The Project Gutenberg EBook of Sächsisch Volk, by Fritz Barschdorff This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have to check the laws of the country where you are located before using this ebook. Title: Sächsisch Volk Ausgewählte Skizzen Author: Fritz Barschdorff Release Date: June 10, 2019 [EBook #59717] Language: German Character set encoding: UTF-8 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SÄCHSISCH VOLK *** Produced by The Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net Anmerkungen zur Transkription Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter Text ist _so gekennzeichnet_. Im Original in Antiqua gesetzter Text ist ~so ausgezeichnet~. Im Original fetter Text ist =so markiert=. Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches. Fritz Barschdorff Sächsisch Volk Ausgewählte Skizzen [Illustration] Leipzig, Verlag von Georg Merseburger Inhalt Seite Der Erfinder 3 Ein fixer Junge 10 Schlaaerei 15 Facker 23 Der feine Bernhard 34 Der wilde Max erzählt 48 Klavierfritze 61 Hofsänger 70 Volksmaskenball 79 Großmutter 90 Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig. Der Erfinder. Meister Hanns betrieb schlecht und recht eine kleine Schlosserei. Ich kannte ihn schon lange als einen spekulierenden Kopf, der an allem, was ihm unter die Hände kam, Verbesserungen anbrachte, jedes Ding nach seiner Weise zu modeln suchte und sich nie damit zufrieden gab, wie es in der Welt nun einmal war, sondern gern davon sprach, wie es sein könnte und müßte. Er hatte mir oft von seinen Zukunftshoffnungen erzählt, seinen Plänen und eignen Erfindungen, die er als Patent anzumelden gedachte. Die Zeit der ersten Fliegererfolge, die ersten Zeppelinfahrten hatten ihn mächtig ergriffen. Er hielt mehrere Zeitschriften für Flugsport und las Bücher über Flugprobleme. Als ich da wieder einmal zu ihm kam, sah ich in ein lächelndes Gesicht. Er führte mich ohne weiteres in einen, durch eine Bretterwand abgeschlossenen Raum, in dem allerlei Gerümpel herumstand und -lag. Von einem Tisch nahm er ein paar große Zeichenbogen und hielt mir einen kleinen Vortrag, dem ich entnahm, daß er ein Luftschiff bauen wollte. Das wäre die Konstruktion der einzelnen Teile, und sein Schiff sollte sich nicht nur in der Luft, sondern auch im Wasser fortbewegen. Aus seinen Worten sprach große Zuversichtlichkeit, und erwartungsvoll sah er mich an. Ich verstände nichts davon, sagte ich, aber wenn das auf dem Papier mit seinen Gedanken zusammenstimme und er den Bau seines Luftschiffs für ausführbar halte, warum sollte da nichts werden? Einmal zeigte er mir das Gerippe der Tragflächen, dann den Propeller, dann wieder Seiten- und Höhensteuer. Er sah bleich und übernächtig aus, da er die Nächte an seiner Erfindung bastelte und studierte. Am Tage schlief er mehrere Stunden, und mancher Kunde, der die Werkstatt verschlossen fand, kam nicht wieder. Eines Tages trat ich im Vorbeigehen bei ihm ein und fand ihn in dem kleinen Nebenraum, der jetzt sauber hergerichtet war. Der Tisch war mit einem weißen Tuch gedeckt, und darauf stand das fertige Modell seines Luftschiffs. Freunde und Bekannte standen um den Tisch herum, und Meister Hanns erklärte alles und beantwortete alle Fragen bereitwillig. Jeder fand das Modell bis aufs kleinste und feinste ausgeführt, lobte ihn und wünschte ihm Erfolg. Als ich allein bei ihm zurückblieb, schaute er mich lächelnd an wie ein glückliches Kind. Die Hände auf dem Rücken, spazierte er, liebevoll sein Werk bestaunend, um den Tisch. Spähend rückte er an einem der Verbindungsdrähte und probierte die Beweglichkeit der Tragflächen. Dabei erzählte er mir von seinen weiteren Plänen. Er habe bereits an verschiedene Gesellschaften geschrieben, die sich mit dem Bau von Flugzeugen befaßten. Sie hätten geantwortet, daß sie ihren Vertreter schicken wollten. Dann suche er auch einen Geldmann, damit er den Bau seiner Luftschiffe selbständig betreiben könne. Das wäre ihm am liebsten; denn bei einer Gesellschaft wäre er denn doch nur deren Angestellter. Auch einen Fluglehrer, einen Offizier, habe er kennengelernt, der sich für sein Modell interessiere. Überhaupt läge ihm jetzt etwas daran, daß er und seine Erfindung bekannt würden. Man würde nicht beachtet, wenn man still und bescheiden im Hintergrund bliebe. Nein, Radau und Reklame müßte man machen, um gesehen und gehört zu werden. Man müßte im Munde der Leute sein, damit sie immer etwas zu reden hätten. Wenn auch nur die Hälfte von dem, was sie erzählten, wahr wäre, dürfe man sich nicht daran stoßen. Es gäbe immer Krähen, die krächzten, wenn einer höher als sie flöge. Nach einer Pause setzte er hinzu, daß er seine Werkstatt irgendeinem armen Kerl schenken wolle. Beim Hinausgehen wies er auf ein altes hinfälliges, zweisitziges Auto, das er für eine Schuld angenommen hatte und das nun schon mehrere Monate im Hof stand. Es war ein jämmerlicher Kasten. Hanns meinte, er gäbe zu, daß einem neunundneunzig Pfennige an einer Mark fehlten, wenn man den Kasten ansähe. Das hindere ihn aber alles nicht, den alten Kasten wieder aufzufrischen, damit nach dem Flugplatz zu fahren, um dem Offizier das Modell zu zeigen. Es sähe doch gleich ganz anders aus, wenn er in einem Auto ankäme. Ein paar Wochen würde die Reparatur allerdings in Anspruch nehmen. Aber der Motor wäre noch gut, und der wäre ja die Seele. Ob ich mitfahren wolle, frug er noch. Ich sagte zu, und wir setzten einen Tag fest. An dem bestimmten Tage stand er auf dem Hofe. Er trug gelbe glänzende Gamaschen und einen hellbraunen Staubmantel. Seine Mütze schwenkend und auf sein Äußeres deutend, lachte er mir zu: »Es sieht besser aus.« Sein Auto war in einem ganz leidlichen Zustand. Er habe den Motor vollständig auseinandergenommen, jeden einzelnen Teil gereinigt und geölt, die Schläuche der Gummireifen geflickt, das Segeltuchverdeck ausgebessert und so noch allerhand --. Er habe schon eine Probefahrt gemacht. Es wäre ein Staat, wie die Karre laufe; wie ein Teckchen, setzte er hinzu und zog mit einer stolzen Bewegung ein Paar neue Stulpenhandschuhe an. Auch für mich hatte er einen Staubmantel und eine Autobrille aufgetrieben. Er übergab mir beides und sagte wieder lachend: »Es sieht immer besser aus.« Auf dem Reparaturkasten, der sich an der hinteren Seite des Wagens befand, hatte er sein Modell fein säuberlich verpackt und festgebunden. Ich bekam die Rolle mit den Zeichnungen in die Hand, da er ja den Wagen steuern wollte. Nun war alles bereit. Hanns ging an die Stirn des Wagens und kurbelte den Motor an. Fünf- bis sechsmal riß er die Kurbel herum. Er zog seine Stulpenhandschuhe aus und versuchte es wieder. Er schwitzte bereits. Nun versuchte ich's. Auch mir gelang es nicht. Hanns schob mich beiseite und riß mit aller Kraft an der Kurbel. Endlich, unter einem donnerähnlichen Krach, kam der Motor in Gang und bullerte darauf los. Er machte aber seinem Ingrimm noch in fauchenden, platzenden Ausbrüchen Luft. Der ganze Wagen schütterte und hüpfte unter der Arbeit des Motors. Wir sprangen in den Wagen, und hupend ging's zum Tore hinaus. Der Motor hielt sich brav, und so brachten wir die Stadt bald hinter uns. »Wenn er sich erst einmal warmgelaufen hat, läuft er --! Wie ein Teckchen.« So schrie mir Hanns zu. Solange wir gerade glatte Straßen hatten, ging es noch. Aber o weh! Da machte die Straße eine Steigung. Der Motor lärmte, rasselte wie eine Kette, die in einem verrosteten Blecheimer herumgeschüttelt wird, schnaubte kurzatmig und stand. Hanns sprang hinaus. Er riß wieder an der Kurbel. Alles umsonst. Manchmal schien das verheißungsvolle Bullern wieder gleichmäßig einsetzen zu wollen. Aber die »Seele« brachte keine Schwungkraft mehr auf. Wir untersuchten nun den Motor, um zu entdecken, woran die Stockung wohl liegen könne. Da mußte aber erst das Modell wieder losgebunden werden, damit wir in den Werkzeugkasten gelangen konnten. Nach stundenlangem Herumhantieren, Schrauben und Hämmern gelang es endlich, den Motor wieder in Gang zu setzen. Wir sausten los, als gälte es, die Landstraße zu verschlucken. Ich machte mich mit dem Gedanken vertraut, daß es sehr spaßig aussehen müsse, wenn der Wagen in voller Fahrt mitten auseinanderfiele und die Vorderräder mit dem Motor weiterfegten. Als wir auf dem Flugplatz angelangt waren, wurde das Modell aufgestellt, und Hanns machte sich auf, den ihm bekannten Fluglehrer zu suchen. Er kam auch bald inmitten einer Gruppe von Herren wieder. Teils waren es Flugschüler, teils Offiziere. Lebhaft wurde debattiert und hin- und hergesprochen. Von allem Möglichen und Unmöglichen. Keiner wollte mit Bestimmtheit behaupten, ob ein Luftschiff auch fliegen könne, wenn es nach diesem Modell gebaut würde. Der Besuch auf dem Flugplatze endete unter höflichem Abschiednehmen und vielen Wünschen für baldigen Erfolg. Wir wollten nun wieder unser Auto besteigen. Aber der Motor streikte. Sehnsüchtig sah Meister Hanns hinauf in den blauen Himmel. Dort schwebte mit ausgebreiteten Schwingen ein Flugapparat, eine Taube. Ruhig zog sie ihre Kreise. Ihr heller Leib glänzte in der Sonne. Lustig knatterte der Motor, daß es wie eine himmlische Musik in unsern Ohren klang. Einer plötzlichen Aufwallung folgend, belegte Meister Hanns sein Auto mit den erdenklichsten Schimpfworten und redete sich in eine solche Wut, daß ich es nicht verwunderlich gefunden hätte, wenn er den altersschwachen Kasten mit der müden, entflohenen Seele einfach hätte stehen lassen. Als er sich ausgeschimpft hatte, schoben wir den Wagen auf die Landstraße bis zu einer Anhöhe. Von der Anhöhe ließen wir ihn herabrollen, bis er stillstand. So ging das nicht weiter. Zum Glück kam ein Mietauto vom Flugplatze zurück. Hanns rief den Chauffeur an. Sie wurden handelseinig, und das defekte Auto wurde mit einem starken Strick an das Mietauto angeseilt. So ging's nach der Stadt zurück. Es war keine lustige Fahrt. Denn Hanns dachte an die vergangene Besichtigung und widerlegte gereizt die harmlosen Bemerkungen des Fluglehrers und seiner Schüler ... Nach langer Zeit hörte ich, daß Meister Hanns seine Schlosserei aufgäbe und von dem Erlös die Verkaufsstelle einer Molkerei übernähme. Ich suchte ihn auf und kam gerade, als man ihm seine letzten Arbeitstische und Schraubstöcke hinaustrug. Wir standen zusammen in seiner Werkstatt hinter der Bretterwand. Lange schwiegen wir. Er kaute an seiner kurzen Pfeife und blies den Rauch gedankenvoll vor sich hin. »Wenn man selber Geld hätte -- --«, sagte er, die Pfeife zwischen den Zähnen. »Oder wenn man wenigstens nicht verheiratet wäre -- -- --.« Sinnend paffte er und sah dem davonschwebenden Rauch nach. Ich wagte ihn nicht zu stören und ging leise an die Tür. Aus seinen Worten sprach die ganze Erfindertragik. Armut, schlaflose, von Grübeln und Studieren erfüllte Nächte, peinigendes und hoffendes Warten, jähes Emporwollen und niederdrückendes Gebundensein. Ein fixer Junge. Während der Engrosmesse hatte ich einmal Gelegenheit, in die innere Stadt zu gehen. Am Naschmarkt war eine ziemliche Menschenmenge um einen Ausschreier versammelt. Ich drängte mich hinzu und erkannte in dem Ausschreier einen ehemaligen Schulkameraden. Der Faschingszug der Reklamebilder und -schilder zog an mir vorüber, und ich dachte an die vergangene Schulzeit. Im Gegensatz zu den artigen, braven und folgsamen Jungen, vergaß man den, den ich hier wiedersah, so leicht nicht wieder. Er war bei allen Jungenstreichen obenan und dabei von einer so verblüffenden Geistesgegenwart und Gerissenheit, daß sein Ruhm bei allen Lehrern, bis zum Direktor, und selbst in umliegenden Polizeiwachen befestigt war. Alljährlich zogen wir ein paar Tage vor dem »Tauchschen«[1] auf den Brühl und gingen die »Itzige« um Felle an. Wie freigebig die »Itzige« waren! Abfälle von Tierschwänzen aller Art, manchmal sogar brustgroße Fellstücke, warfen sie uns zum Fenster herunter. Sie hatten dabei auch ihr Spezialvergnügen. Denn wenn sich die ganze Jungenschar am Boden um die Beute balgte, folgte hinterher ein Schwapp Wasser, das uns oft bis auf die Haut näßte, aber in der Hitze des Gefechtes nicht weiter auffiel. [1] Tauch(a)scher Jahrmarkt. Ein Tauchscher ist mir noch lebhaft in der Erinnerung. Damals standen in der Wächterstraße noch nicht die vornehmen abgeschlossenen Villen. Nur ein Neubau stand dort. Sonst waren es große umzäunte Plätze, auf denen lustig Gras und Löwenzahn wucherten. Und daß ich die Bäume nicht vergesse, die so schmackhaftes Obst trugen. Zwar hatte uns der Platzwächter gedroht, daß er uns schon einmal erwischen werde, aber er ließ sich selten sehen, und ein Zaun -- ist das ein Hindernis für einen Jungen? Wir, ausgestattet, bekleidet und nicht bekleidet, wie echte Indianer und Trapper, besetzten nun den Neubau, der als Blockhaus galt und von den Indianern belagert und erstürmt wurde. Nur in Brand steckten wir's nicht, wie das die richtigen Wilden machen. Im ersten Stock, dessen Fußboden vorläufig noch aus Balken bestand, wurde die Friedenspfeife geraucht. Eine Wache hatten wir ausgestellt, damit uns kein Unberufener störte. Und die Wache meldete auch bald, daß der Wächter käme. Dieser stand unten an der langen Leiter, schwang einen tüchtigen Knüppel und rief: »Kommt nur runter!« Während unser Häuptling, oben an der Leiter stehend, mit ihm verhandelte und einige wohlmeinende Redensarten wechselte -- balancierten wir übrigen von Balken zu Balken, bis an die Hinterseite des Baues. Dort baumelte ein Tau, an dem die Eimer hinauf- und herabgeleiert wurden, und einer nach dem andern rutschte an dem Tau hinab. Der Häuptling, der unsern Rückzug gedeckt hatte, geriet nun aber selbst in Bedrängnis. Denn der Wächter begann die Leiter hinaufzuklimmen. Schon tauchte sein Kopf auf. Aber bis zur Hinterseite, dort wo das Tau hing, war es dem Häuptling zu weit. Er machte deshalb einen Sprung zum Fenster. Ein Baum reichte dort seine Zweige herein. Ein Satz -- der Häuptling sprang vom Fenster herab, mitten in den Baum. Wie eine Katze kletterte er den Stamm entlang und ließ sich auf die Erde fallen. Ein Siegesgeheul verkündete dem Wächter, daß es diesmal noch nichts war mit dem Erwischen. Und jetzt war dieser Häuptling, dem damals allseitige Bewunderung gezollt wurde, Straßenverkäufer. Ganz nett und bürgerlich sah er aus. Er verkaufte Ansichtskarten, die reißenden Absatz fanden. Unter seinem Arm trug er einige Pappkästen mit Ansichtskarten, und zwischen seinen Füßen standen ebenfalls einige dieser Kästen. Und nun zu sehen, wie er mit der rechten Hand aus der unter den linken Arm geklemmten Pappschachtel immer neue Karten nahm, sie in die zahlreich ausgestreckten Hände gab, gleichzeitig das Zehnpfennigstück in seine Rocktasche gleiten ließ; sich langsam im Kreise drehte und die zwischen seinen Füßen aufgestapelten Kasten mitdirigierte -- dabei unermüdlich redend und preisend -- das zu sehen war allein zehn Pfennige wert. Ja, das Publikum schien selbst seine Freude an dieser taschenspielerartigen Fertigkeit zu haben. Denn aus allen Richtungen des Kreises scholl es: »hier -- mir eine -- mir auch --«, so daß er sich fortwährend redend, Karten austeilend, Geld kassierend drehte, aber keinen Moment irremachen ließ. Da entstand eine kleine Pause. Ein Herr schob sich durch den Kreis. Mit hochrotem Kopf schrie er: »Sie oller Quasselfritze, wat issn det fürn Humbug mit die Kaarte. Is ja janz schwarz -- is ja nischt zu sehn druff!« Der Kartenverkäufer schien ihn nicht zu beachten. Er nahm noch einige Geldstücke in Empfang und sagte dann mehr gutmütig: »Sie haben das nicht richtig gemacht, wie ich das erklärt habe. Meine Herrschaften, ich will Ihnen das noch einmal erklären. Man geht also an einen dunklen Ort -- sehen Sie -- die Karte ist ganz schwarz. Nun nehmen Sie ein Streichholz und halten es hinter die Karte. Da werden Sie sehen -- einen Herrn und eine Dame -- na, ich will weiter nichts sagen. Alles lacht! Der größte Meßschlager!« Und er begann seine Karten weiter zu verkaufen. »Hab ick doch jemacht!« rief der Käufer dazwischen. »Da haben Sie wohl das Streichholz nicht angebrannt?« frug der Verkäufer mit unschuldiger Miene. »Nu warte man, Freundchen -- jetzt werd ick mal'n Schutzmann holen«, drohte der andere erbost. Wie er sich zum Gehen wandte und vom Schutzmannholen sprach, rief ihm der Kartenverkäufer nach: »Ach, du denkst wohl, weil du aus Berlin bist, kannst du die Leite uff der Leipziger Messe alleene anschmiern? Siehste -- jetzt hammer dich ooch mal angeschmiert.« Das Publikum war lächelnd diesem Zwist gefolgt und amüsierte sich nicht zuletzt über die Entrüstung, des um seinen Stammtischwitz betrogenen Meßonkels. Aber nun brach unter allen »Angeschmierten« ein Gelächter los, wie es wohl die beiden Löwen am Naschmarkt selten gehört haben. Ich hätte meinen ehemaligen Schulkameraden gern einmal gesprochen. Aber er war spurlos verschwunden. Denn ein Ratsdiener tauchte auf. Und den hatte er natürlich schon längst gesehen. Schlaaerei. Robert Ziegenbalg, genannt Merke, patschte mit hochgezogenen Hosen hinter einem Sprengwagen her. Ganz vertieft war er in seine Beschäftigung und sah vergnügt auf die vielen Wasserstrahlen, die seine nackten Beine bespülten. Getreulich machte er jede Schwenkung, jeden Bogen des Sprengwagens mit. Da rief jemand seinen Namen. Er wandte den Kopf und gewahrte drüben seinen Freund und Schulkameraden Richters Männe. Der kniete vor dem vergitterten Schacht eines Kellerfensters und hatte einen langen Stock, an dem ein umgebogener Löffel befestigt war, durch ein Loch des Eisengitters hinabgelassen. Er angelte. Mancherlei fiel in solche Kellerschächte, was ohne den Entdeckertrieb Mannes nicht wieder ans Tageslicht gekommen wäre. Eine ansehnliche Kreiselsammlung hatte er schon auf diese Weise geangelt. Mecke ließ den Sprengwagen im Stich und kniete neben seinem Freund nieder. Hinunterspähend sah er, wie Männe sich abmühte, einen kleinen roten Gummiball auf den Löffel zu bekommen. »Ich habe ihn schon mal ziemlich gehabt,« erzählte er dabei aufgeregt, »aber das kleene Aas kullerte wieder runter. Das ist nämlich so ein harter -- die so hoch springen -- weißt du.