The Project Gutenberg EBook of Andrea Delfin, by Paul Heyse Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the copyright laws for your country before downloading or redistributing this or any other Project Gutenberg eBook. This header should be the first thing seen when viewing this Project Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the header without written permission. Please read the "legal small print," and other information about the eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is important information about your specific rights and restrictions in how the file may be used. 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This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE. That project is reachable at the web site http://gutenberg.spiegel.de/. Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE" zur Verfuegung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse http://gutenberg.spiegel.de/ erreichbar. Andrea Delfin Eine venezianische Novelle Paul Heyse In jener Gasse Venedigs, die den freundlichen Namen "Bella Cortesia" traegt, stand um die Mitte des vorigen Jahrhunderts ein einfaches, einstoeckiges Buergerhaus, ueber dessen niedrigem Portal, von zwei gewundenen hoelzernen Saeulen und barockem Gesims eingerahmt, ein Madonnenbild in der Nische thronte und ein ewiges Laempchen bescheiden hinter rotem Glas hervorschimmerte. Trat man in den unteren Flur, so stand man am Fusse einer breiten, steilen Treppe, die ohne Windung zu den oberen Zimmern hinauffuehrte. Auch hier brannte Tag und Nacht eine Lampe, die an blanken Kettchen von der Decke herabhing, da in das Innere nur Tageslicht eindrang, wenn einmal die Haustuer geoeffnet wurde. Aber trotz dieser ewigen Daemmerung war die Treppe der Lieblingsaufenthalt von Frau Giovanna Danieli, der Besitzerin des Hauses, die seit dem Tode ihres Mannes mit ihrer einzigen Tochter Marietta das ererbte Haeuschen bewohnte und einige ueberfluessige Zimmer an ruhige Leute vermietete. Sie behauptete, die Traenen, die sie um ihren lieben Mann geweint, haetten ihre Augen zu sehr geschwaecht, um das Sonnenlicht noch zu vertragen. Die Nachbarn aber sagten ihr nach, dass sie nur darum von Morgen bis Abend auf dem oberen Treppenabsatz ihr Wesen treibe, um mit jedem, der aus- und einginge, anzubinden und ihn nicht vorueberzulassen, eher er ihrer Neugier und Gespraechigkeit den Zoll entrichtet habe. Um die Zeit, wo wir sie kennen lernen, konnte dieser Grund sie schwerlich bewegen, den harten Sitz auf der Treppenstufe einem bequemen Sessel vorzuziehen. Es war im August des Jahres 1762. Schon seit einem halben Jahr standen die Zimmer, die sie vermietete, leer, und mit ihren Nachbarn verkehrte sie wenig. Dazu ging es schon auf die Nacht, und ein Besuch um diese Zeit war ganz ungewoehnlich. Dennoch sass die kleine Frau beharrlich auf ihrem Posten und sah nachdenklich in den leeren Flur hinab. Sie hatte ihr Kind zu Bett geschickt und ein paar Kuerbisse neben sich gelegt, um sie noch vor Schlafengehen auszukernen. Aber allerlei Gedanken und Betrachtungen waren ihr dazwischen gekommen. Ihre Haende ruhten im Schoss, ihr Kopf lehnte am Gelaender, es war nicht das erste Mal, dass sie in dieser Stellung eingeschlafen war. Sie war auch heute nahe daran, als drei langsame, aber nachdrueckliche Schlaege an die Haustuer sie ploetzlich aufschreckten. Misericordia! sagte die Frau, indem sie aufstand, aber unbewegliche stehen blieb, was ist das? Hab' ich getraeumt? Kann er es wirklich sein? Sie horchte. Die Schlaege mit dem Klopfer wiederholten sich. Nein, sagte sie, Orso ist es nicht. Das klang anders. Auch die Sbirren sind es nicht. Lass sehen, was der Himmel schickt.--Damit stieg sie schwerfaellig hinunter und fragte durch die Tuer, wer Einlass begehre. Eine Stimme antwortete: es stehe ein Fremder draussen, der hier eine Wohnung suche. Das Haus sei ihm gut empfohlen; er hoffe, lange zu bleiben und die Wirtin wohl zufrieden zu stellen. Das alles wurde hoeflich und in gutem Venezianisch vorgetragen, so dass Frau Giovanna, trotz der spaeten Zeit, sich nicht bedachte, die Tuer zu oeffnen. Der Anblick ihres Gastes rechtfertigte ihr Vertrauen. Er trug, soviel sie in der Daemmerung sehen konnte, die anstaendige schwarze Kleidung des niederen Buergerstandes, einen ledernen Mantelsack unter dem Arm, den Hut bescheiden in der Hand. Nur sein Gesicht befremdete die Frau. Es war nicht jung, nicht alt, der Bart noch dunkelbraun, die Stirn faltenlos, die Augen feurig, dagegen der Ausdruck des Mundes und die Art zu sprechen muede und ueberlebt, und das kurzgeschorene Haar in seltsamem Gegensatz zu den noch jugendlichen Zuegen voellig ergraut. Gute Frau, sagte er, ich habe Euch schon im Schlafe gestoert, und sogar vielleicht vergebens. Denn, um es gleich zu sagen: wenn Ihr kein Zimmer habt, das auf einen Kanal hinausgeht, bin ich nicht Euer Mieter. Ich komme von Brescia, mein Arzt hat mir die feuchte Luft Venedigs empfohlen fuer meine schwache Brust; ich soll ueberm Wasser wohnen. Nun Gott sei Dank! sagte die Witwe, so kommt doch einmal einer, der unserem Kanal Ehre antut. Ich hatte einen Spanier vorigen Sommer, der auszog, weil er sagte, das Wasser habe einen Geruch, als waeren Ratten und Melonen darin gekocht worden! Und Euch ist es empfohlen worden? Wir sagen wohl hier in Venedig: Wasser vom Kanal. Kuriert radikal. Aber es hat einen eigenen Sinn, Herr, einen boesen Sinn, wenn man bedenkt, wie manches Mal auf Befehl der Oberen eine Gondel mit Dreien auf die Lagunen hinausfuhr und mit Zweien wiederkam. Davon nichts mehr, Herr--Gott behuet' uns alle! Aber habt Ihr Euren Pass in Ordnung? Ich koennt' Euch sonst nicht aufnehmen. Ich hab' ihn schon drei Mal praesentiert, gute Frau, in Mestre, bei der Wachtgondel draussen und am Traghetto. Mein Name ist Andrea Delfin, mein Stand rechtskundiger Schreiber bei den Notaren, als welcher ich in Brescia fungiert habe. Ich bin ein ruhiger Mensch und habe nie mit der Polizei gern zu schaffen gehabt. Um so besser, sagte die Frau, indem sie jetzt ihrem Gaste voran die Treppe wieder hinaufstieg. Besser bewahrt als beklagt, ein Aug' auf die Katze, das andere auf die Pfanne, und es ist nuetzlicher, Furcht zu haben als Schaden. O, ueber die Zeiten, in denen wir leben, Herr Andrea! Man soll nicht drueber nachdenken. Denken verkuerzt das Leben, aber Kummer schliesst das Herz auf. Da seht, und sie oeffnete ein grosses Zimmer, ist es nicht huebsch hier, nicht wohnlich? Dort das Bett, mit meinen eigenen Haenden hab' ich's genaeht, als ich jung war, aber am Morgen kennt man nicht den Tag. Und da ist das Fenster nach dem Kanal, der nicht breit ist, wie Ihr seht, aber desto tiefer, und das andere Fenster dort nach der kleinen Gasse, das Ihr zuhalten muesst, denn die Fledermaeuse werden immer dreister. Seht da ueberm Kanal, fast mit der Hand abzureichen, der Palast der Graefin Amidei, die blond ist wie das Gold und durch ebensoviel Haende geht. Aber hier steh' ich und schwatze, und Ihr habt noch weder Licht noch Wasser und werdet hungrig sein. Der Fremde hatte gleich beim Eintreten das Zimmer mit raschem Blick gemustert, war von Fenster zu Fenster gegangen und warf jetzt seinen Mantelsack auf einen Sessel. Es ist alles in der besten Ordnung, sagte er. Ueber den Preis werden wir uns wohl einigen. Bringt mir nur einen Bissen und, wenn Ihr ihn habt, einen Tropfen Wein. Dann will ich schlafen. Es war etwas seltsam Gebieterisches in seiner Gebaerde, so milde der Ton seiner Worte klang. Eilig gehorchte die Frau und liess ihn auf kurze Zeit allein. Nun trat er sofort wieder ans Fenster, bog sich hinaus und sah den sehr engen Kanal hinab, der durch kein Zittern seiner schwarzen Flut verriet, dass er teilhabe an dem Leben des grossen Meeres, dem Wellenschlag der alten Adria. Der Palast gegenueber stieg in schwerer Masse vor ihm auf, alle Fenster waren dunkel, da die Vorderseite nicht dem Kanal zugekehrt war; nur eine schmale Tuer oeffnete sich unten, dicht ueber dem Wasserspiegel, und eine schwarze Gondel lag angekettet vor der Schwelle. Das alles schien den Wuenschen des neuen Ankoemmlings durchaus zu entsprechen, nicht minder auch, dass man ihm durch das andere Fenster, das nach der Sackgasse ging, nicht ins Zimmer sehen konnte. Denn drueben lief eine fensterlose Wand ohne andere Unterbrechung als einige Vorspruenge, Risse und Kellerloecher hin, und nur den Katzen, Mardern und Nachtvoegeln konnte dieser duestere Winkel angenehm und wohnlich erscheinen. Ein Lichtstrahl aus dem Flur drang ins Gemach, die Tuer oeffnete sich, und mit der Kerze in der Hand trat die kleine Witwe wieder ein, hinter ihr die Tochter, die in der Eile noch einmal hatte aufstehen muessen, um beim Empfang des Gastes zu helfen. Die Gestalt des Maedchens war fast noch kleiner als die der Mutter, erschien aber doch durch die hoechste Zierlichkeit und kaum gereifte Schlankheit aller Formen groesser und wie auf den Fussspitzen schwebend, waehrend man auch im Gesicht dieselbe Aehnlichkeit und denselben Unterschied, der auf Rechnung der Jahre kam, auf den ersten Blick erkannte. Nur der Ausdruck in beiden Gesichtern schien niemals einander aehnlich werden zu koennen. Es war zwischen den dichten Brauen der Frau Giovanna ein Zug von Spannung und kummervollem Harren, der auch mit den Erfahrungen des Alters auf Mariettas klarer Stirn nie dauernd eine Staette finden konnte. Diese Augen mussten immer lachen, dieser Mund immer ein wenig geoeffnet sein, um jeden Scherz unverzueglich hinauszulassen. Es war unendlich drollig zu sehen, wie jetzt in diesem Gesichtchen Verschlagenheit, Ueberraschung, Neugier und Mutwille miteinander kaempften. Sie bog beim Eintreten den Kopf, dessen lose Flechten mit einem schmalen Tuch umwunden waren, seitwaerts, um den neuen Hausgenossen zu sehen. Auch seine ernste Miene und sein graues Haar stimmten ihre Munterkeit nicht herab. Mutter, fluesterte sie, indem sie einen grossen Teller mit Schinken, Brot und frischen Feigen und eine halbvolle Flasche Wein auf den Tisch stellte, er hat ein kurioses Gesicht, wie ein neues Haus im Winter, wenn der Schnee aufs Dach gefallen ist. Schweig, du schlimme Hexe! sagte die Mutter rasch. Weisse Haare sind falsche Zeugen. Er ist krank, musst du wissen, und du solltest Respekt haben, denn Krankheiten kommen zu Pferde und gehen zu Fuss, und Gott behuete dich und mich, denn die Kranken essen wenig, aber die Krankheit frisst alles. Hole nur ein wenig Wasser, soviel wir noch haben. Morgen muessen wir frueh auf und neues kaufen. Sieh, er sitzt da, als ob er schliefe. Er ist muede von der Reise, und du bist muede vom Stillsitzen. So ist die Welt verschieden. Waehrend dieser halblauten Reden hatte der Fremde am Fenster gesessen und den Kopf in die Hand gestuetzt. Auch als er jetzt aufsah, schien er die Gegenwart des zierlichen Maedchens, das ihm eine Verbeugung machte, kaum zu bemerken. Kommt und esst etwas, Herr Andrea, sagte die Witwe. Wer nicht zu Nacht isst, hungert im Traum. Seht, die Feigen sind frisch, und der Schinken zart, und dies ist Zyperwein, wie ihn der Doge nicht besser trinkt. Sein Kellermeister hat ihn uns selbst verkauft, eine alte Bekanntschaft noch von meinem Mann her. Ihr seid gereist, Herr. Ist er Euch nicht einmal begegnet, mein Orso, Orso Danieli? Gute Frau, sagte der Fremde, indem er einige Tropfen Wein ins Glas goss und eine der Feigen aufbrach, ich bin nie ueber Brescia hinausgekommen und kenne keinen dieses Namens. Marietta verliess das Zimmer, und man hoerte sie, waehrend sie die Treppe hinunterflog, ein Liedchen mit heller Stimme vor sich hin singen. Hoert Ihr das Kind? fragte Frau Giovanna. Man hielte sie nicht fuer meine Tochter, obwohl auch eine schwarze Henne ein weisses Ei legt. Immer singen und springen, als waeren wir hier nicht in Venedig, wo es gut ist, dass die Fische stumm sind, weil sie sonst reden wuerden, was einem das Haar straeubte. Aber so war ihr Vater auch, Orso Danieli, der erste Arbeiter auf Murano, wo sie die bunten Glaeser machen, wie nirgend auf der Welt. Ein froehlich Herz macht rote Wangen, das war sein Spruch. Und darum sagte er eines Tages zu mir, Giovannina, sagte er, ich halt' es hier nicht aus, die Luft schnuert mir die Kehle zu, gestern erst ist wieder einer erdrosselt und mit dem Fuss an den Galgen gehenkt worden, weil er freie Reden gefuehrt hat gegen die Inquisitoren und den Rat der Zehn. Man weiss, wo man geboren wird, aber nicht, wo man stirbt, und mancher denkt auf dem Pferde zu sitzen und sitzt auf der Erde. Also, Giovannina, sagte er, ich will nach Frankreich, Kunst bringt Gunst, und der Heller laeuft dem Batzen nach. Meine Sache verstehe ich, und wenn ich's draussen zu was gebracht habe, kommst du nach mit unserem Kind.--Das war damals acht Jahre alt, Herr Andrea. Es lachte, als es der Vater zuletzt kuesste; da lachte er auch. Ich aber weinte, da musste er wohl mitweinen, obwohl er ganz lustig wegfuhr in der Gondel, ich hoert' ihn noch pfeifen, als er schon um die Ecke war. So ging es ein Jahr. Und was geschah? Die Signoria liess nach ihm fragen; es duerfe keiner von Murano sein Gewerk ins Ausland tragen, damit sie es dort ihm nicht absaehen; ich sollt' ihm schreiben, dass er wiederkaeme, bei Todesstrafe. Ueber den Brief lachte er; aber den Herren vom Tribunal war's nicht spasshaft. Eines Morgens, da wir noch zu Bett waren, wurde ich abgeholt, das Kind mit mir, und hinaufgeschleppt unter die Bleidaecher, und musste ihm wieder schreiben, wo ich waere, ich und unser Kind, und dass ich da bleiben wuerde, bis er selber mich abforderte in Venedig. Nicht lange, so hatte ich seine Antwort, das Lachen sei ihm vergangen, er wandere dem Brief auf den Fersen nach. Nun, ich hoffte taeglich, dass er es wahrmachen werde. Aber Wochen und Monde vergingen, und mir ward immer weher ums Herz und kraenker im Haupt, denn da droben ist die Hoelle, Herr Andrea, nur dass ich das Kind hatte, das nichts von dem Jammer begriff, ausser dass es schlecht ass und ueber Tag heiss hatte; aber dennoch sang es, um mich lustig zu machen, dass mich's vollends angriff, die Traenen zu verhalten. Erst im dritten Monat wurden wir herausgeholt, es hiess, der Glasblaeser Orso Danieli sei in Mailand am Fieber gestorben, und wir koennten nach Hause gehen. Ich habe es auch von anderen gehoert--aber wer das glaubt, kennt die Signoria nicht. Gestorben? Stirbt man auch, wenn man Frau und Kind unter den Bleidaechern sitzen hat und sie herausholen soll? Und was meint Ihr, dass aus Eurem Mann geworden sei? fragte der Fremde. Sie sah mit einem Blick ihm ins Gesicht, der ihn daran gemahnte, dass die arme Frau lange Wochen unter den Bleidaechern gelebt hatte. Es ist nicht richtig, sagte sie. Mancher lebt und kommt doch nicht wieder, und mancher ist tot und kommt doch wieder. Aber davon wollen wir schweigen. Ja, wenn ich es Euch sagte, wer steht mir dafuer, dass Ihr nicht hingeht und es vor dem Tribunal ausplaudert? Ihr seht aus wie ein Galantuomo; aber wer ist noch rechtschaffen heutzutage? Von tausend einer, von hundert keiner. Nichts fuer ungut, Herr Andrea, aber Ihr wisst wohl, wie es in Venedig heisst: Mit Lug und Listen kommt man aus, Mit List und Luegen haelt man haus. Es entstand eine Pause. Der Fremde hatte laengst den Teller weggeschoben und der Witwe gespannt zugehoert. Ich verdenke es Euch nicht, sagte er, dass Ihr mir Eure Geheimnisse nicht anvertrauen wollt. Sie gehen mich auch nichts an, und zu helfen wuesst' ich Euch ohnedies nicht. Aber wie kommt es, Frau, dass Ihr dieses Tribunal, unter dem Ihr so viel gelitten, dennoch Euch gefallen lasset, Ihr und alles Volk in Venedig? Denn ich weiss zwar wenig, wie es hier aussieht--ich habe mich nie in politische Fragen vertieft--aber so viel habe ich doch gehoert, dass erst im vorigen Jahr hier ein Tumult war, um das heimliche Tribunal abzuschaffen, dass einer vom Adel selbst dagegen auftrat und der Grosse Rat eine Kommission waehlte, die Sache zu bedenken, und alles in Bewegung geriet fuer und wider. Ich hoerte davon sogar in meiner Schreibstube zu Brescia. Und als endlich alles beim alten blieb und die Macht des heimlichen Gerichts fester gegruendet stand als je, warum zuendete da das Volk Freudenfeuer an auf den Plaetzen und verhoehnte die vom Adel, die gegen das Tribunal gestimmt hatten und nun seine Rache fuerchten mussten? Warum war niemand, der es hinderte, dass die Inquisitoren ihren kuehnen Feind nach Verona verbannten? Und wer weiss, ob sie ihn dort am Leben lassen, oder ob die Dolche schon geschliffen sind, die ihn fuer immer stumm machen sollen? Ich--wie gesagt--weiss nur wenig hiervon; ich kenne auch jenen Mann nicht, und es ist mir alles sehr gleichgueltig, was hier geschieht, denn ich bin krank und werde es in dieser bunten Welt ohnehin nicht mehr lange treiben. Aber es wundert mich doch, dieses wankelmuetige Volk zu sehen, das heute diese drei Maenner seine Tyrannen nennt und morgen frohlockt, wenn die untergehen, welche der Tyrannei ein Ende machen wollten. Wie Ihr da redet, Herr! sagte die Witwe und schuettelte den Kopf. Ihr habt ihn nie gesehen, den Herrn Avogadore Angelo Querini, den sie verbannt haben, weil er der heimlichen Justiz den Krieg erklaerte? Nun wohl, Herr, aber ich habe ihn gesehen und die anderen armen Leute, und sie sagen alle, er sei ein rechtschaffener Herr und ein grosser Gelehrter, der Tag und Nacht die alten Geschichten von Venedig studiert hat und die Gesetze kennt, wie der Fuchs den Taubenschlag. Aber wer ihn ueber die Strasse gehen oder im Broglio mit seinen Freunden stehen sah, so an die Saeule gelehnt und die Augen halb zugedrueckt, der wusste, dass er ein Nobile war von der Feder am Hut bis zu den Schuhschnallen, und was er gegen das Tribunal redete und handelte, war nicht fuers Volk, sondern fuer die grossen Herren. Den Schafen aber ist es gleich, Herr Delfin, ob sie geschlachtet oder vom Wolf gefressen werden, und Rauft sich der Habicht mit dem Weih, Ist das Feld fuer die Huehner frei. Seht, Lieber, darum war die Schadenfreude gross, als das Tribunal in allen Rechten bestaetigt wurde und nach wie vor niemandem Rechenschaft schulden sollte als am Juengsten Tage dem Herrgott und alle Tage dem Gewissen. Im Kanal Orfano, von Hunderten, die dort ihr letztes Ave gebetet haben, liegen zehn von den kleinen Leuten neben neunzig von den grossen Herren. Aber setzt den Fall, es wuerden adlige Verbrecher und buergerliche vom Grossen Rat oeffentlich gerichtet und hingerichtet--Misericordia! wir haetten achthundert Henker anstatt drei, und der grosse Dieb haengte den kleinen auf. Er schien etwas erwidern zu wollen, aber mit einem kurzen Auflachen, das die Wirtin fuer Zustimmung nahm, hatte es sein Bewenden. Indem trat Marietta wieder herein, ein Gefaess mit Wasser tragend und ein Raeucherpfaennchen, auf dem ein scharfriechendes Kraut glimmte und ihr seinen Dampf ins Gesicht trieb, dass sie mit Husten, Schelten und Augenreiben die drolligsten Gebaerden machte. Sie trug das Raeucherwerk mit kleinen Schritten dicht an den vier Waenden herum, die mit einer Unzahl Fliegen und Muecken bedeckt waren. Marschiert da weg, ihr Gesindel, sagte sie, ihr Blutsauger, schlimmer als Advokaten und Doktoren! Haettet ihr auch Lust, Feigen zu Nacht zu essen und Zyper zu naschen? Da koenntet ihr wohl lachen und hernach zum Dank dem Herrn da, wenn er schlaeft, das Gesicht zerstechen, ihr Meuchelmoerder! Wartet, ich will euch was eingeben, das euch ohne Abendessen in Schlaf bringen soll. Musst du immer schwatzen, du gottlose Kreatur? sagte die Mutter, die allen Bewegungen ihres Lieblings mit strahlenden Blicken folgte. Weisst du nicht, dass ein Fass, das klingt, leer ist, und wer viel spricht, wenig sagt?--Mutter, sagte das Maedchen lachend, ich muss den Muecken ein Schlaflied singen, und seht, wie es hilft! da fallen sie schon von der Wand. Gute Nacht, ihr Tagediebe, ihr schlechten Gesellen, die ihr keine Miete bezahlt und doch in alle Toepfe guckt. Wir sprechen uns morgen wieder, wenn ihr heute nicht genug bekommen habt. Sie schwenkte das erloeschende Kraut noch einmal wie beschwoerend ueberm Haupte und schuettete die Asche in den Kanal, dann verbeugte sie sich rasch gegen den Fremden und lief wie der Wind hinaus. Ist es nicht eine Hexe, ein haessliches, unerzogenes Geschoepf? sagte Frau Giovanna, indem sie aufstand und sich ebenfalls zum Gehen anschickte. Und doch gefaellt jeder Aeffin ihr Aeffchen. Und uebrigens, so klein sie ist und nichtsnutzig, so anstellig ist sie auch, und es heisst auch von ihr: Bis die Grosse sich nur bueckt, Hat die Kleine schon das Kraut gepflueckt. Wenn ich das Kind nicht haette, Herr Andrea! Aber Ihr wollt schlafen, und ich stehe noch hier und brodle wie die Suppe ueberm Feuer. Schlaft wohl und willkommen in Venedig! Er erwiderte ihren Gruss trocken und schien es nicht zu bemerken, dass sie offenbar noch ein lobendes Wort ueber ihre Tochter von ihm erwartete. Als er endlich allein war, sass er noch eine Weile am Tisch, und sein Gesicht wurde immer duesterer und schmerzlicher. Das Licht brannte mit langem Docht, die Fliegen, die Mariettas Hexenkuensten entgangen waren, belagerten in schwarzen Klumpen die ueberreifen Feigen, draussen in dem Sackgaesschen flogen die Fledermaeuse ans Fenster und stiessen gegen das Gitter--der einsame Fremde schien fuer alles um ihn her erstorben, und nur die Augen lebten an ihm. Erst als es elf schlug vom Turm einer nahen Kirche, richtete er sich mechanisch auf und sah um sich. An der Decke seines niedrigen Zimmers zog in grauen Streifen der scharfe Dunst des Raeucherkrautes hin und der Dampf der Kerze gesellte sich zu der Wolke droben. Andrea oeffnete das Fenster nach dem Kanal, um die Luft zu reinigen. Da sah er gegenueber Licht in einem durch einen weissen Vorhang nur halb geschlossenen Fenster und konnte durch die Luecke deutlich ein Maedchen beobachten, welches am Tisch vor einer Schuessel sass und die Reste einer grossen Pastete hastig verzehrte, mit den Fingern die Bissen zum Munde fuehrend und dazu dann und wann aus einem Kristallflaeschchen trinkend. Das Gesicht hatte einen leichtsinnigen, aber eben nicht herausfordernden Ausdruck, nicht mehr in erster Jugend. In der nachlaessigen Kleidung und dem halbaufgeloesten Haar lag etwas Studiertes und Bewusstes, was doch nicht ungefaellig war. Sie musste laengst bemerkt haben, dass das Zimmer gegenueber einen neuen Bewohner aufgenommen hatte; aber obwohl sie denselben jetzt am Fenster sah, fuhr sie ruhig im Schmausen fort, und nur wenn sie trank, schwenkte sie das Flaeschchen erst vor sich her, als wolle sie einen Mittrinker begruessen. Darauf stellte sie die leere Schuessel beiseite, rueckte den Tisch mit der Lampe so gegen die Wand, dass alles Licht auf einen breiten Spiegel im Hintergrunde fiel, und begann nun einen Haufen Maskenanzuege, der auf einem Armsessel bunt uebereinander lag, der Reihe nach vor dem Spiegel anzuprobieren, so dass der Fremde gegenueber, dem sie den Ruecken dabei zudrehte, desto deutlicher ihr Abbild sehen musste. Sie schien sich nicht wenig in ihren Verkleidungen zu gefallen. Wenigstens nickte sie ihrem Bilde aufs freundlichste zu, lachte sich an, dass Zaehne und Lippen schimmerten, runzelte die Brauen, um eine tragische oder schmachtende Miene zu machen, und sah dabei heimlich seitwaerts nach dem Beobachter drueben, den sie ebenfalls durch den Spiegel im Auge behielt. Als die dunkle Gestalt unbeweglich blieb und die erhofften Zeichen des Beifalls auf sich warten liessen, wurde sie ungehalten und bereitete einen Hauptschlag vor. Sie band sich einen grossen roten Turban um die Schlaefen, aus dem an blitzender Agraffe eine Reiherfeder hervorsah. Das Rot stand allerdings nicht uebel zu ihrer gelben Gesichtsfarbe, und sie machte sich selbst eine tiefe Verbeugung der Anerkennung. Als es aber drueben auch jetzt noch still blieb, riss ihr die Geduld, und sie trat, den Turban noch auf dem Kopf, hastig an das Fenster, dessen Vorhang sie ganz zurueckschob. Guten Tag, Monsu, sagte sie freundlich. Ihr seid mein Nachbar geworden, wie ich sehe. Hoffentlich spielt Ihr nicht die Floete wie Euer Vorgaenger, der mich die halbe Nacht nicht schlafen liess. Schoene Nachbarin, sagte der Fremde, ich werde Euch mit keiner Art von Musik laestig fallen. Ich bin ein kranker Mensch, dem es lieb ist, wenn man ihm selbst seinen Schlaf nicht stoert. So!