibt sitzen!« sagte sie schnell und streckte wie abwehrend die Hand gegen ihn vor, »ich habe noch eine dritte Frage. Warum kommt Ihr jetzt wieder? warum bringt Ihr mir meinen Wald ohne Lösegeld zurück? warum sucht Ihr jetzt Frieden und Freundschaft mit mir, die Ihr doch drei Jahre lang entbehren konntet?« »Wenn ich es ehrlich sagen soll,« erwiderte er zögernd, »auf Antrieb meines Bruders Bligger.« »Auf Antrieb Eures Bruders!« wiederholte sie bitter enttäuscht; »also nicht aus eigenem. Ich danke Euch für Eure Ehrlichkeit, Junker Hans!« Er wurde sehr verlegen und sah ein, welche ungeschickte, fast kränkende Antwort er ihr gegeben hatte. »Ich wollte nur sagen,« stotterte er, »daß von Bligger der Vorschlag ausging wegen des Waldes, aber ich bin gern gekommen, freilich das erstemal nicht, weil ich mich vor Euch fürchtete, aber heute, heute bin ich gern gekommen, weil ich dachte, Euch eine Freude zu machen mit dem Walde. Seht doch! mein bestes Zaumzeug hab' ich aufgelegt, das beste Wams meinem Rosse -- nein, nein! umgekehrt!« »Euer bestes Zaumzeug! wie gut Ihr seid!« lächelte sie. »Aber wenn Ihr es nicht sagtet,« fuhr sie fort, »so glaubt' ich es nicht, daß Eurem Bruder Bligger an dem Frieden mit mir etwas gelegen wäre; oder hat er seine besonderen Gründe, sich der Feindschaft gegen mich zu begeben? sagt mir auch das noch!« »Ich wüßte keinen,« erwiderte Hans. »Ihr verkennt Bligger; er ist Euch nicht feindlich gesinnt und wünscht aufrichtig wie wir alle, mit Euch in Frieden zu leben.« Sie dachte ein paar Sekunden lang nach und sah ihn prüfend an, ob er wohl in diesem Augenblick die volle Wahrheit spräche. Dann sagte sie: »Gut! so werde ich kommen und den Frauen, Euren Schwägerinnen Katharina und Agnes, die Hand zur Versöhnung bieten.« »Ihr werdet hochwillkommen sein,« erwiderte er. »Aber, Juliane, -- wie stehen fortan wir beide miteinander? ist auch zwischen uns nun wieder Friede und Freundschaft?« »Friede? Freundschaft?« sprach sie ihm langsam nach. »War denn Unfriede zwischen uns? wart Ihr mein Feind?« »Niemals! niemals, Juliane!« beteuerte er. »Aber als ich neulich nach langer Zeit zum ersten Male wieder hier war, da schien es mir, als wären wir uns sehr -- sehr fremd geworden.« »Ist's meine Schuld?« »Nein, nein! ich weiß, ich hab's verdient, was Ihr mich fühlen ließet. Aber nun, -- wollt Ihr mir verzeihen, Juliane? wollt Ihr mich wieder aufnehmen in Huld und Gnaden?« frug er, sich vom Sitze erhebend mit bittendem Blick und ihr die Hand entgegenhaltend. »Von Herzen gern, lieber Freund!« gab sie ihm mit vollem, warmem Tone zur Antwort und reichte ihm ihre Hand, die er nicht wieder losließ. »Ihr macht mich sehr glücklich, Juliane! sehr glücklich!« flüsterte er. Sie schritten langsam Hand in Hand durch das große Gemach, aber nicht nach dem Ausgange, sondern er führte sie auf den Kredenztisch zu. Sie erriet seine Absicht, blieb auf halbem Wege stehen und sah ihn schalkhaft listig an. Da begegnete sie einem heißen, ihre ganze Gestalt umlohenden Blick und sah, wie seine breite Brust sich hob und senkte. Wie schön, wie heldenkühn erschien er ihr in diesem Augenblick! sie erglühte und zitterte vor dem starken Manne und wollte unwillkürlich einen Schritt vor ihm zurückweichen. Er aber umfaßte nun mit beiden Händen ihre Hand, drückte sie erst an seine Brust und dann an die Lippen und preßte sie so gewaltig, daß sie Juliane fast schmerzte. »Darf ich wiederkommen, Juliane?« frug er leise. »So oft Ihr wollt!« hauchte sie mit schimmernden Augen zu ihm aufblickend. »Dank! Dank! lebt wohl! auf Wiedersehen!« »Auf baldig Wiedersehen, lieber Freund!« Aber während des Scheidens noch hielten sie sich mit weit ausgestreckten Armen bei den Händen, als könnten sich diese so wenig voneinander trennen wie die strahlenden Augen, mit denen sie sich fröhlich zunickten. Dann riß er sich los und eilte schnell hinaus, beinahe so schnell wie damals vor drei Jahren. Ein Atemzug, bis in die Seele hinein und heraus voll Glück und Wonnegefühl, weitete Julianens Brust, als sie allein war. Ihr wankten die Knie, sie mußte sich stützen und schritt nun zu dem Kredenztisch, um sich daran zu lehnen. »Aus alter Liebe und jungem Haß wird neues Glück erblühen,« sprach sie vor sich hin. »Wenn es wahr würde, was die Sterne prophezeiten! -- Kann er denn wirklich lieben, der Ritter Hagestolz, der Ehehasser?« Regungslos, gedankenvoll stand die schöne, tief erregte Frau, wie in Träumen lächelnd, in Hoffnungen sich wiegend. Da hörte sie draußen auf der Treppe wohlbekannte Stimmen, und schnell gefaßt sprang sie zu ihrem Erker und machte sich dort zu schaffen. Die drei jungen Mädchen kamen herein, und siehe da! -- die Rose, die vorher an Sidoniens Mieder gesteckt hatte, schmückte jetzt Richildens Brust. Juliane bemerkte das sofort, war aber zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt, um dem Grunde, warum die mitgebrachte Rose von einer Mädchenbrust zur anderen gewandert war, jetzt nachzuforschen. Auf ihrem Antlitz lag noch der Abglanz der Freude, die ihr die eben vergangene Stunde gebracht hatte, und sie war in der glücklichsten Stimmung. Sidonie erkannte das auf den ersten Blick. Ohm Hans hat seine Sache gut gemacht; sie sind einig, dachte die Schlaue. »Nun wie ist's abgelaufen, Mutter?« frug Richilde. »Gut! wir haben unsern Wald wieder, und ihr könnt nun darin jagen und pirschen, so viel ihr wollt,« gab Juliane fröhlich zur Antwort. »O wie herrlich! o wie freue ich mich, daß dir dieser Wunsch endlich erfüllt ist!« rief Richilde. »Ich auch,« sagte Juliane, »und nun will ich euch auch gestehen, daß mir der Sterndeuter dies schon aus meinem Horoskop prophezeit hatte. Von dem Walde wußte er nichts, aber er sagte, es würde mir bald ein lange gehegter Wunsch in Erfüllung gehen.« »Siehst du, Sidonie!« frohlockte nun Hiltrud, »du wolltest den Prophezeiungen des weisen Juden keinen Glauben schenken, und nun ist es doch richtig eingetroffen, was er Frau Juliane vorausgesagt hat. Junker Hans hat es wahr gemacht.« »Drum war er auch so lustig, als er abritt,« sagte Richilde. »Hm!« machte Sidonie nachdenklich und mit einem aufmerksamen Blick auf Juliane, »dann soll mich doch wundern, ob auch das in Erfüllung gehen wird, was Isaak Zachäus dem Ohm Hans aus seinem Horoskop prophezeit hat.« »Zachäus hat Junker Hans das Horoskop gestellt?« frug Juliane schnell. »Freilich,« lachte Sidonie, »aber ich glaube doch nicht daran! Denkt euch! er hat prophezeit, Ohm Hans würde sein Glück einmal in einem Kloster finden! Ist das nicht zum Lachen?« Aber Juliane lachte nicht; ihr stockte das Blut vor Schreck über diese Kunde, und alle Farbe wich aus ihrem Antlitz. Sie sprach kein Wort. Richilde dagegen lachte sorglos: »Junker Hans ein Mönch werden? das ist ja nicht möglich.« »Nein, nein! das wird wohl ganz anders gemeint sein,« sprach Hiltrud. Sidonie merkte, welchen niederschlagenden Eindruck auf Julianen ihre Mitteilung gemacht hatte. Das war die kleine Bosheit, die sie sich mittlerweile ausgesonnen hatte, um sich für Julianens Heuchelei ihr gegenüber zu rächen. Julianen aber kam es in diesem Augenblick zum erschütternden Bewußtsein, daß sie den ritterlichen Junker Hans Landschad liebte. Fünfzehntes Kapitel. Hans war seelenfroh, als er den Weg von der Minneburg hinabritt. War auch nicht alles so gekommen, wie er es sich gewünscht und gedacht hatte, so konnte er doch mit diesem ersten Erfolge seiner Bemühungen um die Wiedergewinnung von Julianens Gunst vollauf zufrieden sein und glaubte sich zu den schönsten Hoffnungen berechtigt. Wäre er kühner gewesen, so wäre er vielleicht weiter gekommen, sagte er sich. Allein er hatte wohl gemerkt, wie Juliane vor der erinnerungsvollen Stelle am Kredenztische zurückwich. Sie wollte also nicht im Sturm genommen sein, sie wollte geworben werden, und er durfte ja wiederkommen, so oft er wollte. Das sollte sie ihm nicht zweimal sagen; das nächste Mal würde sie schon zutraulicher, schon hingebender sein. Damit tröstete er sich und freute sich darauf, seinem Bruder Bligger die völlige Versöhnung mit Juliane verkünden und ihren baldigen Besuch in Neckarsteinach anmelden zu können. In seiner Herzensfreude stimmte er, sein Pferd bergab scharf im Zügel haltend, ein Lied an, daß es unter den Buchenwipfeln schallte und hallte. Als er aber unten im Tale angekommen und in die Landstraße einlenkend um die Ecke bog, brach er mit dem Singen jäh ab, denn er stieß fast Roß gegen Roß auf einen andern daherkommenden Reiter, in welchem er den Ritter Bruno von Bödigheim erkannte. Beider Blicke verfinsterten sich bei der unvermuteten Begegnung, und jeder hielt sein Pferd an, ohne dem andern auch nur eine Spanne breit Platz zu machen. »Also Ihr seid der seltene Vogel, der von der Minneburg heruntergezwitschert kommt, Herr Landschad von Steinach!« begann der Ritter höhnisch. »Das Lied hat wohl Frau Rüdt von Kollenberg ihrem Papegan so lange vorgepfiffen, bis er es endlich begriffen hat?« »Ganz recht, Herr Bruno von Bödigheim,« entgegnete Hans; »habt Ihr auch die Worte verstanden? Sie erzählen von dem Ritter mit der stumpfen Lanze, der in die Schranken kam, als das Stechen vorüber und der Turnierdank von der schönsten Hand grade vergeben war.« »Wen meint Ihr mit dem Ritter mit der stumpfen Lanze?« frug Bödigheim, fast berstend vor Grimm und Eifersucht. »Den kennt Ihr nicht?« lachte Hans. »Dann reitet nur schnell hinauf und laßt Euch von Frau Rüdt einen Spiegel geben, wenn Ihr ihn sehen wollt! Den Dank freilich seht Ihr nicht mehr, den hat sich schon ein anderer geholt.« »Rühmt Ihr Euch des Minnedankes von Frau Rüdt von Kollenberg?« »Gegen Euch gewiß nicht!« gab ihm Hans zurück. »Aber spart die Mühe! für Euch hängt ihr Kranz viel zu hoch, und wer danach greift, dem schlag' ich den Schädel ein!« »Landschad, wollt Ihr meine Lanze zwischen den Rippen fühlen?« knirschte Bödigheim. »Warum nicht?« erwiderte Hans; »wenn Ihr sie glücklich hinein bekommt.« »Wann wollt Ihr, daß ich Euch aufspieße?« »Übermorgen, drei Stunden vor Mittag, wenn's Euch recht ist.« »Wo?« »An der Schmiedeschenke. Laux Rapp kann Euch dann gleich wieder zusammenflicken, wenn's noch der Mühe wert ist.« »Bei Euch wird er das gar nicht mehr nötig haben.« »Gewiß nicht, Bödigheim! Ihr macht keinem ein Loch ins Fell.« Die letzten Reden und Gegenreden schrien sie sich, im Sattel rückwärts gewandt, schon aus einiger Entfernung zu, denn sie hatten sich mit Gewalt aneinander vorbeigedrängt, und jeder ritt seines Weges fürbaß. Bödigheim ritt zur Minneburg hinauf, Hans aber trabte nach Zwingenberg zu Engelhard von Hirschhorn. »Engelhard,« sprach er, dort angekommen, gleich nach der Begrüßung zu dem Freunde, »du mußt mir einen Gefallen tun, mußt zusehen, wie ich Bödigheim den Schädel einschlage.« »Mit Vergnügen, Hans!« erwiderte der Ritter. »Was hat es denn gegeben zwischen euch?« »O nicht viel, aber --,« er stockte. »Aber, willst du sagen, es ist das einfachste Mittel, einen Nebenbuhler los zu werden. Da hast du recht,« lachte Engelhard. »Ihr traft beide auf der Minneburg zusammen?« »Wenigstens unterhalb der Burg,« erwiderte Hans; »aber woher weißt du denn --?« Engelhard zeigte auf des Freundes kostbare Kleidung und sagte: »Ich brauche dich ja nur anzusehen, um zu wissen, wo du herkommst. So geht man nur zum Kaiser oder zur Königin seines Herzens.« Hans runzelte die Stirn und antwortete nicht. »Nun, ich will doch nicht hoffen, daß du es bist, der bei Frau Juliane durch den Korb gefallen ist?« fuhr Engelhard fort. »Nein,« lachte Hans, »wie sollte ich wohl dazu kommen?!« »Also seid ihr einig?« frug Engelhard wieder. »Wann ist Hochzeit?« »Mach mich nicht wild!« brauste Hans. »Wer spricht von Hochzeit?« »Nun, nun, ich dachte nur so; ich kann's abwarten. Wann soll's denn losgehen? ich meine mit Bödigheim.« »Übermorgen, drei Stunden vor Mittag, bei der Schmiedeschenke.« »Donnerwetter! mit leerem Magen? aber ich komme!« sprach Engelhard. »Mit leerem Magen,« wiederholte Hans und strich sich den seinigen. »Sage mal: habt ihr schon gegessen?« »Er hat Hunger!« lachte Engelhard laut auf; »also sehr verliebt bist du nicht, Hans! Übrigens kommst du zur rechten Zeit; wir gehen gleich zu Tische. Meine Frau Schwiegermutter wird eine unbändige Freude haben, dich zu sehen.« »Ach du lieber Gott!« stöhnte Hans, »an die hab' ich nicht gedacht; nun hab' ich keinen Hunger mehr.« »Ja, das hilft nichts, Freund! die Schwiegermutter mußt du als Zukost mit hinunterwürgen; aber sei ruhig, wir spülen nachher mit ein paar guten Tropfen nach,« tröstete ihn Engelhard. Als die beiden in das Hauptgemach zur Familie gingen, wurde Hans von der Burgfrau freundlich willkommen geheißen, und der Tisch stand gedeckt. Frau Margarethe von Handschuchsheim war nicht zugegen, und es hieß: wir müssen warten bis sie kommt; ohne sie dürfen wir nicht anfangen. Engelhard wechselte mit Hans einen verzweifelten Blick, den Frau Anna, des Ritters Gemahlin, bemerkte. »Sie ist spät aufgestanden und hat wieder ihr leidiges Kopfweh,« entschuldigte sie ihre Mutter. »Ach ja, heut ist ja Mittwoch, da hat sie Kopfweh,« spottete Engelhard rücksichtslos. »Morgen ist sie gesund, und am Freitag kommt dann der Gliederschmerz an die Reihe.« Frau Anna schlug die Augen nieder und seufzte leise. Hans mußte seinem knurrenden Magen Gewalt antun, während er sich mit der Schloßherrin unterhielt. Engelhard schritt, die Hände auf dem Rücken, ungeduldig auf und ab und knipste beständig mit den Fingern. Nach geraumer Weile erschien Frau Margarethe, ein weißes Tuch um den Kopf gebunden, daß sie wie eine Nonne aussah. »Ich habe schon erfahren, welche Überraschung mir hier bevorstand,« sprach sie mit matter Stimme. »Was führt Euch denn her, Junker Hans?« Statt des Gastes, der auf diesen seltsamen Willkomm nicht gleich eine Antwort fand, entgegnete Engelhard kurz: »Ein Geschäft, Frau Schwieger! nicht die Sehnsucht --« nach Euch, schluckte er noch glücklich herunter, aber ein Blick Margarethens sagte ihm, daß sie es verstanden hatte, was er meinte. »Ich höre zu meinem Bedauern, daß Ihr leidend seid, Frau von Handschuchsheim,« bemerkte Hans, um doch auch etwas zu sagen; aber es klang viel mehr ärgerlich, als bedauerlich. »Entsetzliches Kopfweh, lieber Freund!« hauchte sie, »unerträglich, ganz unerträglich, sag' ich Euch!« Hans ließ als versuchten Ausdruck des Beileids ein sanftes, unverständliches Gebrumm vernehmen. Darauf setzte man sich, und das Mahl begann. Doch es ging sehr schweigsam her; nur dann und wann zitterte ein Seufzer Margarethens durch die Stille. Des Ritters ältester Sohn, Friedrich, war nicht daheim; zwei andere Söhne und eine Tochter, alle jünger als Sidonie, saßen mäuschenstill, blickten scheu bald auf den Gast, bald auf ihre Großmutter und warteten bescheiden, daß ihnen die Mutter etwas von den Speisen auf die Teller legte. Frau Anna richtete zuweilen ein halblautes Wort an Hans, das dieser jedesmal freundlich, aber auch nur mit gedämpfter Stimme erwiderte. Mit einem Male, wie um sich Luft zu machen, schrie Engelhard überlaut seinem Freund und Tischnachbar an: »Mensch! du ißt ja nicht!« Margarethe fuhr zusammen, legte das Messer hin und griff mit der Hand nach dem Kopfe. »Aber Herr Sohn! ich bitte Euch!« sagte sie mit scharfem Tone, »nehmt doch wenigstens heut etwas Rücksicht auf meinen Zustand! sonst verlang' ich's ja nicht.« Engelhard schwebte eine heftige Entgegnung auf der Zunge; aber er bezwang sich, leerte seinen Becher auf einen Ruck und stieß ihn auf den Tisch, daß es knallte. Wieder zuckte Frau Margarethe zusammen; aber das Zucken kam etwas spät nach dem Knall, als hätte sie es beinahe vergessen. Dann aß sie hastig, und ihr Appetit war nicht der einer Leidenden. Hans dachte bei sich: lieber mit einem Nebenbuhler sich schlagen, als mit einer Schwiegermutter zu Mittag essen! Plötzlich frug Margarethe den Gast sehr lebhaft: »Junker Hans, wo habt Ihr denn den wunderschönen roten Brokat zu Eurem Wams her?« »Von einem Speyerschen Kaufmann,« sagte Hans. »Gekauft!?« frug sie nun mit starker Betonung. »Und bezahlt, gnädige Frau!« erwiderte Hans ebenso nachdrücklich. »Es ist nur gut, Hans, daß du nicht gesagt hast: genommen!« lachte der Burgherr. »Sonst wäre es mir wieder übel ergangen, denn meine Frau Schwieger ist auch darüber sehr unzufrieden mit mir, daß ich ihr so lange keinen kostbaren Kleiderstoff heimgebracht habe, der -- nicht gekauft wäre.« »Ihr müßt nicht alles für Ernst nehmen, Junker Hans, was mein Herr Schwiegersohn sagt,« lachte sie nun selber, ihres Kopfwehs gänzlich vergessen, und fuhr dann fort. »Wollt Ihr zu einem Feste, daß Ihr so prächtig gekleidet seid?« Hans schwankte einen Augenblick, ob er die Wahrheit gestehen sollte, warum er so geschmückt war. Aber statt seiner war wieder Engelhard rasch mit einer Antwort bereit und sprach: »Nein, Frau Schwieger, er kommt von einem Feste. Die Landschaden haben sich endlich mit Frau Rüdt von Kollenberg versöhnt, und Hans kommt jetzt eben von der Minneburg, wo er Frau Juliane den verpfändeten Wald zurückgegeben hat und --, nun, wie geht es weiter, Hans?« »Was weiter!« sagte Hans ärgerlich, »sie hat den Wald, und der Zwist ist aus.« »Wart Ihr allein dort?« frug Margarethe lauernd. »War wohl eine recht zärtliche Versöhnung mit der schönen Juliane?« »Schade, daß Ihr nicht dabei gewesen seid, Frau von Handschuchsheim!« erwiderte Hans gereizt. »Sonst wüßtet Ihr's und wäret nicht in Unruhe darüber.« »Warum in Unruhe?« lachte Margarethe. »Ich gönne Euch alles, was Euer Herz begehrt, und Frau Juliane ist eine freigebige Seele; sie wird Euch den verschwenderischsten Dank nicht schuldig geblieben sein.« »Frau Juliane ist eine Dame, der ich in meiner Gegenwart nichts Übles nachsagen lasse, gnädige Frau!« versetzte Hans mit einiger Heftigkeit. »O davon bin ich weit entfernt, Junker Hans! Und wenn das geschähe, so hättet Ihr gewiß das beste Recht, die einsame junge Witwe in Schutz zu nehmen,« erwiderte Margarethe spöttisch. »Unter allen Umständen würde ich das tun, gnädige Frau!« sagte Hans mit zornbebender Stimme und hochrot im Gesicht. »Wenn sie es doch hören könnte, wie warm und liebevoll Ihr Euch ihrer annehmt!« »Sie weiß es, auch ohne daß sie es hört!« »Bin ich fest überzeugt, Junker Hans!« Hansens Augen schossen Blitze auf seine streitsüchtige Gegnerin; doch er tat, was vorher Engelhard in dem gleichen Falle getan hatte. Er schwieg, leerte schnell seinen Becher und stieß ihn, ebenso wie jener, hart auf den Tisch, gleichsam als wollte er damit einen Punkt hinter diese ihm sehr peinliche Unterhaltung setzen. Diesmal zuckte Frau Margarethe nicht, aber sie machte eine sehr höhnische Miene. Engelhard saß und hielt sich die Hand vor den Mund, um sich so das Lachen besser verbeißen zu können, denn Hansens Zank mit seiner Schwiegermutter belustigte ihn aufs höchste. Aber er mußte noch ein bißchen hetzen. »Nimm dich in acht, Hans!« sagte er, »mit meiner Frau Schwieger ziehst du den kürzeren. Und du kannst noch von Glück sagen, daß sie heut ihr entsetzliches Gliederreißen hat, -- nein, Kopfweh, wollt' ich sagen, ihr unerträgliches Kopfweh hat; sonst würdest du noch ganz anders zugedeckt. Nicht wahr, Frau Schwieger?« »Herr Sohn!« fuhr Margarethe heftig auf, »wie könnt Ihr nur so herzlos sprechen! das soll ein Glück für den einen sein, wenn der andere leidend und elend ist? aber das sieht Euch ähnlich, Euch, der Ihr kein Mitgefühl kennt! -- O Gott! es fängt schon wieder an,« unterbrach sie sich plötzlich mit kläglicher Stimme und hielt sich den Kopf. »Wie mich ein solcher Wortwechsel aufregt! und ich lebe doch so gern in Frieden mit aller Welt. Aber diese ewigen Streitigkeiten machen mich immer mürber, immer kränker und siecher, bis es einmal ganz mit mir vorbei ist.« »Na ja, da haben wir's!« sagte Engelhard. »Siehst du, Hans, so weit hast du's nun mit deiner Zänkerei und Rechthaberei gebracht! Wenn meiner lieben Schwiegermutter nun etwas zustößt, so bist du schuld!« »Wird wohl so schlimm nicht werden,« brummte Hans. »Was? so schlimm nicht werden?« eiferte Margarethe. »Man sieht's, Junker Landschad, daß Ihr keine Frau und besonders keine Schwiegermutter habt --« »Gott in allen Himmeln sei gedankt! nein!!« rief Hans mit einem Blick nach oben die Hände faltend und wie zu einem Dankgebet erhebend. »-- darum habt Ihr auch keine Ahnung von der feinfühligen, zartbesaiteten, empfindsamen und erregbaren Natur eines edlen weiblichen Wesens, --« »-- wie eine Schwiegermutter ist,« schaltete Engelhard lachend ein. »-- das ihr Männer auf Rosen betten und auf den Händen tragen, dem ihr jeden Wunsch von dem Augen ablesen, unter dessen kluge Leitung ihr euch fügen und schmiegen solltet, statt es unter einem unwürdigen Drucke zu halten, mit Widerspruch zu reizen und mit euren herrischen Launen zu quälen und zu martern. O mein Kopf! mein Kopf!« Hans und Engelhard sahen einander an. »Ja, ja!« sagte Engelhard, »nun hast du's auch einmal gehört; ich kann's auswendig.« »Und ich vergeß' es in meinem Leben nicht wieder,« sprach Hans. Frau Anna, die in der tödlichsten Verlegenheit gesessen und stumm auf ihren Teller geblickt hatte, gab jetzt ihrer Mutter einen leisen Wink. »Was willst du?« frug diese laut. »Meinst wohl, ich soll klein beigeben und das Feld räumen? fällt mir nicht ein! Schenkt mir ein, Herr Sohn! Der Wein ist gut und stärkt und hebt mir die Kräfte und alle Lebensgeister --« Und dann geht es wieder los mit noch verstärkten Kräften, dachte Hans. »-- und wir können uns ja auch wieder versöhnen, wie wir es schon so manches Mal getan haben, lieber Herr Sohn.« »Jawohl, liebe Frau Schwieger!« rief Engelhard lustig, füllte ihren Becher und stieß mit ihr an, und die anderen folgten dem Beispiel der beiden. Als Margarethe dem Junker Hans ihren Becher entgegenhielt, sagte sie: »Jetzt trinke ich auf das Wohl der schönen Frau Juliane Rüdt von Kollenberg, und wer es gut mit ihr meint, der trinkt mit.« »Da bin ich allemal dabei,« sprach Hans und stürzte seinen Becher voll Wein in einem Zuge hinunter. »Aha!« machte Engelhard, »Hans, das war gründlich!« Hans nickte ihm mit einem flammenden Blicke zu, und es kam ihm vom Herzen, als er sprach: »Ja, das sollt' es auch!« Allmählich, während eines harmloseren Gesprächs, an dem sich nun auch Frau Anna beteiligte, wurde Frau Margarethe von Handschuchsheim immer stiller und stiller; die Augenlider wurden ihr schwer, und sie fing an, mit dem Kopfe zu nicken. Als sie sich ihrer Schläfrigkeit bewußt wurde, stand sie auf und sagte: »Ich muß ein wenig der Ruhe pflegen; die Notwehr gegen euch zänkische Männer hat mich etwas angegriffen; kein Wunder, wenn man mit einem Landschaden streiten muß, einem Meister im Schachspiel, bei welchem der Ritter auch die Dame auf jedem Felde schlagen darf wider alle Sitte und Höflichkeit im Leben.« Diesen kleinen Hieb mußte sie dem Gaste doch noch versetzen. Dann aber bot sie ihm die Hand und fuhr fort: »Lebt wohl, Junker Hans: Werden wir uns bald einmal wiedersehen?« Wenn's auf mich ankäme, in diesem Leben nicht mehr! dachte Hans, sagte jedoch: »Gewiß, gnädige Frau! sobald wie irgend möglich werde ich mir diese große Freude wieder zu verschaffen suchen.« Darauf verließ Margarethe das Gemach, begleitet von ihrer Tochter und deren Kindern. Die Männer blieben allein und tranken weiter. Kaum hatte sich die Tür hinter jenen geschlossen, als Hans seinen vollen Becher wiederum auf einen Zug leerte und dem Trunke ein langgedehntes, befreiendes Ah! folgen ließ. »Ist sie runter?« lächelte Engelhard; er meinte die Schwiegermutter. »Noch nicht ganz,« lachte Hans, »aber sie rutscht schon.« »Sie hat nur eine böse Zunge, nicht eigentlich ein böses Herz,« erklärte nun Engelhard. »Wenn man sich an ihre Art gewöhnt hat und auch gegen sie kein Blatt vor den Mund nimmt, so ist zur Not schon mit ihr auszukommen.« »Der Teufel mag sich an eine Schwiegermutter gewöhnen!« fuhr Hans heraus, »ich käme mit der Frau nicht aus.« »Weg damit!« sprach Engelhard, »trink! und laß uns von etwas anderem reden. Erzähle mir von der Minneburg.« »Da ist nichts zu erzählen,« gab Hans kurz zur Antwort. »Höre, Hans,« begann nun Engelhard, »wir waren immer treue Kumpane, haben manchen Ritt zusammen gemacht und manchen Trunk miteinander getan; jetzt sage mir einmal offen und ehrlich: wie stehst du mit Juliane?« Hans wurde wieder rot wie ein Schulknabe, rückte auf seinem Stuhle hin und her, und es wurde ihm sichtlich schwer, dem Freunde darauf eine Antwort zu geben. Endlich sagte er: »Wie soll ich mit ihr stehen? erst waren wir gute Freunde, dann haben wir uns drei Jahre lang nicht gesehen, und jetzt sind wir auf dem besten Wege, wieder gute Freunde zu werden.« »Du solltest sie heiraten, Hans,« sprach Engelhard nun rund heraus. »Fängst du schon wieder damit an?!« brauste Hans auf. »Das tue ich nicht!« »Von der Freundschaft zur Liebe ist zwischen Leuten, wie ihr seid, nur ein Schritt.« »Den zu tun ich mich wohl hüten werde!« knurrte Hans. »Aber du kriegst ja doch bei ihr keine Schwiegermutter mit.« »Wenn auch. Ich will nicht heiraten, niemals, niemals, will keine Ketten tragen, will mich nicht ducken und bücken, nicht leiten und lenken lassen, will bleiben, was ich bin, einsam und allein, frei und ungebunden! Nun weißt du's, hättest es schon längst wissen können, und wenn du mich damit nicht in Ruhe läßt, so reiße ich das Fenster auf und schreie in den Hof hinab, daß sie mir meinen Rappen satteln, weil ich hier oben zu schlecht behandelt würde. Sela!« Engelhard schüttelte den Kopf und schwieg; er dachte an Bliggers Heiratsplan und an das Recht der Hagestolze. Sie leerten noch gemächlich und in guter Freundschaft den erst vor kurzem gefüllten Krug; dann verabschiedete sich Hans, wobei ihm Engelhard noch einmal versprach, übermorgen pünktlich zur Stelle zu sein. -- Zu derselben Zeit, da Hans auf der Burg Zwingenberg saß, ritt sein Gegner von der Minneburg aus nach dem Dilsberge zum Grafen Philipp von Lauffen mit der Absicht, diesen um den gleichen Dienst zu ersuchen wie Hans Landschad seinen Freund Engelhard von Hirschhorn. »Etwas Gutes weissagt dies Gesicht nicht,« sprach Graf Philipp, als Bödigheim bei ihm eintrat. »Wie man's nimmt,« erwiderte der so Begrüßte. »Schlagt Ihr nicht auch gern Euren besten Feind tot?« »Bödigheim! wen habt Ihr erschlagen?« frug der Graf erschrocken. »Noch ist's nicht soweit, aber übermorgen hoffe ich so glücklich zu sein,« gab Bödigheim bissig zur Antwort. »Wen?« frug Lauffen noch einmal, »doch nicht Hans Landschad?« »Keinen anderen!« »Das wäre ein recht dummer Streich,« versetzte der Graf. »Wenn Ihr ihm jetzt den Hals brecht,« fuhr er fort, als Bödigheim ihn finster und verwundert anblickte, »so beerben ihn seine Brüder. Wartet, bis er fünfzig Jahr, drei Monat und zwei Tage alt ist, dann beerben wir ihn, das heißt der Pfalzgraf, und Ihr bekommt das Lehen.« »Bis dahin hat er Weib und Kind,« knirschte der andere. »Was sagt Ihr?« fuhr Graf Philipp auf. »Ich komme von der Minneburg,« ließ sich Bödigheim erregt aus, »habe in aller ritterlicher Form und Höflichkeit um die Rüdt geworben und bin abgewiesen, abgewiesen wie ein Bettler oder wie ein Feind vor aufgezogener Brücke.« »Weil sie den Landschaden nimmt?« »Mir ist's kein Zweifel,« erwiderte der Verschmähte. »Als ich in der Bitterkeit meines Mißgeschicks seiner erwähnte, fuhr sie auf mich los, als hätte ich ihr an die Krone gestoßen, als wäre sie schon seine Verlobte und in Liebe zu ihm entbrannt.« »Und da habt Ihr ihn gefordert?« »Das hatte ich schon vorher getan.« »Schon vorher? sehr fürsorglich, Bödigheim!« lachte der Graf. »Als ich zur Minneburg hinaufritt, kam der Landschad gerade herunter und prahlte mit seinem Glück und höhnte mich.« »Und übermorgen wollt Ihr Euch mit ihm raufen?« »Ja, übermorgen vormittag bei der Schmiedeschenke, und ich bitte Euch, Lauffen, daß Ihr dabei mein Zeuge seid. Ihr habt mir's versprochen, mir zu Diensten zu sein, wenn ich Eurer bedürfte.« »Hm!« machte der Graf, »ich will mich Euch nicht versagen, Bödigheim; aber lieb ist mir's nicht, meinen Nachbarn, den Landschaden gegenüber. Tut mir wenigstens den Gefallen und schlagt ihn nicht ganz tot, wischt ihm eins aus, daß er auf ein paar Wochen genug hat, damit wir Zeit gewinnen. Kommt Zeit, kommt Rat.« »Doch! ganz tot, mausetot schlage ich ihn, den Tölpel, den Bären!« schnob der Ergrimmte. Der Graf schwieg ein Weilchen; dann sagte er: »Bödigheim, weiß Frau Rüdt etwas vom Hagestolzenrecht?« Der Ritter zuckte die Achseln. »Ich war drauf und dran, sie danach zu fragen und sie darüber aufzuklären; aber Ihr hattet mir ja die Zunge gebunden.« »Ich weiß, ich weiß,« erwiderte der Graf. »Aber unter diesen Umständen wäre es doch gut, wenn sie erführe, warum Hans Landschad sie eigentlich heiraten will oder heiraten soll.« »Ich kann es ihr jetzt nicht mehr sagen.« »Ihr nicht; aber ist nicht Eure Schwester, Frau von Erlickheim, mit der Rüdt befreundet?« »Ich glaube wohl,« sprach Bödigheim; »ich überschreite die Schwelle meines Schwagers nicht.« »Das wäre ja auch nicht nötig; Ihr könnt ja Eurer Schwester schreiben.« »Meint Ihr?« erwiderte der andere. »Übrigens habe ich Grund zu vermuten, daß Elisabeth von der Sache weiß. Sie sandte mir kürzlich einen Wink, ich sollte mich sputen, mit Julianen ins reine zu kommen; ein anderer würbe um sie.« »Und doch habt Ihr, von Eurer Schwester und mir zur Eile getrieben, so lange gezögert und gezaudert, bis Euch nun der andere zuvorgekommen ist? Unbegreiflich, unverantwortlich, Bödigheim!« »Ich sehe es ein und bereue es, aber jetzt ist es zu spät.« »Vielleicht noch nicht. Gleich setzt Euch und schreibt! Dort ist alles, was Ihr braucht; ich bestelle inzwischen einen Boten.« So geschah es. Bödigheim schrieb einen Brief an seine Schwester, sie möchte Frau Rüdt von Kollenberg über das Recht der Hagestolze aufklären, und daß Hans Landschad sie nur darum heiraten wollte. Auch daß er mit seiner Werbung von Juliane rund abgewiesen war, teilte er der Schwester mit. Graf Philipp aber befahl einem Knechte, sich zu einem Botenritt nach Burg Stolzeneck bereitzumachen. -- Als Hans gegen Abend heimkehrte und seinem Bruder Bligger meldete, daß Juliane den Wald mit allem Dank angenommen hätte und bald selber zur Versöhnungsfeier nach Neckarsteinach kommen wollte, war Bligger hocherfreut, nahm jedoch den arglosen Friedensvermittler noch in ein scharfes Verhör über seine heutige Unterhaltung mit Juliane und der letzteren Benehmen gegen ihn. Er erfuhr zwar nicht alles, doch immerhin genug von dem, was er zu hören wünschte. Hans erzählte ihm dann auch, daß er bei Engelhard von Hirschhorn gewesen wäre, damit Bligger nicht denken sollte, er hätte den ganzen Tag bei Juliane auf der Minneburg gesessen. Den Anlaß aber seines Besuches auf Zwingenberg, die Begegnung mit Bruno von Bödigheim und die Herausforderung zum Zweikampf, verschwieg er dem Bruder. Nachdem ihn Hans verlassen hatte, suchte Bligger gleich seine Gattin auf, traf sie jedoch nicht allein und raunte ihr deshalb nur vergnügt und voller Hoffnung zu: »Käthe! Hans ist zurück; es geht alles nach Wunsch!