« Endlich zog er den Stock vorsichtig in die Höhe. Mecke war ganz hingerissen. Er rutschte auf den Knien umher und schrie: »Langsam!« Je zwei Finger seiner Hände zwängte er durch die Gitterlöcher, griff den Ball sachte und drückte ihn nach oben. Sein Freund erwischte den Ball, ließ ihn ein paarmal triumphierend auf dem Straßenpflaster springen und steckte ihn dann in die Tasche. Mecke paßte genau auf. Es war die linke. Die beiden waren unzertrennliche Freunde und waren besonders da obenan, wo es galt, die Leute zu verasten oder zu vergackeiern, wie sie in ihrer Jungensprache sagten. Sie machten eine Tüte zurecht, legten sie auf den Fußsteig und beobachteten, wer darauf hineinfiel. Bei Regenwetter legten sie einmal ein Taschenmesser auf den Fußsteig, das sie an einen Bindfaden banden. Den Faden hatten sie in einer Pfütze schwarzgemacht. Mecke lehnte an der Haustür, während Männe hinter ihm kauerte. Wollte nun ein Vorübergehender nach dem Messer greifen, so zog Männe an dem Bindfaden. Wer Humor hatte, lachte, mancher schimpfte auch über eine solche Niederträchtigkeit. Da kam zufällig die Blindschleiche dahergegangen. Das war ihr Klassenzweiter, der eine Brille trug und sein Gesicht meistens der Erde zugekehrt hielt. Er suche den gestrigen Tag, sagten sie von ihm. Die Blindschleiche machte es wie alle Scheinheiligen. Er hob das Messer auf, steckte es in die Tasche und ging weiter, als wäre nichts geschehen. Nun erst zog Männe an dem Bindfaden und riß ihm das Messer aus der Tasche. Der so Ertappte fing wie besessen an zu rennen und die beiden hinter ihm her. »Messermauser -- Messermauser«, schrien sie ihm nach. Männe hatte sich auf das Trittbrett eines gelben Postwagens gesetzt, und Mecke trabte nebenher. In einer Seitenstraße sahen sie ein Leitergerüst stehen und vermerkten sich die Tatsache stillschweigend. Denn hier war Aussicht, bald wieder einmal Feuerwehr spielen zu können. Diese schöne asphaltierte Straße verband sie auch mit einer herrlichen Erinnerung, einer denkwürdigen Geschichte. Männe hatte einen großen Bruder, der in einem Fahrradgeschäft beschäftigt war. Er hatte ausgelernt, und sein Verdienst reichte weder hinten noch vorn. Da hatte er eine Idee! Er gab seinem jüngeren Bruder auf, er solle seine sämtlichen Schulfreunde zusammentrommeln und für den nächsten Sonntagnachmittag bestellen. Alle, alle kamen. Denn der kleine Bruder hatte von dem großen Bruder Geschichten erzählt, die vielen Jungen zum mindesten wie Märchen klangen. Der große Bruder kam denn auch mit einem zweisitzigen Fahrrad an, und wer fünf Pfennig bezahlte, durfte sich auf den Hintersitz setzen. Dafür konnte er eine bestimmte Strecke hin und zurückfahren. Radfahren brauchte man nicht zu können, denn der große Bruder saß ja vorn, lenkte und hatte das Rad in der Gewalt. Auf dem hintersten Sitze brauchte man seine Beine nur auf die Pedale zu setzen und die Drehbewegungen mitzumachen. Es war kinderleicht und sah einfach großartig aus, wenn man so dahinflitzte. Viele rannten an diesem Sonntag mehrmals nach Hause, um von den Eltern noch ein paar Fünfer zu erlangen. Es gab einen Heidenfez, und der große Bruder konnte eine hübsche Anzahl Fünfer einheimsen. Leider wurde die Freuden- und Geldquelle schnöde verstopft. Der Eigentümer des Rades, der es dem Fahrradgeschäft zur Reparatur übergeben hatte, wollte es eines Sonnabendabends abholen. Männes großer Bruder war aber schon fort. Als er es Montags früh auf Umwegen wieder an seinen Platz bugsieren wollte, gab ihm der Meister zu verstehen, daß es vielleicht andere Geschäfte gäbe, die damit einverstanden wären. In den anderen Geschäften, in denen er hierauf arbeitete, konnte er jedoch nicht so über das vorhandene Material bestimmen. Männe sprang von dem Tritt des Postwagens. Sie waren in die Nähe des Bahnhofes gekommen und bogen nach dem Texas ab. Dort wohnten sie. Der Texas lag hinter dem Bahnhof und war eine Ansiedlung von 4 bis 5 Häusern, die sich um eine Fabrik gruppierten. Anschließend an eine Gartenkolonie, lagen längs der Straße Geräteschuppen, Lagerplätze und Niederlagen -- bis man dann die paar Häuser traf. Rechts der Straße sah man durch einen Zaun in die Eisenbahnwerkstätten, sah altes ausgedientes Eisengerümpel umherliegen und Züge rangieren; hörte Züge ein- und ausfahren, Abfahrtssignale ertönen, Lokomotiven pfeifen und hatte den Rauch und Ruß des Bahnhofs in allernächster Nähe. Abends, wenn die vielen Lichter des Bahnhofs aufblitzten, war es im Texas still und dunkel, während man am Tage eine romantische Verwahrlosung erblickte. Keine drei Minuten von dem Großstadttreiben entfernt, wähnte man sich in der Dunkelheit in einer friedlichen Einöde. Und das Gesicht dem Bahnhof und der Stadt zugewandt, hörte man die vielen Geräusche wie aus weiter Ferne und hatte im Rücken die Stille und das Schweigen der Felder. Denn diese begannen, wenn man den Weg ein kleines Stück weiter verfolgte. Die beiden gingen zunächst nach dem Trockenplatz, wo sie sich mit ihren Freunden zu treffen pflegten. Der Trockenplatz lag inmitten der Felder. Gras, Löcher, Sandhaufen und umgestürzte Schubkarren gab es hier genug. Augenblicklich war der Platz wenig mit Wäsche behangen. Man sah nur die zahlreichen Pfähle, die gabelförmig nach oben zu gingen und kreuz und quer durch Wäscheleinen verbunden waren. Lärmendes Geschrei ihrer Freunde empfing sie. Und nach und nach erfuhren sie, was geschehen war. Der Zwerg war im Freibad gewesen, und einer von der Ulla hatte ihn ins Wasser geschubbt. Hinterrücks auch noch! Der Zwerg, der doch einer ihrer Kleinsten und Schwächsten war, ging auf dem Nachhauseweg mit hocherhobenem Kopfe mitten durch die Ulla, so daß ihn jeder sehen mußte. Da war man aber über ihn hergefallen, und, obwohl er Wunder der Tapferkeit verrichtete, wie er selbst erzählte, hatte er doch der Übermacht weichen müssen. Die Ulla müßte verschlaan werden, schrien ein Dutzend Stimmen. Die Ulla, so genannt nach der früheren Ulrichsgasse, war ebenso berühmt wie der Texas, da die Jungen dieser Straßen immerwährend mit andern Straßenvierteln in Fehde lagen. Als die Dämmerung hereinbrach, waren alle versammelt, die sich zum Texas rechneten. Rohrstöcke, Riemen, Gummischläuche, Ruten und Knüppel hatten sie in der Hand. Es sah ganz schrecklich aus. Der ganze Haufe setzte sich in Bewegung, und im Laufschritt ging es durch die Straßen. Mit aller Macht trappten sie taktmäßig auf die Erde. Denn der Lärm erhöhte ihren Mut. In der Ulla spielten einige Kinder auf der Straße. Vor den kleinen niedrigen Häusern standen oder saßen friedliche Frauen und Männer. Mit großem Geschrei zog der Texas durch die Ulla, wild mit den Stöcken drohend und fuchtelnd. Am Straßenende hielten sie an. Allgemein herrschte die Ansicht, daß die Ulla Angst habe und sich versteckt halte. Im Laufschritt ging's durch verschiedene Straßen, und mit Siegerbewußtsein trennten sie sich. Wie hätte man die Ulla verschlaan, wenn sie sich gezeigt hätte. Der Zwerg erkannte am nächsten Morgen auf dem Schulwege einen von der Ulla. Es kam zu einem aufgeregten Wortwechsel, und der Zwerg versicherte, daß der Texas heute abend wiederkommen wolle, die Ulla möge nur nicht wieder ausreißen. In der Schule wirkte diese Nachricht alarmierend. Der Lehrer hatte in der Frühstückspause seine Not, die sich immer wieder bildenden Gruppen aufzulösen. Hübsch geordnet sollten sie auf dem Schulhofe im Kreise umhergehen und dabei ihr Frühstück verzehren. Das fiel ihnen besonders heute schwer. Wie Kletten hingen sie aneinander. »Ihr sollt nachher alle warten«, zischelte es, bevor der Lehrer Ruhe gebot, von Bank zu Bank durch die ganze Klasse. Der Schulschluß wurde sehnlichst herbeigewünscht. Nur mühsam konnten sie nach dem Klingeln noch einige Augenblicke ruhig sitzen. Dann aber schossen sie von ihren Bänken in die Höhe, die Tintenfässer flogen zu, manche blieben auch offen, Schieferkästen klapperten, die Bücher wurden in den Ranzen gepfropft, und ein Füßescharren und Stimmengewirr erfüllte den Schulraum. Mit Geschrei rannten sie nach dem Trockenplatz. Dort schmissen sie ihre Ranzen hin und wollten alle auf einmal reden. Das Ergebnis war, daß sie abends nach der Ulla ziehen wollten. Der Abend kam, und wieder rotteten sie sich zusammen. Wieder ging's im Laufschritt durch die Straßen, und, an der Ulla angelangt, sahen sie etwa in der Mitte der Straße einen dichten Haufen stehen. Sie hielten an und beratschlagten, was zu tun wäre. Sollte man den Feind überrennen oder warten, bis er herankäme? Sie entschlossen sich nach längerem Warten, zu stürmen. Noch ein gelindes Zögern. Keiner wollte so recht den Anfang machen. Aber dann riß es alle vorwärts. Unter ohrenbetäubendem Johlen und Pfeifen rannten sie dicht zusammengedrängt dem Feind entgegen. Der teilte sich nach rechts und links und ließ die Anstürmenden hindurch. Wie später erzählt wurde, sollte die Ulla heimtückischerweise auf die letzten eingeschlagen haben. Denn plötzlich, als sie den Feind im Rücken hatten, drängten alle mit voller Wucht nach vorn, rissen die übrigen mit, und es wurde eine wilde Flucht. Auf einem freien Platze sammelte sich der spärliche Rest. Hier wurde mächtig geschimpft -- auf die feige Ulla und auf die, die zuerst ausgerissen waren. Nachdem sie noch zwei fremden Jungen eine große Latte abgenommen hatten, die diese vergeblich unter dem Jackett zu verstecken suchten, machten sie sich unter fürchterlichen Drohungen gegen die Ulla auf den Heimweg. Wenn die Ulla nicht so feige auf die letzten eingehauen hätte! Wenn diese Angsthasen nicht nur Mitläufer gewesen wären, die man nicht zum Texas rechnen konnte, dann wäre es zu einer großen Schlaaerei gekommen! Ja wenn -- -- -- -- Facker. Auf einem Neubau draußen in der Vorstadt herrschte tätiges Leben. Es klopfte und hämmerte in allerlei Tönen und Takten. Es scharrte und stampfte, krachte und knirschte. »Ei--nen Jupp!!!« schrie ein Arbeiter, der mit mehreren andern einen großen eisernen Träger in die richtige Lage bringen wollte. Die Kraft aller Beteiligten schien bei dem Ausruf »Jupp« in einer mächtigen Welle zusammenzufluten, die den Träger erfaßte und ein gutes Stück von der Stelle rückte. Köpfe und Hände, Kelle und Meißel, Zollstab und Wasserwage, Schippe und Hacke arbeiteten mit an der Vollendung des Hauses. Vor dem Bau stand ein mit Ziegelsteinen beladener Wagen. Von dem Wagen aus wurden die Steine bis auf die höchste Spitze des Baus getrieben. In langen Abständen, von Stockwerk zu Stockwerk, bildeten die Steinetreiber eine Kette und warfen sich die Steine zu. Der letzte der Kette schichtete die Steine neben sich auf. Fest standen sie mit den Beinen auf dem Boden, die Steinetreiber. Nur der Oberkörper und die schwingenden Arme waren in Tätigkeit. An den Händen steckten Leder, damit sich die Finger nicht an den rauhen, gebrannten Ziegelsteinen und deren scharfen Kanten rissen. Mit den Handledern fluschte es nur so. Als wäre der Schwung und die anzuwendende Kraft aufs feinste abgemessen, flog der Stein mit wunderbarer Genauigkeit, ohne sich auch nur ein wenig zu drehen oder zu neigen, in die Höhe. Jedem der Steinetreiber wurde so ein Stein vor die Hände gezaubert. Er griff einfach in die Luft -- ein Schwung -- der Stein flog den Weg der übrigen -- und schon war der nächste wieder erschienen. Ganz selten passierte es, daß einer aus der Reihe tanzte, wirbelnd aneckte oder in der Luft zerbrach. Er bekam einen Klaps mit der Hand, daß er beiseite flog. Wenn es Feierabend pfiff, marschierten die Steinetreiber in einer Kolonne ab. Barfuß waren sie und trugen die nun unbequemen Holzlatschen unter dem Arm. Weiße Maurerhosen, eine enganliegende blaue Strickjacke, Halstuch und Blaser (Ballonmütze) vervollständigten die Kleidung. Alle waren sie aufrechte, kernige, kraftvolle Gestalten. Und die Art, wie sie ihr Halstuch und ihre Blaser trugen, zeigte, daß sie Kerle waren, die wußten, »wo Boom wohnt«. Wilhelm war der stärkste von ihnen. Er hatte einen mächtigen Nacken und eine mächtige Brust; konnte sich einen Ziegelstein auf die flache Hand legen und ihn durch eine Luke in die Decke facken, dem Obenstehenden zu. Oder er faßte den Stein mit zwei Fingern an seiner Schmalseite und schleuderte ihn in die Höhe, daß der Stein, sich fortwährend drehend, mit unfehlbarer Sicherheit durch die Luke in die Hände seines Kameraden gelangte. Ehe sie in die erste Kneipe traten, sagte einer: »Bloß eens -- --.« Das war so eine stehende Redensart. Und war zugleich wie ein guter Vorsatz, hinter dem aber ein leises Lachen steckte. Denn sie wußten genau, es wurde nicht »bloß eens«. Es ging von einer Kneipe in die andre, und jedesmal hieß es: »Bloß eens ...« Zwei nebeneinanderliegende Stuben bewohnten die Bier. Zwei Tischler, ein Schneider und Wilhelm. Gingen sie am Abend nicht aus, so spielten sie Karte, sangen, oder Wilhelm holte die Ziehharmonika hervor. Der Schneider war still und machte sich immer Beschäftigung. Die Kleidungsstücke der Drei wiesen keine Löcher oder fehlende Knöpfe auf. Er war ein Mensch, der um Gottes willen alles gütlich und friedlich um sich herum haben wollte. Er schlichtete, versöhnte, redete zum Guten und ermahnte den wilden, unbändigen Wilhelm. Der antwortete dann nur: »Daß nur uff, daß de deine Hosen richt'ch flickst«, und pfiff sich eins. Wilhelm hatte in einem Dorf in der Nähe ein Mädel sitzen mit einem Kind. Mitunter walkte er seine ganze Sehnsucht in die Ziehharmonika hinein. Die stöhnte dann sentimental, quietschte und schrie, und er nahm sich vor, kommenden Sonntag sein Mädel bestimmt zu besuchen ... »Bloß eens«, sagten die Kameraden am Sonnabend. Und wenn Wilhelm Sonntagmorgens nach Hause kam, fidel und munter wie ein Fisch im Wasser, tanzte er in der Stube herum. Kitzelte die drei Schläfer. Zog ihnen die Bettdecke weg. Tatschte mit der Hand ins Waschbecken und den Schlafenden ins Gesicht. Die Muntergewordenen schimpften, sahen aber bald ein, daß es klüger war zu lachen. Denn in dem Wilhelm war in solchen Momenten alles Wilde und Rebellische erwacht und es konnte vorkommen, daß er kurzerhand das ganze Bett des Schimpfenden umkippte. Er wollte sich scheckig lachen, wenn der sich abmühte, das Bett wieder auf alle vier Füße zu stellen. Hatte er dann ausgeschlafen, und man hielt ihm vor, daß es doch keine Sache wäre, solchen Spektakel zu machen und andere im Schlafe zu stören, zog er ein saures Gesicht. Wenn er daran dachte, daß er ja hatte sein Mädel besuchen wollen, wurde sein Gesicht finster, und er sprach nicht. »Bloß eens -- -- -- -- -- -- --.« An einem Sonnabend, als er sich zum Gehen anschickte, kehrte er an der Stubentür wieder um. Ein paarmal ging er in der Stube hin und her, trat dann an den Tisch, besah sich lange sein Geld und tat es in eine kleine Schachtel. Der Schneider, der regen Anteil an ihm nahm, war aufmerksam geworden. »Ich will dir's uffhebn«, sagte er entgegenkommend. »Na ja«, sagte Wilhelm zögernd und gab's ihm. In der Nacht schüttelte den Schneider jemand heftig. Der hatte friedlich geschlummert, und fuhr nun in die Höhe. Wilhelm stand vor ihm. »Gibb mei Geld her«, knurrte er. Der Schneider, der augenblicklich wach war, durchsuchte seinen Kopf nach einer Ausrede. »Ich hab's uff de Sparkasse getragn«, antwortete er ängstlich wie ein Missetäter, der seine Sünden eingesteht. »Rück das Geld raus, sag ich dir.« Der Schneider sah wohl ein, daß er sich nicht weigern konnte, schlüpfte aus dem Bett, zog die Hosen an und tat, als suchte er das Geld. Er hatte es nicht aufgegeben, auf Wilhelm in seinem Sinne einzuwirken, und gerade jetzt schien ihm die Gelegenheit dazu günstig, als daß er sie sich entgehen lassen sollte. Er fand die Stubentür offen und schlich hinaus. Wilhelm tappte in der dunklen Stube herum. »Wo haste dich hinverkrochen, Zwärnsfaden, elender?« brummte er, ein Streichholz anzündend. In der Stube war der Schneider nicht. Auf den Vorsaal hinausleuchtend, sah er den Schneider in der Türnische der Nebenwohnung kleben. Er packte ihn am Genick und zog ihn hervor. »Wenn du jetzt das Geld nich hergibbst -- -- du -- --«. »Ich geb's nich her«, trotzte der Schneider. »Was --! Was denkst denn du, was ich mit dir mache -- --.