--erwiderte das Maedchen mit gedehntem Ton. Krank seid Ihr? Aber seid Ihr auch reich? Nein! Warum fragt Ihr? Weil es ja schrecklich ist, krank und arm zugleich zu sein. Wer seid Ihr denn eigentlich? Andrea Delfin ist mein Name. Ich bin Gerichtsschreiber gewesen in Brescia und suche hier einen stilleren Dienst bei einem Notar. Die Antwort schien ihre Erwartungen von der neuen Bekanntschaft vollends herabzustimmen. Sie spielte nachdenklich mit einer goldenen Kette, die sie um den Hals trug. Und wer seid Ihr, schoene Nachbarin? fragte Andrea mit einem zaertlichen Ton, der dem eisernen Ausdruck seines Gesichtes voellig widersprach. Euer holdes Bild so nahe zu haben, wird mir ein Trost sein in meinen Leiden. Sie fuehlte sich offenbar befriedigt, dass er in den Ton einlenkte, den sie zu erwarten berechtigt war. Fuer Euch, sagte sie, bin ich die Prinzessin Smeraldina, die Euch erlaubt, von fern nach ihrer Gunst zu schmachten. Wenn Ihr mich diesen Turban aufsetzen seht, so sei es Euch ein Zeichen, dass ich geneigt bin, mit Euch zu plaudern. Denn ich langweile mich mehr, als bei meiner Jugend und meinen Reizen zu ertragen ist. Ihr muesst wissen, fuhr sie fort, indem sie ploetzlich aus der Rolle fiel, dass meine Herrschaft, die Graefin, durchaus nicht erlaubt, dass ich auch nur die kleinste Liebschaft habe, obwohl sie selbst ihre Liebhaber oefter wechselt als ihre Hemden. Sie sagt, dass sie ihre Vertraute und Kammerjungfer stets aus dem Dienst gejagt habe, sobald sie zweien Herren habe dienen wollen, ihr und dem kleinen Gott mit den Fluegeln. Unter diesem Vorurteil muss ich nun seufzen, und faend' ich nicht sonst hier meine Rechnung, und wohnte nicht zuweilen drueben in Eurem Zimmer ein artiger Fremder, der sich ein wenig in mich verliebt... Wer ist jetzt gerade der Liebhaber deiner Herrin? unterbrach sie Andrea trocken. Empfaengt sie den hohen Adel Venedigs? Gehen die fremden Gesandten bei ihr aus und ein? Sie kommen meist in der Maske, erwiderte Smeraldina. Aber das weiss ich wohl, dass der junge Gritti ihr der Liebste ist, mehr als jemals ein anderer, solange ich in ihrem Dienste bin; ja mehr als der oesterreichische Gesandte, der ihr so den Hof macht, dass es zum Lachen ist. Kennt Ihr meine Graefin auch? Sie ist schoen. Ich bin fremd hier, Kind. Ich kenne sie nicht. Wisst, sagte das Maedchen mit einem schlauen Gesicht, sie schminkt sich stark, obwohl sie noch nicht dreissig ist. Wenn Ihr sie einmal sehen wollt, nichts leichter. Man legt ein Brett von Eurem Fenster in meines. Ihr steigt herueber, und ich fuehre Euch an einen Ort, wo Ihr sie ganz verstohlen betrachten koennt. Was tut man nicht einem Nachbar zuliebe!--Aber jetzt gute Nacht. Ich werde gerufen. Gute Nacht, Smeraldina! Sie schloss das Fenster. Arm--und krank, sagte sie fuer sich, indem sie den Vorhang dicht zusammenzog. Je nun, fuer die Langeweile immer noch gut genug. Auch er hatte das Fenster geschlossen und durchmass nun sein Zimmer mit langsamen Schritten. Es ist gut, sagte er, es kommt mir gelegen. Im schlimmsten Falle kann ich auch davon Vorteil ziehen. Seine Miene zeigte, dass er an alles eher dachte als an Liebesabenteuer. Nun packte er seinen Mantelsack aus, der nur wenig Waesche und ein paar Gebetbuecher enthielt, und legte alles in einen Schrank an der Wand. Eines der Buecher fiel zu Boden, und die Steinplatte gab einen hohlen Ton. Sofort loeschte er das Licht, verriegelte die Tuer und fing an, in der Daemmerung, die durch den fernen Schein von Smeraldinas Laempchen entstand, den Boden genauer zu untersuchen. Nach einiger Arbeit gelang es ihm, die Steinplatte, die sauber, aber ohne Moertel eingefuegt war, herauszuheben, und er entdeckte darunter ein ziemlich geraeumiges Loch, handhoch und einen Schuh breit im Geviert. Rasch warf er sein Oberkleid ab und band sich einen schweren Guertel mit mehreren Taschen ab, den er um den Leib trug. Er hatte ihn schon in das Loch gelegt, als er ploetzlich innehielt. Nein, sagte er, es koennte eine Falle sein. Es ist nicht das erste Mal, dass die Polizei in Mietwohnungen dergleichen Verstecke hat, um hernach bei Haussuchungen zu wissen, wo sie anzuklopfen hat. Dies ist zu lockend eingerichtet, um ihm trauen zu koennen. Er senkte die Steinplatte wieder ein und suchte nach einem sicheren Behaelter fuer seine Geheimnisse. Das Fenster nach der Sackgasse war mit einem Gitter versehen, dessen Staebe einen Arm durchgreifen liessen. Er oeffnete es, fasste hindurch und tastete an der Aussenwand herum. Er fand dicht unter dem Sims ein kleines Loch in der Mauer, das schon einmal Fledermaeuse bewohnt zu haben schienen. Von unten aus konnte es nicht bemerkt werden, und oben sprang das Gesims darueber vor. Geraeuschlos erweiterte er mit seinem Dolch die Oeffnung, indem er Moertel und Steine herausbrach, und war bald so weit gediehen, dass er den breiten Guertel bequem darin unterbringen konnte. Als er fertig war, stand ihm der kalte Schweiss auf der Stirn. Er fuehlte noch einmal nach, ob auch nirgend ein Stueck Riemen oder ein Schnalle hervorstehe, und schloss dann das Fenster. Eine Stunde spaeter lag er in Kleidern auf dem Bett und schlief. Die Muecken summten ueber seiner Stirn, die Nachtvoegel draussen umschwirrten neugierig das Loch, worin sein Schatz verborgen war. Die Lippen des Schlaefers aber waren zu fest geschlossen, um selbst im Traum ein Wort von seinen Geheimnissen zu verraten. In derselben Nacht sass in Verona ein Mann bei seiner einsamen Lampe und entfaltete, nachdem er Fensterlaeden und Tuer sorgfaeltig verschlossen hatte, einen Brief, der ihm heute in der Daemmerung, als er in der Naehe des Amphitheaters sich erging, von einem bettelnden Kapuziner heimlich zugesteckt worden war. Der Brief trug keine Aufschrift. Aber auf die Frage, woher der Ueberbringer wisse, dass er das Schreiben in die richtigen Haende gebe, hatte der Moench geantwortet: jedes Kind in Verona kennt den edlen Angelo Querini wie seinen Vater. Darauf war der Bote gegangen. Der Verbannte aber, dessen Haft durch die Achtung, die ihm in das Unglueck folgte, gelockert worden war, hatte den Brief trotz der Spaeher, die ihn beobachteten, unbemerkt in seine Wohnung gebracht und las jetzt, waehrend der Schritt der Wache draussen am Hause drohend durch die Stille erklang, folgende Zeilen: "An Angelo Querini. "Ich kann nicht hoffen, dass Ihr Euch der fluechtigen Stunde erinnert, in der ich Euch persoenlich begegnet bin. Viele Jahre liegen zwischen damals und heute. Ich war mit meinen Geschwistern in der laendlichen Stille unserer Gueter in Friaul aufgewachsen; erst als ich beide Eltern verloren hatte, trennte ich mich von meiner Schwester und dem juengeren Bruder. Schon nach wenigen Tagen hatte mich der verfuehrerische Strudel Venedigs verschlungen. "Da wurde ich eines Tages im Palast Morosini Euch vorgestellt. Noch fuehle ich den Blick, mit dem Ihr uns junge Leute mustertet, einen nach dem anderen. Euer Auge sagte: und das ist das Geschlecht, auf dessen Schultern die Zukunft Venedigs ruhen soll?--Man nannte Euch meinen Namen. Unvermerkt lenktet Ihr das Gespraech mit mir auf die grosse Vergangenheit des Staates, dem meine Ahnen ihre Dienste gewidmet hatten. Von der Gegenwart und den Diensten, die ich ihm schuldig blieb, schwiegt Ihr schonend. "Seit jenem Gespraech las ich Tag und Nacht in einem Buch, das ich frueher nie eines Blickes gewuerdigt hatte, in der Geschichte meines Vaterlandes. Die Frucht dieses Studiums war, dass ich, von Grauen und Abscheu getrieben, die Stadt fuer immer verliess, die einst Laender und Meere beherrscht hatte und nun die Sklavin einer klaeglichen Tyrannis war, nach aussen so ohnmaechtig, wie unselig und gewalttaetig nach innen. "Ich kehrte zu meinen Geschwistern zurueck. Es gelang mir, meinen Bruder zu warnen, ihm die Faeulnis des Lebens aufzudecken, das von fern sich so gleissend ansah. Aber ich dachte nicht, dass alles, was ich tat, um ihn und uns zu retten, uns nur um so gewisser verderben sollte. "Ihr kennt die Eifersucht, mit der die Machthaber in der Mutterstadt den Adel der Terraferma von jeher betrachtet haben. Hatte man doch in Zeiten, wo der Republik zu dienen eine Ehre war, nie aufgehoert, ein Losreissen des Festlandes zu fuerchten. Jetzt, wo verschuldete und unvermeidliche Uebel eine Aenderung der Weltstellung Venedigs herbeigefuehrt hatten, wurde jene Furcht die Quelle der unerhoertesten Raenke und Freveltaten. "Lasst mich von den Schicksalen schweigen, die ich in der Nachbarschaft meiner Provinz mit ansah, von den ausgesuchten Mitteln, durch die man die Selbstaendigkeit und Unabhaengigkeit des Adels von Friaul zu brechen suchte, von dem Heer der Bravi, welches man gegen Widerspenstige schickte und durch eine Unzahl von Amnestiedekreten selbst von der Strafe ihrer eigenen Gewissen entband. Wie man den Zwist in die Familien zu tragen, Freundschaften zu vergiften, Verrat und Hinterlist im Schoss der engsten Blutsgenossenschaft zu erkaufen strebte, das alles ist Euch laenger bekannt als mir. "Und nicht lange sollte mich das Andenken, das ich durch meine lockeren Sitten in Venedig zurueckgelassen hatte, vor dem Verdacht schuetzen, dass auch ich eines Tages gefaehrlich werden koennte. Als ich fuer meine Schwester um die Erlaubnis nachsuchte, die Hand eines vornehmen deutschen Herrn anzunehmen, wurde die Einwilligung der Regierung rundweg verweigert. Man waehnte mich und meinen Bruder im Einverstaendnis mit der kaiserlichen Politik und beschloss, uns buessen zu lassen. "Eine Beschwerde der Provinz gegen ihren Gouverneur, die ich samt dem Bruder mit unterzeichnete, lieferte der Inquisition den Anlass, das Netz ueber uns zu werfen. "Mein Bruder wurde nach Venedig gerufen, sich zu verantworten. Als er kam, wurde er unter die Bleidaecher gefuehrt, und viele Wochen lang suchte man bald durch Drohungen, bald durch verlockende Anerbietungen ihn zu Gestaendnissen zu bewegen. Jenen einen Schritt brauchte er nicht zu beschoenigen; er war gesetzlich. Anderes hatte er nicht zu gestehen, da wir nichts gegen den Staat unternommen hatten. So musste man ihn endlich entlassen. Aber man dachte nicht daran, ihn zu begnadigen. "Ich selbst hatte ihn schriftlich gebeten, nicht sogleich abzureisen, um nicht neuen Verdacht zu erwecken. Wir wollten ihn lieber einige Monate laenger entbehren. Als er endlich kam, sollten wir ihn nach wenigen Tagen fuer immer missen. Er erlag einem langsam wirkenden Gift, das man ihm in einem der glaenzenden Haeuser, die er besuchte, unter die Speisen gemischt hatte. "Noch war der Stein ueber seinem Grabe nicht aufgerichtet, als der Gouverneur der Provinz meiner Schwester seine Hand antrug. Sie wies sie mit Entruestung zurueck; in ihrem Schmerz entfuhren ihr Worte, die ihren Nachhall im Saal des Inquisitionstribunals finden sollten. "Eine neue Anstrengung des Adels von Friaul, die Lage des Landes zu bessern, wurde beraten. Ich hielt mich von den geheimen Anstalten fern, da ich von ihrer Fruchtlosigkeit ueberzeugt war. Aber das boese Gewissen der Herren der Republik deutete auf mich, als den am haertesten Getroffenen, der einen Bruder zu raechen hatte. Ein Haufen gedungener Bravi ueberfiel nachts unsere einsame Villa in den Bergen. Ich hatte nur meine Diener zur Verteidigung. Als die Elenden uns wohlgeruestet und entschlossen fanden, uns nicht leichten Kaufs zu ergeben, zuendeten sie das Haus an vier Ecken an. Ich machte mit meinen Leuten einen verzweifelten Ausfall, die Schwester, die selbst eine Pistole trug, in unserer Mitte. Da streckte mich ein Schlag gegen die Stirn besinnungslos zu Boden. "Erst am Morgen wachte ich auf. Die Staette war ein menschenleerer Truemmerhaufen, meine Schwester in den Flammen umgekommen, meine braven Diener teils erschlagen, teils in das brennende Haus zurueckgetrieben. "Viele Stunden lag ich so neben dem rauchenden Schutt und starrte in das leere Nichts, das mir meine Zukunft bedeutete. Erst als ich unten im Tal Bauern heranziehen sah, raffte ich mich auf. Eins wusste ich: Solange man mich am Leben glaubte, wuerde man mich fuer einen Feind halten und ueberall hin verfolgen. Das brennende Grab war geraeumig genug; wenn ich verschwand, wuerde niemand zweifeln, dass auch ich dort bei den Meinigen ausruhte. Im Herumirren auf der Felshoehe fand ich die Brieftasche eines meiner Bedienten, der aus Brescia gebuertig und viel in der Welt herumgefahren war. Seine Papiere lagen darin; ich steckte sie zu mir, auf alle Faelle, und floh durch den dichten Klippenwald. Niemandem begegnete ich, der mich haette verraten koennen. Als ich mich verschmachtet zu einem trueben Waldsee bueckte, sah ich, dass auch mein Aeusseres mich nicht verraten konnte. Mein Haar war in der Nacht ergraut; meine Zuege waren um viele Jahre gealtert. "In Brescia angelangt, konnte ich ohne Schwierigkeiten mich fuer meinen Diener ausgeben, da derselbe schon als Knabe die Stadt verlassen hatte und dort keine Verwandten mehr besass. Fuenf Jahre lang lebte ich wie ein lichtscheuer Verbrecher und vermied die Menschen. Eine Ohnmacht hatte sich auf meinen Geist gesenkt, als waere durch jenen Schlag, der mich zu Boden warf, das Organ des Willens in mir zertruemmert worden. "Dass es nicht zerstoert, sondern nur gelaehmt war, empfand ich bei der Kunde von Eurem Auftreten gegen das Tribunal. Mit einer fieberhaften Spannung, die mich verjuengte und mir das Bewusstsein meiner Lebenskraft zurueckgab, verfolgte ich die Nachrichten aus Venedig. Als ich das Scheitern Eures hochherzigen Wagnisses vernahm, sank ich nur auf einen Augenblick in die alte dumpfe Resignation zurueck. Im naechsten Augenblick drang es wie ein Feuerstrom durch alle meine Sinne. Der Entschluss stand fest, das Werk, das Ihr auf dem offenen Wege des Rechts und des Gesetzes nicht hattet vollbringen koennen, auf dem Wege der Gewalt und einer furchtbaren Notwehr, mit dem Arm des unsichtbaren Richters und Raechers zum Heil meines teuren Vaterlandes hinauszufuehren. "Ich habe diesen Entschluss seither unablaessig geprueft und meine Absicht unstraeflich gefunden. Ich bin mir heilig bewusst, dass nicht Hass gegen die Personen, nicht Rache fuer erlittenes Leid, nicht einmal der gerechte Gram um das Weh, das meinen Lieben widerfahren, meinen Arm gegen die Gewaltherren bewaffnet. Was mich bewegt, fuer ein ganzes in Knechtschaft versunkenes Volk als Retter aufzutreten und einzeln den Spruch zu vollstrecken, der zu anderen Zeiten vom Gesamtwillen einer freien Nation ueber ungerechte, dem Arm des Richters unerreichbare Maechtige verhaengt worden ist,--es ist weder Eigensucht, noch eitle Ruhmbegier; es ist nur eine Schuld, die ich durch eine tatenlose Jugend auf mich geladen habe, und an deren Bezahlung mich damals Euer Blick im Palast Morosini mahnte. "Gott, in dessen Schutz ich meine Sache befehle, moege mir als einzigen Ersatz fuer alles, was er mir genommen, die Gnade zuteil werden lassen, dass ich in einem befreiten Venedig Euch noch einmal die Hand druecken kann. Ihr werdet die blutbefleckte nicht zurueckstossen, die dann in keiner Freundeshand mehr ruhen wird; denn wer das Amt des Henkers verwaltet hat, ist der Einsamkeit geweiht und hat den Blick der Menschen zu meiden. Gehe ich aber an meinem Werk zu Grunde, so weiss derjenige, an dessen Achtung mir am meisten gelegen ist, dass es auch in dem juengeren Geschlecht nicht ganz an Maennern fehlt, die fuer Venedig zu sterben wissen. "Diesen Brief wird Euch ein zuverlaessiger Mann zustellen, der das Kleid eines Sekretaers der Inquisition mit der Moenchskutte vertauscht hat, um durch Fasten und Gebet die Suenden der Republik zu buessen, denen er seine Feder leihen musste. Verbrennt dieses Blatt. Lebt wohl! Candiano." Als der Verbannte den Brief zu Ende gelesen hatte, sass er wohl eine Stunde in tiefem Kummer vor den verhaengnisvollen Blaettern. Dann hielt er sie ueber die Flamme, streute die Asche in den Kamin und ging ruhelos bis an den fruehen Morgen auf und nieder, waehrend der Unglueckliche, dessen Beichte er vernommen, wie einer, dessen Sache gerecht und dessen Sachwalter der Himmel ist, schon laengst den Schlaf gefunden hatte.-Am anderen Tage ging der spaete Ankoemmling in der Strasse della Cortesia zeitig aus. Das lustige Singen Mariettas draussen auf dem Flur haette ihn vielleicht noch laenger schlafen lassen, aber das laute Schelten der Mutter, dass sie einen Laerm mache, der einen Toten erwecken koenne, und dass sie noch alle Fremden aus dem Hause treiben wuerde, ermunterte ihn voellig. Er hielt sich an der Stiege, wo seine Wirtin bereits auf ihrem alten Posten sass, nur gerade so lange auf, um sich nach den Wohnungen einiger Notare und Advokaten zu erkundigen, deren Namen ihm ein Freund in Brescia aufgeschrieben hatte. Als er Bescheid wusste, konnte weder die zaertliche Sorge der Witwe um seine Gesundheit, noch die rote Schleife, die Marietta in ihr Haar gesteckt hatte, ihn zu laengerem Verweilen bewegen, und waehrend sich die gute Frau sonst bemueht hatte, den Verkehr ihrer Mietsleute mit ihrer Tochter moeglichst zu verhindern, war es ihr jetzt fast unheimlich, dass der Fremde das liebe Geschoepf, ihren Augapfel, hartnaeckig uebersah. Sein ergrautes Haar erklaerte ihr diese seltsame Blindheit nicht genuegend. Er musste einen geheimen Kummer haben oder sich so krank fuehlen, dass ihm der Anblick eines frischen Lebens wehe tat. Dennoch ging er straff und rasch, und seine Brust war breit und gewoelbt, so dass die Krankheit, von der er sprach, tief im Innern ihren Sitz haben musste. Auch seine Gesichtsfarbe war nicht verdaechtig. Wie er die Strassen Venedigs durchschritt, zog er den wohlgefaelligen Blick manch eines Frauenauges auf sich, und auch Marietta sah ihm aus einem der oberen Fenster nicht ohne Anteil nach. Er aber ging in sich gekehrt seinen Geschaeften nach, und obgleich er sich bei Frau Giovanna umstaendlich nach dem Weg erkundigt hatte und endlich ueber seine Ortsunkenntnis durch das Spruechlein: "Mit Fragen kommt man bis Rom" von ihr getroestet worden war, schien er doch jetzt ohne alle Hilfe sich in dem Netz der Gassen und Kanaele zurechtzufinden. Mehrere Stunden vergingen ihm mit Besuchen bei Advokaten, die aber auf seine Empfehlung von einem Kollegen aus Brescia wenig Gewicht legten und denen er, so bescheiden er auftrat, verdaechtig vorkommen mochte. Denn allerdings war ein gewisser Stolz in der Falte seiner Stirn, der einem schaerferen Beobachter sagte, dass er die Arbeit, die er suchte, eigentlich unter seiner Wuerde hielt. Zuletzt kam er zu einem Notar, der in einem Seitengaesschen der Merceria wohnte und allerlei Winkelgeschaefte nebenbei zu treiben schien. Hier fand er mit einem sehr maessigen Gehalt eine Stelle als Schreiber, vorlaeufig zum Versuch, und die hastige Art, wie er zugriff, brachte den Mann zu dem Verdacht, er habe es etwa mit einem verarmten Nobile zu tun, deren mancher, nur um das Leben zu fristen, sich zu jeder Arbeit willig finden liess, ohne um ihren Preis zu handeln. Andrea jedoch war augenscheinlich mit dem Erfolg seiner Bemuehungen sehr zufrieden und trat, da es inzwischen Mittag geworden war, in die naechste Schenke, wo er Leute aus den unteren Klassen an langen ungedeckten Tischen sitzen sah, die ihre sehr einfache Kost mit einem Glas trueben Weins wuerzten. Er nahm seinen Platz in einem Winkel nahe der Tuer und ass die etwas ranzigen Fische ohne Murren, waehrend er freilich den Wein, nachdem er ihn gekostet hatte, verschmaehte. Er war schon im Begriff, nach der Zeche zu fragen, als er sich von seinem Nachbar hoeflich anreden hoerte. Der Mann, den er bisher ganz uebersehen hatte, sass schon lange vor seiner halben Flasche Wein, ass nichts, trank nur dann und wann einen Schluck, wobei er jedesmal den Mund ein wenig verzog; waehrend er aber scheinbar vor Muedigkeit die Augen halb geschlossen hielt, wanderten seine scharfen Blicke durch die ganze duesterliche Halle und hefteten sich mit besonderem Anteil an unseren Brescianer, der seinerseits nichts Merkwuerdiges an ihm wahrgenommen hatte. Es war ein Mann in den Dreissigen, mit blondem, lockigen Haar, der in der schwarzen venezianischen Tracht seine juedische Herkunft nicht sogleich verriet. In den Ohren trug er schwere goldene Ringe, an den Schuhen Schnallen mit grossen Topasen, waehrend sein Halskragen zerknittert und unsauber und sein Rock von feinem Wollenstoff seit Wochen nicht gebuerstet war. Dem Herrn schmeckt der Wein nicht, sagte er halblaut, indem er sich geschmeidig zu Andrea hinbog. Der Herr scheint ueberhaupt nur aus Irrtum hier zu sein, wo man nicht gewohnt ist, Gaeste von besserem Stande zu bewirten. Um Vergebung, Herr, erwiderte Andrea ruhig, obwohl er sich Gewalt antat, ueberhaupt zu antworten, was