« Sechzehntes Kapitel. Ernst verbrachte den Tag, an welchen Hans mit Sidonie nach der Minneburg geritten war, in großer Unruhe. Er wäre so gerne mitgeritten und grollte seinem Vater, der es ihm verboten hatte. Mit seiner ganzen Sehnsucht begleitete er die beiden auf ihrem Ritte, berechnete die Zeit, wann sie dort ankommen mußten, und beneidete Hans, daß dieser, dem wenig daran gelegen sein konnte, Richilde heute wiedersah, während er selber, den es heiß danach verlangte, dieses Glückes nicht teilhaftig wurde. Jetzt sind sie da, sagte er sich, setzt sieht Ohm Hans das holde Mädchen, drückt ihr die Hand und blickt ihr in die lieben süßen Augen; sie spricht mit ihm und lächelt ihn an und wundert sich im stillen, daß du nicht mitgekommen bist. Was wird sie davon denken, wenn es ihr Sidonie nicht sagt, warum du zurückgeblieben bist! aber sie wird es ihr sagen; Sidonie ist klug und euch wohlgesinnt. Diese und ähnliche Gedanken beschäftigten ihn den ganzen Vormittag und wurden dann von der Ungeduld abgelöst, mit der er Hans zurückerwartete, um ihn über Richilde ausfragen zu können. In dem Drange, sein übervolles Herz durch offenes Aussprechen zu erleichtern, vertraute er sein Hoffen und Sehnen der ihn auf stillen Waldwegen wieder begleitenden Josephine an, die auch seinem ausführlichen Gespräch über die von ihm einzig Geliebte mit großer Aufmerksamkeit folgte. Aber seit jenem Abend auf Burg Schadeck, der ihr in einer tief demütigenden Erinnerung stand, war mit ihr eine Wandlung vorgegangen. In dem heißblütigem leidenschaftlichen Mädchen war das Weib erwacht, das seine Liebe nicht zurückgewiesen, seine Hingebung nicht um einer anderen willen verschmäht wissen wollte, und das voll Eifersucht und Haß auf die Bevorzugte den Wunsch hatte, sich an dieser rächen zu können. Darum lauschte sie seinen Plänen und vorhabenden Schritten nur mit der Absicht, sie zu hemmen und zu durchkreuzen, und gab die Hoffnung, Ernsts Liebe zu gewinnen, noch immer nicht auf, welcher Mittel auch sie sich dazu bedienen müßte. Um über alles zu ihren Zwecken Brauchbare genau unterrichtet zu sein, ging sie ihren Vater an, ihr nicht nur Richildens, sondern auch Julianens Horoskop vollständig mitzuteilen, und es gelang ihr auch, ihm Wort für Wort zu entlocken, was er der Herrin der Minneburg damals in dem Erker ihres Palasgemaches gesagt hatte. -- Der Abend kam heran, ehe Hans zurückkehrte; doch Ernst konnte den Oheim nicht mehr sprechen und erfuhr nur von seinem Vater, daß die Angelegenheit mit dem Walde zu allseitiger Zufriedenheit erledigt und die völlige Versöhnung mit Frau Rüdt von Kollenberg auf dem besten Wege wäre; er könnte nun nach der Minneburg reiten, so oft es ihm beliebte. Die Worte waren seinen Ohren eine Musik, die ihm bis ins Herz hinein klang und sein Verlangen aufs äußerste steigerte, sich von Ohm Hans erzählen zu lassen, wie sich alles zugetragen hatte. Am andern Morgen früh genug, um sicher zu sein, daß Hans nicht etwa schon wieder Gott weiß wohin entschlüpft war, begab sich Ernst zu ihm auf Burg Schadeck. »Kommst du, mein Bursch?« tief ihm Hans fröhlich entgegen, »meinst wohl, ich hätte es nicht ohne dich fertig gebracht auf der Minneburg? Oh! was du dir denkst! Oder willst du mich nun auch ausholen wie gestern abend dein Vater schon getan hat? Was ich gesagt hätte, und was sie gesagt hätte, was ich darauf entgegnet, und was sie dann wieder geredet hätte; das ging in einem so fort, als ob ich auf der Streckleiter läge, und er zog immer schärfer an und frug und frug, daß ich gar nicht mehr wußte, was ich antworten sollte.« »Die Hauptsache weiß ich, Ohm Hans,« erwiderte Ernst; »aber du mußt mir nun ausführlich erzählen, was du auf der Minneburg alles erlebt hast.« Dazu ließ sich denn der gutmütige Hans auch herbei; aber er machte es seinem Neffen gegenüber ebenso, wie er es gestern seinem Bruder gegenüber gemacht hatte: er sagte ihm soviel, wie er mitzuteilen für gut fand, und behielt das Beste für sich. »Waren die drei Fräulein bei eurer Verhandlung zugegen?« frug Ernst. »Nein; Sidonie nahm ihre beiden Freundinnen gleich mit sich aus dem Zimmer; ich habe sie nur flüchtig gesehen,« erwiderte Hans. »Aber doch auch gesprochen?« »Nur kurz bei meiner Ankunft und beim Abschied,« sagte Hans; »sie waren munter wie Eichkätzchen.« »Fräulein Richilde auch?« »Gewiß!« »Wird sie mitkommen, wenn ihre Mutter uns nächstens hier besucht?« »Weiß ich nicht, ist aber wohl möglich.« »Hat sie nach mir gefragt?« »Nach dir gefragt? nein! wie sollte sie denn dazu kommen?« entgegnete Hans, immer verwunderter über die seltsamen Fragen seines Neffen. »Nun, ich dachte, weil ich dich diesmal nicht begleitete.« »Und da meinst du wohl, sie hätte dich vermißt?« »Das hoff' ich,« sprach Ernst. »So? das hoffst du? sieh mal an! Was hast du denn für Gründe zu solcher Hoffnung?« Ernst schlug die Augen nieder und schwieg. Hans aber sah ihn mit einem langen, aufmerksam prüfenden Blick an, denn es stieg ihm der Verdacht auf, den er nicht aussprechen mochte, weil er ihm selber zu unsinnig erschien. Doch frug er: »Wann hast du sie denn zuletzt gesehen?« »Mit dir, Ohm, bei unserem Besuch auf der Minneburg; seitdem leider nicht.« »Und die Rinke da an deinem Gürtel, die du jetzt immer trägst, die hast du von ihr?« »Jawohl; sie gab sie mir, als sie den Reiher geschossen hatte. Das habe ich dir ja erzählt, und solch ein Andenken muß man doch in Ehren halten.« »Freilich, freilich!« sagte Hans nachdenklich. Er wurde immer mißtrauischer. Sollte es denn wirklich menschenmöglich sein? Er mußte Gewißheit haben. »Ernst!« sprach er beide Fäuste in die Hüften stemmend mit lauter Stimme, »nicht wahr, verliebt bist du doch in Fräulein Richilde nicht?!« »Ohm Hans, statt der Antwort eine Frage!« erwiderte Ernst errötend. »Hast du die Versöhnung mit Frau Rüdt von Kollenberg so gut, so vollständig zuwege gebracht, daß sie mir, wenn ich sie darum bäte, ihre Tochter zur Frau geben würde?« Hans setzte sich, er sank förmlich in seinen Elensgeweihsessel und starrte den vor ihm Stehenden mit offenem Munde sprachlos an. »Junge!« rief er endlich, »du willst -- heiraten?!« Er brachte das Wort kaum über die Lippen. »Warum denn nicht?« lachte Ernst, »groß genug bin ich doch dazu.« »Verrückt bist du!« schrie Hans. »Schilt, soviel du willst, Ohm Hans!« sprach Ernst, »aber hilf mir!« »Daß ich ein Narr wäre!« »Willst du denn nicht mein Glück?« »Eine Heirat ist ein Unglück!« »Dafür hast du keine Beweise.« »Genug, in Hülle und Fülle« rief Hans. »Glücklich ist nur der ledige Mann. Sieh mich doch an! was fehlt mir denn?« »Vor allem eine Frau,« lachte Ernst. »Junge! Gelbschnabel! da setze dich hin und höre mich an!« Ernst setzte sich dem Oheim gegenüber, und dieser begann: »Sage mir, liebst du die Freiheit, die Ungebundenheit, das wohlige, sichere Bewußtsein, tun und lassen zu können, was du willst, gehen, wohin, wiederkommen zu können, wann es dir gefällt, keinen Menschen etwas fragen, keinem Menschen über etwas Rede stehen zu müssen, kurzum ganz nach deinen Wünschen, nach deinem Belieben und Geschmack leben zu können? He? antworte!« »Gewiß, Ohm Hans! wer möchte das nicht?« erwiderte Ernst. »Damit ist es aber aus, ein für allemal rein aus, wenn man eine Frau am Halse hat,« eiferte Hans. »Ich bin hier Herr in meiner Burg, und niemand hat hier zu befehlen, als ich allein. Ich kann aufstehen, wann ich will, und kann so lange schlafen, wie es mir behagt, kann zu Mittag essen, wann ich Lust habe, niemand wartet auf mich; ich komme nie zu spät; ich muß nicht reden, wenn ich lieber schweigen möchte, ich muß nicht mitgehen, wo ich lieber wegbliebe. Ich kann trinken, so lange ich Durst habe, kann mir zu Gaste laden, wen ich bewirten will, kann die Nacht zum Tage machen und kann hier alles zu unterst und zu oberst kehren, wenn es mir Spaß macht. Das alles können die unglücklichen Ehemänner nicht, denn sie sind nichts, als die Vasallen ihrer Weiber.« »Ohm Hans, so sprichst du, weil du das Glück der Liebe nicht kennst,« hielt ihm Ernst entgegen. »Ich spreche nicht vom Glück der Liebe, ich spreche vom Unglück, von der unerträglichen Pein und den tausend Schrecken der Ehe,« sagte Hans. »Ernst, laß dich warnen, ehe es zu spät ist! Steckst du erst einmal darin in dem Elend, so ziehen dich keine zehn Pferde wieder heraus. Du darfst nicht mehr nach deinem Willen leben, sondern nach dem Willen deiner Frau und nach Zeit und Stunde, die sie dir bestimmt. Sie sagt es dir, wann du Hunger und Durst haben und wann du schlafen sollst, aber schnarchen darfst du auch nicht, mußt dich überhaupt fügen und in allen Stücken nach ihr richten, wie sie es von dir zu verlangen gerade die Laune hat; und wer kann Weiberlaunen zählen? wer sie berechnen? wer sie befriedigen? Du mußt sinnen, womit du deine Frau freundlich stimmst und versöhnst, wenn sie schmollt, und sie schmollt immer. Glaubst du, daß du ihr jemals etwas recht machst? niemals! sie ist viel klüger als du, tut wenigstens so, weiß alles besser als du, widerspricht dir, tadelt und schilt dich; du wirst deines Lebens nicht froh und hast keine ruhige Stunde mehr. Und dann das Kleinkindergeschrei und was da alles noch so drum und dran hängt! O du mein Saitenspiel! Weiber und kleine Kinder! Ernst, das ist über alle Maßen schauderhaft!« Ernst mußte ihm ins Gesicht lachen: »Als wenn du jemals mit kleinen Kindern etwas zu tun gehabt hättest!« »Das fehlte auch noch!« rief Hans entrüstet, »ich habe schon an dem genug, was ich bei anderen Leuten davon gesehen habe, und kann's bezeugen, was du deinen Eltern für Not gemacht hast. Du glaubst nicht, was für ein widerliches kleines Scheusal du warst, gräßlich, ganz gräßlich, sag' ich dir! Und so bin ich natürlich auch einmal gewesen, das bestreite ich gar nicht. Aber das selber durchmachen zu sollen, mich mit solchen Jammerwürmern befassen zu müssen, in meinen vier Wänden kleine Kinder quäken zu hören -- grauenerregend! bei dem bloßen Gedanken daran überläuft mich eine Gänsehaut. Siehst du, das ist Eheglück, Ernst! Das steht dir bevor, wenn du die Torheit begehst, dir eine Frau anzuschaffen.« »Ihre treue Liebe würde mich auch für größeres Ungemach reichlich entschädigen,« erwiderte Ernst, begeistert von den Gefühlen seines jungen Herzens. »Aha! ihre treue Liebe!« spottete Hans. »Ja, ja, ein paar Jahre geht's vielleicht ganz gut; da wollt ihr euch vor Liebe auffressen. Dann kommt einmal einer, der ihr besser gefällt als du und schwub! ist es aus mit der lieben Treue. Sie betrügt dich, sie betrügt dich, Ernst!« »Ohm Hans!« fuhr Ernst zornig auf, »wie kannst du so schlecht von den Frauen denken!« »Nun, nun, es tun's vielleicht nicht alle,« erwiderte Hans; »es gibt Ausnahmen. Aber sicher bist du nicht, durchaus nicht. Es gibt nur ein Mittel, sich davor zu schützen: wenn man's so macht wie ich; mich betrügt keine!« fügte er lachend hinzu und rieb sich vergnügt die Hände. Ernst schüttelte den Kopf und sprach: »Ohm Hans, du überzeugst mich nicht, und -- nichts für ungut! -- deine gräulichen Schilderungen, die mich abschrecken sollen, sind nichts, als Zerrbilder und Gespenster, die nur in deinem schnurrigen Junggesellenkopfe spuken.« »So!« sagte Hans. »Nun, so will ich dir ein Gespenst heraufbeschwören, das du mit deinen eigenen Augen am hellen, lichten Tage sehen kannst, ein Ungeheuer in Weibesgestalt, in das sich oft genug der leibhaftige Teufel versteckt, um die Männer bis auf das Blut zu quälen. Die entsetzlichste Zugabe zu einer Ehe, der Würgengel des Friedens im Hause, die schlimmste Kreatur, die Gott im Zorne geschaffen hat, ist -- eine Schwiegermutter. Ernst, Ernst, du weißt nicht, was eine Schwiegermutter ist! Aller Ärger, alle großen und kleinen Verdrießlichkeiten und Unbequemlichkeiten, die dir eine Frau unvermeidlich verursacht, sind nichts gegen die unendlichen und unbeschreiblichen Plagen und Widerwärtigkeiten, die dir Tag für Tag und Stunde für Stunde eine Schwiegermutter bereitet, und das mit Lust bereitet und mit unerschöpflicher Erfindungsgabe, als wäre es ihr Lebensberuf und der einzige Zweck ihres Daseins. Sie hetzt deine Frau gegen dich auf und nimmt sie gegen dich in Schutz, auch wenn es gar nicht nötig ist; sie bricht den Streit vom Zaune und läßt dich nicht zu Worte kommen; sie greift dich an mit allen Waffen, hat Gift und Galle oder Seufzer und Tränen gegen dich bereit und nennt dich ihren Mörder. Sie kennt alle deine wunden Stellen, und wenn du keine hast, so bringt sie dir welche bei, sieht und benutzt jede kleine Blöße deiner Deckung, und wenn du mit einem noch so starken Harnisch von Geduld und Gleichmut gepanzert wärest, der Stachel ihrer unbesiegbaren Zunge geht durch das dickste Fell. Um sie dreht sich die ganze Wirtschaft, sie befiehlt und verbietet, sie verlangt die unglaublichsten Rücksichten und nimmt selber nicht die geringste, wenigstens nicht auf dich, der du nur der gnädig Geduldete in deinen eigenen Mauern bist, der unverbesserliche, verstockte Sünder, der das Glück, eine solche Frau und besonders eine solche Schwiegermutter zu besitzen, nicht zu würdigen weiß und noch viel weniger verdient.« Ernst hatte die halb grimmige, halb launige Verdammungsrede seines Oheims fortwährend mit einem herzlichen Lachen begleitet, und als dieser jetzt einmal innehielt, um Atem zu schöpfen, sprach er: »Du übertreibst, Ohm Hans. Ich habe doch schon sagen hören, daß die Mutter der Frau, wenn sie wollte, auch die Stütze des Mannes sein könnte, die darauf achtet und ihre Tochter dazu anhält, daß der Mann zu seinem Rechte kommt und es ist ihm an nichts im Hause fehlt, die erfahrene Freundin, die stets liebevoll, stets heiter und hilfreich mit Rat und Tat alles zum Besten lenkt, die, mit einem Worte, für beide Eheleute der gute Engel ist.« »Es soll deren hie und da schon auf Erden gegeben haben und vielleicht noch geben,« räumte Hans widerwillig ein. »Aber wie selten ist solch ein Engel, solch eine Perle von Schwiegermutter! unter tausenden, unter zehntausenden findest du nicht eine solche. Laß dich bekehren, Ernst! und glaube mir: eine Schwiegermutter ist der böse Dämon der Ehe. Sie verfeindet dir deine Frau, verzieht deine Kinder, beleidigt deine Freunde, verklatscht deine Knechte und Mägde, mißhandelt deine Hunde und verfolgt dich mit ihrem Hasse bis zu ihrem oder bis zu deinem letzten Atemzuge; es kommt nur darauf an, wer von euch beiden es am längsten aushält.« Ernst sann ein Weilchen nach; dann sprach er: »Sage mal, Ohm Hans, glaubst du, daß das alles auch für die von mir ersehnte Schwiegermutter, Frau Juliane Rüdt von Kollenberg, zutrifft?« Auf diese verfängliche Frage blickte Hans seinen Neffen etwas verdutzt an und wußte nicht gleich, was er darauf erwidern sollte. »Ich will dir etwas sagen, mein Junge!« lächelte er dann. »Frau Juliane ist meine liebe, gute Freundin, aber -- ob ich sie zur Schwiegermutter haben möchte ... Bedenke auch: wenn du ihre Tochter heiratest, so werdet ihr auf der Minneburg hausen, das heißt, du wohnst dann bei deiner Schwiegermutter. Glaubst du dann etwa den Burgherrn spielen zu können? mit nichten! sie wird sich stets als die Herrin betrachten und wird dich das deutlich genug fühlen lassen. Du wirst unter ihrer Hoheit ein Leben führen, als hättest du nicht eine einfache, sondern gleich eine doppelte Schwiegermutter mitgeheiratet, eine, die in deiner Ehe gebietet, und eine, die in der Burg und über Land und Leute herrscht. Dazu kommt, daß Juliane sehr schön ist, schöner als ihre Tochter jemals werden wird --« »Oho!« »Oho? Willst du etwa bestreiten, daß Juliane schöner ist als Richilde?« »Das bestreite ich ganz entschieden!« »Dann hast du keine Augen im Kopf oder willst nicht sehen, was klar ist wie der Tag,« sagte Hans erregt. »Es muß Dämmerung gewesen sein, Ohm Hans, als du das gesehen haben willst,« erwiderte Ernst spöttisch. »Juliane ist in der Dämmerung schöner, als Richilde im hellsten Sonnenschein,« behauptete Hans. »Natürlich!« lachte Ernst, »im Dunkeln kann man sich's wenigstens einbilden, daß eine die Schönste ist.« »Was verstehst du von Weiberschönheit!« sprach Hans wegwerfend. »Wie kannst du Frau Julianens Vollreife mit der lieblichen Jugendfrische ihrer Tochter vergleichen!« entgegnete Ernst ärgerlich. »Die erschlossene Rose ist mir lieber, als die noch halb grüne Knospe.« »Die eine verblüht, die andere blüht auf.« »Juliane ist schöner!« »Richilde ist schöner!« Sie waren beide aufgesprungen und standen sich mit funkelnden Augen gegenüber. Plötzlich brach der ältere in ein ihm von Herzen kommendes, schallendes Gelächter aus, legte schwer und wuchtig eine Hand auf die Schulter des jüngeren und sprach: »Was sind wir doch für Narren, daß wir uns darüber zanken, ob Mutter oder Tochter die Schönste ist! Geh jetzt, denke darüber nach, was ich dir gesagt habe, und schlage dir das Heiraten aus dem Sinn!« Darauf reichten sich beide die Hände, und Ernst verließ das Gemach. Das war der erste Streit, den Oheim und Neffe miteinander gehabt hatten. Sie schieden zwar versöhnt, aber jeder verschwieg nun dem andern etwas, was er ihm zu sagen sich vorgenommen hatte: Hans seinen Zweikampf mit Bödigheim, und Ernst sein Stelldichein mit Richilde. Und beides sollte morgen fast um dieselbe Stunde stattfinden. Verstimmt ging Ernst seines Weges und nahm sich vor, den hagestolzen Oheim in seiner Herzensangelegenheit nicht weiter zu Rate zu ziehen, sondern rasch und entschlossen auf eigene Faust zu handeln. Wer so von den Frauen, von der Liebe und Ehe dachte, von dem konnte ein Liebender nimmermehr Hilfe und Beistand zur Förderung seines Glückes erwarten. Siebzehntes Kapitel. Auf dem Rasen im Schatten der mächtigen Buche, aus deren Zweigen Richilde den Reiher geschossen und Ernst dann Sidonien befreit hatte, und die deshalb von den vier Teilnehmern an jenem lustigen Abenteuer fortan die Reiherbuche genannt wurde, saßen an dem zu der Zusammenkunft vorausbestimmten Vormittage wieder dieselben vier wie damals: Junker Ernst Landschad und die drei Fräulein von der Minneburg. Aus den Gesichtern aller sprach helle Freude. Zwei von ihnen aber strahlten förmlich von Glück und Seligkeit, und wenn sich ihre Blicke begegneten, was sehr oft geschah, so flog hinüber und herüber ein lächelnder Gruß unaussprechlicher Liebe. Diese zwei waren Ernst und Richilde, deren junge Herzen sich hier zur Stunde nach kurzem, heimlichem Zwiegespräch gefunden hatten mit der hoffenden Frage und der beglückenden Antwort, die überall auf dem bewohnten Erdenrund, solange Menschen darauf leben, in tausend Sprachen erklingen und Mann und Weib in Liebe zueinander führen. Nun saßen sie beide Hand in Hand hier nebeneinander, den Freundinnen Hiltrud und Sidonie gegenüber und mit diesen in wichtiger Beratung über das, was nun, nach dem soeben stattgehabten Verlöbnis, zunächst zu tun sei. Vor allem handelte es sich darum, wer Frau Juliane die erste Mitteilung von dem Geschehenen machen sollte, und hierüber gab es in dem kleinen Kreise so viel verschiedene Meinungen, wie die Zahl der Beratenden betrug. Ernst behauptete, das wäre sein Recht sowohl wie seine Pflicht, und wollte sich stehenden Fußes nach der Minneburg begeben, um bei Frau Juliane in aller Form um die Hand ihrer Tochter zu werben. Hiltrud meinte, Richilde wäre es ihrer Mutter schuldig, dieser ein offenes Geständnis ihrer Liebe und ihres mit Ernst geschlossenen Bundes selber abzulegen, bevor es Frau Juliane aus irgendeinem anderen Munde, selbst aus dem des hoffnungsvoll Werbenden, erführe. Dazu hatte jedoch Richilde nicht den Mut, teils weil sie ihr Unrecht fühlte, sich überhaupt ohne Wissen und Zustimmung ihrer Mutter verlobt zu haben, teils weil sie, trotz der angebahnten Versöhnung, doch noch einigen Zweifel hegte, ob Frau Juliane nun auch gleich eine eheliche Verbindung ihrer Tochter mit einem Landschaden gestatten würde. Daher fürchtete sie, sowohl harte Vorwürfe von ihrer Mutter zu bekommen wie auch heftigen Widerstand bei derselben zu finden, und wünschte sich wenigstens von dem ersten und stärksten Erguß des mütterlichen Zornes etwas entfernt zu halten. Sidonie tadelte Richildens Mangel an Mut und versicherte dabei, sie würde die Gefühle und Taten ihres Herzens der ganzen Welt gegenüber vertreten und alles dafür erdulden, wenn sie nur das Ziel ihrer Sehnsucht erreichte. Dann aber erklärte sie sich nicht nur gern bereit, das auf der Minneburg drohende Ungewitter über ihr ohnehin schuldbeladenes Haupt ergehen zu lassen, sondern sie nahm auch die Ehre, -- »und das Vergnügen«, fügte sie mit einem schelmischen Lächeln hinzu -- Frau Juliane zuerst in die vollendete Tatsache einzuweihen, als etwas mit Fug und Recht ihr allein Zukommendes für sich in Anspruch. Denn, machte sie geltend, sie hätte die Liebe der beiden zuerst entdeckt, hätte sie gestärkt und gefördert und auch die gegenwärtige Zusammenkunft hier ins Werk gesetzt. Sie wäre also die eigentliche Urheberin des glücklichen Ereignisses und würde das heute hier Begonnene auch glücklich zu Ende führen, wenn sich die beiden zunächst Beteiligten ihrem Schutz und Schirm und ihrer sicheren Leitung anvertrauen wollten. Ernst aber ließ sich nicht davon abbringen, daß es ihm als Mann gezieme, mit tatkräftigem Handeln voranzugehen, seine Liebe und die Geliebte der etwa zürnenden Mutter gegenüber selber zu verteidigen, alle Schuld und alle Vorwürfe auf sich zu nehmen und sein und seiner Verlobten schwankendes Lebensschifflein mit eigener, fester Hand in den winkenden Hafen zu steuern. Er sagte daher Sidonien allen Dank für ihre freundliche Bereitwilligkeit und bat sie, ihm und Richilde bei etwa entstehenden Schwierigkeiten auch ferner mit gutem Rat und kluger Vermittlung beizustehen, erklärte jedoch auf das bestimmteste, die drei Freundinnen zur Minneburg begleiten und sich selber die Entscheidung aus Frau Julianens Munde holen zu wollen. Hiltrud und Richilde waren damit einverstanden; Sidonie dagegen sprach: »Mit uns zugleich hinaufgehen, Ernst, kannst du nicht. Das sähe ja gerade so aus, als hätten wir dich herbeigeholt, ich möchte fast sagen eingefangen und brächten dich nun als geworbenen Werber im Triumph auf die Burg.« »Da hast du wirklich recht,« lachte Ernst; »so geht es nicht. Einer muß voran, ihr oder ich.« Nun entspann sich ein neuer Streit darüber, wer vorangehen sollte. Sidonie wollte es tun, und Ernst wollte es auch. »Jedenfalls,« sprach Hiltrud, »muß, wer zuerst hinaufkommt, Frau Juliane auch sofort Mitteilung machen von dem, was sich hier ereignet hat. Und wenn wir Mädchen es sind, so ist es -- ich bleibe dabei -- Richildens Pflicht, es ihrer Mutter, sobald sie dieselbe wiedersieht, nicht eine Minute lang zu verheimlichen.« »Nein, dann tue ich's,« sprach Sidonie. »Ich bin die älteste von uns dreien, ich werde mit Frau Julianen am besten fertig und will sie auf Ernsts Besuch schon so vorbereiten, daß er nachher nichts anderes in ihr findet, als eine ihn mit offenen Armen willkommen heißende Schwiegermutter.« Bei dem Worte ›Schwiegermutter‹ zuckte ein flüchtiges Lächeln über Ernsts Gesicht. Er mußte an Ohm Hansens Gespensterfurcht vor Schwiegermüttern denken. »Wenn es aber nun doch anders kommt und sie nein sagt?« frug Richilde mit einem leisen Seufzer. »Was dann?« »Was dann? Dann läßt du dich von Ernst entführen,« lachte Sidonie. »Um Gottes willen!« rief Richilde erschrocken. »Sidonie weiß immer Rat,« lächelte Ernst. »Aber erst will ich einmal selber mein Heil bei der edlen Frau versuchen. Ich reite voraus, was mein Brauner laufen kann, und ihr drei folgt langsam nach, und wenn mir das Glück hold ist, so lasse ich den Türmer ein lustiges Stücklein von der Zinne herunterschmettern, daß ihr es schon von weitem hören sollt.« »Still! wir werden belauscht,« rief plötzlich Hiltrud und deutete mit den Augen nach dem nahen Gebüsch hin. Aller Blicke wandten sich der Stelle zu, wo sie eine hinter Sträuchern halb verborgene Gestalt entdeckten. Ernst sprang auf und eilte dahin, um der unliebsamen Störung nachzuforschen. Da trat ihm zu seiner größten Überraschung Josephine entgegen. »Josephine!« rief er unbedacht aus, verbesserte sich aber schnell, -- »Joseph! wie kommst du hierher?« Das Mädchen antwortete verlegen: »Ich suchte Euch, Junker Hans.« »Und gerade hier?« frug er mißtrauisch. »Ich sah Euch heute früh fortreiten und dachte mir wohl, welchen Weg Ihr einschlagen würdet.« Als die drei Fräulein einen dunkelgekleideten Jüngling erblickten, mit dem sich Ernst in ein friedliches Gespräch einließ, kamen sie flink herzu, um sich den Ankömmling zu betrachten. »Es ist mein Freund Joseph, Isaak Zachäus' Sohn,« erklärte ihnen Ernst. »Du kennst ihn schon, Sidonie. Er hat mich aufgesucht, wie er sagt, und scheint eine Botschaft an mich zu haben. Sprich, Joseph! was bringst du?« »Einen Auftrag habe ich dazu nicht, Junker Ernst,« erwiderte sie, schon sicherer geworden, »aber ich glaubte, es würde Euch lieb sein, schnell zu erfahren, was sich begeben hat. Bei der Schmiedeschenke, von wo ich eben herkomme, hat ein Zweikampf zwischen Junker Hans und dem Ritter Bödigheim stattgefunden.« »Ein Zweikampf? ein scharfer Zweikampf?« frug Ernst, und die drei Fräulein zeigten bestürzte Gesichter. »Auf Leben und Tod.« »Nun, und --?« »Sie sind beide verwundet,« berichtete Josephine. »Junker Hans nicht gefährlich; er kann zu Pferde sitzen und nach Hause reiten. Ritter Bödigheim aber liegt schwer darnieder; das linke Schlüsselbein ist ihm durchgeschlagen und wahrscheinlich noch eine oder zwei Rippen. Mein Vater ist dort und hat ihn verbunden.« »Ohm Hans einen Zweikampf mit Bödigheim! und davon hat er mir gestern kein Wort gesagt,« murmelte Ernst. »Herr Engelhard von Hirschhorn und der Graf von Lauffen waren auch dort als Zeugen,« fuhr Josephine fort; »der Schmied nannte mir die Namen. Sie lassen einen Bauernwagen aus Neunkirchen holen, um den Schwerverwundeten fortzuschaffen. Mein Vater, der ja Arzt ist, soll ihn nach Burg Dauchstein geleiten und dort pflegen.« »Ich muß gleich hin,« sprach Ernst erregt zu den Fräulein. »Den Besuch bei deiner Mutter mache ich morgen, spätestens übermorgen, sobald ich kann,« flüsterte er Richilde mit zärtlichem Blick und Händedruck zu, während sich Josephinens funkelnde Augen feindselig in deren Antlitz bohrten. »Komm Joseph!« und den anderen beiden freundlich zunickend schritt er mit Josephinen in den Wald hinein der Stelle zu, wo er sein Pferd angebunden hatte. »Weißt du etwas über die Veranlassung zu dem Zweikampf?« frug er. »Nein, gar nichts,« erwiderte Josephine. »Junker Hans kam gestern abend, unbemerkt von Euren Eltern, zu meinem Vater und gebot ihm, sich heute vormittag an der Schmiedeschenke einzufinden, wo man vielleicht seines ärztlichen Beistandes benötigt sein würde. Doch legte er ihm strengste Verschwiegenheit darüber auf. Mein Vater nahm mich mit, und ich durfte dem Kampfe zusehen; ach! es war schrecklich, wie sie aufeinander losschlugen. Als alles vorüber war, ging ich Euch nach, um Euch Botschaft zu bringen, denn mein Vater kehrte ja nicht mit mir nach Neckarsteinach zurück. Ich glaubte Euch auf der Minneburg, und den Weg kannte ich so ziemlich nach Eurer eigenen Beschreibung. Bald entdeckte ich auch die frischen Hufspuren Eures Pferdes, denen ich folgte, bis ich Euch fand.« Das war nicht ganz der Wahrheit entsprechend. Nicht um Ernst Botschaft zu bringen, war Josephine diesen Weg gegangen, sondern um in der Nähe der Minneburg Ernst bei einem vermutlichen Stelldichein mit Richilde im Walde zu belauschen und diese endlich einmal mit eigenen Augen zu sehen, was ihr ja beides auch gelungen war. Ernst, teils noch im Rausche seines Liebesglücks, teils in Sorge um seinen geliebten Oheim, dachte nicht daran, Josephine zu fragen, wie lange sie dort im Gebüsch gestanden, was sie alles gesehen und wieviel sie von seiner Unterhaltung mit den Fräulein aufgefangen hätte. Daran lag ihm auch nichts. Er hätte ihr rückhaltlos alles selber erzählt, wenn er jetzt in einer mitteilsameren Stimmung gewesen wäre. Bei seinem Pferde angekommen, schwang er sich in den Sattel und ritt schnell davon, um Hans nach dem siegreich bestandenen Kampfe sobald wie möglich wiederzusehen und sich von der Beschaffenheit seiner Verwundung zu überzeugen. Nicht drei Minuten aber war Josephine allein, als sie wieder nahenden Hufschlag hörte. Ernst kam noch einmal zurück und rief, als er der darob Erstaunten ansichtig wurde, ihr von weitem zu: »Geh zu den Fräulein und sage ihnen, ich ließe sie bitten, Frau Juliane das heute Geschehene nicht mitzuteilen!« Josephine nickte, und Ernst wandte sein Pferd und sprengte davon. Sie hatte ihn wohl verstanden und wußte, was er mit dem heute Geschehenen meinte. »Aha!« dachte sie, »Frau Juliane soll's noch nicht erfahren, wahrscheinlich weil man ihren Einspruch dagegen fürchtet, mindestens einen Aufschub, den zu wünschen sie ja Grund genug hat, und der auch anderen Leuten durchaus nicht unwillkommen wäre. Drehen wir das Glücksrad einmal links herum! ich kann mich ja verhört haben.« Mit diesem Entschluß kam ihr noch ein anderer Gedanke. Die selber Eifersüchtige nahm sich vor, eine andere auf sich eifersüchtig zu machen, und was sie sonst vor aller Welt zu verbergen bestrebt war, wollte sie jetzt absichtlich enthüllen und dazu benutzen, Zweifel und Zwietracht zwischen zwei eben erst vereinigte Herzen zu säen. Sie entledigte sich ihres langen Rockes, hängte ihn an einen Strauch und stand nun in der kurzen, anliegenden Tracht, die ihre jungfräulichen Körperformen zeigte und jedem weiblichen Auge auf den ersten Blick ihr wahres Geschlecht verraten mußte. So ging sie zu dem Platz an der Buche zurück, wo sie die drei Fräulein noch in lebhafter Unterhaltung antraf. »Fräulein,« begann sie mit angenommener Schüchternheit, »Junker Ernst läßt Euch noch sagen, Ihr möchtet das heute Geschehene Frau Juliane mitteilen.« Mit höchst verwunderten Augen starrten alle drei die ganz veränderte Gestalt an, und ein halbunterdrücktes Lachen bei der einen und eine leichte Verwirrung und ein schnelles Erröten bei den anderen sagte der heimlich Frohlockenden, daß sie ihre Absicht erreicht hatte. Sidonie, immer noch mit Lachen kämpfend, nahm zuerst das Wort zur Erwiderung und sprach: »Wir danken Euch und werden dem Wunsche Junker Ernsts treulich nachkommen.