« Der Schneider sank immer tiefer zusammen und zerrte mit beiden Händen an der Hand Wilhelms, die ihm wie eine Schraubzwinge im Genick saß. »Laß mich los«, schrie er. Wilhelm tat's. Der Schneider ging zu seinem Reisekorb, schloß auf und legte geduckt das Geld auf den Tisch. Wilhelm machte eine drohende Miene, ließ das Geld in seine Hosentasche gleiten und ging. Die beiden Tischler, die längst aufgewacht waren, lagen noch lange wach, schimpften und philosophierten über so einen Menschen, der kein Maß und Ziel kenne ... Es war Sonntag vormittag und das Bett Wilhelms noch unberührt. Der Schneider flickte. Der eine Tischler putzte seine Sonntagsschuhe blitzblank und pfiff gefühlvoll. Der andere hatte einen zerbrochenen Handspiegel ans Fensterkreuz gelehnt und rasierte sich. Da kam Wilhelm. Keiner sprach ein Wort, und der Tischler hörte auf zu pfeifen. Wilhelm ging einigemal hin und her und sah, daß ihn die Drei nicht beachteten. Er wusch sich und setzte sich mit aufgekrempelten Hemdärmeln an den Tisch. Verschränkte seine kolossalen Arme, die zahlreiche Tätowierungen aufwiesen und stierte vor sich hin. Die anderen rüsteten sich zum Fortgehen. Als Wilhelm allein war, wurde ihm die Stille unerträglich. Er holte die Ziehharmonika und fing allerlei Lieder und Märsche an zu spielen, bis ganz krauses Zeug daraus wurde. Wie er einen Blick zum Fenster hinaus warf, bemerkte er gegenüber ein junges Mädchen. Sie war im Sonntagsstaat und sah zufrieden auf die Straße hinab. Er stand auf, daß der Stuhl umfiel. Mit voller Wucht warf er das Instrument auf den Schrank, wo es sonst zu liegen pflegte. Eine Staubwolke stieg auf, und eine Gipsfigur, die über die Verzierung des Schrankes herabschaute, bekam eins an den Kopf, daß sie zu Boden fiel und in tausend Stücke zersprang. Dann schmiß er sich aufs Bett und zog die Decke über den Kopf, daß man nichts mehr von ihm sah. Schwitzend und schnarchend fanden ihn die Drei bei ihrer Rückkehr im Bett liegen. Er erwachte und frug, wie spät es sei. Nach und nach kamen sie ins Gespräch. Die Drei erzählten, wo sie gewesen, was sie gesehen und erlebt hatten, und einträchtig setzten sie sich an den Tisch, um zu essen. Brot -- das in ein nasses Tuch gewickelt war, damit es nicht hart wurde -- und was sonst noch an Wurst oder Käse in der Ofenröhre oder auf dem Fensterbrett aufzutreiben war -- suchten sie hervor und ließen's sich schmecken. Wilhelm schlug vor, einen Sauser zu machen. Sie könnten ja bei der Gelegenheit den Jahrmarkt mit umstoßen, der draußen auf der Wiese hinter der Sandgrube abgehalten wurde. Zunächst ging's in die Kneipe, wo sich die Steinetreiber zu treffen pflegten. Eine ganze Anzahl schloß sich ihnen an, und so marschierten sie auf den Jahrmarkt. Eine Luftschaukel und eine Reitbahn mit den dazugehörigen Leierkasten waren dort. Ein kleiner Wanderzirkus und Buden mit nützlichem und unnützem Kram. Sie mischten sich sogleich unter den Trubel. Die Steinetreiber scherzten mit den vorbeikommenden Mädchen und umhalsten sie im Weitergehen. Die in der Luftschaukel fuhren, hatten ihren Kahn durch kräftiges Ziehen an dem Tau bald so weit, daß die Spitze des Kahns oben an das Zelttuch stieß ... Um einen Mann, der recht fremdländisch aussah, hatte sich viel Volk angesammelt. Tiefschwarzes Haar hatte er und Ohrringe. Wohl ein Italiener. Ein ganzes Bündel Luftballons hatte er an einem Faden um den Arm gebunden. Dünne Blättchen, die man zwischen Zunge und Gaumen klemmt, daß man wie eine Nachtigall zwitschern kann -- verschrumpelte Häute mit einem Mundstück zum Aufblasen, so daß eine pralle, mit Luft gefüllte Wurst entsteht -- und noch allerlei Schnurren verkaufte er. Vor sich hatte er einen Kasten, in dem ein bunter Papagei saß. Wenn der fremde Mann den Vogel mit ein paar Lauten seiner Muttersprache ermunterte, zog dieser mit seinem Hornschnabel aus einem Bündel Briefe einen davon heraus. Der kostete 10 Pfennige und enthielt Liebesbriefsteller, dazu ein Bild der oder des Zukünftigen. Deshalb stand auch besonders viel junges Volk um ihn herum. Nun hatte der Italiener keinen festen Stand. Daher war er unter den Ausstellern und Ausschreiern nicht besonders beliebt, weil er die Aufmerksamkeit der Kauflustigen auf sich zu lenken verstand und glänzende Geschäfte machte. Der Menschenknäuel mitsamt dem Italiener wogte hin und her, und so war man in die Nähe einer alten Mutter gekommen, die neben einem schräggestellten Korb saß. Ihr Jüngster schrie unausgesetzt mit seiner Kinderstimme: »Drei Stück Fefferkuchen zehn Fennje!« Unmutig war er über den Mann mit seinem bunten Kram, dessen Zuschauer beinahe den Korb umzureißen drohten. Aufgestachelt durch die murrende Mutter, die noch keinen Pfennig eingenommen hatte, sah er das Fruchtlose seiner Anstrengungen ein und drängte sich resolut durch die Leute. Er tippte den Italiener auf den Arm und sagte, er möge doch ein Stück weitergehen. Der Italiener schien ihn nicht verstehen zu wollen, und der Knabe zeigte deshalb mit der Hand nach der Mitte des Platzes, wo noch Raum genug war. Sei es nun, daß in der Handbewegung des Knaben etwas Befehlendes lag -- oder daß er sich genarrt glaubte -- kurz, der Italiener nahm keine Notiz weiter von ihm. Der Junge war aber keineswegs gewillt, seine Sache so schnell verloren zu geben. Er stellte sich direkt vor dem Manne auf, hielt die Hände an den Mund und schrie mit der ganzen Kraft seiner Stimme: »Drei Stück Fefferkuchen zehn Fennje -- drei Stück Fefferkuchen zehn Fennje --.« Der Italiener ließ ihn einigemal gewähren. Dann nahm er rasch den langen Stock, der als Stütze des Kastens diente und schlug nach dem Knaben. Der bückte sich behende. Ein zweiter Schlag traf ihn aber. Er heulte laut auf und wollte, sich den Kopf haltend, flüchten. Das gelang ihm in dem Gedränge nicht gleich, und der erregte Italiener hieb weiter auf ihn ein. Er drängte sich mit Gewalt ins Freie, und die zurückweichende Menge warf den Korb mit den Pfefferkuchen um. Die Alte sprang von ihrem Feldstuhl auf, hob diesen in die Höhe und wollte mit wütenden Worten auf den Italiener los. Da schob einer die gaffende Menge beiseite und pflanzte sich breit, die Mutter hinter sich, vor dem Italiener auf. »Du Schlawake mach dich mal nich so maus'g hier -- sonst kannst du vielleicht mal ne richt'ge Abreibung erwischen!« rief er. Wilhelm war's. Der aufgeregte Italiener hob blindwütig den Stock, um auch ihn zu schlagen. Der fing den Schlag mit dem vorgestreckten Unterarm auf. Ein Griff mit der andern Hand -- ein Ruck -- und der Stock war in seinem Besitz. Ihn übers Knie legen und zerbrechen -- mit der abgebrochenen Hälfte in die Luftballons schlagen, daß die eingepreßte Luft mit einem Knall entwich; während andre Ballons die Gelegenheit benutzte, um frei und ungefesselt in der Luft zu segeln -- das ging alles so rasch, bevor es die Umstehenden richtig gewahr wurden. Sie lachten schadenfroh und gafften den entfliehenden Ballons nach. Der Italiener streifte hastig den Tragriemen seines Kastens ab. Der Papagei hüpfte ängstlich drucksend am Boden. Der Italiener achtete nicht darauf. Ihm war der Haß in den Kopf gezuckt und hatte alle Vernunft verscheucht. Wilhelm hob den Korb der Alten auf, half dem Jungen die verstreuten Pfefferkuchen einsammeln und entfernte sich, die in dem Tumult verlorenen Freunde suchend. Da erscholl ein vielstimmiger warnender Schrei. Wilhelm sah an seinem Kopf etwas Dunkles auftauchen. Ein Satz zur Seite. Das Messer des Italieners traf an den Kopf. Abgleitend schnitt es ein Stück des rechten Ohrs ab. Einen Atemzug lang standen sie sich gegenüber und prallten dann wie zwei fauchende Lokomotiven aufeinander. Schnell hatte sich ein Kreis um die beiden Kämpfenden geschlossen. Die wälzten sich auf dem Boden. Haßerfülltes Schnauben der zwei ebenbürtigen Gegner. Stampfen -- Zähneknirschen und harte Schläge. Wo Wilhelm hinschlug, wuchs so leicht kein Gras mehr. Zuletzt lag der Italiener auf den Knien, hielt sich sein blutendes, zerschlagenes Gesicht und heulte in tierischen Lauten vor ohnmächtiger Wut, daß er seinem Gegner unterlegen, daß er der Besiegte war. Die Kameraden verbanden Wilhelm den Kopf mit Taschentüchern, und alle zusammen verließen sie den Jahrmarkt. Er mußte alles noch einmal genau und ausführlich erzählen, und es gab ein lebhaftes Durcheinander von Fragen und Antworten, Lachen und Witzen. Es begann zu dunkeln. Von weitem sah man schon die zahllosen Lichter der Stadt. Mit ihren festen Schritten überholten sie umschlungene Pärchen, die gleich ihnen vom Jahrmarkt der Stadt zustrebten, und aus voller Kehle sangen sie das Lied: »Immer wacker -- immer wacker, mir sein Facker -- mir sein Facker. Ju, ju, ju, huhuhuuu. Und brennt uns die Sonne in den Nacken, Mir lassen uns nicht verknacken, Mir sein Fa--a--cker.« Aber nun hat Wilhelm ein verstümmeltes Ohr. Der feine Bernhard. Wer ihn in der Dämmerung an der Ecke neben seiner Droschke stehen sah, konnte wohl meinen, einen ungeschlachten Bären zu sehen. Die dicke zottige Pudelmütze, der dicke, innen gefütterte Mantel und die groben Holzschuhe machten aus dem ganzen Menschen einen unförmlichen schwarzen Klumpen. Nur der kleine Ausschnitt des von Wind und Wetter bronzenen Gesichts unterbrach das Schwarz der Erscheinung. Oft saß er auch wohl auf dem Bock seines Wagens und starrte in das lichterfüllte wühlende Großstadttreiben, bis die Reihe an ihn kam, einen Passagier durch die Stadt zu fahren. Verträumt, noch das Sinnen im Auge, faltete er dann die Pferdedecke zusammen, ließ die Bremse locker und steuerte, mit der Zunge schnalzend, in das Gewühl hinein. Hei! Das war eine Freude, sich so in dem Getümmel zwischen allerhand Fuhrwerk im schlanken Trabe hindurchwinden zu können. Wie das alles ineinander griff. Manchmal schien es ein unentwirrbarer Knäuel zu werden, als hätten sich Räder und Wagen zu einem wunderlichen Knoten verfitzt. Da hieß es, im Moment eine erspähte Lücke benutzen und jede Handbreit Luft am Boden in der Sekunde günstig verwerten. War glücklich wieder freie Bahn, dann knallte der feine Bernhard wohl pfeifend mit der Peitsche oder drohte nach einem andern hin. Der Stümper -- wenn er etwa nicht fahren könne, solle er's ja bleiben lassen! Vormittags, wenn er in der Destille frühstückte, zeigte sich auch oft sein Kopf an der Türscheibe. Sah er, daß jemand an seinem Wagen stand und auf den Kutscher wartete, trank er erst sein Bier aus und stapfte ruhig ohne Eile über die Straße. Die Leute sagten dann: seht nur, wie er rennt, der feine Bernhard -- er hat's ja auch nicht nötig -- er möchte noch gute Worte haben, wenn man in seiner Karrete fahren will. Er ging deswegen nicht schneller. Die Leute --! Aber er -- er erzählte ihnen nichts von dem, was ihn bewegte, er frug sie nicht um ihre Meinung, legte seine Gedanken nicht vor ihnen auf den Tisch, daß sie sie von allen Seiten begucken konnten. Nein -- er erzählte ihnen nicht einmal eine Geschichte, in der ein Frauenzimmer vorkam, bei der sie sich hätten zunicken können: is doch ein geriebener Junge -- nein, nicht einmal das tat er. Es war ihm immer gut gegangen. Erst war er Hoteldiener gewesen, hatte gegeizt und gespart, wo es nur anging. Trinkgelder gab es reichlich in der Saison. Im Sommer diente er in Badeorten und erübrigte sich jedesmal einen hübschen Batzen Geld. Bis er es so weit gebracht hatte, selbständiger Droschkenkutscher zu werden und seine zwei Braunen im Stall zu haben, die er abwechselnd laufen ließ ... Februar war's und die vielen Maskenbälle verschafften manche reichliche Nachtfuhre. Der feine Bernhard hielt vor einem großen Vergnügungslokal. Buntfarbige Plakate wiesen auf den Maskenball hin. Öffneten sich die Türen, so zog wie aus einem Ventil heißer dichter Qualm an der Decke des kurzen Vorraums entlang und zerfloß an der frischen Nachtluft im Licht der Bogenlampen. Dazu war sekundenlang ein quirlendes Gemisch von menschlichen Stimmen und das abgehackte Stück eines Walzers zu hören. Es war schon spät in der Nacht. Bernhard hatte die Hände in die Taschen seines Mantels vergraben, die Mütze tief im Gesicht und saß im Halbschlummer auf seinem Bock. Ein Herr im Zylinder tippte ihm mit dem Spazierstock auf den Arm, nannte Straße und Hausnummer und stieg in den Wagen. In langsamer Fahrt rollte der Wagen durch die stillen Straßen. Bernhard tat einen mächtigen Gähner. Müde war er heute wieder! So richtig schlafen konnte man jetzt so selten. Es sollte heute auch die letzte Fuhre sein. Er hielt vor dem angegebenen Hause. Der Herr stieg aus, bezahlte und schloß pfeifend seine Haustür auf. Durch einen leichten Schlag aufgemuntert, trabte der Braune dem Stall zu. Dieser war im Hofe eines altertümlichen Gasthauses, wo meistens Bauern, Landleute, besonders an Markttagen, übernachteten. Neben dem Stall war ein kleiner Raum, eine einzelne Stube, in der er schlief und wohnte. Er schirrte das Pferd ab, schüttete Futter, hing das Lederzeug und das Gestänge an den großen eisernen Haken und ging, den Wagen unter den Schuppen zu zerren. Öffnete die Wagentür, um die gute Plüschdecke während der Nacht herauszunehmen. Da traf seine Hand, die im Dunkel auf dem Wagensitz herumtastete, unvermutet auf einen warmen Körper. Wa--was war denn da los? Er nahm eine der noch brennenden Kutschlampen und leuchtete ins Wageninnere. Eine weibliche Gestalt lehnte in einer Ecke. Sie hatte ein apfelsinengelbes Maskenkostüm an, das mit rotem und grünem Flitterkram übersät war. Er setzte sich ihr gegenüber und betrachtete sie aufmerksam. Der Kopf war zur Seite gesunken, und die mit einer Nadel in dem hellblonden Haar befestigte Mütze war auf das eine Ohr gerutscht. Das ausgeschnittene Kostüm ließ ein Stück der weißen Brust sehen, die sich in regelmäßigen Atemzügen hob und senkte. Neben ihr lag ein Bündel. Das war ja eine nette Überraschung. Himmel Herrgott! Hm, alt war sie ja nicht gerade -- na jung auch nicht mehr. Die hatte der im Zylinder wohl hier liegen lassen. Hm -- er war ja auf dem Bock eingenickt -- dann hatte ihn der munter gemacht -- und da mußte sie wohl zuvor eingestiegen sein. Jjajjajaa -- was war da zu machen? Sie hier ruhig schlafen lassen? Daß sie morgen früh in ihrem Aufputz wieder fortlief? Vielleicht wußte sie selber nicht, wo sie hingehörte. Wenn er sie nun in seine Stube trug? Da konnte sie schlafen, solange sie wollte, und kein Mensch sah sie. Nachher konnte man ja weitersehen. Na ja freilich, brummte er, stieg aus dem Wagen und hing die Lampe wieder an ihren Ort. Da war das Mädchen jedenfalls ordentlich eingeseift worden und hatte nun einen Tüchtigen in der Krone. Er hing die Wagentür aus, der sie am nächsten saß. Behutsam faßte er sie mit einem Arm unter den Knien, mit dem andern um den Leib und zwängte sich mit ihr aus dem Wagen. Himmel, an der war schon was dran! Eine hübsche Last war das. Da gibt man sich schon so wenig wie möglich mit Frauenzimmern ab, und dabei kommt einem ein so seltener bunter Vogel von selber ins Nest geflogen. Er legte sie schweratmend in sein eisernes Feldbett und deckte sie mit der Pferdedecke zu. Im Wagen fand er noch einen ihrer Halbschuhe, den er vor das Bett stellte. Hm -- was wollte er nun mit sich und seiner Müdigkeit anfangen? Er zog seine Strickjacke aus und versuchte, nur mit den Hosen bekleidet, sich neben sie zu legen. Nein, das war nichts. So ließ sich's auf die Dauer nicht schlafen. Das Feldbett war zu schmal. Er ging hinüber in den Stall, schüttete in einer Ecke Stroh auf, breitete eine Decke darüber und deckte sich mit seinem Pelzmantel zu. Freilich -- hier war schon mehr Platz. Er gähnte und lachte ein wenig. Wer ihm vor einer Stunde gesagt hätte, daß er wegen einer wildfremden, vergessenen Maske im Stall schlafen würde -- na, den hätte er vielleicht -- was einem doch nicht alles passieren kann --. Ruhig schlief er ein. Am nächsten Morgen ging er an seine gewohnte Arbeit. Brachte den Pferden frisches Wasser und Futter, putzte und striegelte. Während er so auf dem Rücken des einen Braunen herumarbeitete, die Hufe stampften und scharrten, die wedelnden Schweife die Fliegen verscheuchten und das Mahlen der kauenden Gebisse zu hören war, dachte er an die vergangene Nacht. Ob sie noch schlief? Überhaupt -- daran hatte er noch gar nicht gedacht -- wenn man so jemand hätte, der einem mal die Treter schmierte oder früh eine Tasse heißen Kaffee kochte -- in der Strickjacke war das Loch unter dem Ärmel auch schon wer weiß wie lange -- -- hm, das wäre gar nicht so ohne. Er setzte den Wassereimer aus der Hand und ging die paar Schritte über den Hof. Spähend sah er durch das kleine schmutzige Fenster in die Stube. Nichts regte sich. Dort vor dem Bett lag noch, wie eben hingeworfen, der Halbschuh. Am Kopfende schaute ein Stück ihrer gelben spitzen Mütze hervor. Sie schlief also noch. Na, einen anständigen Affen mußte sie schon gehascht haben! Er ging leise hinein und machte die Tür des Wandschranks, der dem Bett gerade gegenüber hing, weit auf. Sie mußte es sehen, daß da ein halbes Brot lag, unter der Glasglocke Butter, Speck und der feine zerlaufene Käse stand. Behutsam ging er. Er machte sich fertig, schirrte das Pferd an, schloß den Stall mit dem Querbalken und fuhr zum Hoftor hinaus. Ach was -- er kam ja gegen Abend wieder, um das Pferd zu wechseln, und zu mausen gab's in seiner Stube nicht viel, was der Rede wert gewesen wäre. An seinem Standort saß er zeitunglesend auf dem Bock; nickte dem und dem zu, war gleichmütig wie immer. In der Destille frühstückte er, stand hinter der Tür an die Wand gelehnt, betrachtete die Vorübergehenden und blinzelte nach seinem Wagen. Als es zu dunkeln begann, fuhr er wieder nach Hause. Jetzt konnte er seine Ungeduld kaum noch zähmen. Schwer war's doch geworden, sich so gar nichts anmerken zu lassen. Aber dabei ein so schönes Gefühl -- wenn ihr wüßtet -- -- --. Auf dem Hofe angelangt, näherte er sich sogleich seiner Stube. Ein eigentümliches Schleifen und Kratzen ertönte. Er trat ein. Sie kniete auf dem Boden und scheuerte mit der Wurzelbürste darauf los. Mit einem Blick bemerkte er auch, daß die Tür des Wandschrankes verschlossen war. Sie wußte Bescheid. Einen einfachen Rock und Bluse hatte sie an. War das mit im Bündel gewesen? Da sie immer noch weiter schrubbte, als hätte sie ihr Lebtag nichts weiter getan, stieß er sie sachte mit dem Fuße an. Sie erschrak ein wenig. Die derben bloßen Arme auf den Boden gestemmt, hielt sie inne, drehte den Kopf und richtete sich dann auf. Ganz verlegen wurde sie und wollte sich aus ihrer knienden Stellung erheben. Er klopfte ihr beruhigend auf den Rücken und machte eine Bewegung mit der Hand, sie solle sich nur nicht stören lassen. Sie sah ihm mit einem langen Blick, der an seiner Gestalt in die Höhe ging, in die Augen. Sie wollte lächeln und verzog nur die Mundwinkel. Dann tauchte sie zögernd die Bürste in das Waschfaß und scheuerte weiter. Er ging hinaus. Sinnend strich er seinen Bart und sah dem Obsthändler zu, der auf seinem Wagen stand und einem Trupp Marktfrauen die Tragkörbe von Äpfel sackte. Sie wußte sich ja zu helfen. Die Scheuerbürste, das Waschfaß hatten auf dem Hof neben der Wasserleitung gelegen. Sie würde schon finden, was sie brauchte. Ihm war zumute, als