wisst Ihr von meinem Stande? Ich seh es an der Art, wie der Herr isst, dass er eine andere Gesellschaft gewohnt ist, als er hier findet, sagte der Jude. Andrea mass ihn mit einem festen Blick, vor dem das lauernde Auge des anderen sich senkte. Dann schien ein Gedanke in ihm aufzusteigen, der ihn ploetzlich bewog, dem Zudringlichen mit einer Art von Vertraulichkeit entgegenzukommen. Ihr seid ein scharfer Menschenkenner, sagte er. Es ist Euch nicht entgangen, dass ich einst bessere Tage gesehen und einen unverfaelschten Wein getrunken habe. Auch kam ich in gute Gesellschaft, obwohl ich der Sohn eines kleinen Buergers bin und nur kuemmerlich die Rechte studiert habe, ohne einen Titel zu erwerben. Das hat sich geaendert. Mein Vater machte Bankrott, ich wurde arm, und ein armer Gerichtsschreiber und Advokatengehilfe hat auf nichts Besseres Anspruch zu machen, als was er in dieser Kneipe findet. Ein studierter Herr hat immer Anspruch auf Verehrung, sagte der andere mit einem sehr verbindlichen Laecheln. Es wuerde mich gluecklich machen, wenn ich Euer Gnaden einen Dienst erweisen koennte; denn ich habe stets nach dem Umgang gelehrter Maenner gestrebt und bei meinen vielen Geschaeften nicht selten die Gelegenheit gehabt, mich ihnen zu naehern. Wenn ich Euer Gnaden vorschlagen duerfte, ein besseres Glas Wein mit mir zu trinken, als hier zu haben ist... Ich kann besseren Wein nicht bezahlen, sagte der andere gleichgueltig. Es wuerde mir eine Ehre sein, gegen den Herrn, der hier fremd scheint, die venezianische Gastfreundschaft zu ueben. Wenn ich sonst mit meinem Vermoegen und meiner Ortskenntnis dem Herrn irgend nuetzlich sein kann... Andrea wollte ihm eben ausweichend antworten, als er bemerkte, dass der Wirt der Schenke, der im Hintergrunde am Kredenztische stand, ihn lebhaft mit dem kahlen Kopf zu sich heranwinkte. Auch von den anderen Gaesten, die aus Handwerkern, Marktweibern und Tagedieben bestanden, machte ihn mancher mit verstohlenen Zeichen aufmerksam, dass man ihm gern etwas mitgeteilt haette, was man nicht laut zu sagen wagte. Unter dem Vorwand, erst zu bezahlen, ehe er auf die hoefliche Einladung antwortete, verliess er seinen Platz und ging mit der lauten Frage, was er schuldig sei, auf den Wirt zu. Herr, fluesterte der gutmuetige Alte, nehmt Euch in acht vor dem. Ihr habt es mit einem Schlimmen zu tun. Die Inquisitoren bezahlen ihn, dass er die Heimlichkeiten der Fremden ausspuert, die sich hier blicken lassen. Seht Ihr nicht, dass der Winkel leer ist, wo er Platz genommen hat? Sie kennen ihn alle, und naechstens fliegt er einmal zur Tuer hinaus, der Gott Abrahams gesegn' es ihm! Ich aber, obwohl ich ihn dulden muss, um mir nicht die Finger zu verbrennen, bin es Euch doch schuldig, Euch reinen Wein einzuschenken. Ich dank' Euch Freund, sagte Andrea laut. Euer Wein ist ein wenig truebe, aber gesund. Guten Tag. Damit kehrte er auf seinen Platz zurueck, nahm seinen Hut und sagte zu seinem dienstfertigen Nachbar: Kommt, Herr, wenn es Euch gefaellt. Man sieht Euch hier nicht gern, fuegte er leiser hinzu. Man haelt Euch fuer einen Spion, wie ich habe merken koennen. Wir wollen anderswo unsere Bekanntschaft fortsetzen. Das schmale Gesicht des Juden erblasste. Bei Gott, sagte er, man verkennt mich! Aber ich kann es den Leuten nicht verdenken, wenn sie auf der Hut sind, denn es wimmelt hier in Venedig von Spuerhunden der Signoria. Meine Geschaefte, fuhr er fort, als sie schon auf der Gasse waren, meine vielen Verbindungen fuehren mich in so manche Haeuser, dass es wohl scheinen mag, als bekuemmerte ich mich um fremde Geheimnisse. Gott soll mich leben lassen hundert Jahr, aber was gehen mich fremde Leute an? Wenn sie mir zahlen, was sie mir schuldig sind, will ich ein Hund sein, wenn ich ihnen was nachrede. Ich meine aber doch, Herr--wie ist Euer Name? Samuele. Ich meine aber, Herr Samuele, dass Ihr zu uebel denkt von denen, die zum Besten des Staates die Plaene und Anschlaege der Buerger ausspaehen und Verschwoerungen gegen die Republik an den Tag bringen, ehe sie schaden koennen. Der Jude stand still, hielt den andern am Aermel und sah ihn an. Warum hab ich Euch nicht gleich erkannt? sagte er. Ich musste wissen, dass Ihr nicht zufaellig in jene elende Kneipe geraten konntet, dass ich einen Kollegen in Euch zu begruessen hatte. Seit wann seid Ihr im Amt? Ich? seit uebermorgen. Was meint Ihr, Herr? Wollt Ihr mich foppen? Wahrlich nicht, erwiderte Andrea. Denn es ist mein voller Ernst, dass ich naechstens so weit kommen werde, mich in Euern Orden aufnehmen zu lassen. Es geht mir schlecht, wie ich Euch gesagt habe, und ich bin nach Venedig gekommen, meine Umstaende zu verbessern. Der Schreiberlohn, um den ich mich heute bei einem Notar verdungen habe, ist nicht das, was ich hier vom Glueck und von meinem bisschen Verstand erhofft habe. Venedig ist eine schoene Stadt, eine lustige Stadt; aber in dem Lachen der schoenen Weiber ist ein Goldklang, der mich immer an meine Armut erinnert. Ich denke, das kann nicht immer so waehren. Euer Vertrauen ehrt mich sehr, sagte der Jude mit einem nachdenklichen Zug. Aber ich muss Euch sagen, dass die Herren nicht gern fremde Ankoemmlinge in ihre Dienste nehmen, ehe sie eine Probezeit bestanden und sich ein wenig umgesehen haben. Wenn ich Euch bis dahin mit meiner Boerse aushelfen kann--ich nehme niedrige Prozente von meinen Freunden. Ich dank' Euch, Herr Samuele, erwiderte Andrea gleichmuetig. Eure Protektion ist mir wertvoller, der ich mich hiermit bestens empfohlen haben will. Dies aber ist mein Haus; ich noetige Euch nicht hinein, weil ich Arbeit vollauf habe fuer meinen neuen Brotherrn. Andrea Delfin ist mein Name. Wenn es Zeit ist, dass man mich brauchen kann, denkt an mich: Andrea Delfin, Calle della Cortesia. Er schuettelte dem seltsamen Freunde die Hand, der draussen noch eine Weile stehen blieb, sich das Haus und die naechste Umgebung genau ansah und dabei mit einer Miene des Zweifels und der listigen Ueberlegung vor sich hinmurmelte, aus der hervorging, dass er den Brescianer von seiner Probezeit nicht so rasch freisprechen wuerde. Als Andrea die Treppe hinaufstieg, konnte er an Frau Giovanna nicht vorueber, ohne ihr Rede zu stehen. Sie war nicht damit zufrieden, dass er nur einen so geringen Platz gefunden hatte. Sie werde nicht ruhen, bis er ihn aufgegeben und sich einen eintraeglicheren und ehrenvolleren gesucht habe. Er schuettelte den Kopf. Es reicht wohl, gute Frau, sagte er ernsthaft, fuer die Spanne Zeit, die ich noch vor mir habe. Was Ihr auch redet! schalt die Frau. Dem Guten entgegen gehen und das Boese kommen lassen, so ziemt sich's fuer einen Mann, und nach Honig schleckt man, nach Wermut spuckt man. Seht die schoene Sonne draussen und schaemt Euch, dass Ihr schon nach Hause kommt, waehrend auf der Piazetta Musik ist und alles, was huebsch und reich und vornehm ist, den Markusplatz auf und ab spaziert. Da gehoeret Ihr hin, Herr Andrea, statt ins Zimmer. Ich bin weder huebsch, noch reich, noch vornehm, Frau Giovanna. Habt Ihr denn gar keine Freude, die schoene Welt zu sehen? fragte sie eifrig, und sah sich dabei um, ob Marietta nicht etwa in der Naehe sei. Ihr seid doch nicht etwa liebeskrank? Nein, Frau Giovanna. Oder haltet Ihr's gar fuer eine Suende, lustig zu sein? Ihr habt da so Buechlein auf Eurem Tisch liegen, ich sag' es nur, weil Ihr der erste Fremde seid, der in mein Haus ein erbauliches Buch mitgebracht hat, Gott sei's geklagt! Aber die Jugend denkt heutzutage: Frech gelebt und fromm gestorben, heisst dem Teufel den Spass verdorben, und um Weihnachten fasten auch die Spatzen auf dem Dach. Gute Frau, sagte er laechelnd, ihr sorgt Euch sehr um mich, aber mir ist nicht zu helfen. Wenn ich still bei meiner Arbeit sitze, ist mir am wohlsten, und Ihr koenntet mir einen Gefallen tun, mir ein Schreibzeug zu schaffen und einige Bogen Papier. Bald darauf brachte ihm Marietta das Verlangte auf sein Zimmer, wo er stumm am Fenster sass und vor sich hin sah. In derselben Stellung fand sie ihn abends, als sie ihm das Licht brachte, und auf ihre Frage, was er zu essen begehre, verlangte er nur Brot und Wein. Sie hatte nicht den Mut, zu fragen, ob ihn die Muecken belaestigen und er wieder geraeuchert haben wolle. Mutter, sagte sie, als sie sich neben die Alte auf die Treppe setzte, ich gehe nicht wieder zu ihm hinein. Er hat so Augen, wie der Maertyrer in der kleinen Kapelle San Stefano. Ich kann nicht lachen, wenn er mich ansieht. Was sie wohl gesagt haette, wenn sie einige Stunden spaeter ins Zimmer getreten waere? Er stand, waehrend die Nacht draussen ueber den Kanal wehte, am Fenster, im Gespraech mit der Zofe drueben, eifrig bemueht, seinen Augen einen weltlichen Ausdruck zu geben. Schoene Smeraldina, sagte er, ich konnte die Zeit nicht erwarten, dich wiederzusehen. Ich habe im Vorbeigehen bei einem Goldschmiedladen an dich gedacht und dir eine Nadel gekauft, von Filigran, die freilich zu gering fuer dich ist, aber dennoch echter als die Agraffe an deinem Turban. Oeffne das Fenster, so werf' ich sie hinueber, in der Hoffnung, bald einmal denselben Weg durch die Luft zu machen und dir zu Fuessen zu fallen. Ich seid sehr artig, laechelte das Maedchen und fing das Geschenk, das er in ein Papier gewickelt hatte, mit beiden Haenden auf. Ei, was Ihr fuer einen guten Geschmack habt! und Ihr sagtet doch Ihr waeret arm? Wisst Ihr, dass es mir heute besonders not tut, eine Freude zu haben? Wir haben viel ausgestanden ueber Tag, die Graefin ist schlechter Laune. Ihr Liebster, der junge Gritti, des Senators Sohn, hat sich vierundzwanzig Stunden nicht blicken lassen. Sie hat nach seinem Hause geschickt; und da wurde er vermisst, und man glaubt, das Tribunal habe ihn heimlich aufheben und gefangen nehmen lassen. Meine Graefin ist ausser sich, sie empfaengt niemanden, sie liegt auf ihrem Sofa und weint wie eine Unsinnige und hat mich geschlagen, als ich sie troesten wollte. Ihr habt keine Ahnung, wessen man den Juengling angeklagt? Nicht die geringste, Herr. Ich wollt' auch Geluebde tun, ewig Jungfer zu bleiben, wenn er das mindeste gegen den Staat im Kopf hatte. Lieber Himmel, er war eben dreiundzwanzig Jahre, und nichts lag ihm am Herzen, als meine Graefin und allenfalls das Spiel. Aber diese Herren von der Inquisition wissen Euch aus einem Spinneweb ein Seil zu drehen, stark genug, um die staerkste Kehle zuzuschnueren, und wer weiss, ob es diesmal nicht allein gegen seinen Vater, den Senator, gemuenzt ist! Sprecht vorsichtiger von den obersten Behoerden dieser Stadt, sagte Andrea leise. Die Weisheit der Vaeter hat sie eingesetzt, und die Torheit der Enkel soll sie nicht antasten. Das Maedchen sah ihn an, ob es sein Ernst sei; es war nicht leicht, das Raetsel dieser Mienen zu loesen. Geht, sagte sie, Ihr werdet ernsthaft, und das mag ich nicht leiden. Ihr seid noch nicht lange hier, darum habt Ihr Respekt vor den alten Blutrichtern und Henkern, die sich von fern oder etwa gemalt sehr ehrwuerdig ausnehmen moegen. Ich aber habe sie schon manchmal in der Naehe gesehen, am Farotisch, wenn meine Graefin Bank hielt, und ich kann Euch sagen, sie sind auch Menschen, wie Adam war. Mag sein, Kind, antwortete er, aber sie haben die Gewalt, und ein armer Buerger wie ich tut nicht klug, so verfaengliche Reden hier am offenen Fenster zu wechseln. Wenn es zu boesen Haeusern kommt, dass wir beide die inkarnierte Gerechtigkeit Venedigs fuer nichts Besseres als eine Handvoll sterblicher Menschen halten, so beschuetzt dich, meine teure Smeraldina, der Zauber deiner Schoenheit; ich aber wandere den bekannten nassen Weg oder tausche wenigstens mein Quartier in der Calle della Cortesia mit einer viel bescheideneren Kammer in den Brunnen* oder unter den Bleidaechern. {ed. * Die Gefaengnisse unter dem Meeresgrunde} Ihr koennt hier reden, was Euch beliebt, sagte die Zofe; es gehen wenig Fenster auf den Kanal hinaus, und da hat um diese Zeit niemand was zu schaffen. Auf Eurer Seite drueben ist nun vollends die leere Mauer; denn wer's besser haben kann, sucht sich unsere truebe Kloake da unten nicht gerade zum Spiegel aus. Aber wisst Ihr was? Ihr solltet auf ein Stuendchen herueberkommen; man haette es doch immer bequemer, miteinander zu plaudern, und ein Glas Wein, guter Moscat von Samos und eine Partie Tarock wuerden mir die Nerven sehr beruhigen nach den Ohrfeigen der Graefin. Ich kaeme gern, sagte er, aber es wuerde Aufsehen machen, und meine Wirtin liesse mich um Mitternacht schwerlich wieder ein. Nicht doch, lachte die Zofe. Einen solchen Umweg braucht es nicht. Ich habe hier ein Brett, womit wir ohne viel Umstaende eine Bruecke schlagen koennen. Man kann sich ja mit den Haenden abreichen ueber dem Kanal; warum nicht mit den Fuessen? Oder seid Ihr schwindlig? Nein, schoene Freundin. Nur einen Augenblick, und ich bin bereit. Andrea loeschte das Licht, verriegelte die Tuer in seinem Zimmer, horchte, ob alles im Hause schlafe, und ging dann wieder an das Fenster. Smeraldina schien Uebung im Bau dieser Bruecken zu haben, denn das Brett war bereit, und in wenigen Augenblicken lag der feste Steg ueber der Tiefe, hueben und drueben flach und sicher auf dem Gesims ruhend und gerade breit genug, um einen Mann zu tragen. Sie stand drueben und winkte ihm lustig zu. Rasch erstieg er den Sims, betrat das Brett, indem er die Tiefe mit festem Auge mass, und mit einem einzigen ruhigen Schritt hatte er das Fenster drueben erreicht. Sie fing ihn, als er sich hinabschwang, in ihren Armen auf, und ihre Lippen streiften seine Wange. Aber er zog es vor, die Miene der Schuechternheit anzunehmen und sich zu stellen, als fuehle er sich durch die Naehe seiner Freundin in die Schranken der Ehrerbietung zurueckgewiesen, was sie mit einiger Verwunderung aufnahm. Das Brett ward wieder zurueckgezogen, die Karten und der Wein aus dem Schrank geholt und ein Tisch vor das offene Fenster gerueckt, an dem das seltsame Paar in vertraulichem Gespraech Platz nahm. Dabei trug das Maedchen bestaendig den roten Turban, der ihr, waehrend sie die Bruecke schlug, etwas schief auf den Hinterkopf gerutscht war, und hatte Andreas Geschenk, die Filigrannadel, zierlich vor die Brust gesteckt. Sie schenkte sich eben das zweite Glas Wein ein und schalt ihren Gast, dass er so langsam trinke, und ueberhaupt nicht recht auftauen wollte, als eine Glocke aus dem Innern des Hauses heftig gelaeutet wurde. Seht, sagte das Maedchen, indem es aufstand und zornig die Karten wegwarf, so geht es mir; keine ruhige Stunde habe ich! Erst schickt sie mich fort, weil sie sich heute allein auskleiden wolle, und nun stoert sie mich noch so spaet. Aber geduldet Euch nur zehn Minuten, mein Freund; ich bin gleich wieder bei Euch. Sie schluepfte hinaus, und er schien sich ueber seine Einsamkeit zu troesten. Er trat ans Fenster und betrachtete aufmerksam die Wand drueben zwischen seinem Fenster und dem Kanal. Sie war nicht hoeher als etwa zwanzig Fuss, der Kalk durch die Feuchtigkeit fast ueberall verwittert und die nackten Steine rauh genug, um im Notfall daran emporzuklimmen. Unter dem Fenster der Zofe sprang, wie er schon am ersten Abend bemerkt hatte, die Wassertreppe vor, und an dem hohen Pfahl zur Seite lag die schmale Gondel angekettet, so dass nur eben eine zweite Gondel voruebergleiten konnte. Das alles befriedigte ihn sichtlich. Ich haette es mir nicht besser bestellen koennen, murmelte er vor sich hin. Nachdenklich sah er den Kanal hinab, der in voelliger Finsternis zwischen den steilen, fensterlosen Ufern der Haeuser hinfloss. Da sah er am untersten Ende einen schwachen Lichtschein, der sich naeher bewegte, und hoerte nach einiger Zeit Geraeusch von Ruderschlaegen. Eine Gondel kam langsam heran und hielt unten an der Wassertreppe. Vorsichtig bog der Lauscher oben sich zurueck, um nicht bemerkt zu werden, sah aber noch mit einem halben Blick, dass ein Mann sich erhob und auf die Treppenstufe trat. Der Klopfer unten erklang in drei gewichtigen Schlaegen, und bald darauf hoerte er eine Stimme im Hause, die durch die Tuere fragte, wer Einlass begehre. Im Namen des erlauchten Rates der Zehn, war die Antwort, oeffnet! Der Diener unten gehorchte augenblicklich, und die Wasserpforte schloss sich hinter dem naechtlichen Besuch. Kurz darauf kam Smeraldina in ihre Kammer zurueck, aufgeregt, in blossem Haar und mit erhitzten Wangen. Habt Ihr gehoert? fluesterte sie. O Gott, sie werden unsere Graefin fortschleppen, sie werden sie erdrosseln oder ersaeufen, und wer steht mir dann fuer die sechs Monate Lohn, die sie mir schuldig ist? Troeste dich, weichherziges Kind, sagte er rasch. Solange du gute Freunde hast, wirst du nicht verlassen sein. Aber du taetest mir einen Gefallen, wenn du mich irgendwo verbergen wolltest, wo ich hoeren koennte, was der hohe Rat von deiner Herrin will. Ich gestehe, dass ich neugierig bin, wie ein Fremder es ja wohl sein darf. Ueberdies aber koennte ich dir und der Graefin vielleicht nuetzlich sein, da ich bei einem Advokaten arbeite und, wenn es auf eine oeffentliche Anklage hinauslaeuft, meine geringen Dienste gern zur Verfuegung stelle. Sie besann sich. Ich wuesste es leicht zu machen, sagte sie. Der Ort ist sicher, und ich selbst habe manchmal dort gesteckt und meinen Ohren nicht getraut. Wenn es aber doch entdeckt wuerde? So nehme ich alles auf mich, mein Liebchen, und niemand erfaehrt, auf welchem Wege ich ins Haus gekommen bin. Sieh, fuhr er fort, hier sind drei Zechinen, fuer den Fall, dass ich dir hernach nicht mehr danken kann. Geht aber alles gut, so sollst du sehen, dass ich das wenige, was ich noch uebrig habe, gern mit einer so klugen Freundin teilen werde. Sie steckte das Gold ohne Umstaende ein, oeffnete rasch die Tuer und horchte auf den dunklen Gang hinaus. Zieht die Schuhe aus, fluesterte sie; gebt mir die Hand und folgt mir dreist, wohin ich gehe. Im Hause schlaeft alles, ausser dem Pfoertner. Sie loeschte ihr Licht und huschte durch den Korridor voran, ihn an der Hand sich nachziehend. Einige grosse dunkle Gemaecher durchschritten sie, dann oeffnete das Maedchen die Tuer nach einem Tanzsaal, der durch drei hohe Fenster in der Front des Palastes ein truebes Daemmerlicht erhielt. An einer Seite stieg ein Treppchen hinauf zu der Estrade fuer die Musiker. Sacht! warnte das Maedchen; die Treppe knarrt ein wenig. Ich lasse Euch hier allein. Droben findet Ihr im Getaefel eine Spalte, durch die Ihr hinlaenglich sehen und hoeren koennt. Denn nebenan ist das Empfangzimmer der Graefin. Wenn der Besuch fort ist, hol' ich Euch wieder ab. Aber nicht eher ruehrt Ihr Euch vom Fleck, als bis ich komme. So liess sie ihn allein, und ohne Zaudern stieg er die wenigen Stufen hinauf und tastete sich sacht an der Wand entlang nach dem Lichtstreifen, der durch die schmale Spalte drang. Der Saal war von dem Nebengemach nur durch eine Holzwand getrennt, da beide Raeume in glaenzenderen Zeiten eine einzige grosse Festhalle ausgemacht hatten. Der Schein kam von einem silbernen Armleuchter, der unten auf dem Tisch vor dem Ruhebett der Graefin stand und die Bildnisse an der Wand nur unstet beleuchtete. Andrea musste sich auf die Kniee kauern, um hinabzusehen. Aber so unbequem die Stellung war, so haette wohl mancher gern mit ihm getauscht, auch wenn ihm weniger am Hoeren als am Sehen gelegen gewesen waere. Denn wenn die Zofe recht hatte, dass ihre Herrin sich stark zu schminken pflegte, so tat sie es wahrlich mehr der Mode zu Liebe, als weil sie es noetig haette, um fuer schoen zu gelten. Sie sass auf dem Ruhebett in einem Anzug, der nicht auf so spaeten Besuch berechnet war, die ueberaus reichen, etwas ins Roetliche spielenden Haare kunstlos aufgebunden, die verweinten Augen wunderbar glaenzend, auf den vollen, blassen Wangen noch die Spur der Traenen. Der Mann, der ihr gegenueber im Lehnstuhl sass und Andrea den Ruecken zukehrte, schien sie aufmerksam zu betrachten; wenigstens bewegte er den Kopf nur selten und hoerte die heftigen Worte der schoenen Frau, ohne eine Gebaerde dazwischen zu werfen, mit an. In der Tat, sagte die Graefin, und in ihrer Miene lag dieselbe schmerzliche Bitterkeit wie im Ton ihrer Stimme, ich muss mich wundern, dass Ihr noch wagt, Euch hier sehen zu lassen, nachdem Ihr die feierlichsten Versprechungen so schmaehlich mit Fuessen getreten habt. Hab' ich Euch darum so manche Dienste geleistet, dass Ihr mir jetzt so grausam, so feindselig begegnet? Wo habt Ihr ihn gelassen, meinen armen Freund, den einzigen, an dem mir gelegen war, und den Ihr unter allen Umstaenden zu schonen verspracht? Gab es niemand anders als ihn, wenn es Euch zu leer wurde in Euren Gefaengnissen? Und was habt Ihr Verdaechtiges an ihm gefunden, was hat er gegen die hohe Republik gesuendigt, wofuer es keine gelindere Strafe gab als Verbannung, keine, die minder schwer auf mich gefallen waere? Denn ich habe es Euch nicht verhehlt, dass ich mein Herz an ihn gehaengt habe, und dass der mein Feind waere, der ihm nur ein Haar kruemmte. Gebt ihn mir wieder, oder ich breche jede Verbindung mit Euch ab, ein fuer allemal, und verlasse Venedig und suche meinen Freund in der Verbannung auf und lasse Euch empfinden, wie viel Ihr durch diesen Verrat, durch diese Schaendlichkeit eingebuesst habt. O, dass ich mich jemals zu Eurem Werkzeug hergab! Ihr vergesst, Graefin, sagte der Mann, dass wir Mittel haben, Eure Flucht zu hindern, und dass, selbst wenn sie glueckte, unser Arm weit hinausreicht und stark genug ist, Euch ueberall zu verderben, wo Ihr eine Zuflucht zu finden glaubtet. Der junge Gritti hat seine Strafe verdient. Er hat trotz der Warnung, die wir ihm zugehen liessen, mit dem Sekretaer des oesterreichischen Gesandten, einem sehr tief eingeweihten jungen Manne, den Verkehr eifrig fortgesetzt. Die Gesetze Venedigs verbieten solchen Verkehr aufs strengste, wie Euch bekannt genug ist. Auch ist ein Brief des Angelo Querini aufgefangen worden, in welchem des unbesonnenen Juenglings lobende Erwaehnung geschieht. Es war eine vaeterliche Massregel, dass wir ihn verbannten, ehe er schuldiger wurde. Aber wir wissen zugleich, was wir Euch schuldig sind, Leonora. Und deshalb bin ich an Euch abgeschickt worden, Euch diese Aufschluesse zu geben und einige Winke, wie Ihr, wenn Ihr verstaendig seid, das Geschehene wieder gut machen koennt. Ich bin es muede, sagte sie heftig, mir von Euch Befehle geben zu lassen. Dieser Tag hat mir gezeigt, dass ich darueber zu Grunde gehe, frueh oder spaet, wenn ich auf Euch Vertrauen setze und mir einbilde, dass all meine Aufopferung