« Dieser Wunsch erschien den drei Freundinnen durchaus gerechtfertigt, denn was war natürlicher, als daß Ernst, selber verhindert, nun sie ersuchte, Frau Juliane die von Kindespflicht, Sitte und Höflichkeit gebotene Mitteilung zu machen! »Habt Ihr sonst noch einen Auftrag an Junker Ernst?« frug Josephine, nur um ein Gespräch anzuknüpfen, in dem sie vielleicht Gelegenheit fände, sich ihrer Vertraulichkeit mit Ernst zu rühmen. »Einen Auftrag an Junker Ernst nicht, aber wohl eine Frage an Euch,« sagte Sidonie. »Wenn ich mich nicht getäuscht habe, so nannte Euch Junker Ernst, als Ihr ihm vorhin hier aus dem Gebüsch entgegentratet, zuerst Josephine und mich will bedünken, dieser Name käme Euch mit größerem Rechte zu, als der Name Joseph. Ist es so, oder irre ich mich?« frug sie, die volle schlanke Gestalt noch einmal von Kopf zu Füßen mit scharfem Blicke musternd. »Ihr irrt Euch nicht; ich bin ein Mädchen,« sprach Josephine mit gesenkten Wimpern. Eine unwillkürliche Bewegung und ein leiser Ausruf des Erschreckens seitens der Fräulein war die nächste Folge dieses Geständnisses. »Und Junker Ernst weiß das?« fuhr Hiltrud heraus. »Er weiß es längst, aber sonst niemand außer ihm,« erwiderte Josephine. »Ihm allein habe ich mich rückhaltlos anvertraut, und ich bitte Euch inständig, edle Fräulein, es ihm nicht zu sagen, daß Ihr mich durchschaut habt.« Da verging Sidonie die Lust zum Lachen. Es fiel ihr ein, daß Ernst, als sie ihm mit diesem sogenannten Joseph bei Neckarsteinach begegnet war, ihr erzählt hatte, er streifte mit ihm tagelang allein im Walde umher. »Und er nannte sie seinen Freund!« flüsterte Hiltrud der neben ihr stehenden Freundin zu. Richilde sprach kein Wort. Nicht daß schon irgendein Verdacht gegen den Geliebten in ihrer kindlich reinen Seele aufgestiegen wäre; aber ihr war doch beim Anblick dieses hübschen verkleideten Mädchens fast bang und traurig zumut, sie wußte selbst nicht warum. Josephinens Erscheinung hatte allerdings in der jugendlich männlichen Tracht etwas unendlich Reizendes und Verführerisches, das selbst auf die jungen Mädchen seine Wirkung nicht verfehlte, zumal diese scheinbar nicht von einer ihres Geschlechts, sondern von einer blühenden Jünglingsgestalt ausging. Und mit diesem verkleideten Mädchen schien Ernst, als alleiniger Mitwisser ihres Geheimnisses, auf sehr vertrautem Fuße zu stehen. Hatte er der berückenden Kraft des Zaubers widerstanden, der im Wesen dieses Mädchens lag? und würde er ihr auch auf die Dauer widerstehen, wenn er noch länger dem Einfluß desselben ausgesetzt bliebe? So dachte die kluge Sidonie und sann darauf, diesen gefährlichen Zauber zu brechen. »Warum tragt Ihr männliche Kleidung, Jungfer Josephine?« frug sie. »Mein Vater verlangt es, und auf unseren beständigen Wanderfahrten geht es auch nicht anders,« erwiderte Josephine. »Aber da mir der lange Rock beim Gehen hinderlich ist, streife ich ihn ab, wenn ich mich vor Entdeckung sicher glaube. Als mir nun Junker Ernst jetzt die Bestellung an Euch auftrug, mit der ich eilen mußte, wenn ich Euch hier noch treffen wollte, nahm ich mir nicht die Zeit, mich wieder zu verhüllen, nicht bedenkend, daß ich mich Euch dadurch verraten könnte.« »Hat Euch Junker Ernst schon so gesehen?« »O ja!« lächelte sie, »er sieht mich so am liebsten, und sobald ich mit ihm allein bin, muß ich mich stets von dem Rocke befreien.« Dabei warf sie einen beobachtenden Blick auf Richilde, in deren Zügen sie schadenfroh den Ausdruck von Unruhe und Unbehagen bemerkte. Richilde kehrte sich ab, um ihren Verdruß vor den Augen der sie unverschämt Dünkenden zu verbergen. »Wie lange bleibt Ihr noch auf der Mittelburg?« frug Sidonie wieder. »Wahrscheinlich noch lange Zeit,« erwiderte Josephine; »Herr Bligger will meinen Vater nicht aus seinen Diensten entlassen.« »Dann tätet Ihr besser, Euch züchtig in weibliche Kleidung zu hüllen; auf der Mittelburg droht Eurer Tugend, wenn sie sonst echt ist, keine Gefahr,« sprach Hiltrud mit scharfer Betonung. »O macht Euch um mich keine Sorge, Fräulein!« gab ihr Josephine spöttisch zur Antwort. »Ich stehe unter dem ritterlichen Schutze dessen, der mich seinen Freund nennt.« Schnell wandte sich Richilde und warf ihr zornrot ins Gesicht: »Vergeßt nicht, daß Ihr eine Jüdin seid!« Josephine biß zuckend die Lippen zusammen. Sie mußte dabei wieder an die Worte denken, die Ernst seinem Ohm Hans nach dem Schachspiel zugeflüstert hatte, und aus ihren dunklen Augen schoß ein Blick wie ein vergifteter Pfeil auf die Beleidigerin. »Richilde! wozu das?!« tadelte Sidonie die Aufgeregte. »Kommt! Frau Juliane erwartet uns,« fuhr sie dann fort, und zu Josephine: »Lebt wohl! und sagt Junker Ernst, es würde geschehen, was er wünschte.« »Ich danke Euch, Fräulein Sidonie!« sprach Josephine. Hiltrud nickte ihr stumm, kaum merklich mit dem Kopfe zu; Richilde würdigte sie keines Abschiedsgrußes. So gingen die drei der Minneburg zu. Josephine stand und blickte voll gärenden Hasses der Blonden nach. »Hochmütige, hüte dich vor mir!« murmelte sie zwischen den Zähnen. Dann schlug sie die entgegengesetzte Richtung ein, um auf dem kürzesten Wege nach Neckarsteinach zu kommen. Als sie ihren Rock wieder vom Strauche nahm, lachte sie: »Das war ein guter Gedanke, und er hat seine Schuldigkeit getan.« Achtzehntes Kapitel. Zu derselben Stunde, da bei der Reiherbuche Ernst und Richilde sich ihre Liebe gestanden und sich Treue gelobten und bei der Schmiedeschenke Hans Landschad und Bruno von Bödigheim sich Julianens wegen schlugen, erhielt die letztere den unerwarteten Besuch ihrer trautesten Freundin, Frau Elisabeth von Erlickheim. Wenn dieser Besuch eine oder nur eine halbe Woche früher gekommen wäre, so würde sich Juliane aufrichtig darüber gefreut haben; jetzt aber, nachdem sie vor drei Tagen Elisabeths Bruder mit seiner Werbung um ihre Hand so entschieden, fast herb und höhnisch abgewiesen hatte, sah sie dem Eintreten der eben in den Burghof reitenden Freundin mit beklommenem Gefühl entgegen. Sie nahm als selbstverständlich an, daß Elisabeth bereits um das Mißgeschick ihres Bruders wüßte und nun käme, den Antrag in seinem Namen zu wiederholen und ihrerseits durch Bitten und Vorstellungen zu unterstützen. So fest entschlossen sie nun war, denselben auch heute wieder abzulehnen, so peinlich war ihr dies doch der Freundin gegenüber. Daher hatte die gegenseitige Begrüßung der beiden Frauen, die sich lange nicht gesehen hatten, eine etwas gedämpfte Herzlichkeit, und während sie sich in Julianens Erker vorläufig noch über mehr oder minder Gleichgültiges unterhielten, blickte jede der anderen fragend und abwartend ins Antlitz, welche von ihnen zuerst den heiklen Gegenstand mit einem Worte berühren würde. Da Elisabeth noch immer damit zurückhielt, wurde Juliane ungeduldig, und wünschend, den unausbleiblichen Angriff nur erst überstanden zu haben, war sie es, die den Anfang machte. Sie streckte der Freundin die Hand entgegen und sagte mit einem warmen Herzenstone: »Elisabeth, du zürnst mir nicht! nicht wahr? gib mir die Hand darauf! Sieh'! ich konnte nicht anders!« Elisabeth ergriff die dargebotene Hand und erwiderte: »Nein, Juliane! ich zürne dir gewiß nicht, so nahe mir auch das Schicksal meines armen Bruders geht; aber daß du einen Landschaden heiraten willst, einen von denen --« »Wer hat dir gesagt, daß ich einen Landschaden heiraten will?« fiel ihr Juliane, bis an die Stirn errötend, ins Wort. »Wer mir das gesagt hat? O, das kannst du auf allen Burgen von Heilbronn bis Heidelberg hören,« lachte die andere. »Nun, du bist ja deine eigene Herrin und kannst tun und lassen, was du willst,« fuhr sie fort, als Juliane ärgerlich und verlegen schwieg. »Welcher vernünftige Mensch könnte dir also einen Vorwurf machen, wenn es die Liebe wäre, die euch zusammenführt!« »Traust du mir zu, Elisabeth, daß ich mich jemals ohne Liebe einem Mann ergeben könnte?« frug Juliane. »Eigentlich nicht,« erwiderte Frau von Erlickheim. »Darum tut es mir ebenso leid, daß meine herzliebe Freundin das auserlesene Opfer eines klug angelegten Planes, das bequeme Mittel zur Erreichung eines habgierigen Zweckes sein soll.« »Opfer? bequemes Mittel zu einem habgierigen Zwecke? was sind denn das für sonderbare Reden?« sprach Juliane. »Ich bin ja nicht die Erbin der Minneburg, sondern meine Tochter ist es.« »Das weiß ich, das meine ich aber auch nicht.« »Ja, was meinst du denn? ich verstehe kein Wort von allem, was du sagst.« »So weißt du es also nicht? weißt nicht, daß dich Hans Landschad nur heiratet, um dem Recht der Hagestolze zu entgehen?« gab Elisabeth der Ahnungslosen zu hören. Juliane schüttelte unwillig ihr schönes Haupt. »Recht der Hagestolze! was soll das nun wieder?« sagte sie, immer erstaunter, aber auch immer unruhiger werdend. »Wie alt ist Junker Hans?« frug Elisabeth dagegen. »Danach habe ich ihn nie gefragt,« erwiderte Juliane; »ich weiß nur, daß ich nicht zu jung für ihn wäre.« »Er ist neunundvierzig Jahr,« belehrte sie die Freundin. »Wenn er aber fünfzig Jahre, zwei Monate und drei Tage alt wird und dann als unverheirateter Mann stirbt, so fällt sein Hab und Gut, seine Burg, sein Teil vom Wald- und Landbesitz der Steinachs als Erbe an den Pfalzgrafen. Das nennt man das Recht der Hagestolze, und damit seine Hinterlassenschaft dem Geschlecht der Landschaden nicht verloren geht, muß Junker Hans bis dahin eine Frau haben. Verstehst du nun?« »Empörend!« rief Juliane außer sich. Zwei große Tränen quollen ihr unter den Wimpern hervor. Sie trocknete sich die Augen und sagte nach kurzem Besinnen: »Ach, das ist ja gar nicht denkbar! Elisabeth, du bist die Schwester Brunos; dein Eifer für ihn --« »Nein, nein!« unterbrach sie die andere, »nicht von meinem Bruder hab' ich es erfahren, obwohl auch er es mir bestätigt hat.« »So ist's ein Irrtum; solcher Schändlichkeit ist Hans nicht fähig,« sprach Juliane entrüstet. »Was soll er machen?« erwiderte Elisabeth kaltblütig, »er muß! Die Zeit drängt. Den eilenden Jahren und Tagen und solchem Rechte gegenüber hält auch der wütendste Ehehaß auf die Dauer nicht stand.« Es klang wie absichtlicher Hohn, als sie im Hinblick einer Verheiratung Julianens mit Hans dessen Ehehaß erwähnte. »Jetzt versteh' ich dich,« sagte Juliane gereizt; »du willst mich daran erinnern, welche große Überwindung es ihn kosten würde, wenn er mich zur Frau nähme. Wie freundschaftlich von dir!« »Nun, es ist ja nicht unmöglich, daß er dich nebenbei auch ein wenig liebt oder vielleicht recht sehr liebt,« lenkte Elisabeth ungeschickt ein. »Nebenbei! ein wenig!« wiederholte Juliane bitter, und ein zürnender Blick traf die mißgünstige Trösterin. »Hat er schon um dich geworben?« forschte diese. »Nein!« »Aber wenn er es nun tut, was wirst du ihm antworten?« »Ich werde ihn nach dem Rechte der Hagestolze fragen,« erwiderte Juliane sehr entschieden, »und« -- schloß sie mit besonderem Nachdruck -- »Hans Landschad lügt nicht!« »Ich auch nicht, Juliane,« entgegnete Frau von Erlickheim empfindlich. »Ich habe es mit meinen eigenen Ohren gehört, als es Engelhard von Hirschhorn meinem Manne anvertraute.« Die Nennung dieser Quelle wirkte auf Juliane wie ein betäubender Schlag. Sie wußte, daß Engelhard von Hirschhorn, der Landschaden, zumal Hansens bester Freund, stets in deren Pläne eingeweiht, oft selbst daran beteiligt war, und sah sich nun jedes Zweifels, als könne hier ein Irrtum obwalten oder eine Verleumdung im Spiele sein, plötzlich beraubt. Mit Mühe rang sie nach Fassung, um wenigstens in Gegenwart Elisabeths ihres Schmerzens Herr zu werden. Als diese sah, in welchem Aufruhr sich Juliane befand, sprach sie: »Jetzt zürnst du mir, Juliane, daß ich dir die Wahrheit gesagt habe; verzeihe mir! ich glaubte sie dir schuldig zu sein. Mache damit, was du willst; ich gehe jetzt und lasse dich allein, denn so etwas macht man am besten mit sich selbst ab. Brauchst du Trost oder Hilfe, so weißt du, wo du mich findest.« »Elisabeth,« erwiderte Juliane mit bebender Stimme, »ich kann dir nicht danken; du hast mir den letzten holden Traum meines Lebens zerstört.« Die Hände der beiden Frauen berührten sich nur leicht und kühl; ihr Freundschaftsband hatte in dieser Stunde einen Riß bekommen. Juliane saß, nachdem die Bringerin so niederschmetternder Kunde sie verlassen hatte, auf ihrem gewohnten Platz im Erker, wo sie schon so manches Freudige und Traurige in ihrem Leben durchdacht und durchkämpft hatte, und starrte in einem Gemütszustande, der nahe an Verzweiflung grenzte, stumm und regungslos vor sich hin. Sie hatte sich, ihres früheren Verhältnisses zu Hans gedenkend und danach sein neuerdings gegen sie eingeschlagenes Benehmen erwägend, schon der Hoffnung hingegeben, daß er sie liebte. Daß er ihr seine Liebe noch nicht gestanden hatte, erklärte sie sich aus seiner etwas schwerfälligen, den Frauen gegenüber schüchternen Art und Weise, und aus seiner ihr nicht unbekannten Furcht vor der Ehe, deren allmähliche Überwindung sie sowohl seiner Liebe, wie auch der eigenen klugen Handhabung ihrer wiedergewonnenen Macht über sein Herz siegessicher zutraute. In einsamen Stunden waren ihr aus ihrer lebhaften Einbildungskraft schon glänzende Bilder einer glücklichen Zukunft aufgestiegen, die ihr nach den karg bemessenen Freuden ihrer ersten Ehe nun an der Seite eines hochherzigen und wahrhaft geliebten Mannes doppelt lockend erschien. All das verheißungsvolle Licht, das ihr von ferne strahlte und ihr auf den Wegen ihrer sehnsüchtigen Wünsche näher und näher kam, und alle die Glut, die sie selber der Erfüllung dieser Wünsche entgegentrug, war durch die Mitteilung Elisabeths wie mit einem eiskalten Wassersturz verlöscht. Was Hansen zu ihr führte, war nicht Liebe, sondern Berechnung. Er brauchte eine Frau, irgendeine, gleichviel welche, und das nicht, um eine Familie zu gründen, einem Sohne dereinst sein Wappenschild und seine Burg zu vererben, sondern um das, was unter allen Umständen Zeit seines Lebens sein unantastbares Eigen blieb, auch nach seinem Tode nicht in fremde Hände kommen zu lassen. Er selber hatte also nicht einmal einen Vorteil davon, der ihm ohne Verheiratung entgangen wäre, sondern die Kinder seiner Brüder, falls ihm selber keine erwuchsen. Bligger also, der herrschsüchtige, ränkevolle Bligger, steckte dahinter. Darum hatte er ihr den Wald zurückgegeben; das war der Köder, der sie kirren sollte, damit die wieder Versöhnte die Frau seines Bruders würde. O, nun durchschaute sie die ihr von vornherein verdächtige Großmut ihres habgierigen Gegners. Ganz unbegreiflich war ihr nur, wie sich Hans zu einem so abscheulichen Spiel ihr gegenüber hergeben und ihr vertrauendes Herz so schmählich täuschen konnte. Dieser Gedanke war der sie am grausamsten marternde, diese Erfahrung die bitterste ihres ganzen Lebens. In ihren Ängsten suchte sie hin und her nach einer noch so schwachen Hoffnung, und ob sich nicht irgendwie und wo wenigstens die Möglichkeit eines Mißverständnisses entdecken ließe. Es war ihr kein Zweifel, daß Bruno von Bödigheim seine Schwester mit diesen Enthüllungen gesandt und Elisabeth ihr den Sachverhalt so gehässig wie möglich dargestellt hatte. Um sich Gewißheit über ihr Schicksal zu verschaffen, wollte sie zu Engelhard von Hirschhorn reiten und ihn auf sein Ritterwort fragen, ob es wirklich ein solches Recht der Hagestolze gäbe, von dem sie noch niemals gehört hatte, und ob wirklich sie das auserlesene Opfer wäre, das man dem Ehehasser wider seinen Willen an die Seite schmieden wollte. Aber bei näherer Überlegung mußte sie diesen Plan verwerfen; denn sie würde zwar von Engelhard unbedingt die Wahrheit erfahren, ihm aber auch ihre Liebe zu Hans mit ihren Fragen verraten haben, was sie um alles in der Welt vermeiden wollte. Dann dachte sie daran, Sidonie nach Zwingenberg zu schicken, damit diese ihren Vater ausforschte; aber auch dem jungen Mädchen gegenüber schämte sie sich, ihre leidenschaftlichen Gefühle für Hans einzugestehen. Sie wollte diesen selber zu sich rufen und um Aufklärung angehen. Aber ihn kommen lassen und nach seinen Absichten fragen, als könnte sie es vor Verlangen und Ungeduld gar nicht abwarten, daß er um sie würbe? Unmöglich! Sie mußte schweigen und harren, bis er von selber käme mit seiner Frage; dann wollte sie ihm die Gegenfrage stellen, und wehe ihm, wenn seine Antwort noch einen Schatten von Argwohn in ihr zurückließ! Sie war viel zu schwer verwundet in ihrem Herzen und viel zu sehr verwirrt in ihrem Kopfe, um sich mit einiger Ruhe sagen zu können: Was ist denn nun? Hans muß eine Frau nehmen, um nicht als Hagestolz zu sterben, und da er dich und keine andere liebt, so nimmt er natürlich dich und keine andere zur Frau, und dem nützlichen Zwecke verbindet sich ein beiderseits ersehntes Glück. Dieser Gedanke kam ihr aber nicht; sie gab schon im Voraus alles verloren und sah sich hilflos verlassen und verraten von dem einzigen Manne, in dessen Armen sie, wenn er sie geliebt hätte wie sie ihn, unaussprechlich glücklich geworden wäre. Sie rang die Hände und aus ihren den Himmel anklagenden Augen brachen wieder die hellen Tränen hervor. Sie verhüllte das Antlitz und weinte bitterlich. Als sie so, das Haupt auf den Tisch gestützt, saß und schluchzte, schlug plötzlich ein gellendes Gelächter an ihr Ohr, und unter dem geöffneten Fenster des Erkers hörte sie eine ihrer Mägde zu einem Knechte sagen: »Lauf' doch hin! um dich weine ich mir die Augen nicht aus!« Bei Gott dem Allmächtigen! das Mädchen hatte recht. Und sollte sie, die Herrin der Minneburg, sich an Stolz von einer Magd überbieten, von einer Magd sich beschämen lassen? Nimmermehr! fort mit dem rinnenden Naß! die Landschaden sind keine Tränen wert! Sie erhob sich schnell, trocknete sich hastig die Augen, und das Tuch in den zitternden Händen zusammenknüllend sprach sie trotzig: »Lauf' auch du hin, Hans Landschad! stirb und verdirb als Hagestolz, laß dich vom Pfalzgrafen beerben und geh' und suche dein Glück -- haha! dein Glück! -- in einem Kloster, wie es dir der allwissende Jude prophezeit hat!« Sie wollte hinaus, um das oft bewährte Mittel zu brauchen, sich im Sattel ihres Renners die trüben Gedanken vom Winde verwehen zu lassen. Da traf sie in der Tür auf Sidonie. »Willst du mit, Sidonie?« rief sie in ihrer Erregung der Eintretenden zu, »einen Ritt! wir zwei allein, aber einen, wie nur wir beide ihn fertig bringen!« »Ja!« sprach Sidonie kurz entschlossen und mit einem verwunderten Blick in das gerötete Antlitz der älteren Freundin, worauf diese ihrer Zofe den Befehl gab, sogleich satteln zu lassen. Sidonie deutete sich Julianens aufgeregte Stimmung als den Ausbruch einer leidenschaftlichen Wallung ihrer Liebe zu Hans, an welcher die Jüngere längst nicht mehr zweifelte. Sie hielt daher die Gelegenheit, jener die ohnehin jetzt von ihr beabsichtigte Mitteilung von Ernsts und Richildens Verlöbnis zu machen, für eine außerordentlich günstige, zumal sie wußte, daß Juliane, die wie zur Amazone geboren war, zu Pferde stets am fröhlichsten und zugänglichsten war. Darum beschloß sie, ihr draußen unter freiem Himmel, im verschwiegenen Walde das Glück ihrer Tochter beredt und eindringlich an das mütterliche Herz zu legen, auf Julianens freudige Zustimmung schon mit großer Zuversicht hoffend. Bald saßen die beiden zu Pferde und ritten den Burgweg schweigend hinab, weil Juliane sich noch nicht ganz von dem zu lösen vermochte, was sie eben noch so mächtig erschüttert hatte, und Sidonie über die beste Weise nachsann, wie sie ihre Mitteilung beginnen und die Unterredung zu dem erwünschten Ende führen sollte. Unten auf dem ebenen Talweg sausten sie nun Seite an Seite dahin, und es schien, als ob es Juliane darauf anlegte, so sturmschnell und so weit wie möglich von der Minneburg fortzukommen. Immer und immer noch hemmte sie nicht den ausdauernden Galopp ihres an starke Leistungen gewöhnten Pferdes, so daß Sidonie sie schon durch einen Zuruf an die Mäßigung ihres Ungestüms mahnen wollte, als sie endlich die Zügel anzog, um die Pferde im Schritt verschnaufen zu lassen. »Ah!« machte sie, »das tut gut! nichts köstlicher als das, Sidonie! es kommt dem Fliegen am nächsten, und wenn ich einen Wunsch frei hätte beim Schicksal, so wünschte ich mir Flügel, die mich trügen, wohin ich wollte.« Das glaub' ich, dachte Sidonie, zu ihm! zu ihm, der aller Sehnsucht Ziel ist! Laut sagte sie jedoch: »So denkt mancher und manche, Frau Juliane, besonders zwei, die voneinander getrennt sind und doch am liebsten beisammen wären.« »Hast du damit zwei Bestimmte im Sinne?« frug Juliane argwöhnisch, ob Sidoniens Worte etwa eine versteckte Anspielung auf sie sein sollten. »Gewiß!« erwiderte Sidonie, »zwei, die sich lieben.« »Sidonie!« drohte Juliane. »Nun, Euch mein' ich ja nicht,« lachte Sidonie und fuhr dann ernsthafter fort: »Und doch will ich mit Euch von zwei Liebenden reden, die Euch sehr nahe angehen. Seit Ihr heut empfänglichen Herzens für ein solches Gespräch, Juliane?« »Nicht sehr,« erwiderte diese, mit dem Ordnen ihrer Zügel beschäftigt. »Aber sprich, wenn es sein muß, und mach' es kurz. Wer sind die zwei Liebenden?« »Also kurz: -- Ernst und Richilde.« Juliane wandte rasch ihr Gesicht der neben ihr Reitenden zu und entgegnete finster: »Du hast dich versprochen, du wolltest sagen: Ernst und Sidonie. Doch was wollt ihr von mir? ich kann euch nicht helfen, und -- ich will es auch nicht!« »Ich habe mich nicht versprochen und Ihr habt ganz recht gehört.« »Sidonie, zum Rätselraten bin ich nicht aufgelegt,« verwies sie Juliane streng. »Du selbst, du liebst doch deinen Vetter --« »Nein, nein! das war ein Irrtum von Euch,« fiel Sidonie schnell ein. »Ich meinte, wie ich sagte, -- Ernst und Richilde.« Juliane hielt mit einem Ruck ihr Pferd an, und entsetzten Blickes stieß sie abgerissen hervor: »Meine Tochter?! und der -- der Landschad?!« »Dieselben!« sagte Sidonie. »Sie sind sich von Herzen gut und hoffen auf Eure Einwilligung, daß Ihr sie --« »Niemals!« unterbrach sie Juliane mit einer heftigen Gebärde des Unwillens, und ihr Pferd wieder in Bewegung setzend rief sie: »Ist denn alles gegen mich mit Trug und Hinterlist im Bunde? auch du, Sidonie? Darum also war die Rose von einer Brust zur andern gewandert; und ich sah es und frug nicht!« »Ernst hatte sie mir für Richilde gegeben,« sprach Sidonie. »Schick' ihm den Stiel mit den Dornen zurück; dann weiß er meine Antwort!« »Juliane! Was habt Ihr gegen Ernst einzuwenden?« frug Sidonie im höchsten Grade erstaunt. »Daß er ein Landschad ist!« »Aber der alte Streit ist doch glücklich beigelegt? Ihr seid doch versöhnt und im besten Frieden mit ihnen?« »Nein! das bin ich nicht!« schrie Juliane. »Ich hasse sie, alle miteinander, die Männer und die Weiber, die Verheirateten und die Ledigen!« »Und Ohm Hans?« »Hans! Hans Hagestolz!« höhnte Juliane, »er soll mir nur über die Schwelle kommen!« »Mein Gott! Was ist denn geschehen?« »Nichts, was dich angeht oder du auch nur zu wissen brauchtest.« »Ihr seid mir selber ein Rätsel, Frau Juliane!« sprach Sidonie, die aus ihrem grenzenlosen Staunen gar nicht herauskam. »Sprecht Euch doch aus; vielleicht kann ich noch einmal vermitteln.« »O ja; du kannst, wenn du Lust hast, noch einmal nach Neckarsteinach reiten, den Landschaden in meinem Namen absagen und ihnen bestellen, sie wären wieder meine Feinde und sollten es bleiben, so lange sie und ich das Leben hätten!« erwiderte Juliane heftig. Die Augen in ihrem bleichen Gesicht funkelten in loderndem Haß, und ihr Busen hob und senkte sich in gewaltigster Bewegung. Sidonie war diesem ihr unbegreiflichen Wutausbruch gegenüber machtlos, und um der Erregten Zeit zu lassen, sich zu beruhigen, ritt sie eine Weile schweigend neben ihr her, um später das Gespräch wieder anzuknüpfen. Als ihr der rechte Augenblick dazu gekommen schien, begann sie von neuem: »Frau Juliane, schenkt mir Vertrauen; es muß ein Mißverständnis obwalten, das aufgeklärt werden muß. Sagt mir: warum seid Ihr gegen Richildens Verbindung mit Ernst?« »Ich kann es weder dir, noch irgendeinem anderen Menschen sagen,« erwiderte Juliane; »denn ich müßte mich schämen, zu bekennen, wie ich hintergangen und betrogen bin.« Wieder bebte ihr die Stimme, und in einen immer gereizteren Ton verfallend fügte sie hinzu: »Aus der Verbindung kann nichts werden; es ist ganz undenkbar, und Richilde soll sich nicht unterstehen, mir davon anzufangen! Kein Wort will ich davon hören! den Junker Landschad laß' ich gar nicht vor.« »Aber Ernst und Richilde lieben sich, haben sich ihre Liebe gestanden und sich ewige Treue geschworen. Sie können und wollen nicht voneinander lassen,« stellte ihr Sidonie eindringlich vor. »Pah! sie werden es lernen müssen! Man lernt manches im Leben, was man vorher nie begreifen zu können glaubte,« lachte Juliane bitter. »Sidonie, höre meinen Schwur!« Sie richtete sich im Sattel mit ihrer ganzen Gestalt hoch und gebieterisch auf und hob die Hand mit der Reitgerte drohend empor. »Hier schwöre ich: Juliane Rüdt von Kollenberg wird niemals, niemals ihre Einwilligung geben, daß ihre Tochter Richilde eines Landschaden Frau wird! Du hast es gehört, Sidonie! und links der Neckar und rechts der Wald hier sind meine Zeugen, weil ich keine anderen Zeugen außer dir habe.« Sidonie schüttelte das Haupt und schwieg; auch Juliane sprach nichts weiter. Sie wandten die Rosse und ritten heim. In beiden wirkte das gepflogene Gespräch noch lange mächtig nach. Neunzehntes Kapitel. Nach einem scharfen Ritte von der Reiherbuche nach Neckarsteinach langte Ernst auf schaumbedecktem Pferde in Burg Schadeck an und eilte sofort die Treppe hinauf in das Gemach seines verwundeten Oheims. Hier traf er seinen Vater und Engelhard von Hirschhorn, denen es nach vielem Zureden gelungen war, Hans ins Bett zu bringen. Da lag er nun mit nassen Umschlägen auf dem Kopfe, die ihm Williswinde von Zeit zu Zeit erneuern mußte, im übrigen aber ganz vergnügt und mit nur mäßigen Schmerzen. Er hatte einen tüchtigen, zum Glück noch halb abgefangenen Hieb bekommen, der ihn jedoch nicht sofort kampfunfähig gemacht, dagegen so geärgert hatte, daß er mit dem nächsten gewaltigen Streiche seinen Gegner zu Boden gestreckt hatte. Isaak Zachäus hatte auch ihm einen leichten Verband angelegt, aber während des schnellen Rittes nach Hause war ein ziemlich starker Blutverlust eingetreten. Hans begrüßte den Neffen aufs freundlichste, versicherte ihn scherzend der Leichtigkeit seiner Verwundung und ersuchte ihn, bei ihm zu bleiben und ihm mit Späßen und Erzählungen die Zeit zu vertreiben, wozu Ernst mit Freuden bereit war. Bligger und Engelhard ließen die beiden allein und gingen nach der Mittelburg, wohin sie Konrad beschieden, um diesen und Katharina, die bei Engelhards Ankunft nur die nackte Tatsache und nichts weiter erfahren hatte, von dem Vorgefallenen näher zu unterrichten. Auf dem Wege dahin gab Engelhard seinem Freunde Bligger Auskunft über die Veranlassung des Zweikampfes, so wie sie ihm Hans auf dem Heimritt von der Schmiedeschenke gebeichtet hatte. »Die Hauptsache ist: er hat sich für Juliane geschlagen!« sagte Bligger nach Anhörung von Engelhards Bericht, »und zwar mit seinem Nebenbuhler geschlagen. Das ist nicht nur das sicherste Zeichen, daß er sie liebt, sondern zugleich die größte Huldigung, die er ihr beweisen konnte, und für die sie ihm ihren Dank, ich möchte sagen ihre Hand geradezu schuldig ist.« »Daß er Juliane liebt, glaube ich jetzt selber,« sprach Engelhard; »aber heiraten will er sie doch nicht. Ich habe ihn, als er bei mir war und wir beim Weine saßen, darauf gebracht und ihm gut zugeredet; aber er wies es entschieden zurück und wurde gleich so schrecklich grob, daß ich kein Wort mehr sagen durfte.« »Tut nichts,« lachte Bligger. »Wenn er sie nicht heiratet, so heiratet sie ihn. Sie muß es nur sobald wie möglich erfahren, daß er sich für sie geschlagen hat. Das wäre wieder so ein Auftrag für Sidonie,« fügte er wie mit sich selbst redend hinzu; »oder auch Ernst könnte hinreiten und es ihr wie ganz beiläufig mitteilen. Ich möchte nur dabei sein, um zu sehen, welche Wirkung die Nachricht auf sie macht; man müßte ihr Hansens Verwundung als recht gefährlich darstellen.« »Das könnte ich ja besorgen,« sprach Engelhard. »Dann wissen wir gleich, wie es wirkt.« »Mir ist's recht,« erwiderte Bligger, »übernimm du es, und je eher, je besser! denn wir erwarten sie jeden Tag; sie hat uns durch Hans ihren Besuch versprochen. Wenn sie nun von dem Zweikampf und Hansens Verwundung hört und kommt den nächsten Tag darauf angesaust, dann ist's richtig.« Und er schlug in die Hände und strich sich den Bart, wie es seine Gewohnheit war, wenn ihn etwas besonders erfreute. Als die beiden Ritter nun Katharina und Konrad in das Tatsächliche und ihre Gedanken darüber einweihten, fanden sie bei diesen volle Übereinstimmung mit ihrer Auffassung von der Lage der Dinge, und alle gaben sich einer hoffnungsvollen Freude darüber hin, die sie sich nicht enthalten konnten, mit einem fröhlichen Trunk auf Hansens baldige Genesung zu feiern. Ernst blieb mehrere Stunden lang bei dem Verwundeten; doch über die wahre Veranlassung des Zweikampfes wollte Hans trotz allen Fragen und Bitten Ernsts nicht mit der Sprache heraus, was den letzteren so verdroß, daß er dem Oheim nun auch nicht das Geständnis seiner Verlobung mit Richilden ablegen mochte, wie sehr es ihm auch auf der Zunge brannte. Am Spätnachmittag sagte Hans: »Weißt du was, Ernst? Du könntest mir den Joseph holen, daß er mit mir Schach spielt; ich langweile mich fürchterlich.« »Du langweilst dich mit mir?« lachte Ernst, nicht sonderlich geschmeichelt von dieser Bemerkung. »Willst du nicht mit mir Schach spielen?« »Nein!« erwiderte Hans entschieden; »der Joseph spielt viel besser als du. Geh' nur und hole ihn; aber du darfst nicht zusehen, sonst macht er wieder Fehler über Fehler.« Ernst gehorchte und war weder gekränkt noch unfroh darüber, nach alle dem Erlebten heut' endlich sich selber überlassen zu sein und seinen Erinnerungen und Gedanken nachhängen zu können. Er ging zur Mittelburg und geradeswegs in Josephs Zimmer. Ehe er aber ganz eingetreten war, prallte er fast zurück vor dem unerwarteten Anblick, der sich ihm darbot. In dem Gemache stand ein schönes Fräulein, eine stattliche Dame, die sich lächelnd vor ihm verneigte. Es war Josephine in vollständig weiblicher Kleidung. »Josephine!« rief er, brachte aber vor Überraschung nichts weiter heraus und wußte nicht, ob er Fräulein, ob er Ihr oder du sagen sollte. »Tretet näher, Junker Ernst!« sagte sie mit einer anmutigen Handbewegung. »Josephine!