könne er stundenlang auf einen Fleck stieren, und als müßte er dann wieder lachen und singen. Diese Nacht schlief er wieder im Stall und betrat auch am Morgen nicht die Stube. Wie eine Scheu war es in ihm. Was hätte er ihr denn sagen sollen? Ehe er am Abend wieder heimfuhr, brachte er im Kasten des Kutschersitzes eine Kaffeemühle, eine Tüte Kaffee, Wurst und Fleisch unter. Ärgerlich wippte er mit der Peitsche. Heute mußte Gewißheit werden. Die eingekauften Sachen im Arm, betrat er die Stube. Sie stand schnell vom Bett auf und drückte sich in eine Ecke. Er tat sehr geschäftig, legte alles auf den Tisch und rumorte im Wandschrank herum, brummend, daß er den Spirituskocher versiebt hätte, den er endlich in einem Lappen eingewickelt fand. Es war noch kein Wort zwischen ihnen gefallen. Nun drehte er sich um, räusperte sich laut und sagte, ob sie ihm denn morgen früh eine Tasse Kaffee kochen wolle. Als sie nicht antwortete und nur hilflos auf seine Lippen sah, machte er eifrig die Gebärden des Kaffeemahlens. Sie nickte, als sei das selbstverständlich. Dann zeigte sie nach einem Ohr und sprach stockend und stotternd, daß sie kein Gehör habe, schon als ganz kleines Kind nicht. Da sahen sie sich mit einem langen Blick in die Augen, und es war ganz still in dem kleinen niedrigen Raum. Am nächsten Morgen stand er zeitiger auf als sonst. Hastig richtete er Pferd und Wagen her und fuhr davon. Planlos fuhr er in den Straßen umher und frug sich immer wieder, ob sie wohl schon munter gewesen war und ob sie Kaffee gekocht hatte. Trotzig kam er abends wieder. Sich von einem hergelaufenen Weibsen verdrängen -- verdrängen lassen -- aus der eigenen Behausung --? Oho!! Er setzte sich auf einen Schemel an den wackligen Tisch und begann zu essen. Verstohlen sah er nach ihr hin. Sie saß auf dem Bettrand und hatte auf dem Schoß einige Schürzen liegen, deren Bänder sie durch die Finger zog und glättete. Nun gewahrte er unter dem Bett auch einen kleinen Reisekorb, dessen Deckel mit schwarzem Wachstuch überzogen war. Er vermied jedes Erstaunen und winkte sie heran. Rückte den andern Schemel zurecht und wies auf Wurst und Brot. Sie setzte sich auch neben ihn, vorsichtig und geräuschlos essend. Zuweilen blickten sie auf, nickten sich zu, als hätten sie sich nichts zu sagen, als hätten sie immer so zusammengesessen. Sie hatte auch so etwas in den Augen, das ihn wie etwas längst Vertrautes ansah: ich weiß schon, was du sagen willst; sei du nur unbesorgt. Nach dem Essen holte er seine Zeitung hervor und las. Dabei fühlte er, wie sie ihn unausgesetzt betrachtete. Er wandte den Kopf und zeigte auf eine Stelle in der Zeitung. Sie rückte näher heran, um es auch zu lesen. Unwillkürlich legte er nach einer Weile seinen Arm um ihre Schultern, und so lasen sie alle beide. Drückend wurde das Schweigen. Keiner wagte sich zu rühren, wie sie so saßen und längst das Zeitungsblatt nach allen Richtungen hin überflogen hatten. Endlich wollte sie sich aufrichten. Da faßte er sie mit der andern Hand am Kinn, zog ihren Kopf heran und küßte sie. Er fühlte, wie ihre Lippen die Liebkosung erwiderten. Von nun an war das Feldbett nicht mehr zu schmal. Den folgenden Tag passierte etwas noch nie Dagewesenes. Der feine Bernhard war früh nicht an seinen Standort gekommen. Er kam am Mittag und auch am Abend nicht. Dafür war er in der Stadt gesehen worden, wie er in den feinen Vierteln an großen Gebäuden und Sehenswürdigkeiten herumkutschiert war -- wie er, ein leidlich hübsches Frauenzimmer im Wagen, mit der Peitsche auf dies und jenes gezeigt hätte. Ja -- und seine beiden Braunen wären vor dem Wagen gewesen -- hätten sogar Blumen an den Ohren stecken gehabt wie ihr Herr an seinem blitzenden Lackhut. Und alles hätte so blank und so munter gelacht, daß selbst der Neid in der Gasse zerplatzt wäre, hätte er das mit angesehen. Ja, hier konnte einer wieder mal deutlich sehen, daß stille Wasser tief sind. Denn wer hätte das dem feinen Bernhard so ohne weiteres zugetraut. Freilich, auf Überraschungen war man ja bei dem gefaßt. Aber, daß er solche Dinger baute und eine Hochzeitsreise durch die Stadt machte, ohne auch nur ein Sterbenswörtchen verlauten zu lassen, das war doch ein starkes Stück. Nun hatte man ihm ja nicht einmal gratulieren können! Und als er am nächsten Morgen in der Kneipe hinter der Tür lehnte, seinen Schnitt Bier und seinen Korn trank, den Eintretenden guten Tag zunickte oder sich zu einer skatenden Gruppe stellte, da kannte das Staunen keine Grenzen. Ha -- er war eben der feine Bernhard! ... So verging etwa ein Jahr. Nichts änderte sich in seinem Äußeren. Er war wortkarg wie immer und bestimmt in seinem Tun. Aber eines Tages war er wieder die Ursache allerlei Vermutungen und kopfschüttelnden Staunen. Er war wieder einen ganzen Tag nicht gekommen, auch nicht gesehen worden. In seiner Kutscherstube saß er auf dem Bettrand, hatte den Kopf in die Hände gestützt und die Finger in die Haare gekrallt. Sie war fort. Mit weitgeöffneten Augen stierte er zu Boden. War denn das möglich? Was war es denn, was sie fortgetrieben hatte? Hatte er je gefragt, ob sie bleiben wollte? Nie! Er hatte es gestern abend gleich geahnt, als er sie bei seinem Eintreten nicht in der Stube vorfand. Der Reisekorb und aller übrige Kram fehlte ja auch. Wenn eine unter Tausenden zu ihm gepaßt hatte, so war sie's gewesen. Sie war in ihn hineingewachsen. Er wollte es abschütteln! Zum Teufel -- wenn sie gehen wollte -- nun gut --! Finstere Falten auf der Stirn, richtete er sich auf. Da fiel sein Blick auf den geöffneten Wandschrank. Sie hatte die beiden Fächer fein mit Papier ausgelegt und eine weiße Zackenborte an die Ränder der Bretter gehäkelt. Er stand auf, nahm das Papier heraus und riß die mit Zwecken befestigte Borte langsam ab, ging in den Stall und an seine Arbeit. Es kam jetzt öfter vor, daß der feine Bernhard ein Glas über den Durst trank und mit einem Fahrgast wegen der Bezahlung in Streit geriet, oder beim Skat zu krakeelen anfing und mit dem Finger drohte: sie sollten ihn nur erst einmal kennen lernen, er wäre kein Guter. Hatte er früher für die harmlosen Späße der Straßenjugend nur einen Peitschenknall übrig gehabt, so konnte er jetzt in Wut geraten, wenn sie ihm zuriefen, daß sich die Räder so schnell drehten, oder -- ob er frei wäre --. Mit gewaltigem Satz sprang er vom Bock und schlug ihnen die Peitsche um die Ohren, daß sie ausrissen wie Schafleder ... Eines Abends stand der dicke Wirt der Kutscherkneipe vor seiner Tür. Da rief er auf einmal ins Lokal hinein: »Jetzt kommt aber ne Porzellanfuhre.« Die Gäste drängten sich an der Türe, um zu sehen, was es gäbe. Der feine Bernhard kam angefahren. Aus seinem Wagen drang ein wüster Spektakel, Lärm und Johlen. Angetrunkene Stimmen sangen: »Nach der Heimat möcht ich wieder«. Aus den Wagenfenstern hingen verschiedene Beine heraus. Bernhard riß den vollgepfropften Wagen auf und warf seine Kumpane dem Wirt in die Arme. Mit dem abgebrochenen Peitschenstiel schlug er drinnen auf den Tisch, daß die Gläser zu tanzen anfingen und umfielen, schlug zu einem lustigen Lied krachend auf einen Stuhlsitz, hüpfte herum und schrie juhu. Der Tumult wollte kein Ende nehmen. Er hatte gewettet, die Ecke eines Biertisches mit der Faust abzuschlagen. Krachend fielen die Schläge der geballten Hand. Die Ecke wollte nicht weichen. Er warf seinen Mantel fort und schlug weiter, vor Wut schäumend. Von seiner Faust tropfte das Blut auf den Tisch. Bis sich der Wirt ins Mittel legte. Er müsse die Ecke erst abhauen, brüllte er. Fluchend und schimpfend wurde er hinausgeführt. Alles, was in seine Droschke hinein wollte und hinein ging, kam mit. So ging es von Kneipe zu Kneipe. Der feine Bernhard zahlte alles. Immer gefolgt von einem Schwarm wechselnder Anhänger. Drei Tage und drei Nächte währte das Treiben. Allein und verlassen langte er auf seinem Hofe an. Mühsam kletterte er vom Bock, taumelte und stolperte in seine Bude und warf sich, so wie er war, auf das Bett. Die Bauern aus dem angrenzenden Gasthause fanden früh, als sie zum Markte gingen, den kopfhängenden Braunen noch auf dem Hofe stehen. Sie führten ihn in den Stall und fütterten ihn mit Brotrinden und Abfällen ihrer Grünwaren. * * * * * Der feine Bernhard ist jetzt Dienstmann. Mit Mütze und blauer Bluse sitzt er auf dem niedrigen Sockel des Bahnhofgitters. Eine Droschkenhaltestelle ist dort. Wie riesige Ungetüme in ihren dicken verwitterten Pelzen, stehen Droschkenkutscher und Dienstmänner mit gebeugten Rücken und grauen zerzausten Vollbärten um ihn herum und in der Nähe. Sie sprechen von den Autos und den Messengerboys. Manchmal schlägt ihm einer auf die Schulter und sagt wie zur Bekräftigung: »Nich wahr, Bernhard, so isses --?« Da öffnet er die stets halbgeschlossenen Augenlider wie weltvergessen, hängt die kurze Pfeife aus der Zahnlücke und über sein gelbes knochiges Gesicht zuckt es wie vorüberhuschendes Lachen: »Ich bin der feine Bernhard -- wehe wenn du's nich gloobst! Ich bin der feinste Mann von Eiropa. Habt ihr ne Ahnung -- --.« Der wilde Max erzählt ... Stand die kleine Gruppe Dienstmänner an der Straßenecke, vor dem rechten Ladenfenster, so daß man ihre vom Alter und Lastenschleppen gebeugten Rücken lange Zeit fast unbeweglich sah, so wußten es die Eingeweihten: der wilde Max erzählt ... Zu dieser Gruppe gehörte Anton, der auch der versoffene Anton hieß. Da er zugleich Couleurdiener einer studentischen Verbindung war, fiel auch hier für ihn der nötige Alkohol ab. Mit Vorliebe trug Anton Turnschuhe. Die drückten nicht und waren angenehm leicht. Er trug sie auch an seinen Ausgehetagen. Da wußte er aber auch, was sich für einen Couleurdiener ziemt. Denn er zog an solchen Tagen seine weißen Hosen und seinen schwarzen Gehrock an, setzte einen steifen Hut auf sein Haupt, und hielt einen derben Spazierstock in der Hand, der an einem der studentischen Kneipabende in irgendeiner Ecke stehengeblieben war. So ausgerüstet, besuchte er die vielen kleinen Gastwirtschaften, in denen er durch seine weitverzweigte Tätigkeit bekannt war -- drückte dem Wirt die Hand, begrüßte ein paar Gäste, trank einen Schnitt Bier oder einen Schnaps und ging in die nächste Kneipe. Alles eilig und wichtig, als hätte er ein dringendes Geschäft zu erledigen. »Ooch hinne heite, Anton?« scherzte der eine oder andre. »Ich mache heite de Runde -- kene Zeit -- ich komme sonst nich rum«, antwortete der mit heiserer Stimme, die einem Grunzen glich. Hatte er so gewissenhaft keine ihm bekannte Kneipe vergessen, so war sein Gesicht noch röter und aufgedunsener als sonst, und sein Ausgehetag war damit zu Ende. Einen andern Dienstmann, dem die weißen Haare in dichten Strähnen unter seiner Mütze hervorsahen, nannten sie den Schtumpelschtecher. Er sammelte weggeworfene oder an Schaufenstern und Treppenhäusern weggelegte Zigarrenstummel. Er gab das aber niemals zu. Er rauche nur, wenn es ihm schmecke. Und wenn er da manchmal mit einer Zigarre erst zur Hälfte wäre, bewahre er sie auf, bis es ihm wieder schmecke. Die Stummel zerschnitt er zu Pfeifentabak, oder er rauchte sie, wenn sie noch gut erhalten waren, in seiner schwärzlichen, verräucherten Zigarrenspitze. Der dritte der Gruppe war der kleine schmächtige Abraham, der viele Jahre bei der Heilsarmee gewesen war. Von ihm sagte der wilde Max, daß er immer die »Zwenksche Krankheet«[2] hätte. Abraham galt als verrückt, weil er je nach Jahreszeit oder Laune seine Fußbekleidung wechselte, fortwährend Selbstgespräche führte, wobei er auf die Frage, ob er etwas gesagt habe, stets mit »Wie?« antwortete. Kein Zweifel, er war verrückt. Im Winter trug er Filzschuhe, dann wieder einmal hohe Schaftstiefel oder Schuhe der verschiedensten Art, die er von denen geschenkt bekam, die überflüssiges Schuhwerk hatten und ihn kannten. Nicht selten besserte er sie auch selbst aus. Lange Zeit trug er auch ein Paar Lackschuhe, in die er nicht wenig verliebt war. Sie mußten ehedem für feine, schmale Füße gearbeitet worden sein. Durch Abrahams Füße waren sie ausgetreten und hatten sich nur noch ihre lächerlich erscheinende Spitze bewahrt. Oft, wenn er mit vorgestreckten Beinen an der Mauer lehnte, spuckte er ein ganz klein wenig auf die Lackspitzen und rieb sie dann abwechselnd an den Hosenbeinen, bis sie ganz blank waren. [2] Zwenksche (von dem Dorf Zwenkau herrührend) Krankheet: Husten, Schnuppen un kee Geld. Begann der wilde Max zu erzählen, so zögerte er stets, sich sofort mit hinzustellen. Die verdammten Geschichten hielten einen bloß von der Arbeit ab. War es doch schon vorgekommen, daß ihm ein Reisender auf die Schulter geklopft hatte, wo es doch umgekehrt sein sollte! Wenn man halbwegs ein paar Groschen verdienen wollte, mußte man schon höllisch hinterher sein. Wenn hier auch ein Kreuzungspunkt vieler verkehrsreicher Straßen war, der Bahnhof und die ankommenden Reisenden gut beobachtet werden konnten, so war doch wiederum gegenüber der Standort der Droschkenkutscher und der einer andern Gruppe Dienstmänner, die ihnen manches Geschäft vor der Nase fortschnappten. Da saß da drüben der feine Bernhard, dem man jedes Wort abkaufen mußte, und der so tat, als wäre er wunder was. Dabei hatte er doch sein ganzes Geld verjuchhet, der alte Sünder. Da waren Schlosserkarl und Schmiedtemil, die beide Fahrräder hatten. Und das Unikum erst, die Kaulquappe. Wie klein und fett er war, und der kurze, gedrungene Hals, den er hatte, fast war es gar keiner. Und seine großen hervorquellenden Froschaugen. Den größten Triumph hatte die Gruppe am Schaufenster, als die Rollschuhmode aufkam. War das ein Gaudium, als die Kaulquappe mit Rollschuhen an den Füßen täglich mehrmals um die Verkehrsinsel herumsegelte, die sich in der Mitte des Platzes befand. Wie ein hilfloses Wrack, oder wie einer, der einen Schwips weg hat und obendrein Seil tanzen will. Das waren Dinge, die den wilden Max jedesmal zu dem Ausspruch veranlassen konnten: »Herr, siehe dein Volk an -- es sin lauter Zijeiner.« Der wilde Max saß stets auf dem Sims des großen Ladenfensters. Dieser Sitz gehörte ihm. Saß ein andrer dort und er kam hinzu, so machte er ohne weiteres bereitwillig Platz. Das Ladenfenster war bis zur Manneshöhe milchfarbig gestrichen. Um so ungestörter konnten sie hier sitzen -- ihr Mittagsschläfchen halten oder sich auf andre Art die Zeit vertreiben. Es war ein heller, freundlicher Nachmittag. Die angrenzenden Straßen zeigten ihr um diese Zeit übliches Gesicht. Abraham ging langsam auf und ab, sah auf seine Schuhe und murmelte vor sich hin. Da stand man hier und wartete, wartete bis zum Schwarzwerden. Hatte es nicht seine Frau besser, die in die Buchbinderei ging? Solange Arbeit da war, hatte sie wenigstens ihren regelmäßigen Verdienst. Ja, er allein hätte die Kinder nicht ernähren können. Kaum eins. Geschweige denn vier. Hatte nicht neulich die Zweitreppige gesagt, sie sähen aus wie Bettelkinder --! Die sollte sich ja um sich bekümmern -- die -- die sollte sich ja vor ihm in acht nehmen. Zornig stieß er im Gehen ein Blatt Papier mit dem Fuß zur Seite. An der Ecke angelangt, bog er schnell in eine Seitenstraße ein und trat in die erste Hausflur. Prüfend sah er sich um. Langte dann in seine Bluse, zog die Flasche hervor und trank einige hastige Schlucke. Die Flasche wieder verbergend, trat er mit unbefangener Miene auf die Straße. Ging schnell bis zur nächsten Ecke und nahm dort seinen langsamen Schritt wieder auf. Es war durchaus nicht nötig, daß es jemand sah. Da bemerkte er, wie bereits einige um den wilden Max herumstanden, dröhnend lachten und ihn drängten, diese neueste Räubergeschichte zu erzählen. Der hatte gut erzählen. Hatte ja auch halbwegs etwas Sicheres jeden Monat. Denn er bekam eine kleine Rente für seinen rechten Zeigefinger, dem zwei Glieder fehlten. Freilich sagte er, er hätte sich die fehlenden Glieder einmal vor Wut abgebissen, weil er einen hauen wollte und der ausgerissen wäre. Nein, Abraham wollte sich nicht mit hinstellen. Man kann nicht wieder los von ihm. Dieser Teufel hatte es ja auch nur auf ihn abgesehen. Wie er zögerte und nach ihm hergrinste! Abraham fühlte das, auch wenn er nicht hinsah. Lange konnte er indes das Abseitsstehen nicht durchführen. Sie riefen ihn, bis er mit ärgerlichen Schritten, von denen jeder ein Protest war und zeigen sollte, daß er nicht gern kam, zu ihnen trat. Der wilde Max saß auf dem Fenstervorsprung und lehnte mit dem Rücken an der Scheibe. »Gibb mir erscht mal een«, sagte er zu dem Schtumpelschtecher. Dieser entnahm seiner Ledertasche einen längeren Zigarrenstummel. Max steckte ihn in seine papierne Zigarrenspitze und ließ sich Feuer geben. Dann rückte er ingrimmig an seiner Dienstmannsmütze, bis sie etwas schief saß, zog die borstigen Augenbrauen finster zusammen und kreuzte die Arme über der Brust. »Was denkt ihr wohl, wenn ich meine Wut kriege -- ich haue alles kurz und kleen -- da is mir alles egal dann --.