in Eurem Interesse mir je gedankt werde, ja, mich auch nur vor den schnoedesten Beleidigungen und Kraenkungen schuetzen wuerde. Ich brauche Euch nicht, ich will nichts von Euch, es ist alles aus zwischen mir und dieser hohen Regierung, die Freund und Feind gleich ruecksichtslos beiseite wirft. Nur schade, warf er ein, dass man Euch noch braucht, von Euch noch etwas will, und dass es daher fuers erste zwischen uns noch nicht aus sein kann. Ihr begreift, Leonora, dass es seine Bedenken haette, Euch, die Mitwisserin so vieler Geheimnisse der Republik, in fremde Laender reisen zu lassen, wo Ihr bald einmal von der allgemeinen Sucht der Zeit befallen werden koenntet, Eure Memoiren zu schreiben. Venedig und Ihr seid unzertrennlich, und Ihr habt genug Proben einer hohen, ueber Weiberlaune erhabenen Klugheit gegeben, als dass es noch vieler Umschweife beduerfte, Euch wieder zu versoehnen. Ich will nichts von Versoehnung hoeren! rief sie leidenschaftlich, und Traenen traten ihr wieder ins Auge. Was nuetzte es auch, es zu wollen? Ich tauge zu nichts, ich bin unfaehig, nur den einfaeltigsten Gedanken zu fassen, wenn ich meinen armen Gritti nicht habe. Ihr sollt ihn haben, Leonora. Aber noch nicht gleich, da seine ploetzliche Rueckkehr unseren Plan kreuzen wuerde. Und wie lange soll ich mich gedulden? fragte sie, ihn flehentlich ansehend. Es haengt von Euch ab, erwiderte er. Wie lange braucht Ihr, um einen jungen Mann zu Euren Fuessen zu sehen, der bisher im Ruf eines Tugendhelden stand? Ein Zug von Neugier und Interesse trat auf ihrem Gesicht hervor, das noch eben ganz Schmerz und Verzweiflung gewesen war. Von wem redet Ihr? fragte sie. Von jenem Deutschen, der mit Gritti befreundet war, dem Sekretaer des Wiener Ministers. Ihr kennt ihn? Ich habe ihn bei der letzten Regatta gesehen. Gritti zeigte mir ihn. Er ist die Eins vor der Null seines Gebieters. Wir haben Ursache, zu glauben, dass er sich im stillen einen starken Anhang unter unseren Gegnern zu werben und die Verstimmung, die Querinis Handel zurueckgelassen hat, zu Gunsten seines Souveraens auszubeuten sucht. Er ist ungewoehnlich verschlagen. Von den vier Beobachtern, die wir unter den eigenen Leuten des Gesandten in unseren Sold genommen haben, hat noch keiner die geringsten Beweise in unsere Hand geliefert. Die Inquisitoren setzen ihr ganzes Vertrauen in Euch. Leonora, dass Ihr den Schluessel zu diesem wohlverriegelten Geist finden werdet, wie es Euch schon manchmal geglueckt ist. Dies war nicht zu hoffen, solange Gritti dazwischen stand. Seine Verbannung ebnet den Weg und gibt zugleich den Anlass einer Annaeherung an den unzugaenglichen Menschen, dem die Freundin seines Freundes jetzt, da ihr den Verlorenen gemeinsam betrauert, groessere Teilnahme einfloessen muss als frueher. Das uebrige ueberlasse ich der Macht Eurer Reize, die niemals unwiderstehlicher waren, als wo sie auf Widerstand stiessen. Sie ueberlegte eine Weile. Ihre Stirn hellte sich auf, ihre Augen gewannen einen kuehnen, stolzen Ausdruck, ihr schoener voller Mund oeffnete sich halb und ein nachdenkliches Laecheln irrte ueber die Lippen. Ihr versprecht, sagte sie endlich, dass Gritti sofort zurueckgerufen wird, sobald ich den anderen Euch ueberliefert habe? Wir versprechen es. So soll es nicht lange dauern, bis ich Euch an die Erfuellung Eures Wortes mahne. Sie stand auf und warf das Tuch fort, das sie ueber Tag nass geweint hatte. Andrea konnte aus seinem Versteck ihren Gang das Zimmer auf und ab nur eine Strecke weit verfolgen, da die Spalte zu schmal war, um den ganzen Raum zu uebersehen. Er bewunderte die koenigliche Haltung der Gestalt, waehrend sie, wie in Gedanken an neue Siege, langsam ueber den Teppich des Gemaches hinwandelte, das Auge gross aufgeschlagen, das Haar zurueckschuettelnd von den weissen Schlaefen. Es durchzuckte ihn seltsam, als ihr Blick, der gegenstandslos in der Hoehe herumschweifte, an ihm vorueberglitt. Unwillkuerlich fuhr er zusammen, als waere es moeglich gewesen, dass sie ihn entdeckte. Der Mann im Lehnstuhl unten stand auf, schien aber seinerseits blind fuer ihren Zauber, denn im ruhigsten Geschaeftston fuhr er fort: Der Nuntius ist in der letzten Zeit seltener in Euer Haus gekommen. Ihr waret zu offen mit Euren weltlichen Neigungen, besonders das Spiel hat sich hier zu breit gemacht. Es waere uns lieb, wenn Ihr wieder einige geistliche Beduerfnisse empfaendet und den regen Verkehr mit der Eminenz von neuem anknuepftet. Die Beziehungen der Papalisten zu Frankreich werden seit einiger Zeit beunruhigend. Ihr koennt auf mich rechnen, erwiderte sie. Noch eins, Leonora. Die Summe, die wir Euch noch schulden fuer das Abendessen des Candiano... Sie stand wie von einer Schlange gebissen still und verfaerbte sich ploetzlich. Bei allen Heiligen, sagte sie, schweigt davon, erwaehnt es nie wieder, und den Rest des Geldes gebt an die Kirche, dass Sie Messen lese fuer seine Seele und--fuer meine. Wenn der Name genannt wird, ist mir's jedesmal wie eine Posaune des juengsten Gerichtes. Ihr seid ein Kind, sagte der andere. Die Verantwortlichkeit fuer jenes Nachtmahl gehoert uns, nicht Euch. Er war ein Verbrecher, und nur seine Verbindungen und sein Ansehen machten es uns zur Pflicht, die Strafe geheim zu vollziehen. Er ist ruhig in seinem Bett gestorben, und niemand hat je sagen koennen, dass er aus Eurem Hause den Tod davongetragen habe. Oder ist Euch dergleichen zu Ohren gekommen? Sie zitterte und sah zu Boden. Nein, sagte sie. Aber in der Nacht wache ich auf von einer Stimme, die es mir zuraunt. O! Nur das haette ich nicht tun sollen, nur das nicht! Es ist eine Anwandlung, Leonora; Ihr werdet sie besiegen. Das Geld--wie ich Euch noch sagen wollte--liegt bei Marchesi fuer Euch bereit. Gute Nacht, Graefin. Ich sehe, dass ich Euch lange aufgehalten habe. Schlaft wohl und lasst morgen die Sonne Eurer Schoenheit unbewoelkt aufgehen ueber Gerechten und Ungerechten. Gute Nacht, Leonora! Er verbeugte sich leicht vor ihr und ging auf die Tuer zu. Nur fluechtig konnte Andrea im letzten Moment seine Zuege sehen. Sie waren kalt, aber nicht hart, ein Gesicht ohne Seele und Leidenschaften, nur der Ausdruck eines maechtigen Willens herrschte auf Stirn und Brauen. Er band eine Maske vor und warf den schwarzen Mantel, den er am Eingange abgelegt hatte, um die Schulter. Dann verliess er, ohne ihren Abschied abzuwarten, das Gemach. In demselben Augenblick hoerte Andrea die Stimme des Maedchens unten im Saal, die ihn leise herunterrief. Er gehorchte, nachdem er einen letzten Blick auf das schoene Weib geworfen, das immer noch regungslos mitten im Zimmer stand und dem Fortgegangenen tiefsinnig nachsah. Wie ein vom Schlage Getroffener stieg er schwankend von der Estrade herab und folgte, ohne ein Wort zu sprechen, dem voranhuschenden Maedchen. In ihrer Kammer brannte wieder Licht, der Wein stand noch auf dem Tischchen am Fenster und nichts schien die Fortsetzung des unterbrochenen Spiels zu hindern. Aber auf dem Gesicht des Mannes lag ein unheimlicher Schatten, der selbst den Leichtsinn Smeraldinas verschuechterte und sie von dieser Nacht nichts mehr hoffen liess. Ihr seht aus, sagte sie, als haettet Ihr Gespenster gesehen. Kommt, trinkt ein Glas Wein und erzaehlt mir, was es gab. Es lief ja ruhiger ab als wir fuerchteten. O gewiss, sagte er mit erzwungener Kaelte. Man will deiner Herrin sehr wohl, und es ist sogar Aussicht, dass du deinen rueckstaendigen Lohn naechstens ausbezahlt erhaeltst. Im uebrigen sprachen sie so leise, dass ich wenig verstand, und jetzt bin ich vor allen Dingen todmuede von dem unbequemen Knieen auf den harten Brettern. Naechstens tue ich deinem Wein eine bessere Ehre an, gutes Kind. Aber heute muss ich schlafen. Ihr habt mir noch nicht einmal gesagt, ob Ihr sie so schoen findet wie die anderen Leute, sagte das Maedchen und versuchte zu schmollen ueber ihren undankbaren, einsilbigen Freund. Schoen wie ein Engel oder eine Teufelin, murmelte er zwischen den Zaehnen. Ich danke dir, Madamigella, dass du mir dazu verholfen hast, sie zu sehen. Ein anderes Mal bleibe ich fein bei dir, da ich heute meine Neugier hinlaenglich gebuesst habe. Gute Nacht! Er schwang sich auf den Sims und betrat das Brett, das sie missmutig wieder ueber den Abgrund geschoben hatte. Als er droben stand, sah er den Kanal hinunter, in dessen Tiefe eben das Licht der Gondel verschwand. Gute Nacht! rief er noch einmal zurueck und stieg dann vorsichtig in sein Zimmer hinunter, waehrend Smeraldina die Bruecke abbrach und sich vergebens bemuehte, das seltsame Betragen des Fremden, seine Armut, seine Freigebigkeit, sein graues Haar und seine Abenteuersucht miteinander zu reimen. Eine Woche verging, ohne dass die Eroberung, die Smeraldina an ihrem Nachbar gemacht zu haben glaubte, sich sonderlich befestigte. Nur einmal liess sie ihn, nachdem sie den Pfoertner auf ihre Seite gebracht hatte, bei Nacht in der Maske zur Tuer herein, fuehrte ihn nach dem Wasserpfoertchen und bestieg mit ihm die Gondel, die er selbst mit langsamen Ruderstoessen durch das dunkle Labyrinth hindurchtrieb, um endlich auf dem grossen Kanal eine Stunde lang im Freien hinzugleiten. Er war trotz der guten Gelegenheit auch diesmal nicht eben zaertlicher Laune, waehrend sie bestaendig schwatzte und durch Erzaehlungen aus der grossen Welt, in der die Graefin ihre Rolle spielte, ihn zu belustigen suchte. Er erfuhr, dass seit wenigen Tagen der oesterreichische Gesandtschaftssekretaer lange Besuche bei ihrer Herrin zu machen pflege, wo beide ohne Zweifel sich berieten, wie es anzufangen sei, dass die Verbannung des jungen Gritti zurueckgenommen wuerde. Die Graefin sei besserer Laune als je und habe sie reich beschenkt. Andrea schien dies alles nur mit halbem Ohr zu vernehmen und sich einzig der Lenkung der Gondel zu widmen. Es war also dem Maedchen selbst nicht unlieb, als ihr schweigsamer Gefaehrte umwendete und auf dem kuerzesten Wege nach Hause fuhr. Geraeuschlos trieb er das schmale Fahrzeug nahe an den Pfahl heran, legte, nachdem sie ausgestiegen waren, die Kette herum und bat sich den Schluessel aus, um sie festzuschliessen. Sie gab ihn und war schon in der Tuer, als er ihr nachrief, dass ihm in der Hast der kleine Schluessel aus der Hand geglitten und in den Kanal gefallen sei. Es war ihr selbst verdriesslich; aber mit ihrer gewoehnlichen Leichtherzigkeit troestete sie ihren Freund, dass wohl noch ein zweiter Schluessel sich im Hause finden werde, und er konnte diesmal nicht umhin, mit einem fluechtigen Kuss auf ihre Wange Abschied zu nehmen, als sie ihn um Mitternacht durch die Hauptpforte des Palastes entliess. Seiner Wirtin, der Frau Giovanna, sagte er am anderen Morgen, dass es viel Arbeit bei seinem Brotherrn gegeben habe, so dass man die Nacht haette zu Hilfe nehmen muessen. Dies war das einzige Mal, dass er den Hausschluessel brauchte. Gewoehnlich kam er schon gegen die Daemmerung heim, genoss nur Brot und Wein und loeschte frueh das Licht, so dass die gute Frau ihn in der Nachbarschaft als ein Muster des Fleisses und unstraeflichen Wandels pries. Nur das eine beklagte sie, dass er sich nicht schone und bei seinen Jahren gar kein erlaubtes Vergnuegen geniesse, wodurch er sich aufheitern und sein Leben verlaengern wuerde. Marietta war bei solchen Reden still und sah in ihren Schoss. Sie sang nicht mehr, sobald der Fremde in seinem Zimmer war, und schien ueberhaupt, seitdem er gekommen, sich mehr Gedanken gemacht zu haben als sonst in einem Jahre. Am Morgen des zweiten Sonntags, den Andrea im Hause der Witwe erlebte, trat die Frau hastig mit verstoertem Gesicht und in vollem Staat, wie sie aus der Messe zurueckkehrte, in sein Zimmer. Er sass am Tisch, noch nicht voellig angekleidet, und las in einem seiner Gebetbuecher. Sein Gesicht war bleicher als sonst, aber sein Blick ruhig, und es schien, als ob er ungern in seiner Andacht gestoert wuerde. Sitzt Ihr noch still im Zimmer, Herr Andrea, rief sie ihm entgegen, und ganz Venedig ist auf den Beinen? Eilt und kleidet Euch an und geht selbst auf die Strasse hinaus, wo Ihr so viel entsetzte Menschengesichter sehen koennt wie Koerner in der Muehle. Heiliger Jesus! dass ich das noch erleben muss, und dachte, es koenne nichts mehr in Venedig geschehen, worueber ich staunte! Wovon redet Ihr, gute Frau? fragte er mit gleichgueltigem Ton und legte das Buch aus der Hand. Sie warf sich auf einen Stuhl und schien sehr erschoepft. Bis an die Piazetta bin ich fortgeschoben worden, fing sie wieder an, und sah die Herren vom Grossen Rat zu Haufen die Riesentreppe im Hofe des Dogenpalastes hinaufsteigen und die Trauerfahne wehen aus dem Fenster der Prokurazien. Werdet Ihr es glauben? Heute nacht zwischen Elf und Mitternacht hat man den Vornehmsten von den drei Staatsinquisitoren, den edeln Herrn Lorenzo Venier, auf der Schwelle seines Hauses ermordet. War es schon ein alter Mann? fragte Andrea ruhig. Misericordia! Wie Ihr auch sprecht! Als waere er nur in seinem Bett gestorben. Aber Ihr seid freilich kein Venezianer und koennt es nicht verstehen, was es heisst: ein Inquisitor ermordet, einer vom Tribunal. Es ist mehr als wenn es ein Doge waere, von denen mancher nicht mit rechten Dingen um sich kam, denn das Tribunal hat die Macht und der Doge das Kleid. Was aber das entsetzlichste ist: auf dem Dolch, den sie in der Wunde gefunden haben, steht eingegraben: "Tod allen Inquisitoren"; allen! versteht ihr wohl, Herr Andrea? Das ist nicht wie wenn ein Wicht von einem Bravo gedungen wird, einen einzelnen aus der Luft zu schaffen, weil er einem anderen im Wege steht bei Liebschaft, Aemtern oder sonst. Das ist ein politischer Mord, sagte mein Nachbar, der Spezial, und dahinter steckt eine Verschwoerung und Helfershelfer und der Angelo Querini mit seinem Anhang. Er rieb sich die Haende, als er das sagte, aber mir zitterte das Herz im Leibe, denn ich will nicht sagen, was ich denke, aber ich weiss, mit der boesen Tat ist's wie mit den Kirschen, schuettelt man eine herunter, so fallen zwanzig nach, und dieses Blut wird viel Blut kosten. Hat man denn keine Spur des Moerders, Frau Giovanna? Wozu nuetzen dem Tribunal die Hunderte von Spionen, die es bezahlt? Nicht den Schatten einer Spur, antwortete die Witwe. Es war eine dunkle Nacht, die Bora wehte, und auf dem grossen Kanal, an dem sein Palast steht, war es leer von Gondeln. Da kam er allein durch eine Seitengasse nach Hause, und da traf ihn die unsichtbare Hand, und er lebte nur so lange, bis er mit seinem letzten Stoehnen den Pfoertner herausgeschreckt hatte. Da war die Gasse totenstill und niemand zu erblicken. Ich aber weiss, was ich weiss, Herr Andrea. Soll ich es Euch sagen? Ihr seid rechtschaffen und brav und werdet es nirgend weiter umhersagen und mich nicht in neues Elend bringen: Ich kenne die Hand, die dieses Blut vergoss. Er sah sie fest an. Redet, sagte er, wenn es Euch erleichtert. Ich verrate Euch nicht. Habt ihr keine Ahnung? sagte sie, indem sie aufstand und dicht neben ihn hintrat: Hab' ich Euch nicht gesagt, dass mancher lebt und nicht wiederkommt, und mancher tot ist und doch wiederkommt? Wisst ihr's nun? Er hat es ihnen nicht vergessen, dass sie sein Weib und Kind unter die Bleidaecher geschleppt und gemartert haben. Aber, um Gottes willen, kein Wort davon ueber Eure Lippen! Wenn es sein Geist getan haette, die Lebendigen muessten es buessen. Und was habt Ihr fuer Anlass zu Eurem Glauben? Sie sah sich im Zimmer unheimlich um. Wisst, fluesterte sie, es war nicht geheuer im Haus diese Nacht. An den Waenden hoert' ich es hinauf- und hinabhuschen, wie Gespensterschritte, ich lag im Bett und horchte, und es rauschte da unten heimlich ueber den Kanal und klirrte an Eurem Fenster, und durch das Gaesschen nebenan schwirrte es von aufgescheuchtem Getier bis lange nach Mitternacht. Erst mit dem Glockenschlage eins ward Ruhe; ich weiss wohl, wer sie gestoert hat. Er kam, nachdem er es getan, um uns zu gruessen, da wir ja keinen Abschied genommen haben. Das Haupt war ihm auf die Brust gesunken. Jetzt stand er auf und sagte, dass er selbst ausgehen wolle, um sich zu erkundigen. Er habe, wie sie ja wisse, sich frueh niedergelegt und besonders fest geschlafen, so dass er von allem Spuk nicht gestoert worden sei. Uebrigens moege sie es fuer sich behalten, denn allerdings sei es gefaehrlich, von einem solchen Verbrechen auch nur eine gespenstische Mitwissenschaft erhalten zu haben.--Darauf zog er sich eilig an und ging in die Stadt hinaus. Es war ein Wogen und Treiben auf den Gassen, wie man es selbst bei hohen Festen der Republik nicht gewohnt war. Lautlos bewegten sich aus der inneren Stadt hastige Zuege von Neugierigen durch die engen Strassen fort nach dem Markusplatze zu, und wer sich nicht anschloss, stand wenigstens draussen an der Tuer seines Hauses und wechselte mit vorbeieilenden Bekannten beredte Zeichen und Blicke. Man sah es diesen Menschen an, dass etwas Unerhoertes und Furchtbares sie zugleich aufgeregt und betaeubt hatte, dass sie alle planlos dem allgemeinen Zuge folgten, begierig, das Ereignis vor allem mit Augen zu sehen und mit Haenden zu greifen. Niemand redete laut, niemand lachte, pfiff oder seufzte auch nur vernehmlich; es war, als fuehlten diese ehrsamen Buerger die Pfaehle wanken, auf denen die Lagunenstadt gegruendet ward. In scheinbar nachlaessiger Haltung schritt Andrea unter dem Volk hin, den Hut tief ueber die Augen gedrueckt, die Haende auf den Ruecken gelegt. Nun trat er auf den Markusplatz hinaus, wo in unzaehligen Gruppen alle Staende durcheinander gemischt unter dem reinen Sommerhimmel sich geschart hatten, waehrend unter den Hallen der Prokurazien der Strom weiterfloss, der Piazetta zu, bis draussen an das breite Becken des Kanals, das von den beiden Saeulen beherrscht wird. Der alte Dogenpalast stieg majestaetisch ueber dem Gewuehl empor. Man sah hinter den Bogenfenstern und in den Arkaden Waffen blinken, und ein Trupp Soldaten hatte am Eingang Posto gefasst, Spalier bildend und jedem die Wehr vorhaltend, der, ohne zum Grossen Rat zu gehoeren, in das Innere Einlass suchte. Denn oben in der weiten Halle, deren Waende mit den Grosstaten der Republik ausgemalt sind, sass die Bluete des Adels in geheimer Beratung beisammen, und die Menge, die unten scheu vor den schweren Pfeilern des alten Baues vorueberwallte, schien ungeduldig das Ergebnis dieser Sitzung abzuwarten; so oft ein Nobile sich am Fenster blicken liess, entstand ein Murmeln und Deuten und Hinaufstarren, als werde jeden Augenblick das Urteil ueber den unentdeckten Frevler vom Balkon herab verkuendigt werden. Auch Andrea, der das lange Viereck des Platzes einsam durchmessen hatte, naeherte sich jetzt dem Dogenpalast und warf im Vorbeigehen einen Blick in die Kirche von San Marco, wo er Kopf an Kopf bis zu den Pforten hinaus die Menschen stehen und der Predigt lauschen sah. Dann bahnte er sich muehsam einen Weg nach den beiden Saeulen und stand in duesteren Gedanken am Kai der Piazetta, vor sich die wimmelnde Menge der schwarzen Gondeln, deren staehlerne, gezahnte Schnaebel bei jeder Wendung ihre Sonnenblitze ueber die Wellen warfen. Auch die Riva degli Schiavoni, die zu seiner Linken lag, war dicht gedraengt von erwartungsvollen Menschen. Ueber dem Turban des Tuerken tauchte der rote griechische Fes, die malerische Muetze der Schiffer von Chioggia, der dreieckige Hut und die gepuderte Peruecke auf, und man hoerte gleicher Weise die verschiedensten Zungen durcheinander schwirren, waehrend vom Wasser herauf die eintoenigen Anrufe der Gondoliere auch dem Blinden sagten, dass der grosse Kanal Venedigs zu seinen Fuessen floss. Eine offene Gondel, von zwei Dienern in reicher goldgestickter Livree gerudert, flog vorueber; eine Dame lag nachlaessig auf den breiten Polstern, das Haupt in die Hand gestuetzt. Das Feuer eines grossen Diamantringes spielte aus dem roetlichen Glanz ihrer Haare hervor; ihre Augen ruhten auf dem Gesicht eines jungen Mannes, der ihr gegenueber sass und eifrig zu ihr sprach. Sie hob jetzt den Kopf und musterte mit einem stolzen Blick das Menschengewoge droben auf der Piazetta. Das ist die blonde Graefin, hoerte Andrea im Volke sagen; er hatte sie laengst erkannt. Zusammenfahrend, wie wenn schon ihr Anblick Verderben braechte, wandte er sich ab. Da sah er in ein bekanntes Gesicht, das ihm vertraulich zunickte. Samuele stand hinter ihm. Seid ihr auch einmal unter Menschen, Herr Delfin? raunte ihm der Jude mit seiner duennen Stimme zu. Vergebens habe ich Euer Gnaden all die Tage her wieder zu begegnen gesucht. Ihr lebt eingezogener, als eine Frau in den Wochen. Wenn ihr wollt mitgehen, wohin mich meine Geschaefte rufen, so haett' ich Euch zu sagen, was Ihr vielleicht gern hoert. Kommt! Was steht Ihr hier, wie die anderen Narren, die da glauben, im Grossen Rat wuerde das Heil der Republik zur Welt gebracht? Die Ratten im Schiff machen es nicht flott, wenn es aufgefahren ist. Die wahren Lotsen haben jetzt besseres zu tun, als zu schwatzen. Aber gehen wir von hier fort, ich habe Eile, und in der Gondel reden wir bequemer. Er winkte eine von den Mietgondeln heran und zog Andrea am Arm sich nach. Sie stiegen ein und setzten sich unter das schwarze Dach, links und rechts durch die Oeffnungen der engen Kajuete den Kanal ueberblickend. Was habt Ihr mir zu sagen, Herr? begann Andrea. Und wohin fuehrt Ihr mich? Geht morgen frueh nicht zu Eurem Notar, sagte der Jude. Es waere moeglich, dass Ihr zu einem Gang abgeholt wuerdet, der Euch mehr eintruege. Was meint Ihr, Samuele? Ihr wisst, was die Nacht geschehen ist, fuhr der andere fort. Es ist unerhoert, dass zwoelf Stunden nach einem Mord in Venedig vergehen und noch keine Spur gefunden ist, wer ihn begangen hat. Wir sind um unseren Kredit gekommen bei der Signoria, beim Volk, bei den Fremden, die von der Polizei hier zu Lande Wunder geglaubt und Zeichen erwartet haben. Der Rat der Zehn findet, dass er schlecht bedient wird. Er wird sich nach neuen Augen umtun, die besser in alle Winkel dringen. Eure Augen, Herr Delfin, moechten, wenn Ihr noch denkt wie vor zehn Tagen, bald eine feinere Schrift zu lesen bekommen, als die Akten Eures Herrn Notars. Darum haltet Euch zu Haus morgen frueh. Wenn es was ist und ich kann ein Wort fuer Euch anbringen, soll es mich freuen. Mein Sinn ist noch nicht veraendert; aber fast zweifle ich an meinen Faehigkeiten. Husch, husch! sagte der andere und schuettelte den Zeigefinger. Ich muesste Gesichter nicht kennen, oder Ihr habt Eures in Eurer Gewalt, und wer verbergen kann, was