« sprach er noch einmal, »welche Unvorsichtigkeit!« »Daß ich die Tür nicht verriegelte?« frug sie mit einem schelmischen Blick. »Da habt Ihr Recht. Wäret Ihr einen Hahnenschrei früher gekommen, hättet Ihr mich bös überrascht; in diesem Augenblick erst bin ich mit meiner Verwandlung fertig geworden.« Sie war ein ganz anderes Wesen, größer, reifer und vor allem schöner, als in der bisherigen Jünglingstracht. Das ihre herrliche Büste nicht neidisch verhüllende dunkelgelbe Kleid war von einer veilchenblauen Sammetborte umsäumt, die den Schmelz ihrer warmblütigen Hautfarbe glänzend hervorhob. Auf dem bloßen Halse wirkte der Kopf und das blühende Antlitz mit den dunklen Augen weit anziehender und bedeutender, und die ganze Gestalt war von einem jungfräulich üppigen Liebreiz umflossen, der auf Ernst einen tieferen Eindruck machte, als er sich selber eingestehen mochte. »Jetzt begreif' ich es noch besser,« sprach er sie mit staunendem Entzücken betrachtend, »warum dein Vater nicht will, daß du dich auf euren Wanderungen in Frauenkleidern zeigst.« Ihr glühten die Wangen, aber weniger vor Beschämung über das Lob ihrer Schönheit, das in seinen Worten lag, als vor Freude und Genugtuung über das Gelingen ihrer Absicht. Denn sie hatte sich nur darum weiblich gekleidet, um ihn zu versuchen, und als sie sah, wie ihre verwandelte Erscheinung seine Sinne befing, wallte es heiß in ihr auf, und ihre weiße Brust wogte. »Ich sagte Euch einmal, daß ich auch Frauengewänder bei mir hätte,« sprach sie verführerisch lächelnd. »Ich trage sie jedoch nur, wenn ich mit meinem Vater in stiller Zurückgezogenheit hinter Schloß und Riegel einen Feiertag begehe. Dazu lege ich dann auch Hals- und Armbänder an, denn schöne Kleidung und Juwelen für mich ist das einzige, womit mein Vater nicht kargt; aber Ihr ließet mir ja nicht Zeit, mich zu schmücken.« »Du brauchst nicht Gold und blitzende Steine auf diesem Halse und an diesen Armen; du bist auch ohne das zauberschön!« entfuhr es Ernst. »Habt ihr heut' einen Feiertag?« »Das nicht,« erwiderte sie, »aber ich habe die Mummerei satt, und so lange ich hier auf Eures Vaters Burg bleibe, werde ich fortan stets Frauenkleider tragen. Ich bin ja hier vor jeder Anfechtung sicher,« fügte sie halb schalkhaft, halb bitter hinzu. »Weißt du das so gewiß, Josephine?« sprach er mit einem vollen Blick in ihr Gesicht. »Bis heute glaubt' ich es, Junker Ernst,« hauchte sie und senkte das Haupt. »Und heute nicht mehr?« Er ergriff ihre Hand und legte seine andere Hand auf ihre Schulter. Sie zitterte stark, und ihr Atem ging. »Josephine,« sprach er leise, »du bist sehr schön, und du weißt es, daß du schön bist, am schönsten in der Tracht, die dir gebührt. Hast du sie nicht darum angelegt?« Er fühlte einen sanften Druck ihrer Hand. Dann erhob sie die Augen zu ihm und sah ihn eine Weile schweigend an. In dem Blicke lag eine Welt voll Leidenschaft und hingebender Liebe. Er stand und rührte sich nicht; ihr Blick prallte machtlos an ihm ab. »Hast du es mir zuliebe getan, Josephine?« lächelte er. Ein leiser Spott klang ihr aus der Frage entgegen. Sie zuckte mit den Brauen und entzog ihm schnell ihre Hand. »Euch zuliebe? o nein, Junker Ernst!« erwiderte sie stolz. »Ich habe noch einen anderen Grund außer dem, den ich Euch schon sagte. Die drei Fräulein von der Minneburg haben mich als Mädchen erkannt.« Er erschrak. »Und du hast es ihnen eingestanden?« »Ich konnte nicht anders. Als Ihr noch einmal zurückkamt und mir die Bestellung an sie auftrugt, hatte ich meinen Rock abgestreift und nahm mir nicht Zeit, ihn wieder anzuziehen, um nur die Fräulein noch schnell einzuholen; da sahen sie's mir an, daß ich kein Mann bin.« »Das ist mir nicht lieb,« sprach er unmutig. »Ich nannte dich Joseph und meinen Freund.« »Und das war den vornehmen Fräulein gegenüber der Ehre zuviel für ein Judenmädchen, nicht wahr?« »Josephine!« entgegnete er vorwurfsvoll, »ich denke, ich gab dir Beweise meiner Freundschaft. Übrigens -- fast hätte ich es über deinem Anblick vergessen -- Ohm Hans erwartet dich zum Schachspiel. Ich bitte dich, geh zu ihm und vertreibe ihm die Zeit; überzeuge dich auch, ob Williswinde die Umschläge richtig macht. Dein Vater ist nicht hier, aber du sagtest mir, du hättest ihm bei der Pflege Verwundeter manches abgesehen.« »Kommt Ihr auch mit zu dem Schachspiel?« frug sie schnell mit einem Augenaufblitz. »Ich komme vielleicht später nach. Aber was sagst du den Meinigen, wenn sie dich nun als Mädchen sehen?« »Die Wahrheit,« erwiderte sie; »also den Willen und die Gründe meines Vaters und was ich Euch sonst darüber gesagt habe. Ich gehe jetzt zu Junker Hans und werde ihn pflegen, so gut ich vermag.« Sie warf ein dunkles Tuch über die Schultern und verließ das Gemach. Er folgte und sah ihr, wie die volle, schmiegsame Gestalt vor ihm dahinschwebte, kopfschüttelnd nach. Als sie bei Hans eintrat, richtete sich dieser im Bette auf und blickte die Fremde verwundert an. »Verzeiht, Junker Hans!« lächelte sie, »der Joseph ist nicht zu finden, aber Schach spielen kann die Josephine auch.« [Illustration: »Was? Du? ein Mädchen? oh! das ist über alle Maßen lustig!« rief Hans.] »Was? du? ein Mädchen? oh! das ist über alle Maßen lustig!« rief Hans. »Also darum wolltest du hier den langen Rock nicht ausziehen, und darum wolltest du nicht --, oder vielmehr wollte er nicht, der Tor, der Ernst --, oh! oh!« und er warf sich in die Kissen zurück und lachte unbändig. »Ruhig! ruhig, Junker Hans!« sprach sie errötend, »so heftig dürft Ihr Euch nicht gebärden. Haltet jetzt still und laßt mich Eure Wunde untersuchen; ich verstehe mich ein wenig darauf.« Mit leichten, weichen Händen nahm sie den Verband ab, kühlte ihn in dem bereitstehenden Wasser und legte ihn wieder auf. »Ich hoffe, es hat nicht viel zu sagen,« meinte sie; »aber Ihr müßt Euch ruhig verhalten.« »Gar nichts, gar nichts zu sagen!« erwiderte er in bester Laune; »es ist ja nicht der erste Hieb, den ich in meinem Leben abgekriegt habe. Und nun, schönste Josephine, rücke das Tischlein heran und hole das Schachbrett! Dort hängt es an der Wand; wirst du es auch heben können? es ist sehr schwer.« Sie legte ihr Tuch ab und tat alles, was er ihr geheißen hatte. Er folgte mit den Augen ihren kräftig anmutigen Bewegungen, und als sie sich mit dem Tisch und dem Schachbrett zu ihm setzte und die Figuren aufzustellen begann, betrachtete er sie mit neugierigen Blicken und sagte: »Kreuzhageldonnerschlag! würde Bligger sagen, bist du schön, Mädchen! Der Ernst ist ein Fuchs, ein ganz durchtriebener Fuchs!« »Zieht an, Junker Hans!« lächelte sie geschmeichelt. Bald waren sie in das Spiel vertieft und wechselten selten ein Wort zwischen den Zügen. Einmal sagte Hans: »Die Josephine spielt noch besser, als der Joseph.« Und ein andermal fuhr er mit der Hand sanft über den bloßen Nacken und sprach: »Wie kann man nur so schön sein und so gut Schach spielen!« Sie bog sich zurück und drohte: »Junker Hans, soll ich gehen und den Joseph schicken?« »Den Joseph mit dem langen Klosterrocke? nein, nein! sein Schwesterlein ist mir lieber,« lachte er. Als sie schon eine geraume Weile gespielt hatten, begann es zu dämmern, denn das Gemach hatte nur schmale Fenster. »Hole Licht!« bat er, »wir können nicht mehr sehen.« Sie ging hinaus und als sie mit zwei brennenden Kerzen zurückkam, lag er ausgestreckt und blinzelte in das Licht. »Wollt Ihr schlafen?« frug sie. »Nein, nein! nur ein wenig ausruhen,« erwiderte er. »Der Kopf fängt mir an zu brummen.« »Dann dürfen wir nicht weiterspielen,« entschied sie. »O doch, warte nur ein wenig, es wird vorübergehen,« sprach er müde. Aber er schloß die Augen und schien einzuschlafen. Bald darauf begann er im Traume zu reden: »Ist er tot? -- Der Schlag traf!« Dann schrak er auf, starrte Josephine mit gläsernen Augen an und sagte: »Du hier? das ist gut. Nun sage du mir, welche von beiden die Schönste ist.« »Welche beiden meint Ihr, Junker Hans?« frug Josephine. »Nun, du weißt doch: Juliane oder Richilde. Aber warum nennst du mich denn Ihr und Junker Hans? ich bin doch dein Oheim, Sidonie.« Josephine merkte sofort, daß er Wundfieber hatte und sie für seine Nichte Sidonie von Hirschhorn hielt. »Du hast recht, Ohm Hans; ich versprach mich nur,« sagte sie, auf seine Wahnvorstellung eingehend. »Juliane ist die Schönste, mein' ich.« »Siehst du, das mein' ich auch, aber Ernst sagt -- Ach, Sidonie, du hast so rote Lippen, dein Kuß im Walde war süß. Juliane hat mich nicht geküßt; nur einmal, einmal, das ist lange her. Sidonie, glaubst du, daß sie mich liebt?« »Gewiß, Ohm Hans, sie liebt dich; glaube mir, ich weiß es,« suchte ihn Josephine zu beruhigen. »O Sidonie! ich will dir's nur gestehen, ich liebe sie auch, ich liebe sie viel, viel mehr, als ich sagen kann. Aber es darf es keiner wissen. Du bist verschwiegen, Sidonie! nicht wahr? sag' es ihr nicht, daß ich sie liebe, sonst muß ich sie heiraten, und das will ich nicht. Alles, alles, nur nicht heiraten.« »Nein, Ohm Hans, du brauchst sie nicht zu heiraten,« sprach Josephine. »Ja, aber wenn sie mich liebt, -- was soll ich denn sagen? daß ich sie auch liebe? nein, nein! sie darf es nicht wissen. Wenn nur Bödigheim erst tot wäre! der heiratet sie gleich, und das soll er nicht, das soll er nicht! sonst schlag' ich ihn noch einmal tot, nur aus Liebe. O meine Juliane! Du bist doch die Schönste!« Er sank matt in die Kissen zurück, murmelte noch Unverständliches und schlief ein. Nun wußte Josephine das Geheimnis seiner Liebe und saß und sann, was sie damit anfangen sollte; aber sie kam zu keinem anderen Entschlusse, als zu dem, es vorläufig vor jedermann zu verschweigen. Als sie sich überzeugt hatte, daß er fest eingeschlafen war, schlich sie hinaus und hieß Williswinde zu Bett gehen, sie selber würde die Nacht bei dem Kranken wachen. Dann setzte sie sich wieder in Hansens bequemen Lehnstuhl, beobachtete die Atemzüge des Schlummernden, erneuerte die nassen Umschläge auf seiner Stirn, ohne daß er davon erwachte, und fühlte nach seinem Puls. Das Fieber war nicht stark; die gesunde Natur des abgehärteten Mannes schien sich selber zu helfen und die Gefahr in einem tiefen Schlafe zu besiegen. Draußen über Berg und Tal brütete die warme Sommernacht, matt erhellt vom ersten Viertel des zunehmenden Mondes. Josephine öffnete ein Fenster und lehnte sich hinaus, um die milde, würzige Luft zu genießen, die auch ihrem Pflegebefohlenen nur gut tun konnte. In senkrechter Steile fiel der Fels, auf dem die Burg über dem Abgrund hing, zur Tiefe, und unten auf den Wellen des Neckars flimmerte das Mondlicht. Josephine blickte hinab und wieder hinauf zum wolkenlosen, gestirnten Himmel, und ein Seufzer hob ihre sehnsuchterfüllte Brust. Da blitzte im Osten eine Sternschnuppe auf und erlöschte nach kurzem Fluge. Josephine sah es und fuhr unwillkürlich zusammen. Sie hatte gerade etwas gedacht, etwas gewünscht, auf dessen Erfüllung sie schon seit ein paar Stunden wartete und das so leicht zu erfüllen gewesen wäre. Sie lauschte in die Nacht hinaus, ob nach dem deutungsvollen Himmelszeichen die Erfüllung nicht nahte. Jetzt schlug im Burghof ein Hund an, aber ob im Tore die Pforte ging, konnte sie nicht hören. Sie trat in das Zimmer zurück und warf einen prüfenden Blick auf den Schlummernden. Hans lag fest, wie von einem Schlaftrunk betäubt, ihn hätte nichts geweckt. Sie horchte an der Tür, ob niemand die Treppe hinaufkäme. Aber wie sehr sie auch ihr Gehör anstrengte, alles war still in der Burg, nichts regte sich, niemand kam; sie blieb einsam und allein. Als Hans am Morgen gestärkt und fieberfrei erwachte, fand er sich allein und mußte sich besinnen, was er geträumt hatte: von Sidonien und von Joseph, der in Frauenkleidern zu ihm gekommen war und mit ihm Schach gespielt hatte. Aber das Schachbrett hing an seinem gewohnten Platz an der Wand, und der Kasten mit den Figuren stand, wo er immer stand, auf dem kleinen Tische dort im Winkel. Im Laufe des Tages erhielt er öfter Besuch von seinen Brüdern und Ernst, und alle freuten sich, ihn seiner Genesung entgegenschreiten zu sehen. Als Ernst nachmittags von einem solchen Besuche zurückkehrte, begegnete ihm ein Bauersmann, den er nicht kannte, der aber ihn kannte, denn er redete ihn bei seinem Namen an und übergab ihm einen Brief, den er von Laux Rapp zur Bestellung an den Junker Ernst erhalten haben wollte. Ernst erbrach den Brief und las. Aber sein Gesicht entfärbte sich immer mehr und mehr, je weiter er mit dem Lesen kam. Der Brief war von Sidonien und lautete folgendermaßen: Lieber Vetter Ernst! Nichts Erfreuliches habe ich dir zu melden. Frau Julianens versöhnliche Stimmung ist plötzlich in das Gegenteil umgeschlagen. Den Gedanken an eine Verbindung zwischen dir und Richilde weist sie als eine vollkommene Unmöglichkeit zurück, weil du ein Landschad bist. Denn sie haßt euch allesamt jetzt so maßlos, wie sie euch noch nie gehaßt hat, läßt euch absagen, will keinen von euch sehen, auch dich und Ohm Hans nicht, und will Zeit ihres Lebens eure Feindin sein. Den Grund will sie nicht sagen, und ich mühe mich vergeblich ab, ihn zu erraten. Sie hat die Burg nicht verlassen, und es ist auch niemand bei ihr gewesen, als Frau Elisabeth von Erlickheim, wie ich von den Burgleuten erfahren habe. Von Ohm Hansens Zweikampf haben wir nichts gesagt. Sie schließt sich ganz von uns Mädchen ab; wir haben also volle Freiheit zu gehen oder zu reiten, wohin wir wollen. Komm übermorgen nachmittag zur Schmiedeschenke, wo wir dich erwarten werden, um uns mit dir zu beraten. Richilde ist dir treu und sendet dir tausend schmerzensvolle Grüße. _Sidonie._« Ernst war auf's tiefste erschrocken und starrte, als er längst zu Ende gelesen hatte, noch immer in den Brief, als verstünde er weder die Worte noch deren Sinn. Dann begab er sich wie im Traume wandelnd nach Hause und suchte seinen Vater auf, um diesem die Unheilskunde mitzuteilen. Dabei bedachte er in seiner Bestürzung nicht, daß er dann auch sein Verlöbnis mit Richilde gestehen müßte, infolgedessen er ja die Nachricht von Sidonien erhalten hatte. Er traf seinen Vater allein im Gemach, und dieser empfing den ganz Verstörten mit den Worten: »Wie siehst du denn aus? Hat Ohm Hans einen Rückfall bekommen?« »Vater,« stammelte Ernst, »Frau Rüdt von Kollenberg sagt uns ab!« »Was? daß sie nicht kommen will?« frug Bligger. »Nein, nein! sie sagt uns ganz ab, sie haßt uns allesamt wie nie zuvor und will Zeit Lebens unsere Feindin sein.« Bligger sah seinen Sohn groß an, ob er bei Sinnen wäre. Dann sprach er: »Weißt du auch, was du eben gesagt hast?« »Ganz genau, Vater« erwiderte Ernst, »ich wollte selber, ich hätte es geträumt.« »Woher hast du die Nachricht?« »Sidonie schreibt mir's.« »Und der Grund dieser erneuten Feindschaft?« »Den kann sich Sidonie nicht erklären, und Frau Juliane will ihn nicht sagen.« »Wo ist der Brief?« frug Bligger und streckte schon die Hand danach aus, obwohl ihn Ernst noch wohlgeborgen in der Tasche trug. Ernst wurde sehr verlegen. »Ich will dir den Brief wohl zeigen, Vater,« sagte er, »aber vorher muß ich dir etwas mitteilen, was du unter anderen Umständen einen oder zwei Tage später erfahren haben würdest. -- Ich liebe Richilde und sie mich auch, und wir haben uns Treue gelobt, aber Frau Juliane weist mich ab, und darum schreibt mir Sidonie.« Währenddem hatte er Sidoniens Brief hervorgeholt und reichte ihn seinem Vater. »Es ist gut, mein Sohn!« erwiderte Bligger, »ich segne deine Wahl und helfe dir, die Braut zu gewinnen.« In Ernsts Augen blitzte ein Strahl der Hoffnung auf. Bligger aber las den Brief. »Aha! Elisabeth von Erlickheim!« rief er aus, als er soweit gekommen war. Dann las er schweigend zu Ende und gab das Schreiben seinem Sohne zurück. Im Zimmer auf und nieder schreitend sprach er in abgerissenen Sätzen halb zu Ernst, halb zu sich selber: »Elisabeth ist Bödigheims Schwester. Aber wie hat sie's nur so schnell erfahren? -- Halt! Lauffen! ja, ja, das ist so ein Freundschaftsstückchen von unserem lieben Gaugrafen. Er hat nicht, wie er vorgab, den Schwerverwundeten nach Dauchstein begleitet, sondern ist nach Stolzeneck getrabt, hat es Erlickheims erzählt, daß Hans den Bödigheim niedergestreckt hat; Elisabeth, in der Wut über das Unglück ihres Bruders, hat es sofort Julianen hinterbracht, und Engelhard kommt nun mit der Nachricht zu spät. -- Aber Kreuzhageldonnerschlag! wenn uns Juliane darum absagt, dann liebt sie ja nicht Hans, sondern den Dauchsteiner! -- Hm! hm! was nun? -- Ernst!« wandte er sich, vor seinem Sohn stehenbleibend, zu diesem, »ich muß dir auch etwas anvertrauen, was du aber vor jedermann streng zu verschweigen hast, auch vor Ohm Hans. Kann ich mich darauf verlassen?« »Unbedingt, Vater!« »Also höre! Wir hatten gehofft und hoffen es noch, daß sich Ohm Hans mit Frau Juliane ehelich verbinden würde, und glaubten schon, daß sie sich beide liebten.« Ernst schüttelte den Kopf und sagte: »Das glaube ich nicht, Vater. Als ich Ohm Hans einmal von meiner Liebe zu Richilde sprach, wurde er fuchswild und schilderte mir das Eheleben als die Hölle auf Erden.« »So! hm!« machte Bligger, »also immer noch die alte Litanei!« Dann machte er wieder ein paar Schritte auf und ab, blieb wieder stehen und sprach: »Ernst, du reitest übermorgen nachmittag nach der Schmiedeschenke und siehst zu, was du über den Umschlag in Frau Julianens Stimmung aus den Mädchen herauskriegen kannst. Ich hoffe trotz allem, daß wir die Sache noch in Ordnung bringen, auch die deinige.« »Ich werde tun, was du begehrst, Vater,« sprach Ernst und ging halbwegs getröstet hinaus. Aber in seinem Herzen saß neben der Sehnsucht die Sorge und trieb ihn an, über Entschlüssen und Plänen zu brüten, wie er sich mit eigener Kraft zu seinem Glücke verhelfen könnte. Nach ihm verließ auch Bligger das Gemach, um Frau Katharina in alles einzuweihen. Beim Hinausschreiten brummte er in den Bart: »Hat mich der Jude mit Julianens Horoskop betrogen, so laß ich ihn baumeln!« Zwanzigstes Kapitel. Es war in der friedlichen Stille des nächsten Abends, als Frau Juliane in einem kleinen, von einem Schifferknaben geruderten Nachen über den Neckar fuhr. Sie hatte sich nach der Enthüllung, die ihr Elisabeth von Erlickheim gemacht, ganz in sich selbst zurückgezogen. Die erste Wut und der wieder auflodernde Haß gegen die Landschaden hatten sich, ohne an nachhaltiger Kraft etwas einzubüßen und dadurch die Festigkeit ihrer Entschlüsse abzuschwächen, allmählich in ihr ausgetobt und waren nun auf dem Wege, durch die Bitternis eines schwer zu verwindenden Schmerzes hindurch in die sich nach und nach abklärende Ruhe einer vernünftigen Entsagung überzugehen. Um sich diesen Übergang zu erleichtern, suchte Juliane nach einer ablenkenden und zerstreuenden Beschäftigung mit der Außenwelt, mit Menschen und Dingen, deren Anblick sie nicht an ihr Schicksal gemahnten. So kam sie auf den Einfall, sich um die zur Burg gehörige Landwirtschaft zu bekümmern, und um damit einen Anfang zu machen, stattete sie ihrem großen Meierhof in Neckargerach einen Besuch ab und ließ sich von Konz Hornschuh überall auf dem Hof, in den Ställen und Wirtschaftsgebäuden umherführen. Sie fand alles im besten Zustande unter der Leitung des tüchtigen und ehrlichen Mannes, und als sie ihm nach beendetem Umgang ihre Zufriedenheit mit dem, was sie gesehen, zu erkennen gab, bat er, daß sie ihm und seiner Frau die Ehre erweisen möchte, einen Imbiß von ihnen anzunehmen. Juliane willigte ein, und bald saßen die drei in der Gartenlaube bei einem Gericht frisch gefangener und vorzüglich gekochter Forellen mit goldgelber Butter und einem kühlen Trunk selbstgekelterten Weines. Die gekrümmten und aufgeplatzten Fische lagen auf einer sauberen Schüssel, von krauser Petersilie zierlich umkränzt und obenauf mit roten Rosenblättern bestreut, daß es gar lieblich und appetitlich aussah und etwas Festliches hatte. Das Gespräch drehte sich um wirtschaftliche Angelegenheiten und um die häuslichen Verhältnisse des Ehepaares, namentlich um dessen Kinder und alle die bescheidenen Freuden und großen und kleinen Sorgen seines arbeitsamen und einfachen Lebens. Das Paar war noch jung, und des Meiers Augen ruhten oft mit einem behaglichen Lächeln auf seiner blühenden Gattin, die ihrerseits liebevoll zu ihm aufblickte und seinen Worten mit einer gewissen Andacht lauschte. Einmal war es Juliane sogar so vorgekommen, als hätten sie sich unter dem Tische verstohlen die Hände gedrückt. Das war auch wirklich geschehen, denn Konz und seine Frau waren von der leutseligen Herablassung ihrer gnädigen Herrin ganz entzückt, und Juliane selbst vergaß als Gast ihrer Untergebenen ihren Kummer und wurde immer teilnehmender und heiterer. Von beiden zur Anlegestelle des Nachens geleitet, schied sie von ihnen mit freundlichem Dank und nahm beinah' fröhlich in dem kleinen Fahrzeuge Platz. Als sie aber mit dem Schifferknaben allein war und schweigend über das Wasser fuhr, überkam sie in der milden Abendruhe, die sie weit und breit umgab und zu welcher der Grundton ihrer Seelenstimmung immer noch in einem scharfen Gegensatze stand, bald wieder eine unaussprechliche Schwermut, und sie seufzte vor sich hin: »Die beiden dort sind glücklicher, als du!« Das Tal lag im Schatten, aber die Kuppen der Berge glänzten noch in der Abendsonne, und die rundlichen Wipfel der Bäume standen leuchtend gegen den blauen Himmel, an dem fast ohne Bewegung ein paar leichte, rosig angehauchte Wolken schwebten. In dem herrlich grünen Neckar spiegelten sich die waldigen Uferhänge, so daß seine schillernde Farbe noch gesättigter und dunkler erschien, und er zog im Gleichmaß spielender Wellen so breit und ruhig durch sein geschmücktes Bett, als trüge er in der Tiefe seines Stromes an der ragenden Burg und dem freundlichen Dorf vorüber den Frieden selber ins Land hinein. Nur leise schaukelte der Kahn; das Gurgeln des Wassers an seinem Bug, das Knarren und Plätschern der Ruder tönte als einziges Geräusch fast einschläfernd in der feierlichen Stille. Juliane atmete unbewußt die köstliche Luft, die mit sanftem, kühlem Hauch über die Fläche strich; ihre linke Hand hing lässig über den Bord hinab, daß die Flut ihre schlanken Finger bespülte, und traumverloren ruhten ihre Augen auf dem smaragdgrünen Gewoge neben ihr. Nun knirschte der Kiel auf dem Sande. Juliane stieg aus und schritt durch den dämmrigen Buchenwald zu ihrem stolzen Schlosse langsam hinan. Ein bewegliches Schauern und Flüstern ging durch die Zweige, hie und da schlich noch ein Sonnenstrahl um die weißlichen Stämme, und ein aufgescheuchter Vogel flatterte durch das Gebüsch. Die Einsame achtete nicht auf das geheimnisvolle Weben des Waldes; nur der eine Gedanke hielt sie gefesselt: hier bis an ihr Lebensende stets so einsam, vielleicht noch einsamer als heute bleiben zu sollen, von Jahr zu Jahr den Wald knospen und grünen und wieder sich färben und entblättern zu sehen, ihr blondes Haar erbleichen, ihr Antlitz verblühen, ihr Herz erkalten zu lassen, von dem markaussaugenden Gram um unerwiderte Liebe fester umsponnen, als ihre mächtigen Türme von den wuchernden Epheuranken. Lastete denn ein Fluch auf der Minneburg, von jenem Kreuzfahrer ihr auferlegt, der sie in Schmerz und Verzweiflung um sein auch verlorenes Liebesglück vor Jahrhunderten erbaut hatte? Sie gedachte des Horoskops, das ihr ein neues, baldiges Eheglück verheißen hatte. Wo blieb nun die Erfüllung dieser tröstlichen Weissagung? Ließen auch die Sterne sie im Stich? Gegen den Gedanken an eine Verbindung Richildens mit einem der verhaßten Landschaden hatte sich ihr ganzes Innere empört, und ihr Widerstand dagegen dünkte sie selber unbesiegbar. Hatte sie der eine betrogen, sollte auch der andere nicht selig werden; und noch glaubte sie an die Schicksalsdrohung, daß die Tochter, vor der Mutter vermählt, in ihr Unglück rennen würde. So riß sie ihr einziges Kind mit in ihr trübseliges Geschick hinein und bereitete dem jungen, lebensfrohen Wesen, das ein angeborenes Recht auf alle Freuden des Daseins hatte, das gleiche, traurige Los, dem sie selber vorzeitig verfiel, dem Zuge des Herzens und dem Verlangen der Sehnsucht nicht folgen zu dürfen, sondern hoffnungslos zu verschmachten und zu verkümmern. Und das Ende war, daß auf der Burg der Minne nach einer einsamen, freudlosen Witwe eine einsame, alternde Jungfer hausen und herrschen und kein Nachkomme des aussterbenden Geschlechts sein ritterliches Banner von der Zinne wehen lassen würde. Unter so düsteren Betrachtungen erreichte sie die Umwallung der Burg, und ihr Mund verzog sich zu einem bitter schmerzlichen Lächeln, als ihr beim Überschreiten der Brücke von Türmer und Wächtern alle der Burgherrin gebührende Ehren erwiesen wurden. Weiprecht Kleesattel meldete ihr, daß Herr Engelhard von Hirschhorn angekommen wäre und im Palasgemach ihrer harre; die Fräulein wären noch nicht zu Hause. Engelhard von Hirschhorn? was wollte der hier? Die Meldung gab Julianens Gedanken sofort eine andere Richtung. Sie hatte zu Lebzeiten ihres Gatten in einem sehr freundschaftlichen Verkehr mit den Hirschhorns gestanden. Einmal, im Baumgarten zu Zwingenberg, hatten sie bei dem beliebten Gesellschaftsspiel des Tragens, wobei die Ritter die Damen und die Damen die Ritter tragen mußten, miteinander gewettet, ob er mit ihr, indem er sie trüge, über einen ihm in gewisser Höhe vorgehaltenen Speer springen könnte, was er behauptete, sie jedoch bestritt. Und als Engelhard die Wette gewonnen, hatte er sich von der schönen Frau die Gunst ausgebeten, sich mit ihr du nennen zu dürfen, was ihm Juliane gerne bewilligt und dem ritterlichen Freunde gegenüber auch niemals zu bereuen hatte. Juliane wußte, daß Engelhard es war, durch den Elisabeth von Erlickheim die Geschichte mit dem Hagestolzenrecht erfahren hatte, und freute sich nun über die sich ihr darbietende Gelegenheit, ihn dieserhalb einmal zur Rede stellen zu können. Sie trat dem Gaste mit ihrem liebenswürdigsten Lächeln entgegen und begrüßte ihn mit den Worten: »Sei mir willkommen, lieber Freund, und verzeihe, daß du warten mußtest! ich war auf meinem Hof in Neckargerach.« »Ich habe nichts zu verzeihen, Juliane,« sprach er verbindlich, »du konntest ja nicht wissen, daß ich dich heute besuchen würde.« »Leider nicht; sonst wäre ich zu Hause geblieben,« erwiderte sie mit einladendem Winke, daß er Platz nehmen möchte. Und ohne ihm in ihrer brennenden Neugier Zeit zu lassen, ihr den Zweck seines Besuches mitzuteilen, steuerte sie unmittelbar auf ihr Ziel los und sagte, ihn freundlich, aber fest anblickend: »Du kommst mir übrigens sehr gelegen; ich habe eine Frage an dich. Sage mir, Engelhard: hast du schon einmal etwas von einem Recht der Hagestolze gehört?« Wie ein Blitz aus heiterem Himmel fuhr die Frage vor ihm nieder, und es bedurfte der vollen Geistesgegenwart des an Überfälle jeglicher Art gewöhnten Ritters, um seinen Schrecken vor der ihn Auskundschaftenden zu verbergen. Wer, zum Teufel! hat ihr das Licht aufgesteckt? dachte er, gab ihr aber gelassen zur Antwort: »Recht der Hagestolze? jawohl! das ist ein althergebrachtes pfälzisches Erbrecht, laut dessen die Lehen eines unverheirateten Mannes nach seinem Tode an den Lehensherrn zurückfallen.« »Und das ist alles? weiter ist dabei nichts zu bemerken?« frug sie mit dem Ton einer harmlos heiteren Neugier, als hätte die Sache durchaus keine besondere Wichtigkeit für sie. »Nicht daß ich wüßte,« erwiderte er trocken und schon in der Hoffnung, die in Rechtssachen gänzlich unerfahrene Frau mit dieser dürftigen Auskunft über den äußerst heiklen Gegenstand endgültig abgefunden zu haben. Aber da hatte er sich getäuscht. In ihrem Verdruß darüber, daß er mit dem, was sie zunächst anging, zurückhielt und den Unschuldigen spielte, wollte auch sie ihn nicht merken lassen, was sie davon schon wußte. Darum lachte sie: »Eine drollige Bestimmung! Gibt es denn kein Mittel für die armen Hagestolze, den Folgen dieses sonderbaren Erbrechtes vorzubeugen?« O doch, eine Heirat! wollte er schon herausplatzen, besann sich aber: Warte Liebchen! so rasch fängst du mich nicht. »Nein,« sagte er kurz angebunden, »dagegen ist nichts zu machen.« »Und wenn sie tot sind, brauchen sie auch keine Lehen mehr,« lachte Juliane wieder. »Aber für die Verwandten und Blutsfreunde des Verstorbenen ist das doch ein schlimmes Ding,« meinte sie dann; »nicht wahr, Engelhard?« »Ja, das ist es freilich,« sprach er, halb beunruhigt, halb belustigt durch dieses fortgesetzte Verhör, das einen immer drohenderen Verlauf nahm. »Da sollte doch wirklich jeder heiratsfähige und noch ledige Mann ein billiges Einsehen haben,« bemerkte sie mit der unbefangensten Miene. »Das sag' ich auch!« lachte nun Engelhard. »Wenn man das so einem nur klarmachen könnte!« »Das zu tun wäre die Pflicht seiner Freunde,« sagte Juliane mit einem herausfordernden Blick. »Oder auch vielleicht einer guten Freundin,« erwiderte Engelhard ebenso anzüglich. Damit war die Unterhaltung bis zu der Spitze getrieben, auf der das eine nur noch fehlende Wort schwebte, vor dem sie beide haltmachten wie vor einem Rührmichnichtan. Aber Engelhard wollte der sich immer mehr Nähernden nicht weiter entgegenkommen, sondern sie durch sein beständiges Ausweichen zwingen, den Namen Hans zuerst auszusprechen. Ihm, der ja von Julianens erneutem Zorn auf die Landschaden nichts ahnte, war es im Laufe des Gesprächs immer zweifelloser geworden, daß sie das Recht der Hagestolze als etwas ihr Günstiges und Hilfreiches ansah, weil es ein Hebel mehr war, Hans aus seinem Zögern und Zaudern herauszubringen und seine Werbung um sie, auf die sie sehnsüchtig wartete, endlich herbeizuführen. Umsomehr freute er sich nun auf die gewiß großartige Wirkung seiner ihr noch zu machenden Mitteilung, daß Hans sich für sie geschlagen hatte. Düster sah es während dieses Versteckenspiels in Julianen aus. Sie ärgerte sich über Engelhards Verstocktheit, gegen die ihre List, ihn aus seinem Hinterhalt hervorzulocken, nicht verfangen wollte, und ärgerte sich über sich selbst, daß sie es nicht fertig brachte, den Stier bei den Hörnern zu packen und dem Verbündeten der Landschaden die Verruchtheit des gegen sie angezettelten Handels mit den schärfsten Worten vorzuhalten. Übellaunisch entgegnete sie auf seine letzte Äußerung: »Ich hasse die Hagestolze und wundere mich nur, daß es überhaupt noch welche gibt.« »Da hast du ganz recht, liebe Juliane,« erwiderte er lächelnd; »ich wundere mich auch darüber.« Und um sie zu necken und zu reizen, fügte er boshaft hinzu: »Sie werden ja auch glücklicherweise immer seltener, und wenn ein Mann unseres Standes heutzutage unverheiratet bleibt, so ist wohl nur anzunehmen, daß er trotz allen Suchens keine Frau nach seinem Herzen gefunden hat.