« Starr sah er dabei vor sich hin. Wenn nun vollends die Muskeln seiner Kinnladen tanzten und vibrierten, sagte beinahe keiner seiner Zuhörer ein Wort mehr. Das sah auch zu unheimlich aus. Eine fürchterliche Wut mußte in ihm kochen. Dabei konnte man das Spiel seiner Kinnladen wie das letzte Aufflackern eines unglücklichen Gegners deuten, der unbarmherzig zermalmt wurde. »Gestern -- ja -- ja -- da is mir wieder sowas Komisches passiert. Mer solltes garnich fer meeglich haltn. Ich sitze also hier uffn Sims un trockne mir meine Mütze innewendch, weils doch son heeßer Tag war. Da kommt eener un sagt, werter Freind, Sie könn mir mal mein Koffer von der Bahn holn. Wie ich schon sagte, war's mächtch warm, un hier an der rechten Ecke beim Konditter putzte das neie Dienstmädchen von Zahnartzts grade de Fenster. Daderbei trat se so weit raus, daß ich jeden Momang dachte: jetzt fällt se. Ich schtand dessertwegen immer mit een Been uffn Schprunge, daß ich se noch zu packn kriege, wenn se fällt. Ich sage nu zu dem Reiseonkel: ich habe jetzt keene Zeit. Entschuldign Sie, meent er, un sah nach de Uhr -- wielange könnte denn das dauern? -- Ne halbe Schtunde vielleicht, das weeß ich jetzt noch nich. Da komm ich nachher noch mal, sagt er, zieht den Hut un sagt adjö. Adjö. Ja, ich passe wieder uff, daß die leichtsinnige Karline nich ausn Fenster fällt -- da uff eemal merke ich, wie jemand von der Seite her ruft. Sst! Sst! Sie da --! Na, ich schiele mit een Ooche hin, daß ich nich verpasse, wenn se runterfällt, un sehe da, wie eener uffä Gaule sitzt. Lange Reitschtibbeln, schwarzn Schwenker un Esse. In sein Handschuhfingern hat er ä weißn Brief -- un ruft so von ohm runter, daß ich den Brief gleich besorgen solle. Das Kerlchen hättet ihr überhaupt ämal sehn solln. Den uffn Feifenkopp -- da könnt ihr vor Lachen nich roochen. Na, ich denke mir, so eilig wärd das nich sin mit dein Briefbesorchn, un meene zu ihm, daß ich jetzt keene Lust habbe. Hä -- macht er un klemmt sei drittes Ooche fester ins Gesichte. Er hatte 's wohl nich richtch verschtandn, un da sag ich's noch ämal, daß ich jetzt keene Lust nich habbe. Ach nee, sagt er, un fung an ze feixn. So recht dreckch, wißt ihr, un das wißt ihr ooch, daß ich alles vertragn kann, bloß das nich. Ich behalte abber meine Ruhe un gucke wieder mit allen beeden Oochn bei Zahnartzts ihre Anna. Uff eemal schreit der von sein Gaul runter mit änner Schtimme wie ne Groschentrompete. Fräächer Kärrl, sofort kommst du her --! Jetzt feixe ich. Das bringt mein Urach natierlich in de Wolle, un gefällt mir, weil das ä menschlicher Zug is, den ich ooch von mir kenne. Wie ich nu immer noch feixe un sitzn bleibe, huppt eich der Kerl, als hättn der Hahn gehackt, mit seiner Zicke uffs Trottewahr un fuchtelt mit seiner Fiepe in der Luft rum. Na, ich denke, was soll denn das nu wärn, wenn's fertj is? Hau du nur! Een Schlag! Un wärklich zieht er mir eens übern Buckel. Wenn Anna jetzt runterfällt, is der Schuld! Mir wärds schwarz vorn Oochn -- alles schwimmt -- na, ihr kennt mich ja -- greife dem Bock in de Nasenlöcher, un mit der Faust haukch eens uff de Pferdeschtärne. Der Gaul kriegtn Lachkrampf in de Knieä un fällt um. Mei Anies kommt mit een seiner langschtibblichn Beene daderbei unter den Pferdebauch ze liegn. Er krächzt und zappelt un schreit, wenn er sein Bixtol mit hätte -- -- --. Ich setze mich wieder uff mein Platz un sage: siehste mei alter Freind, du kennst den wilden Max noch nich. Nu schreit er un schimpt un zerrt wie verrückt an sein Been rum. Wie das so is -- hier an der Ecke is immer ä mächtger Verkehr -- da dauerts nich lange, un alles is schwarz von Menschen. Alle schtehn drum rum. Keener traut sich ran, weil das Pferd um sich schlägt. Mir dauert das nu ooch ä bißchen lange. Das arme Pferd konnte doch nischt davor -- un eh ä Schutzmann geholt -- oder de Feierwehr -- denke ich, 's wärd doch besser sin, wenn du die Sache wieder ins richtge Gleise bringst. Erscht gucke ich noch mal bei Annan, die natierlich 's Fensterputzn vergessn hat un das ganze Theater fein sehn kann -- un schubbe de Menschen beiseite. Da liegt nu der zitternde Gaul, un mein Freind hat sei Been immer noch unter den Pferdebauch. Ä paar Zuschauer ham unter de Arme gefaßt un zerrn un zerrn -- --. Na, ich packe das zitternde Vieh mit eener Hand an Hals, mit der anderer an Schwanz, hebs in de Höhe un schtells wieder sachte uff de Beene. Was mein Freind is -- der kraucht uff alln Viern rum -- denn bei dem Zerrn da hatter sei Been glücklich aus sein Schtibbel rausgewärgt. Nu schtand er da mit een Schtibbel un een rosarotn Schtrump. Vor lauter Fitz konnte er sein Langschäfter nich schnell genug anziehn, drehte sich erscht paarmal im Kreise rum -- fiel beinahe hin -- bis eener mit half. Wie ich den Leiten de ganze Geschichte erzähle, klatschtn sie in de Hände un wolln mich uffs Pferd setzn. Aber ich winke mit der Hand, se solln nich solches Uffhebens machen von der Sache. Mei Urach is nu schleinigst wieder uff sein Bock geklettert un will sich ausn Schtoobe machen. Wie er schon son Schticke fort is, feife ich mit mein zwee Fingern Huitt! Er dreht sich um, un ich winke. Richtch kommt er schnell angeschwirrt, zieht heeflich sein Hut un fragt, was ich wünsche. Ich mache noch ne kleene Kunstpause, weil er so verlegen is un seine hohe Persönlichkeet so lächerlich gemacht wurde, un sage denn leise zu ihm: du hattst doch vorhin ä Brief zu besorchn!? Er sucht mit zittrigen Fingern in sein sämtlichen Taschen rum un bringt endlich den ganz zerknautschten Brief raus. Die Adresse schteht druff, haucht er, un will mir son hartes Schtick Gott-mit-uns in de Hand drückn. Ich sage, laß nur dei Geld schtickn, da kannste dir dein Anzug frisch uffbiegeln lassen. Immer nobel, un wenn's Hemde guckt -- wenn ooch heeme der Kamm uff der Butter liegt. Er sagte: danke scheen, un drückt sich seitwärts in de Büsche. Eh ich mich uff de Sockn mache, gucke ich erscht noch mal bei Annan. Abber die is nich mehr zu sehn. Wahrscheinlich isse doch runter gefalln, weil ich nich immer hinguckn konnte ... An den fein Hause, was uff den Brief schteht, klingle ich. Son glattrasierter Junge nimmt mir den Brief ab, un ich sage fix, daß ich uff Antwort warte. Ich schtehe da un warte -- kee Mensch läßt sich sehn. Na, ich mache de Tür von innewendch zu, geh durchn Garten -- ä paar Schtufn nuff un ins Haus. Das kannch eich nu gar nich beschreim, wie's da aussah. Ihr wärd glatt uffn Rückn falln. Alles in Marmor un dicke Teppche -- da gehste als obste schwebst --. Ich huste nu mal so recht anzieglich, un wie ich mich umdrehe, da schteht eene da -- ich wußte nich, is die gemalt, oder is das sone Fijur, die schon daschtand, alste reinkamst. Die Fijur schtärzt mir vor de Beene, hebt de Hände hoch und bettelt, ich soll ihr nischt tun. Ich schtreiche ihr über ihre fein Haare un sage, ich will Sie nischt tun -- ich kenne Ihnen doch gar nich. Ich gloobe, ich habbe geweent. Abber denn schrie ich mit Wut in der Schtimme, ich müßte sofort was zu essn ham -- ä fein Pickus müßt ich ham. Was denkt ihr wohl, wie die nausflitzte. Eens zwee drei kamse wieder rein, un zwee Diener brachtn ä Tisch mit lauter Fresserein druff. Ich -- mein Leibriem abgeschnallt -- un wie so ä Habicht über den Tisch her -- ich habbe eich ungefähr gehamstert wie ne neinköppche Raupe. Mir wars Wasser immer aus eener Backe in de andre geloofn. Wie ich fertch bin, kommt das kleene Freilein rein un fragt, ob ich ihr helfn wolle. Na, warum denn nich? Wenn sies verlangt hätte, hättch das ganze Haus umgefackt, weil ich so satt war un sie so hübsch. Ja, sie wolle von hier fort fliehn. M. W., mit Wonne sage ich. Sie hielt's hier nich mehr aus. Natierlich -- das feine Essen jeden Tag. Draußn in der Remise schtänd ä kleener Handwagn -- der wärde geniegen für ihre Sachen. Gut, ich hole den Wagn raus, un sie bringt ungefähr son Schticker zwanzch Hutschachteln raus. Abber solche Schachteln, da konnt ich allemal bloß eene untern Arm nehm. Wie ich alle zwanzch uffgeladn hatte, zogn mir los. Niemand ließ sich sehn. Ich hätts je ooch keen geraten. Abber wundern tatch mich, wo se eegentlich hinwollte! Kreiz un quer ging's durch de Schtadt. Eenmal links un eenmal rechts -- dann wieder links -- dann ging's im Kreise rum, bis mar wieder uffn sellm Flecke schtandn. Wie mir so ne Schtunde egal hin und her gefahrn warn, da sagt se ze mir -- mir wolltn nur wieder ze Hause gehn. 's wär heite so scheißliches Wetter -- se hätte gar nich gedacht, daß der Wind so kalt blies. Un ihre Gummischuhe hätte sie ooch vergessn. Un wie ihr de Beene weh tätn von den vielen Loofn. Da fuhr ich ähmt wieder heeme un lud de Hutschachteln ab. -- Ich mache jeden Unfug mit. Nu horcht mal genau druff, was ich eich sage. Morgen oder wenn's grade mal paßt, nehme ich Schlesingern sein zehnmetrigen Möbelwagen un fahre nach der Willa. Das kleene Freilein hat schon ze mir gesagt, dasse von ihrn zwölf Zimmern bloß zweeä braucht. Da lade ich alles uff, die fein Tische und Schtühle, de Teppche un so, un da machn mir mal son recht verhaun Tag, un ich schenke eich dann alles -- -- ich wär mich doch nich mit dem ganzen Kram rumärgern. -- -- -- Hm -- 's geht nirgends närrscher zu als in der Welt -- --« Der wilde Max steht auf, reckt sich und macht einige schwerfällige Schritte. Abraham entfernt sich eilig und murmelt so etwas wie: »Der Schtromer, der ganz große.« Da lacht Max durch die Nase und entnimmt einer abgegriffenen Blechdose ein Stück Männerschokolade, wie er den Priem nennt. Die neuste Räubergeschichte haben seine Zuhörer diese Erzählung genannt. Sie ist aber schon so oft von ihm erzählt worden, daß sie sie selbst so ziemlich auswendig können. Nur schmückt sie der wilde Max öfters hier und da ein wenig aus, oder bringt ein neues, gerade aktuelles Geschehnis hinein. Und immer beginnen seine Geschichten mit »gestern« und enden mit »morgen oder wenn's grade mal paßt«. Wenn am Tage der Straßenverkehr an ihnen vorüberflutet und der Gang, die Haltung, die allerneuste Mode einer oder eines Vorübergehenden ihre Lachlust erregt, dann drehen sie sich um und rufen: »Haste den gesehn? Das war dei Freind Anies.« Oder mit einer Kopfbewegung und einem Augenzwinken: »Max -- das war deine Fijur, die mit dem großen Schiebel[3].« [3] Hut. Dann aber steckt Max sein überlegenstes Lächeln auf und brummt: »So ne Fijur wie meine Fijur, gibt's nich zweemal.« Klavierfritze. Ein flacher Tafelwagen, mit einem kleinen flinken Pferd bespannt, rollte durch die Straßen. Drei Männer saßen auf dem Wagen. Einer auf dem Bock und zwei an der Seite des Wagens. Dunkel waren die drei gekleidet, trugen Ballonmützen und waren von athletischem Körperbau. Die beiden zur Seite des Wagens hingen die Beine gemächlich herunter, hatten die Hand auf das Knie gestützt und schauten mit selbstsicherer Ruhe auf das bewegliche Treiben der Straße. Inmitten der Stadt, vor einem altertümlichen Hause, hielt der Wagen. Der breite Torweg mündet in einen langen Hof. An den obersten Stockwerken, dicht unter dem Dach, sieht man Flaschenzüge hängen. Eine Anzahl Treppenaufgänge, die alphabetisch bezeichnet sind, führen ins Innere des Hauses. Rissig und vom Wetter gedunkelt lehnt in einer Ecke des Hofs ein früherer Schmuck des Hauses, der steinerne Oberkörper einer Frauenfigur. Abgebrochene Schnörkel und Verzierungen liegen daneben. An den meisten der zahlreichen Fenster hängen Firmenschilder. Diese bunten Standarten erzählen von Städten und Ländern und dem überall wohnenden Fleiß, der nun hier sein Lager, seinen Stapelplatz hat. Sie erzählen aber auch von den vielen Räumen, die in einem solchen alten Hause sein müssen, von kleinen niedrigen Stuben, von nüchternen kahlen Wänden, von Wänden mit dicken Tapeten, hinter denen der Kalk leise herunterrieselt, und von rechnenden kalkulierenden Profitmenschen und kritzelnden Federn. Auf der breiten Rampe im Hofe werden Kisten und Pakete in allen Formen und Größen auf- und abgeladen. Ein Stimmengewirr ist hier, ein fortwährendes Kommen und Gehen, ein täglich mit gleicher Emsigkeit pulsierendes Leben. Einer der Treppenaufgänge hat einen schmalen Flur, in dem ein gelbliches, von einem Drahtgeflecht umgebenes Gasflämmchen flackert. Gibt man sich Mühe, in dem ungewissen Licht etwas zu erkennen, so sieht man ganz hinten eine steile gewundene Treppe in die oberen Räume führen. Sieht man Klavierfritz, der auf dem Bock des Wagens saß, durch den Hof gehen, so meint man, daß es ihm nicht schwer fallen könnte, eins von den Klavieren, die in Holzverschlägen verpackt sind, unter den Arm zu nehmen. Und daß er es womöglich mit genau denselben kleinen Schritten, der ihm eigenen Würde, auf den draußen haltenden Wagen legen könnte. Alle seiner Zunft sind so kräftige Männer, und an ihrem Auftreten merkt man, daß sie eine Vergangenheit verkörpern. Klavierfritze bewahrt noch ein altes Bild auf. Darauf sieht man so eine Art Halbkutsche, doch ohne Kutscherbock, Deichsel und Räder. Es ist eine Sänfte, in der man sich zur Zeit der kurzen Hosen und der Schnallenschuhe ins Theater, in die Kirche oder nach Hause tragen ließ. Zwei große starke Männer, in blauem Schoßrock mit gelben Knöpfen, auf dem Kopfe einen schwarzlackierten Zylinderhut, tragen die Sänfte an zwei langen Stangen. Diese stecken außerdem noch in den Ösen eines Lederriemens, der über der Schulter hängt. Ein solcher Sänftenträger ist der Großvater des Klavierfritz gewesen. Der Enkel, der dieses Bild für so wertvoll hält, daß er es nicht an die Wand seiner Stube hängt, sondern zuunterst in einer eisernen Kassette aufbewahrt, transportiert jetzt Pianos, wie er sagt. Das tut er schon zehn Jahre, bei ein und derselben Firma. Er geht jetzt durch die kleine Hausflur, wo das Gasflämmchen brennt, die steile Treppe hinauf ins Kontor. Er führt den Finger an die Mütze und fragt Hans nach einer neuen Bestellung. Hans ist der älteste Lehrling, sitzt in nächster Nähe der Türe und ist ein bleicher, lang aufgeschossener Jüngling. Für Ungerechtigkeiten, Bedrückung, harte Worte, die Hans Klavierfritzen klagt, hat dieser volles Verständnis. Er hat dem Jungen schon manchmal Rückgrat und Festigkeit gegeben, den Unsichern klärenden Rat erteilt. Er pflegt dann seine große Faust auf den vor Hans aufgeschlagenen Folianten zu legen und zu sprechen: »Un wenn du weeßt, daß du im Recht bist, dann sagste, ihr kennt eich uffn Kopp stelln, ich machs ähmt nicht.« Dafür hat Hans für ihn auch eine Zuneigung, die mehr ist als Hochachtung. Den Zettel mit der genauen Adresse, den er von Hans bekommt, steckt Fritz unter seine Mütze. Mit seinen beiden Kameraden lädt er im Hofe ein Klavier auf den Wagen, klettert auf den Bock, macht mit der Zunge »ksss, ksss«, und das flinke Pferdchen zieht an. Grau ist der Himmel, und ein feiner Regen rieselt herab. Sie sind eine gute halbe Stunde gefahren, als sie vor einer Villa der Vorstadt halten. Ein langer Möbelwagen steht bereits dort. Sechs Möbelräumer in blauen Blusen und Schürzen schleppen das Haus voller Möbel. »Gu'n Tag ihr«, sagt Klavierfritze. »Mahlzeit«, sagten die Sechs. »Bringst du das Trinkgeld?« fragt einer und wischt sich den Schweiß mit der Schürze aus dem Gesicht. »'s liegt doch schon uffn Fensterbrett«, sagte Fritz, jeden der Reihe nach betrachtend. Sein Blick fällt auf einen, der, eine schwere eichene Truhe auf dem Rücken, die Treppe hinaufkeucht. »Is das nich Nasenfranz?« »Ja -- das isser«, ruft der im Weitergehen unter seiner Last hervor. Es klingt gereizt, wie er weiter fragt: »Hast du was dagegen?« »I wo«, sagt Klavierfritze gemütlich. Sie sind keine guten Freunde, Nasenfranz und er. Seiner Meinung nach ist das so ein Allerweltskerl und eine unheimliche Großgusche. Man braucht ihn nur mit ein paar Worten anzutippen, so fährt er kampfbereit in die Höhe. Was konnte er nicht alles, und was war er nicht alles schon gewesen. Zuzeiten der Leipziger Messe war er groß. Da hatte er in den verschiedenen Buden schon Gastspiele gegeben, und war bereits eine bekannte Erscheinung. Er konnte Feuer fressen, Glas und Kohlen verschlucken, Zauberkunststücke waren ihm nicht fremd und als Entfesselungskünstler und Ringkämpfer war er auch schon aufgetreten. Wenn sich gar nichts Passendes fand, fungierte er als Ausschreier. Arbeitslos war er ja den größten Teil des Jahres. Zur Messe halfen ihm nur seine mannigfachen Fähigkeiten darüber hinweg. Seine Nase mußte er bei irgendeiner Gelegenheit eingebüßt haben. Sie zeigte sich nur noch als kleiner Stummel. Das Nasenbein fehlte vollständig. In den Buden, in denen er zur Messe arbeitete, schlief er auch. War dann die Messe vorbei, so stand er wieder vor dem Nichts, nächtigte, wo es gerade anging, wurde erwischt, bekam ein paar Tage Haft, und hatte er Glück und Gelegenheit, einige Zeit zu arbeiten, so langte es wenigstens zum Übernachten in einer Herberge. Und er kämpfte wie ein Ertrinkender. Nie gab er sich besiegt. Wenn er unterlag oder ihm etwas mißlang, schob er das nur einem zufälligen Zusammentreffen zu, und weil er nun einmal ein Unglücksmensch sei. Er brauchte Geschrei, Gewühl, viel Menschen und Aufregung um sich herum. Wenn er auf den Brettern einer Schaubude stand, hatte er oft ein dumpfes Gefühl des Staunens. Wie sie da unten standen und Geld ausgaben. Wie sie gafften und lachten, schmatzten und grinsten, soffen und schrien und so taten, als wären sie es gar nicht anders gewöhnt. Das da unten auch genug waren, die sich nur mit den Augen sattaßen und -tranken, sah er nicht und wollte er nicht sehen. Er sah nur den schmausenden, behaglich vorbeifließenden Menschenstrom und gab so der Wut und dem Haß immer neue Nahrung, daß er allein ein Ausgestoßener sei. Wenn er mit seiner heisergebrüllten Stimme geschrien hatte, daß sie doch ja nicht versäumen sollten, die Bude zu besuchen, konnte er mitten im Satze abbrechen. Hastig ging er schnellen Schrittes ins Innere der Bude, warf hungrig seine Augen umher, als suche er etwas, als müsse er sich auf etwas besinnen, was ihm nicht einfallen wollte, und war dann eine Zeitlang still. Rechnete nach, was er in dieser Woche verdiente, wie lange er damit auskommen könne und was wohl nachher zu unternehmen wäre, wenn Geld und Arbeit alle war. Wie er einmal als Ringkämpfer aufgetreten war, hatte da unter den Zuschauern einer gestanden, der die andern alle überragte. Die Besitzerin der Bude hatte ihn auf den Großen aufmerksam gemacht. Nasenfranz hatte ihn auch gehörig aufgestachelt, und Klavierfritze konnte sich unmöglich so in den Augen des Publikums herabsetzen lassen, daß seine Größe, seine Stärke nur angeschwemmtes Bier wäre. Die Bude war zum Bersten gefüllt, und Klavierfritze »legte« denn den zappelnden, durch allerlei Finten und Kapriolen ausweichenden Nasenfranz auch nach wenigen Minuten regelrecht. Die Zuschauer tobten und klatschten wie rasend. Nasenfranz vergaß so etwas nicht leicht. Es war reiner Zufall, daß er unterlegen war. Er war gestolpert und ausgerutscht, als es sich um den entscheidenden Griff handelte -- und -- wenn er so groß wäre wie der, dann hätte man einmal sehen sollen! Unter den Arm hätte er ihn genommen. »Was habt ihr denn gehabt, ihr beede«, sagte einer der Möbelräumer, der neben Klavierfritzen stand und den Blick sah, den Nasenfranz seinem Gegner zuwarf. Der wartete mit seiner Antwort, bis Nasenfranz wieder vorbeikam, und sagte gemütsruhig, als striche er ein Butterbrötchen: »Ich hab'n mal gelegt.