er denkt, hat schon halb erraten, was fuer Gedanken andere zu verbergen suchen. Und wer entscheidet, ob man mich brauchen kann oder nicht? Ihr muesst Euch pruefen lassen vor dem Tribunal; ich kann nichts tun, als sagen, dass ich Euch kenne und Euch Talente zutraue. Bis morgen, denk' ich, wird das Tribunal vollzaehlig sein; die Zehn sitzen eben zusammen und waehlen den dritten Mann. Ich kann sagen, dass man mir geben koennte viel Geld, dass ich sollte Staatsinquisitor werden--ich dankte fuer die Ehre. Denn die Inschrift auf dem Dolch ist nicht so fuer die Langeweile eingraviert, und der Soldat auf der Pulvermine isst sein Brot ruhiger als einer der drei Herren Venedigs seit gestern nacht. Dennoch ist wohl kein Zweifel, dass der Erwaehlte das Amt antritt? Oder darf er ablehnen? Ablehnen! Wisst Ihr nicht, dass die Republik jeden schwer bestraft, der sich einem Amt entzieht? Andrea schwieg und sah finster durch die Luke auf die Flaeche des Kanals. Eine unabsehliche Menge schwarzer Gondeln fuhr in derselben Richtung zwischen den hohen Palaesten hin, und vom Rialto her kam eine nicht geringere Zahl ihnen entgegen. Beide Zuege trafen jetzt aufeinander und draengten sich um eine breite Wassertreppe, wo sie um die Wette anfuhren und ihre Herrschaften landeten. Es war der Palast Venier, und droben lag der Tote. Ein Blick zeigte Andrea, wo sie waren. Gewaltsam beherrschte er seine Bewegung und sagte: Habt Ihr hier zu tun, Samuele, oder ist es bloss die Neugier, einen ermordeten Staatsinquisitor auf dem Paradebett zu sehen? Ich bin im Dienst, erwiderte der Jude. Aber auch Euch kann es nuetzlich sein, mitzugehen. Ich werde Euch mit einigen meiner Freunde bekannt machen, denn der Zehnte hier weiss, was er sucht. Aber wir tun, als kennten wir uns nicht. Wisst Ihr, dass ich wetten moechte, von den Verschworenen seien nicht wenige unter diesen Beileidsgesichtern? Wer weiss, ob der Taeter nicht selbst eben aus einer dieser Gondeln steigt! Er waere nicht dumm, wenn er sich hier sicherer glaubte, als irgend wo sonst. Denn zu dieser Stunde, kann ich Euch sagen, durchsucht die Polizei, waehrend alles im Freien ist, die Haeuser, die ihr jemals verdaechtig waren, und das Sprichwort ist wahr: Der Teufel lehrt es zu tun, aber nicht, es zu verbergen. Mit diesen Worten sprang er aus der Gondel und half Andrea dienstfertig aussteigen. Ist es Euch unheimlich, einen Toten zu sehen? fragte er. Ihr seid nicht wohl aufgelegt. Ihr irrt, Samuele, antwortete Andrea rasch und sah ihm gleichmuetig ins Gesicht. Ich bin Euch vielmehr dankbar, dass Ihr meiner Traegheit zu Hilfe gekommen seid. Ohne Euch waere ich schwerlich hier. Lasst uns hinaufgehen, um dem grossen Herrn, der uns im Leben schwerlich vorgelassen haette, unseren Besuch zu machen. Eine stattliche Wohnung, die er so hastig mit einem engen Kaemmerchen vertauschen muss! Er tut mir leid, in der Tat, obwohl ich ihn nie mit Augen gesehen habe. Sie stiegen unter einem grossen Andrang nebeneinander die schwarzverhangene Treppe hinauf, von deren Hoehe das umflorte Wappen des Hauses Venier heruntersah und statt jedes Pfoertners der Menge Stille gebot. Drinnen in dem groessten Saal war der Katafalk unter einem Baldachin errichtet, Zypressenbaeume ragten bis an die hohe Decke, Kerzen auf silbernen Kandelabern flackerten im Luftzug, der ueber den offenen Balkon vom Wasser herauf durch die Halle strich, und vier Diener des Hauses Venier in schwarzem Samt, die blanken Hellebarden mit Floeren umwickelt, hielten wie Standbilder an den Ecken des Totengeruestes die Wache. Ueber den Leichnam war eine samtene Decke gebreitet; die silbernen Fransen hingen bis auf den Boden herab. Der Tote zeigte den Eintretenden das scharfe Profil, mit einem zornigen und traurigen Ausdruck das geschlossene Auge gegen den Baldachin gekehrt. Andrea erkannte diese Zuege wieder. Er hatte sie im Zimmer Leonoras in jener Nacht sich tief ins Gedaechtnis gepraegt. Aber kein Zucken seines Mundes noch der Augen, die scharf auf den Toten gerichtet waren, verriet, dass der Raecher vor seinem Opfer stand.-Eine Stunde spaeter kam Andrea nach Hause. Frau Giovanna empfing ihn oben an der Treppe mit einer fast muetterlichen Sorge, und auch Marietta schien unruhig auf ihn gewartet zu haben. Sie erzaehlten ihm, dass die Sbirren in seiner Abwesenheit sein Zimmer durchsucht, aber alles in bester Ordnung gefunden haetten, uebereinstimmend mit dem Zeugnis, welches sie selbst, die Wirtin, ihrem Mieter ausgestellt habe. Die ruhige Art, in der Andrea ihre Erzaehlung anhoerte, versicherte sie vollends, dass ihre Angst ueberfluessig und der Besuch der Polizei mehr eine Sache der Form gewesen sei. Eine Menge Warnungen und Vorsichtsmassregeln legte die gute Frau ihm ans Herz, wie er sich in dieser boesen Zeit mit Reden und Handlungen vor jedem Verdacht zu schuetzen habe. Sie werden das Regiment noch verschaerfen, seufzte die Alte, denn sie wissen wohl: eine Katze mit Handschuhen faengt keine Maeuse, und das ist auch ein wahres Wort, dass die Toten den Lebenden die Augen oeffnen. Darum seid auf Eurer Hut, teurer Herr, und traut niemand, der sich an Euch macht. Ihr kennt die schlimmen Gesellen noch nicht, wie gutmuetig sie sich zu stellen wissen, aber glaubt mir: man wird nur von dem betrogen, dem man traut. Geht lieber nicht zu Tisch in einem Gasthaus, sondern lasst Euch gefallen, dass wir Euch zu Hause auftragen, was wir vermoegen. Ihr seht angegriffen aus. Legt Euch ein wenig aufs Bett; Ihr seid das Herumlaufen nicht gewohnt. Alle diese Reden begleitete Marietta mit bittenden Blicken und sah, neben der Mutter stehend, unverwandt in sein blasses, ernstes Gesicht. Er versicherte, dass ihm wohl sei, bat um Brot und Wein und kam, nachdem man es ihm gebracht hatte, den Rest des Tages nicht wieder zum Vorschein. Frueh am anderen Morgen, als er noch im Bette lag, trat Samuele bei ihm ein. Wenn Euch darum zu tun ist, sagte er, zum mindesten vierzehn Dukaten monatlich in die Tasche zu stecken, so kommt mit mir; es ist alles eingeleitet, und ich denke, Ihr macht den Gang nicht umsonst. Ist der neue Staatsinquisitor schon gewaehlt? fragte Andrea. Es scheint so. Und noch keine Spur von der Verschwoerung? Noch keine Spur. Der Schrecken unter dem Adel ist gross. Sie verschliessen sich in ihren Haeusern und sehen in jedem Besucher einen Spion der Zehn oder des Tribunals. Einer nach dem anderen von den fremden Gesandten hat dem Dogen seine Aufwartung gemacht, die feierlichsten Versicherungen seiner Empoerung ueber die Tat abgelegt und seine Hilfe zur Entdeckung des Taeters angeboten. Von nun an werden die drei vom Tribunal sich noch geheimer halten als zuvor, und, wie ich glaube, soll ein Preis auf den Kopf des Moerders gesetzt werden, der einen armen Teufel schon fuer einige Jahre flott machen wuerde. Die Augen auf, Herr Andrea! Wir beide trinken vielleicht bald einen besseren Wein zusammen, als damals in jener Kneipe! Schweigend hatte sich Andrea angezogen und folgte nun seinem Goenner, der bestaendig plauderte, nach dem Dogenpalast. Samuele war hier gut bekannt. Er klopfte an eine unscheinbare Tuer im Hof, sagte dem Diener, der oeffnete, ein Wort ins Ohr und liess Andrea auf einer kleinen Treppe hoeflich den Vortritt. Nachdem sie droben einen langen, helldunkeln Gang durchschritten und einigen Hellebardieren Rede gestanden hatten, wurden sie in ein nicht gar grosses Gemach eingelassen, dessen Fenster nach dem Hofe ging und mit einer dunkeln Gardine zur Haelfte verhangen war. Im Hintergrunde gingen drei Maenner in fluesterndem Gespraech auf und ab, die Gesichter mit Masken bedeckt, unter denen nur die Spitzen der Baerte hervorsahen. Ein vierter, unmaskiert, sass an einem Tisch und schrieb beim Schein einer einzelnen Kerze. Er sah auf, als Samuele mit Andrea auf der Schwelle erschien. Die drei anderen schienen die Hereintretenden nicht zu beachten, sondern ihr Gespraech eifrig fortzusetzen. Ihr bringt den Fremden, den Ihr uns angekuendigt habt? fragte der Sekretaer. Ja, Euer Gnaden. Ihr koennt abtreten Samuele. Der Jude verneigte sich gehorsam und verliess das Zimmer. Nach einer Pause, in welcher der Sekretaer des Tribunals einige Papiere, die vor ihm lagen, ueberflogen und dann mit einem langen Blick die Gestalt des Fremden geprueft hatte, sagte er: Euer Name ist Andrea Delfin; seid Ihr mit den venezianischen Nobili gleichen Namens verwandt? Nicht dass ich wuesste. Meine Familie ist seit Urzeiten in Brescia ansaessig. Ihr wohnt in der Calle della Cortesia bei Giovanna Danieli; Ihr wuenscht in den Dienst des erlauchten Rates der Zehn zu treten. Ich wuensche der Republik meine Dienste zu widmen. Eure Papiere aus Brescia sind in Ordnung. Der Advokat, bei dem Ihr fuenf Jahre gearbeitet habt, gibt Euch das Zeugnis eines verstaendigen und zuverlaessigen Mannes. Nur ueber die sechs oder sieben Jahre, bevor Ihr zu ihm kamt, fehlt ein jeder Ausweis. Was habt Ihr, nachdem Eure Eltern gestorben waren, in der langen Zeit getrieben? Ihr habt sie nicht in Brescia zugebracht? Nein, Euer Gnaden, erwiderte Andrea ruhig. Ich war in fremden Laendern, in Frankreich, Holland und Spanien. Nachdem ich mein geringes Erbe aufgezehrt hatte, musste ich mich bequemen, Bedienter zu werden. Eure Zeugnisse? Sie sind mir entwendet worden in einem Koffer, der meine ganze Habe enthielt. Ich war dann des unsicheren Reiselebens muede und ging nach Brescia zurueck. Meine Herrschaften hatten mich zu mancherlei Sekretaerdiensten brauchbar gefunden. Ich versuchte es bei einem Advocaten, und Euer Gnaden haben das Zeugnis selbst vor sich, dass ich zu arbeiten gelernt habe. Waehrend er dies sagte, in einer stillen, unterwuerfigen Haltung, den Kopf etwas vorgebeugt und den Hut in beiden Haenden, trat ploetzlich einer der drei Herren in der Maske naeher an den Tisch heran, und Andrea fuehlte einen durchdringenden Blick auf sich gerichtet. Wie heisst Ihr? fragte der Inquisitor mit einer Stimme, die ein hohes Alter verriet. Andrea Delfin. Meine Papiere weisen es aus. Bedenkt, dass es Euer Tod ist, wenn Ihr das erlauchte Tribunal hintergeht. Erwaegt die Antwort noch einmal. Wenn ich nun sage, dass Euer Name Candiano sei? Eine kurze Pause folgte auf dieses Wort, man hoerte den Totenwurm im Gebaelk des Zimmers bohren. Acht forschende Augen waren auf den Fremden geheftet. Candiano? sagte er langsam, doch mit fester Stimme. Warum soll ich Candiano heissen? Ich wollt' es wahrlich selbst; denn soviel ich weiss, ist das Haus Candiano reich und vornehm, und wer diesen Namen traegt, braucht nicht sein Brot muehsam mit der Feder zu verdienen. Ihr habt das Gesicht eines Candiano. Euer Betragen ueberdies verraet eine bessere Herkunft, als diese Papiere anzeigen. Ich kann nichts fuer mein Gesicht, erlauchte Herren, erwiderte Andrea mit anstaendiger Unbefangenheit. Was mein Betragen angeht, so habe ich auf Reisen allerlei Sitten gesehen und die meinigen, soviel ich konnte, verbessert, auch meine Zeit in Brescia nicht verloren, sondern aus Buechern die Versaeumnisse meiner Jugend nachgeholt. Die beiden anderen Inquisitoren waren indes jenem ersten naeher getreten, und der eine, dessen roter Bart sich breit unter der Maske vorschob, sagte halblaut: Eine Aehnlichkeit mag Euch taeuschen, die ich nicht wegleugnen will. Aber Ihr wisst selbst: der Zweig des Hauses, der bei Marano angesiedelt war, ist ausgestorben; der Alte ist in Rom begraben, die Soehne ueberlebten ihn nicht lange. Mag sein, erwiderte der erste. Aber seht ihn an und sagt, ob es nicht ist, als waere der alte Luigi Candiano, nur verjuengt, aus dem Grabe erstanden. Ich hab ihn gut genug gekannt; wir wurden an demselben Tage in den Senat gewaehlt. Er nahm die Papiere vom Tisch und pruefte sie sorgfaeltig. Ihr moegt recht haben, sagte er endlich. Es wuerde mit den Jahren nicht stimmen. Fuer einen der Soehne Luigis ist dieser zu alt. Wenn er ihn vor der Ehe erzeugt haette--so wuerde es uns gleichgueltig sein koennen. Er warf die Papiere wieder hin, gab dem Sekretaer einen Wink und trat mit den anderen in die Fensternische zurueck, das unterbrochene Gespraech leise fortsetzend. Niemand konnte Andreas Augen anmerken, welch eine Last in diesem Augenblick ihm von der Seele fiel. Der Sekretaer begann von neuem. Ihr versteht fremde Sprachen? fragte er. Ich spreche Franzoesisch und ein wenig Deutsch, Euer Gnaden. Deutsch? Wo habt Ihr das gelernt? Ein deutscher Maler in Brescia war mein guter Freund. Seid Ihr je in Triest gewesen? Zwei Monate, Euer Gnaden, in Geschaeften meines Herrn, des Advokaten. Der Sekretaer stand auf und trat zu den dreien am Fenster. Nach einer Weile kam er an den Tisch zurueck und sagte: Man wird Euch den Pass eines oesterreichischen Untertans geben, der aus Triest gebuertig war. Mit diesem geht Ihr in das Haus des oesterreichischen Gesandten und bittet um seinen Schutz, da die Republik Euch auszuweisen drohe. Ihr werdet sagen, dass Ihr in frueher Jugend Triest verlassen habt und nach Brescia hinuebergegangen seid. Was auch die Antwort sein moege, dieser Besuch wird Euch, bei einiger Geschicklichkeit, genuegen, um mit dem Sekretaer des Gesandten Bekanntschaft zu machen. Es ist Eure Aufgabe, dieses Verhaeltnis fortzuspinnen und, soviel Ihr koennt, die geheimen Verbindungen des Wiener Hofes mit den Adeligen Venedigs zu beobachten. Entdeckt Ihr das Geringste, was Euch Verdacht einfloesst, so habt Ihr es unverzueglich zu melden. Wuenscht das hohe Tribunal, dass ich meine bisherige Stellung bei dem Notar Fanfani aufgebe? Ihr aendert nichts in Eurer Lebensweise. Euer Gehalt betraegt fuer den ersten Monat nur zwoelf Dukaten. Von Eurer Geschicklichkeit und Umsicht haengt es ab, die Summe zu verdoppeln. Andrea verneigte sich zum Zeichen, dass er mit allem einverstanden sei. Hier ist Euer deutscher Pass, sagte der Sekretaer. Eure Wohnung ist dem Palast der Graefin Amidei benachbart. Es wird Euch ein leichtes sein, mit ihrer Kammerfrau ein Verhaeltnis anzuknuepfen, dessen Kosten Euch erstattet werden sollen. Was Ihr auf diesem Wege ueber die Beziehungen der Graefin zu vornehmen Venezianern erfahrt, berichtet Ihr an diesem Ort. Die Republik erwartet, dass Ihr treu und gewissenhaft Eure Aufgabe erfuellt. Sie verpflichtet Euch nicht durch einen Eid, weil, wenn die Scheu vor den irdischen Strafen, die wir verhaengen, Euch nicht in der Pflicht zurueckhielte, Ihr kein Menschenblut in den Adern haben muesstet und also auch der himmlischen Gerechtigkeit spotten wuerdet. Ihr seid entlassen. Andrea verbeugte sich wiederum und wandte sich nach der Tuer. Der Sekretaer rief ihn zurueck. Noch eins, sagte er, indem er ein Kaestchen aufschloss, das auf dem Tische stand. Tretet heran und betrachtet den Dolch in diesem Kaestchen. Es sind grosse Waffenfabriken in Brescia. Entsinnt Ihr Euch, dort irgend eine aehnliche Arbeit gesehen zu haben? Andrea blickte, mit letzter Kraft sich bezwingend, in den Behaelter, den ihm der Sekretaer entgegenhielt. Er erkannte die Waffe nur zu wohl. Es war ein zweischneidiges Messer, der Griff, ebenfalls staehlern, in Kreuzesform. Auf der Klinge, vom Blut noch nicht gereinigt, standen die Worte eingegraben: "Tod allen Staatsinquisitoren". Nach einer laengeren Pruefung schob er mit fester Hand das Kaestchen zurueck. Ich entsinne mich nicht, sagte er, einen aehnlichen Dolch in den Kauflaeden von Brescia gesehen zu haben. Es ist gut. Der Sekretaer verschloss das Kaestchen wieder und winkte ihm mit der Hand, zu gehen. Langsam schritt Andrea hinaus. Die Hellebardiere liessen ihn passieren; wie im Traum ging er den hallenden Korridor entlang, und erst als er auf der dunkeln Treppe war, goennte er sich's, einen Augenblick auf einer der Marmorstufen niederzusitzen. Seine Kniee drohten einzubrechen; der kalte Schweiss bedeckte seine Stirn, die Zunge klebte ihm am Gaumen. Als er ins Freie hinaustrat, atmete er tief auf, richtete den Kopf mutig in die Hoehe und nahm seine entschiedene Haltung wieder an. Am Portal draussen, das sich nach der Piazetta oeffnet, sah er einen Haufen Volkes dicht beisammen stehen, vertieft in die Lesung eines grossen Anschlages, der an eine der Saeulen angeheftet war. Er trat ebenfalls hinzu und las, dass vom Rat der Zehn mit hoher Bewilligung des Dogen eine Belohnung von tausend Zechinen und die Begnadigung eines Verbannten oder Verurteilten demjenigen verheissen werde, der ueber den Moerder Veniers Auskunft zu geben wisse. Das Volk stroemte vor der Saeule ab und zu, und nur einige lauernde Gesichter tauchten beharrlich immer wieder unter den Arkaden auf und bewachten die Mienen der Lesenden. Auch Andrea entging ihnen nicht. Aber mit der Gleichgueltigkeit eines voellig unbeteiligten Fremden machte er, nachdem er das Blatt ueberflogen, anderen Neugierigen Platz und stieg ruhig am grossen Kanal in eine Gondel, die ihn nach dem Hotel des oesterreichischen Gesandten bringen sollte. Als er nach einer laengeren Fahrt vor dem ziemlich abgelegenen Palast ausstieg, der den doppelkoepfigen Adler ueber dem Eingang trug, bewegte gerade ein hochgewachsener junger Mann den Klopfer am Tor. Er sah sich nach der Gondel um, und seine ernsthaften Zuege erheiterten sich ploetzlich. Ser Delfin, sagte er und bot Andrea die Hand, begegnen wir uns hier? Kennt Ihr mich nicht mehr? Habt Ihr den Abend am Gardasee schon vergessen? Ihr seid es, Baron Rosenberg! erwiderte Andrea und schuettelte herzlich die dargebotene Rechte. Seid Ihr fuer laengere Zeit in Venedig, oder holt Ihr schon Euren Pass hier ab zur Weiterreise? Der Himmel weiss, sprach der andere, wann mich mein Stern je von hier wegfuehrt, und ob ich ihn dann willkommen heissen oder verwuenschen werde. Um meinen Pass jedoch brauche ich niemand zu bemuehen, da ich ihn mir selbst visieren kann. Denn Ihr muesst wissen, werter Freund, dass Ihr mit dem Sekretaer Seiner Exzellenz des oesterreichischen Gesandten sprecht, was ich wahrlich nicht etwa sage, um eine diplomatische Wand zwischen mich und meinen werten Reisegefaehrten von Riva zu schieben, sondern in Eurem Interesse, Bester, da es nicht jedem Venezianer erwuenscht ist, fuer einen alten Bekannten von mir zu gelten. Ich habe nichts zu fuerchten, sagte Andrea. Wenn ich Euch nicht laestig bin, trete ich einen Augenblick bei Euch ein. Ihr wolltet zu mir, ohne mich zu kennen. Was Euch der Gesandtschaftssekretaer zu Gefallen tun sollte, wird Euch nun der Freund umso williger tun, falls es in seiner Macht steht. Andrea erroetete. Zum ersten Male empfand er jetzt alles Demuetigende der Maske, die er trug, einem freien Manne gegenueber, der ihm nach einer fluechtigen Begegnung vor mehreren Jahren so freundschaftlich wieder entgegenkam. Der Pass des Triestiners, den er in der Tasche trug, drueckte ihn wie ein bleiernes Gewicht. Aber die Uebung, seine inneren Kaempfe zu beherrschen, liess ihn auch diesmal nicht im Stich. Ich wollte nur eine Erkundigung einziehen ueber ein deutsches Handelshaus, sagte er, denn ich bin hier in Venedig in der sehr bescheidenen Stellung eines Schreibers, der sich von seinem Herrn Notar zu mancherlei kleinen Diensten gebrauchen lassen muss. Da ich aber in Brescia nicht viel Besseres war und Ihr dennoch mich nicht zu gering hieltet, mir Eure und Eurer Mutter Gesellschaft zu goennen, so trete ich auch hier dreist mit Euch ein; Ihr muesst mir vor allem sagen, wie es der trefflichen Frau ergeht, deren ehrwuerdiges Bild, ihre ruehrende Liebe zu Euch, ihre grosse Guete gegen mich, mir noch in lebendigster Erinnerung stehen. Der Juengling wurde ernsthaft und seufzte. Kommt in mein Zimmer, sagte er. Wir plaudern dort vertraulicher. Andrea folgte ihm hinauf, und der erste Blick, den er in das behagliche Gemach tat, fiel auf ein grosses Pastellbild, das ueber dem Schreibtisch hing. Er erkannte die leuchtenden Augen und das reiche Haar Leonorens. Aller verfuehrerische Schmelz der Jugend und des Uebermutes lag auf diesen laechelnden Lippen. Der Juengling rueckte zwei Sessel an das Fenster, durch welches man den ziemlich breiten Kanal, die malerische Bruecke und zwischen den Haeusern drueben die Chorseite einer alten Kirche uebersah. Kommt, sagte er, macht es Euch bequem. Soll ich Wein kommen lassen oder Sorbette? Aber ihr hoert nicht. Ihr seid in dieses unglueckselige Bild vertieft. Wisst Ihr, wen es vorstellt? Kennt Ihr das Urbild, von dem es nur ein blasser Schatten ist? Doch wer in Venedig kennte es nicht? Sagt mir nichts von diesem Weibe. Ich weiss alles, was man von ihr sagt, und glaube alles, und dennoch versichere ich Euch in allem Ernst, dass Ihr selbst, wenn Ihr vor ihr staendet, an nichts von alle dem denken, sondern Gott danken wuerdet, wenn Ihr Eure fuenf Sinne so leidlich beisammen behieltet. Ist dieses Gemaelde Euer Eigentum? fragte Andrea nach einer Pause. Nein; es hat einem Gluecklicheren gehoert, einem schoenen jungen Venezianer, der, wie sie mir selbst gestand, ihr Abgott gewesen. Der Unvorsichtige liess sich einfallen, mir seine Freundschaft anzutragen. Er buesst dieses Verbrechen in der Verbannung, und meine Strafe ist nun, dass er mir dieses Bild vermacht hat, und dass ich die Augen des Originals um ihn habe weinen sehen. Er stand, waehrend er dies sagte, vor dem Bilde und betrachtete es mit einem schwaermerisch-traurigen Blick. Andrea beobachtete ihn mit der tiefsten Teilnahme. Er war nicht schoen von Gesicht, nur anziehend durch die Mischung von jugendlicher Sanftheit der Formen und maennlichem Ernst und Feuer seines Mienenspiels. Auch in den Bewegungen der hohen Gestalt offenbarte sich Adel und Energie. Unwillkuerlich entfuhr Andrea der Ausruf: Dass Ihr, auch Ihr dieses Weib lieben koennt, das Euer so wenig wert ist! Lieben? erwiderte der Deutsche mit einem seltsam duesteren Ton. Wer sagt Euch, dass ich sie liebe, wie ich einst in Deutschland geliebt habe und wie es allein den Namen verdient? Sagt, dass ich von ihr besessen bin, dass ich mit Knirschen und Stoehnen ihre Fesseln trage, und nehmt mein Gestaendnis hin, dass ich mich dieser Schwaeche schaeme und doch in ihr schwelge. Ich habe es nie vorher gewusst, wie alle irdische Wonne nichtig ist gegen das Gefuehl, sich den Nacken von einem selbstgewaehlten Joch wund druecken zu lassen und den gesamten Mannesstolz um ein Laecheln solcher Augen in den Staub zu werfen. Sein Gesicht hatte sich geroetet; er bemerkte jetzt erst, dass Andrea laengst von dem Bilde wegsah und ihm tief bekuemmert zuhoerte. Ich langweile Euch, sagte Rosenberg. Sprechen wir von etwas anderem. Wie ist es Euch indes ergangen? Warum habt Ihr Brescia verlassen? Ihr habt mir von Eurer Mutter noch nichts erzaehlt, lenkte Andrea ein. Welch eine Frau! Der Fremdeste fuehlt das Verlangen, sie wie eine Mutter zu verehren. Redet weiter, sagte der andere. Vielleicht befreien mich Eure Worte von dem boesen Zauber, dem ich hier verfallen bin. Nicht, dass Ihr mir etwas Neues sagtet. Aber es von Euch zu hoeren, welch eine Mutter sie ist, und welch ein undankbares Kind sie an mir grossgezogen hat, bringt mich vielleicht zu meiner Pflicht zurueck. Werdet Ihr es glauben, dass ich schon den dritten Brief von ihr habe, in welchem sie mich beschwoert, Venedig zu verlassen und zu ihr nach Wien zu kommen? Sie traeumt, dass mir hier Unheil bevorstehe. Das groesste, dem ich verfallen bin, ahnt sie nicht; und doch haelt mich sonst nichts hier fest, als ein Weib, das ich um alles in der Welt nicht in ihre reine Naehe zu bringen wagte.