« »Anders kann ich es mir auch nicht erklären,« versetzte sie, die Pille hinunterschluckend, »und das wäre noch ein Grund, den man achten müßte. Denn ehrlos wär' es, wenn ein Mann nur darum heiraten wollte, damit seinen Blutsverwandten sein Hab und Gut nicht verloren geht.« »O das kommt nicht vor,« sprach er dreist. »Kein ritterlicher Mann würde es wagen, aus einem solchen Grunde nur um eine Frau zu werben, denn sie würde seine wahre Absicht bald durchschauen. Meinst du nicht auch, Juliane?« »Ja, das meine ich auch, Engelhard!« sagte sie vor Erregung zitternd, »und sollte er es dennoch wagen, so würde ihn die Frau mit Spott und Hohn, mit Schimpf und Schande von ihrer Schwelle weisen.« »Und täte recht daran!« stimmte er unverfroren zu. »Und doch gibt es Menschen,« fuhr sie immer heftiger werdend fort, »falsche, herzlose Menschen, die sich nicht entblöden, Liebe zu heucheln, wo an Stelle warmer Gefühle nur schnöde Zwecke walten, und andere, habgierige, ränkesüchtige Menschen, die solchen Verrat am Allerheiligsten ausdenken und dazu schüren und hetzen, und noch andere gibt es, die sich kein Gewissen daraus machen, zur Schließung eines aus so nichtswürdigem Grunde zusammengekuppelten Ehebundes hilfreiche Hand zu leisten.« »Ist nicht möglich!« rief Engelhard verabscheuend aus. Als er aber aus diesen Anspielungen, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen, merkte, daß ihr Bliggers Plan vollständig bekannt war, und wie sie in Wahrheit darüber dachte, ward ihm doch etwas schwül zumute, und es dünkte ihm hohe Zeit, nun gleichfalls andere Saiten aufzuziehen und den Pfeil abzudrücken, den er im Köcher hatte. »Juliane,« sprach er, »du denkst doch nicht an unseren lieben, braven Hans Landschad, als ob er irgendeiner Falschheit --« »Sprich mir nicht von den Landschaden!« unterbrach sie ihn jäh und schnellte gleich einer getretenen Schlange vom Sitz empor, »die sind für mich tot!« »Viel hätte freilich nicht gefehlt, daß Hans --« »Ich will nichts wissen von ihnen! nichts, als Haß, Haß allem, was Landschaden heißt!« »Aber Hans hat sich ja --« Sie ließ ihn nicht zu Worte kommen. »Schweig mir vor allem von dem!« unterbrach sie ihn noch aufgebrachter als vorher. »Ich kenne den niederträchtigen Plan, den ihr gegen mich geschmiedet habt. Ich soll den Hagestolz heiraten, nur damit den Landschaden sein Erbe nicht verloren geht. O es ist schändlich! schändlich!« rief sie, die geballte Faust vor die Stirn drückend. »Ich wollte dich ausforschen, Engelhard,« fuhr sie erbittert fort, »ob nicht doch noch ein Irrtum möglich wäre. Aber ich bin durch dich nur noch sicherer geworden, sicher auch darüber, daß du der Gesell und Helfer bei dem schimpflichen Treiben der hinterlistigen Schelme bist. Das ist erbärmlich, Engelhard!« »Willst du mich hören oder nicht?« fuhr er sie an, mit dem Fuß auf den Boden stampfend. »Nichts von den Landschaden!« rief sie, von ihm abgekehrt. »Ich hasse sie und will ihr Feind sein, solang ich das Leben habe!« »Ist das dein letztes Wort, Juliane?« frug er drohend. »Ja!« sagte sie trotzig und ohne sich umzuwenden. »Dann lebewohl!« -- Und klirrenden Schrittes ging er hinaus. Einundzwanzigstes Kapitel. An der Schmiedeschenke um den Tisch unter der Eiche saßen Ernst und die drei Fräulein von der Minneburg. Unter der Eiche saßen sie wie damals unter der Reiherbuche in eingehender Beratung, was nun, nach den Vorgängen der letzten Tage und dem Schwinden jeder Hoffnung auf Julianens Nachgiebigkeit, geschehen sollte, um die beiden Liebenden zu ihrem Glücke zu vereinigen. Sidonie hatte gestern abend noch ihren Vater gesprochen. Dieser hatte ihr das Wesentlichste von seiner Unterredung mit Julianen anvertraut und sie genügend darüber aufgeklärt, weil sie ihm sagte, daß sie am nächsten Nachmittag Ernst sehen würde, der ja seinem Vater die nötigen Mitteilungen machen könnte, ohne daß Ohm Hans davon erführe. Auch die Veranlassung zu Hansens Zweikampf hatte Engelhard seiner Tochter nicht verschwiegen und ihr endlich geboten, nach Zwingenberg auf die väterliche Burg zurückzukehren, zugleich aber Sidoniens Bitte, ihre beiden Freundinnen Hiltrud und Richilde mitbringen zu dürfen, gern gewährt. Alle drei waren mit einem Wechsel ihres Aufenthalts sehr einverstanden, denn auf der Minneburg war ihnen unter der Herrschaft von Julianens gegenwärtiger Stimmung das Leben verleidet, soviel sie auch von der sich immer mehr Abschließenden sich selber überlassen waren. Als ihr Sidonie heute morgen den Befehl ihres Vaters, nach Hause zu kommen, und ihren Wunsch, die beiden Freundinnen mitzunehmen, vorgetragen, hatte Juliane mit einem schroffen »Meinetwegen!« sofort zugestimmt, froh, mit ihrem Groll und ihrem Schmerz eine Zeitlang allein bleiben zu können. Dieser Umstand kam dem Plane sehr zu statten, den sich Ernst ausgesonnen hatte und der nichts Geringeres besagte, als Richildens Entführung. Er hatte sich des Wortes erinnert, das Ohm Hans hier an dieser Stelle zu ihm und Laux Rapp einmal gesprochen hatte, des Inhaltes, daß sein guter Freund, der Abt von Sinsheim, ihm alles zu Liebe täte, was er von ihm verlangte. Hierauf bauend und fest entschlossen, für seine Liebe das Äußerste zu wagen, machte er der Geliebten nun den Vorschlag, sie nach Sinsheim zu entführen, sich dort vom Abte mit ihr trauen zu lassen, sie dann nach Neckarsteinach zu bringen und auf der jetzt unbewohnten Vorderburg so lange mit ihr zu bleiben, bis Frau Juliane sich herbeiließ, dem geschlossenen Bunde ihren Segen zu erteilen, wie es sein Vater bereits im Voraus getan hatte. Die drei Mädchen erschraken erst vor der Kühnheit dieses Planes; aber bald fingen sie an, sich mit den Fährlichkeiten desselben mehr und mehr auszusöhnen. Namentlich Sidonie, die schon damals unter der Reiherbuche, allerdings nur im Scherz, eine Entführung als letztes Auskunftsmittel empfohlen hatte, war schnell dafür gewonnen und brach in hellen Jubel darüber aus. Und was Ernst kaum zu hoffen gewagt hatte, Richilde selbst sträubte sich nicht lange dagegen, sondern erklärte sich nach kräftigem Zureden Sidoniens halb mit Bangen, halb mit Freuden bereit, dem Geliebten in unwandelbarer Treue bis an das Ende der Welt und noch darüber hinaus, bis in den Tod zu folgen. Aus dem schüchternen Mädchen war im Laufe von Tagen, in denen sie soviel Leid erfahren und allerhand Demütigungen seitens ihrer Mutter zu ertragen gehabt hatte, ein fast willensstarkes Wesen geworden, ebenso entschlossen wie Ernst, zur Erreichung ihres Zieles alle fesselnden Bande zu zerreißen. Die Liebe hatte sie gereift, für ihre Liebe wurde ihr kein Schritt zu schwer. Nur Hiltrud konnte nicht umhin, mancherlei Bedenken gegen das unbotmäßige Vorhaben zu äußern; aber auch sie fügte sich endlich den Gründen und Vorstellungen der übrigen und billigte den gefaßten Entschluß. In den Adern dieser beherzten Burgfräulein rollte das Blut ihrer Väter, die selber vor keinem noch so kecken Handstreich zurückbebten, wenn es Ritterehre oder ernsten Kampf oder lockende Beute galt. Hier wirkten nun andere Mächte, die Liebe, die Freundschaft, der Reiz des Abenteuerlichen, und gaben den Ausschlag. Was geschehen sollte, war beschlossen; jetzt handelte es sich um das Wie der Ausführung. Nach manchem Hin und Wider einigte man sich, die Flucht in folgender Weise zu bewerkstelligen. Kurz nach dem zweiten Mittage, von heute gerechnet, wollten die Mädchen sich zu ihrem Besuch auf Zwingenberg von Frau Juliane verabschieden. Sie konnten dann, ohne daß es auffiel, einiges Gepäck mit sich auf das Pferd hinter den Sattel nehmen. Der Knecht, den ihnen Juliane wahrscheinlich zum Schutze mitgeben würde, sollte Hiltrud nach Eberbach zu ihren Eltern bringen, denen sie ihre unerwartete Rückkehr vorläufig auf irgendeine glaubliche Weise begründen sollte, um ihnen erst nach einigen Tagen die Wahrheit zu sagen. Sidonie aber wollte das fliehende Paar nach Kloster Sinsheim begleiten, teils in der Eigenschaft als Richildens Ehrendame, teils aus eigenem grenzenlosen Vergnügen an dem köstlichen Spaß, bei dem sie doch unmöglich fehlen konnte, wie sie sagte und die anderen auch einsahen, so daß ihre Begleitung Ernst und Richilde hochwillkommen war. Vermißt konnten die Fräulein nirgend werden, denn Juliane mußte glauben, sie wären auf Zwingenberg, und Sidoniens Eltern würden denken, sie befänden sich noch auf der Minneburg. Nachmittags wollte Ernst mit Sidonie und Richilde hier an der Schmiedeschenke zusammentreffen, um sich mit ihnen in gemächlichem Ritt nach Sinsheim zu begeben. Dort wollten sie erst abends bei einbrechender Dunkelheit ankommen und an der Klosterpforte als von ihrem Wege Verirrte um Aufnahme bitten, die das große und reiche Kloster selbst den beiden Fräulein für die Nacht gewiß nicht versagen würde. Waren sie aber erst einmal darin, so hatten sie mindestens schon halb gewonnenes Spiel. Für den Fall, daß der Abt mit der verlangten Trauung ohne Zustimmung der Mutter der Braut Schwierigkeiten machen sollte, wollte Ernst seinem Ohm Hans Botschaft zurücklassen, die dieser aber erst am folgenden Tage erhalten sollte, mit der Aufforderung, sofort nach Sinsheim zu kommen, um bei seinem hochwürdigen Freunde mit gewichtiger Fürsprache für die Liebenden einzutreten. Seine Wunde war schon so gut geheilt, daß sie ihn in drei Tagen an dem Ritte nicht mehr hindern würde. So war denn alles aufs beste vorgesehen und verabredet, und nachdem die zum Wagnis Bereiten sich noch einmal gelobt, an dem Beschlossenen unverbrüchlich festzuhalten, nahmen sie bis auf Wiedersehen zärtlichen Abschied voneinander und trennten sich. Als Ernst daheim seinem Vater erzählte, was ihm Sidonie an der Schmiedeschenke mitgeteilt hatte, namentlich daß Frau Juliane über ein gewisses Recht der Hagestolze und den darauf fußenden Heiratsplan mit Ohm Hans vollständig unterrichtet und von unsagbarer Entrüstung darüber erfüllt sei, wollte Bligger vor Ärger und Grimm schier aus der Haut fahren. Von Julianens erneuter Feindschaft wußte er nur durch den Brief Sidoniens, die aber die Ursache davon nicht hatte angeben können. So glaubte er, dieser Rückfall in die alte Zwietracht hätte nur darin seinen Grund, daß Hans den, wie es schien, von Juliane bevorzugten Ritter Bödigheim im Zweikampf besiegt hatte, also genau so wie vor Jahren, als er selber ihren Gatten, Herrn Zeisolf, niedergeworfen. Aber was er nun hören mußte, war noch viel unheilvoller und drohte alle seine Hoffnungen zu zertrümmern. Sidonie hatte in ihrem Briefe ausdrücklich erwähnt, daß die Mädchen Frau Juliane nichts von dem Zweikampf gesagt hätten, Elisabeth von Erlickheim aber bei ihr gewesen wäre. Nun erriet Bligger mit der ihm eigentümlichen Spürkraft sofort den Zusammenhang des arglistigen Gewebes, das kein anderer eingefädelt haben konnte, als der Lehensträger des Pfalzgrafen und heimliche Gegner der Landschaden, Graf Philipp von Lauffen. Er überlegte, ob es nun nicht an der Zeit wäre, auch Hans endlich in alles einzuweihen, besann sich aber eines Besseren. Hans mußte unwissend und unschuldig bleiben; denn nun hatte sich ja herausgestellt, daß Juliane die Landschaden nicht haßte, weil sie Bödigheim liebte, sondern weil sie statt der ersehnten Liebe und erwarteten Werbung Hansens einen mit kühler Berechnung gegen sie angelegten Plan entdeckt hatte. Das war immer noch schlimm genug, aber es ließ doch noch einen Funken von Hoffnung auf das Gelingen dieses Planes, wenn sich Juliane von Hansens Unschuld überzeugte. Daher beschloß er, nichts in der Sache zu tun, bevor er nicht Engelhard gesprochen hatte. So wurde denn der, um dessentwillen alle diese Umtriebe den ganzen Sommer durch spielten, in vollkommener Unkenntnis davon erhalten, und Hans ahnte nicht, daß die von ihm angebetete Frau, die ihn auch während der Jahre völliger Entfremdung nie gehaßt hatte, die er als seine trauteste Freundin wiedergewonnen zu haben, ja deren Herz er zu besitzen glaubte, nun erst und so rasch, wie Tag und Nacht miteinander wechseln, seine erbitterte Feindin geworden war. Er war wieder hergestellt, trug zwar den Kopf noch verbunden, ging aber umher und war auch schon zu Pferde gestiegen und ausgeritten, was ihm vortrefflich bekommen war. Einmal frug er schüchtern seine Schwägerin Katharina, ob denn Juliane noch nicht bei ihr gewesen wäre, und es wurde der gradsinnigen Frau sehr schwer, darauf mit einem unbefangenen Nein zu antworten und den, wie Bligger stets behauptete, zu seinem eigenen Besten Getäuschten in dem Wahne zu lassen, daß zwischen der Minneburg und Neckarsteinach nun wieder der reinste blaue Himmel des Friedens und der Freundschaft lächelte. Der schnell Erstarkende dachte schon daran, Juliane bald wieder einmal zu besuchen, denn in der ihm aufgezwungenen Untätigkeit und Einsamkeit war ihm die Sehnsucht nach ihr mächtig gewachsen, und er war überzeugt, daß sie ihn längst erwartete. Hatte sie ihm doch, als er zuletzt bei ihr war, beim Abschied mit liebeverheißendem Blick und lockendem Munde zugeflüstert: »Auf baldig Wiedersehen, lieber Freund!« Ihm wollte scheinen, als wenn das schon lange her wäre, jedenfalls viel zu lange für die Wünsche seines Herzens. Isaak Zachäus aber drang ihm -- auf einen Wink Bliggers -- den ärztlichen Rat auf, von einem längeren Ritte vorläufig noch abzustehen. Der Jude war von Burg Dauchstein zurückgekehrt, denn Bödigheim hatte sich einen heilkundigen Pfleger aus Wimpfen kommen lassen, weil er einem im Solde der Landschaden stehenden Arzte nicht traute. Isaak war nicht wenig erstaunt, seine Tochter in Frauenkleidern wiederzufinden, gab sich aber mit ihren Erklärungen darüber zufrieden, zumal er zu bemerken glaubte, daß Josephine, nachdem sie sich als Mädchen zu erkennen gegeben hatte, von den Bewohnern der Mittelburg mit größerer Rücksicht und Freundlichkeit behandelt wurde, als bisher. Besonders begegnete ihr Frau Katharina mit augenscheinlichem Wohlwollen, und da sie wußte, daß ihres Sohnes Herz in treuer Liebe an Richilde hing, so hatte sie auch nichts gegen dessen beständigen Umgang mit der schönen Jüdin einzuwenden, die in ihrem Benehmen die größte Zurückhaltung und Sittsamkeit zeigte. Diese Zurückhaltung war freilich nichts weiter, als eine mit äußerster Anstrengung festgehaltene Maske vor der ruhelosen Leidenschaft, die Leib und Seele des Mädchens durchglühte, unzertrennlich verbunden mit dem eifersüchtigen Trachten, die Vereinigung der beiden Liebenden zu hintertreiben, und verblendet genug, um sich in dem Traume zu wiegen, dann mit einer, wenn auch vor der Welt verheimlichten, Erwiderung ihrer verlangenden Neigung von seiten Ernsts beglückt zu werden. Aus seinem zerstreuten, nachdenklichen und bekümmerten Wesen hatte sie die Vermutung geschöpft, daß irgend etwas im Wege sein müßte, was mit seinem Wünschen und Hoffen nicht im Einklang stand; aber in den letzten Tagen war er plötzlich wieder sehr heiter geworden, ja, sie hatte eine gewissermaßen übermütige Erregtheit an ihm wahrgenommen, die zweifellos eine für ihn hoch erfreuliche Ursache hatte. Weder des einen noch des anderen wegen hatte sie ihn befragt, weil sie ziemlich sicher sein konnte, daß er ihr über kurz oder lang beides von selber offenbaren würde. Und als er sich aus seinen Herzensnöten zu der Willenskraft aufgeschwungen hatte, sein Schicksal durch eine entschiedene Tat in die rechte Bahn zu lenken, gestand er ihr alles, was er in der letzten Zeit durchlebt und was er nun zu tun beschlossen hatte. Er sagte ihr das erst an dem zur Flucht festgesetzten Tage, wenige Stunden vor seinem Aufbruch zu dem mit Richilde und Sidonie verabredeten Stelldichein. »Nun, ich wünsche Euch alles Glück dazu!« war das einzige, was sie mit größter Selbstbeherrschung darauf hervorzubringen vermochte, und Ernst war in seinen Gedanken so sehr mit den Einzelheiten seines Unternehmens beschäftigt, daß er Josephinens Verwirrung und Bestürzung ganz übersah und ihm kein Zweifel an der Aufrichtigkeit ihres Glückwunsches aufstieg. In ihr erregten seine Mitteilungen einen Sturm feindseliger Gefühle. Sie suchte schnell von ihm weg zu kommen, um in ungestörter Einsamkeit über Mittel nachzusinnen, wie sie wenigstens den Zweck der Entführung, die aufzuhalten sie nicht mehr die Zeit hatte, vor Erreichung desselben noch vereiteln könnte, und jede List und jede Untat sollte ihr dazu recht und genehm sein. Ernst aber ging nach Burg Schadeck und übergab dort dem Waffenmeister Marx Drutmann einen versiegelten Brief an Hans mit der Weisung, denselben nicht früher, als am nächsten Morgen, seinem Herrn zu behändigen. Der Alte versprach, dem Auftrage pünktlich nachzukommen. Bei Tische kündigte er seinen Eltern an, daß er am Nachmittag wegreiten und wahrscheinlich die Nacht über ausbleiben würde; sie möchten sich seinetwegen nicht sorgen. Bligger horchte hoch auf und warf seiner Frau, die schon eine Frage auf den Lippen hatte, einen schnellen Blick zu, so daß Katharina schwieg. Er war überzeugt, daß Ernsts Ritt zu Richilde ging und wollte den Sohn nicht durch Fragen in Verlegenheit gesetzt sehen, die dieser nur ungern und ausweichend beantworten würde. Bald nach Mittag saß Ernst in den Bügeln. Ihm war zumute, als ritte er in seine erste Schlacht, in der er entweder fallen, oder aus der er als ruhmgekrönter Sieger heimkehren müßte. An der Schmiedeschenke traf er die beiden Fräulein bereits vor und zog nun mit ihnen in der Richtung nach Sinsheim weiter. Richilde hatte beim Abschied von der Minneburg noch einmal geschwankt, ob sie wirklich den wichtigsten Schritt ihres Lebens ohne Wissen, ja gegen den bestimmt ausgesprochenen Willen ihrer Mutter tun und diese, mit Hintansetzung aller kindlichen Gefühle, in heimlicher Flucht verlassen sollte. Aber Sidonie wußte die Gewissensmahnungen mit beredt anfeuernden Worten zu verscheuchen und bemühte sich auch ferner, ihr mit einem nicht verstummenden Frohsinn über alle Zweifel hinwegzuhelfen. An Ernsts Seite und unter seiner Führung gewann sie auch ihre Sicherheit allmählich wieder, und bald hingen ihre Augen mit dem Ausdruck innigster Glückseligkeit an dem ihr Mut und Zuversicht einflößenden Antlitz des Geliebten. Nur einmal noch schweiften ihre Gedanken zu dem hinter ihr liegenden zurück, und sie begann: »Weißt du, Ernst, es wäre doch vielleicht besser gewesen, wenn du selber bei meiner Mutter um mich geworben hättest.« »Das war ja meine Meinung auch,« erwiderte er; »ich versprach euch ja, in den nächsten Tagen dieserhalb zu kommen. Warum habt ihr denn nicht so lange gewartet?« »So war es beschlossen,« sagte Sidonie. »Aber du schicktest ja deinen ›Freund Joseph‹ noch einmal zu uns, mit der Bestellung, daß wir Frau Juliane das Geschehene mitteilen möchten.« »Im Gegenteil; daß ihr es ihr nicht mitteilen möchtet,« versetzte Ernst. »Bitte! daß wir es ihr mitteilen möchten, sagte das verkleidete Mädchen,« erwiderte Sidonie. Ernst war erstaunt. »Dann muß sich Josephine verhört haben,« sprach er. »Hat sie sich wirklich verhört?« frug Richilde. »Wisse, Ernst! ich traue der Jüdin nicht. Sie benahm sich sehr auffallend gegen uns und rühmte sich deines Schutzes und deiner Freundschaft in einer etwas verdächtigen Weise. Mich traf ein Blick aus ihren schwarzen Augen, der mir nichts Gutes verhieß.« »So?!« erwiderte Ernst gedehnt und mit finsteren Brauen. Weiter sagte er nichts, aber sein bisher unbedingtes Vertrauen zu Josephine war auf einmal dahin, und er bereute nun seine Offenherzigkeit gegen sie, namentlich in bezug auf den ihr enthüllten Plan der Entführung. Langsam ritten die drei ihres Weges, denn da sie erst spät abends ihr Ziel erreichen wollten, hatten sie Zeit genug vor sich. In Waibstadt hielten sie bis tief in die Dämmerung hinein Rast und stärkten sich mit Speise und Trank. Dann ging es weiter, und endlich, nach Einbruch der Nacht, die von dem erst später aufsteigenden Mond noch nicht erhellt war, langten sie bei der Benediktinerabtei glücklich an. Schweigsam und düster standen die weitläufigen Klostergebäude mit der Kirche und dem hohen Glockenturm vor den Ankömmlingen da. Über die Mauer ragten die dunklen Kronen alter Bäume, in denen es geheimnisvoll wisperte, und vom Kirchendache her schrie ein einsames Käuzchen. Richilden durchschauerte es, und ihr Herz schlug in Bangigkeit, welches Schicksal wohl hinter diesen absperrenden Mauern ihrer wartete. Ernst klopfte den Bruder Pförtner heraus und begehrte Einlaß. Aber der Vorsichtige, der in solchen Fällen wohl schon böse Erfahrungen gemacht haben mußte, war durchaus nicht geneigt, dem Begehren zu willfahren, denn er vermutete in den Störern seiner Ruhe schweifendes Gesindel, von dem er sich nichts Gutes für das Kloster versah. »Bei Nacht wird nicht geöffnet!« rief er aus der kleinen vergitterten Fensterluke neben der Pforte und schlug den Laden wieder zu. Die Mädchen wurden von der entschiedenen Abweisung äußerst peinlich berührt. Richilde wünschte sich in diesem Augenblick auf die hochumwallte Minneburg zurück, und selbst Sidonien ward es nicht recht geheuer, bei der Aussicht, die Nacht im Freien, in dem unsicheren Walde zubringen zu sollen. Die Rosse scharrten mit den Hufen; auch sie sehnten sich unter Dach und Fach. Ernst jedoch pochte und rasselte mit dem Griffe seines Schwertes wieder so lange an dem Eisengitter, bis sich der Pförtner noch einmal heran bequemte. »Laßt uns ein, Bruder Pförtner!« sprach er ungeduldig; »wir sind Verirrte, denen Ihr doch ein Obdach für die Nacht nicht verweigern werdet.« »Jawohl! so heißt es immer,« entgegnete der andere mißtrauisch, »das kennt man schon. Bleibt nur draußen und legt euch wieder in das Bett, in dem ihr die vorige und vielleicht schon manche Nacht geschlafen habt. Auf Laub und Nadelstreu, Sattel unterm Kopf, ruht sich's gar wonnesam.« »Behaltet Eure Weisheit und öffnet! oder es soll Euch übel ergehen,« drohte Ernst nun zornig. »Ich bin ein Landschad!« »Die Landschaden verirren sich nicht,« lachte der Schließer. »Denen sind die Wege und Stege so gut bekannt, wie sie selber im Lande bekannt sind.« »Du störrischer Pfaff!« rief Ernst, »wenn ich dich --« »Ruhig, Ernst!« mischte sich Sidonie jetzt ein, »mit Gewalt richten wir nichts aus; wir müssen uns auf's Bitten legen.« »Was? auch Frauenzimmer dabei?« brummte der innen. »Laßt uns um Gotteswillen ein, ehrwürdiger Bruder!« fuhr Sidonie mit bittendem Tone fort. »Wir sind nur unserer drei, zwei wohlgeborene Fräulein und ein junger Edeling, Verwandte des hochachtbaren Junkers Hans Landschad von Steinach, den Ihr wohl kennen werdet.« »Des Junkers Hans? ist das auch wahr?« kam es aus dem Dunkel zurück. »Auf Ehr' und Seligkeit!« erwiderte Sidonie. »Und morgen kommt er selber,« fügte Ernst nachdrücklich hinzu. »Etwa auch verirrt?« frug der Mönch spöttisch. »Aber das ist ein ander Ding; das hättet ihr gleich sagen sollen; für Junker Hans tun wir alles. Wartet! ich komme.« Die drei außerhalb der Mauern atmeten erlöst auf. Also der Name des allbeliebten Junkers allein bewirkte, daß sich das Tor ihnen nun bereitwillig öffnete, was sie als einen erfreulichen Beweis von Hansens großem Ansehen und bedeutendem Einfluß im Kloster auffaßten. »Gott segne euren Eingang!« sprach der Pförtner, als sie über die Schwelle ritten. Darauf weckte er erst einen dienenden Laienbruder, der ihnen die Pferde abnahm und in den geräumigen Klosterstall brachte, und dann den Bruder Schaffner, dem er mit Nennung von Ernsts Namen die Ankunft Verirrter meldete. Der Schaffner machte auch mit Unterbringung derselben keine langen Umstände, sondern wies ihnen drei gastbereite Zellen an, in deren jeder ein Bett nebst Tisch und Schemel stand und eine neue schwarze Mönchskutte hing. Dann wünschte er ihnen mit dem Zeichen des Kreuzes eine geruhsame Nacht und verschwand. Der Schlaf des Abtes und der übrigen Mönche war durch die Aufnahme der Gäste nicht gestört worden. So waren die Flüchtlinge nun endlich sicher geborgen. Als sie aber in den Betten lagen, von fremden, schmucklos kahlen Wänden umgeben, die in dem matten Dämmerschein des sich allmählich verbreitenden Mondlichtes mehr und mehr aus dem Dunkel hervortraten, da tauchte ihnen gleichsam mit der wachsenden Helle auch das immer deutlicher werdende Bewußtsein dessen auf, was sie getan hatten. Zweiundzwanzigstes Kapitel. Hans saß schon in früher Morgenstunde bei einer sehr kräftigen Mahlzeit, die er noch nicht ganz beendet hatte, als Drutmann eintrat und ihm Ernsts Brief überreichte, dann aber im Gemach stehen blieb, voll Neugier, was das ganz ungewöhnliche Vorkommnis, daß Junker Ernst an Junker Hans einen Brief schrieb, den dieser erst am nächsten Morgen lesen sollte, wohl auf sich haben könnte. Auch Hans war nicht wenig verwundert, und auf den Inhalt gespannt erbrach er das Schreiben. Kaum aber hatte er die anderthalb Zeilen mit den Augen überflogen, als er wie von einer Nadel gestochen aufsprang und einen so gewaltigen Fluch ausstieß, daß sich der Waffenmeister gleich dreimal hinteinander davor bekreuzte. »Drutmann! satteln!« schnob er dann, »den Rappen! ich muß fort, mach' schnell!« Als der Alte zur Tür hinaus war, nahm Hans das seinen Zorn verschuldende Blatt noch einmal in die Hand, blickte kopfschüttelnd hinein und warf es erbost wieder auf den Tisch. »In Sinsheim sind sie! und helfen soll ich!« lachte er laut zu sich selber; »na wartet! ich werde euch helfen!« Bald darauf hielt ihm Drutmann im Burghof den Bügel und frug ihn, ob er Mittag wieder zurück sein würde. »Sicher nicht,« antwortete Hans sich in den Sattel schwingend. »Wenn sie von drüben nach mir fragen, so sagst du, ich wäre da, wo Junker Ernst wäre.« Damit ritt er ab. -- Gegen Mittag von einem Gang ins Tal heimkehrend trat Bligger zu seiner Frau ins Zimmer und sagte: »Ich habe dir etwas höchst Merkwürdiges zu berichten, Käthe! Denke dir! begegne ich eben Drutmann und höre von ihm, daß Hans heute früh einen Brief von Ernst erhalten hat und gleich darauf fortgeritten ist, den Bescheid zurücklassend, er wäre da, wo Ernst wäre.« »Das ist ja sonderbar,« versetzte Katharina. »Nicht wahr? Wo meinst du nun wohl, daß die beiden stecken?« »Wie kann ich das wissen oder raten?« erwiderte die Frau. »Nun, auf der Minneburg! wo denn sonst?« frohlockte der Ritter. »Und was wir mit aller List und Schlauheit nicht zuwege bringen konnten, das machen die, eh wir's uns versehen, in aller Heimlichkeit hinter unserm Rücken ab, Versöhnung, Frieden, Freundschaft und Verspruch.« »Aber Bligger!« »Es ist so, Käthe! Verlaß dich drauf!« behauptete der Ritter. »Sie haben ihr Spiel mit uns getrieben, um uns nachher gründlich auszulachen. Wer hätte das den beiden Duckmäusern zugetraut!« »Lieber Alter!« sagte Katharina, »ich fürchte, du täuschest dich.« Er wurde beinah' ärgerlich. »Aber das ist doch klar wie der Tag!« rief er. »Sie sind sich alle vier einig; Ernst ist gestern vorausgeritten und hat Hans von der Minneburg aus geschrieben, daß sie ihn erwarteten. Gib acht! sie kommen heute noch mit zwei Bräuten zugleich angerückt, von denen die eine Richilde und die andere Juliane heißt.« »Wenn ich's sehe, will ich's glauben,« lachte Katharina. Auf den Gedanken freilich konnten sie beide nicht kommen, daß Ernst die Geliebte nach Sinsheim entführt und Hans als seinen Nothelfer dahin bestellt hatte. -- Als die Flüchtlinge im Kloster beim grauenden Morgen die Glocke zur Hora läuten hörten, klang sie Richilden wie das Armesünderglöcklein, das sie für schweren Fehltritt zur Rechenschaft rief. Ernst, dem ein stärkender Schlummer den gestern etwas gesunkenen Mut wieder gehoben hatte, deuchte ihr hallender Ton wie fröhliches Brautgeläut. Sidonie aber dachte weiter nichts dabei, als: die armen Mönche! so früh schon heraus zu müssen! ist ihnen aber ganz recht, sind auch Hagestolze und Ehehasser; hätten sie sich eine Frau genommen, könnten sie länger schlafen und vergnügter erwachen. Und mit dem ihr durchaus nicht neuen Vorsatz, keine Nonne werden zu wollen, warf sie sich in dem harten Mönchsbett von der einen Seite auf die andere und schlief wieder ein. Nachdem sich die Ausgeruhten dann vom Lager erhoben hatten, ließ man es auch zu ihrer ferneren Verpflegung an nichts fehlen. Im kleinen Refektorium, wo sonst nur der Abt mit den ihm zunächst stehenden Würdenträgern seines Klosters zu speisen pflegte, wenn er vornehme Gäste hatte, wurde ihnen ein ausgezeichnetes Frühmahl aufgetragen, das sich besonders Sidonie trefflich munden ließ, dem aber Ernst und Richilde aus begreiflichen Gründen nur sehr mäßig zusprachen. Nach der Terz ließ Ernst den Abt um eine Unterredung bitten, die ihm auch sofort gewährt wurde. Herr Meinhard von Angeloch war ein würdiger Prälat, gewissenhaft und pflichttreu in Sachen des Glaubens und der Kirche, daneben aber erlaubten weltlichen Freuden durchaus nicht abhold. Er war von untersetzter Gestalt, noch kaum an der Schwelle des Greisenalters und bei entsprechender körperlicher Rüstigkeit von ungemeiner Klarheit und Frische des Geistes, die sich in einer fesselnden Unterhaltung und einer zwanglosen Heiterkeit offenbarte. Er empfing Ernst in seinem behaglich eingerichteten Wohngemach und lud den sich ehrfurchtsvoll Verneigenden zum Sitzen ein mit den Worten: »Ihr kommt, achtbarer Junker, um mir für die geringe Gastfreundschaft zu danken, die unser Kloster Euch und den beiden unter Eurem Schutze stehenden edlen Fräulein gewähren zu können so glücklich war.« »Ja, hochwürdiger Herr!« erwiderte Ernst beklommen. »Das ist brav von Euch,« sprach der Abt. »Dankbarkeit, auch für die kleinste Wohltat, ist ein schöner Zug des Herzens. Mir gereicht es zu besonderer Freude, den Neffen meines ritterlichen Freundes, Junker Hans Landschad, in unserer stillen Klause haben beherbergen zu können, und wenn Ihr Euch mit Euren Damen etwas früher zu unserer Pforte gefunden hättet, wäre Euch sicher eine angenehmere Aufnahme bereitet worden. So mußtet Ihr als arme Verirrte mit dem fürliebnehmen, was in der Nacht nicht besser zu beschaffen war. Nun sagt mir aber, Junker Ernst, wohin geht Euer Weg?« »Hochwürdiger Herr,« hub Ernst nun tief atemholend an, »schenkt dem, was ich Euch zu bekennen habe, ein gnädig Gehör! Die Wahrheit ist, daß wir nicht als Verirrte gekommen sind. Unser Weg führte von Anfang an nirgend anders hin, als hierher in Euer Kloster und zu Euch, an den ich eine große Bitte auf dem Herzen habe.« »Sprecht, lieber Sohn!« sagte der Abt mit einer leisen Spannung in seinen freundlichen und klugen Zügen, »sprecht mit voller Offenheit und befreit Euch von dem, was Euer Herz beschwert.« »Das will ich, hochwürdiger Herr!