« Nasenfranz fuhr herum: »Du Dicknischel -- du vollgefressener -- du mich --?!« »Wo fehlt's denn?« fragte der. Nasenfranz sprang in die Höhe, stellte sich breitbeinig in Kampfstellung, ballte die Fäuste, drehte sie umeinander und fletschte die Zähne. »Los doch -- los doch -- trample doch los -- Elefante.« Wie ein aufs tiefste verwundetes Tier stand er da. Klavierfritze maß ihn von oben bis unten und schüttelte den Kopf. »'s is besser, du gehst«, sagte er mit einer abfertigenden Bewegung. Doch in dem kleinen getretenen, hin und her geworfenen Mann rauchte noch das jähe empfindliche Blut, das sich Luft schaffen mußte und nicht viel danach fragte, wer der Gegner war. Er rückte näher und schlug dem andern mit der Faust in die Seite. Klavierfritze trat auf ihn zu, bekam ihn beim Genick zu fassen und drückte seinen Kopf nieder. Nasenfranz gurgelte, fauchte und spuckte, aber seinen Kopf bekam er nicht in die Höhe. Fritze ließ ihn nach einer Weile los und sagte: »Du -- also nu is Schluß!« Nasenfranz ging zum Möbelwagen, stieß einen seiner Kollegen beiseite, der eben eine Kommode anheben wollte, und schwang sie ingrimmig auf seinen Rücken. Seine Augenbrauen zogen sich finster über seiner verstümmelten Nase zusammen. Es fraß in ihm und verstärkte seinen Groll, daß er an den Dicknischel nicht herangekonnt hatte. Wenn der ihn nicht so unvermutet im Genick gepackt hätte --! Pah! Er war doch nicht etwa schwächer als der. Der Kutscher kam mit den beiden Lastpferden und schirrte sie vor den Möbelwagen. Die Möbelräumer rafften die umherliegenden Decken zusammen, warfen sie in den Wagen und trockneten Gesicht, Kopf und Hals vom Schweiß. Dann quetschten sie sich alle sechs auf den Kutscherbock, jeder den Arm um seinen Nebenmann legend. Der Regen hatte stärker eingesetzt und klatschte in großen Tropfen auf das Straßenpflaster. Klavierfritze überholte mit seinem leichteren Gefährt den Möbelwagen und knallte vorbeifahrend mit der Peitsche. Er und seine beiden Genossen, die mit herunterhängenden Beinen zur Seite des Wagens saßen, hatten die Rockkragen hochgeschlagen und die Mützen tief ins Gesicht gezogen. Nasenfranz sah lange diesen drei breiten Rücken nach. Das Sichere, Bestimmte, das von ihnen ausging, löste in ihm wieder jenes Staunen aus, in das sich ein leiser Neid mischte. Seine Gedanken wanderten unruhig durch den Kopf. Die folgenden Nächte konnte er vielleicht wieder in dem Möbelwagen schlafen. Es war jetzt keine Umzugszeit, da würde der Wagen wohl noch eine Weile leer stehen. Dem großen Hund, der ihn neulich angesprungen hatte, konnte er vielleicht einen Knochen hinwerfen. Sie bogen über einen Platz, auf dem dunkle, regennasse Bäume standen, in eine Straße ein, die geradeswegs in die Stadt führte. Die mächtige breite Straße dehnte und streckte sich. Der dunstige nebliche Himmel hatte sich schwer und beklemmend auf die Dächer der Häuser gelagert. Die Straßenlaternen zu beiden Seiten schwebten wie schwimmende Punkte, zwei lange Ketten bildend, in der Luft. Sie schienen sich ganz hinten zu einem Punkt zu vereinigen, der sich immer weiterschob, je näher man kam. Die Fünf neben ihm auf dem Kutscherbock sangen ein langsames, getragenes Lied, das eintönig den niederrauschenden Regen und das Rütteln und Poltern des Wagens begleitete. Und er schloß die Augen. Hofsänger. Die Fenster, die nach dem Hof hinausgingen, öffneten sich. Frauenköpfe wurden hier und da sichtbar oder ließen das Fenster, nach einem Blick in den Hof, halboffen stehn. Ein gefühlvolles Lied schwebte zu den Fenstern hinauf. Vogerl, stiegst in die Welt hinaus, begann es und erzählte von dem Vogel weiter, daß er seine Mutter allein zu Hause ließ. An manchem Fenster, in mancher Küche wurde das Lied mitgesummt. Es war eine jener Melodien, die, auch wenn man ihnen den Eintritt verwehren wollte, doch durch alle Ritzen und Spalten zu schleichen wissen und schwer zu vertreiben sind. Wie Fliegen, die nicht vom Zucker lassen können und hundertmal wiederkommen, wenn man sie verscheucht. Unten im Hofe standen zwei junge Leute, beide etwa im Anfang der zwanziger Jahre. Der lange knochige, etwas eckige Mensch mit der schwarzen Strickweste war Hermann, während der andre, der wenig kleiner und schmächtig war, Paul hieß. Paul war der Sänger, während ihn Hermann auf der Mundharmonika begleitete. Einige in Papier gewickelte Geldstücke fielen neben sie nieder, die sie, nachdem sie geendet, aufhoben, während sie dankend den Hut lüfteten. Nach einer kleinen Weile holte auch Paul seine Mundharmonika hervor, und zu zweit spielten sie einen forschen Marsch. Dann spähten sie umher, ob etwa irgendwo noch ein Geldstück lag, zogen noch einmal grüßend den Hut und gingen. Ihr Programm war in jedem Hof dasselbe. Sie spielten einen Marsch, dann sang Paul sein Lied, manchmal gab er auch eins zu, wenn die Geldstücke zahlreicher als sonst fielen, und zum Schluß bliesen sie wieder. Sie waren innige Freunde und hatten sich auf der Walze kennen gelernt. Hatten sie da schon alles redlich miteinander geteilt, so taten sie es jetzt erst recht. Wenn es auch nicht viel war, was sie mit ihrem Hofsingen einnahmen, es half doch ein wenig über die arbeitslose Zeit hinweg. Manchmal wurden sie auch barsch von einem Hof gewiesen, noch ehe sie begonnen hatten, und manchmal zogen sie es auch selbst vor, ein paar Häuser weiterzugehn, wenn ihnen die Gelegenheit nicht besonders günstig schien. Hermann sah sich jeden Hof erst an. Da war in dem einen ein Schlosser, der an einem Schraubstock stand und ein langes Eisenrohr mit dem Hammer bearbeitete. Auch aus der Werkstatt ertönte helles und dumpfes Pochen durcheinander. In einem andern Hofe wurden Motore repariert. Mehrere Geschäftsautomobile standen umher. Die Motore wurden in Gang gesetzt und untersucht. Es war ein Rattern und Stöhnen, bald langsam, bald schneller, oder sich in puffenden Stößen überstürzend. Die damit beschäftigten Menschen schrien sich ihre Worte ins Gesicht, denn das Geräusch der Motoren übertönte sie. Hier war kein Platz für die beiden. Sie suchten sich ruhigere Höfe aus. Eines Nachmittags standen sie wieder vor einem Hause. Paul wartete und Hermann ging hinein, um sich ein bißchen umzuschauen. Es verging eine geraume Zeit. Hermann kam nicht wieder zum Vorschein, und Paul ging ihm deshalb nach. Er sah ihn an der Tür lehnen und wollte ihn eben fragen, was es denn gäbe, als er betroffen stehen blieb. In der Mitte des Hofes stand ein dreirädriger Korbwagen, in dem eine schwarzgekleidete Frau saß. Ihr graues Haar war in der Mitte schnurgerade gescheitelt, und jedes Haar schien zu beiden Seiten des Scheitels peinlich genau aneinandergereiht zu sein. Ihr Gesicht war gelb und hatte einen immerfort lächelnden Ausdruck. Die ebenso gelben Hände lagen auf den Armstützen des Wagens und zupften und spielten an dem ausgefranzten Lederbezug. Ein barfüßiger Junge hielt die Querstange des Wagens gefaßt, bereit, jeden Augenblick den Wagen wieder fortzufahren. »Die alte Liebichen«, sagte Hermann auf einen Blick Pauls. Sie hüstelte lange und anhaltend und begann dann zu singen: Es zog ein Matrose Wohl über das Meer, Nahm Abschied vom Liebchen, Das weinte so sehr. Da kam einst die Kunde: Das Schifflein versank, Ihr Herzallerliebster Im Meere ertrank. Da stand sie am Ufer mit weinendem Blick; Ihr Herzallerliebster kehrt niemals zurück. Sie sprach mehr, als daß sie sang. Ihre Stimme war dünn, schnappte bei jedem Atemholen über, und es klang, als wollte jemand zum Scherz absichtlich falsch und gequält singen. Sie hüstelte wieder, und ihr Gesicht nahm wie vorher das unbewegliche Lächeln an. Der Junge sammelte das Geld auf, die Alte hob mechanisch den Arm, machte eine kraftlose grüßende Bewegung, und ihr Begleiter schob nicht ohne Anstrengung den Wagen über das holprige Pflaster, zum Tor hinaus. Als sie an den beiden vorüberkamen, sagte Hermann: »Wie geht's denn, Mutter Liebichen?« Die Alte hob etwas den Kopf. Aber in ihrem Blick lag kein Erkennen. Sie nickte nur immer, und Hermann wußte nicht, ob das eine Antwort sein sollte, oder ob es von dem Schütteln des Wagens herrührte. Der Junge schob ohne Aufenthalt pflichteifrig den Wagen vorbei, und draußen lenkte er ihn in das nächste Haus. Die beiden Freunde gingen nach einer andern Gegend, klapperten noch ein paar Höfe ab und schlenderten dann durch die Stadt. Hermann ging zu einem Bäcker, kaufte Brot, während Paul in einen Fleischerladen trat und Abfälle und Wurstzipfel verlangte. Er zwinkerte der drallen Verkäuferin mit einem Blick auf seine aufgezählten Pfennige zu und sagte, sie solle nicht so wenig geben, es wäre für einen Kranken. Sie verstand ihn, schnitt sich beim Geben nicht in die Finger und machte ihm ein reichliches Paket zurecht. Draußen auf der Straße traf er wieder mit Hermann zusammen. Sie gingen in die Anlagen, setzten sich auf eine Bank und aßen. »Erzähl' das mal von der Alten«, sagte Paul kauend. »Nachher«, gab Hermann zurück und hieb hungrig in sein Stück Brot. Als sie gesättigt waren, machte sich's Paul bequem, streckte die Beine weit von sich, nahm die Zigarrette, die wie ein Bleistift hinter seinem Ohr saß, und rauchte sie. Wie einen langentbehrten Genuß stieß er den Rauch durch Mund und Nase. Hermann holte seine Mundharmonika hervor und begann zu spielen. Er war ein Künstler auf seinem Instrument. Ein zartes weiches Lied war es. Solostimme und Begleitung hielt er geschickt und vollendet auseinander. Mit einem Ausdruck und einer Hingabe spielte er, daß dabei sein ganzer Oberkörper in Bewegung geriet. Das Lied erregte Pauls Phantasie. Es zauberte ihm Bilder vor Augen, Bilder seiner Wanderzeit, voller Farbe -- voller Sonne und Luft. Diesen Winter wollte er noch hier aushalten, aber dann ging's wieder fort. Zum Frühjahr, wenn sich der frische Märzwind aufmachte. Es trieb ihn schon jetzt inwendig. Immer weiter. Immer weiter -- -- -- »Die alte Liebichen« -- begann Hermann, die Mundharmonika in der hohlen Hand ausklopfend, mit einem Blick auf den sinnenden Freund. »Hast du heute den Jungen gesehn, der sie fuhr? Vor zehn Jahren, ja so lange wird es her sein, habe ich sie auch einmal von Hof zu Hof gefahren. Ja ich! Ich weiß noch, sie wohnte in einem großen Hause, das jetzt kaum wiederzuerkennen ist, vier Treppen hoch. Ich mußte sie die Treppen mit hinauf- oder heruntertragen. Denn sie war damals schon halb gelähmt und hätte eine Ewigkeit gebraucht, die Treppen zu steigen. Manchmal, wenn ich sie gegen Abend zurückbrachte und niemand oben in der Wohnung war, mußte ich unten bei ihrem Wagen warten. Wenn es lange dauerte, wurde sie unruhig, warf sich auf ihrem Sitz hin und her und sagte immer wie erstickt: ach -- ach -- als wollte sie die Tränen in die Augen zwingen. Aber ich habe ihre Augen nie naß gesehn. Du mußt nämlich wissen, daß ihre Leute in dem Hause richtig wie verhaßt waren, und das ließ man auch die alte Liebichen merken. Sie wohnte bei ihrem Bruder und war da nur eben so geduldet; groß mucksen durfte sie ja nicht. Er kam immer erst gegen Morgen nach Hause, ich glaube, Kellner war er, und da gab's oft Streit. Sein übernächtiges Gesicht war bleich und eingefallen. Aber in seinem Körper mußte eine Kraft stecken, daß man staunte. Einmal kam er früh polternd und schimpfend die Treppe hinauf. Sie wollten ihn nicht hineinlassen, weil er so betrunken war. Er donnerte mit den Füßen an die Türe, daß die Hausbewohner zusammenliefen, und als es ihm zuviel wurde, hob er die Türe aus und wütete in der Wohnung wie ein Sinnloser. Zwei Söhne hatte er, die damals aus der Schule waren. Das waren dir zwei Kerle! Sie liefen auf den Händen durch die Hausflur, schlugen einen Salto in der Luft, als wäre das rein gar nichts, und hatten in allem so etwas Zügelloses, daß es ihnen nie an einer bewundernden Schar von Altersgenossen fehlte. Ich war auch nicht wenig stolz, daß ich ihnen so nahe war, da man ja in der ganzen Umgegend von den Liebichs sprach. Wie das aussah, wenn die Frau mit ihrer Tochter auf der Straße ging! Die Tochter war aufgeputzt, trug sich gern bunt und auffällig, und die Mutter ging klein und dürftig mit bloßem Kopf nebenher. Ich kann mich noch an die Grünewarenfrau erinnern, die nebenan wohnte. Sie spuckte immer aus, wenn jemand von den Liebichs vorbeikam, und sagte, das wäre ungefähr eine Gesellschaft. Und dabei bildete sie sich ja ihre Meinung auch nur nach dem Klatsch, der in ihren Laden getragen wurde. Was ich aber nicht begriff, war daß die ganze Familie beisammenblieb, so sehr sie sich auch in den Haaren lagen. Jeder ging seinen Weg, kümmerte sich um nichts, frug nicht danach, was die andern taten, und plötzlich -- als habe der Friede schon zu lange zwischen ihnen geherrscht -- standen sie eines Wortes wegen in Flammen und fielen übereinander her. Wie Tiere, die sich zerfleischen wollen. Und die alte Liebichen saß hilflos dabei und wartete zitternd, bis man auch sie samt ihrem Stuhl umwarf. Ich habe es einmal mit angesehn und kann es nie wieder vergessen -- -- -- --« Er hauchte gedankenverloren in sein Instrument und entlockte ihm langgezogene leise Töne. Sacht dunkelte es. Vor ihnen lag ein Stück mondübergossene Wiese, auf das die Bäume ihre Schatten streuten. Viel Blätter hatten sie im Kampf mit dem herbstlichen Wind schon lassen müssen. Nun standen sie stumm und schwarz, mit entlaubten Wipfeln da. Kein Flüstern und Rauschen war hörbar. Weit hinten sah man die Straße, die die Anlagen umsäumte, wie in fahlen wallenden Nebel getaucht. Das matte Licht brach durch die Äste und Zweige, die mit schützenden Gebärden ängstlich dem lauten Treiben zu wehren schienen. Jenseits dieses natürlichen Gitters huschten Gestalten und Fahrzeuge schattenhaft vorüber. Ein dunkler Fußweg führte im Bogen eine kleine Anhöhe hinan. Dort, wo er in die Straße mündete, war das Schwarz der Sträucher durch ein großes gelbes Loch unterbrochen. Hermann hatte den Rockkragen hochgeschlagen, den Hut ins Gesicht gezogen und die Hände in die Hosentaschen versenkt. Auch Paul war in sich zusammengekrochen. Halblaut flüsterte er: »Im Frühjahr -- wenn der Märzwind geht -- dann wandern wir -- dann wandern wir --« »Ja,« gab Hermann ebenso zurück, »im Frühjahr --!« Volksmaskenball. Sie sah das große Eckhaus ganz erstaunt an. Wochenlang hatte das Leitergerüst gestanden, und sie hatte wenig darauf geachtet, was da eigentlich vor sich ging. Nun hatte man das Gerüst wieder abgebaut, und da mußte das Haus freilich auffallen. Es leuchtete ordentlich von weitem, so blendend weiß sah es aus. Aber was für einen Anblick boten da auf einmal die Nebenhäuser. Man sah sie gar nicht gerne an, so schwarz und schmutzig waren sie. Dazu hatte der Regen Spuren und Streifen hinterlassen und mit der Zeit hier und da das Mauerwerk abgewaschen. Frida buchstabierte, was der Maler in seinem mit allen Farbenproben versehenen Kittel malte. »Vergnügungs --« bekam sie heraus. Weiter war die Schrift noch nicht gediehen. Zwar hatte sie manchmal einen befrackten Kellner im Hauseingang stehen sehen. Sie erinnerte sich, daß einmal ein Mann mit einem Mädchen am Arm, die in einem fort lachte und ihren Hut immerzu gerade schob, herausgekommen war. Wenn man aber einen Weg, durch eine große lärmerfüllte Straße, ein paar Jahre lang, viermal täglich ging, so sah und hörte man vieles, über das man nicht weiter nachdachte. An der Straßenecke traf sie sich auch mit ihrer Freundin Martha und beide gingen zusammen nach Hause. Nun, wo sich das Eckhaus in seinem neuen Kleid präsentierte, stand allabendlich ein Mann vor dem Hauseingang. Einen großen gelben Mantel, mit silbernen Schnüren und Knöpfen verziert, hatte er an und auf dem Kopfe trug er einen Dreispitz. Wie eine aufgezogene Figur stelzte er maschinenmäßig auf und ab, eingelernte Worte vor sich her schnarrend. Wenn man diesen Worten glauben wollte, mußte es im Innern des Hauses unerhört großartig zugehen. Aber was mehr auffiel, war, daß der Mann so fror. Denn es war bitter kalt, und um die Straßenecken fauchte der eisige Wind besonders gern. Ohrenwärmer hatte der Mann, und unter seiner roten Nase starrten die beiden gefrorenen spitzgezwirbelten Schnurrbartenden wagerecht in die Luft. Mit seinen Holzschuhen klapperte er taktmäßig auf den Steinfließen, und von dem, was er zwischen den Zähnen hervorstieß, hörte man die immer wiederkehrenden Worte: »eintreten -- phänomenal -- feenhaft --«. Und noch etwas Neues konnte man eines Mittags beobachten. Vor einem der Fenster des weißen Hauses blieben die Vorübergehenden eine Weile stehen. Da war zu lesen, daß eine Woche später ein Volksmaskenball stattfinden sollte. Die ausgestellten zehn Preise fielen den zehn schönsten Masken zu. In einer Schachtel mit blauem Samt lag eine goldene Uhr. In einer zweiten Schachtel mit blauer Einfassung ein goldenes Armband. Andre Preise waren: eine reichverzierte Standuhr, eine Teekanne mit Tassen, ein Pokal mit Gläsern, ein Handtäschchen, an das ein Zettel geheftet war. »A la Pompadour« stand darauf. Alle Wertstücke waren schön dekoriert und die Preise der Reihenfolge nach bezeichnet. In Fridas Augen wuchs das Staunen, als sie sich zum Gehen wandte. Einen solchen Preis konnte man bekommen, wenn man eine der schönsten Masken war? Nein -- kaufen hätte sie sich davon nichts können. Es lockte und reizte sie in den folgenden Tagen, jedesmal wenn sie an dem Fenster vorüberging. Sie sann und überlegte und war mit ihren Gedanken öfter bei der goldenen Uhr und dem Täschchen a la Pompadour. Was würde wohl die Mutter sagen, wenn sie einen solchen Preis mit nach Hause brächte? Die Mutter? Sie erschrak ein wenig. Ja, wenn sie mit der Mutter einmal wie mit einer guten Freundin hätte sprechen können. Aber war nicht ein fröhliches Wort von der Mutter eine Seltenheit? Sonntags, wenn Frida mit ihrer Mutter spazierengehen mußte, kam ja kaum eine Unterhaltung auf. Die Mutter hatte so etwas Starres, Wortkarges. Sie machten beide einen Umweg um die Stadt bis zum Friedhof. Die Mutter begoß das Grab des Vaters, und Frida saß auf einer Bank und wartete. Auf dem Rückwege gingen sie an der Fabrik vorbei, in der der Vater viele Jahre gearbeitet hatte. Und manchmal besuchte die Mutter auch den einarmigen Pförtner der Fabrik, der im Erdgeschoß wohnte. Der war ein Freund des verstorbenen Vaters gewesen, und die Mutter hörte ihn gern erzählen. Frida saß oder stand dabei, abseits und fremd. Als müsse sie immer sinnen und sinnen, was es wohl wäre, das sie ruhig und niedergedrückt beiseite zu stehen zwang. Da war es für sie eine Erholung, wenn sie abends ein Stündchen zu ihrer Freundin Martha ging. Wenn in der kleinen Stube alle Mitglieder der Familie versammelt waren, herrschte ein Ton, der für Frida neu war. Das Lachen war hier kein seltner Gast, und da sie alle zumeist erst abends richtig Zeit hatten, sich miteinander auszusprechen, so kam oft eine Unterhaltung zustande, bei der sie sich schon auf den nächsten Abend freuten. Denn der Vater war es, der mehr die andern reden ließ. Nur hier und da warf er seine klugen und anregenden Bemerkungen dazwischen und hatte zum Schluß die Unterhaltung doch so in seinem Sinne gelenkt, daß noch eine Frage offen blieb, und er seine Lieblingsbemerkung anbringen konnte: »Darüber müßte man mal ausführlich reden.