--Aber nein, fuhr er fort, damit ich mir nicht selbst zu viel tue: Es waere in der Tat schwer zu machen, dass ich in diesem Augenblick mir Urlaub auswirkte. Mein Chef, der Graf, hat sich eingeredet, dass ich ihm unentbehrlich sei, und gerade jetzt gibt es mancherlei zu tun, was ihm selber laestig waere. Es ist Euch nicht unbekannt, dass wir hier unliebe Gaeste sind. Man will die Augen nicht oeffnen nach der Seite hin, von der eine wirkliche Gefahr drohen koennte, und haetschelt das Vorurteil, als haette die Macht, die wir vertreten, die Hand im Spiele bei allem Feindseligen, was in Venedig geschieht. Ist man doch so weit gegangen, uns fuer die Ermordung Veniers verantwortlich zu machen, eine Tat, die ich von Grund meines Herzens ebenso verabscheue, wie ich ihre Anstifter fuer kurzsichtige Politiker halte.--Denn sagt selbst, werter Freund, fuhr er mit rueckhaltlosem Eifer fort, vielleicht nicht ohne die Absicht, einen Fuersprecher mehr in Venedig zu gewinnen, sagt selbst, ob die geringste Aussicht ist, das Ziel, den Sturz des Tribunals, auf diesem verbrecherischen Wege zu erreichen? Setzen wir die moralische Seite fuer einen Moment aus den Augen: Ist es irgend denkbar, dass ein so weit verzweigter Anschlag hier, in Venedig, so lange geheim bleibt wie er muesste, wenn der Zweck der Einschuechterung erreicht werden sollte? Es ist undenkbar, erwiderte Andrea gelassen. Was drei Venezianer wissen, weiss der Rat der Zehn. Umso wunderbarer, dass er diesmal so schlecht bedient wird. Und nun setzt den Fall, es gelaenge den Verschworenen nach Wunsch, Mord auf Mord, worauf es ja abgesehen scheint, erreichte die Inquisitoren trotz des Geheimnisses, das sie umgibt, und endlich faende sich niemand, der sein Leben an eine so gefaehrliche Wuerde wagte--was waere damit erreicht? Eine Aristokratie von so ungeheuerlicher Organisation, wie die venezianische, bedarf, um zu bestehen, um sich gegen die drohenden Wogen des Volkswillens zu sichern, des festen Dammes einer immerwaehrenden Diktatur, die in sanfteren oder haerteren Formen immer wieder aufgerichtet werden muesste. Denn wo sind die Elemente, aus denen eine echte Republik mit freien Institutionen sich bilden koennte? Ihr habt eine herrschende Kaste und eine beherrschte, Souveraene zu Hunderten und Poebel zu Tausenden. Wo sind die Buerger, ohne die ein freies Stadtwesen ein Unding ist? Eure Nobili haben dafuer gesorgt, dass der geringe Mann nie zum Buergersinn, zum Gefuehl der Verantwortlichkeit und des wahren bewussten Opfers fuer grosse Zwecke herangereift ist. Sie haben den Plebejern nie erlaubt, sich um Staatsinteressen zu bekuemmern. Aber weil das Regiment von achthundert Tyrannen zu schwerfaellig, zu uneinig und schwatzhaft ist, um eine maechtige Wirkung nach aussen oder innen zu ueben, knechteten diese Herren sich lieber selbst und beugten sich unter das Joch eines unverantwortlichen Triumvirats, das wenigstens aus ihrer Mitte hervorgegangen war. Sie zogen es vor, ihre eigenen Mitglieder ohne Gesetz und Recht diesem dreikoepfigen Goetzen zum Opfer fallen zu sehen, als unter dem Schutz von Gesetzen und Rechten zu leben, die sie mit dem Volk gleichstellen wuerden. Ihr sagt diese Sachen, wie sie sind, warf Andrea ein. Aber muessen sie so bleiben? Bleiben--oder sich verschlimmern. Denn seht, Bester, wie furchtbar sich die Schneide ihrer Waffe gegen sie selbst gekehrt hat. Solange die Republik eine Aufgabe hatte unter den Voelkern Europas, solange war der Druck dieser stehenden Diktatur im Innern durch die Erfolge nach aussen aufgewogen. Niemals waere Venedig ohne dieses Zusammenfassen all seiner Kraefte in der Hand unerbittlicher Tyrannen zu der Bluete politischer Macht und unermesslichen Reichtums gediehen, wie wir sie bis ins vorige Jahrhundert noch im Wachsen finden. Sobald die Zwecke wegfielen, die so gewaltsame Mittel allein rechtfertigen konnten, blieb die nackte Tyrannei in all ihrer Unfoermlichkeit uebrig und begann, um nicht muessig zu gehen und sich selbst fuer ueberlebt zu halten, nach innen zu wueten. Eine Diktatur im Frieden, mag sie von einem oder dreien ausgeuebt werden, ist immer eine Lebensgefahr fuer jeden grossen oder kleinen Staat. Hier aber ist die Krankheit zu alt geworden, um noch Heilung zu finden. Die Keime des wahren Buergertums, aus denen jetzt fuer die Republik ein neues Leben erwachsen muesste, sind verfault, durch ein jahrhundertelanges Schreckenssystem, durch das Netz der ausgesuchtesten Spionenkuenste ist alles Vertrauen, alle Geradheit, Sicherheit und Freiheitsliebe erstickt, und das Gebaeude, das so kuenstlich und dauerhaft aufgefuehrt scheint, wuerde zusammenbrechen, sobald der Kitt der Furcht aus den Fugen verschwaende. Eure Gruende moegen gut sein, erwiderte Andrea nach einer Pause, aber es sind Gruende eines Fremden, den es nichts kostet, diese Republik fuer ausgelebt und dem Untergang verfallen zu erklaeren. Einen Venezianer moechtet ihr schwerlich ueberzeugen, dass die Krankheit seiner alten Mutterstadt nicht wenigstens den letzten Versuch einer Heilung wert sei. Ihr aber seid kein Venezianer. Ihr habt recht, ich bin nur aus Brescia, und meine Stadt hat schwer unter Venedigs Geissel geblutet. Dennoch kann ich mich eines tiefen Mitgefuehls mit diesen verzweifelten Maennern, die das fressende Geschwuer der geheimen Schreckensherrschaft mit dem Messer auszuschneiden versuchen, nicht ganz erwehren. Ob sie ihr Ziel erreichen, steht in den Sternen geschrieben. Meine Augen sind schwach, ich verzichte drauf, diese Schrift zu lesen. Beide Maenner schwiegen und sahen eine Weile durch das Fenster auf den Kanal. Ihre Sessel standen dicht nebeneinander. Die Sonne brannte herein, ohne dass sie der laestigen Glut auswichen. Ihr seht, begann endlich laechelnd der Juengere, dass ich fuer einen Diplomaten, und einen, der in Venedig sich die Sporen verdient, noch viel zu wenig Vorsicht gelernt habe. Wir haben uns nur einmal gesehen, und heute sage ich Euch ohne Umschweife, was ich von den hiesigen Dingen halte. Aber freilich traue ich mir hinlaengliche Menschenkenntnis zu, um zu wissen, dass ein Geist wie der Eure sich nicht in den Sold dieser Signoria begeben kann. Andrea reichte ihm stumm die Hand. In demselben Augenblick wandte er das Gesicht und sah wenige Schritte hinter ihnen in unterwuerfiger Haltung seinen Amtsgenossen, Samuele, mitten im Zimmer stehen. Er hatte die Tuer leise geoeffnet und war auf den Teppichen des Zimmers unter vielen Verbeugungen ungehoert herangetreten. Euer Gnaden, sagte er jetzt zu Rosenberg gewandt, indem er sich gegen Andrea fremd stellte, ich bitte zu verzeihen, dass ich bin eingetreten unangemeldet. Der Herr Kammerdiener war nicht im Vorzimmer. Ich bringe die bestellten Juwelen; Sachen, Euer Gnaden, wie sie die schoenste Esther haette tragen koennen. Er holte aus seinen Taschen Schachteln und Kaestchen hervor und breitete seine Waren sorgfaeltig auf dem Tisch aus, wobei er sichtlich den juedischen Haendler, den er sonst in seinem Wesen nach Kraeften verleugnete, hervorzukehren suchte. Waehrend der Deutsche die Schmucksachen musterte, warf Samuele einen Blick des Einverstaendnisses nach Andrea hinueber, der ihm den Ruecken kehrte und an das Fenster trat. Er begriff, was der Besuch des Juden zu dieser Stunde bezweckte. Der Spion sollte den Spion im Auge haben, der alte Fuchs den Neuling bei seinem Probestueck ueberwachen. Indessen hatte Rosenberg eine Halskette mit einem Rubinschloss ausgewaehlt und bezahlte den Preis, den der Jude forderte, ohne zu handeln. Er warf ihm die Goldstuecke hin, nickte ihm, ohne weiter auf sein Geschwaetz zu antworten, seine Entlassung zu und trat wieder ans Fenster. Ich sehe es an Eurer Miene, sagte er, dass Ihr mich bemitleidet und fuer einen Wahnsinnigen haltet. In der Tat, ich handelte klueger, wenn ich dieses blitzende Geschmeide in den Kanal wuerfe, statt es um Leonorens weissen Nacken zu legen. Aber was hilft mir alle Klugheit gegen diesen Daemon? Ich bin ueberzeugt, antwortete Andrea, dass Eure Entzauberung nicht lange auf sich warten lassen wird. Aber eine andere Warnung bin ich Euch schuldig. Kennt Ihr den Juden naeher, der uns eben verliess? Ich kenne ihn. Er ist einer von den Spionen, die der Rat der Zehn in unserem Hause besoldet. Er isst sein Brot mit Suenden. Denn unser ganzes Geheimnis ist, dass wir ehrlich sind. Und weil sie dies fuer ganz unmoeglich halten, gelten wir ihnen fuer die Gefaehrlichsten und Verstecktesten. Nur um Euretwillen ist es mir unlieb, dass der Schleicher gerade jetzt hier eintrat. Er hat gesehen, dass Ihr mir die Hand gabt. Ich buerge Euch dafuer, dass Ihr, ehe eine Stunde vergeht, im schwarzen Buch des Tribunals stehen werdet. Andrea laechelte bitter. Ich fuerchte sie nicht, mein Freund, sagte er. Ich bin ein friedfertiger Mensch und mein Gewissen ist ruhig.-Vier Tage waren nach jenem Gespraech vergangen. Andrea hatte sein gewohntes Leben fortgesetzt, sich regelmaessig morgens bei seinem Notar eingefunden und am Abend das Haus gehuetet, obwohl ihm jetzt, da er zu der hohen Polizei in ein nahes Verhaeltnis getreten war, an dem guten Leumund in der Strasse della Cortesia nicht mehr viel gelegen sein konnte. Am Samstag abends erbat er sich den Hausschluessel von Frau Giovanna. Sie lobte ihn, dass er eine Ausnahme von seiner Regel mache. Es sei heute auch der Muehe wert; die Totenfeier fuer den erlauchten Herrn Venier in San Rocco mitanzusehen, wuerde sie selbst reizen koennen. Aber sie scheue das Gedraenge, und dann--er wisse wohl, weshalb dieser Fall ihr ein besonderes Grauen einfloesse. Auch er gehe dem naechtlichen Gewuehl lieber aus dem Wege, sagte Andrea. Es beklemme ihm die Brust. Er wolle eine Gondel nehmen und nach dem Lido hinausfahren. So verliess er die Alte und schlug die Richtung ein, die San Rocco entgegengesetzt war. Es war schon acht Uhr, ein feiner Regen truebte die Luft, hielt aber die Menschen nicht ab, der Kirche drueben ueber dem Kanal zuzustroemen, wo die Exequien fuer den ermordeten Staatsinquisitor um diese Stunde abgehalten werden sollten. Dunkle Gestalten, teils in Masken, teils das Gesicht durch den Hutrand gegen den prickelnden Regen schuetzend, eilten an ihm vorbei nach den Plaetzen der Ueberfahrt, oder nach der Rialtobruecke, und ein dumpfes Glockengetoen summte durch die Luft. In einer Seitengasse stand Andrea still, zog eine Maske aus seinem Rock und band sie sich vor. Dann ging er an den naechsten Kanal, sprang in eine Gondel und rief: Nach San Rocco! Die stattliche alte Kirche war schon von unzaehligen Kerzen taghell erleuchtet und eine ungeheure Volksmenge umwogte den leeren Katafalk, der dunkel mitten im Schiff aufragte ohne Blumen und Kraenze. Nur ein grosses silbernes Kreuz stand zu Haeupten, und die schwarze Decke trug zu beiden Seiten das Wappen des Hauses Venier. Auf schwarzausgeschlagenen Sitzen, die durch die ganze Tiefe des Chores amphitheatralisch hinaufstiegen, hatte der Adel Venedigs Platz genommen, in einer Vollzaehligkeit, wie sie selten auch bei wichtigen Sitzungen des Grossen Rates zustande kam. Niemand wagte es, zu fehlen, denn jedem lag daran, dass an der Aufrichtigkeit seiner Trauer um den Toten nicht der leiseste Zweifel entstaende. Auf einer besonderen Tribuene sassen die fremden Gesandten. Auch ihre Reihe war vollzaehlig. Aus der Hoehe herab bliesen die Posaunen die feierliche Introduktion eines Requiems, und ein vollstimmiger Chor, von der Orgel begleitet, stimmte den Klagegesang an, der erschuetternd durch die Kirche wallte und draussen auf dem Platz und weit in die benachbarten Strassen hinein von dem zustroemenden Volk vernommen wurde. Der feine Regen, der noch immer anhielt, die Dunkelheit der Nacht, aus der schon fern die hellen Steinrosen der Kirchenfenster wundersam hervorglommen, das verstohlene Schwirren und Summen der Tausende verbreitete ein banges Grausen rings um die Kirche, dessen nur wenige sich erwehren mochten. Je naeher am Eingang in den erhabenen Raum, der alles umschloss, was in Venedig gross und maechtig war, desto andaechtiger verstummten alle Lippen. Aus den schwarzen Masken, die nach alter Gewohnheit bei Trauer--wie bei Freudenfesten zahlreich unter der Menge erschienen, sahen nicht wenige bange Blicke in das helle Portal hinein nach dem Katafalk, der an das Ende der Dinge und die Hinfaelligkeit irdischer Macht noch vernehmlicher mahnte als die Worte des Gesanges. In einer Seitenstrasse, die damals durch dunkle Arkaden nach dem Platz von San Rocco muendete, gingen zwei Maenner hastig im Gespraech miteinander. Sie sahen es nicht, dass im Dunkel der Haeuser ein dritter ihnen auf dem Fusse folgte, in Mantel und Maske sorgfaeltig versteckt, der sich bald naeherte, bald zurueckblickte und ihnen wieder einen Vorsprung liess. Jene anderen trugen die Maske nicht. Der eine war ein graubaertiger Herr mit vornehmem Anstand, sein Begleiter schien juenger und geringeren Standes. Er horchte aufmerksam auf jedes Wort des Alten und warf nur zuweilen eine bescheidene Bemerkung hin. Jetzt kamen sie an eine Stelle, wo aus einem erleuchteten Hause ein heller Schein ueber die Gasse fiel. Unversehens hatte die Maske sie ueberholt und spaehte, als sie jetzt dicht an ihr voruebergingen, hinter dem Pfeiler hervor scharf in die beiden Gesichter. Die Zuege des Sekretaers der Staatsinquisitoren tauchten deutlich fuer einen Augenblick aus der Finsternis auf. Die Stimme des Alten war ebenfalls im Gemach des Geheimen Tribunals laut geworden. Sie hatte Andrea Delfin ins Gesicht gesagt, dass er ein Candiano sei. Geht nun zurueck, schloss der Alte das Gespraech, und besorgt die Sache ohne Aufschub. Der Grosskapitaen ist bei San Rocco beschaeftigt, wie Ihr wisst: aber eine kleine Abteilung seiner Leute genuegt, um beide zu verhaften. Ihr werdet ihnen einschaerfen, dass es ohne Laerm abgehen muss. Das erste Verhoer habt Ihr sofort anzustellen, denn vor Mitternacht bin ich schwerlich zurueck. Ist etwas Dringendes zu melden, so findet Ihr mich, nachdem die Feier vorueber ist, bei meinem Schwager. Sie trennten sich und der Alte schritt durch den einsamen Pfeilergang dem Platz von San Rocco zu. Eben verstummte die Musik in der Kirche, und aller Augen richteten sich auf die Kanzel, die ein schneeweisser Greis, der paepstliche Nuntius, auf zwei juengere Geistliche gestuetzt, muehsam bestieg, um zu dem versammelten Adel und Volk Venedigs zu reden. Kein Laut regte sich mehr; die schwache Stimme des Greises begann, weit vernehmlich, das Gebet, dass der Herr in Gnaden herabsehen und aus dem Schatz seiner ewigen Weisheit und Barmherzigkeit den bekuemmerten Geistern Trost und Erleuchtung spenden moege, das Dunkel erhellen, welches Schuld und Arglist dem Auge des irdischen Gerichts entziehe, und die Werke der Finsternis zu Schanden machen wolle. Das Amen war kaum verhallt, so erhob sich von dem Portal her ein murmelndes Geraeusch und pflanzte sich blitzschnell durch das Schiff der Kirche fort und lief bis zu den Sitzen der Nobili hinan, so dass im Nu die ungeheure Versammlung wie ein aufgewuehlter See schwankte und brandete. Alle spaehten im ersten Moment ratlos nach der Schwelle hin, ueber welche das Entsetzen eingedrungen war. Man sah jetzt durch das Hauptportal Fackeln in Hast ueber den dunkeln Platz irren, und waehrend alles atemlos hinaushorchte, erscholl ploetzlich von vielen Stimmen der Ruf in die Kirche hinein: Moerder! Moerder! Rette sich, wer kann! Ein beispielloser Aufruhr, eine Verwirrung, wie wenn dem Gewoelbe der Kirche jaehlings der Einsturz drohe, folgte auf diesen Ruf. Volk und Patrizier, Geistliche und Laien, die Saenger oben vom Chor, die Waechter des Katafalks, Maenner und Frauen draengten sich blindlings den Ausgaengen zu, und nur der Greis auf der Kanzel droben sah mit unerschuetterlicher Wuerde auf das angstvolle Gewimmel herab und verliess seinen Sitz erst, als nur noch das schwarze Geruest inmitten der leeren Kirche ihn an das Wort mahnte, das ihm so ploetzlich abgeschnitten worden war. Draussen aber waelzte sich die entsetzte Menge nach einem Punkt, wo einige Fackeln muehsam mit Wind und Regen kaempften. Die Sbirren, die unter der Fuehrung des Grosskapitaens beim ersten Aufzucken des Ereignisses an jene Stelle geeilt waren, hatten einen regungslosen Koerper im Dunkel der Seitengasse gefunden, dem noch immer das Blut aus der Seite stroemte. Als die Fackeln herbeikamen, sah man einen Dolch mit staehlernem Kreuzgriff in der Wunde und las die eingegrabenen Worte: "Tod allen Staatsinquisitoren!", die durch die entgeisterte Menge halblaut von Mund zu Munde gingen. Der erste Stoss eines Erdbebens, obwohl die Mahnung furchtbar ist, dass man auf vulkanischem Boden stehe, erschuettert die Gemueter noch nicht in den Tiefen. In den Schrecken mischt sich zu lebhaft Ueberraschung und Befremden, ja, wo die Wirkungen nicht allzu fuehlbar bleiben, sind die Menschen, die rasch wieder ins Gleichgewicht zurueckstreben, gern geneigt, um ihrer Ruhe willen lieber an eine Sinnestaeuschung zu glauben. Erst die Wiederholung des Verderblichen, Unabwendbaren und Erbarmungslosen widerlegt jeden Glauben an einen Irrtum, jede Hoffnung, dass nur zufaellige Umstaende das Ereignis herbeigefuehrt haben moechten. Die Wiederkehr der Gefahr verewigt die Furcht und deutet auf eine unabsehliche Reihe von Schrecknissen hinaus, gegen die weder Mut noch Feigheit den geringsten Schutz gewaehren koennen. Eine aehnliche Wirkung uebte in Venedig die Kunde von dem zweiten moerderischen Anfall gegen einen Staatsinquisitor aus. Denn dass der Verwundete nichts Geringeres war, hatten die Eingeweihten nicht zu verheimlichen vermocht. Niemand konnte sich's verhehlen, dass die Kuehnheit, mit der dieser zweite Schlag gefuehrt worden war, durch das Gelingen der Tat nur neu angespornt und zum Weiterschreiten auf der Bahn der Gewalt ermuntert werden musste. Zwar hatte dieses Mal der Dolch, durch ein seidenes Unterkleid abgelenkt, das Opfer nicht sogleich toedlich getroffen. Aber die Wunde gefaehrdete dennoch das Leben und verursachte jedenfalls einen Stillstand in der Taetigkeit des Geheimen Tribunals, das ohne Einstimmigkeit seiner drei Mitglieder keinen Spruch tun durfte. Seine Herrschaft war also fuer den Augenblick gelaehmt, und, was wichtiger war, das undurchdrungene Geheimnis, in das sich die feindliche Macht huellte, zerstoerte den Glauben an die Allwissenheit und Allmacht des Triumvirats und musste zuletzt das Selbstvertrauen und die ruecksichtslose Energie seiner Mitglieder untergraben. Denn welche Massregeln der Vorsicht blieben noch uebrig, und welche Mittel geheimer Nachforschung waren noch unerschoepft? Hatte man nicht ueber die Neuwahl des dritten Inquisitors im Rate der Zehn sich gegenseitig das tiefste Stillschweigen mit schwerem Eide angelobt? Und dennoch war wenige Tage nachher der Schlag so sicher, so wie vom Himmel herab gerade auf den Neugewaehlten gefallen. Mit argwoehnischen Blicken sah jeder den anderen an. Der Gedanke draengte sich auf, dass im Schoss der Machthaber selbst der Verrat niste, dass die Tyrannen selbstmoerderisch Hand an ihre Herrschaft gelegt haetten. Man verhaftete den Sekretaer der Inquisition, der mit dem Verwundeten die letzten Worte kurz vor dem Ueberfall gesprochen hatte. Er wurde peinlich befragt und mit grausamem Tode bedroht. Auch das war freilich erfolglos. Und was hatte die Vermehrung der geheimen Polizei, die massenhafte Anwerbung neuer Spione unter den Dienern der Nobili und der fremden Gesandten, in den Gasthoefen, im Arsenal, selbst in den Kasernen und Kloestern fuer einen Gewinn gebracht? Halb Venedig war dafuer besoldet, dass es die andere Haelfte ueberwachte. Eine ansehnliche Summe sollte die geringste Nachricht, die auf die Spur der Verschwoerung half, belohnen. Man verdreifachte sie jetzt. Aber man versprach sich, da man die Verschwoerung bei dem Adel suchte, wenig von einer Massregel, die nur auf das aermere Volk berechnet war. Man tat ueberhaupt eine Menge Dinge, nur um den Schein zu retten, als sei man nicht muessig, obwohl was man tat muessig war. Es erschienen strenge Verordnungen ueber das Schliessen der Gasthaeuser und Schenken mit dem Eintritt der Dunkelheit, das Tragen von Masken und Waffen jeder Art wurde bei schwerer Strafe verpoent, die ganze Nacht hallte der Schritt der Runden durch die Gassen und hoerte man die Gondeln anrufen, die auf den Kanaelen an den Wachtposten vorueberfuhren. Niemand erhielt einen Pass, der Venedig verlassen wollte, und am Eingang des Hafens lag ein grosses Wachtschiff, das jedes Fahrzeug anhielt und selbst von den Beamten der Republik die Parole verlangte, ehe sie passieren durften. Weit ueber die Terraferma hin verbreitete sich das Geruecht von diesen unheimlichen Zustaenden, wie gewoehnlich mit der Entfernung wachsend. Wer eine Reise nach der Mutterstadt vor hatte, schob sie auf. Wer sich in eine Handelsverbindung mit einem Venezianer Hause hatte einlassen wollen, zog es vor, den Ausgang dieser Wirren abzuwarten, die den Bau der Republik in ihren Grundfesten umzuwuehlen drohte. Der Rueckschlag zeigte sich bald in der Veroedung der Stadt, wo alles zu stocken schien. Die Nobili verliessen nur im dringenden Notfall ihre Palaeste, in denen sie sich, um nicht unwissend an einen der Verschworenen zu streifen, gegen jeden Besuch absperrten. Niemand wusste genau, was draussen vorging, und die abenteuerlichsten Geruechte von Verhaftungen, Folter und verhaengten Strafen drangen zu den verschlossenen Tueren ins Innere der bangen Familien. Auch das geringere Volk, obwohl es klar fuehlte, dass es nicht in erster Linie unter diesen Zustaenden litt, und es schadenfroh mit ansah, wie die Vornehmen in panischem Schrecken sich untereinander