« erwiderte Ernst. Und nun erzählte er dem Abte die Geschichte und das Schicksal seiner Liebe, mit der jahrelangen Feindschaft zwischen seiner Familie und der Herrin der Minneburg beginnend, die fast erreichte Versöhnung, die wieder ausgebrochene Zwietracht, das Steigen und Sinken seiner Hoffnung, sein Liebesleid und seinen Kampf bis zu dem Entschlusse zu Richildens Entführung in lebendiger und ergreifender Darstellung schildernd und mit der beweglichen Bitte schließend, daß der Abt seinem Bunde mit der Geliebten an geweihter Stätte den Segen der Kirche erteilen möchte. Der Abt folgte dem weit ausgesponnenen Vortrage mit großer Aufmerksamkeit und ohne Unterbrechung bis zum Ende. Dann aber schüttelte er sanft sein graues Haupt und sagte ruhig: »Ihr habt mit dem, was Ihr mir anvertrautet, meine aufrichtige Teilnahme an Eurem Geschick erregt, Junker Ernst; aber was Ihr von mir verlangt, kann ich nimmer gewähren, denn es ist wider Gottes Gebot und die Satzungen unserer heiligen Kirche.« Ernst war von dem Bescheid des Abtes wie zu Boden geschlagen, und erst nach einer Weile trübseligen Vorsichhinstarrens sprach er: »Kann Euch nicht das Flehen zweier Herzen rühren, die auf Euch ihre letzte Hoffnung setzten?« »Rühren wohl,« erwiderte der Abt, »aber nicht bewegen, etwas zu tun, was gegen die Pflichten meines göttlichen Amtes verstieße.« »Hochwürdiger Herr,« sagte Ernst wieder mit etwas größerer Zuversicht, »ich habe meinen lieben Ohm Hans von unserer Flucht in Kenntnis gesetzt und ihn gebeten, heute hierherzukommen, um seine Bitte mit der unseren zu vereinen. Darf ich hoffen, daß seine Fürsprache Euch unseren Wünschen geneigter machen wird?« »Mein vielwerter Freund Hans soll mir willkommen sein,« entgegnete der Abt. »Wenn er mir aber nicht die Einwilligung der Frau Juliane Rüdt von Kollenberg zu eurem Bunde mitbringt, so wird er nicht Zeuge eurer Trauung werden.« »Frau Juliane ahnt nichts von unserer Flucht,« sprach Ernst düster. Dann erhob er sich und seufzte: »Was sage ich nur meiner Richilde?« »Ich werde selber mit ihr reden und ihr meinen besten Rat erteilen, wie sie die Verzeihung und vielleicht die Zustimmung ihrer schwer beleidigten Mutter erringen kann,« erwiderte der Abt. »Jetzt muß ich zur Messe in die Kirche. Folge mir dahin nicht, lieber Sohn! Denn du würdest nur mit geteiltem Herzen bei der Andacht sein. Aber nachher bringe mir dein Lieb, daß ich ihr Trost zuspreche.« Ernst beurlaubte sich von dem Abte und ging wieder zu den beiden Mädchen, die er von der vorläufigen Ablehnung seines Gesuches unterrichtete, Richilden jedoch die Hoffnung lassend, daß sich noch alles zum besten fügen würde, wenn nur Ohm Hans erst da wäre. Darauf begaben sich die drei in den schattigen Klostergarten. Hier wandelten Ernst und Richilde Arm in Arm unter nachdenklichem Schweigen auf und ab, während in der angrenzenden Kirche der Gesang der Mönche erschallte. Sidonie, hinter dem Paare herschreitend, summte leise mit, und in ihrem erfinderischen Kopfe keimten allerlei Anschläge, wie sie den Liebenden helfen und den Abt zur Vornahme der heiligen Handlung verlocken könnte; denn weder traute sie dem vermittelnden Einschreiten des Ohm Hans allein einen günstigen Erfolg zu, noch war sie von dessen Bereitwilligkeit dazu überzeugt. Dieser Zweifel Sidoniens begegnete sich mit einer ihm gleichgestalteten Sorge Ernsts. Nun sich letzterer einzig auf Hansens Unterstützung angewiesen sah, fiel es ihm plötzlich schwer aufs Herz, ob ihm dieser den erhofften Beistand überhaupt leisten und ob die Fürsprache des ehefeindlichen Oheims, der ihn unlängst wegen seiner Heiratsgedanken so gründlich abgekanzelt hatte, dann auch nachdrücklich und überzeugend genug ausfallen würde, um die Bedenken des Abtes zu besiegen. Er hätte sich das wohl früher sagen können; allein in diesen letzten Tagen immer nur das nahe Ziel seiner Sehnsucht vor Augen, war er zu solchen Erwägungen nicht gekommen und sah nun dem Eintreffen des Oheims mit großer Unruhe entgegen. Der Gottesdienst in der Kirche dauerte lange. Als er beendet war, kamen die Mönche -- jedoch ohne den Abt, der sich eines besonderen Weges zu seinen Gemächern bediente -- in großer Schar den Kreuzgang daher, silberbärtige Greise, Männer in der Vollkraft des Lebens und jugendlich blühende Gestalten, manches bleiche, verhärmte Gesicht, manche gefurchte Denkerstirn und viele auch von wohlgenährter, einige von übermäßiger Körperfülle. Ernst und Richilde verschwanden hinter einem Gebüsch des Gartens, um nicht gesehen zu werden. Sidonie dagegen blieb stehen, betrachtete neugierig die schwarzen Kuttenträger und ließ die brennenden Blicke, mit denen jene finster oder lächelnd und untereinander raunend das schöne Mädchen förmlich umspannen, über sich ergehen, als wollte sie den Weltflüchtigen geflissentlich zeigen, um was sie sich durch ihr Gelübde gebracht hatten. Es verging noch viel Zeit, ehe der Abt durch einen jungen Mönch Ernst mit Richilde zu sich entbieten ließ. »Ich gehe mit!« entschied Sidonie und ging mit. Welche von den beiden Fräulein Ernsts Verlobte war, erkannte der Abt sofort an der großen Verzagtheit Richildens, die sich ihm zögernden Schrittes und mit gesenkten Wimpern nahte, während Sidonie dem mit dem goldenen Kreuz geschmückten Prälaten in kampflustiger Stimmung entgegentrat und sich mit gewinnender Anmut vor ihm verneigte. Herr Meinhard von Angeloch begrüßte beide mit einer würdevollen Höflichkeit, denn auch Sidoniens Namen hatte ihm Ernst schon in der ersten Unterredung genannt. Dann aber, als alle Platz genommen, richtete er seine Worte zunächst an Richilde, setzte ihr väterlich wohlmeinend auseinander, warum er dem von Ernst ausgesprochenen Wunsche nicht willfahren könnte, und hielt darauf ihr, noch mehr aber ihrem Entführer klar vor Augen, einer wie unbedachten und rücksichtslosen Handlung sie sich beide schuldig gemacht, indem sie Richildens Mutter so schmählich hintergangen, sich gegen deren ausdrückliches Verbot trotzig aufgelehnt hätten und wider alle Zucht und Sitte heimlich miteinander geflohen wären. Die also Getadelten nahmen ihre wohlverdiente Rüge schweigend hin. Als aber der Abt in seiner Rede eine Pause machte, um der Reue Zeit zu lassen möglichst tief in die erweichten Herzen seiner Zuhörer einzudringen, ergriff Sidonie das Wort und sagte: »Hochwürdigster Herr! wenn Ihr mit den beiden armen Sündern da fertig seid, so bitte auch ich mir meine gebührende Strafpredigt aus, denn ich bin wie die Schlange im Paradiese die eigentliche Anstifterin ihres Vergehens. Ich habe den beiden die verbotene Frucht gezeigt und ihnen zuerst den Vorschlag gemacht, zu entführen und sich entführen zu lassen.« Der geistliche Herr war so liebenswürdig, auf den scherzhaften Ton der Mutwilligen einzugehen und ihr lächelnd zu erwidern: »Dann, mein edles Fräulein, hätte ich nicht übel Lust, Euch kraft meines Amtes für diesen Frevel eine recht empfindliche Buße aufzulegen.« »Der ich mich zerknirscht unterziehen will, hochwürdigster Herr,« versetzte der Schalk, »wenn Ihr kraft Eures Amtes meinen Frevel dadurch sühnen wollt, daß Ihr Böses mit Gutem vergeltet und die Hände dieser beiden mit Eurem Segen zusammenbindet.« »Das wäre nicht Sühne, sondern Billigung und obenein Belohnung ihres Fehltrittes,« sprach der Abt. »Ihnen der Lohn und mir die Strafe, hochwürdigster Herr! dann gleicht sich's aus,« sagte Sidonie. »Was meint Ihr, wenn Ihr mir aufgäbet, von hier zu Fuße, meinetwegen barfuß, nach der Minneburg zu wallfahrten, Frau Juliane die vollzogene eheliche Verbindung ihrer Tochter mit Junker Ernst Landschad zu verkünden und mich als einzig Schuldige ihrem Strafgericht zu stellen? Das wäre eine Buße, hochwürdiger Herr, deren ganze Höhe Ihr nur zu ermessen vermöchtet, wenn Ihr Frau Juliane kenntet, wie ich sie kenne.« »Darüber ließe sich reden, mein Fräulein!« lächelte der Abt. »Nur müßte Eure Wallfahrt _vor_ vollzogener Verbindung geschehen, und Ihr müßtet Frau Juliane bewegen, sich hierher zu bemühen und ihre Tochter selber zum Altar zu führen. Glaubt Ihr das vollbringen zu können, so gebt mir Eure Schuh und Strümpfe in Verwahrung und macht Euch flugs auf die Sohlen. Die beiden Widerspenstigen würden wir hier, voneinander getrennt, so lange hinter Schloß und Riegel halten, bis Ihr --« Es klopfte, und gleich darauf steckte derselbe junge Mönch, der Ernst und Richilde zum Abt gerufen hatte, sein geschorenes Haupt zur Tür herein, um eine Meldung zu machen. Aber ehe er noch sprechen konnte, flog die Tür weit auf, der Mönch von einem kräftigen Stoß beiseite, und auf der Schwelle stand -- Junker Hans Landschad. »Ohm Hans!« -- »Endlich! da ist er!« riefen in Freuden aufspringend Sidonie und Ernst gleichzeitig. Ernst hatte Richildens Hand ergriffen, die heftig zitterte und flüsterte ihr zu: »Jetzt entscheidet's sich's!« Richilde wagte kaum zu atmen. »Ja, da bin ich!« sprach Hans. Doch es klang nicht hoffnunggebend; Ton und Blick waren drohend. »Tritt ein, lieber Freund, und sei willkommen!« sagte der Abt. »Sind sie schon Mann und Frau?« frug Hans erregt, schnell auf den Abt zugehend und ihm die Hand reichend. »Noch nicht,« entgegnete dieser heiter; »aber sie möchten's gern werden.« »Und werden's auch, wenn du uns helfen willst, Ohm Hans!« fügte Ernst mutig hinzu. »Den Teufel will ich!! -- oh! verzeihe, Gesalbter des Herrn!« wandte er sich wieder zum Abt, »es entfuhr mir nur so; ich wollte sagen: Nein, lieber Neffe, das will ich wohl bleiben lassen.« »Ohm Hans!!« kam es tief erschrocken von Ernsts Lippen. »Und Sidonie auch hier?« sprach Hans. »Wie du siehst, Ohm Hans!« lächelte diese. »Wir beide, du und ich, werden Brautführer und Brautjungfer sein.« »Hat sich was!« grollte Hans. »Fräulein Richilde, wo ist Eure Mutter?« »Ich soll sie holen, befiehlt der Herr Abt,« antwortete Sidonie wieder. »Ihr seid entflohen, Ernst hat das Fräulein entführt, Frau Juliane weiß nichts davon; nicht wahr?« »Geraten!« nickte Sidonie, »sie wähnt uns bei meinen Eltern auf Zwingenberg.« »Unglaublich! unerhört! unverzeihlich!« wetterte Hans, »sich heimlich trauen lassen zu wollen! Welcher Eulenspiegel hat euch diese Raupen in den Kopf gesetzt?« Sidonie tippte in schwungvoller Bewegung und stolz erhobenen Hauptes mit dem Zeigefinger auf ihre Brust. »Du! natürlich! wie konnte ich noch fragen!« »Nein, Ohm Hans!« sprach Ernst, »Plan und Ausführung sind mein Werk, das du begreifen und billigen würdest, wenn du wüßtest, was du nicht weißt.« »Ich will gar nichts wissen,« eiferte Hans, »und wenn ihr euch einbildet, ich sollte meinem hochwürdigen und weisen Freunde auch nur mit einem Worte zureden, euch unvernünftige Kinder zusammenzugeben, so irrt ihr euch ganz gewaltig!« »Ohm Hans! Du willst mich im Stich lassen?!« frug Ernst vorwurfsvoll. »Erwartest du etwa, daß ich mich zu deinem Mitschuldigen mache?« entgegnete Hans im Tone strenger Zurechtweisung. -- »Was sagst du dazu, Meinhard?« »Ich habe bereits erklärt, daß ohne Einwilligung von Fräulein Richildens Mutter nicht daran zu denken ist,« erwiderte der Abt. »Recht so!« bestätigte Hans, »das ist auch meine Meinung. Und nun? was wird nun, Junker Tollkopf?« »Was nun wird? das will ich dir sagen, Ohm Hans!« rief Ernst schnell dem Ausgange zuschreitend und Richilde an der Hand mit sich ziehend. »Ich erkläre Richilde hiermit für meine Gefangene, reite spornstreichs mit ihr nach Neckarsteinach und halte sie dort mit Genehmigung meines Vaters so lange fest, bis man uns erlaubt, zu heiraten!« »Nicht von der Stelle!« schrie Hans und pflanzte sich groß und breit vor der Tür auf, um den abermals Fluchtbereiten den Weg zu vertreten. »Ich reite mit und werde euch die Wege schon weisen, die ihr zu nehmen habt, werde euch auf die Minneburg bringen und mit Frau Juliane sprechen, zu euren Gunsten sprechen, wenn ihr es nun einmal nicht anders haben wollt. Aber mehr kann ich nicht tun.« »Das wird hübsch werden!« kicherte Sidonie, »auf den Empfang dort --« »So laß uns aufbrechen! -- kommt!« rief Ernst. »Heute wird hier geblieben!« gebot Hans. »Denkt ihr, ich will den weiten Ritt umsonst gemacht haben? Ich und mein Roß haben Hunger und Durst, und im Kloster Sinsheim hat noch keiner Not gelitten, der zur rechten Stunde gekommen ist; mir gefällt es gut hier.« »Das scheint so,« spottete Ernst; »darum sollst du auch einmal dein Glück im Kloster finden.« »Warum nicht?« lachte Hans. »Aber dazu ist immer noch Zeit. Ihr nehmt mich auch noch, wenn mir Schwert, Speer und Sporn dereinst stumpf geworden sind; nicht wahr, Alter?« »Gewiß Hans!« versetzte der Abt, »wenn du dich einmal aller deiner Sünden entledigen willst.« »Die mußt du mir herunter beten,« sagte Hans. -- »Horch!« fuhr er fort, »die Mittagsglocke! ~pax nobiscum, amici!~ Seid getrost, ihr beiden! heute wollen wir alles vergessen und fröhlich sein, und morgen helf' ich euch, soviel ich vermag! -- Wo speisen wir, Meinhard?« »Im kleinen Refektorium; ich hörte ja von Junker Ernst, daß du kommen würdest, und wir haben auf dich gewartet. Rucho weiß Bescheid.« »Trotto auch?« »Trotto auch,« lächelte der Abt. »Dann vorwärts! Wandle voran, hochwürdigster Seelenhirt! die verirrten Schäflein folgen dir. Komm, du Teufelsmädchen! Du sollst auch einmal die Seligkeit kosten, die dieses gebenedeite Haus des Herrn aus seinem tiefuntersten Keller bezieht!« Damit bot er Sidonien ritterlich den Arm, und so schritten sie allesamt aus dem Zimmer des wirtlichen Abtes. Dreiundzwanzigstes Kapitel. Um den schweren Eichentisch im kleinen Refektorium saßen am Nachmittage -- denn es war durch das Warten auf Hans sehr spät geworden -- Herr Meinhard, der Abt, Paraeus, der Prior, Rucho, der Küchenmeister, und Trotto, der Kellermeister, mit ihren Gästen, den beiden Junkern und den beiden Fräulein, und es war ein vorzügliches Mahl, das Bruder Rucho hatte bereiten lassen, und das Bruder Trotto mit ausgewählten Jahrgängen des Klosterkellers bedachte. Man ließ es sich wohl sein und war guter Dinge. Selbst Ernst und Richilde, zum ersten Male wie ein Brautpaar bei Tische nebeneinander sitzend, vergaßen ihre nächsten Sorgen, sahen sich hier wenigstens, in diesem kleinen Kreise als Verlobte anerkannt und gaben sich in zunehmender Fröhlichkeit der schmeichelnden Vorstellung hin, daß dieses festliche Mahl ihnen zu Ehren stattfände. Hans, der seinen Platz zwischen dem Abt und dem Prior hatte, fühlte sich hier wie zu Hause, ließ seiner Lebenslust die Zügel schießen und trank sich und seinen klösterlichen Freunden einen Becher nach dem andern zu. Sidonie, zwischen Rucho und Trotto, sprudelte erst recht von Übermut und führte mit allen eine so lebhafte, hinreißend neckische Unterhaltung, daß es die Mönche von dem hübschen Mädchen aufs höchste ergötzte. Die Tafel nahte sich allmählich ihrem Ende, und der Kellermeister klirrte mit den Schlüsseln und warf einen fragenden Blick auf den Abt, ob er vielleicht noch einen besseren herauf holen lassen sollte, denn man war seit langer Zeit nicht so vergnügt im Kloster gewesen. Da wurde das heitere Mahl in einer jähen, von keinem der acht Teilnehmer für möglich gehaltenen Weise abgebrochen. Vom Gange draußen hereinkommend näherte einer der beiden die Tafel bedienenden Laienbrüder seinen Mund dem Ohre des Abtes und flüsterte diesem etwas zu. Herr Meinhard machte eine Bewegung des Überraschtseins und erwiderte mit gedämpfter Stimme, doch so, daß es alle hörten, weil sie alle lauschten: »Führt die gnädige Frau ins Sprechzimmer; ich komme sogleich.« Eine lautlose Stille trat ein. Aller Augen waren auf den Abt gerichtet, einige mit nur neugierigen, andere zugleich mit ahnungsvoll bangem Ausdruck. Der Abt aber sprach mit Bedeutung die schwerwiegende Nachricht aus: »Frau Rüdt von Kollenberg ist angekommen.« Richilde erschrak so heftig, daß sie einer Ohnmacht nahe war. Auch Sidoniens Gesicht wurde etwas lang bei dieser Kunde. Sie blickte auf Ernst; »Josephine!« murmelte dieser und erhob sich. Aber schnell sprang auch Hans auf und rief ihm zu: »Du bleibst! ihr beiden verschwindet und laßt euch nicht sehen, bis ich euch rufen lasse! Komm, Sidonie! wir zwei wollen es mit ihr aufnehmen.« »Nun, Ohm Hans, dann wappne dich!« erwiderte Sidonie, »und alle lieben Heiligen mögen uns beistehen!« »Wohl gesprochen!« sagte der Abt. »Aber zuerst will ich die edle Frau in unseren Mauern begrüßen; darum laßt mich vorangehen und folgt mir nach einem Weilchen.« Und sich zu den Laienbrüdern wendend fuhr er fort: »Ihr räumt hier schnell auf und öffnet die Fenster, damit ich die gnädige Frau aus dem ungastlichen Sprechzimmer bald hierher führen kann.« Sidonie umarmte ihre zitternde Freundin und raunte: »Mut, Richilde! wir müssen uns durchkämpfen!« Hans hatte sich das heißersehnte Wiedersehen mit Juliane allerdings anders gedacht, als es jetzt hier, in dieser Umgebung, unter den obwaltenden Umständen und in der bei Juliane vorauszusetzenden Stimmung stattfinden konnte. Dennoch ging er demselben mit seinem guten Gewissen fröhlich und in der Hoffnung entgegen, daß auch sie das unvermutete Zusammentreffen mit ihm trotz der leidigen Veranlassung erfreuen und trösten, und daß seine Gegenwart beruhigend und versöhnlich auf sie wirken würde. Der Abt und Juliane kannten sich bereits oberflächlich von früher her. Seine achtungsvolle Begrüßung beim Eintritt in das Sprechzimmer unterbrach sie mit der hastigen Frage: »Ist meine Tochter hier?« »Ja, gnädige Frau!« erwiderte der Abt. »Gestern spät abends sind sie gekommen; aber seid unbesorgt! es ist nichts geschehen und wird nichts geschehen, was gegen Euren Wunsch und Willen wäre.« »Gott sei gedankt!« atmete sie erleichtert auf, »und auch Euch, hochwürdigster Herr! Ich fürchtete schon das Schlimmste.« »Wäre es denn etwas gar so Schlimmes, wenn sie des ritterlichen Junkers Frau würde?« frug er mit einem milden Lächeln. »Es ist ein Landschad!« stieß sie grollend hervor. Herr Meinhard führte sie zu einer längs der Wand hinlaufenden Bank und sagte: »Es wird sogleich ein würdigerer Raum zu Eurem Empfange bereit sein; nehmt einstweilen hier fürlieb. Eure Tochter ist in guter Obhut.« »Gebt sie mir heraus, daß ich sie mitnehme, wohin sie gehört!« entgegnete sie finster, nahm aber doch Platz, denn sie war von dem anstrengenden Ritt und der marternden Angst, zu spät zu kommen, sichtlich erschöpft. »Nicht so schnell, gnädige Frau!« sprach der Abt, »laßt uns erst ruhig miteinander reden.« Aber kaum hatte auch er sich gesetzt, als sich die Tür auftat und Hans und Sidonie herein traten. Juliane sprang auf. -- »Was?! -- ihr hier?! Wollt ihr beiden euch vielleicht auch hier -- Ah nein! das tut der Ehehasser nicht!« lachte sie höhnisch. »Zwei Landschaden entführen ein Mädchen! welch Meisterstück! Und du, du bist die Helferin!« rief sie, mit der ausgestreckten Hand auf Sidonie weisend. »Seid mir gegrüßt, Frau Juliane!« sprach Hans erregt, »und laßt Euch sagen, daß ich Eure Tochter nicht entführt habe. Im Gegenteil, ich verdamme die verwegene Tat meines Neffen ebenso entschieden wie Ihr und mein hochwürdiger Freund hier und bin den Flüchtigen nur nachgesetzt, um sie mit Gewalt zurückzuholen.« »Wer Euch das glauben soll!« erwiderte sie spöttisch. »Es ist so, gnädige Frau!« bestätigte der Abt. »Ihr hättet Euch den Weg sparen können,« fuhr Hans fort; »denn morgen hätte ich Euch Eure Tochter nach der Minneburg zurückgebracht.« »Ihr habt nichts davon gewußt?« frug sie noch einmal zweifelhaft. »Nicht das geringste!« versicherte er. »Erst heute Morgen erfuhr ich's durch einen Brief von Ernst. Sie haben sich wohl gehütet, mich vorher einzuweihen.« »Ich kann's bezeugen,« sagte Sidonie nun. »So dumm sind wir nicht,« setzte sie leiser hinzu. Juliane überhörte das. Sie stand und blickte unwillig auf Hans, daß sie nicht ihren Zorn an ihm auslassen konnte, weil er schuldlos war. Er sah bleich aus, und jetzt erst bemerkte sie eine große, kaum verharschte Wunde an seiner Stirn. Natürlich dachte sie, der Raufbold kann nicht Frieden halten. Wen mögen sie wieder auf der Landstraße niedergeworfen haben, daß er den Denkzettel davon hat? Ein Laienbruder war erschienen, hatte dem Abt einen Wink gegeben und einen leisen Auftrag von ihm erhalten. »Wenn es Euch nun gefällig ist, gnädige Frau,« sprach der Abt -- »Zu Richilde? nein! jetzt mag ich sie nicht sehen,« wehrte sie ab, »und noch weniger den Junker -- den Entführer!« »Braucht Ihr auch nicht,« sagte Hans. »Sie werden Euch nicht eher vor die Augen kommen, als bis Ihr sie rufen laßt.« »Ich wollte Euch nur in unser Speisegemach führen,« ergänzte der Abt; »ein leichter Imbiß wird Euch wohltun.« »Ach ja! das wird er,« hauchte sie. »Ich bedarf einer Stärkung; meine Kraft geht zu Ende.« »Gerettet, Ohm Hans!« flüsterte Sidonie. »Wer essen kann, mit dem läßt sich fertig werden.« Hans nickte ihr lächelnd zu. »Und nicht wahr, gnädige Frau?« fuhr der Abt fort, indem sie sich anschickten, das Sprechzimmer zu verlassen, »Ihr bleibt heute bei uns und ruht Euch aus, und morgen macht Ihr Euren Frieden mit Eurer Tochter; aber vorher bitte ich noch um eine Unterredung mit Euch.« »Ich nehme Eure Gastfreundschaft mit allem Dank an, hochwürdiger Herr!« erwiderte sie. »Aber dürft Ihr denn Frauen im Kloster beherbergen?« »Eigentlich nicht,« sprach der Abt; »aber in Fällen der Not ist es uns gestattet. Kranken oder Verwundeten, Verirrten und Wegmüden öffnen wir aus christlicher Barmherzigkeit unsere Tür Tag und Nacht. Euch rechne ich zu den Wegmüden,« fügte er lächelnd hinzu; »oder seid Ihr das nicht?« »Doch! doch! ich wäre wirklich nicht imstande, heute wieder zurückzureiten,« sagte sie. »Es ist auch schon zu spät dazu; die Nacht würde Euch überfallen.« »Morgen reiten wir zusammen, Frau Juliane!« sprach Hans. »Ich geleite Euch nach der Minneburg.« »Bemüht Euch nicht! ich habe Geleit genug bei mir,« gab sie ihm kühl abweisend zur Antwort. »Habe schon gehört, -- vier Mann im Harnisch!« lachte Hans. »Meinhard, Mann des Friedens, wird dir nicht bange vor solcher Kriegsmacht?« »Ich habe es mit Landschaden zu tun!« versetzte sie scharf. »Die Landschaden schlagen sich wohl für Euch, aber nicht gegen Euch, Frau Juliane!« erwiderte Hans beleidigt. »Was wollt Ihr damit sagen?« warf Juliane hochmütig über die Schulter. Hans schwieg; aber statt seiner antwortete Sidonie: »Seht Ihr nicht die breite Wunde an Ohm Hansens Stirn? Die hat er für Euch davongetragen.« »Für mich?!« frug sie im höchsten Erstaunen und sich schnell zu Sidonien umwendend. »Ja, für Euch! Euretwegen hat er sich mit Bruno von Bödigheim auf Leben und Tod geschlagen, hat den Streich empfangen, der ihn niederstreckte, und hat in Fieber und Schmerzen lange daran festgelegen. Dies ist heute sein erster Ritt wieder.« »Schweig, Sidonie!« sagte Hans, »von solchen Kleinigkeiten macht man nicht groß Aufhebens.« Es tat ihm schon leid, daß er sich zu einer Entgegnung auf Julianens scharfe Bemerkung hatte hinreißen lassen und dadurch Sidonien zur Erwähnung seines Zweikampfes angeregt hatte. Juliane aber war sprachlos. Wie gehässig hatte sie eben noch von dieser Wunde gedacht! Zu ihrem Glück herrschte in dem Gange, den sie jetzt dahinschritten, ziemliche Dämmerung, so daß Niemand die Verwirrung und Erschütterung gewahr wurde, die sich ihrer bei dieser äußerst überraschenden Kunde bemächtigt hatte. Sie ging sehr langsam, nur um Zeit zu gewinnen, sich fassen und sammeln zu können. So kamen sie in das Refektorium und setzten sich mit Juliane um den Tisch, auf dem schon Speise und Trank bereitstand. Der Prior Paraeus gesellte sich wieder zu ihnen und war allen willkommen, denn der kluge Mann wandte das Gespräch von der mißlichen Angelegenheit ab, derentwegen Juliane hier war, und brachte es auf andere Dinge, so daß es einen durchaus unverfänglichen Verlauf nahm. Juliane genoß von dem reichlich Gebotenen nur wenig. Ihr war nach dem, was sie von Sidonie erfahren hatte, der Hunger vergangen. Sie war von einer tiefen Unruhe erfüllt und mußte immer wieder auf Hans und seine Narbe sehen, als wollte sie ihn bis auf Herzensgrund erforschen, was ihn, an dessen Liebe sie nicht mehr glaubte, bewogen haben konnte, sein Leben für sie einzusetzen. Da nun Hansens Augen unverwandt an Julianens Antlitz hingen, so kam es, daß sich beider Blicke öfter begegneten und wohl gar, fast ohne Wissen und Willen Julianens, einen Atemzug lang ineinander ruhten. Er hielt ihr auffallend, ja verletzend schroffes Benehmen gegen ihn ihrem Zorn über Richildens Entführung und ihrem vielleicht nicht schnell genug beseitigten Verdacht, daß er seine Hand dabei im Spiele gehabt hätte, zugute und trug es ihr nicht nach. Vielmehr freute es ihn, daß sie nun allmählich anfing, ihm auf die Reden, die er an sie richtete, wieder eine etwas verbindlichere Antwort zu geben, wenn auch darin immer noch ein verhaltener Groll gegen ihn nachzitterte, den er sich nicht erklären konnte. Sidonie nahm jetzt wenig teil an der Unterhaltung. Bald richtete sie ihre ganze Aufmerksamkeit auf Juliane, bald saß sie wie geistesabwesend in ihre eigenen Gedanken versunken und schlüpfte endlich hinaus, um Ernst und Richilde aufzusuchen und ihnen den Hergang bei Julianens Einkehr zu berichten. Sie fand die ihrer schon ungeduldig Harrenden im Klostergarten und erzählte ihnen alles haarklein und der Wahrheit gemäß, damit schließend: »Laßt euch nur heute vor Frau Juliane nicht mehr blicken; morgen will der Abt mit ihr reden, und ich habe noch Hoffnung für euch.« »Ach, Sidonie!« sprach Richilde, »ich kann nicht schlafen, ehe meine Mutter mir nicht verziehen hat. Kannst du mir nicht heute noch eine Unterredung mit ihr verschaffen? ich will mich ihr zu Füßen werfen --« »Heute noch?« erwiderte Sidonie. »Sie ist in böser Stimmung, Richilde! Aber ich will versuchen, sie zu bewegen, daß sie dich zu Nacht noch vor sich läßt. Gelingt es mir, so komm' ich und hole dich. Jetzt aber versteckt euch, verkriecht euch, verschließt euch in eure Zelle, -- das heißt,« fügte sie schelmisch drohend hinzu, »getrennt, jeder allein in die seinige!« Die Getrösteten versprachen, den Rat zu befolgen, und Ernst erging sich in bitterer Selbstanklage, daß er Josephinen zu viel Vertrauen geschenkt hatte, denn sie allein konnte Frau Juliane die Flucht und das Ziel derselben verraten haben. Hätte er das nicht getan, so hätten Richilde und Sidonie nach der beharrlichen Weigerung des Abtes, der heimlichen Liebe seinen Segen zu geben, ruhig nach Zwingenberg reiten können, und Frau Juliane hätte von der Entführung vielleicht niemals etwas erfahren. Ohm Hans würde wohl geschwiegen haben, und sie hätten ihr den kecken Streich später einmal, wenn sie das Glück ihrer Vereinigung auf andere Weise gefunden hatten, in einer traulichen Stunde gebeichtet. Zu solchen Betrachtungen war es aber nun leider zu spät. Sidonie überließ die beiden sich selbst und wandelte noch eine Weile sinnend im einsamen Kreuzgang auf und nieder, nur mit dem Schicksale des Paares beschäftigt, das mit Abt und Prior allein geblieben war. Sie hatte die Blicke beobachtet, mit denen sich Hans und Juliane angesehen hatten, zog daraus ihre Schlüsse und baute darauf ihre Hoffnung. »So muß es gehen,« sprach sie zu sich selber, »so muß es gehen, oder die Glut verlangender Sehnsucht ist ein Ammenmärchen und die Macht des Liebesgottes keinen Pfifferling wert!« Sie besah sich die Gelegenheit, die Zugänge zum Kreuzgang, spähte, wohin Türen und Treppen führten, und spürte ringsum. »Die Fenster dort oben sind störend, da sind die Zellen der Mönche; aber diese Glatzköpfe schlafen gewiß wie die Murmeltiere. Freilich, man müßte sich vorsehen; -- hm! ja, ja! das ist gut! so wird's gemacht! punktum! und nun vorwärts!« Ihr Plan war fertig, und ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen, kehrte sie in das Refektorium zurück, dort aber mit einem so gleichgültigen und harmlosen Gesicht eintretend, als könnte sie nicht bis fünf zählen. Mittlerweile war es Abend geworden, und Juliane begehrte nach Ruhe. Sich bei Abt und Prior mit ihrer Abgespanntheit entschuldigend, sagte sie ihnen freundlich gute Nacht, Hans und Sidonie nur mit einem sehr kühlen und knappen Gruß abfindend. Zwei Laienbrüder leuchteten ihr die Treppe hinauf zu der für sie bestimmten, mit möglichster Bequemlichkeit ausgestatteten Zelle, in welcher, ebenso wie in den Zellen der beiden Mädchen, ein schwarzes Mönchsgewand hing. -- Wie aber hatte Juliane die Flucht und den Aufenthaltsort Richildens erfahren? Das war so gekommen: Sie war einsam und allein, so allein, wie sie sich in ihrem Leben noch nicht gefühlt hatte, und saß wie gewöhnlich auch an dem Morgen, nachdem tags zuvor die drei jungen Mädchen nach Zwingenberg -- wie sie annahm -- abgeritten waren, wieder in ihrem Erker, den Blick leer und hoffnungslos in die Ferne gerichtet. Da kam Petrissa und meldete: »Gnädige Frau, draußen ist der Sohn des Sterndeuters Isaak Zachäus und begehrt Euch zu sprechen; er hat eine Botschaft an Euch von seinem Vater.« »Des Sterndeuters Sohn?« frug Juliane erstaunt, »führ' ihn herein!« Josephine trat ein, in männlicher Kleidung, mit ihrem langen Rock angetan, verbeugte sich und wartete auf Julianens Anrede, um daraus zu entnehmen, ob die Burgherrin ihr wahres Geschlecht kannte oder nicht. »Du bist der Sohn Meister Isaak Zachäus' und bringst mir Botschaft von deinem Vater?« sprach Juliane. »So ist es, edle Frau!« erwiderte Josephine. »Aber ehe ich die Botschaft ausrichte, müßt Ihr mir fest und sicher geloben, jedermann zu verschweigen, von wem Ihr sie habt.« »Ich gelobe dir's, mein Wort darauf!« sagte Juliane. »Wohlan, gnädige Frau, so hört, was ich Euch zu verkünden habe,« begann die Falsche. »Die Sterne haben in dieser Nacht meinem Vater vertraut, daß die Gefahr, die Eurer Tochter außerhalb der Burg drohte, nun eingetreten ist.« Juliane schrak auf. »Barmherziger Gott! was ist geschehen? sprich! verhehle mir nichts!« »Junker Ernst Landschad hat Eure Tochter entführt.« »Entführt?! geflohen mit ihr? -- nicht nach Zwingenberg? -- oh! -- oh! -- was hab' ich getan, daß ich sie aus der Burg hinausließ!« stöhnte Juliane ihr Antlitz verhüllend. -- »Wann? wohin?« frug sie dann in schnell aufflammendem Zorn. »Gestern Nachmittag, nach Kloster Sinsheim, um sich dort mit ihr trauen zu lassen,« sprach ohne Zögern die Verräterin. »Und das weiß dein Vater alles aus den Sternen?« »Fragt nicht, woher, laßt Euch genug sein, daß er es weiß,« erwiderte Josephine. »Und trauen wollen sie sich lassen? ohne mich? gegen meinen Willen? oho! ich will ihnen die Kerzen dazu anzünden!« rief Juliane drohend und eilte zur Tür. Doch auf halbem Wege stehen bleibend frug sie: »Hast du noch mehr zu melden?« »Nein, gnädige Frau!