« Ja bisweilen war es vorgekommen, daß sie die Aussprache über die kleinen Fragen des Alltags hinaustrug. In dem kleinen Kreise herrschte eine sekundenlange Stille, und es war als dehnten sich plötzlich die Wände. Die Augen füllten sich mit Glanz, und in der Brust war ein Gefühl, als könne man nicht schnell genug die beengenden Kleider aufreißen, damit das Übermächtige Platz habe. Da kniff der Vater die Augen zusammen und sagte, daß sie nun ein richtiges Lied singen sollten. Alles was da lebendig geworden war, strömte dann hinein in das begeistert gesungene »richtige« Lied. Heute saß Marthas Vater am Tisch, den buschigen Kopf in die Hände gestützt, und las in einem dicken Buch. Martha hatte die andre Hälfte des Tisches inne und zerschnitt ein großes Stück bunten Stoff. Das würde Rock und Bluse für den Maskenball, sagte sie. Schlimmstenfalls nähme sie das kleine Hütchen ihres Bruders, an dem die lange Feder wäre und die Tirolerin wäre fertig. Überhaupt wäre der Stoff so reichlich und billig, daß sie zwei Röcke und zwei Blusen herausbekäme. Viel Umstände würden nicht gemacht, denn das Kleid brauche ja bloß für einen Abend zu halten. Ob denn Frida nun mitkomme? Frida lächelte unschlüssig. Die Mutter würde -- --. »Eins kann man nur machen -- entweder man geht, oder man geht nicht.« So sprach Martha in ihrer bestimmten Art. Ihr Vater hob den Kopf und sah seine Tochter mit einem langen Blick an. Er kannte sie und hatte ein starkes Vertrauen zu ihr. »Ein solches Fest müßte man im Sommer machen -- im Freien -- auf einer großen Wiese. Natürlich ganz anders als wie es jetzt geschähe.« Doch darüber müßte man mal ausführlich reden, setzte er hinzu und las weiter. Als der Abend des Volksmaskenballs herankam, sagte Frida zu ihrer Mutter, die am Küchentisch saß und Brotstückchen in die Kaffeetasse tauchte, daß sie heute zu ihrer Freundin ginge und wahrscheinlich etwas später käme. »Um zehne bist du wieder da«, sagte die Mutter, mürrisch und unbeirrt. Martha war bereits fertig angezogen. Sie sang und tanzte in der Stube herum, während Frida ihren Rock und ihre Bluse überstreifte. An dem uniformierten Ausrufer vorbei betraten sie den Saal. Der war nun schon zum Erdrücken voll. Die nicht maskierten Besucher standen dichtgedrängt ringsherum um die Tanzfläche, auf der das Maskentreiben wogte. Die Musikkapelle spielte in einem fort Walzermelodien, mit einem Aufwand an Kraft, als gelte es durch Donner und Getöse die rechte Stimmung zu erzwingen. Denn unter den Masken herrschte noch ein unfrohes Schweigen. Sie hatten sich alle unter die Arme gefaßt, und so zog das bunte Gemisch im Kreise um den Saal. Hier und da fing eine schüchterne Lustigkeit schon an in den Beinen zu zappeln. Gleich den beiden Freundinnen waren Tirolerinnen in leichten billigen Kostümen vorherrschend. Ein großes stattliches Mädchen stellte die Germania dar. Sie hatte ein langschleppendes Gewand an, einen Brustpanzer und einen Helm aus blankem Blech. Auf der Helmspitze war eine kleine grüne Eiche befestigt. Dazu umklammerte die Germania mit beiden Händen den Fahnenstock einer schwarz-weiß-roten Fahne. Die Fahne mußte gar nicht so leicht sein. Denn von Zeit zu Zeit stützte sie den Fahnenstock auf die Brüstung, die die Tanzfläche von den Zuschauern abschloß, und wallte dann wieder majestätisch durch den Saal. Ein Mönch, fleißig betend, trug ihre Schleppe. Ein Handwerksbursche dagegen beunruhigte und stieß die Germania und den Mönch fortwährend mit seinem Knotenstock. Der Walzbruder trug ein Felleisen, einen zerbeulten Zylinder, im Auge hatte er ein Monokel, und aus seinen Stiefeln guckten sämtliche Zehen. Ein Schornsteinfeger ging neben einem Schusterjungen und dieser neben einem grimmigen Räuberhauptmann. Ein affektierter Stutzer hatte am Arm eine Hexe, während in seinem andern Arm ein Lumpensammler hing. Ein Bäckerjunge ging neben einem Koch, der den Löffel schwang. Dann folgte ein steifer englischer Lord, der eine dralle Bauerndirne führte. Ein sich möglichst dumm gebärdender deutscher Rekrut ging neben einem Lappländer, dessen Kostüm aus lauter Lappen bestand. Der Lappländer zog eine Spanierin mit sich. Doch hob er öfter seine Gesichtslarve und trocknete sich den Schweiß ab. Dazwischen quirlte ein Luftschiff herum, das die Aufschrift »Zeppelin« trug. Der Träger des etwa zwei Meter langen Luftschiffs steckte mit Kopf und Oberkörper in seinem Luftfahrzeug, so daß man von ihm nur die langen Beine sah. Er mußte aber vergessen haben, eine Öffnung für seine Augen anzubringen. Denn man sah es seinen zögernden unschlüssigen Beinen an, die nur vorsichtig aufzutreten bemüht waren. Infolgedessen eckte er fortwährend an und wurde hin und her gestoßen. Ein maskierter Polizist schrieb ihn deshalb auf. Nun kam eine Gruppe. Zwei magere Fleischer in weißen Schürzen, mit grimmigen Gesichtern und roten Ballonmützen. In der einen Hand hatten sie ein großes Schlachtmesser, während die andre Hand ein großes Schild trug. Darauf stand gedruckt: Zur Linderung der Fleischnot empfehlen wir Katze, Pfund 35 Pfg., Pferd, 45 Pfg., Hund, 45 Pfg. Der eine Fleischer hatte auf seinem Rücken einen Vogelkäfig befestigt. Darin hing ein Hering in der Schwebe. Und darunter war zu lesen: Dänisches Fleisch ist nicht zu teuer für den Tisch, Doch nicht so billig wie dieser Fisch. Der zweite Fleischer trug an seiner Brust einen prächtigen Pferdefuß, verziert mit bunten Schleifchen, wie sie manchmal die Würste in den Fleischerläden aufweisen. Auch darunter standen einige ergänzende Worte. »Laut Urteil des berühmten Herrn von Schorlemer sehr nahrhaft.« Langsam ging der Tod am Schluß des Zuges. Die Schneide der geschulterten Sense wies rote Spritzer und Flecken auf. Ein wirkliches ausgehöhltes Knochengesicht meinte man zu sehen, so täuschend war die Gesichtslarve. Wie Knochenfinger waren die Handschuhe des Todes bemalt, und ein weißer Überhang, auf dessen Rückseite mit großen Buchstaben »Krieg« stand, bedeckte vollständig den ganzen Körper. Wenn der Tod von dem Maskenschwarm bedrängt wurde -- einige Übermütige an seinem Gewand zupften, oder ihm ein Bein stellten -- ging er in die Mitte des Saales und begann vorwärtsschreitend zu mähen. Alle gingen sie ihm dann aus dem Wege und flüchteten vor seiner Sense. Und sie lachten dabei. Die hohe Obrigkeit notierte ihn darauf hin auch. Frida und Martha gaben das Umherziehen für eine Weile auf, stellten sich an die Brüstung des Saales und ließen den Zug an sich vorbeifluten. Der überladen dekorierte Saal, die krachende Tanzmusik und die heiße tabakerfüllte Luft ließen ihr Frohgefühl allmählich abstumpfen. Nun trat ein Mann, dem man ansah, daß er Gehrock und weiße Handschuhe nicht oft trug, in die Mitte des Saales und hielt eine kurze Ansprache an das Maskenvolk. Ein mit den zehn Preisen beladener Tisch wurde hereingetragen, und nun ging die Verteilung der Preise an diejenigen Masken vor sich, die nach Ansicht der Preisrichter die schönsten waren. Hunderte von Augen verfolgten diesen Vorgang, und die Preisrichter mußten mit ihrem jeweiligen Spruch warten, bis der lebhafte Meinungsaustausch wieder zur Ruhe gekommen war. Auch der Tod war unter den Prämiierten. Aber das Luftschiff meldete sich nicht, als man den sechsten Preis ausrief. Quer vor der Musikbühne lag ein seltsames Wesen. An den krampfhaft schlenkernden Beinen sah man, daß der Luftschiffer seinen Oberkörper nicht aus dem Fahrzeug herausbekam. Rock und Weste schienen ihm durch seine Bemühungen unter den Armen zu sitzen, und dieser Knäuel verhinderte wohl sein Herausschlüpfen. Wie ein elektrischer Aal, der sich fest gebissen hatte, schnellte er auf dem glatten Parkett entlang. So aufmerksam war man also der Preisverteilung gefolgt, daß man gar nicht bemerkt hatte, in welchen Nöten sich der Gute befand. Natürlich half man ihm nun heraus, wobei sein Luftschiff freilich teilweise in Trümmer ging. Mit gesträubten Haaren, rotem Kopf und zerrissener Kleidung nahm er seinen Preis in Empfang. Nun begann ein allgemeiner Trubel. Als wäre ein Ameisenhaufen im Saal, so drängte, stieß und trat man sich. Denn das Drehen beim Tanzen war schwer. Die Germania hatte ihre Fahne zusammengerollt, und auf dem Tisch, an dem sie saß, stand der Helm mit der Eiche. Der Luftschiffer hatte die Haare schön gekämmt, und der Tod war wieder ein leibhaftiger Mensch geworden. Eingepfercht zwischen vielen anderen Mädchen standen Frida und Martha am Eingang des Saales. Sie lehnten und standen, warteten und warteten auf etwas Unbestimmtes, das zu ihnen käme und die leise Verlassenheit verscheuchte, die heranschleichend sie und die vielen zu packen schien. In ihrer bescheidenen Tracht verschwanden sie unter der Menge. Lange standen sie so. »Komm«, sagte Frida. Eilig schritten sie auf der kalten nächtlichen Straße vorwärts und sprachen kein Wort. Frida dachte an ihre Mutter, die wohl allerlei Schwarzes und Schreckliches folgerte, weil sie heute so lange ausblieb. Und Martha war mit ihren Gedanken bei ihrem Vater. In einem neuen Lichte erschien ihr jetzt sein: »Darüber müßte man mal ausführlich reden.« Nicht, daß es das Reden allein tat. Aber in sich selbst grub man so weiter und tiefer, und das sprang damit auch auf andre über. In Frida mußte eine ähnliche Saite angeklungen haben; denn beim Abschied gab sie Martha die Hand und versprach ihr, am nächsten Abend bei ihr vorzusprechen. Großmutter. Schloßbude wurde das zwischen zwei großmächtigen, frisch gemalten Häusern eingebaute kleine Haus genannt. Es war nur einen ganzen Stock hoch und hatte ein spitzes Dach. Über dem niedrigen runden Torbogen wagte sich ein schmaler, dürftiger Erker wenig hervor. Rechts und links vom Erker war je ein niedliches Fensterchen, durch dessen Scheiben weiße Gardinchen schimmerten. Sah man sich das Häuschen länger und schärfer an, so meinte man zur Seite gestemmte Ellenbogen zu sehen; und ein Gesicht, dessen breitgedrückte Nase einem Erker nicht unähnlich sah und dessen Augen zwei Fenstern glichen, schien blitzähnlich aufgetaucht und wieder verschwunden zu sein. Was in dem Gesicht zu lesen war, hatte man eben noch im Untertauchen erfassen können: Wut, Verzweiflung und die Gewißheit, eines Tages von den beiden breitspurigen rücksichtslosen Kerlen an seinen Seiten in aller Ruhe erdrückt zu werden. Ein schmaler, langer Gang, durch den knapp ein gewöhnlicher Handwagen ging, führte in den ziemlich geräumigen Hof. Ein geteertes Verdach zog sich ringsherum, unter dem eine große Anzahl schön dunkelblau gestrichener Handwagen stand. Einige Steinstufen führten vom Hof aus ins Haus, und vor den Stufen saß die Großmutter. Wohl hörte man sie vereinzelt »Die alte Jägern« nennen, aber sie war doch für alle und jeden ganz einfach »Die Großmutter«. Sie saß auf einem vom Sitzen glänzend gewordenen Schemel, trug eine Hornbrille und ein schwarzes Kopftuch, das unter dem Kinn verknotet war. Trotz der Brille waren die Augen noch lebhaft, und lebhaft war auch die Zunge. Sie wußte, daß es morgen regnete, übermorgen der Regen aufhörte und den darauffolgenden Tag die Sonne bestimmt wieder schien. Ihre Arme und Beine waren da maßgebliche Propheten. Jedes Anliegen fand bei ihr einen Rat, eine Deutung. Für alle Wunden hatte sie ein geeignetes Pflaster oder eine Salbe. Und wenn gar nichts mehr half, brachte sie ein kleines grünes Gläschen und Flasche mit Kräuterschnaps. »Den mußt du mit Verstand trinken -- das is was ganz Extraes. Der geht bis in die große Zehe -- was!?« Bauernfrauen, die vom Bahnhof kamen, fanden die Haustür schon zeitig offen. Sie stellten ihren Tragkorb in eine Ecke und sprachen mit der Großmutter vom Wetter, von der Ernte, vom Gemüse und von der neuen Glucke, die Staatseier lege. Die Großmutter bekam wohl auch die Eier in die Hand, wog sie prüfend und gab dann ihr Urteil ab. Sie bekam eine Messerspitze Butter zu kosten und mußte die verschiedenen Sorten Käse begutachten. Dienstmänner, die den ganzen Tag kamen und gingen, führten sonderbare Gespräche mit ihr. Da sagte einer, er müsse gleich »de Fufzn« haben. »Zu was?« fragte die Großmutter. Ein Kleiderschrank wär's, antwortete der Dienstmann. Da wäre »de Sechsnzwanzj« noch lange gut. »De Sechsnzwanzj«? Nee -- den Krepel könne sonstwer nehmen. »De Fufzn is noch jung, un muß geschont wärn -- hier is de Sechsnzwanzj, un nu mach dich ja schwach!« Damit übergab die Großmutter dem Dienstmann einen Schlüssel mit einer Blechmarke, auf der die Zahl 26 eingestanzt war. Der guckte sich die Zahl genau an -- denn bei der Großmutter wußte man nie recht, ob sie scherzte oder ernsthaft war --, zog an seiner kurzen Pfeife und blieb hartnäckig stehen. Zögernd ging er dann, einige Worte zwischen den Zähnen zerkauend. Wie »Krepel«, »unterwegs zusammenbrechen« und »Angstarbeiterei« klang es. Mit dem Schlüssel suchte er im Hof unter den vielen Handwagen herum, zog einem davon eine eiserne Kette vom Rad und fuhr zum Tor hinaus. Nun wußte man's. Die Wagen wurden vermietet, und die Großmutter war die getreue Schlüsselbewahrerin. Wenn sie auch den Strickstrumpf hundertmal am Tage aus den Händen legen mußte, so strickte und stopfte sie immer wieder da weiter, wo sie zuletzt aufgehört hatte. Zwischendurch las sie in der Zeitung, konnte verwundert den Kopf schütteln und laut auflachen. Besonders auf bildliche Darstellungen war sie versessen. Sah sie irgendein Bild auf einem Stück Papier, das zum Einwickeln oder Verpacken benutzt worden war, so glättete sie's und legte es auf einen bereits gesammelten Stoß. Bei Gelegenheit wird es eingehend studiert. Nur Sonntags konnte sie an einem der zwei kleinen Puppenfenster der Vorderfront sitzen. Da guckte sie auf die Straße, und der kleinsten Begebenheit galt ihr Interesse. So lebhaft war das Interesse mitunter, daß sie, den Hals reckend, von einem Fenster zum andern ging und bedauerte, wenn der Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit ihren Blicken entschwunden war. Sonntag für Sonntag -- um eine bestimmte Zeit -- kamen vorsichtige Schritte die knarrende Treppe herauf, und in die gute Stube der Großmutter trat Herr Pötsch aus Ötzsch. So lautete die scherzhafte Bezeichnung des alten Schuhmachers, der aus seiner Kleinstadt in die nahe Großstadt kam, um das frisch aufgearbeitete Schuhwerk an seine Kundschaft abzuliefern. Er hieß jedoch weder Pötsch, noch war er aus Ötzsch. Vielmehr hatte er, wohl von seinen eingewanderten wendischen Ahnen her, einen verflixten Namen, der auf »stwyski« oder »rszyk« endete. Da kam die Zunge leicht ins Stolpern. Er machte einen recht demütigen Eindruck, der Herr Pötsch aus Ötzsch. Kopfhängend ging er an den sonntäglich gekleideten Spaziergängern vorüber, wie einer, der weiß, daß es sein unabänderliches Los ist, jahraus, jahrein mit krummem Buckel zu gehen. Und wer so einen billigen, dauerhaften Stiefel lieferte und das Geld noch ratenweise erhielt, der mußte auch in der Großstadt viel Kundschaft haben. Das hätte er vorigen Sonntag fein gedreht, erzählte er der Großmutter. Sie horchte aufmerksam zu. Wie selten kam sie aus ihrem Häuschen. Sie bot Herrn Pötsch aus Ötzsch erst einen aus dem grünen Gläschen an, der bis in die große Zehe ging. Was er also vorhin erzählen wollte, sagte der Schuhmacher, wie gesagt also -- er wäre in eine Wohnung gekommen, da hätte er sich gleich an der Tür tief bücken müssen. Denn auf dem dunklen Korridor hätte Wäsche zum Trocknen gehangen, weil kein Trockenboden im Hause war. Die Frau läge stets wie halbtot auf dem Sofa, wenn er käme, weil sie den Sonntag zum Schlafen und Ausruhen brauche. Der Mann wickle Zigarren, hätte einen Stelzfuß zwischen den Speichen des Kinderwagens stecken und schiebe so den Wagen immer hin und her. Nun hätte er wochenlang kein Geld bekommen und habe zu dem Mann mit dem Stelzfuß gesagt, er solle ihm doch fünfzig Pfennig borgen, er hätte sein »Porteneechen« verloren und könne nun nicht nach Hause fahren. Die fünfzig Pfennig habe er auch bekommen. Nu -- habe ich das nicht fein gedreht? -- fragte Herr Pötsch aus Ötzsch die Großmutter und rieb sich die Handflächen ineinander; lächelnd über seine Schlauheit, durch solch kleine Notlügen nach und nach sein Geld zu erhalten. Diejenigen Handwagen, deren Äußeres zerschabt und zerschunden war, frischte die Großmutter mit Ölfarbe wieder auf. Wenn sie die Lager der Räder ölte oder die Speichen mit Farbe streichen wollte, mußten ihr »die alten großen Fläze« die Wagen umkippen. Die »alten großen Fläze« waren die Jungen aus den Nachbarhäusern, die im Hofe der Großmutter heimisch waren, in dem es manchmal von Kindern beiderlei Geschlechts geradezu wimmelte. Großmutterkinder nannte man sie allesamt. Die, die sie als »Fläze« bezeichnete, empfanden diesen Namen keinesfalls als kränkend. Wenn die Großmutter das sagte, mußte man ja eher lachen, ehe sie böse werden konnte! Ja -- der wilde Max hatte einmal von ihr gesagt, daß man mit ihr ein ausgewachsenes Pferd mausen könne, sie würde sogar nebenherrennen. Und ob einer der Jungen die Haare schön gekämmt hatte, oder ob sie ihm wild auf dem Kopfe wuchsen -- ob die Hose eines anderen soundsoviel große und kleine Löcher aufwies, oder einem Mädel der eine Strumpf bis auf den Schuh heruntergerutscht war -- das waren Dinge, denen die Großmutter kein Gewicht beimaß. Einmal kam ein ganz schwarzer Mann in einem ganz schwarzen Anzug in den Hof. Die bloßen Füße steckten in Lederpantoffeln, und auf dem Kopfe trug er das Zeichen der Gesellenwürde, den Zylinder. Über der Schulter hing das Kratzeisen und ein zusammengerollter schwarzer Strick, an dessen Ende eine eiserne Kugel und ein kleiner Besen hing. Das war der Kugelfang, den er in die Schornsteine hinableierte. In der Hand trug er einen kurzen, struppigen Kehrbesen. Das Weiß der Augen und das Rot der Lippen fiel besonders in dem schwarzen Gesicht auf. Die Kleinern flüchteten ängstlich, die größeren sicherten sich Rückenfreiheit und sangen: Feuerrüpel Katzenschniepel! Kehre deine Esse aus! Kehrse nich so reene, sonst kriegst du krumme Beene. Der schwarze Mann war das gewöhnt. Er nickte freundlich und lächelte, daß man seine weißen Zähne sah. Als er fort war, wollten die Kinder etwas vom Feuerrüpel erzählt haben. Ja früher -- sagte die Großmutter -- da waren die Feuerrüpel viel mehr bekannt und beliebt. Einen Tag vor dem Schornsteinkehren hatten sie in den Höfen mit singender Stimme gerufen: »Mooooorjn wird gekehrt!