scheel anblickten, konnte sich doch auf die Laenge einer beklommenen Stimmung nicht erwehren. Es war immerhin laestig, Karten und Wein mit dem Einbruch der Nacht im Stich zu lassen, von einer jeden Wache, der es einfiel, nach verborgenen Waffen durchsucht zu werden, und bei dem besten Gewissen von der Welt keinen Augenblick vor der Tuecke falscher Denunzianten sicher zu sein. Unter den wenigen, auf deren Leben und Treiben die Schwuele, die ueber den Gemuetern lag, scheinbar keinen Einfluss uebte, befand sich auch Andrea Delfin. Er war am Morgen nach der Tat gleich dem anderen Tross der geheimen Spaeher von dem Nachfolger jenes ungluecklichen Sekretaers, der ihn in Sold genommen hatte, ueber seine Beobachtungen um die Stunde der Tat befragt worden und hatte das Maerchen von einer Fahrt nach dem Lido aufgetischt, bei der er die Absicht gehabt haette, die Stimmung unter den Fischern auszukundschaften. Was er aus dem Hotel des oesterreichischen Gesandten und dem Palast der Graefin mitzuteilen wusste--unverfaengliche Tatsachen, die dem Tribunal laengst bekannt waren--, zeugte wenigstens fuer seinen Eifer, sich in seine Aufgabe hineinzuarbeiten. Sein Freund Samuele hatte nicht versaeumt, die auffallende Vertraulichkeit zu denunzieren, in welcher er den Brescianer mit dem Gesandtschaftssekretaer betroffen hatte. Ruhig verantwortete sich Andrea, und die alte Bekanntschaft von Riva her konnte den Absichten des Tribunals nur foerderlich sein. So verging denn fast kein Tag, an dem er nicht, wenn er mit seiner Arbeit fuer den Notar fertig war, seinen deutschen Freund aufsuchte, dem das Gespraech des ernsten, von geheimem Kummer verduesterten Mannes in seiner Abgeschiedenheit von anderem Verkehr nach und nach zum Beduerfnis wurde. Er hatte ein unbegrenztes Vertrauen zu Andrea gefasst, und wenn er politische Themata ihm gegenueber vermied, geschah es mehr, weil er bei der Verschiedenheit ihrer Nationalitaet eine Verstaendigung zwischen ihnen nicht hoffen durfte, als aus Besorgnis, dass Andrea seine Offenheit missbrauchen moechte. Er erzaehlte ihm sogar mit lachendem Munde, dass er vor ihm gewarnt worden sei als vor einem Spion des Tribunals. Die Sorglosigkeit, mit der er taeglich die verfemte Schwelle des fremden Gesandten betrete, falle natuerlich auf. Ich bin kein Nobile, erwiderte Andrea mit gelassener Miene. Dass ich keine diplomatischen Verbindungen hier suche, leuchtet den Zehnmaennern ein; sie haben mich bis jetzt nicht einmal einer Warnung gewuerdigt. Euch aber habe ich liebgewonnen und wuerde mit Schmerzen darauf verzichten, Euch dann und wann meine unerfreuliche Gesellschaft aufzudraengen, denn ich bin ein voellig einsamer Mensch. Selbst meine brave Wirtin, die mir sonst wohl ein Stuendchen mit ihren Sprichwoertern die Zeit vertrieb, betritt mein Zimmer nicht mehr. Sie ist krank, krank an Venedig und den bleichen Schatten, die darin umgehen. So verhielt es sich in der Tat. Nach dem zweiten Attentat auf die Staatsinquisition war Frau Giovanna einen Tag lang tiefsinnig herumgegangen, und es hatte sich mit der sinkenden Nacht eine immer wachsende Aufregung bei ihr eingestellt. Sie war nun fest ueberzeugt, dass der Geist ihres Orso der Taeter sei; denn nur ein unkoerperlicher Schatten konnte zum zweiten Male den tausend lauernden Augen, die Venedigs Ruhe bewachten, entgehen. Sie legte ihre besten Kleider an und beschloss, da sie nichts Geringeres als einen Besuch ihres Abgeschiedenen erwartete, die ganze Nacht oben an der Treppe zu seinem Empfang bereit zu sein. In ruehrender Verwirrung der Begriffe hatte sie eine Lieblingspfeife ihres Mannes auf einem gedeckten Tisch mit drei Sesseln angerichtet, und war nicht dazu zu bewegen, selbst einen Bissen zu geniessen. In diesem Zustande verwachte sie den groessten Teil der Nacht. Erst nachdem das Laempchen auf dem Flur erloschen war, gelang es Marietta, die Andrea zu Hilfe rief, die arme Frau wieder ins Zimmer und zu Bett zu bringen. Ein Fieber brach aus, nicht gefaehrlich, aber lebhaft genug, um taeglich mehrere Stunden lang ihr das Bewusstsein zu rauben. Andrea sah dem allen in tiefem Mitleiden zu, und die beweglichen Worte, die der Kranken in ihren Phantasien entfielen, peinigten ihn sehr. Er musste sich sagen, dass er die Verstoerung dieser guten Seele auf dem Gewissen habe, und die traurigen Blicke Mariettas drueckten ihn schwerer als alle blutigen Geheimnisse, die er mit sich herumtrug. Mit dieser Last beladen, schlenderte Andrea eines Nachmittags am Dogenpalast vorbei und stand lange an dem schmalen Kanal, der unter dem hohen Bogen der Seufzerbruecke dahinfliesst. Wenn seine Entschluesse in ihm wankend wurden und er an der Unstraeflichkeit des Richteramtes, das er uebernommen hatte, zu zweifeln begann, fluechtete er an diese Stelle und bestaerkte sich durch einen Blick auf die uralten Mauern, hinter denen Tausende von Opfern einer unverantwortlichen Macht geseufzt und geknirscht hatten, in dem Glauben an das Recht und die Not seiner Sendung. Die Sonne schien mit stechenden Strahlen durch die Septemberduenste, die vom Wasser aufstiegen. Dieser Kai, der sonst von Leben wimmelte, war unheimlich still. Die finsteren Blicke der Soldaten, die unter den Arkaden des Palastes auf und ab klirrten, mochte die laute Munterkeit der Voruebergehenden einschuechtern. Andrea konnte deutlich hoeren, dass aus einer Gondel, die eben an die Piazetta anfuhr, sein Name gerufen wurde. Er erkannte seinen Freund, den Sekretaer des Wiener Gesandten. Habt Ihr Zeit, rief der Juengling ihm zu, so steigt ein wenig ein und fahrt eine Strecke mit mir. Ich bin eilig und moechte Euch doch gern noch einmal sprechen. Andrea stieg in die Gondel, und der andere reichte ihm mit besonderer Herzlichkeit die Hand. Ich freue mich sehr, mein teurer Andrea, dass ich Euch zufaellig hier antreffen sollte. Ich waere ungern ohne Abschied von Euch gegangen, und doch wagte ich nicht, Euch zu besuchen oder nach Euch zu schicken, da es ohne Zweifel aufgefallen waere. Ihr reist? fragte Andrea fast bestuerzt. Ich muss wohl. Da lest diesen Brief meiner guten Mutter, und sagt, ob ich darauf hin noch laenger zoegern kann. Er zog den Brief aus der Tasche und gab ihn dem Freunde. Die alte Dame beschwor den Sohn, wenn ihm daran liege, dass sie je wieder ein Stunde Schlaf faende, ohne Aufenthalt zu ihr zu reisen. Die Geruechte aus Venedig, die Stellung, die er dort einnehme und welche ihn mehr als andere gefaehrde, der Umstand, dass kaum der dritte seiner Briefe an sie gelange, sie wisse nicht, durch wessen Schuld--das alles nage an ihrer Ruhe, und ihr Arzt wolle fuer nichts stehen, wenn sie nicht durch einen Besuch ihres Sohnes erst wieder getroestet und beruhigt worden sei. Es ging ein Ton grenzenloser muetterlicher Hingebung und tiefen Kummers durch diese Zeilen, dass Andrea sie nicht ohne Bewegung lesen konnte. Und dennoch, sagte er, als er das Blatt zurueckgab, dennoch wuenschte ich fast, Ihr reistet nicht gerade jetzt, obwohl ich weiss, dass Eure Mutter die Stunden zaehlt. Nicht darum, weil ich, wenn Ihr fort seid, voellig verlassen sein und wie ein wandelnder Toter hier zurueckbleiben werde, sondern weil es nicht geraten ist, jetzt aus Venedig zu gehen, da der Verdacht Euch auf den Fersen folgen wird, Ihr ginget aus Vorsicht. Hat man gar keine Schwierigkeiten gemacht, Euch zu beurlauben? Nicht die geringsten. Wie koennte man auch, da ich zur Gesandtschaft gehoere? So seid doppelt auf Eurer Hut. Man hat schon manche Tuer in Venedig zuvorkommend geoeffnet, weil der Schritt ueber die Schwelle in einen Abgrund fuehrte. Wenn Ihr mir folgtet, zeigtet Ihr Euch nicht so offen und unverkleidet hier in der Stadt waehrend der letzten Stunden vor Eurer Abreise. Ihr koennt nicht wissen, was man vielleicht anstellt, dieselbe zu verhindern.--Was soll ich aber tun? fragte der Juengling. Ihr wisst, dass die Masken verboten sind. So bleibt zu Hause und lasst die Wuerdentraeger dieser Republik lieber umsonst auf Euren Abschiedsbesuch warten.--Und wann werdet Ihr reisen? Morgen frueh um fuenf. Ich denke einen Monat fortzubleiben und hoffentlich meine Mutter dann beruhigt verlassen zu koennen. Nun es fest beschlossen ist, dass ich mich losreissen soll, bin ich fast schon ausgesoehnt mit dieser Gewaltkur, obwohl sie mir nicht wenig ins Leben schneidet. Vielleicht gelingt es mir, wenn ich die Kreise meiner Zauberin nur erst einmal durchbrochen habe, ihre Macht fuer immer abzuschuetteln. Aber werdet Ihr's glauben, mein Freund, dass ich vor der Trennung zittere, wie wenn ich sie nicht ueberstehen koennte? So ist das beste Mittel, Euch sofort von ihr zu trennen. Ihr meint, sie vor der Reise nicht wiederzusehen? Ihr verlangt Unmenschliches. Andrea ergriff seine Hand. Mein teurer Freund, sagte er mit einer Innigkeit, die er noch stets bemeistert hatte, ich habe kein Recht, von Euch nur das geringste Opfer in Anspruch zu nehmen. Das Gefuehl herzlicher Neigung, das mich von Anfang an zu Euch hingefuehrt hat, dankt sich selbst reichlich, und ich wage es nicht, im Namen dieser meiner Freundschaft Euch um etwas zu bitten. Aber bei dem Bild jener edlen Frau, deren Liebesworte Ihr mir eben zu lesen gabt, beschwoere ich Euch: geht nicht mehr in das Haus der Graefin. Mehr als alles, was ich von ihr weiss, ja, was Ihr selbst nicht in Abrede stellt, laesst Euch meine Ahnung warnen, dass es Euer Unheil ist, wenn Ihr sie nicht in diesen letzten Stunden meidet. Versprecht mir's, mein Teuerster! Er hielt ihm die Hand hin. Aber Rosenberg schlug nicht ein. Fordert kein festes Versprechen, sagte er mit ernstem Kopfschuetteln, lasst es Euch genuegen, dass ich den besten Willen habe, Eurem Rat zu folgen. Aber wenn der Daemon staerker waere als ich und alles ueber den Haufen stuermte, was ich ihm in den Weg legte, so haette ich den doppelten Kummer, mir selbst und Euch untreu geworden zu sein. Ihr aber wisst nicht, was dieses Weib erreichen kann, wenn sie will. Sie schwiegen hierauf und fuhren noch eine Weile nachdenklich miteinander durch die leblose Flut, die traege, wie ein Sumpf, vor dem Kiel ihrer Gondel zurueckwich. In der Naehe des Rialto begehrte Andrea auszusteigen. Er trug dem Juengling Gruesse an die Mutter auf und zuckte auf die Frage, ob er nach einem Monat noch in Venedig zu treffen sein werde, finster die Achseln. Sie hielten sich lange Hand in Hand und schieden, als die Gondel landete, mit einer herzlichen Umarmung. Noch einmal sah das kluge und treuherzige Gesicht des Juenglings aus der Luke des schwarzen Verdecks hervor und nickte dem Freunde zu, der auf der Wassertreppe in Gedanken verloren stehen geblieben war. Beiden war die Trennung schmerzlicher, als sie sich erklaeren konnten. Andrea zumal, der sich seit langem von allen Banden geloest glaubte, mit denen der Einzelne sich an Einzelne knuepft, der ueber dem einen furchtbaren Ziel, das er sich gesteckt, allen kleinen Lebenszwecken abgestorben schien, wunderte sich bei sich selbst, wie weh ihm der Gedanke tat, dass er nun mehrere Wochen sich ohne diesen Juengling behelfen muesse. Bald aber draengte der Wunsch sich vor, dass er ihm hier nie mehr begegnen moechte, ehe sein Werk gelungen sei. Er nahm sich vor, einen Brief an die Mutter zu schreiben, und sie mit geheimnisvollen Warnungen dergestalt zu draengen, dass sie in die Rueckkehr ihres Sohnes nach Venedig nicht wieder willigte. Als er diesen Gedanken gefasst hatte, fiel eine grosse Last von ihm. Er ging sofort nach Hause, um sein Vorhaben auszufuehren. Aber in seinem grauen Zimmer, wo nie ein Sonnenstrahl hindrang und die leere Wand des Gaesschens unwirtlich durch das Eisengitter hereinsah, ueberkam ihn, sobald er sich zum Schreiben niedersetzte, eine so heftige Unruhe und Beklommenheit, dass er die Feder hinwarf und hin und her lief, wie ein Raubtier in seinem Kaefig. Er war sich voellig klar darueber, dass diese Stimmung nicht aus der Tiefe seines Gewissens aufstieg, dass keine Furcht, sein Geheimnis verraten und der Rache ueberliefert zu sehen, sich in die Verstoerung seiner Seele mischte. Erst an diesem naemlichen Morgen hatte er wieder vor dem Sekretaer des Tribunals gestanden und sich von der voelligen Ratlosigkeit der Gewaltherren ueberzeugt. Der verwundete Staatsinquisitor lag noch immer zwischen Leben und Tod. Je laenger dieser Zustand der Schwebe dauerte, um so mehr wurde das Dasein des Triumvirates selbst in Frage gestellt. Noch ein gluecklicher Schlag gegen das wankende Gebaeude, und es lag fuer alle Zeiten in Truemmern. Andrea zweifelte keinen Augenblick, dass die Vorsehung, die ihm bisher die Hand gefuehrt, auch das Letzte werde gelingen lassen. Noch niemals war er an seiner Sendung irre geworden. Und wenn ihn heute die unbestimmte Ahnung eines grossen Ungluecks ruhelos machte, so hatten seine eigenen Taten und Plaene keinen Anteil daran. Der Tag dunkelte schon, als er drueben an Smeraldinas Fenster ein leises Husten hoerte, das verabredete Zeichen, dass ihn das Maedchen zu sprechen wuensche. Er hatte sie in der letzten Zeit ziemlich vernachlaessigt und knuepfte heute nicht ungern wieder an, teils um seinen eigenen Gedanken zu entrinnen, teils um durch Neuigkeiten aus dem Palast der Graefin sich den Zugang zum Tribunal offen zu halten, und vielleicht gar zu einem der Inquisitoren hindurchzudringen. Rasch trat er ans Fenster und gruesste hinueber. Die Zofe empfing ihn mit einer kuehlen Herablassung. Ihr macht Euch rar, sagte sie; es scheint, Ihr habt indessen andere Bekanntschaften gemacht, die Ihr Eurer Nachbarin vorzieht. Er versicherte, dass seine Gefuehle fuer sie unveraendert seien. Wenn es wahr ist, sagte sie, so will ich Euch wieder zu Gnaden annehmen. Es waere heute gerade eine gute Gelegenheit, einmal wieder ungestoert miteinander zu plaudern. Meine Graefin hat eine Spielgesellschaft auf den Abend, ein halb Dutzend junger Herren. Sie gehen schwerlich vor Mitternacht, und bis dahin koennten auch wir zwei zusammen kommen, und ich versorgte uns hinlaenglich aus der Kueche und vom Kredenztisch. Ist der Deutsche geladen, von dem du mir erzaehlt hast, dass die Graefin ihn so oft bei sich sieht? Der? wo denkt Ihr hin! Der ist so eifersuechtig, dass er keinen Fuss ueber die Schwelle setzt, wenn er hier Gesellschaft wittert. Uebrigens reist er fort. Wir graemen uns eben nicht tot darum. Andrea atmete auf. Ich bin um zehn Uhr hier am Fenster, sagte er; oder soll ich ans Portal kommen? Sie besann sich. Tut lieber das, sagte sie. Der Pfoertner ist ja ein guter Bekannter von Euch, und Eure Wirtin gibt Euch wohl den Schluessel. Oder spielt Ihr den Tugendhaften vor der kleinen Marietta? Wisst Ihr, dass ich auf das unbedeutende Geschoepf in allem Ernste eifersuechtig zu werden anfing? Auf Marietta? Sie ist in Euch vernarrt, oder ich habe keine Augen im Kopf. Seht sie nur an. Geht sie nicht wie verwandelt einher und singt nicht mehr, waehrend man sich sonst die Ohren zuhalten musste? Und wie manche Stunde betreffe ich sie darueber, dass sie, waehrend Ihr fort seid, in Euer Zimmer schleicht und Eure Sachen durchstoebert! Sie liest in meinen Buechern; ich habe es ihr erlaubt. Wenn sie nicht mehr singt, so ist es, weil die Mutter krank liegt. Ihr wollt sie nur entschuldigen, aber ich weiss genug, und wenn ich dahinter kommen sollte, dass sie schlecht von mir gesprochen hat, um Euch mir abspenstig zu machen, so kratze ich ihr die Augen aus, der neidischen Hexe. Sie schlug das Fenster heftig zu, und er konnte nicht umhin, ihren Worten lange nachzudenken. In frueheren Zeiten haette die Vorstellung, dass er dem reizenden Maedchen nicht gleichgueltig sei, sein Blut zu schnelleren Schlaegen getrieben. Jetzt ging es ihm nur im Kopf herum, wie er seinen Weg einzurichten habe, um die ruhige Bahn dieser arglosen Seele nicht ferner zu kreuzen. Nachtraeglich fielen ihm mancherlei kleine Zuege ein, die fuer Smeraldinas Meinung sprachen. Er hatte sie einzeln sich verleugnet. Ihre Summe musste er gelten lassen. Ich muss fort von hier, sagte er bei sich selbst. Und doch, wo bin ich so sicher und geborgen, wie in diesem Hause? Nachts um die bestimmte Stunde fand er sich am Portal des Palastes ein, der mit hellen Fenstern auf den winkligen Platz hinaussah. Die Luft war mondlos und truebe, ein frueher Herbst kuendigte sich an, und die wenigen Menschen, die noch auf den Strassen waren, huellten sich in ihre kurzen Maentel. Andrea, als er stand und wartete, dass man ihn einlasse, dachte des Abends, da ein anderer Candiano diese Schwelle betreten hatte, um den Tod davonzutragen. Er schauderte in sich zusammen. Seine Hand, die bald darauf von der oeffnenden Zofe vertraulich ergriffen wurde, war kalt. Sie fuehrte ihn in ihr Zimmer, aber Essen und Trinken, wozu sie ihn noetigte, war ihm unmoeglich, obwohl sie die Tafel ihrer Herrin nicht geschont und vom Ausgesuchtesten fuer ihren Freund beiseite gebracht hatte. Er entschuldigte sich mit seiner Krankheit, und sie liess es gelten, da er sich nicht weigerte, einige Dukaten im Tarok an sie zu verlieren. Auch hatte er ihr wieder ein Geschenk mitgebracht, so dass sie es verschmerzte, auch heute einen so einsilbigen und enthaltsamen Liebhaber an ihm zu finden. Sie ass und trank desto eifriger, trieb allerlei Possen und nannte ihm die Namen der jungen Venezianer, die zum Spiel bei der Graefin sich eingefunden hatten. Da geht es anders her als bei uns, sagte sie; das Gold wird nicht gezaehlt, sondern mit der vollen Faust auf die Karte gesetzt. Habt Ihr Lust, einmal einen Blick hinein zu werfen? Ihr kennt ja die Schliche schon. Du meinst den Spalt in der Wand? Aber sind sie denn nicht im Saal? Nein, im Zimmer der Graefin. Der Saal ist nur fuer grosse Galatage im Karneval. Er besann sich kurz. Es konnte ihm nur erwuenscht sein, seine Personenkenntnis unter dem Adel zu erweitern. Fuehre mich hin, sagte er. Ich werde bald genug haben und dir nicht lange untreu werden. Nur verliebt Euch nicht in meine Graefin, drohte sie. Im Punkte der Eifersucht verstehe ich keinen Spass, und leider finden manche meine Herrin schoener als mich. Er suchte in diesen Ton einzustimmen, und sie gingen scherzend aus dem Zimmer. Draussen begegneten ihnen einige Lakaien in Livree, die an dem Begleiter des Maedchens keinen Anstoss zu nehmen schienen. Sie trugen silberne Schuesseln und Teller vorueber und liessen den Weg nach dem grossen Saal frei. Derselbe war unbeleuchtet wie das erste Mal; aber nebenan ging es froehlicher und lauter zu, und Andrea, als er seinen unbequemen Lauerposten oben auf der Tribuene eingenommen hatte, erkannte das Gemach kaum wieder. Die hohen Wandspiegel warfen sich die Strahlen der Kerzen verhundertfacht zu, und ihre goldenen Rahmen fingen die Streiflichter auf und schnellten den Widerschein bis an die Decke. Dazwischen aber funkelten die Juwelen der schoenen Leonora, und Andrea erkannte deutlich an ihrem Hals die Kette mit dem Rubinschloss, die sein deutscher Freund von Samuele gekauft hatte. Der Stein lag wie ein roter Blutfleck auf der weissen Brust. Aber ihre Augen sahen muede und gleichgueltig auf die Karten, und wenn sie die Gesichter der jungen Maenner ueberflogen, war es deutlich wahrzunehmen, dass keiner von ihnen sie fesselte. Und doch taten die Gaeste ihr Bestes, um liebenswuerdig zu sein. Sie begleiteten ihre Einsaetze mit den scherzhaftesten Reden und verloren rascher ihr Gold als ihre Laune. Einer, der bereits alles verspielt zu haben schien, sass auf einem Sessel zwischen zwei Wandspiegeln und sang schmachtende Barcarolen zur Laute. Ein anderer, der eine Weile vom Gewinnen ausruhte, zielte mit Goldstuecken nach den Mustern des Fussteppichs und vergass, sich nach den rollenden Zechinen wieder zu buecken. Dazwischen gingen die Diener mit Eis und Fruechten ab und zu, und ein Bologneserhuendchen unterhielt sich in aller Freundschaft mit dem grossen, gruenen Papagei, der von seiner vergoldeten Stange herab zuweilen auf gut Venezianisch drollige Flueche in die Gesellschaft hineinrief. Schon wollte der Lauscher oben auf der Musikbuehne sich wieder zurueckziehen, da ihm das Bild, in das er hinuntersah, die peinlichsten Gefuehle erregte, als ploetzlich durch die hohe Fluegeltuer eine stattliche Figur in das Spielzimmer trat, die von allen Anwesenden mit Befremden begruesst wurde. Es war ein ziemlich bejahrter Herr, der aber sein weisses Haupt noch aufrecht genug auf den Schultern trug und auch im Gang nichts Greisenhaftes hatte. Er musterte mit einem raschen Blick die jungen Leute, neigte sich leicht vor der Graefin und bat, sich nicht stoeren zu lassen. Ihr verlangt zu viel, Ser Malapiero, erwiderte die Graefin. Die Ehrfurcht dieser Jugend vor den Diensten, die Ihr der Republik zu Meer und zu Lande geleistet habt, erlaubt nicht, dass wir in Eurer Gegenwart fortfahren, die edle Zeit so suendlich zu toeten. Ihr seid im Irrtum, schoene Leonora, versetzte der Alte. Habe ich doch nur deshalb mich von allem Staatsdienst zurueckgezogen und selbst den grossen Rat schon seit Jahren nicht mehr besucht, weil mir der Respekt der jungen Leute laestig ward und es mich nach ungebundener, froehlicher Gesellschaft verlangte. Wer aber mag sich heutzutage das Herz vom Wein oeffnen lassen, wenn einer vom Rat der Zehn oder gar ein Staatsinquisitor mit bei Tische sitzt? Man altert rascher im Amt, und ich denke noch eine Weile meiner weissen Haare zu spotten und wenigstens beim Wein jung zu sein, wenn ich auch der Schoenheit gegenueber meine Jahre fuehle. Ihr nehmt es wahrlich in der Artigkeit noch mit diesen jungen Herren auf, sagte Leonora, die meinen, es gehoere nur ein zierlich gekraeuselter blonder oder schwarzer Bart dazu, um das Recht zu haben, jeden schoenen Frauenmund zu kuessen. Aber ich will den Kredenztisch hereintragen lassen, um meinem seltenen Gast Willkommen zuzutrinken. Verzeiht, meine holde Freundin. Ich komme nicht, um das Gastrecht in Anspruch zu nehmen. Nur der Wunsch trieb mich her, Euch unverzueglich die Nachrichten von Eurem Bruder zu bringen, die durch den Kurier aus Genua heute abend an mich gelangt sind. Sie sind so guter Art, dass ich nicht fuerchte, die Heiterkeit der schoenen Wirtin zu trueben, und daher auf Verzeihung rechne, wenn ich Euch diesen edlen Herrn fuer einige Augenblicke entfuehre. Darf ich hier mit Euch eintreten? sagte er, auf die Tuer zu dem dunklen Saal deutend, auf die er zugeschritten war. Andrea zuckte zusammen. Er begriff, dass er nicht so rasch und geraeuschlos seinen Platz verlassen konnte, um unbemerkt sich davonzuschleichen. Und schon oeffnete sich die Saaltuer, und er hoerte das