« »So geh! -- nein! komme her und nimm! -- für deinen Vater --« Josephine trat einen Schritt zurück. »Nein, nein! keinen Lohn nehm' ich von Euch, nicht um Geld und Gut bracht' ich Euch die Kunde,« sagte sie erregt. Ein kalter Schauer überlief sie; sie wandte sich, verließ das Gemach, eilte mit klopfendem Herzen und zitternden Knien die Treppe hinunter und floh aus der Burg, den Berg hinab, in den Wald hinein und schaute nicht rückwärts. Juliane rief mit lauter, gellender Stimme zur Tür hinaus: »Petrissa! schnell den Burgvogt! auf der Stelle soll er kommen!« »Weiprecht,« befahl sie dem bald darauf Eintretenden, »laß satteln für mich und dich und drei Knechte im Harnisch! Wohin wir reiten, sag' ich dir, wenn wir unten sind; aber schnell wie der Wind müssen wir in den Bügeln sein!« Ehe der Schatten der Fenstersäulen im Erker um eine Hand breit gerückt war, ritt Juliane an der Spitze von vier Bewaffneten aus dem Tore der Burg zur Verfolgung ihrer entflohenen Tochter. -- Nun befand sie sich hier in dieser engen Klosterzelle, mit der Ungehorsamen, die sie noch nicht wiedergesehen hatte und noch nicht wiedersehen wollte, unter einem Dache. Sie hatte die Tür hinter sich verriegelt und sich, den Kopf in die Hand gestützt, auf einen Schemel an das mit einer Decke verhangene Fenster gesetzt. Zum Schlafen war sie noch zu überreizt; sie hatte nur allein sein wollen, um das in sich zu verarbeiten, was ihr der heutige Tag an Aufregendem und Unbegreiflichem gebracht hatte. Die Gefahr einer Verbindung Richildens mit einem Landschaden war dank der Gewissenhaftigkeit des würdigen Abtes für dieses Mal glücklich überstanden, und Juliane glaubte ihrer Tochter auch für die nächste Zukunft sicher zu sein, indem sie die Aufsässige morgen mit sich zurücknehmen und unter keinem Vorwande ohne ihre Begleitung wieder aus der Burg herauslassen wollte. Dieses ihr erst so bedrohlich scheinende, nun so kindisch und lächerlich vorkommende Possenspiel von einer Entführung war also für Juliane so gut wie abgetan und trat in ihren Gedanken schon weit zurück gegen das ihr noch gar nicht zu Sinne wollende Ereignis, daß sich Hans für sie geschlagen hatte. »Hm! für mich geschlagen!« sprach sie nach längerem Nachsinnen mit gekräuselter Lippe. »Bödigheim -- der einzig Ehrliche -- der Treue, den ich abwies -- hat von dem Recht der Hagestolze und dem Plan der Landschaden gehört, dessen Opfer ich werden sollte. Seiner Schwester Elisabeth, die mich warnte, wollte ich nicht glauben. Da hat er selber dem Übermütigen seine Schändlichkeit vorgehalten, hat ihn, um mich zu rächen und zu retten, zum Zweikampf herausgefordert; der Junker Hagestolz hat einen wohlverdienten Hieb davongetragen, -- und nun heißt es: er hat sich für mich geschlagen! er! für mich!« So saß sie und grübelte in ihrer Verbitterung, und kein Schlaf kam in ihre Augen. Da klopfte es leise an die Tür. Sie fuhr erschrocken auf. Wer konnte sie jetzt noch stören wollen? Sie hatte sich wohl getäuscht; aber da klopfte es noch einmal. Sie eilte an die Tür und frug: »Wer ist da?« »Ich bin es, Sidonie,« erhielt sie zur Antwort. »Was willst du?« erwiderte sie barsch. »Bitte, öffnet! ich muß Euch dringend sprechen,« flüsterte es draußen. Juliane schob den Riegel zurück und ließ Sidonien eintreten, sie mit einem strengen und erstaunten Blicke messend. »Frau Juliane,« begann das Mädchen, »ich finde nicht Ruhe, ehe ich nicht mein Gewissen erleichtert und mich Euch gegenüber als Hauptschuldige an dem unbesonnenen Streiche bekannt habe, der Euch, wie ich nun wohl einsehe, aufs schwerste beleidigen mußte. Worin meine Schuld besteht, sag' ich Euch ein andermal; denn soviel mir auch an Eurer Verzeihung gelegen ist, und so rastlos und eifrig ich mich auch bemühen werde, mir dieselbe zu verdienen, so mute ich Euch doch keineswegs zu, sie mir heute schon jetzt, hier auf der Stelle zu gewähren.« »Wäre auch eine starke Zumutung!« sagte Juliane. »Ich habe eine andere Bitte,« fuhr Sidonie fort, »die große, herzliche Bitte, daß Ihr Richilden verzeihen möchtet, in deren Auftrag ich komme.« »Warum du? warum kommt sie nicht selber?« frug Juliane. »Ihr wolltet sie ja vor morgen nicht sehen, hattet Ihr gesagt,« erwiderte Sidonie. »Aber sie läßt nun fragen, ob sie sich nicht heute noch Euch zu Füßen werfen und Euch um Eure Verzeihung anflehen dürfte.« Juliane schwieg. »Richilde bereut, was sie getan hat,« fuhr Sidonie fort, »und kein Auge würde sie schließen können, solange sie Euch im Zorn wüßte. Darum bittet sie und bitte ich Euch, sie anzuhören, was sie Euch zu sagen hat, und nicht die Nacht vergehen zu lassen, ohne ihr von Herzen verziehen zu haben.« »So laß sie kommen und hinnehmen, was ihr gebührt!« sprach Juliane mit einem Tone, der nichts Versöhnliches hatte. »O nicht hier kann das geschehen,« erwiderte Sidonie; »in einem Kloster haben alle Wände Ohren.« »Wenn sie nicht zu mir kommt, -- ich gehe ihr keinen Schritt entgegen,« versetzte Juliane. »Ich habe mit Richilde verabredet,« sprach Sidonie immer dringlicher, »daß sie Euch, sobald die Nachtglocke geläutet hat, die jeden Mönch in seine Zelle bannt, unten im Kreuzgang erwarten soll, wo euch niemand belauschen kann.« »Im Kreuzgange? sind wir dort sicher, nicht gehört zu werden?« »Ganz sicher!« erwiderte schnell Sidonie mit funkelnden Augen. »Aber wenn man uns sähe?« »Auch das hab' ich bedacht,« sprach Sidonie in freudigem Eifer. »Das Mönchsgewand dort, wie in jeder Zelle sich eines findet, schützt Euch und macht Euch unkenntlich. Ihr hüllt Euch hinein, zieht die Kapuze über das Haupt; Richilde wird das Gleiche tun und sollte euch dann doch ein einsamer Zellenbewohner von seinem Fenster aus bemerken, so wird er euch für zwei vertraute fromme Brüder halten, die sich noch ein wenig im Mondschein ergehen, und wird die kleine Übertretung der Klosterregel nicht gleich dem Abte melden. Seid Ihr bereit, Juliane?« »Ich weiß nicht, ob ich soll oder nicht soll,« erwiderte Juliane mit einem argwöhnischen Blick. »Ich traue dir nicht mehr.« »Hab' ich Euch nicht immer gut geraten? Hattet Ihr's schon jemals zu bereuen, mir gefolgt zu haben?« sagte Sidonie schmeichelnd. »Juliane! wenn Ihr mir heute nachgebt, -- morgen werdet Ihr es mir Dank wissen!« »Nun, so mag es sein!« sprach Juliane. »Du hast eine Art, zu überreden, der man nicht widerstehen kann; ich glaube dir, daß du die Verführerin meiner Tochter bist, denn du bringst einen zu jeder Torheit.« »Ich will ja nichts, als Euer Glück,« sagte Sidonie, innerlich frohlockend. »Aber wie komm' ich hinab?« frug Juliane noch. »Ihr wendet Euch auf dem Gange draußen nach links; dort gelangt Ihr an eine Treppe, die zum Kreuzgang führt. Es ist noch nicht voller Mondschein, aber hell genug, daß Ihr nicht fehlen könnt. Im Kreuzgang an der Kirchenseite ist eine steinerne Bank; da wird Euch Richilde erwarten. Öffnet der schwarzen Gestalt dort die Arme, kommt der tief Verzagten rasch und liebevoll entgegen; Ihr werdet ein treues, liebendes, sehnendes Herz an das Eure drücken. Gute Nacht! und gut Heil auf den Weg!« Sidonie huschte hinaus. »Ah!« machte sie draußen, »das war kein leichtes Stück. Nun gebe der Himmel, daß es glückt!« Juliane nickte, als sie wieder allein war, still vor sich hin: »Sie hat Recht. Richilde ist die Verführte, ist mein einziges Kind, -- niemand hab' ich, als sie. Mit rasch verzeihender Liebe will ich sie an mein Herz ziehen, schnell, heiß, ohne Worte.« Sidonie ging wieder in das Refektorium, wo Hans mit dem Prior beim Schachspiel saß. Der Abt hatte sich zurückgezogen. »Ohm Hans, auf ein Wort! Verzeiht, hochwürdiger Prior!« Sie nahm Hans mit sich in einen Winkel der geräumigen Halle und flüsterte: »Ohm Hans, Richilde möchte dich gern heut abend noch sprechen. Sie will dich bitten, bei ihrer Mutter ein gut Wort für sie einzulegen, und hat dir besondere Aufschlüsse zu geben.« »Besondere Aufschlüsse?« »Ja, die sie nur dir vertrauen will.« »Hm! muß es denn gleich sein? Hat es nicht Zeit bis morgen?« »Gleich muß es nicht sein, aber bis morgen hat es auch nicht Zeit. Sobald die Nachtglocke geläutet hat, will Richilde dich im Kreuzgang erwarten; sie bittet dich dringend, daß du kommst.« »Wenn's sein muß,« brummte Hans. »Ja, es muß sein,« sagte Sidonie. »Sie wird sich in eine Mönchskutte hüllen und die Kapuze überziehen, daß sie niemand erkennt. Und ganz ebenso mußt du es auch machen, Ohm Hans!« »Dummes Zeug! wozu denn?« »Anders geht es nicht. Bedenke doch! ein Mädchen darf sich nachts nicht im Kreuzgang blicken lassen,« redete Sidonie listig auf ihn ein. »Freilich! da hat sie Recht,« sagte Hans treuherzig, ohne zu überlegen, ob deshalb auch _seine_ Vermummung nötig wäre. »Also nach der Nachtglocke?« »Gleich nach der Nachtglocke, im Kreuzgang an der Steinbank bei der Kirche. Wirst du da sein? im Mönchsgewand?« »Ja, ja! sag' ihr nur, ich käme!« versprach Hans, ungeduldig, sein Spiel mit dem Prior fortsetzen zu können. »Gut, Ohm Hans! habe Dank und sei recht freundlich und liebevoll gegen Richilde! Schließ sie nur gleich kräftig in die Arme, als wäre es eine Tochter, die ihr Herz vertrauensvoll an das deine legen will.« »O, das will ich schon tun,« sprach Hans. »Dann gute Nacht, Ohm Hans! Und mache deine Sache gut! Gute Nacht, hochwürdiger Prior!« -- und fort war sie. »Da bin ich doch neugierig,« sagte Hans, als er sich wieder zum Prior an das Schachbrett setzte. Vierundzwanzigstes Kapitel. In den Klostergarten schien der Mond und sandte sein bläulich silbernes Licht auch in die eine Hälfte des Kreuzganges hinein, daß sich die Schatten der Rundbögen mit den kleinen Säulen und zierlichen Kapitälen auf den hellen Steinplatten des Fußbodens zeichneten, indessen die andere Hälfte eine traumhafte Dämmerung umfing. Jetzt tönte das Läuten einer Glocke durch die Stille der Nacht, schallte eine Zeitlang in gleichmäßigen Schwingungen von der Höhe des Turmes herab und verstummte wieder. Gleich darauf vernahm man im Kloster ein gedämpftes Stimmengemurmel und ein zögerndes Gehen, das beides allmählich verhallte und sich in der Ferne verlor; hier und da klappte eine Tür, schloß sich ein Fenster, und die letzten Lichter verlöschten. Dann war ringsumher so tiefe Ruhe, als würden diese weitläufigen Gebäude von keinem lebenden Wesen bewohnt. Geraume Weile wurde diese vollkommene Stille durch nichts unterbrochen. Das Mondlicht lag auf den Dächern und hing an den grauen Steinwänden mit einer schweigsamen Feierlichkeit, die keine Störung vertrug und keine andere Wirkung, als die von Licht und Schatten neben sich aufkommen ließ. Aber nicht lange sollte es so bleiben. Bald schien es, als ob sich im Kreuzgang etwas Dunkles bewegte, an der Mauer entlang gespenstisch dahin schwebte und auf dem Wege zur Kirche in der Dämmerung verschwand. Dann kam etwas mit leichten, leisen Tritten eine Treppe herab, und in dem der Stelle der ersten Erscheinung gegenüberliegenden Teile des Kreuzganges zeigte sich eine schwarze Mönchsgestalt. Der ganz Vermummte blickte nach rechts und nach links, scheu und unschlüssig, nach welcher Seite er sich wenden sollte. Auch er wandelte endlich langsam, schleichenden Fußes der Kirche zu, blieb manchmal stehen, lauschte und spähte umher, schritt dann weiter bis zur Biegung des Kreuzganges, wo er plötzlich wie gebannt anhielt. Dort auf der Bank in der Mitte dieses Ganges sah er eine andere schwarze Gestalt sitzen, gleichfalls bis über das Haupt verhüllt, die sich nicht regte, aber dem zuletzt Gekommenen das Antlitz zukehrte und ihn zu erwarten schien. So blickte jeder den anderen schweigend an, ohne dessen Gesicht und Augen sehen zu können. Dann näherte sich der stehende Mönch dem sitzenden; dieser breitete die Arme aus, und sich erhebend umfing er jenen, der sich selber rasch an seine Brust warf. Ein Aufschrei, -- und schnell suchte sich der Umschlungene aus den Armen des ihn Haltenden zu befreien. »Das ist Richilde nicht!« sprach der letztere betroffen. »Laßt mich los, oder ich rufe um Hilfe!« drohte der andere in seiner Angst. »Juliane!!« -- eine ganze Stufenleiter von Tönen drückte beim Nennen dieses Namens das höchste, überraschteste Staunen des Sprechers aus. »O abscheulich! eine Falle!« rief Juliane voller Entrüstung. »In die ich auch gegangen bin,« sagte Hans ebenso bestürzt. »Ich erwartete hier Eure Tochter Richilde.« »Ich auch,« erwiderte Juliane, fast noch atemlos vor Schreck. »Ihr auch?« frug Hans. »Wollt Ihr noch unschuldig und verwundert tun?« zischte sie. »Ihr habt mich durch Sidonie hierher locken lassen unter der Vorspiegelung, Richilde wollte mich um Verzeihung bitten. Gesteht es!« »Ich Euch hergelockt?« sprach Hans. »Nein, bei Gott nicht! Auch mich hat Sidonie herbestellt mit dem Vorgeben, Fräulein Richilde wünschte mich hier zu sprechen.« »Sidonie! und immer Sidonie! -- O sie soll es büßen, die über alle Maßen Kecke!« zürnte Juliane, eine Bewegung zum Rückzug machend. »Bleibt hier, Juliane!« bat Hans und streifte die Kapuze zurück, daß sein Kopf frei wurde. »Wir haben uns lange nicht gesprochen; kommt! setzt Euch zu mir; ich muß Euch fragen, was Ihr gegen mich habt. Wir schieden zuletzt auf der Minneburg als gute Freunde, und nun seid Ihr gegen mich kalt, abweisend, schnöde, als hätte ich Euch schwer beleidigt. An der Entführung Eurer Tochter bin ich so unschuldig wie Ihr. Sagt mir: was ist vorgefallen? was habe ich Euch getan?« »Das wagt Ihr noch zu fragen?« herrschte sie ihn an, doch immer im Flüsterton sprechend. »Nun, so vernehmt und sinkt vor Scham in den Boden: ich kenne das Recht der Hagestolze und weiß, was Ihr damit gegen mich im Sinn habt!« »Das Recht der Hagestolze?« wiederholte Hans befremdet und langsam, »was ist das? Ich bin freilich ein armer Hagestolz und habe, Gott sei Dank! wenig Pflichten; aber daß ich als solcher auch ein Recht hätte, hab' ich bislang noch nicht gewußt. Klärt mich darüber auf, liebste Freundin, damit ich imstande bin, mein Recht wahrzunehmen.« Er setzte sich auf die Bank und lud sie noch einmal mit einer Handbewegung ein, neben ihm Platz zu nehmen. Sie blieb jedoch vor ihm stehen und sagte gereizt: »Junker Hans Landschad, glaubt nicht, Euren Spott mit mit treiben zu können! Ich frage Euch jetzt auf Euer Ritterwort: Wißt Ihr nichts vom Recht der Hagestolze? wißt Ihr nicht, welchen Plan man gegen mich geschmiedet hat, um mich -- oh, ich bringe es nicht über die Lippen.« »Auf mein Ritterwort, Juliane! ich weiß nichts von alledem; ich verstehe nicht, ich ahne nicht einmal, was Ihr meint und wo Ihr damit hinaus wollt,« entgegnete er tief erregt. Ehe er ausgeredet hatte, saß sie neben ihm und starrte ihn regungslos, wortlos an. »Sollte sich aber irgend jemand unterstehen,« fuhr er immer heftiger werdend fort, »es sei, wer es sei, Euch mit Plänen und Absichten zu nahe zu treten, die Euch im mindesten unangenehm wären, so soll er meinen Arm zu fühlen bekommen, so wahr ich Hans Landschad heiße! Genügt Euch das?« »Ja! ja!« sagte sie bloß, aber ihre Stimme bebte, als würde sie von Tränen erstickt. Sie ergriff seine Hand und drückte sie mit aller Kraft und hielt sie fest, als wollte sie sie nie wieder loslassen. Die Kapuze war ihr vom Haupte gefallen; in ihrem Busen stürmte und wogte es, und es gelang ihr nicht, ihre gewaltige Bewegung vor ihm zu verbergen. »Juliane, was ist Euch?« frug er erschrocken. »Ihr zittert; was ist geschehen? ich bitte Euch, erklärt mir --« »Man hat Euch verleumdet,« stieß sie heraus, »und ich -- ich habe Euch viel abzubitten, Hans Landschad! jetzt könnte ich selber vor Scham in den Boden sinken, aber sagen -- kann ich Euch nichts.« Ihr Atem ging hörbar, und es klang wie unterdrücktes Schluchzen. Unwillkürlich lehnte sie ihr Haupt an seine Schulter, als müßte sie Halt und Stütze an ihm suchen. Da schlang er den Arm um sie und zog sie näher und näher; sie ließ es geschehen, schmiegte sich, preßte sich an ihn, hob ihr Antlitz zu ihm empor, und lange, lange ruhte sein Mund auf ihrem Munde. Dann flüsterte er: »Juliane! Juliane! -- und wenn diese Mauern über uns zusammenbrächen und uns unter ihrem Schutte begrüben, ich muß es sagen, ich kann nicht anders. Juliane, -- ich liebe dich! ich liebe dich vieltausendmal mehr, als mein Leben, und wenn du nicht mein wirst --« Er konnte nicht weiter sprechen. »Dein! -- dein!« stammelte sie, umhalste und küßte ihn, als wollte sie seine Seele bis auf den letzten Hauch in ihre Seele ziehen. Dann blickte sie ihm nahe, tief in die Augen, und das blühende, lächelnde Frauengesicht mit dem aschblonden Haar schaute gar anmutig und lieblich aus der dunklen Mönchskutte heraus. Schwärmerisch sagte sie: »Hans, so kannst du mich doch nicht lieben, wie ich dich liebe!« An der Brust des in seinem Glücke schwelgenden Mannes ruhte das wonnedurchschauerte Weib, und in ihrem Liebesrausche merkten sie nichts davon, daß in diesem Augenblick eine dritte Mönchsgestalt den Kopf um die Ecke des Kreuzganges bog und sie belauschte. Sidonie war es. Sie sah in der Dämmerung noch deutlich genug, daß da zwei sich innig umschlungen hielten. »Alles in Ordnung; sie haben sich!« jubelte sie still und verschwand wieder. »Hans,« frohlockte Juliane, »was werden sie im Neckartal sagen, wenn sie hören, daß wir uns heiraten?« »Hei -- heiraten?« frug Hans. »Nun, was hindert uns denn noch? -- wir sind ja einig -- haben uns von Herzen lieb --« »Ja, ja, -- aber -- -- heiraten? -- hm!« »Hans!« rief Juliane und rückte ein Stück von ihm weg. »Was denkst du denn? -- meinst du etwa --? Ach, ich vergaß, du närrischer Kauz! Deine Furcht vor der Ehe; die mußt du nun bezwingen.« Sie hatte den Arm wieder um seinen Nacken gelegt und lächelte ihm schelmisch zu. Verlegen, schier ängstlich sah er sie an, und fast wie ein entsagungsvoller Seufzer klang es: »Muß ich? -- geht es nicht anders, Juliane?« »Nein! anders geht es nicht, Hans!« lachte sie. »Du willst den Hagestolz zum Manne, zum angetrauten Manne haben?« »Freilich will ich! was sonst?« »Willst mein Weib sein? mein wirkliches Weib? die Frau des Ehehassers?« »Ja! ja! -- wenn er mich nur nicht haßt!« »Nun, -- da! da hast du ihn! nimm ihn hin!« rief er, sie heiß umschlingend. »Ich hätt's nimmer gedacht! O Sidonie! Sidonie! -- Was machen wir mit Sidonie?« »Ach! nichts, -- ich weiß nicht, -- verziehen und vergeben!« »Und Richilde?« »Vergeben und verziehen!« »Und Ernst?« »Soll sie haben! aber erst, wenn wir uns haben.« [Illustration: »Morgen früh, Juliane, gehen wir zum Abte; uns wird er ja wohl den Segen nicht verweigern.«] »Morgen früh, Juliane, gehen wir zum Abte; uns wird er ja wohl den Segen nicht verweigern; morgen, morgen am Tage knien wir am Altar, und Juliane Rüdt von Kollenberg wird Hans Landschads Frau! Aber sie -- glauben's uns nicht, Juliane! gib acht, sie glauben's uns nicht!« »Sie werden es glauben, Geliebter, -- wenn sie es sehen,« hauchte sie und schmiegte sich an ihn und bebte vom Wirbel bis zur Sohle. Nach einer Weile nahm sie seinen Kopf zwischen ihre Hände, küßte ihn auf die Stirn und sprach: »Du hast dich um meinetwillen geschlagen, hast dein Leben für mich gewagt; warum tatest du das? weil du mich liebtest?« »Weswegen denn sonst?« lachte er. »Ich liebe dich, seit ich dich kenne.« »Sage das noch einmal!« »Seit ich dich kenne, liebe ich dich und werde dich lieben, so lange mein Herz schlägt.« »O du -- du -- wie nenn' ich dich?!« jauchzte sie und umfing ihn mit lodernder Glut. »Meine Liebe sollst du erst kennen lernen! Aber erzähle mir, wie kam das mit Bödigheim?« »Laß das!« bat er, »mein Hieb traf ihn besser, als seiner mich. Sage mir lieber: was ist das mit dem Recht der Hagestolze?« Nach kurzem Besinnen erwiderte Juliane: »Wenn ein Hagestolz eine Frau liebt, mit ganzer Seele liebt, so soll er sie zu seinem Weibe machen, und sie soll ihm alles, was sie weiß und kann, zuliebe tun und ihn so grenzenlos glücklich machen, -- wie er es gar nicht verdient. Das ist das Recht der Hagestolze.« Er merkte wohl, daß sie mit dieser scherzhaften Erklärung etwas umging, was sie ihm in diesem Augenblick nicht offenbaren wollte, und drang deshalb nicht weiter in sie, sondern sagte: »Nun, so wollen wir den grimmen Ehehaß so tief begraben, daß seine Auferstehung unmöglich ist.« »Wir setzen ihm ein Denkmal, Hans!« lächelte sie. »So? was denn für eins, Liebchen?« frug er vorwitzig. »Stille, du Loser!« rief sie errötend und schloß ihm den Mund. »Komm!« sprach sie dann, »laß uns aufbrechen, ehe wir noch hier entdeckt werden; die Nacht ist fast tageshell vom Monde. Jeder gehe in seine Zelle und schlafe, wenn er schlafen kann!« »Und morgen lassen wir uns beim Abte melden,« sagte Hans, »und Sankt Rucho und Sankt Trotto müssen einen Hochzeitsschmaus zum besten geben, von dem die Chronika des Klosters mit roten und blauen Buchstaben, unsere Namen mit Gold geschrieben, erzählen soll!« »Morgen, morgen!« flüsterte sie an seiner Brust. Endlich rissen sie sich los und trennten sich und begaben sich, jeder seines Glückes voll, in ihre Zellen. -- Juliane hatte, während sie sich entkleidete, fast Mühe, ihre Gedanken zu sammeln, und sie hätte das Erlebte für einen holden Traum gehalten, hätte ihr nicht das Mönchsgewand, das nun dort auf dem Bette lag, die Wirklichkeit des Geschehenen bezeugt. Mit der größten Freude jedoch erfüllte sie die ihr gewordene Erkenntnis von Hansens Unschuld. Er wußte nichts vom Recht der Hagestolze und nichts von der Absicht seines Bruders, ihn deshalb zu verheiraten. Nicht Berechnung, nicht die Sorge um die Erbfolge in seinem Eigen, sondern seine wiedererwachte Liebe nur hatte ihn zu ihr geführt, seine tief eingewurzelte Abneigung gegen die Ehe besiegt und ihr sein Herz geschenkt. Wie von Bergeslast befreit, war ihre Seele heiter und hell in dem Gefühl, daß keines Zweifels Schatten mehr an dem Geliebten haftete. Der Plan ihres künftigen Schwagers war allerdings gelungen; Bligger bekam seinen Willen, aber sie -- sie bekam den Mann ihrer Sehnsucht. Und vielleicht war auch Bligger nicht so schwer zu verdammen. Er, Engelhard, Erlickheim, und wer sonst noch an dem Anschlag beteiligt sein mochte, hatten vielleicht des hagestolzen Freundes heimliche Liebe zu ihr entdeckt und seine Werbung um sie mit allen Mitteln herbeizuführen gesucht, um zwei Ziele auf einem Wege zu erreichen. So wollte sie denn auch denen nicht länger zürnen, die -- ob mit oder ohne Wissen und Wollen -- ihr zum höchsten Glück ihres Lebens verholfen hatten. -- Ob wohl Sidonie mit ihnen im Bunde war? Die Übermütige hatte ihr arg mitgespielt, hatte viel dabei gewagt; aber da sie ihr gewagtes Spiel gewonnen hatte, sollte auch ihr alle List und aller Trug vergeben sein. -- »Hans! Hans! und das alles um dich!« flüsterte sie, »ehe zwölf Stunden vergangen sind, bin ich dein Weib, und --« Es klopfte schüchtern und leise. Julianen überfiel ein Zittern; sie konnte nicht sprechen. Wer kam? jetzt mitten in der Nacht! -- Sie öffnete ein wenig die Tür, -- ein Mönch! -- An allen Gliedern bebend, mit hochklopfendem Herzen wich sie zurück; -- der Mönch trat ein, schlug die Kapuze zurück, -- Richilde stand vor ihr. Sidonie, die Unermüdliche, hatte so lange gewartet und gespäht, bis sie Julianen wieder in ihre Zelle schlüpfen sah, war dann zu Richilde geschlichen und hatte die Tochter zur Mutter geschickt. »Mutter! -- Verzeihung! -- ich kann nicht schlafen --« schluchzte Richilde und wollte Julianen zu Füßen sinken. Diese schloß ihre Tochter in die Arme, küßte sie auf das Haar und sagte: »Alles, du Böse, du Liebe! Wie ein glücklicher Traum hat sich alles gelöst und erfüllt; du sollst ihn morgen erfahren; jetzt aber geh! jetzt ist mir das Herz zum Reden zu voll.« Richilde umfing ihre Mutter mit stürmischer Zärtlichkeit, aber Juliane wehrte sie sanft von sich ab und wiederholte, sie noch einmal an ihre Brust drückend: »Geh! laß mich allein; warte bis morgen und schlafe ruhig!« Fröhlichen Herzens gehorchte Richilde. -- Am Morgen, noch vor dem Frühmahl, ließ Juliane den Abt fragen, ob er sie in seinem Gemache zu der gewünschten Unterredung empfangen wolle, wozu jener sofort bereit war. Auf dem Gange dahin traf sie Hans, der ihrer dort schon harrte. Zusammen betraten sie das Zimmer des Abtes. »Meinhard,« begann Hans ziemlich befangen, »du hast recht und wohl getan, daß du die beiden törichten Kinder ohne die Zustimmung ihrer Eltern nicht trauen wolltest. Aber wenn nun zwei Menschen zu dir kämen, die nicht Vater und Mutter mehr haben und mündig sind und zu dir sprächen: Hochwürdigster Abt, habt die Gnade und legt unsere Hände mit dem Segen des Himmels ineinander, daß wir Mann und Frau werden, -- was würdest du dann tun?« Der Abt blickte verwundert von Hans auf die errötende Juliane und von Juliane auf den glückstrahlenden Hans und sagte lächelnd: »Dann würde ich mir den Bruder Sakristan kommen lassen und ihm befehlen: Heute nach dem Hochamt sollen alle Glocken läuten und alle Kerzen brennen, denn ich will meinen Freund Junker Hans Landschad von Steinach und Frau Juliane Rüdt von Kollenberg am Altar des Herrn für Zeit und Ewigkeit zusammengeben.« Und den beiden die Hände reichend fügte er freudig bewegt hinzu: »Glück und Segen eurem Bunde! Das ist das Klügste, Hans, was du je in deinem Leben getan hast, und Ihr, gnädige Frau, werdet es sicher nie bereuen, diesen verstockten Junggesellen, dem ich lange genug das Evangelium der Liebe gepredigt habe, endlich zu seinem Heile bekehrt zu haben.« »Ich will es hoffen, hochwürdiger Herr!« erwiderte sie schalkhaft mit einem vollen Blick auf den Geliebten. »Also der Bruder Sakristan soll kommen,« sprach Hans; »aber die würdigen Brüder Rucho und Trotto doch auch, nicht wahr?« »Die auch,« lächelte der Abt, »aber vorher wohl noch zwei andere. Frau Juliane, was habt Ihr über Eure Tochter und Junker Ernst beschlossen?« »Ich werde hier in Eurer Gegenwart meine Zustimmung zu ihrem Verlöbnis geben,« sagte Juliane, »und noch ehe der erste Schnee auf den Dächern liegt, bitte ich Euch, hochwürdiger Herr, mein Gast zu sein und in der Kapelle der Minneburg die beiden zu trauen.« »Seid gelobt und gedankt für diesen Entschluß!« sprach der Abt. »Wissen sie es schon?« »Nein.« »So will ich sie rufen lassen.« Er zog an einem Glockenstrange und befahl dem eintretenden jungen Mönch, Junker Ernst und Fräulein Richilde freundlichst hierher zu entbieten. Natürlich kam Sidonie mit. Sie hielt sich hinter den beiden anderen, die selber noch voll Bangen über die Entscheidung ihres Schicksals waren, möglichst versteckt und lugte halb listig, halb ängstlich hinter ihnen hervor. Von Hans sowohl wie von Juliane streifte sie ein rascher Blick, der drohend sein sollte, aber sehr heiter und zugleich etwas schüchtern ausfiel. In den blitzenden Augen des durchtriebenen Mädchens lauerte schon wieder irgendeine neue Schelmerei. »Junker Ernst und Fräulein Richilde,« nahm der Abt das Wort, »ich habe Euch eine große Freude zu verkünden. Die edle Frau hier willigt in Euren Herzensbund, und vor dem Winter noch --« Ein Aufschrei aus beider Mund und Herzen unterbrach ihn, und beide wollten sich Julianen an den Hals werfen. Diese aber fing mit einer geschickten Bewegung Richilde auf und schob sie rasch in die ausgebreiteten Arme Ernsts. Der eine lachte, die andere weinte vor Freuden, und die übrigen weideten sich an dem Anblick beglückter Liebe. Da trat Sidonie vor und sprach so ernsthaft, wie sie es vor innerlich prickelndem Mutwillen fertigbringen konnte: »So hat Euch der hochwürdige Abt wohl von dem Schwur entbunden, Frau Juliane, den Ihr mir, dem Neckar und dem Walde der Minneburg geleistet habt? Ihr schwuret: Juliane Rüdt von Kollenberg wird niemals, niemals zugeben, daß ihre Tochter eines Landschaden Frau wird!« »O du frömmstes und strengstes aller Mädchengewissen, das nie um eines Haares Breite vom Pfade der Tugend weicht, und dessen Mund nichts, als lautere Wahrheit spricht!« erwiderte Juliane lachend, »mit dir rechne ich noch besonders ab. Jetzt aber will ich dir sagen: Juliane Rüdt von Kollenberg verbietet, aber Juliane Landschad von Steinach wird gestatten, daß auch ihre Tochter eines Landschaden Frau wird.« Dabei hatte sie stolz Hansens Hand ergriffen und an ihr Herz gedrückt. »Was? -- was ist das?« frug Ernst wie aus den Wolken fallend, »Ohm Hans! -- hab' ich recht gehört? Du willst -- heiraten?! Aber Ohm Hans! sage mir: Liebst du die Freiheit, die Ungebundenheit, das wohlige, sichere Bewußtsein, tun und lassen zu können, was du willst, gehen, wohin --« »Schweig, du Gelbschnabel!« unterbrach ihn Hans. »Weißt du denn, warum ich meine Freiheit opfere? warum ich es aufgebe, ganz nach meinen Wünschen, nach meinem Belieben und Geschmack zu leben? -- nur um dich leichtsinnigen, undankbaren Menschen von einer Schwiegermutter zu befreien!« »Junker Hans!« fuhr Juliane auf ihn los, mußte aber doch in das schallende Gelächter der übrigen einstimmen. »Das Gespenst der Schwiegermutter!« rief Ernst in der überschwenglichen Freude seines Herzens, indem er sich vor Juliane verneigte und ihr ritterlich die Hand küßte. »Nun ja,« sagte Hans; »es bleibt mir ja nichts anderes übrig, als es durch Heiraten zu bannen, damit es wenigstens nicht unter einem Dache mit euch haust.« »Schwiegermuttergespenst und gebannt werden! echt hagestolz!« lacht Juliane. »Als dein Mann, Juliane, werde ich mich bessern,« gelobte Hans. »Wann macht ihr Hochzeit?« frug Sidonie. »Heute nach dem Hochamt werden Junker Hans und Frau Juliane Mann und Frau,« sprach der Abt, da die beiden Beteiligten plötzlich schwiegen. »Heute hier? im Kloster? O bewahre! das geht nicht, da wird nichts draus!« sagte Sidonie. »Wir wollen eine große, feierliche Hochzeit auf der Minneburg haben voll Pracht und Prunk, mit Spiel und Tanz und festlicher Kurzweil. Alle Landschaden müssen dabei sein, alle Hirschhorns, Erbachs, Erlickheims und alles, was auf den Neckarburgen sitzt. Wenn Juliane von der Minneburg und Ohm Hans Hagestolz heiraten, so muß das mit allem erdenklichen Glanz geschehen, und dazu gebrauchen wir Vorbereitungen, die Wochen und Monde in Anspruch nehmen.« Hans und Juliane sahen sich betreten an. Hans wußte nicht, was er darauf erwidern sollte; Juliane jedoch, Purpurglut im Antlitz, entschied: »Wir wollen das später bei Richildens Hochzeit nachholen; ich aber werde heute hier im Kloster Frau Landschad von Steinach. Wie dürfte ich sonst, meinem Eide treu, in Ernsts und Richildens Verlöbnis willigen?!« »Ja so!« lachte Sidonie mit einem verständnisvollen Blick in Julianens leuchtende Augen. »Ja freilich, dieser einzige Grund ist schlagend; daran dachte ich nicht. Hochwürdiger Herr,« wandte sie wichtigtuend sich an den Abt, »dann laßt das Hochamt nur recht bald seinen Anfang nehmen, Ernst und Richildens wegen! Aber da wir beide die einzigen nicht Verliebten hier sind, so dürfen wir auch Hunger haben; ich glaube, im Refektorium wartet das Frühmahl auf uns. Und nachher, Richilde, winden wir Blumenkränze für das Brautpaar Hans und Juliane. Himmel! was wird Ohm Bligger dazu sagen!