« Das taten sie deshalb, weil sie beim Kehren solchen Ruß[4] in die Küche machten. Zu Neujahr hatten sie an jeder Wohnung geklingelt, einen Spruch hergesagt und zum neuen Jahre gratuliert. Dafür bekamen sie ein Trinkgeld in die offene Hand gedrückt. [4] Scherzhafte Zurückweisung eines Querulanten: Mach keen Ruß in die Küche. Mäuschenstill war es unter den Kindern, daß man hätte eine Katze schleichen hören. Da brach einer das Schweigen und sagte, die Großmutter solle doch noch einmal singen: »Mooooorjn wird gekehrt!« Das tat sie denn auch und mußte es noch mehrmals tun. Bis sie abbrach. Immer ein und dasselbe zu singen, mache keinen Spaß. Sie habe nämlich den Wagen hier zu streichen, sagte sie, und daher gar keine Zeit. Nein, war das lustig, der Großmutter zuzusehen, wenn sie einen Wagen strich! Da rührte sie mit dem Pinsel lange in dem Blechtopf herum, strich den Pinsel fortwährend drehend am Rande ab, tauchte ihn wieder ein, strich ihn wieder ab, um dann langsam und gewissenhaft die Farbe aufzutragen. Dabei machte ihre Zunge, von einem Mundwinkel zum andern, jede Bewegung des Pinsels mit. »Nich lachen!« sagte sie, wenn ein unterdrücktes Kichern hörbar wurde. Ihre Worte bezweckten aber, daß alle umstehenden Jungen und Mädels erst recht laut lachten. Da drehte sich die Großmutter auf ihrem dreibeinigen Schemel herum und drohte mit dem Pinsel: »Ich wär eich gleich ä Schnurbart maln -- da könnt ihr abber rumpeln, der geht nich gleich wieder weg. Nachert müßt ihr morjn so in die Schule gehn -- da wärd eier Lehrer schön guckn.« Die Großmutter malte weiter. Während sie, die Zunge im Mundwinkel, den Kopf zur Seite beugte, um zu sehen, ob sie auch keine trockenen Stellen gelassen hatte, sagte sie: »Ja -- wenn ich dadran denke -- damals wie ich in Kamerun war bei den Zulugaffern.« Ein jubelnder Widerspruch erhob sich. »Ha -- gar nicht wahr -- gar nicht wahr --.« »Doch -- das war damals, als der siemjährige Krieg losfing«, sagte sie ruhig und erstaunt. Da wurde sie aber von einem der großen »Fläze«, der das letzte Jahr zur Schule ging, entlarvt. »Da lebte die Großmutter noch gar nich!« rief er. »Doch, ich war überall dabei -- ich war vom Anfang an da -- --.« »Wer wußte denn, daß der Krieg siem Jahre dauert, wie er anfing?« triumphierte er. Da verlor die Großmutter doch ihre Ernsthaftigkeit, und sie lachte, bis sie zu husten anfing und ihre Brille in den Farbentopf fiel. Lachende Tränen in den Augen, fischte sie die Brille mit dem Pinsel wieder aus dem Topf heraus. Die Großmutterkinder hatten auf geschickte Weise ihren Geburtstag herausbekommen. Die kleine Trude von Bergers hatte ihre Mutter gefragt, diese Herrn Pötsch aus Ötzsch und der die Großmutter. Dann war die Erkundigung wieder ihren Weg zurückgegangen bis zu der kleinen Trude. Denn hinter einer direkten Frage hätte die Großmutter große Vorbereitungen und Feierlichkeiten gewittert. Schon um das zu verhindern, hätte sie ein ganz unmögliches, fernliegendes Datum angegeben. Am Nachmittag dieses ausspionierten Geburtstags, der sechzigste war es, kam Richters Hermann -- Männe hieß er kurz -- mit einer Waschleine und begann sie kreuz und quer über den Hof zu spannen. Von der einen Bretterplanke zur andern -- dann hinüber zur Teppichklopfstange und wieder zurück bis zu dem eisernen Haken über den Hackeklotz. Die Großmutter, die Buch darüber führte, daß die »14« eine Stunde und die »19« zwei Stunden vermietet worden war, sah verwundert auf. Was denn mit der Leine werden solle, fragte sie. »Ich weeß nich«, antwortete Männe. So -- sagte die Großmutter -- aus langer Weile spanne man doch die Leine nicht auf, da hätte sie doch auch ein Wörtchen mitzureden. Sie werde überhaupt gleich das große Küchenmesser holen und damit ein bißchen in dem Netz herumfitscheln. Ja -- zuckte Männe mit den Achseln -- ihm hätte einer gesagt, er solle die Leine über den Hof spannen, weiter wisse er auch nichts. Die Großmutter lachte. Da könne jeder kommen. Sie begann ihre ungelenken Buchstaben mit Hilfe der Zunge weiterzuzeichnen und dachte: entweder nimmt er die Leine wieder ab, oder es steckt etwas dahinter. Als die Dämmerung hereinbrach, kamen die Kinder in Scharen und drängten die Großmutter ins Haus. Sie dürfe jetzt nicht herauskommen. Alle hatten sie vom Sommerfest und besonders vom Tauchschen her ihre Papierlaternen aufbewahrt. Zwei handfeste Jungen rollten den Hackeklotz umher, Männe stieg hinauf, befestigte die Laternen an der Leine und brannte die darin steckenden Lichtstummel an. In der Mitte hingen sie ein mit Papier und Bindfaden lose umwickeltes Stück Kuchen auf. Nun konnte die liebe gute Großmutter kommen. Helle Stimmen riefen ihren Namen. Sie trat auf die oberste Steinstufe und machte zuerst ein verdutztes Gesicht. Die bunten, eckigen, kugel- und länglichrund geformten Laternen verbreiteten ein mildes, gedämpftes Licht und warfen einen verklärenden Schein auf die Kindergesichter. Die Mädels stellten sich im Halbkreise auf und sangen: Großemutter tralala, Ging spaziern und dachte, Sechzig Jahr sind kurz und langk, Großemutter wärd nich krank, Großemutter lachte. Tralala. Tralala. Großemutter, sachte. Sie hatten dabei die Hände auf der Brust gefaltet, drehten die Daumen umeinander und nickten kurz mit dem Kopfe. Ließen sich im Takt ruckweise immer tiefer in die Knie sinken, bis sie bei der letzten Zeile in kauernder Stellung angelangt waren und so unbeholfene Schritte machten -- ein mühsames Gehen darstellend. Die Augen der Großmutter glänzten. »Nee nee --« sagte sie, »solche dumme Sachn -- solche Dummheetn --.« Man ließ sie aber nicht lange träumen. An den Händen wurde sie die Stufen herabgezogen, daß sie kaum folgen konnte. In der Mitte wurde haltgemacht. »Du ißt doch Kuchen gern, Großmutter, hier hängt welcher«, sagte Männe. »Wie sollchn den runterkriegn?« lachte sie. Männe zog mit seinem Laternenstock, an dessen Ende ein Drahthaken befestigt war, die Leine so tief herab, daß das Stück Kuchen dicht vor dem Munde der Großmutter baumelte. »Ihr denkt wohl, ich -- mit mein zwee Zähn kann da neinbeißen --?« Sie suchte den Kuchen mit dem Mund zu haschen und sprang, so gut sie's vermochte, in die Höhe. Da ließ aber Männe die Leine zurückschnellen, so daß das Stück Kuchen hin und her geschleudert wurde und für die kleine Großmutter nicht mehr zu erreichen war. Alle kreischten vor Vergnügen. Sie faßten sich an den Händen, umtanzten sie und sangen den Vers: »Un die Großemutter, die is meine, kann ich huppen lassen, wenn ich will.« Männe wiederholte das Spiel mit dem Kuchen noch mehreremal, bis der Kuchen durch das Schleudern in der Mitte auseinanderbrach und zur Erde fiel. Sofort stürzte alles, was Hände hatte, über den Kuchen her, und binnen wenigen Augenblicken war bis auf einige Krumen nichts mehr übrig. Die Großmutter war atemlos und lachend bis zu ihrem Schemel gewackelt. Dort ließ sie sich niederfallen und rief, die Hände zusammenschlagend: »Un das nennt de Welt Geburtstag!« Die Nächststehenden streichelten ihr die Wangen und umhalsten sie. »Ihr wollt wohl Schindluder spieln mit eirer Großmutter. Ich hab doch nich mehr solche jungen Beene wie ihr.« Sie lachte immer noch. »Ihr seid mir ja das reene Chor der Rache. Ja -- wenn ihr nich so tolles Volk wärd -- hättch eich ooch nich so gerne. Nee, ich hatte schon Angst -- ihr wolltet mir was schenkn. Ich hätts fertjgebracht, un hätts nich genommen. Da muß man sovielmal dankeschön sagen.« Neugierige drängten sich an der Haustür, schauten den nun spielenden und singenden Kindern zu und schienen zu erwarten, daß noch etwas Besonderes geschähe. Man wollte doch wissen, was eigentlich in der Schloßbude »los« sei. Dienstmänner, die mit ihren Wagen durch die Hausflur polterten, trieben mit ihrem dringlichen »Hööööö« die Neugierigen auseinander. Aus den Nebenhäusern riefen besorgte Mütter die Namen ihrer Mädels und Jungen; diese verabschiedeten sich von der Großmutter und wünschten ihr eine recht gute Nacht nach diesem herrlichen Abend. Eine Papierlaterne nach der andern verlosch. Die Großmutter holte eine Lampe aus dem Hause, zündete sie an und stellte sie auf den Hackeklotz. Das ungewisse Licht machte den dunklen Hof noch schattenhafter und geheimnisvoller. Hier glühte eine Zigarre auf, dort stieg der Rauch einer Pfeife schwebend empor und verlor sich. Die Fenster der Nachbarhäuser waren hell erleuchtet, ein blauer Sternhimmel guckte in den Hof herab, und von der Straße her tönte wie von ferne her ein immerwährendes Rumoren. Wie ein allmählich ruhiger und tiefer werdendes Atemholen war es. Die Großmutter strickte. Dann kratzte sie sich mit der Stricknadel gedankenvoll auf dem Kopfe, und mit einem kleinen Seufzer sagte sie: »So isses.« Nun entstand ein Räuspern -- ein Wagen knarrte -- es klang wie das Aufrichten eines Körpers, der sich in eine andre Lage bringt. Und eine männliche Stimme sprach wie zu sich selbst, ins Ungewisse hinein: »Das is noch's scheenste, wemmer so ä bißchen vor sich hindösn kann -- in der Dunkelheet.« Und aus einer andern Richtung kam es langsam und schwer: »Hm -- wemmer das alles so mal vor sich sähe, was mer schon uff sein Buckel geschleppt hat -- -- -- da könnte mer wohl ä kleen Eisenbahnzug vollfroppen darmit.« »Nich bloß ä kleen.« »Wennde da so dastehst, läßt den Zug an dir vorbeifahrn un willst de Wagen alle zähln -- -- das wärd ne tüchtge Nubbe.« Die Großmutter hob den Kopf. »Sis ooch wahr -- früh gehts los un ahmds hörts uff. Mer muß egal uffn Damme sin -- een Dag wien andern, un renn un renn, daß man nur mitkommt. Sonntags, wennch an Fenstr sitze, un sehe den ganzn Spuk uff dr Straße vorbeiziehn -- da mach 'ch de Oogen zu -- un da gibts ä Ruck, un ich falle ganz tief nunter, wies een manchmal geht, wemmer im Bette liegt. Da summts un rauschts in Ohrn un in Koppe in een fort, un da komm de ganzn Leite, die mer so jeden Tag sieht un hört, und ich sehe mich selber mit so drinnerumquärln -- -- -- 's is komisch -- 's is komisch.« Der Großmutter sank der Kopf herab. Sie war eingeschlafen. »Großmutter!« Ein Dienstmann rüttelte sie. »'s is schon spät -- morjn früh is de Nacht alle!« »Ja«, sagte sie schlaftrunken, steckte die Nadeln in den Garnknäuel, klemmte diesen unter die Achsel, nahm die Lampe in die eine und den Schemel in die andre Hand. Ganz langsam stieg sie so die Steinstufen hinauf und ging ins Haus. Verlag von Georg Merseburger, Leipzig Bücher für die ganze Familie Eine Sammlung von Meisterwerken zur Freude, Erholung und Erfrischung für jung und alt. Den Grundstock bilden Werke, die zum großen Teile schon auf allen Listen der Jugendschriftenausschüsse und Musterbücherverzeichnisse stehen. Eine Anschaffungserleichterung wird sehr willkommen sein. Bei Bezug von 10 Bdn. (auch bei mehreren Exemplaren desselben Buches) ein 11. Bd. frei. Bei Bezug in Höhe von 60 M. Ermäßigung auf 45 M. usw. dementsprechend. Hans Aanrud. =Sidsel Langröckchen.= Erzählung. Geb. 3 M., kart. 2.50, brosch. 2.25. =Kroppzeug.= Zwölf Geschichten von kleinen Menschen und Tieren. Geb. 3 M., kart. 2.50, brosch. 2.25. =Jungen.= Vierzehn Geschichten von kleinen ganzen Kerlen. Mit 11 Kunstblättern von Lisbeth Bergh. Geb. 3 M., kart. 2.50, brosch. 2.25. =Sölve Solfeng, das Sonntagskind.= Erzählung. Geb. 3 M., kart. 2.50, brosch. 2.25 M. =Wo der Schnee leuchtet.= 15 Geschichten aus Nordland. Geb. 3.50 M., brosch. 2.50 M. =Maxi Smehaugen.= 16 Bauerngeschichten. Geb. 3.50 M.; brosch. 2.50 M. Bendix Ebbell. =Nordwärts.= Abenteuer aus vier Jahrhunderten. Zur Geschichte der Nordpolexpeditionen. Mit 6 Bildern und einer Karte vom Nordpolgebiet. Geb. 3.50 M., kart. 3 M., brosch. 2.50 M. A. Ehrencron-Kidde. =Mieze Monbergs große Tage.= Erzählung. Geb. 3 M., kart. 2.25 M., brosch 2.25 M. =Die Unzertrennlichen.= Erzählung. Geb. 3.50 M., brosch. 2.50 M. Aagot Gjems-Selmer. =Schwesterchen.= Erzählung. Geb. 3 M., kart. 2.50 M. Gustav Janson. =Die Gefahr.= Erzählung aus der Hunnenzeit. Geb. 4 M., br. 3 M. =Die Spekulation Costa Negra.= Abenteurerroman. Geb. 5 M., brosch. 4 M. Jens Z. Kielland. =Zwei Brüder.= Eine Erzählung von der See. Geb. 4 M., brosch. 3 M. Jonas Lie. =Rutland.= Eine Seegeschichte. Geb. 3.50 M., brosch. 2.50 M. Severin Lieblein. =Der Letzte seines Geschlechts.= Die Geschichte einer Jugend. Geb. 3.50 M., brosch. 2.50 M. John William Nylander. =Die Jungen auf Metsola.= Zehn Erzählungen zum Preise des Landlebens. Geb. 3.50 M., brosch. 2.50. =Seevolk.= Erzählungen aus meinem Seemannsleben. Geb. 3.50 M., brosch. 2.50 M. =Der Schoner Lizzie Gray= und andere Seegeschichten. (Seevolk neue Folge.) Geb. 3.50 M., brosch. 2.50. =Signal P. H.= und andere Erzählungen aus meinem Seemannsleben. (Seevolk 3. Folge.) Geb. 3.50 M., brosch. 2.50 M. Harald Tandrup. =Die Schicksalsmaus.= Eine Erzählung von Tieren und Menschen. Geh. 3.50 M., brosch. 2.50 M. Ausführliche Verzeichnisse kostenlos und portofrei. Im Verlage von Georg Merseburger, Leipzig, erschienen von Alexander L. Kielland übersetzt von ~Dr.~ _Fr. Leskien_ und _Marie Leskien-Lie_ herausgegeben und durchgesehen vom Verfasser mit Buchzeichnungen von =A. Andresen=, =R. Carl=, =M. Loose=, =H. Schittenhelm=, =A. Sommer= ~a~) Gesammelte Werke Inhalt: Bd. I: Garman & Worse. ~a~) Schiffer Worse, ~b~) Garman & Worse. Zwei Romane. Brosch. 5 M., geb. 6 M. Bd. II: Novellen, Novelletten, Schnee, Else. Brosch. 5 M., geb. 6 M. Bd. III: Abraham Lövdahl. ~a~) Gift, ~b~) Fortuna, ~c~) Johannisfest. Drei Romane. Brosch. 5 M., geb. 6 M. Bd. IV: Arbeiter. ~a~) Arbeiter, ~b~) Jakob. Zwei Romane. Brosch. 5 M., geb. 6 M. Bd. V. Rings um Napoleon. Brosch. 6 M., geb. 7 M. Nachlese: Menschen und Tiere. Skizzen u. Studien. Br. 3 M., geb. 4 M. Alle Bände sind auch einzeln zu haben. -- Einzelne 6 Bände geb. 35 M. Gesamtpreis für alle 6 Bände in eleganter Kassette gebunden 30 M., ohne Kassette broschiert 25 M. ~b~) Werke in Einzelausgaben Rings um Napoleon. IX. und X. Tausend. Brosch. 6 M., geb. 7 M.; in 2 Bände geb. 8 M. Schiffer Worse. Roman. Brosch. 2.25 M., geb. 3 M. Garman & Worse. Roman. Novellen, Novelletten, Schnee und Else. Brosch. 5 M., geb. 6 M. Gift. Roman. Brosch. 2 M., geb. 2.75 M. Fortuna. Roman. Brosch. 2 M., geb. 2.75 M. Johannisfest. Roman. Brosch. 1.50 M., geb. 2.25 M. Menschen und Tiere. Skizzen und Studien, Brosch. 3 M., geb. 4 M. Arbeiter. Roman. Brosch. 2.75 M., geb. 3.50 M. Jakob. Roman. Brosch. 2.25 M., geb. 3 M. Weitere Anmerkungen zur Transkription Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht. Korrekturen: S. 49: der bei → bei der der viele Jahre {bei der} Heilsarmee gewesen End of the Project Gutenberg EBook of Sächsisch Volk, by Fritz Barschdorff *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SÄCHSISCH VOLK *** ***** This file should be named 59717-0.txt or 59717-0.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/5/9/7/1/59717/ Produced by The Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws. The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact For additional contact information: Dr. Gregory B. Newby Chief Executive and Director gbnewby@pglaf.org Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide spread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. 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