Kleid der Graefin hereinrauschen. Schnell entschlossen legte er sich platt auf den Boden der hohen Estrade nieder, deren Gelaender, so niedrig es war, ihn dennoch in dieser Lage voellig deckte. Er hoerte den Schritt des Alten, der Leonoren folgte und die Frage, ob ein Leuchter hereingebracht werden sollte, verneinte. Nur zwei Worte habe ich zu sagen, rief Malapiero in das Spielzimmer zurueck. Niemand der jungen Herren wird Zeit haben, auf mich eifersuechtig zu werden. Die Tuer schloss sich hinter ihnen, und sie gingen unter der Tribuene auf und ab. Was fuehrt Euch her? fragte die Graefin hastig. Bringt Ihr mir endlich die Nachricht, dass Gritti zurueckberufen wird? Ihr habt die Bedingung noch nicht erfuellt, Leonora. Welches von den Wiener Geheimnissen habt Ihr dem Tribunal mitgeteilt? Lag es an mir? Tat ich nicht alles, was ein Weib nur vermag, und liess diesen eigensinnigen Deutschen im Netze zappeln, wie einen Fisch auf dem Lande? Aber nie kam ein Wort von Geschaeften ueber seine Lippen. Und heute reist er ab, wie Ihr wissen werdet. Ich bin krank vor Aerger, dass ich soviel Zeit umsonst an ihn verschwendet habe. Man saehe es lieber, wenn er krank waere. Wie das? Er will fort, man hat ihm den Weg nicht verlegen koennen. Aber wir sind gewiss, dass es der Republik zum groessten Schaden gereicht, wenn er wirklich bis Wien kommt. Die Vorwaende seines Urlaubs sind nichtig. Der wahre Grund ist, dass er Dinge in Wien zu melden hat, die er selbst einem geheimen Kurier nicht anzuvertrauen wagt. Und darum liegt alles daran, dass die Reise verhindert wird. So verhindert sie. Sein Gehen oder Bleiben ist mir voellig gleichgueltig. Ihr habt das leichteste Mittel in der Hand, Leonora, ihn hier festzuhalten. Das waere? Ihr sendet ihm jetzt sogleich eine Botschaft, dass er kommen moege, um Euch weniger grausam zu finden als bisher. Wenn er dann, wie unzweifelhaft ist, sich noch in dieser Nacht bei Euch einfindet, so sorgt Ihr dafuer, dass er bald darauf erkrankt. Sie unterbrach ihn rasch. Ich habe einen Schwur getan, sagte sie, in dergleichen Zumutungen nie wieder zu willigen. Man wird Euch Eures Schwures entbinden und Euer Gewissen beruhigen, Leonora. Auch ist die Meinung nicht, dass das Mittel toedlich sein soll; dies waere sogar ernstlich zu verhueten. Tut, was Ihr wollt, sagte sie. Aber mich lasst aus dem Spiel. Euer letztes Wort, Graefin? Ich hab' es gesagt. Nun wohl, so wird man dafuer sorgen muessen, dass der Reisende unterwegs verunglueckt. Es ist immer umstaendlicher und verdaechtiger. Und Gritti? Von ihm ein andermal. Erlaubt, dass ich Euch zu Eurer Gesellschaft zurueckfuehre. Die Tuer des Saales oeffnete sich und schloss sich wieder. Andrea konnte sich ohne Gefahr aufrichten. Aber die Worte, die er gehoert hatte, laehmten noch seine Sinne und Glieder. Er hoerte undeutlich durch die Wand das mutwillige Lachen und die Scherze der jungen Leute; die furchtbare Naehe, in der hier Tod und Leben, Verbrechen und Leichtsinn aneinander hinstreiften, straeubte ihm das Haar. Als er sich muehsam aufrichtete und die Stufen hinuntertappte, suchte seine Hand krampfhaft nach dem Dolch, den er im Gewand versteckt immer bei sich trug. Seine Lippen waren blutig, so hatte er die Zaehne darin verbissen. Aber noch war er besonnen genug, Smeraldina wieder aufzusuchen und ihr in gelassenen Worten zu sagen, dass die Gesellschaft ganz lustig anzusehen sei; aber er werde nie wieder durch die Spalte schauen, da er nur mit genauer Not der Entdeckung durch die Graefin und einen aelteren Gast entkommen sei. Er hoffe, dass sie es nicht gehoert haetten, wie er bei ihrem Eintritt in den dunklen Saal durch die andere Tuer entschluepft sei.--Darauf leerte er seine Boerse vollends und drang darauf, sogleich von ihr zu gehen. Am sichersten sei es, dass sie ihn auf dem Brett durchs Fenster entlasse, um jedem Verdacht der Graefin auszuweichen. Sie hatte kein Arg dabei, die Bruecke war im Nu geschlagen und er ueberschritt sie mit festem Fuss, obwohl der Entschluss zu einer schweren Tat bereits in ihm feststand. Doch dieses Mal galt es nicht die grosse Sache allein, der er sich geweiht hatte. Es galt, einen Freund vor feindseliger Tuecke zu schuetzen, einen Sohn der Mutter wohlbehalten in die Arme zu senden, einen schnoeden Verrat des Gastrechtes durch schnelles Gericht zu verhueten. Leise trat er auf den Flur seines Hauses und horchte in den daemmrigen Gang hinaus. Die Tuer seiner Wirtin war geschlossen; aber er hoerte trotzdem ihre Stimme, die aus Fiebertraeumen heraus sich mit Orsos Schatten besprach. Er gewann die Treppe und oeffnete unten behutsam die Pforte. Die Strasse war leer; das ewige Laempchen leuchtete nicht weit in die windige Nacht hinueber; aber er kannte die Wege und ging mit eiligen Schritten durch die naechsten Quergassen ueber die schmale Bruecke des Kanals, die auf den kleinen Platz vor Leonorens Palast fuehrte. Er hatte nirgends eine Gondel gesehen und musste annehmen, dass der Alte den Weg nach seinem Hause zu Fuss zuruecklegen werde. Er ersah sich einen Platz, wo er vorueberkommen musste. Ein tiefer, dunkler Vorsprung eines Tuerpfeilers schien ihm passend zum Hinterhalt. Hier drueckte er sich in die Ecke und fasste das Portal des Palastes scharf ins Auge. Aber die Hand, die den Dolch gezueckt hielt, zitterte stark, und das Blut schoss ihm so gewaltig zu Herzen, dass er mit hoechster Anstrengung sich zu ermannen suchte. Was war es, das dieses Mal sich in ihm auflehnte gegen eine Tat, die er fuer eine heilige Pflicht, fuer das Gebot einer hoeheren Notwendigkeit hielt? Er kaempfte hart gegen die dunklen Stimmen an, die ihn von seinem Posten wegzulocken schienen. Die Schulter bohrte sich eisern in den Pfosten ein, mit der Linken lueftete er die Stirn, auf der kalte Tropfen standen. Halt aus! sagte er unwillkuerlich zu sich selbst. Vielleicht, wenn der Himmel es gnaedig fuegt, ist es das letzte Mal. Da fiel ihm ein, dass der alte Malapiero ohne Zweifel sich von Dienern werde geleiten lassen, und augenblicklich begriff er die Unmoeglichkeit, in diesem Fall den Schlag zu fuehren. Fast war es ihm lieb, einen Vorwand zu sehen, weshalb er heute unverrichteter Sache nach Hause gehen muesse. Aber indem er schon mit einem Fuss aus der Hoehlung der Tuernische heraustrat, oeffnete sich drueben das Portal des Palastes, und in der grauen Nacht sah er die stattliche Figur, in den Mantel gehuellt, einsam ueber die Schwelle treten und auf ihn zukommen. Das weisse Haar wallte deutlich genug unter dem Hute vor, der rasche Schritt erklang ueber den Steinplatten, und sorgfaeltig hielt sich der spaete Wanderer an den Haeusern. Jetzt naeherte er sich dem Hause, in dessen Schatten der Raecher stand; als ahne er die Naehe einer Gefahr, schlug er den Mantel vor das Gesicht und hielt die Linke fest am Griff seines Degens, den er trotz des Waffenverbotes an der Seite trug. Er ging an seinem Feinde vorueber, ohne ihn zu gewahren; zehn, zwanzig Schritte weit liess ihn jener Vorsprung gewinnen. Schon naeherte sich der Einsame der Bruecke. Auf einmal hoert er einen Fusstritt hinter sich, er wendet sich um, die Hand laesst den Mantel sinken, aber in demselben Augenblick bricht seine hohe Gestalt zusammen; der Stahl war ihm tief ins Leben gefahren. Meine Mutter, meine arme Mutter! stoehnte der Ermordete. Dann sank sein Haupt auf das Pflaster. Die Augen schlossen sich fuer immer. Eine Stille von mehreren Minuten folgte auf diese Abschiedsworte. Der Tote lag quer ueber die Strasse ausgestreckt, mit ausgebreiteten Armen, als wollte er das treulose Leben inbruenstig umfangen. Der Hut war ihm von der Stirn gefallen, unter der Verkleidung der weissen Locken draengte sich das natuerliche braune Haar hervor, das jugendliche Gesicht erschien wie schlafend in der falben Daemmerung der Nacht. Und einen Schritt von ihm entfernt an der Wand des naechsten Hauses, starr wie eine angelehnte Bildsaeule, stand der Moerder, und seine Augen stierten in die regungslosen Zuege des Juenglings und muehten sich in verzweifelter Angst vergebens ab, die entsetzliche Gewissheit sich zu verleugnen, sich einzureden, dass ein Spuk ihn verblende, dass unter dieser jungen Larve, die ihm die Hoelle vorhalte, sich die Zuege jenes Alten versteckten, der kurz zuvor im Saal Leonorens dem Freund Andreas einen Hinterhalt bestellt hatte. Hatte er nicht dieses Freundes wegen sich geeilt, den Streich zu fuehren? Wollte er nicht der Mutter ihren Sohn wohlbehalten zuruecksenden? Und was hatte der Mann, der dort am Boden lag, von seiner armen Mutter gelallt? Warum stand nun der Richter und Raecher wie ein Verurteilter und vermochte kein Glied zu regen, obwohl seine Zaehne wie in Todesangst klapperten und Frost seinen Koerper schuettelte? Das Blut, das ihm gegen die Augen tobte, trat zurueck und stuerzte nach den Herzkammern. Seine Blicke erkannten deutlich den Dolch in der Brust des Toten. Er las in dem trueben Zwielicht, die Worte auf dem Heft, die er mit eigener Hand muehsam eingegraben hatte: "Tod allen Staatsinquisitoren". Er sprach sie unwillkuerlich laut aus, und liess seine Augen zwischen der verhaengnisvollen Waffe und dem Gesicht des armen Opfers hin und her gehen, sich saettigend mit dem vernichtenden Widerspruch zwischen diesen Worten und diesen Zuegen. In furchtbarer Hast jagten sich die Gedanken an ihm vorbei. Er war sich ploetzlich ueber alles klar, was hier geschehen war und nie gesuehnt werden konnte. Kein Wunder hatte mitgewirkt, um das Grauenvolle zur Wirklichkeit zu machen. Alles war so ganz natuerlich, so wahrscheinlich, ein Kind musste es begreifen. Ueber Tag hatte sich der Juengling von seiner verderblichen schoenen Feindin ferngehalten. Er wollte fort ohne Abschied. Er hatte es ihr sagen lassen, und sie war gleichgueltig genug, sich fuer den naemlichen Abend Gesellschaft zu laden. Als die Nacht kam, widerstand er dem heftigen Zwang des Daemons nicht und ging den gewohnten Weg. Man hatte ihm an der Pforte gesagt, dass er die Graefin nicht allein finden wuerde. Augenblicklich war er entschieden, umzukehren. Und gerade dieser Augenblick hatte genuegt, dass sein einziger Freund sich in den Hinterhalt stellen konnte, um zum Moerder an ihm zu werden. Erst als Andrea das alles klar ueberlegt hatte, mit einer kalten Hellsichtigkeit, wie sie in allen entscheidenden Stunden, wo jeder Trost schwindet, dem Menschen nahetritt, loeste sich die Starrheit seines Leibes. Er stuerzte zu dem stillen Schlaefer hin, sank knieend auf das Pflaster und sah ihm dicht ins Gesicht. Ein irres Lachen, das wie ein Roecheln klang, entfuhr ihm jetzt, als er die weissen Locken ihm vom Haupte strich, die ihn so unselig betrogen hatten. Es fiel ihm ein, dass er selbst am Nachmittag den Freund gewarnt hatte, sich nicht offen in den Strassen Venedigs zu zeigen. Er selbst hatte die Falle gelegt fuer sich und seinen Teuren. Dann riss er ihm das Kleid auf und fuehlte, ob noch ein Rest von Leben im Herzen klopfe. Er neigte seinen Mund dicht an die Lippen des Juenglings, ob er noch einen Hauch spueren koennte. Alles war still und kalt und hoffnungslos. In diesem Moment wurde die Pforte des Palastes wieder geoeffnet, und eine hohe Gestalt im Mantel trat heraus. Der Lichtschein aus dem Flur fiel auf das weisse Haar des alten Malapiero, der in sein Haus zurueckkehrte. Andrea sah auf; die schneidende Ironie seiner Lage trat ihm vor die Seele. Da ging der Mann, vor dem er Venedig, die wehrlose Herde des Adels und Volkes, und nicht zuletzt seinen deutschen Freund zu schuetzen dachte. Da kam er einsam genug des Weges heran, nur in der Maske eines Geheimnisses, das sein Feind durchdrungen hatte; nichts hinderte, sich auf ihn zu werfen, der Dolch war zur Hand--; aber dieser Dolch war mit unschuldigem Blut geschaendet worden, nichts mehr unterschied den Richter und Raecher von dem, an welchem er den Spruch vollziehen wollte, als dass hier ein tueckisch blinder Zufall den Streich gefuehrt hatte, waehrend jene unverantwortlichen Henker ihre Ziele sicher und unfehlbar vor Augen hatten. Dieses alles tobte durch Andreas Geist. Er raffte sich auf, zog den Dolch aus der Wunde und floh, noch unbemerkt von dem greisen Triumvirn, im Schatten hin, ueber die schmale Kanalbruecke seinem Hause zu. Als ihm einfiel, dass der alte Malapiero den Toten finden und seinem unbekannten Moerder Dank wissen wuerde, dass er ihm eine Muehe gespart, musste er die Zaehne zusammenbeissen, um nicht wild aufzuschreien. So kam er an seine Haustuer und fand sie offen. Als er die Treppe hinaufsah, erblickte er oben, wo sonst die Alte sass, ihre Tochter, die an der obersten Stufe stand und weit vorgebeugt, beide Arme auf das Gelaende gestuetzt, hinabspaehte. Kommt Ihr endlich! fluesterte sie ihm entgegen. Wo waret Ihr so spaet? Ich hoerte Euch fortgehen und konnte nicht schlafen. Er erwiderte kein Wort; muehsam erstieg er die Treppe und wollte an ihr vorbei. Da sah sie den Dolch, den zu verbergen er durchaus keine Sorge trug, und ploetzlich fiel sie mit einem erstickten Ausruf ihm gerade vor die Fuesse. Er liess sie liegen und schritt nach seinem Zimmer. Kein Mitleiden mit kleinem Menschenweh hatte noch Raum in seinem Innern. Er sah nur die Mutter vor sich, die mit Ungeduld ihren Sohn aus der Fremde zurueckerwartete und statt dessen seinen Sarg empfangen sollte. Kaum aber hatte er sich in seinem Zimmer eingeschlossen, als er Mariettas Klopfen vernahm und ihre leise Stimme, die ihn um Einlass bat. Geh zu Bett, sagte er. Ich habe nichts mehr mit Menschen zu teilen. Morgen in der Fruehe melde dich im Dogenpalast. Es sind dreitausend Zechinen dort abzuholen. Du kannst sagen, dass einer der Verschworenen unschaedlich sei. Fuerchte nicht, dass man mich lebend ergreift. Gute Nacht! Sie blieb beharrlich an der Tuer. Ich will hinein, sagte sie. Ich weiss, Ihr tut Euch ein Leids an, wenn Ihr allein bleibt. Ihr denkt, ich koennte Euch verraten, weil ich Euch habe kommen sehen mit dem Dolch. O, Ihr seid sicher davor, dass ich Euch Gefahr braechte. Lasst mich hinein, seht mir ins Gesicht und dann sagt, ob Ihr mir etwas Arges zutraut. Hab ich's nicht lange geahnt, dass Ihr es waeret, den sie suchten? Ich sah Euch im Traum mit Blut befleckt. Aber ich hasse Euch dennoch nicht. Ich wusste, dass Ihr ungluecklich seid; mein Leben koennt' ich hingeben, wenn Ihr es verlangtet. Sie horchte an der Tuer, aber es kam keine Antwort. Statt dessen hoerte sie, wie er an das Fenster trat, das nach dem Kanal ging und sich dort zu schaffen machte. Eine toedliche Angst ueberfiel sie, sie ruettelte an der Tuer, sie rief von neuem, sie beschwor ihn in den ruehrendsten Worten, nichts Verzweifeltes zu unternehmen--alles umsonst. Da es endlich drinnen ganz still geworden war, stemmte sie sich in furchtbarer Qual mit den Schultern heftig gegen die Tuer und suchte mit Aufbietung aller Kraefte das Schloss zu sprengen. Das alte Holzwerk brach ein, nur der Rahmen hielt stand. Das Loch, das sie gebrochen hatte, liess ihre schlanke Gestalt so eben durchschluepfen. Das Zimmer war leer: in allen Winkeln suchte sie ihn vergebens. Als sie an das offene Fenster trat, nun nicht mehr zweifelnd, dass er sich in den Kanal gestuerzt habe, wagte sie kaum ueber das Gesims in die Tiefe hinabzuspaehen. Aber was sie sah, gab ihr die verlorene Hoffnung wieder. Ein Strick hing, an einem festen Haken unterhalb des Gesimses angeknuepft, an der Mauer draussen herab. Er reichte bis auf die Wasserflaeche. Wer sich, unten angelangt, mit den Fuessen von der Mauer abstiess, musste sich leicht auf die Wassertreppe drueben am Palast der Graefin und in die Gondel schwingen koennen, die dort angekettet zu sein pflegte. Heute war sie verschwunden, und dem einsamen Maedchen, das vergebens die dunkle Schlucht des Kanals hinabschaute, um eine Spur des Entflohenen zu entdecken, blieb wenigstens die troestliche Ueberzeugung, dass, wenn er sich retten wollte, er keinen sichereren Weg haette waehlen koennen. Dass sie dies glauben sollte, war seine Absicht gewesen. Er wollte das Gemuet des unschuldigen Wesens, dem er schon zu viel Kummer gemacht hatte, nicht mit der ganzen herben Wahrheit belasten, dass es fuer ihn keine Rettung mehr gab, da er sich selber nicht zu entfliehen vermochte. Noch sah das arme Maedchen aus dem Fenster, und ihre Traenen stuerzten bitterlich in die schwarze Flut unter ihr, als Andrea schon seine Gondel in den grossen Kanal hinaus lenkte. Die Palaeste zu beiden Seiten ragten dunkel ueber den Wasserspiegel auf. Er fuhr an dem Hause Morosini vorbei, er sah den Palast Venier, und ein Schauder straeubte ihm das Haar. Hier lag wie mit einem Ring umschlossen sein Leben vor ihm; welch ein Anfang und welch ein Ende!-Als er an der Giudecca vorueberruderte und nun die breite Stirn des Dogenpalastes im Zwielicht einer trueben Mondsichel vor sich liegen sah, durchzuckte ihn fluechtig der Gedanke, dass hier die Staette sei, wo man Verbrechen richte. Aber fuer das seinige waren hier keine Richter zu finden; denn wer darf richten in eigener Sache? Und begleitete ihn nicht noch immer die Hoffnung, dass aus seiner Freveltat dennoch Rettung und Befreiung fuer seine Mitbuerger erbluehen koenne, dass vielleicht sogar der Mord des Unschuldigen, den die Stimme des Volkes unfehlbar dem Tribunal zuschreiben wuerde, das begonnene Werk vollenden und das Mass der Gewaltherrschaft wuerde ueberfliessen machen? Er haette diese Hoffnung selbst zerstoert, wenn er sich den Richtern gestellt, ihre Furcht vor den unsichtbaren Feinden zerstreut, und die Beschwerden der fremden Maechte von ihnen abgelenkt haette. Mit starken Ruderschlaegen trieb er die Gondel gegen den Lido hin und durchschnitt das Hafenbecken, wo die Laternen der Schiffe allein noch wachten. Am Eingang des Hafens lag die grosse Feluke, die seit einer Woche auch dem kleinsten Fahrzeug auszulaufen wehrte, wenn nicht auf den Anruf die Parole der Inquisition antwortete. Andrea hatte gleich den uebrigen geheimen Dienern des Tribunals heute frueh das Wort empfangen. Ungehindert liess man ihn ins freie Meer hinaus. Die See war still. Nicht mit den Wellen hatte Andrea zu kaempfen, als er laengs dem Ufer mehrere Stunden weit hinruderte. Aber in der ruhigen lauen Nacht empfand er seine Qualen nur heftiger, und schlug dann und wann wie wahnsinnig das Ruder ins Meer, um nur einen anderen Ton zu hoeren, als die letzten Worte seines Freundes: "Meine Mutter, meine arme Mutter." Es war schon weit ueber Mitternacht, als er die Gondel ans Land trieb, hinaussprang und auf ein einsames Kloster zuging, das auf einer Landzunge stand und den armen Schiffern wohl bekannt war. Kapuziner hausten hier, die von den Wohltaten der Chiozzoten und dem Bettel auf dem Festland lebten und dafuer geistlichen Trost spendeten und in mancher Not dem Volk eine Stuetze waren. Andrea zog die Glocke am Tor. Bald darauf hoerte er die Stimme des Pfoertners, die fragte, wer draussen stehe. Ein Sterbender, antwortete Andrea. Ruft den Bruder Pietro Maria, wenn er im Kloster ist. Der Pfoertner entfernte sich von der Tuer. Indessen setzte sich Andrea auf die Steinbank, riss ein Blatt aus seiner Brieftasche und schrieb bei dem Schein einer Laterne, die aus der Pfoertnerzelle hervorschimmerte, folgende Zeilen: "An Angelo Querini. "Ich habe den Richter gespielt und bin zum Moerder geworden. Ich habe mich der Gerechtigkeit angemasst, die Gott sich vorbehalten, und Gott hat mich in meinen eigenen Frevelwahn verstrickt und mich gerechtes Blut vergiessen lassen. Das Opfer, das ich zu bringen dachte, ist verworfen worden. Die Zeit war noch nicht erfuellt, das Priestertum der Befreiung Venedigs ist anderen Haenden vorbehalten. Oder ist ueberhaupt keine Rettung mehr? "Ich gehe vor das Angesicht Gottes, des hoechsten Richters, der auf seiner ewigen Waage meine Schuld und meine Leiden gerecht abwaegen wird. Von Menschen habe ich nichts mehr zu erwarten; von Euch nur ein grossmuetiges Mitgefuehl fuer meinen Irrtum und mein Unglueck. "Candiano." Die Pforte des Klosters oeffnete sich, und ein ehrwuerdiger Moench mit kahlem Haupte trat zu dem Schreibenden heraus. Andrea stand auf. Pietro Maria, sagte er, ich danke Euch, dass Ihr kommt. Ihr habt dem Verbannten in Verona meinen Brief gebracht? Der Greis nickte. Wenn Euch am letzten Dank eines Ungluecklichen etwas gelegen ist, so bringt auch dieses Blatt sicher in dieselben Haende. Versprecht Ihr mir's? Ich verspreche es. Es ist gut. Gott lohne es Euch! Lebt wohl! Er nahm die Hand nicht an, die ihm der Moench zum Abschied reichte. Ohne Aufenthalt stieg er wieder in die Gondel und fuhr in die offene See hinaus. Als der Alte, nachdem er die Zeilen ueberflogen, entsetzt ihm nachrief und ihn beschwor, noch einmal umzukehren, antwortete er nicht mehr. In hoechster Bewegung sah der alte Diener der Republik den letzten Spross eines edlen Geschlechtes auf den oeden Wellen hinaustreiben, die sich jetzt, von einem fruehen Morgenwinde erregt, lebhafter kraeuselten. Er ueberlegte, ob es wohlgetan, ob es ueberhaupt moeglich sei, den festen Willen des Sterbenden zu kreuzen. Da erhob sich in der fernen Gondel die dunkle Gestalt, deutlich erkennbar gegen den grauen Horizont; der Scheidende schien noch einmal einen Blick ueber Land und Meer zu werfen, und nach der Stadt zurueckzuspaehen, deren Umriss auf den Nebeln der Lagunen wie auf einer Wolkeninsel schwamm. Dann sprang er in die Tiefe. Der Moench, der sein Ende mit ansah, faltete die Haende und betete still und inbruenstig. Er stieg dann selbst in einen Kahn und fuhr ins Meer hinaus, wo die leere Gondel auf der Brandung tanzte. Von dem Ungluecklichen, der sie gelenkt, fand er keine Spur. Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Andrea Delfin, von Paul Heyse. *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, ANDREA DELFIN *** This file should be named 7adlf10.txt or 7adlf10.zip Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7adlf11.txt VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7adlf10a.txt Project Gutenberg eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not keep eBooks in compliance with any particular paper edition. We are now trying to release all our eBooks one year in advance of the official release dates, leaving time for better editing. Please be encouraged to tell us about any error or corrections, even years after the official publication date. Please note neither this listing nor its contents are final til midnight of the last day of the month of any such announcement. 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