« »Kommt Freunde!« sprach der Abt sogleich, »Fräulein Sidonie hat Hunger.« Fünfundzwanzigstes Kapitel. Am Abend desselben Tages, an welchem Hans in der Morgenfrühe von Hause weggeritten war, traf in Neckarsteinach endlich Engelhard von Hirschhorn ein, dessen Besuch Bligger bereits seit einigen Tagen erwartete. Er kam mit seltsam lautenden Nachrichten und erzählte folgendes. Nach seinem heftigen Auftritt mit Juliane, von dem er des näheren berichtete, hätte er seiner Tochter Sidonie geboten, nach Zwingenberg zurückzukehren, und ihr erlaubt, ihre beiden Freundinnen Hiltrud und Richilde mitzubringen. Da die Mädchen aber bis gestern abend nicht eingetroffen wären, hätte er heute morgen einen reitenden Boten nach der Minneburg geschickt, um nach dem Grunde ihres Ausbleibens zu forschen. Der Bote wäre jedoch mit der Meldung wiedergekommen, die drei Fräulein hätten die Burg gestern nach Mittag verlassen, und Frau Juliane wäre ihnen heute morgen, gleich nachdem der Sohn des Juden Isaak Zachäus bei ihr gewesen wäre, eiligst und mit allen Zeichen großer Erregung gefolgt und hätte den Burgvogt und drei Mann im Harnisch mitgenommen. Wohin die Damen geritten wären, hätte niemand sagen können. Da hätte sich Engelhard sofort aufgemacht, um zu versuchen, ob er vielleicht hier etwas über den Verbleib seiner Tochter erfahren könnte. Bligger und seine Frau waren starr vor Staunen, und ersterer teilte nun dem Freunde mit, daß zu derselben Zeit wie die Fräulein und Juliane von der Minneburg auch Ernst und Hans von hier weggeritten wären, ohne zu sagen wohin, Hans mit Zurücklassung des Bescheides, er wäre da, wo Ernst wäre. Bligger hätte nun nicht anders geglaubt, als daß sie beide auf der Minneburg wären, und hätte an den Zweck und Erfolg dieses geheimnisvollen Rittes schon die erfreulichsten Hoffnungen geknüpft. Daß sie bis jetzt noch nicht zurück wären, hätte auch ihn schon beunruhigt, nun aber wüßte er vollends nicht, was er davon denken sollte. »Daß sie alle sechs beieinander sind, die vier Frauenzimmer von der Minneburg und eure beiden Ausreißer von hier, ist höchst wahrscheinlich; aber wo?« sprach Engelhard. »Wir wollen Josephine einmal ins Verhör nehmen,« sagte Bligger. »Käthe, laß sie rufen; sie soll sofort erscheinen.« »Josephine? wer ist das?« frug Engelhard. »Das ist der Sohn des Juden Isaak Zachäus,« lachte Bligger; »wirst ihn gleich sehen.« Engelhard stutzte nicht wenig, als er bald darauf ein blühendes Mädchen eintreten sah. Bligger aber stellte sie sofort mit der Frage: »Josephine, wo ist Junker Ernst?« Die Angeredete schlug die Augen nieder und schwieg. »Du weißt es, Josephine! denn du warst heute morgen bei Frau Rüdt von Kollenberg auf der Minneburg. Was du ihr verraten hast, kannst du auch uns mitteilen, und ich verlange die Wahrheit!« Josephine, in ihrem Schrecken, sich als Verräterin entlarvt zu sehen, versuchte nicht zu leugnen, sondern gestand unumwunden: »Junker Ernst hat mir anvertraut, daß er Fräulein Richilde nach dem Kloster Sinsheim entführen und sich dort mit ihr trauen lassen wollte.« »Kreuzhageldonnerschlag!« platzte Bligger los. -- »Es ist gut, wir wissen genug,« wandte er sich dann zu Josephine, die froh war, so schnell wieder loszukommen, und flugs aus dem Zimmer verschwand. »Engelhard! Käthe! was sagt ihr dazu?« fuhr Bligger fort. »Nun ist's aus, alles aus. Jetzt macht euch, wenn ihr könnt, eine Vorstellung von Julianens Wut auf uns Landschaden! Erst werfen wir ihren Gatten nieder, legen ihn ein und nehmen ihm einen Wald ab. Dann schlägt Hans ihren Freier Bödigheim dreiviertel tot --« »Das weiß sie ja noch gar nicht,« fiel Engelhard ein. »Desto schlimmer! -- Dann erfährt sie, daß wir sie mit Hans verheiraten wollen, damit sein Erbe nicht dem Hagestolzenrecht verfalle, und endlich entführt Ernst ihre einzige Tochter. Wenn da nicht die Schale ihres Zornes überläuft, so trägt sie ein Taubenherz in der Brust. Glaubt ihr, daß sie jetzt noch Lust hat, eines Landschaden Frau zu werden?« »Ach nein,« lächelte Katharina. »Ich hätte an weniger als der Hälfte davon genug, um diese Lust zu verlieren. Ob sie nun wohl in Sinsheim ist?« »Sicher! und Hans auch!« sagte Bligger. »Na,« lachte Engelhard, »wenn die beiden da zusammentreffen, dann kann es gut hergehen! Da müssen wir hin, Bligger!« »Das versteht sich!« erwiderte dieser. »Du bleibst die Nacht hier, und morgen in aller Frühe reiten wir.« -- Josephine begab sich stehenden Fußes von dem Gemach des Burgherrn zu ihrem Vater und erklärte ihm mit einem heiligen Schwur: wenn er nicht auf der Stelle mit ihr aufbräche und von hinnen zöge, so würde sie allein gehen, und er würde sie niemals wiedersehen. Eine Stunde später schritten Isaak Zachäus und sein Sohn Joseph aus dem Tore der Mittelburg, und der Torwart, der nicht annehmen konnte, daß es ohne Wissen und Willen seines Herrn geschehe, versperrte ihnen den Weg nicht. Schweigend und kummervoll wanderten und wanderten sie ohne Rast durch die stille Mondnacht dahin, und im Neckartal sah man sie niemals wieder. -- Am nächsten Vormittag langten Bligger und Engelhard bei der Abtei Sinsheim an. Die Glocken läuteten, und Bligger erhielt auf seine Frage nach der Bedeutung der feierlichen Klänge vom Bruder Pförtner, der keinen der beiden Ritter kannte, den Bescheid: »Ein Landschad von Steinach wird mit einer Rüdt von Kollenberg getraut; sie sind schon in der Kirche.« Die Freunde blickten sich kopfschüttelnd an. »Engelhard,« sagte Bligger, »das Raten und Prophezeien geb' ich auf. Jetzt kann kommen, was will; ich bin auf alles gefaßt.« »So geht's mir auch,« erwiderte Engelhard, »und du kannst noch von Glück sagen, daß du, wenn auch als ungebetener Gast, zur Hochzeit deines Sohnes noch eben zurechtkommst.« Mit leisen Schritten betraten sie die Kirche; aber auf den Anblick, der sich ihnen hier darbot, war Bligger doch nicht gefaßt gewesen. Die Mönche waren versammelt und sangen einen lateinischen Hymnus. Am Altar, auf dem alle Kerzen brannten, im großen Ornat, angetan mit den Zeichen seiner Würde, stand der Abt, Herr Meinhard von Angeloch, und vor ihm das zum Empfange des Segens bereite Brautpaar. Aber dieses Brautpaar waren nicht Ernst und Richilde, sondern Hans und Juliane. Beide hatten Kränze auf den Häuptern, und von Julianens Schultern wallte lang herab ein prächtiger Mantel von hellblauer Seide, mit Zobel besetzt und reich mit Gold bestickt, den Sidonie heimlich für Richildens Trauung mitgenommen hatte. Engelhard rieb sich die Augen und Bligger sagte: »Engelhard, tu mir die Liebe und wecke mich! ich träume zu verrücktes Zeug.« »Ich bin verhext,« erwiderte Engelhard. »Sind das da Hans und Juliane, oder sind sie's nicht?« »Gott sei mir gnädig! sie sind's!« »Begreifst du das, Engelhard?« »Nein, Bligger!« »Ich auch nicht.« Sich im Hintergrunde haltend sahen sie auch Ernst, Richilde und Sidonie in der Nähe des Altars und weiter zurück als aufmerksame Zeugen der heiligen Handlung Julianens Burgvogt Weiprecht Kleesattel mit drei Reisigen stehen. Wie einem vor ihren Augen geschehenden Wunder wohnten sie, von den Ihrigen da vorn unbemerkt und unvermutet, der Trauung bei, hörten die Rede des Abtes, seine Fragen und seinen Segen, mit dem er die Ehe des Paares schloß und weihte, und als er Amen sagte und der Gesang der Mönche wieder einsetzte, da waren Hans und Juliane vor Gott und Menschen Mann und Frau. »Engelhard,« raunte Bligger während des Gesanges, »nun ist es wirklich erreicht, was wir gewünscht und geplant hatten, und als wir unser Spiel verloren gaben, da war es gewonnen.« »Weißt du noch,« sprach Engelhard, »wie wir bei dir zusammen waren und uns berieten?« »Und Ihr mich alle auslachtet? gewiß weiß ich's noch,« erwiderte Bligger. »Und wie gut war gleich mein erster Vorschlag! Hätten wir Hans nicht mit dem Angebot des Waldes zu Juliane geschickt, so hätten sie sich vielleicht im Leben nicht wiedergesehen.« »Es ist dein Werk, Bligger! und heute wird es gekrönt. Wie wird Lauffen sich bosen, wenn er's erfährt!« flüsterte Engelhard. »Ja, darauf freue ich mich,« hohnlachte Bligger. »Morgen reite ich auf den Dilsberg, und Lauffen soll an meinem Spott zu schlucken haben.« »Still! sie kommen!« Die gottesdienstliche Feier war zu Ende. Die beiden Ritter verließen die Kirche schnell und geräuschlos, um sich noch nicht sehen zu lassen, und erfuhren von den Laienbrüdern, daß sie den Abt mit seinen vornehmen Gästen bis zum Beginn des Mahles im kleinen Refektorium finden würden. Ein seltsamer Hochzeitszug bewegte sich nun durch den Kreuzgang. Unter Vorantritt rauchfaßschwingender Chorknaben und junger Mönche mit Kreuz und Kirchenbanner kam, den Krummstab in der Hand, der Abt dahergeschritten und hinter ihm das eben verbundene Paar, gefolgt von Ernst, Richilde und Sidonie. Dann kam der Prior mit den Würdenträgern des Klosters und endlich die lange Reihe der psalmodierenden Mönche, denen sich Weiprecht Kleesattel mit seinen drei Geharnischten anschloß. Die wenigen Bevorzugten begaben sich in das kleine Refektorium, wo das Paar ihre Glückwünsche entgegennahm. Darauf entfernte sich der Abt, um sich seiner Pontifikalkleider zu entledigen. Jetzt traten Bligger und Engelhard herein, und wenn die beiden größten Glocken des Klosterkirchturms hereingewandelt gekommen wären, so hätte die Überraschung kaum gewaltiger sein können, als sie beim Erscheinen der beiden Ritter war. »Bligger! Engelhard! Gottwillkommen!« rief Hans in lauter Freude und stürmte auf die beiden los. »Seht her, ich hab' eine Frau! Juliane, Juliane ist mein!« »Glück zu, lieber Bruder!« erwiderte Bligger, »wir sahen, wie ihr getraut wurdet.« »Aber unseren Augen wollten wir nicht trauen,« setzte Engelhard hinzu. »Das glaub' ich euch!« lachte Hans. »Auf den Gedanken bist du _nie_ gekommen, Bligger!« »Nein, niemals!« sagte Bligger, sich auf die Lippen beißend. »Liebe Frau Schwägerin,« wandte er sich nun zu Juliane, »nehmt in Huld und Gnade den herzlichen Glückwunsch dessen, den Ihr irriger Weise so lange für Euren schlimmsten Feind gehalten habt! Niemand außer euch beiden kann sich mehr über eure Heirat freuen, als der, der jetzt in tiefster Ergebenheit diese schöne Hand an seine Lippen führt.« »Wohlan, Herr Schwager! so wollen wir denn um Hansens willen hiermit unsern Frieden machen und fürder gute Freundschaft miteinander halten,« gab sie ihm froh und versöhnlich zur Antwort und drückte ihm die Hand dabei. »Wir auch, Juliane?« frug Engelhard hinzutretend. »Wir auch, du heimtückischer Mensch!« erwiderte sie. »Warum hast du mir denn nicht gesagt, daß sich Hans für mich geschlagen hat?« »Lieber Gott!« entgegnete er, »dir das zu sagen, war ja der Zweck meines Besuches; aber Haß allem, was Landschaden heißt! war deine Losung, und ich kam --« »Du warst ihr Anwalt,« unterbrach sie ihn, »wolltest die Mohren weiß waschen und spieltest den Unwissenden und Unschuldigen gegen mich.« »Nein, ich kam nur --« »Du wandtest dich um meine Fragen herum wie ein Aal,« fuhr sie fort, »und als ich dich immer enger und enger umspann, zogst du den Kopf aus der Schlinge und ranntest davon.« »Ich komme wieder nicht zu Worte!« rief er händeringend aus und war mit ein paar Schritten neben seiner Tochter. »Du Wildfang mußt natürlich bei allen dummen Streichen dabei sein,« redete er sie an. »Bloß dabei sein, Vater?« lächelte Sidonie. Bligger, die Braut seines Sohnes an der Hand, sagte: »Ja, Mädchen, mit dir im Bunde will ich den Teufel mit der Hexe von Endor verheiraten.« »Dabei würden wir uns die Finger verbrennen, Ohm Bligger, denn wir müßten dazu in die Hölle,« lachte Sidonie. Jetzt erschien der Abt wieder und begrüßte die neuhinzugekommenen Gäste aufs freundlichste. Gleich darauf meldete der Bruder Schaffner, daß alles bereit sei, und unter Führung der würdigen, wuchtig und gemessen voranschreitenden Brüder Rucho und Trotto wandelte man paarweise in den Speisesaal. Die Tafel war diesmal im großen Refektorium gedeckt, denn auf Hansens und Julianens Wunsch sollten alle Brüder des Klosters an dem Hochzeitsmahl teilnehmen, und der Abt hatte den Mönchen Dispens gegeben, daß sie essen und trinken, reden und scherzen konnten, soviel sie wollten. Der Abt sprach ein Tischgebet und dann nahm man Platz, Herr Meinhard zwischen dem Ehepaar und dem Brautpaar, ihm gegenüber Sidonie zwischen Bligger und Engelhard, die Küchenmeister und Kellermeister zur Seite hatten. Es ging sehr fröhlich her. Die sich folgenden Gerichte waren vortrefflich zubereitet, und der große Freudenbringer Wein tat seine Schuldigkeit, entflammte die Herzen und löste die Zungen, so daß in der hohen, weiten Halle ein beständiges Surren und Brausen vieler lustig durcheinanderschwirrender Stimmen ertönte. Bligger bedauerte, daß die Seinigen nicht alle zugegen wären, denn er fühlte sich, als feierte er hier einen ruhmvollen Sieg, dessen Errungenschaft er mit stolzem Behagen genießen wollte. »Was hat euch denn in aller Welt so schnell zusammengeführt?« frug er herausfordernd das ihm gegenübersitzende Paar. »Das Recht der Hagestolze nicht, Herr Schwager!« erwiderte Juliane schlagfertig. »Was wollt ihr nur mit eurem Recht der Hagestolze? davon habe ich in meinem Leben noch nichts gehört,« wandte sich Hans an Bligger und Engelhard. »Frage die nicht, Schatz!« riet ihm Juliane. »Die sagen dir's doch nicht.« Bligger ward es in Voraussicht des nun Kommenden gewitterschwül, und er verwünschte im stillen seine unbedachte Frage. »Das ~jus misogamorum~,« ließ sich der Abt vernehmen, »ist eine so heilsame ~institutio~, daß es verdiente, in das ~corpus juris canonici~ aufgenommen zu werden, denn Kirchen und Klöster verdanken ihm manches wackere Junggesellenerbe.« »Aha! Bligger, hörst du's?« bemerkte Engelhard. »Was sagte mein Bruder Otto?« Bligger blinzelte ihm lebhaft zu, daß er doch nur schweigen sollte. »~Jus misogamorum?~« sprach Hans. »Ihr macht mich immer neugieriger.« »Ich habe dir's ja schon erklärt, Liebster! daran laß dir genügen,« schnitt Juliane die weiteren Erörterungen darüber ab. Und sich wieder Bligger zukehrend sprach sie lächelnd: »Ich will Euch aber Eure Frage beantworten, lieber Schwager! Hans hat mich, wie er behauptet, nur darum geheiratet, um Ernst vor einer mit ihm zusammenhausenden Schwiegermutter zu bewahren.« »Hans!« rief Engelhard, »das ist eine edle Tat, die Ernst dir nie vergessen darf.« »Also darum!« lachte Bligger, durch Julianens geschicktes Ablenken von dem gefährlichen Gegenstande sehr angenehm berührt, »ja, die Furcht vor Schwiegermüttern lag von Jugend auf wie ein Alp auf seiner Junggesellenseele.« »Jetzt sollt ihr aber auch erfahren, warum ich ihn geheiratet habe,« fuhr Juliane fort. »Ein Jude hat mir das Horoskop gestellt und mir aus den Sternen geweissagt: ich müßte meiner Tochter zuvörderst einen Stiefvater und dann erst einen Gatten geben; sonst geschähe ein Unglück. Was sollte ich nun machen? ich mußte Hals über Kopf heiraten, nur damit auch meine Tochter heiraten kann. Und weil gerade kein besserer da war, nahm ich diesen hier,« schloß sie, Hansens Arm zärtlich an sich drückend, unter allgemeiner Heiterkeit. »Weil kein besserer da war! -- vielen Dank, Juliane!« lachte Hans und schmunzelte vergnügt dabei. »Das für die Schwiegermutter, Hans!« neckte Juliane. »Und was hat Euch der Sterndeuter sonst noch prophezeit?« frug Bligger. »Das wißt Ihr, glaub' ich, besser als ich, Schwager Bligger!« erwiderte sie mit einem durchdringenden Blick. »Meint Ihr?« lächelte er verschmitzt. »Schickt mir den Juden noch einmal,« sagte sie, »daß ich ihn hängen lasse!« »Das hätt' ich schon selber getan,« lachte Bligger, »wenn er Euch das Horoskop nicht richtig gestellt hätte.« »Aber nach Ohm Hansens Horoskop sollte er ja sein Glück einmal im Kloster finden,« sprach Ernst. »Nun, hat er es etwa nicht im Kloster gefunden?« sagte Sidonie. »Da sitzt es ja leibhaftig neben ihm und lächelt ihn an wie lauter Sonnenschein.« Unter so heiteren Gesprächen verlief das üppige Mahl und dauerte stundenlang. Am Schlusse ward dem Kellermeister eine mächtige Silberkanne samt zwölf vergoldeten Pokalen gebracht. Es war ein hochedler, alter Firnewein, den Trotto eigenhändig mit andachtsvoller Feierlichkeit einschenkte und den an der Ehrentafel Sitzenden darreichte, indem er sprach: »Junker Hans und gnädige Frau, hier das Allerbeste, was wir im Keller haben! wohl bekomm's!« Man roch, man kostete, man schlürfte und schmeckte. »Köstlich! -- herrlich! -- wunderbar! -- Gott segne den Berg, auf dem er gewachsen! -- und den Küfer im Grabe! -- und das Faß im Keller! -- und jeden Trinker, der ihn zu würdigen weiß!« So kam es rechts und links von den Lippen der Schwelgenden. »Schwägerin Juliane!« sagte Bligger, »diesen Minnesegen dir zum Heile! Aus alter Liebe und jungem Haß möge neues Glück erblühen!« »Dein Wohl, Bligger!« erwiderte sie, »und meinen Dank! Du weißt, wofür!« Sie nickten sich lächelnd zu und tranken und reichten sich die Hände. Bald darauf hob der Abt die Tafel mit einem Dankgebet auf, und Bligger drängte zur Heimkehr. »Fliegt zu Neste, ihr Glücklichen!« sprach er zu Hans und Juliane. »Bis zur Schmiedeschenke geleiten wir euch; dann scheiden wir und ihr beiden reitet allein zur Minneburg.« »Du kommst mit uns nach Zwingenberg, Richilde!« sagte Sidonie. »Ja, gern!« rief Richilde. »Und ich?« frug Ernst. »Du kannst sie da besuchen, sooft du willst,« tröstete ihn Sidonie. Ehe sie aufbrachen, machten Hans und Juliane dem Kloster eine ansehnliche Schenkung, die Bligger noch um ein beträchtliches vermehrte. »Es ist wegen des ~jus misogamorum~, hochwürdiger Herr!« flüsterte er bei der Verschreibung dem Abte mit feinem Spotte zu. »Seht es als ein lindes Wundpflaster, als ein dürftig Bruchteil eines Euch leider entschlüpften Junggesellenerbes an.« Dann nahmen die Gäste herzlichen Abschied von ihren Wirten, stiegen sämtlich zu Pferde und ritten mit Weiprecht Kleesattel und den Knechten davon. Ein Knecht aber wurde nach der Minneburg vorausgeschickt, damit man dort auf die Ankunft der Vermählten vorbereitet war. »Und niemand soll den Herrn noch Junker Hans nennen, sondern Herr Ritter!« schärfte Juliane dem Boten ein. -- An der Schmiedeschenke machte Laux Rapp mit Frau und Tochter große Augen, als sie den fröhlichen Reiterzug erblickten, der zu kurzer Rast vor ihrer Tür anhielt. »Hab' ich's nicht gesagt?« sprach der Schmied, als er erfuhr, was sich begeben hatte. »Ich habe es den beiden Herren angesehen was sie vorhatten, als sie in ihren Staatswämsern nach der Minneburg ritten. Es war aber auch Zeit, Junker Hans, --« »Ritter Hans!« unterbrach ihn Sidonie. »Also nun Ritter Hans! Ihr wißt doch? Je länger Junggesell', desto länger in der Höll'.« »Vorläufig bin ich im siebenten Himmel, Laux!« erwiderte Hans. »Mögt Ihr immer darin bleiben!« wünschte der Schmied, »und Ihr werdet ja, denn Ihr habt ja einen Engel an der Seite.« »Danke Laux!« lachte Juliane. »Komm her, Susanne!« rief Bligger, »hier hast du statt des versprochenen einen Goldguldens deren zwei in deinen Mahlschatz! für jedes Paar einen.« Das Mädchen dankte überfroh und sagte: »Fräulein Sidonie, wie steht's mit Eurem Herzen?« »Ist noch zu haben,« antwortete Sidonie, »aber es will's keiner. Weißt du was, Susanne? Hier kreuzen sich viele Wege; sage jedem ledigen Mann, der vorüberkommt, auf Zwingenberg am Neckar säße eine verwunschene Jungfrau, die auf einen Freier wartete, und wer sie erlöste, der könnte sieben Tage in der Woche lachen.« »Vorwärts! weiter!« mahnte Bligger. »Lebt wohl! und besucht uns bald auf der Mittelburg. Soll ich dir etwas schicken, Hans?« »Ja,« sagte Hans, »die Harfe unseres Ahnherrn.« »Sollst sie morgen haben,« erwiderte Bligger, »daß du deiner Liebsten klimpern und singen kannst, tandaradei!« Man nahm Abschied voneinander und trennte sich. Bligger und Ernst schwenkten linksab nach Neckarsteinach, der eine voll hoher Genugtuung über das Erreichte, der andere voll freudiger Hoffnung auf kommende Zeit. Engelhard zog mit Sidonien und Richilden nach Zwingenberg, und Hans und Juliane ritten nach ihrem stolzen Schlosse, der talüberschauenden, waldumrauschten Minneburg. In tiefer Dämmerung langten sie dort an. Oben im Palasgemach traten sie in den Erker, und Hans umschlang sein Weib und sprach: »Geliebte meiner Jugend, endlich bist du mein!« »Juliane Landschad von Steinach!« jubelte sie und warf sich freudebebend an ihres Gatten Brust. »Hans,« sprach sie dann, »ich will kein Geheimnis vor dir haben. Weißt du, was uns zusammengeführt hat? -- das Recht der Hagestolze.« »Kommst du wieder mit diesem stachligen Rätselwort!« rief er lachend. »Willst du mir nicht endlich sagen, was dahinter steckt?« »Ja, Liebster! jetzt aus meinem Munde sollst du alles erfahren,« erwiderte sie. »Komm, setze dich, wo du schon manchmal gesessen hast.« Und nun erklärte sie ihm den Wortlaut und die Bedeutung dieses seltsamen Rechtes, erzählte ihm von dem Plane, den daraufhin seine Brüder und Freunde gegen sie beide geschmiedet hätten, und wie sie nach erhaltener Kunde davon ihn im Verdacht der Mitschuld gehabt und gehaßt hätte, -- »gehaßt,« lächelte sie, »ach! und zugleich so grenzenlos geliebt, wie ich es mir selber nicht eingestehen mochte!« Hans hatte sie mit steigender Verwunderung angehört. Nun sprach er grollend: »Ein Meisterstreich von Keckheit und Hinterlist meiner Brüder und Freunde! Wehe ihnen, hätt' ich davon Wind bekommen!« »Nein, Hans!« erwiderte sie, »wir sind ihnen Dank schuldig. Ohne Bliggers kühnen Griff in unser Schicksal wärst du vielleicht nie wieder durch das Tor der Minneburg geritten.« »Juliane!« rief er, »hätt' ich dich nicht geliebt, -- mit ihrem Recht der Hagestolze hätten sie mich nun und nimmermehr zum Heiraten gebracht!« Liebeglühend sanken sie sich in die Arme, und vom dunkelnden Himmel herab leuchteten dem seligen Paare glückverheißende Sterne. Weitere Anmerkungen zur Transkription Auf dem Buchcover wurde der Titel aus der Titelseite ergänzt, das bearbeitete Cover steht unter der Public-Domain-Lizenz. Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht. Die Abbildungen wurden dem zugehörigen Absatz zugeordnet und die Seitenreferenzen entfernt. Korrekturen: S. 24: den → dem hatte nur {dem} Namen nach, aber nicht S. 146: mußt → muß so {muß} ich dir wohl oder übel mehr vertrauen End of Project Gutenberg's Das Recht der Hagestolze, by Julius Wolff *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS RECHT DER HAGESTOLZE *** ***** This file should be named 56152-0.txt or 56152-0.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/5/6/1/5/56152/ Produced by The Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive specific permission. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, performances and research. They may be modified and printed and given away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the trademark license, especially commercial redistribution. START: FULL LICENSE THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase "Project Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg-tm License available with this file or online at www.gutenberg.org/license. Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm electronic works 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8. 1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be used on or associated in any way with an electronic work by people who agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works even without complying with the full terms of this agreement. See paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic works. See paragraph 1.E below. 1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual works in the collection are in the public domain in the United States. If an individual work is unprotected by copyright law in the United States and you are located in the United States, we do not claim a right to prevent you from copying, distributing, performing, displaying or creating derivative works based on the work as long as all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily comply with the terms of this agreement by keeping this work in the same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when you share it without charge with others. 1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern what you can do with this work. Copyright laws in most countries are in a constant state of change. If you are outside the United States, check the laws of your country in addition to the terms of this agreement before downloading, copying, displaying, performing, distributing or creating derivative works based on this work or any other Project Gutenberg-tm work. The Foundation makes no representations concerning the copyright status of any work in any country outside the United States. 1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg: 1.E.1. The following sentence, with active links to, or other immediate access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed, copied or distributed: This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have to check the laws of the country where you are located before using this ebook. 1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not contain a notice indicating that it is posted with permission of the copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in the United States without paying any fees or charges. If you are redistributing or providing access to a work with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted with the permission of the copyright holder, your use and distribution must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the permission of the copyright holder found at the beginning of this work. 1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm License terms from this work, or any files containing a part of this work or any other work associated with Project Gutenberg-tm. 1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this electronic work, or any part of this electronic work, without prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with active links or immediate access to the full terms of the Project Gutenberg-tm License. 1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any word processing or hypertext form. However, if you provide access to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version posted on the official Project Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1. 1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works provided that * You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has agreed to donate royalties under this paragraph to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid within 60 days following each date on which you prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty payments should be clearly marked as such and sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation." * You provide a full refund of any money paid by a user who notifies you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm License. You must require such a user to return or destroy all copies of the works possessed in a physical medium and discontinue all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm works. * You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the electronic work is discovered and reported to you within 90 days of receipt of the work. * You comply with all other terms of this agreement for free distribution of Project Gutenberg-tm works. 1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and The Project Gutenberg Trademark LLC, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below. 1.F. 1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread works not protected by U.S. copyright law in creating the Project Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic works, and the medium on which they may be stored, may contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by your equipment. 1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all liability to you for damages, costs and expenses, including legal fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH DAMAGE. 1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a written explanation to the person you received the work from. If you received the work on a physical medium, you must return the medium with your written explanation. The person or entity that provided you with the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a refund. If you received the work electronically, the person or entity providing it to you may choose to give you a second opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy is also defective, you may demand a refund in writing without further opportunities to fix the problem. 1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. 1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any provision of this agreement shall not void the remaining provisions. 1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance with this agreement, and any volunteers associated with the production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees, that arise directly or indirectly from any of the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause. Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of electronic works in formats readable by the widest variety of computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws. The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact For additional contact information: Dr. Gregory B. Newby Chief Executive and Director gbnewby@pglaf.org Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide spread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit www.gutenberg.org/donate While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. International donations are gratefully accepted, but we cannot make any statements concerning tax treatment of donations received from outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation methods and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: www.gutenberg.org/donate Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works. Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For forty years, he produced and distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Most people start at our Web site which has the main PG search facility: www.gutenberg.org This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.